Der Einfluss von Musik und Musiktherapie auf das Verhalten demenziell erkrankter Menschen in der Langzeitpflege

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Bachelorarbeit

     Der Einfluss von Musik und Musiktherapie auf das
     Verhalten demenziell erkrankter Menschen in der
                      Langzeitpflege

                             eingereicht von:
                            Lisa Runggaldier

              zur Erlangung des akademischen Grades
                    Bachelor of Nursing Science
                                 (BScN)

                   Medizinische Universität Graz
                   Institut für Pflegewissenschaft

                         Unter der Anleitung von:
                    Mag.a Sieglinde Buchmann

Graz, am 26. März 2020
Eidesstattliche Erklärung

„Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet
und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als
solche kenntlich gemacht habe.

Graz, am 26.03.2020                                         Lisa Runggaldier, eh“
Zusammenfassung

Hintergrund: Der Anteil an älteren Menschen in der Gesellschaft nimmt weltweit stets
zu.   Mit   dem   Alter    steigen   sowohl    Prävalenz     als     auch   Inzidenz   von
Demenzerkrankungen. Betroffene Menschen benötigen sehr aufwendige sowie
spezielle Pflege und Aufmerksamkeit, da die Krankheit vor allem mit anhaltender
Dauer schwerwiegende körperliche und psychische Folgen haben kann. Neben
pharmakologischen         Therapiemethoden      gibt    es         zahlreiche   alternative
Behandlungsarten – wie etwa Musiktherapie – um Pflegenden den Umgang mit
dementen Menschen zu erleichtern. Der Einsatz von Musik ist eine sehr individuelle
Behandlungsform und kann Menschen mit psychischen, physischen und sozialen
Beeinträchtigungen Erleichterung verschaffen.

Ziel: Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, herauszufinden, inwiefern sich der Einsatz
von Musik und Musiktherapie auf das Verhalten demenziell erkrankter Menschen im
Langzeitpflegebereich auswirkt.

Methode: Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde die Methode eines
systematischen Literaturreviews gewählt. Zu diesem Zweck wurde im Zeitraum von
Oktober 2019 bis Dezember 2019 eine umfassende Literatursuche auf den
wissenschaftlichen Datenbanken CINAHL und PubMed durchgeführt. Zehn Studien
entsprachen den Ein- und Ausschlusskriterien, wurden kritisch bewertet und
schließlich in den Ergebnisteil der Arbeit miteinbezogen.

Ergebnisse: Um den Einfluss von Musik auf das Verhalten demenziell erkrankter
Menschen zu erforschen, wurden als Interventionen in den einzelnen Studien Tanzen,
Singen, Spielen von einfachen Instrumenten, Hören von Musik und das Besuchen von
Live-Konzerten gewählt. Außerdem wurden zwei Studien untersucht, die die
Einstellungen und Meinungen von Pflegepersonen und Familienangehörigen zu
diesem Thema abfragten. Die Kurzzeitwirkung war vor allem im Bereich Agitation,
Angst und Depression deutlich merkbar, auch der Zerfall der kognitiven Fähigkeiten
konnte verzögert werden.

Schlussfolgerung: Musik kann einen temporär positiven Effekt auf demenziell
erkrankte Menschen, deren Pflegepersonen sowie Familienangehörige haben.
Künftige Studien sollten auch die Langzeitwirkung von Musikinterventionen erforschen
und evaluieren, welche Art, Dauer und Tageszeit am effektivsten sind, um durch diese
Behandlungsform das Problemverhalten der dementen Menschen zu reduzieren.

Abstract

Background: The share of older people in society is constantly increasing all around
the world. Prevalence and incidence of dementia are rising as society ages. Due to
several physical and behavioural problems following the disease, these people often
require extensive and special care and attention. In addition to pharmacological
treatment there are several alternative therapy forms, such as music therapy to
address these problems and make it easier for carers to deal with dementia patients.
Music therapy is a very individual form of treatment, which may help to ease physical,
psychological and social suffering.

Aim: The aim of this bachelor thesis is to describe the influence of music and music
therapy on problem behaviour of people with dementia in long term care facilities.

Method: A systematic literature review was performed to answer the research
question. A comprehensive literature search was conducted from October 2019 to
December 2019, using the scientific databases CINAHL and PubMed. Ten studies met
the inclusion and exclusion criteria. These studies were evaluated critically and
included into the result section of the thesis.

Results: The interventions to evaluate the influence of music on dementia symptoms
included singing, dancing, playing percussion instruments and listening to music in the
form of playlists or live music performances. There were also two studies that
evaluated attitudes and opinions of carers and families on the effects of music therapy.
Short term effects showed a significant improvement of agitation, depression and
anxiety and also that the degeneration of cognitive abilities could be delayed.

