Der Betriebsrat als Co-Manager: Chancen, Risiken und Perspektiven

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Der Betriebsrat als Co-Manager: Chancen, Risiken und Perspektiven
Betriebsräte: Co-Manager,
                                                                Volkstribune, Notärzte?
                                                                                Ausgabe 1 -2012
                                                                           www.denk-doch-mal.de

Der Betriebsrat als Co-Manager:
Chancen, Risiken und Perspektiven
Von Ralph Greifenstein und Prof. Dr. Dr. Leo Kißler

D
           ie Betriebsräte werden in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen eingeordnet als Co-
           Manager bei der Gestaltung von Produktionsstrukturen und Arbeitsbedingungen,
           oder als Krisenmanager, die Beschäftigungs- und Standortsicherungsstrategien ver-
           folgen sowie als Tarifakteure im Zuge einer Verbetrieblichung der Tarifpolitik. Die Re-
           gelungskompetenzen wie Aufgaben der Betriebsräte sind infolge erweitert und den
Mitbestimmungsträgern wird eine hohe Gestaltungskompetenz auf komplexen Verhandlungsfel-
dern abgefordert.

Zugleich bilden die Belegschaften ein sozialstrukturelles Gemisch aus Beschäftigten mit unter-
schiedlichem Qualifikationsprofil, arbeitsvertraglichem Status und heterogenen Interessenlagen.
Auch diese Belegschaftsdifferenzierung erfordert ein komplexes interessenvertretungspolitisches
Management. In dieser Gemengelage unterschiedlichster Anforderungen stehen Betriebsräte vor
der Herausforderung, ihre betriebsverfassungsrechtliche Kontroll-, Schutz- und Gestaltungsfunk-
tion so auszuüben, dass Interessenverletzungen minimiert werden.

Was sind die aktuellen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen und was bedeuten sie für die
Standortsuche des Betriebsrats in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen? Diejenigen Betriebs-
räte, die sich nicht mehr auf eine defensive Interessenvertretungspolitik der „Schadensbegren-
zung“ zurückziehen, sondern im Betrieb (Co-) Managementaufgaben wahrnehmen, geraten auf
ein Spannungsfeld zwischen ihrer Schutzfunktion und einer neuen Gestaltungspolitik, die auf den
unterschiedlichen Feldern der Unternehmensführung ansetzt.

Schon Friedrich Fürstenberg (1958) beschrieb den Betriebsrat Ende der 1950er Jahre aber als
eine problematische „Grenzinstitution“. Die Position des Betriebsrats im System der betrieblichen
Arbeitsbeziehungen ist dadurch gekennzeichnet, dass er in einem Spannungsverhältnis zwischen
den Erwartungen der Unternehmensleitung einerseits und der Belegschaft andererseits steht.
Der Betriebsrat ist kein lupenreiner Vertreter von Arbeitnehmerinteressen, sondern vielmehr eine
„intermediäre Institution“ (Müller-Jentsch 1995). Er muss zwei gegensätzliche Interessensphären
und unterschiedliche Handlungslogiken verknüpfen. Diese Einordnung trifft einmal mehr auf den
Betriebsrat als Co-Manager zu.

Die Voraussetzungen, die Chancen, aber auch die Risiken des Co-Managements werden im Fol-
genden diskutiert. Zuvorderst ist aber zu fragen: Wie wird die Betriebsratspolitik von den Be-
legschaften anerkannt bzw. unterstützt und welche charakteristischen Merkmale weisen die Be-
triebsratsgremien mit Blick auf ein verändertes strategisches Selbstverständnis der Betriebsräte
auf? Einige Antworten liefert ein Einblick in die Ergebnisse von Betriebsratswahlen der letzten
Wahlperioden.

