Der Betriebsrat als Co-Manager: Chancen, Risiken und Perspektiven
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Betriebsräte: Co-Manager, Volkstribune, Notärzte? Ausgabe 1 -2012 www.denk-doch-mal.de Der Betriebsrat als Co-Manager: Chancen, Risiken und Perspektiven Von Ralph Greifenstein und Prof. Dr. Dr. Leo Kißler D ie Betriebsräte werden in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen eingeordnet als Co- Manager bei der Gestaltung von Produktionsstrukturen und Arbeitsbedingungen, oder als Krisenmanager, die Beschäftigungs- und Standortsicherungsstrategien ver- folgen sowie als Tarifakteure im Zuge einer Verbetrieblichung der Tarifpolitik. Die Re- gelungskompetenzen wie Aufgaben der Betriebsräte sind infolge erweitert und den Mitbestimmungsträgern wird eine hohe Gestaltungskompetenz auf komplexen Verhandlungsfel- dern abgefordert. Zugleich bilden die Belegschaften ein sozialstrukturelles Gemisch aus Beschäftigten mit unter- schiedlichem Qualifikationsprofil, arbeitsvertraglichem Status und heterogenen Interessenlagen. Auch diese Belegschaftsdifferenzierung erfordert ein komplexes interessenvertretungspolitisches Management. In dieser Gemengelage unterschiedlichster Anforderungen stehen Betriebsräte vor der Herausforderung, ihre betriebsverfassungsrechtliche Kontroll-, Schutz- und Gestaltungsfunk- tion so auszuüben, dass Interessenverletzungen minimiert werden. Was sind die aktuellen Konsequenzen aus diesen Entwicklungen und was bedeuten sie für die Standortsuche des Betriebsrats in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen? Diejenigen Betriebs- räte, die sich nicht mehr auf eine defensive Interessenvertretungspolitik der „Schadensbegren- zung“ zurückziehen, sondern im Betrieb (Co-) Managementaufgaben wahrnehmen, geraten auf ein Spannungsfeld zwischen ihrer Schutzfunktion und einer neuen Gestaltungspolitik, die auf den unterschiedlichen Feldern der Unternehmensführung ansetzt. Schon Friedrich Fürstenberg (1958) beschrieb den Betriebsrat Ende der 1950er Jahre aber als eine problematische „Grenzinstitution“. Die Position des Betriebsrats im System der betrieblichen Arbeitsbeziehungen ist dadurch gekennzeichnet, dass er in einem Spannungsverhältnis zwischen den Erwartungen der Unternehmensleitung einerseits und der Belegschaft andererseits steht. Der Betriebsrat ist kein lupenreiner Vertreter von Arbeitnehmerinteressen, sondern vielmehr eine „intermediäre Institution“ (Müller-Jentsch 1995). Er muss zwei gegensätzliche Interessensphären und unterschiedliche Handlungslogiken verknüpfen. Diese Einordnung trifft einmal mehr auf den Betriebsrat als Co-Manager zu. Die Voraussetzungen, die Chancen, aber auch die Risiken des Co-Managements werden im Fol- genden diskutiert. Zuvorderst ist aber zu fragen: Wie wird die Betriebsratspolitik von den Be- legschaften anerkannt bzw. unterstützt und welche charakteristischen Merkmale weisen die Be- triebsratsgremien mit Blick auf ein verändertes strategisches Selbstverständnis der Betriebsräte auf? Einige Antworten liefert ein Einblick in die Ergebnisse von Betriebsratswahlen der letzten Wahlperioden. Seite 1
Die Betriebsratswahlen: ein Nachweis anerkannter professioneller Interessenvertretungsarbeit Wer ist Ralph Greifenstein? Die Ergebnisse der Betriebsratswah- len 2010 zeigen wichtige Trends auf, die Auskunft über die Grundlagen ei- ner erfolgreich agierenden Mitbestim- Ralph Greifenstein, mungsinstitution geben. Eine quanti- geb. 1957, freischaf- tative Wahlanalyse liefert zwar keine fender Dipl.