Conclusion: Music can have a temporarily positive effect on people with dementia,
their carers and their families. Future research should evaluate long term effects as
well as finding out the most effective kind of music intervention, duration and time of
the day for reducing problem behaviour in people with dementia.
Inhalt
1. Einleitung .............................................................................................................................................. 1
   1.1 Hintergrund .................................................................................................................................... 1
   1.2 Demenz........................................................................................................................................... 2
   1.2.1 Demenzformen ........................................................................................................................... 2
   1.2.2 Schweregrade der Demenz ......................................................................................................... 4
   1.2.3 Verhaltensänderungen demenziell erkrankter Menschen ......................................................... 7
   1.3 Musiktherapie ................................................................................................................................ 8
   1.3.1 Methoden der Musiktherapie ..................................................................................................... 9
   1.4 Forschungsziel und Forschungsfrage ........................................................................................... 10
2. Methode ............................................................................................................................................. 10
   2.1 Forschungsdesign ......................................................................................................................... 10
   2.2 Literaturrecherche ....................................................................................................................... 11
   2.3 Limitationen ................................................................................................................................. 11
   2.4 Ein- und Ausschlusskriterien ........................................................................................................ 12
   2.5 Auswahl der Artikel ...................................................................................................................... 12
3. Ergebnisse .......................................................................................................................................... 13
   3.1 Charakteristika der Studien .......................................................................................................... 14
   3.2 (Inter-) Aktive Musiktherapie ....................................................................................................... 24
   3.3 Passive/Rezeptive Musiktherapie ................................................................................................ 27
   3.4 Live-Musik und Konzerte .............................................................................................................. 29
   3.5 Musik während der Pflegehandlungen und während der Essenszeiten ..................................... 31
   3.6 Einstellung von Pflegepersonal und Familienangehörigen zum Einsatz von Musik bei demenziell
   erkrankten Menschen ........................................................................................................................ 34
4. Diskussion ........................................................................................................................................... 35
   4.1 Langzeiteffekte ............................................................................................................................. 36
   4.2 Studien aus dem asiatischen Raum.............................................................................................. 36
   4.3 Schweregrade der Demenz .......................................................................................................... 36
   4.4 Limitationen der Studien .............................................................................................................. 37
   4.5 Wahl der Tageszeit ....................................................................................................................... 38
   4.6 Stärken und Schwächen der Arbeit .............................................................................................. 38
5. Schlussfolgerung ................................................................................................................................ 39
6. Empfehlungen für Forschung und Praxis ........................................................................................... 39
7. Literaturverzeichnis ............................................................................................................................ 41
8. Anhang ............................................................................................................................................... 43
   8.1 Bewertung der Studien mittels MMAT ........................................................................................ 43
Tabellen-/Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Suchstrategie auf CINAHL und PubMed                             Seite 11
Tabelle 2: Charakteristika der Studien                                Seite 15 - 23
Abbildung 1: PRISMA Flow-Chart nach Moher et al.                          Seite 13

Abkürzungsverzeichnis

AD                                          Alzheimer’s disease/Alzheimer Demenz
AES-C                                    Apathy Evaluation Scale, Clinician Version
BEHAVE-AD                Behavioural Pathology in Alzheimer’s Disease Rating Scale
BPSD                          Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia
CMAI                                           Cohen-Mansfield Agitation Inventory
C-CMAI                   Chinese Version of the Cohen-Mansfield Agitation Inventory
FTD                              Frontotemporal Dementia/Frontotemporale Demenz
GDS                                                      Geriatric Depression Scale
HF                 High Frequency/Hochfrequente parasympathische Nervenaktivität
HR                                                        Heart Rate/Herzfrequenz
LBD                                 Lewy-Body Dementia/Lewy-Körperchen Demenz
MMSE                                                 Mini-Mental State Examination
RAID                                                  Rating of Anxiety in Dementia
TADA                                       Taiwan Alzheimer’s Disease Association
VD                                                              Vaskuläre Demenz
WHO                                                      World Health Organization
1. Einleitung

1.1     Hintergrund
Der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft nimmt aufgrund der demografischen
Entwicklung weltweit kontinuierlich zu. Demenz betrifft hauptsächlich Menschen
höheren Alters, somit steigen mit dem wachsenden Alter der Gesellschaft die
Prävalenz und die Inzidenz von demenziellen Erkrankungen. Derzeit gehen
Schätzungen davon aus, dass weltweit etwa 50 Millionen Menschen an Demenz leiden
(Alzheimer’s Disease International 2019). In Österreich leben derzeit etwa 115.000 bis
130.000 Menschen mit Demenz, diese Zahl wird sich aufgrund des kontinuierlich
ansteigenden Alters der Bevölkerung bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Dadurch werden
Betreuungs- und Pflegebedarf ebenfalls steigen (Bundesministerium für Gesundheit
und Sozialministerium 2014).

Um die Versorgung von demenziell erkrankten Menschen zu sichern, werden weltweit
etwa eine Billion US-Dollar pro Jahr ausgegeben. Eine Zahl, die sich bis zum Jahr
2030 verdoppeln wird (Alzheimer’s Disease International 2019).