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Die Betriebsratswahlen:
ein Nachweis anerkannter
professioneller
Interessenvertretungsarbeit
                                                  Wer ist Ralph Greifenstein?
Die Ergebnisse der Betriebsratswah-
len 2010 zeigen wichtige Trends auf,
die Auskunft über die Grundlagen ei-
ner erfolgreich agierenden Mitbestim-        Ralph Greifenstein,
mungsinstitution geben. Eine quanti-         geb. 1957, freischaf-
tative Wahlanalyse liefert zwar keine        fender Dipl.-Sozial-
direkten empirischen Aufschlüsse über        wissenschaftler    in
die Art und Weise, mit welchem Selbst-       Meschede. Arbeits-
verständnis die Betriebsräte in den          schwerpunkte sind
Unternehmen agieren, also ob sie sich        wissenschaftliche Be-
als Co-Manager oder Gegenspieler des         ratung von Stiftun-
Managements verstehen. Allerdings ge-        gen und Verbänden,
langt die jüngste (Langzeit-) Auswer-        Forschungen zu „In-
tung der Betriebsratswahlen zu auffäl-       dustriellen Beziehun-
ligen Resultaten (vgl. ausführlich den       gen“, zur Modernisie-
Trendreport Betriebsratswahlen 2010          rung des öffentlichen Sektors und Umsetzung von
von Greifenstein/ Kißler/ Lange 2011).       Arbeitsmarktreformen. Zahlreiche Veröffentlichun-
                                             gen, darunter ein aktuelles Lehrbuch zur Mitbestim-
                                             mung in der Bundesrepublik Deutschland (VS-Verlag
Hervorzuheben ist als Erstes die hohe
                                             2011) und eine Bilanz der Mitbestimmungsforschung
Wahlbeteiligung, welche die Veranke-
                                             1952 – 2010 (Edition Sigma 2010).
rung der betrieblichen Mitbestimmung
in den Belegschaften symbolisiert. Die
Entwicklung der durchschnittlichen
Wahlbeteiligung in den Betrieben von              Wer ist Prof. Dr. Dr. Kißler?
2002 bis 2010 illustriert einen nachhalti-
gen Trend: Die Motivation der Beschäf-
tigten, einen Betriebsrat zu wählen, ist     Leo Kißler, Prof. Dr.
und bleibt sehr ausgeprägt. Um die 80        Dr., geb. 1949, lehrt
Prozent der Beschäftigten geben im           Soziologie an der
Durchschnitt ihr Votum im Rahmen der         Philipps-Universität
Betriebsratswahl ab.                         Marburg. Mitglied des
                                             wissenschaftlichen
Der Trend ist vor allem deshalb nach-        Beirats (2001 – 2011)
haltig, weil er die Unterstützung der Be-    und      Vertrauensdo-
legschaften für professionell agierende      zent der Hans-Böck-
                                             ler-Stiftung.
Betriebsräte widerspiegelt, die in Zeiten
massiver technologischer, organisato-
                                             Forschungsschwerpunkte: Modernisierung des öf-
rischer und wirtschaftlicher Umbrüche
                                             fentlichen Sektors, Mitbestimmung und Industrielle
ihre Schutz- und Gestaltungsfunktion
                                             Beziehungen. Trendreport Betriebsrätewahlen 2010
für die Beschäftigten erfüllen. Die Grö-
                                             (http://www.boeckler.de/pdf_fof/S-2010-338-2-1.
ßenordnung, der Anstieg und die Konti-       pdf), neueste Buchveröffentlichungen: Kommunale
nuität einer hohen Wahlbeteiligung der       Demographiepolitik. Edition Sigma: Berlin (mit Elke
Beschäftigten sind eine Bestätigung für      Wiechmann) und: Die Mitbestimmung in der Bun-
Betriebsräte und Anerkennung ihrer Be-       desrepublik Deutschland. Wiesbaden: VS-Verlag
teiligungspraxis.                            2011 (mit Ralph Greifenstein und Karsten Schnei-
                                             der).