-Sozial- direkten empirischen Aufschlüsse über wissenschaftler in die Art und Weise, mit welchem Selbst- Meschede. Arbeits- verständnis die Betriebsräte in den schwerpunkte sind Unternehmen agieren, also ob sie sich wissenschaftliche Be- als Co-Manager oder Gegenspieler des ratung von Stiftun- Managements verstehen. Allerdings ge- gen und Verbänden, langt die jüngste (Langzeit-) Auswer- Forschungen zu „In- tung der Betriebsratswahlen zu auffäl- dustriellen Beziehun- ligen Resultaten (vgl. ausführlich den gen“, zur Modernisie- Trendreport Betriebsratswahlen 2010 rung des öffentlichen Sektors und Umsetzung von von Greifenstein/ Kißler/ Lange 2011). Arbeitsmarktreformen. Zahlreiche Veröffentlichun- gen, darunter ein aktuelles Lehrbuch zur Mitbestim- mung in der Bundesrepublik Deutschland (VS-Verlag Hervorzuheben ist als Erstes die hohe 2011) und eine Bilanz der Mitbestimmungsforschung Wahlbeteiligung, welche die Veranke- 1952 – 2010 (Edition Sigma 2010). rung der betrieblichen Mitbestimmung in den Belegschaften symbolisiert. Die Entwicklung der durchschnittlichen Wahlbeteiligung in den Betrieben von Wer ist Prof. Dr. Dr. Kißler? 2002 bis 2010 illustriert einen nachhalti- gen Trend: Die Motivation der Beschäf- tigten, einen Betriebsrat zu wählen, ist Leo Kißler, Prof. Dr. und bleibt sehr ausgeprägt. Um die 80 Dr., geb. 1949, lehrt Prozent der Beschäftigten geben im Soziologie an der Durchschnitt ihr Votum im Rahmen der Philipps-Universität Betriebsratswahl ab. Marburg. Mitglied des wissenschaftlichen Der Trend ist vor allem deshalb nach- Beirats (2001 – 2011) haltig, weil er die Unterstützung der Be- und Vertrauensdo- legschaften für professionell agierende zent der Hans-Böck- ler-Stiftung. Betriebsräte widerspiegelt, die in Zeiten massiver technologischer, organisato- Forschungsschwerpunkte: Modernisierung des öf- rischer und wirtschaftlicher Umbrüche fentlichen Sektors, Mitbestimmung und Industrielle ihre Schutz- und Gestaltungsfunktion Beziehungen. Trendreport Betriebsrätewahlen 2010 für die Beschäftigten erfüllen. Die Grö- (http://www.boeckler.de/pdf_fof/S-2010-338-2-1. ßenordnung, der Anstieg und die Konti- pdf), neueste Buchveröffentlichungen: Kommunale nuität einer hohen Wahlbeteiligung der Demographiepolitik. Edition Sigma: Berlin (mit Elke Beschäftigten sind eine Bestätigung für Wiechmann) und: Die Mitbestimmung in der Bun- Betriebsräte und Anerkennung ihrer Be- desrepublik Deutschland. Wiesbaden: VS-Verlag teiligungspraxis. 2011 (mit Ralph Greifenstein und Karsten Schnei- der). Seite 2
Weiteres offenbart der Blick auf die Zusammensetzung der gewählten Gremien. Ein Merkmal ist die Professionalisierung der Interessenvertretungen. Legt man z.B. die Wahlergebnisse der letz- ten drei Betriebsratswahlen aus dem Bereich der IG Metall zugrunde, so zeigt sich: In der ersten Amtszeit befinden sich immer weniger Betriebsratsmitglieder. Der Rückgang im Vergleich der Wahlperioden beläuft sich von 44,4 Prozent in 2002 auf 32,8 Prozent in 2010. Auch der Anteil der Mandatsträger, die in der zweiten Amtszeit agieren, ist nach einem Anstieg in 2006 inzwischen wieder rückläufig und hat sich auf dem „Ausgangsniveau“ von 2002 in einer Größenordnung von etwa einem Viertel der Mandatsträger eingependelt. Viele Betriebsräte werden in eine dritte Amtszeit wiedergewählt. Bereits zum dritten Mal agieren die meisten Betriebsratsmitglieder in den Gremien und zwar zu 42,2 Prozent im Jahr 2010 gegen- über 36,7 Prozent in 2006 und 31,2 Prozent in 2002. Vor allem in den Großbetrieben mit hoch- komplexen interessenvertretungspolitischen Rahmenbedingungen ist die Betriebsrats(berufs-) karriere, hier verstanden als Betriebsratstätigkeit über mehrere Wahlperioden, verbreitet und ein institutionelles Strukturmerkmal der Gremien. Aber auch in kleineren und mittleren Unternehmen steigt die personelle Kontinuität in den Betriebsräten. Viele Betriebsräte stellen sich erneut zur Wahl und werden von den Beschäftigten als ihre Mitbestimmungsträger bestätigt, indem man sie wiederwählt. Ein Trend hält folglich seit längerem: Die Beschäftigten