Der überwiegende Teil der Demenzerkrankten in Österreich lebt zuhause und wird von
Angehörigen versorgt, wobei Frauen den größten Teil (über 80%) an unentgeltlicher
Betreuung und Pflege im häuslichen Umfeld übernehmen (Bundesministerium für
Gesundheit und Sozialministerium 2014). Laut Prognosen wird sich die Zahl der
Angehörigen, die die Pflege und Betreuung dementer Menschen gewährleisten, in den
nächsten Jahren deutlich reduzieren. Aufgrund der Entwicklungen wird demnach
erwartet, dass die Betreuung und Pflege demenziell erkrankter Menschen immer
aufwendiger und herausfordernder wird (Bundesministerium für Gesundheit und
Sozialministerium 2014).

Die Pflege von dementen Familienmitgliedern bringt große Belastungen mit sich, dazu
zählen unter anderem die hohe zeitliche Inanspruchnahme, Störungen des Tag-
/Nacht-Rhythmus,      Unsicherheit      und   Hilflosigkeit   in    unterschiedlichen
Pflegesituationen, fehlendes Fachwissen, schwierige Persönlichkeitsänderungen und
forderndes Verhalten der erkrankten Personen sowie einschneidende Veränderungen
der    persönlichen   Lebenssituation   (Bundesministerium    für   Gesundheit     und
Sozialministerium 2014). Trotz dieser hohen Belastungen nehmen nur etwa 25% der
                                                                                 Seite 1
pflegenden Angehörigen die Hilfe von professionellen Pflegediensten in Anspruch und
lediglich 15% der demenziell erkrankten Menschen in Österreich leben in
Pflegeheimen (Bundesministerium für Gesundheit und Sozialministerium 2014).

Neben medikamentöser Therapie bietet es sich an, alternative Behandlungsmethoden
in der Pflege dementer Menschen anzuwenden, um den Pflegenden den Umgang mit
den Erkrankten zu erleichtern. Diese sind beispielsweise Logopädie, Physiotherapie,
Ergotherapie, Diätologie, Orthoptik oder Musiktherapie (Bundesministerium für
Gesundheit und Sozialministerium 2014).

1.2    Demenz
Die Definition von Demenz lautet nach World Health Organization (WHO)
folgendermaßen:

„Demenz (F00-F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder
fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler
Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen,
Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die
kognitiven   Beeinträchtigungen    werden    gewöhnlich        von   Veränderungen     der
emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gelegentlich
treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom kommt bei Alzheimer-Krankheit, bei
zerebrovaskulären Störungen und bei anderen Zustandsbildern vor, die primär oder
sekundär das Gehirn betreffen.“ (WHO ICD-Code 2019)

1.2.1 Demenzformen
Im Allgemeinen wird zwischen primären Demenzformen, die wiederum in degenerative
und nichtdegenerative Formen unterteilt werden, und sekundären Demenzen, die etwa
als Folge anderer Erkrankungen, Vergiftungen oder Mangelerscheinungen auftreten,
unterschieden (Kastner & Löbach 2018, pos. 1105). In der vorliegenden Arbeit wird
auf die primären, degenerativen Demenzformen genauer eingegangen, da nur diese
für die im Ergebnisteil präsentierten Studien relevant sind.

Alzheimer-Demenz (AD)
Kennzeichnend für diese Form der Demenz sind unter anderem ein langsam
fortschreitender Krankheitsverlauf und zu Beginn der Krankheit Merkfähigkeits- und
Wortfindungsstörungen.      Dazu     kommen       im    späteren       Verlauf   weitere
                                                                                     Seite 2
Verhaltensstörungen und psychische Veränderungen sowie diverse motorische
Einschränkungen, Bewegungsstörungen und Inkontinenz (Kastner & Löbach 2018,
pos. 1121-1135).
Die Ursachen dieser Erkrankung sind noch nicht vollständig erforscht, jedoch sind die
Veränderungen      im   Gehirn   genau    beschrieben.   So   führen   wahrscheinlich
Eiweißablagerungen im Gehirn, die sogenannten amyloiden Plaques, zu einem
Funktionsverlust und in weiterer Folge zum Absterben von Gehirnzellen. Diese
amyloiden Plaques breiten sich langsam aus – beginnend im limbischen System, der
Hippocampusregion sowie im Temporallappen des Gehirns, bis sie sich schließlich im
gesamten Gehirn verteilen (Kastner & Löbach 2018, pos. 1146). Die Alzheimer-
Krankheit ist eine progrediente Krankheit, die schließlich tödlich endet. Therapien
werden hierbei vor allem zur Progressionsverzögerung und Symptomlinderung
eingesetzt (Kastner & Löbach 2018, pos. 1171-1184).
Als Risikofaktoren für die Entstehung einer AD zählen unter anderem:
   •   Hohes Alter als stärkster Risikofaktor
   •   Geschlecht (die Prävalenz und Inzidenz einer AD ist bei Frauen im
       fortgeschrittenen Alter höher)
   •   Bildungsgrad – höhere Bildung führt zu niedrigeren AD-Raten
   •   Genetische Faktoren
   •   Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II, Parkinson-Syndrom, Depression
       oder Schädel-Hirn-Traumata
   •   Rauchen, starker Alkoholkonsum oder Fehlernährung (Gleichweit & Rossa,
       2009)