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Weiteres offenbart der Blick auf die Zusammensetzung der gewählten Gremien. Ein Merkmal ist
die Professionalisierung der Interessenvertretungen. Legt man z.B. die Wahlergebnisse der letz-
ten drei Betriebsratswahlen aus dem Bereich der IG Metall zugrunde, so zeigt sich: In der ersten
Amtszeit befinden sich immer weniger Betriebsratsmitglieder. Der Rückgang im Vergleich der
Wahlperioden beläuft sich von 44,4 Prozent in 2002 auf 32,8 Prozent in 2010. Auch der Anteil der
Mandatsträger, die in der zweiten Amtszeit agieren, ist nach einem Anstieg in 2006 inzwischen
wieder rückläufig und hat sich auf dem „Ausgangsniveau“ von 2002 in einer Größenordnung von
etwa einem Viertel der Mandatsträger eingependelt.

Viele Betriebsräte werden in eine dritte Amtszeit wiedergewählt. Bereits zum dritten Mal agieren
die meisten Betriebsratsmitglieder in den Gremien und zwar zu 42,2 Prozent im Jahr 2010 gegen-
über 36,7 Prozent in 2006 und 31,2 Prozent in 2002. Vor allem in den Großbetrieben mit hoch-
komplexen interessenvertretungspolitischen Rahmenbedingungen ist die Betriebsrats(berufs-)
karriere, hier verstanden als Betriebsratstätigkeit über mehrere Wahlperioden, verbreitet und ein
institutionelles Strukturmerkmal der Gremien. Aber auch in kleineren und mittleren Unternehmen
steigt die personelle Kontinuität in den Betriebsräten. Viele Betriebsräte stellen sich erneut zur
Wahl und werden von den Beschäftigten als ihre Mitbestimmungsträger bestätigt, indem man
sie wiederwählt.

Ein Trend hält folglich seit längerem: Die Beschäftigten setzen auf erfahrene Betriebsratsmitglie-
der. Zugleich übernehmen diejenigen Betriebsratsmitglieder, die in den betrieblichen Arbeitsbe-
ziehungen an exponierter Stelle agieren, gemeint sind die Betriebsratsvorsitzenden, auch lang-
jährig die Führung des Betriebsratsgremiums. Mehr als zwei Drittel der Betriebsratsvorsitzenden
befindet sich in der dritten Amtszeit. Sie sind wichtige interessenvertretungspolitische Führungs-
kräfte im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung.

Aus diesen Ergebnisse ist zu schlussfolgern: Der Professionalisierungsgrad, den ei-ne effektive
betriebliche Interessenvertretungsarbeit erfordert, führt dazu, dass immer mehr Betriebsräte
mehrfach wiedergewählt werden, da ihre qualifizierte Interessenvertretungspolitik Erfolge ge-
zeigt hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies zugleich, dass das Expertenwissen, das die Betriebs-
räte erworben haben, sie auch nachhaltig dazu motiviert, sich wieder zur Wahl zu stellen, um
ihre Interessenvertretungsarbeit fortzusetzen. Routinierte, professionalisierte und partizipations-
erfahrene Betriebsräte kennzeichnen somit die Interessenvertretungsarbeit in vielen Betrieben.
Die „Verberuflichung“ und „Professionalisierung“ der Interessenvertretung gehören zum Mar-
kenzeichen betrieblicher Mitbestimmung. Aber ist dies gleichzusetzen mit einer Interessenvertre-
tungspolitik, die sich in erster Linie am Typus des Co-Managements orientieren sollte?

Co-managerielle Betriebsräte: der Typus

Die Industrial-Relations-Forschung beschreibt seit den 1990er Jahren die Entwick-lungen in den
betrieblichen Arbeitsbeziehungen zwischen Management und Betriebsrat als ein Co-Management
der betrieblichen Interessenvertretung. Auslöser waren der Strukturwandel der betrieblichen
Arbeitsbeziehungen unter dem Anpassungsdruck neuer Produktionskonzepte, bei deren Einfüh-
rung der Betriebsrat als Verhandlungspartner, Mitgestalter und Co-Manager agiert.