setzen auf erfahrene Betriebsratsmitglie- der. Zugleich übernehmen diejenigen Betriebsratsmitglieder, die in den betrieblichen Arbeitsbe- ziehungen an exponierter Stelle agieren, gemeint sind die Betriebsratsvorsitzenden, auch lang- jährig die Führung des Betriebsratsgremiums. Mehr als zwei Drittel der Betriebsratsvorsitzenden befindet sich in der dritten Amtszeit. Sie sind wichtige interessenvertretungspolitische Führungs- kräfte im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Aus diesen Ergebnisse ist zu schlussfolgern: Der Professionalisierungsgrad, den ei-ne effektive betriebliche Interessenvertretungsarbeit erfordert, führt dazu, dass immer mehr Betriebsräte mehrfach wiedergewählt werden, da ihre qualifizierte Interessenvertretungspolitik Erfolge ge- zeigt hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies zugleich, dass das Expertenwissen, das die Betriebs- räte erworben haben, sie auch nachhaltig dazu motiviert, sich wieder zur Wahl zu stellen, um ihre Interessenvertretungsarbeit fortzusetzen. Routinierte, professionalisierte und partizipations- erfahrene Betriebsräte kennzeichnen somit die Interessenvertretungsarbeit in vielen Betrieben. Die „Verberuflichung“ und „Professionalisierung“ der Interessenvertretung gehören zum Mar- kenzeichen betrieblicher Mitbestimmung. Aber ist dies gleichzusetzen mit einer Interessenvertre- tungspolitik, die sich in erster Linie am Typus des Co-Managements orientieren sollte? Co-managerielle Betriebsräte: der Typus Die Industrial-Relations-Forschung beschreibt seit den 1990er Jahren die Entwick-lungen in den betrieblichen Arbeitsbeziehungen zwischen Management und Betriebsrat als ein Co-Management der betrieblichen Interessenvertretung. Auslöser waren der Strukturwandel der betrieblichen Arbeitsbeziehungen unter dem Anpassungsdruck neuer Produktionskonzepte, bei deren Einfüh- rung der Betriebsrat als Verhandlungspartner, Mitgestalter und Co-Manager agiert. Der Typus des Co-Managers wurde seitdem in Forschung und Praxis zu einer prominenten in- teressenvertretungspolitischen Figur. Nach verschiedenen Studien, die auf den Ergebnissen und Erfolgen des Betriebsratshandelns basieren, agiert der Betriebsrat als „Co-Manager“ mit Eigenin- itiative und hoher Einflussnahme auf betriebliche Reorganisationsprozesse (Müller-Jentsch u. a. 1998). Betriebsräte, die sich als Co-Manager verstehen, beteiligen sich stärker an der Konzeption und Umsetzung von neuen Arbeitsorganisationsformen (Piorr/Wehling 2002). Die Arbeitsweise des Co-Managers kennzeichnen ausdifferenzierte Arbeitsprozesse und die Organisation der Be- triebsratsarbeit gleicht sich der Organisation der Arbeits- und Entscheidungsprozesse im Unter- Seite 3
nehmen an. Die betriebsrätlichen Co-Manager nehmen mit ihrer speziellen Interessenvertretungspolitik über die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes hinaus gestalten- den Einfluss auf die betrieblichen Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse (Minssen/Riese 2007). Betriebsräte werden an Unternehmensentscheidungen beteiligt und die Vertretung der Belegschafts- und Unternehmensinteressen verschmelzen ineinander (Rehder 2006, S. 228). Der Typus des Co-Managers gilt vor diesem Hintergrund als eine effiziente Variante betrieblicher Interessenvertretung. Den betriebsrätlichen Co-Manager wird zugeschrieben, dass sie • als professionelle Akteure sozial verantwortlicher Unternehmensführung und als Konflikt- wie Kooperationspartner in einer modernen Unternehmenskultur handeln, • nicht nur versuchen, die Rationalisierungsfolgen auf der Grundlage betriebsverfassungs- rechtlicher Mitbestimmungsrechte zu mildern (Schutzfunktion), sondern auch für betriebliche Problemlösungen aktiv Entscheidungsalternativen entwickeln, die im Arbeitnehmerinteresse lie- gen (Gestaltungsfunktion), • eigenständige unternehmenspolitische Strategien erarbeiten, betriebliche Innovationspro- zesse fördern und Qualifizierungskonzepte für die Belegschaft entwickeln. An diesem Aufgabenkatalog kann sich der Betriebsrat leicht überheben. Seine Bewältigung ist voraussetzungsvoll. Zu den Voraussetzungen eines gelingenden Co-Managements zählen: • die Bereitschaft des Managements, den Betriebsrat faktisch über die gesetzlichen und tarif- lichen Vorschriften hinaus zu beteiligen und als Co-Manager zu akzeptieren, • die frühzeitige und umfängliche Informationen über die produktionstechnischen, personal- politischen und betriebswirtschaftlichen Vorhaben des Managements, • hohe interessenvertretungspolitische Ressourcen (freigestellte Betriebsratsmitglieder, ma- terielle Mittel, fachgerechte Arbeitsteilung im Betriebsratsgremium), • Rollenkonflikte ertragen und bewältigen zu können, wenn Betriebsräte Entscheidungen mit verantworten. Diese Interessenvertretungsstrategie des Betriebsrats birgt neben ihren offenkundigen Chancen daher auch Risiken. Co-Management: eine riskante Interessenvertretungsstrategie? Kurzfristige bzw. -sichtige Vorteile hat zweifelsohne ein Betriebsrat, der bei betrieblichen Verän- derungen stets eine Gegenposition zum Management aufbaut und sich auf seine Schutzfunktion zurückzieht. Dieser Interessenvertretungsansatz kann die Akzeptanz der Betriebsratsarbeit und die Wiederwahl des Betriebsrats befördern. Gleichzeitig verliert dieser Betriebsrat aber langfristig an Gestaltungskraft, um nachhaltige „Gewinne“ für die Beschäftigten in betrieblichen Verände- rungsprozessen zu erzielen. Co-Management ist daher für viele Betriebsräte zum Leitbild betrieb- licher Interessenvertretungspolitik geworden. Jedoch hat dieses Muster von Mitbestimmung einige Risse bekommen. Damit sind nicht die unrühmlichen Beispiele gemeint, in denen Betriebsräte („Lustreisen“) auf dem schmalen Grad zwischen legaler und illegaler Ausübung ihrer Rechte schlichtweg versagten. Die Praxis des Co- Managements ist vielmehr zwiespältig, von Rollen- bzw. Interessenkonflikten geprägt und sug- geriert zudem, dass Betriebsräte tatsächlich entscheidungserheblichen Einfluss auf die Unter- nehmensentscheidungen nehmen können, obwohl ihnen dies betriebsverfassungsrechtlich nur begrenzt zusteht. Damit sind unterschiedliche Rahmenbedingungen angesprochen. Seite 4
Die Arena der Konfliktaustragung ist in vielen Betrieben zweifellos nicht mehr nur durch harte Auseinandersetzungen gekennzeichnet, sondern basiert auf Kooperation und Vertrauen. Dennoch wird ebenso sicher immer wieder versucht, Rechte der Betriebsräte zu umgehen, z. B. durch zu späte Informationen über wichtige Veränderungen, so dass Betriebsräte nicht mehr mitgestalten können und ihr „Co-Management“ ins Leere greift. Hinzu kommen weitere Probleme. Unter der prägnanten Überschrift: „Co-Management: Segen oder Fluch?“ werden recht zutref- fend zwei der wohl zentralsten Risiken charakterisiert, denen ein co-managerieller Betriebsrat ausgesetzt ist (BetriebsRat-kompakt 2010): der Verlust einer klaren Positionierung der Betriebs- parteien in der Interessenaushandlung und damit einhergehend die Gefahr eines Glaubwürdig- keitsverlustes als Interessenvertreter. Dies geschieht vor allem dann, wenn Betriebsräte in den Ruf geraten, Legitimationsbeschaffer für den Sanierungskurs des Managements zu sein bzw. Opfer einer Scheinpartizipation. Sie stehen dann vor dem Risiko des Mandatsverlustes. Betriebsratsarbeit als Co-Management beinhaltet immer, dass der Betriebsrat für die Entschei- dungen, die er mitträgt, von der Belegschaft verantwortlich gemacht wird. Dies ist nicht nur eine Binsenwahrheit. Aktives Co-Management, anstelle von traditioneller Gegenmacht zum Manage- ment, läuft in die Gefahr, dass die