Vaskuläre Demenz (VD)
Die vaskuläre oder auch gefäßbedingte Demenz beginnt plötzlich, zeigt sich durch
einen stufenhaften Verlauf und steht häufig im zeitlichen Zusammenhang mit einem
cerebralen Insult. Bedeutende Risikofaktoren hierfür sind Hypertonie und Diabetes
mellitus (Kastner & Löbach 2018, pos. 1184). Diese Demenzform ist nach der
Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Form. Hierbei kommt es im Zusammenhang
mit einer Ischämie und einem daraus resultierenden Insult zu kognitiven
Veränderungen, die zumeist von Dauer sind. Eine Demenz-Symptomatik kann
allerdings auch infolge einer langfristigen Schädigung durch mikroangiopathische
Veränderungen – wie beispielsweise bei Diabetes mellitus – entstehen (Kastner &
                                                                               Seite 3
Löbach 2018, pos. 1198). Oftmals kann sich der Zustand der Betroffenen schlagartig
und ohne Behandlung stabilisieren, jedoch kann sich diese Situation auch rapide
wieder   verschlechtern.       Neurologische       Symptome      wie     Inkontinenz     und
Gangunsicherheiten treten bei dieser Form häufiger und früher auf als bei Alzheimer-
Demenz (Kastner & Löbach 2018, pos. 1210). Außerdem kommt es bei Betroffenen
zu Schwächegefühlen, Ungeschicktheit und Sprachstörungen (Gleichweit & Rossa,
2009).

Frontotemporale Demenz (FTD)
Diese    Demenzform        wird     vor    allem    charakterisiert     durch:    eindeutige
Verhaltensänderungen, die zeitlich vor den kognitiven Störungen auftreten, eine
Frontalhirn-Veränderung im CT sowie enthemmtes, aggressives Verhalten und
psychische Störungen, wie zum Beispiel Depression (Kastner & Löbach 2018, pos.
1249). Diese Veränderungen des Vorderhirnbereiches können unter anderem durch
Durchblutungsstörungen, Hirntumoren oder Entzündungen entstehen. Durch die
vorrangig psychischen Veränderungen, die hierbei auftreten, kommt es häufig zu
Fehldiagnosen wie Persönlichkeitsstörung, Depression, Psychose oder Schizophrenie
– den Erkrankten fehlt es häufig an Krankheitseinsicht und es kommt bei ihnen zu
Über- oder Fehleinschätzungen der eigenen Person oder der Situation (Kastner &
Löbach 2018, pos. 1279).

Lewy-Körperchen-Demenz (LBD)
Diese Form der Demenz zeigt sich durch ein leichtes Parkinson-Syndrom, szenisch-
optische Halluzinationen, wiederholte Stürze ohne klare Ursache, sowie einen
wechselhaften Verlauf (Kastner & Löbach 2018, pos. 1292). Das tatsächliche Auftreten
der   Symptomatik   variiert      stark.   An   manchen    Tagen       scheinen   Betroffene
unbeeinträchtigt, zeigen kurz darauf aber wiederum deutlich ausgeprägte Zeichen der
Erkrankung (Kastner & Löbach 2018, pos. 1307).

1.2.2 Schweregrade der Demenz
Die Demenz lässt sich laut Mini-Mental State Examination (MMSE) in drei
Schweregrade einteilen. In dieser Erhebung werden folgende Bereiche mithilfe von
insgesamt 30 Fragen überprüft: zeitliche und örtliche Orientierung, Aufmerksamkeit,
Merkfähigkeit, Konzentration, Sprachverständnis           und visuelle Rekonstruktion.
                                                                                       Seite 4
Insgesamt sind 30 Punkte zu erreichen und je nach Punkteverlust lässt sich die
Demenz    in   die     Schweregrade         leicht,   mittelschwer   und   schwer   einteilen
(Bundesministerium für Gesundheit und Sozialministerium 2014).