Der Typus des Co-Managers wurde seitdem in Forschung und Praxis zu einer prominenten in-
teressenvertretungspolitischen Figur. Nach verschiedenen Studien, die auf den Ergebnissen und
Erfolgen des Betriebsratshandelns basieren, agiert der Betriebsrat als „Co-Manager“ mit Eigenin-
itiative und hoher Einflussnahme auf betriebliche Reorganisationsprozesse (Müller-Jentsch u. a.
1998). Betriebsräte, die sich als Co-Manager verstehen, beteiligen sich stärker an der Konzeption
und Umsetzung von neuen Arbeitsorganisationsformen (Piorr/Wehling 2002). Die Arbeitsweise
des Co-Managers kennzeichnen ausdifferenzierte Arbeitsprozesse und die Organisation der Be-
triebsratsarbeit gleicht sich der Organisation der Arbeits- und Entscheidungsprozesse im Unter-

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nehmen an.

Die betriebsrätlichen Co-Manager nehmen mit ihrer speziellen Interessenvertretungspolitik über
die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus gestalten-
den Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse (Minssen/Riese
2007). Betriebsräte werden an Unternehmensentscheidungen beteiligt und die Vertretung der
Belegschafts- und Unternehmensinteressen verschmelzen ineinander (Rehder 2006, S. 228).
Der Typus des Co-Managers gilt vor diesem Hintergrund als eine effiziente Variante betrieblicher
Interessenvertretung. Den betriebsrätlichen Co-Manager wird zugeschrieben, dass sie

•    als professionelle Akteure sozial verantwortlicher Unternehmensführung und als Konflikt-
wie Kooperationspartner in einer modernen Unternehmenskultur handeln,
•    nicht nur versuchen, die Rationalisierungsfolgen auf der Grundlage betriebsverfassungs-
rechtlicher Mitbestimmungsrechte zu mildern (Schutzfunktion), sondern auch für betriebliche
Problemlösungen aktiv Entscheidungsalternativen entwickeln, die im Arbeitnehmerinteresse lie-
gen (Gestaltungsfunktion),
•    eigenständige unternehmenspolitische Strategien erarbeiten, betriebliche Innovationspro-
zesse fördern und Qualifizierungskonzepte für die Belegschaft entwickeln.

An diesem Aufgabenkatalog kann sich der Betriebsrat leicht überheben. Seine Bewältigung ist
voraussetzungsvoll. Zu den Voraussetzungen eines gelingenden Co-Managements zählen:

•     die Bereitschaft des Managements, den Betriebsrat faktisch über die gesetzlichen und tarif-
lichen Vorschriften hinaus zu beteiligen und als Co-Manager zu akzeptieren,
•     die frühzeitige und umfängliche Informationen über die produktionstechnischen, personal-
politischen und betriebswirtschaftlichen Vorhaben des Managements,
•     hohe interessenvertretungspolitische Ressourcen (freigestellte Betriebsratsmitglieder, ma-
terielle Mittel, fachgerechte Arbeitsteilung im Betriebsratsgremium),
•     Rollenkonflikte ertragen und bewältigen zu können, wenn Betriebsräte Entscheidungen mit
verantworten.

Diese Interessenvertretungsstrategie des Betriebsrats birgt neben ihren offenkundigen Chancen
daher auch Risiken.

Co-Management: eine riskante Interessenvertretungsstrategie?

Kurzfristige bzw. -sichtige Vorteile hat zweifelsohne ein Betriebsrat, der bei betrieblichen Verän-
derungen stets eine Gegenposition zum Management aufbaut und sich auf seine Schutzfunktion
zurückzieht. Dieser Interessenvertretungsansatz kann die Akzeptanz der Betriebsratsarbeit und
die Wiederwahl des Betriebsrats befördern. Gleichzeitig verliert dieser Betriebsrat aber langfristig
an Gestaltungskraft, um nachhaltige „Gewinne“ für die Beschäftigten in betrieblichen Verände-
rungsprozessen zu erzielen. Co-Management ist daher für viele Betriebsräte zum Leitbild betrieb-
licher Interessenvertretungspolitik geworden.