Belegschaft die interessenvertretungspolitische Perspektive nicht erkennt. Die detaillierte Herstellung betriebsinterner Öffentlichkeit, also über das, was mit welchem Ergebnis wie verhandelt wurde, bleibt dagegen ebenfalls ein zweischneidiges Schwert, denn je nach Erfolg oder Misserfolg steigt oder sinkt das Prestige der Betriebsräte in der Beleg- schaft. Ein Co-Management bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Repräsentationsaufgabe bleibt für den Betriebsrat ebenfalls nicht folgenlos. Wie Rehder (2006) anhand von Fallbeispielen (Daim- lerChrysler AG, Opel AG und Deutsche Bahn AG) aufzeigt, führt die jahrelange Praxis des Co-Ma- nagements zu Legitimitätsdefiziten der betrieblichen Interessenvertretung. In den Unternehmen erschöpft sich die Output-Legitimität, wenn Arbeitsplätze immer wieder und erneut zur Disposi- tion stehen – trotz des Co-Managements. Co-Management birgt darüber hinaus die Gefahr, das Gespür für unternehmenspolitische Al- ternativen zu verlieren, die nicht mehr ins Blickfeld der Interessenvertretungsarbeit geraten. Betriebsräte werden dann als (Pseudo-) Co-Manager umso leichter von den Unternehmenslei- tungen instrumentalisiert. Dennoch: Die Chance des Co-Managements liegt darin, dass sich die betriebliche Mitbestimmung durch ihren Output legitimieren kann. Dies setzt voraus, dass nicht nur die Integration von Belegschafts- und Unternehmensinteressen das Handeln der Betriebs- räte bestimmen sollte, sondern die angemessene Repräsentation der Beschäftigten. Betriebsräte müssen die Prozesse partizipativ und ergebnisoffen steuern, d.h. die Beschäftigten einbeziehen, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen (Rehder 2006). Es ist und bleibt nach den vorliegenden Forschungsergebnissen folglich ein Spagat: Gehen die Betriebsräte auf Managemententscheidungen ein, können sie die Unterstützung der Belegschaft einbüßen. Eine defensive oder passive Abwehrhaltung dagegen führt zu einem Verlust an Gestal- tungsmöglichkeiten (Schwarz-Kocher u.a. 2010). Aus diesen Risiken und Anforderungen ergibt sich eine komplizierte Gemengelage strategischer Handlungsschwerpunkte des co-manageriellen Betriebsrats, gekennzeichnet durch ein vielfältiges Anforderungsprofil und einen Balanceakt zwi- schen Kooperation, Konsens und Konflikt mit der Unternehmensleitung. Erfolge stellen sich nur ein, sofern es gelingt, die Schutz- und Gestaltungsfunktion auszubalancieren und erste nicht zugunsten von „Managementaufgaben“ aufzugeben. Das bedeutet nichts anderes: Der Betriebsrat ist ein gewählter Interessenvertreter der Beleg- schaft und kein Manager des Unternehmens. Die klassische schutzorientierte Betriebsratsarbeit ist aber um neue Kompetenzen und interessenvertretungspolitische Strategien ergänzt, aus- Seite 5
gebaut und erweitert worden. Eine wichtige Aufgabe des Betriebsrats muss es daher bleiben, Gegenmacht aufzubauen und den Konflikt nicht zu scheuen. Dies ist die eigentliche Grundlage erfolgreicher Interessenvertretungspolitik und schließt ein Co-Management an den Schnittstellen der Interessen von „Kapital und Arbeit“ nicht aus. Unser Fazit Die Institution Betriebsrat hat im Zuge des Wandels von Produktions- und Organisationsstruk- turen, der Verbetrieblichung der Tarifpolitik, aber auch durch die Reform des Betriebsverfas- sungsgesetzes 2002 eine deutliche Aufwertung erfahren, die sich auch in der hohen und stei- gende Beteiligung der Beschäftigten an den Betriebsratswahlen ausdrückt. Der Betriebsrat steht allerdings in einem komplexen Verhältnis zu unterschiedlichen Belegschaftssegmenten, zu den Gewerkschaften, zu einem Management, das personell manchmal häufiger wechselt als die „ver- beruflichte“ Betriebsratsmitgliedschaft selbst, zu den Shareholdern und anderen Akteuren inner- halb und außerhalb des Betriebs. Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit der Interessenvertretungspolitik begründen eine diffizile Auf- gabenstellung. Dazu reicht ein Co-Management im engeren Verständnis nicht aus, das nicht zugleich auch ein Konfliktmanagement sowie die Umsetzung von Gegenmacht beinhaltet. Wie Müller-Jentsch (1999) von einer kooperativen Konfliktpartnerschaft zu sprechen, in der Betriebs- räte betriebspolitische Gestaltungsstrategien im Sinne der Belegschaftsinteressen und über diese hinaus vertreten (z.B. nachhaltiges Wirtschaften durch eine umweltschonende Produktion), trifft die Wirklichkeit daher zutreffender als allein der Begriff des Co-Managements. Schließlich muss der Betriebsrat die Rechte der Belegschaft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen. Die kooperative Konfliktpartnerschaft spiegelt somit den Spagat zwischen Kooperation und Kampf um Arbeitnehmerinteressen wider, um Arbeitsplätze zu sichern und „gute Arbeit“ zu fördern. Dieses Vorhaben setzt hohe Kompetenzen, Qualifikationen und eine interes- senvertretungspolitische Professionalisierung voraus, die sich heute in der langjährigen Mitglied- schaft im Betriebsratsgremium und der Wiederwahl von Betriebsräten manifestiert. Diesem Ma- nagement des Betriebsrats fehlt allerdings noch die rechtliche Absicherung. Es müsste u.a. durch eine (betriebsverfassungs-) rechtliche Aufwertung der Mitbestimmung (z.B. in wirtschaftlichen Angelegenheiten) unterstützt werden. Eine betriebliche „Vertrauenskultur“ zwischen Manage- ment, Betriebsrat und Beschäftigten allein ist dafür zu fragil und unverbindlich. Literatur BetriebsRat-kompakt (2010): Betriebsratsarbeit. Co-Management. Segen oder Fluch? Das be- stimmen sie selbst! Ausgabe 01/2010, hrsg. vom Institut für Betriebliche Mitbestimmung, Kis- sing. http://www.betriebsrat-kompakt.de/newsletterarticle.asp?his=5094.51.7110&id=13041 Fürstenberg, Friedrich (1958): Der Betriebsrat – Strukturanalyse einer Grenzinstitution. In: Köl- ner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 10, S. 418-429 Greifenstein, Ralph/Kißler, Leo/Lange, Hendrik (2011): Trendreport Betriebsratswahlen 2010. Ar- beitspapier, Betriebliche Mitbestimmung und betriebliche Handlungshilfen, Nr. 231, Düsseldorf. Minssen, Heiner/Riese, Christian (2007): Professionalität der Interessenvertretung. Arbeitsbedin- gungen und Organisationspraxis von Betriebsräten. Berlin Seite 6
Müller-Jentsch, Walther (1995): Auf dem Prüfstand: Das deutsche Modell der industriellen Bezie- hungen. In: Industrielle Beziehungen H. 2, S. 11-24 Müller-Jentsch, Walther/Malinowsi, Norbert/Seitz, Beate (1998): Betriebsräte-Befragung und Analyse der Industriepolitik im Maschinen- und Anlagenbau. Modernisierung der Arbeitssysteme und industriellen Beziehungen im Maschinenbau. Abschlussbericht. Ruhr-Universität Bochum Müller-Jentsch, Walther (1999): Vorwort des Herausgebers zur 3. Auflage (zugleich eine Einlei- tung in die Thematik). In: Ders. (Hrsg.): Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der Industriellen Beziehungen. 3. Aufl. München und Mering 1999, S. 7-11 Piorr, Rüdiger/Wehling, Pamela (2002): Betriebsratshandeln als unternehmerischer Erfolgsfak- tor? Einflussnahme von Arbeitnehmervertretungen bei der Durchführung von Reorganisations- maßnahmen. In: Industrielle Beziehungen, Jg.9, Nr. 3, S. 274-299 Rehder, (Britta 2006): Legitimitätsdefizite des Co-Managements. Betriebliche Bündnisse für Ar- beit als Konfliktfeld zwischen Arbeitnehmern und betrieblicher Interessenvertretung. In: Zeit- schrift für Soziologie, Jg. 35, Heft 3, S. 227-242 Schwarz-Kocher, Martin/Dispan, Jürgen/Richter, Ursula/Seibold, Bettina (2010): Betriebsratshan- deln im Modus arbeitsorientierter Innovationsprozesse. In: WSI-Mitteilungen, H. 2/2010, S. 95- 102 Seite 7
Sie können auch lesen