Leichte Demenz – Frühsymptome der Demenz (MMSE 21 - 26)
Die Kennzeichen einer frühen Demenz sind unter anderem: verminderte Merkfähigkeit,
das   Verlegen       vertrauter    Dinge,     Leistungsminderung      im   Beruf    und      bei
gesellschaftlichen     Anlässen,     das     Vergessen     von   Verabredungen,     fehlende
Orientierung in unbekannter Umgebung und leichte Wortfindungsstörungen (Kastner
& Löbach, 2018, pos. 868-881).
Anfangs kennzeichnet sich die Krankheit durch einen emotionalen Rückzug,
Antriebsmangel und Initiativverlust der Betroffenen. Die Ursache hierfür liegt in den
begleitenden kognitiven Funktionen – so können Betroffene Gesprächen nicht mehr
folgen, sich an eigentlich bekannte Personen namentlich nicht mehr erinnern, oder sie
vergessen Termine. Zu diesem Zeitpunkt der Erkrankung lassen sich Frühsymptome
noch gut kaschieren (Kastner & Löbach, 2018, pos. 886).
Im Gespräch fallen erste Wortfindungsstörungen auf, Inhalte werden immer wieder
wiederholt oder erneut nachgefragt – Betroffene erinnern sich an länger vergangene
Begebenheiten, jedoch nicht an aktuelle Geschehnisse. Es fällt auf, dass Betroffene
sich in der Vergangenheit sicherer fühlen (Kastner & Löbach 2018, pos. 886).
Grundsätzlich kommen Erkrankte in diesem Stadium der Krankheit noch gut allein
zurecht und können ein weitgehend selbstständiges Leben führen, selbst wenn es im
häuslichen Umfeld bereits zu ersten Fehlhandlungen bei komplexen Aufgaben wie
dem Bedienen von Geräten kommt (Gleichweit & Rossa, 2009).

Mittelschwere Demenz – Störungen des Alltags (MMSE 12 - 20)
Das mittelschwere Stadium der Demenz wird unter anderem gekennzeichnet durch:
Probleme beim Einkaufen, zunehmende Schwierigkeiten bei der Auswahl der
Kleidung, Vernachlässigung der Körperpflege, Unterstützungsbedarf bei alltäglichen
Dingen, erste psychische Symptome wie Angst und Wahn, sowie weiter
fortschreitende Wortfindungsstörungen (Kastner & Löbach 2018, pos. 899).
Auch erste Verhaltensstörungen wie das rastlose Umherwandern kennzeichnen den
Beginn der zweiten Demenzphase. Die verstärkte Unruhe treibt Betroffene teils im
Haus, teils aber auch auswärts herum. Es kommt durch die zunehmende
Einschränkung der örtlichen Orientierung zum Umherirren. Die Erkrankten werden
                                                                                          Seite 5
durch die Erinnerung an frühere Zeiten getrieben und wollen verstärkt weglaufen,
beziehungsweise in die alte Heimat laufen. Es kommt vermehrt zu Konflikten, wenn
versucht wird, das Verhalten zu korrigieren oder die wandernden Betroffenen
aufzuhalten. Betroffene sind reizbar, Angehörige sind aufgrund der veränderten
Verhaltensweisen überlastet. Verbal aggressive Auseinandersetzungen entstehen, die
wiederum zu körperlicher Aggression führen können. Auch die veränderten
Schlafgewohnheiten der Betroffenen können zur Belastungsprobe für Angehörige
werden – vermehrte Schlafphasen tagsüber führen zu Unruhezuständen in der Nacht.
Die vermehrte zeitliche, örtliche und situative Orientierungslosigkeit und nachlassende
Alltagsfertigkeiten führen zu einer kognitiven Harninkontinenz – die betroffenen
Personen schaffen es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette und nutzen irrtümlicherweise
andere Gegenstände als Toilettenersatz, wie beispielsweise Stühle oder Mülleimer
(Kastner & Löbach 2018, pos. 906).

Schwere Demenz – Schwere körperliche Beeinträchtigung (MMSE 0 - 9)
Die krankheitsbedingten Verhaltensstörungen nehmen im Laufe des schweren
Demenzstadiums weiter zu, zunehmende Harn- und Stuhlinkontinenz treten auf, die
Betroffenen können sich nicht mehr selbstständig waschen und ankleiden, es kommt
zu Gangstörungen bis hin zu Bettlägerigkeit, schwere Sprachstörungen entstehen
(Kastner & Löbach 2018, pos. 919).
Körperlich-neurologische Störungen nehmen in dieser Phase der Erkrankung immer
weiter zu. Es treten Gangstörungen auf, die wiederum zu einer Gangunfähigkeit oder
zu vermehrten Stürzen führen. Häufig verlassen Betroffene ihre Körperposition nicht
mehr selbstständig und müssen begleitet werden. Später können Beeinträchtigungen
der Koordination und des Lagesinns auftreten, sodass freies Sitzen schwerfällt.
Schließlich kommt es zu Bettlägerigkeit, die wiederum mit der Bildung von
Kontrakturen verbunden ist. Weiters ist in diesem Stadium die Nahrungsaufnahme
vermindert, da es zu Geschmacks- und Geruchsstörungen bis hin zu schweren
Schluckstörungen kommen kann. Betroffene sprechen nur noch einsilbig, äußern sich
nur mehr durch sich immer wiederholende Bruchstücke oder Schreien – es wird für
Angehörige zunehmend schwieriger, die Bedürfnisse der erkrankten Personen zu
erahnen, so erlangen die emotionale Bindung sowie der Körperkontakt eine tragende
Rolle als Kommunikationsmittel in dieser Phase der Demenz (Kastner & Löbach 2018,
pos. 925).