Jedoch hat dieses Muster von Mitbestimmung einige Risse bekommen. Damit sind nicht die
unrühmlichen Beispiele gemeint, in denen Betriebsräte („Lustreisen“) auf dem schmalen Grad
zwischen legaler und illegaler Ausübung ihrer Rechte schlichtweg versagten. Die Praxis des Co-
Managements ist vielmehr zwiespältig, von Rollen- bzw. Interessenkonflikten geprägt und sug-
geriert zudem, dass Betriebsräte tatsächlich entscheidungserheblichen Einfluss auf die Unter-
nehmensentscheidungen nehmen können, obwohl ihnen dies betriebsverfassungsrechtlich nur
begrenzt zusteht. Damit sind unterschiedliche Rahmenbedingungen angesprochen.

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Die Arena der Konfliktaustragung ist in vielen Betrieben zweifellos nicht mehr nur durch harte
Auseinandersetzungen gekennzeichnet, sondern basiert auf Kooperation und Vertrauen. Dennoch
wird ebenso sicher immer wieder versucht, Rechte der Betriebsräte zu umgehen, z. B. durch zu
späte Informationen über wichtige Veränderungen, so dass Betriebsräte nicht mehr mitgestalten
können und ihr „Co-Management“ ins Leere greift. Hinzu kommen weitere Probleme.

Unter der prägnanten Überschrift: „Co-Management: Segen oder Fluch?“ werden recht zutref-
fend zwei der wohl zentralsten Risiken charakterisiert, denen ein co-managerieller Betriebsrat
ausgesetzt ist (BetriebsRat-kompakt 2010): der Verlust einer klaren Positionierung der Betriebs-
parteien in der Interessenaushandlung und damit einhergehend die Gefahr eines Glaubwürdig-
keitsverlustes als Interessenvertreter. Dies geschieht vor allem dann, wenn Betriebsräte in den
Ruf geraten, Legitimationsbeschaffer für den Sanierungskurs des Managements zu sein bzw.
Opfer einer Scheinpartizipation. Sie stehen dann vor dem Risiko des Mandatsverlustes.

Betriebsratsarbeit als Co-Management beinhaltet immer, dass der Betriebsrat für die Entschei-
dungen, die er mitträgt, von der Belegschaft verantwortlich gemacht wird. Dies ist nicht nur eine
Binsenwahrheit. Aktives Co-Management, anstelle von traditioneller Gegenmacht zum Manage-
ment, läuft in die Gefahr, dass die Belegschaft die interessenvertretungspolitische Perspektive
nicht erkennt. Die detaillierte Herstellung betriebsinterner Öffentlichkeit, also über das, was mit
welchem Ergebnis wie verhandelt wurde, bleibt dagegen ebenfalls ein zweischneidiges Schwert,
denn je nach Erfolg oder Misserfolg steigt oder sinkt das Prestige der Betriebsräte in der Beleg-
schaft.

Ein Co-Management bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Repräsentationsaufgabe bleibt für
den Betriebsrat ebenfalls nicht folgenlos. Wie Rehder (2006) anhand von Fallbeispielen (Daim-
lerChrysler AG, Opel AG und Deutsche Bahn AG) aufzeigt, führt die jahrelange Praxis des Co-Ma-
nagements zu Legitimitätsdefiziten der betrieblichen Interessenvertretung. In den Unternehmen
erschöpft sich die Output-Legitimität, wenn Arbeitsplätze immer wieder und erneut zur Disposi-
tion stehen – trotz des Co-Managements.

Co-Management birgt darüber hinaus die Gefahr, das Gespür für unternehmenspolitische Al-
ternativen zu verlieren, die nicht mehr ins Blickfeld der Interessenvertretungsarbeit geraten.
Betriebsräte werden dann als (Pseudo-) Co-Manager umso leichter von den Unternehmenslei-
tungen instrumentalisiert. Dennoch: Die Chance des Co-Managements liegt darin, dass sich die
betriebliche Mitbestimmung durch ihren Output legitimieren kann. Dies setzt voraus, dass nicht
nur die Integration von Belegschafts- und Unternehmensinteressen das Handeln der Betriebs-
räte bestimmen sollte, sondern die angemessene Repräsentation der Beschäftigten. Betriebsräte
müssen die Prozesse partizipativ und ergebnisoffen steuern, d.h. die Beschäftigten einbeziehen,
um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen (Rehder 2006).

Es ist und bleibt nach den vorliegenden Forschungsergebnissen folglich ein Spagat: Gehen die
Betriebsräte auf Managemententscheidungen ein, können sie die Unterstützung der Belegschaft
einbüßen. Eine defensive oder passive Abwehrhaltung dagegen führt zu einem Verlust an Gestal-
tungsmöglichkeiten (Schwarz-Kocher u.a. 2010). Aus diesen Risiken und Anforderungen ergibt
sich eine komplizierte Gemengelage strategischer Handlungsschwerpunkte des co-manageriellen
Betriebsrats, gekennzeichnet durch ein vielfältiges Anforderungsprofil und einen Balanceakt zwi-
schen Kooperation, Konsens und Konflikt mit der Unternehmensleitung. Erfolge stellen sich nur
ein, sofern es gelingt, die Schutz- und Gestaltungsfunktion auszubalancieren und erste nicht
zugunsten von „Managementaufgaben“ aufzugeben.

Das bedeutet nichts anderes: Der Betriebsrat ist ein gewählter Interessenvertreter der Beleg-
schaft und kein Manager des Unternehmens. Die klassische schutzorientierte Betriebsratsarbeit
ist aber um neue Kompetenzen und interessenvertretungspolitische Strategien ergänzt, aus-

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gebaut und erweitert worden. Eine wichtige Aufgabe des Betriebsrats muss es daher bleiben,
Gegenmacht aufzubauen und den Konflikt nicht zu scheuen. Dies ist die eigentliche Grundlage
erfolgreicher Interessenvertretungspolitik und schließt ein Co-Management an den Schnittstellen
der Interessen von „Kapital und Arbeit“ nicht aus.

Unser Fazit

Die Institution Betriebsrat hat im Zuge des Wandels von Produktions- und Organisationsstruk-
turen, der Verbetrieblichung der Tarifpolitik, aber auch durch die Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes 2002 eine deutliche Aufwertung erfahren, die sich auch in der hohen und stei-
gende Beteiligung der Beschäftigten an den Betriebsratswahlen ausdrückt. Der Betriebsrat steht
allerdings in einem komplexen Verhältnis zu unterschiedlichen Belegschaftssegmenten, zu den
Gewerkschaften, zu einem Management, das personell manchmal häufiger wechselt als die „ver-
beruflichte“ Betriebsratsmitgliedschaft selbst, zu den Shareholdern und anderen Akteuren inner-
halb und außerhalb des Betriebs.

Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit der Interessenvertretungspolitik begründen eine diffizile Auf-
gabenstellung. Dazu reicht ein Co-Management im engeren Verständnis nicht aus, das nicht
zugleich auch ein Konfliktmanagement sowie die Umsetzung von Gegenmacht beinhaltet. Wie
Müller-Jentsch (1999) von einer kooperativen Konfliktpartnerschaft zu sprechen, in der Betriebs-
räte betriebspolitische Gestaltungsstrategien im Sinne der Belegschaftsinteressen und über diese
hinaus vertreten (z.B. nachhaltiges Wirtschaften durch eine umweltschonende Produktion), trifft
die Wirklichkeit daher zutreffender als allein der Begriff des Co-Managements.