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1.2.3 Verhaltensänderungen demenziell erkrankter Menschen
Der Psychologe und Schriftsteller Werner Stangl definierte Verhalten folgendermaßen:

„Verhalten ist in der Psychologie jenes Mittel, durch das sich ein Organismus an seine
Umwelt anpasst. Verhalten bedeutet dabei bewusste und unbewusste Aktivität. Der
Gegenstand der Psychologie ist dabei vor allem das beobachtbare Verhalten von
Menschen und Tieren, d. h., beobachtet wird, was ein Individuum tut und wie es das
Tun in einer vorgegebenen Verhaltensumgebung oder im größeren sozialen und
kulturellen Kontext umsetzt.“ (Stangl, 1989)

Mit zunehmender Dauer der Erkrankung steigt auch das auffällige Verhalten im Alltag
der Betroffenen. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass erkrankte Personen auf die
Anforderungen ihres Alltags häufig scheinbar unangemessen reagieren (Kastner &
Löbach 2018, pos. 2418). Häufig werden hierfür Begriffe wie „herausforderndes
Verhalten“, „Problemverhalten“ oder „verhaltensbezogene und psychische Symptome
der Demenz“ (englisch: behavioural and psychological symptoms of dementia, BPSD)
verwendet (James & Jackman 2019, p. 31).
Zu den häufigsten herausfordernden Verhaltensweisen zählen unter anderem:
Apathie, Depression, repetitive Geräusche und Fragen, Gegenstände horten, sich
widersetzen, zielloses hin und her gehen, allgemeine Erregtheit, Objekte
auseinandernehmen, aber auch aggressive Verhaltensweisen wie beispielsweise
schlagen, stoßen, kratzen, beißen, spucken, schreien, fluchen oder selbstverletzende
Handlungen (James & Jackman 2019, p. 32).
Für Menschen, die im direkten Umgang mit den erkrankten Personen stehen, sind
diese Verhaltensweisen häufig unverständlich, verwirrend oder peinlich – nicht selten
werden sie als belastend empfunden. Im direkten Kontakt neigen sie dazu, den
Betroffenen gegenüber gereizt, vorwurfsvoll, belehrend und kritisierend gegenüber zu
treten, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass sie die betroffenen Personen damit
immer wieder mit ihren Defiziten konfrontieren und so ungewollt zusätzlich unter Druck
setzen. Dies kann dazu führen, dass demente Menschen sich selbst in Gegenwart
ihrer vertrauten und nahestehenden Personen in für sich beschämenden oder
bedrohlichen Situationen wiederfinden (Kastner & Löbach 2018, pos. 2418).
Es kann davon ausgegangen werden, dass der Großteil der beschriebenen
herausfordernden Verhaltensweisen darauf zurückzuführen ist, dass sich die
                                                                                Seite 7
betroffenen Personen in diesem Moment unverstanden, verunsichert oder bedroht
fühlen und diese vor allem in unbegleiteten, unstrukturierten, verwirrenden oder
stressigen Situationen auftreten. Daher ist es wichtig, die veränderten Reaktionen zu
erkennen, um das gezeigte Verhalten zu verstehen. Erst dann kann nach Maßnahmen
gesucht werden, um dieses Gefühl des Unbehagens oder der Bedrohung bei der
betroffenen Person zu lindern oder aufzuheben, Begleitung anzubieten oder das
jeweilige Verhalten als ein für die Person momentan unverzichtbares zu tolerieren
(Kastner & Löbach 2018, pos. 2442).

1.3   Musiktherapie
Musik gilt als biologische Sprache des Gehirns, sie wird vom Gehirn als ähnlich wichtig
wie die gesprochene Sprache angesehen und steht in ständiger Wechselwirkung mit
anderen Bereichen des Gehirns. Musik spricht alle Systeme und Vorgänge an und
kann so unterstützend wirken. Musik und Rhythmus aktivieren motorische, sprachliche
und kognitive Systeme, sodass eine verstärkte Gehirnaktivität stattfindet, auch
demenziell erkrankte Menschen verfügen noch über diese Neuroplastizität (Willig &
Kammer 2012, p. 32).
Musik, Kunst und Sprache gelten grundsätzlich als Kommunikationsmittel der
Menschen. Da sich gerade im Laufe einer fortschreitenden Demenz die Möglichkeit
der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeit verschlechtert, rücken künstlerische und
musikalische therapeutische Verfahren bedeutsam in den Fokus. Vor allem beim
Einsatz von Musik und Musiktherapie wird deutlich, dass kognitive Ressourcen
hinsichtlich musikalischer Fähigkeiten offenbar weit länger erhalten bleiben als die der
sprachlichen. Selbst Betroffene, die bereits stark sprachverarmt oder gänzlich
verstummt sind, können beim Singen altbekannter Lieder wieder „erwachen“. Musik
wird als Mittel genutzt, um das Selbsterleben zu fördern, das Erinnerungsvermögen
anzuregen und gemeinsame soziale Erfahrungen zu vermitteln (Kastner & Löbach
2018, pos. 2014).
Wichtige Ziele, auf die durch musiktherapeutische Arbeit mit demenziell erkrankten
Menschen     hingearbeitet   wird,   sind   unter   anderem:    die   Förderung     von
Ausdrucksmöglichkeiten und Orientierung, Angstlinderung, Verminderung von
Unruhe, Erleben von Zugehörigkeit und somit eine Überwindung von Isolation,
Reaktivierung von Gedächtnisinhalten und des sprachlichen Ausdrucksvermögens,

                                                                                  Seite 8
sowie   die    Verbesserung      der   Stimmungslage     und   der    Lebensqualität
(Bundesministerium für Gesundheit 2014).
Musik wirkt unbewusst, körperlich und emotional, sie sollte der Biografie der
Betroffenen angepasst sein und verantwortungsvoll und in der richtigen Dosierung
eingesetzt werden, denn falsch eingesetzt kann sie auch negative Effekte erzielen
(Willig & Kammer 2012, p. 39).
Die adäquate Auswahl der Musiktherapie erfolgt auch nach den jeweiligen Demenz-
Phasen. So macht es in der Phase der leichten Demenz Sinn, vorzugsweise Musik
gemeinsam zu hören, anstatt selbst zu musizieren, da aktives Musizieren den
Betroffenen symbolisch Fehler aufzeigt. In der Phase der mittelschweren Demenz
sollte man besonders auf biografisch relevante Musik zurückgreifen, die der aktuellen
Gefühlslage der Erkrankten entspricht. Außerdem sollte man die Betroffenen beim
Hören der Musik nicht allein lassen. Im letzten Demenz-Stadium schließlich macht
man sich atmosphärische Wirkungen zu Nutze und setzt auf sanfte Klangtherapien,
um Gefühle wiederherzustellen (Willig & Kammer 2012, p. 47).

1.3.1 Methoden der Musiktherapie
(Inter-) Aktive Musiktherapie: Aktives Musizieren bietet eine Vielfalt an Erfahrungs-
und Erkenntnismöglichkeiten, TeilnehmerInnen können dies allein oder in Gruppen
erfahren. In Einzelsitzungen stehen vor allem die eigenen Befindlichkeiten im
Vordergrund,    im   Zusammenspiel      mit   MusiktherapeutInnen    und    anderen
Gruppenmitgliedern geht es vorrangig um Kommunikation und Interaktion. In der
Improvisation können nicht-musikalische Inhalte wie Stimmungen, Erlebnisse,
Gefühle, Träume, Bilder und Beziehungen zu Mitmenschen musikalisch ausgedrückt
werden. Durch musiktherapeutische Interventionen können Bewusstsein, Sensibilität,
Strukturempfinden und soziale Kompetenz gefördert werden, indem sich die
TeilnehmerInnen an konkrete musikalische Spielregeln halten müssen. Die
Wechselwirkung von Musik und Bewegung kann positive Auswirkungen auf Atmung,
Stimme und Körperempfindung haben. Nach Möglichkeit ist es sinnvoll, eine verbale
Aufarbeitung und Reflexion der Intervention durchzuführen, um das Erlebte zu
verarbeiten und bewusst zu machen (ÖBM 2020).

                                                                               Seite 9
Rezeptive/Passive     Musiktherapie:     Die    rezeptive   beziehungsweise   passive
Musiktherapie beinhaltet das Anhören von Musik, wobei unterschiedliche Ziele verfolgt
werden:

   •   Entspannung
   •   Auftauchen innerer Bilder
   •   Wahrnehmen von Gefühlen
   •   Vorstellung von Situationen, Erlebnissen oder Wünschen

Auch nach einer passiven Musikintervention ist eine anschließende Reflexion und
verbale Aufarbeitung sinnvoll (ÖBM 2020).

1.4    Forschungsziel und Forschungsfrage
Ziel dieser schriftlichen Abhandlung ist es, herauszufinden, wie sich der Einsatz von
Musik und Musiktherapie auf die krankheitsbedingten Verhaltensänderungen
demenziell erkrankter Menschen im Langzeitpflegebereich auswirken. Daraus leitet
sich folgende Forschungsfrage ab:

Wie wirkt sich der Einsatz von Musik und Musiktherapie auf die krankheitsbedingten
Verhaltensänderungen demenziell erkrankter Menschen im Langzeitpflegebereich
aus?