Schließlich muss der Betriebsrat die Rechte der Belegschaft mit allen zur Verfügung stehenden
Mitteln durchsetzen. Die kooperative Konfliktpartnerschaft spiegelt somit den Spagat zwischen
Kooperation und Kampf um Arbeitnehmerinteressen wider, um Arbeitsplätze zu sichern und „gute
Arbeit“ zu fördern. Dieses Vorhaben setzt hohe Kompetenzen, Qualifikationen und eine interes-
senvertretungspolitische Professionalisierung voraus, die sich heute in der langjährigen Mitglied-
schaft im Betriebsratsgremium und der Wiederwahl von Betriebsräten manifestiert. Diesem Ma-
nagement des Betriebsrats fehlt allerdings noch die rechtliche Absicherung. Es müsste u.a. durch
eine (betriebsverfassungs-) rechtliche Aufwertung der Mitbestimmung (z.B. in wirtschaftlichen
Angelegenheiten) unterstützt werden. Eine betriebliche „Vertrauenskultur“ zwischen Manage-
ment, Betriebsrat und Beschäftigten allein ist dafür zu fragil und unverbindlich.

Literatur

BetriebsRat-kompakt (2010): Betriebsratsarbeit. Co-Management. Segen oder Fluch? Das be-
stimmen sie selbst! Ausgabe 01/2010, hrsg. vom Institut für Betriebliche Mitbestimmung, Kis-
sing. http://www.betriebsrat-kompakt.de/newsletterarticle.asp?his=5094.51.7110&id=13041

Fürstenberg, Friedrich (1958): Der Betriebsrat – Strukturanalyse einer Grenzinstitution. In: Köl-
ner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 10, S. 418-429

Greifenstein, Ralph/Kißler, Leo/Lange, Hendrik (2011): Trendreport Betriebsratswahlen 2010. Ar-
beitspapier, Betriebliche Mitbestimmung und betriebliche Handlungshilfen, Nr. 231, Düsseldorf.

Minssen, Heiner/Riese, Christian (2007): Professionalität der Interessenvertretung. Arbeitsbedin-
gungen und Organisationspraxis von Betriebsräten. Berlin

    Seite 6
Müller-Jentsch, Walther (1995): Auf dem Prüfstand: Das deutsche Modell der industriellen Bezie-
hungen. In: Industrielle Beziehungen H. 2, S. 11-24

Müller-Jentsch, Walther/Malinowsi, Norbert/Seitz, Beate (1998): Betriebsräte-Befragung und
Analyse der Industriepolitik im Maschinen- und Anlagenbau. Modernisierung der Arbeitssysteme
und industriellen Beziehungen im Maschinenbau. Abschlussbericht. Ruhr-Universität Bochum

Müller-Jentsch, Walther (1999): Vorwort des Herausgebers zur 3. Auflage (zugleich eine Einlei-
tung in die Thematik). In: Ders. (Hrsg.): Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der
Industriellen Beziehungen. 3. Aufl. München und Mering 1999, S. 7-11

Piorr, Rüdiger/Wehling, Pamela (2002): Betriebsratshandeln als unternehmerischer Erfolgsfak-
tor? Einflussnahme von Arbeitnehmervertretungen bei der Durchführung von Reorganisations-
maßnahmen. In: Industrielle Beziehungen, Jg.9, Nr. 3, S. 274-299

Rehder, (Britta 2006): Legitimitätsdefizite des Co-Managements. Betriebliche Bündnisse für Ar-
beit als Konfliktfeld zwischen Arbeitnehmern und betrieblicher Interessenvertretung. In: Zeit-
schrift für Soziologie, Jg. 35, Heft 3, S. 227-242

Schwarz-Kocher, Martin/Dispan, Jürgen/Richter, Ursula/Seibold, Bettina (2010): Betriebsratshan-
deln im Modus arbeitsorientierter Innovationsprozesse. In: WSI-Mitteilungen, H. 2/2010, S. 95-
102

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