2. Methode

2.1 Forschungsdesign
Beim Design dieser Arbeit handelt es sich um ein systematisches Literaturreview. Ein
solches wird verfasst, um den aktuellen Wissensstand zu einem bestimmten
Forschungsthema darzustellen. Im Zuge einer Literaturrecherche wird bereits
vorhandene Literatur, die für das Forschungsproblem relevant scheint, gesammelt,
kritisch bewertet und zusammengefasst. Ein Literaturreview stellt also eine
Zusammenfassung des aktuellen Wissenstands dar (Polit & Beck, 2017).
Im folgenden Abschnitt dieser Arbeit wird der Weg von der Suchstrategie für die
Literaturrecherche   einschließlich   aller    Keywords,    Datenbanken,   Ein-   und
Ausschlusskriterien bis hin zur Auswahl der relevanten Studien genau beschrieben.

                                                                              Seite 10
2.2 Literaturrecherche
Zur Beantwortung der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wurde im Zeitraum
von   Oktober     2019   bis   Dezember 2019        eine   Literaturrecherche    auf   den
wissenschaftlichen Datenbanken CINAHL und PubMed durchgeführt. Außerdem
erfolgte eine Handsuche auf Google Scholar. Die Schlüsselwörter beziehungsweise
Keywords, die verwendet wurden, ergeben sich aus dem Forschungsziel und der
Forschungsfrage, sie lauten „Demenz“, „Musik“, „Musiktherapie“ und „Langzeit“. Diese
wurden aufgrund der englischsprachigen Datenbanken ins Englische übersetzt und
lauten demnach „dementia“, „music“, „music therapy“ und „long term“, wobei
„dementia“ als übergeordneter MeSH-Term verwendet wurde. Synonyme für die
festgelegten Schlüsselwörter wurden nicht verwendet.
Die Keywords wurden schließlich mithilfe der Bool’schen Operatoren „AND“ und „OR“
verknüpft und in die erweiterten Suchmasken („advanced search“) der beiden
verwendeten Datenbanken eingegeben – Trunkierungen sowie der Bool’sche
Operator „NOT“ wurden nicht verwendet. So wurden primär (ohne Setzen der
Limitationen) auf CINAHL 221 Treffer erzielt und auf PubMed 133 Treffer, wie die
nachfolgende Tabelle zeigt. Mithilfe der Handsuche auf Google Scholar wurden zwei
relevante Treffer in die vorliegende Arbeit integriert.

   Datenbank                              Suchstrategie                          Treffer
 CINAHL             MW dementia AND TI music OR TI music therapy AND             221
                    TI long term
 PubMed             Search (((((dementia[MeSH Terms]) AND                        133
                    music[Title/Abstract])) OR „music
                    therapy“[Title/Abstract])) AND „long term“[Title/Abstract]
Tabelle 1: Suchstrategie auf CINAHL und PubMed

2.3 Limitationen
Um die Ergebnisse der Literaturrecherche einzugrenzen wurden Limitationen gesetzt.
Berücksichtigt wurden nur Studien, die in den letzten zehn Jahren veröffentlicht
wurden, sowie deren Verfügbarkeit in englischer oder deutscher Sprache gegeben
war. Außerdem wurden Literaturreviews ausgeschlossen und ein Abstract musste
verfügbar sein.

                                                                                   Seite 11
Die Suche bei CINAHL ergab nach Verfeinerung und Berücksichtigung aller
Limitationen 100 Treffer, auf PubMed wurden 78 Treffer erzielt und die Handsuche
ergab zwei relevante Treffer. Nach Ausschluss der Duplikate (n = 12) durchliefen
schließlich 168 Studien das Title- und Abstract-Screening, indem von all diesen
Studien der Abstract sorgfältig durchgelesen wurde, um relevante Studien zu
bestimmen und sicherzugehen, dass für die ausgewählten Studien Zugriff zu den
Volltexten gewährt wurde.

2.4 Ein- und Ausschlusskriterien
Für die vorliegende Arbeit wurden lediglich Studien herangezogen, die sich mit dem
Einsatz von Musik und Musiktherapie im Langzeitpflegebereich auseinandergesetzt
hatten. Dieses Setting wurde unter der Annahme gewählt, dass man in diesem Bereich
mehr zeitliche Ressourcen zur Verfügung hat, sich mit der Biografie und somit auch
mit der Musikbiografie der Bewohner auseinanderzusetzen als im Akutpflegebereich,
da die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus-Setting im Regelfall wesentlich kürzer
ausfällt und die Biografie-Arbeit nicht im Vordergrund steht. Auch die Häusliche Pflege
wurde für die Beantwortung der Forschungsfrage nicht berücksichtigt. Weiters wurden
auch   folgende    Studien   im   Rahmen     des    Title-   und   Abstract-Screenings
ausgeschlossen:
   •   Studien über Demenz im Allgemeinen
   •   Studien über demenziell bedingte Verhaltensänderungen im Allgemeinen
   •   Studien über den Einsatz von Musik(-therapie) bei anderen Erkrankungen

2.5 Auswahl der Artikel
Durch die oben beschriebenen Ausschlusskriterien wurden im Zuge des Title- und
Abstract-Screenings 142 Studien ausgeschlossen, da diese zur Beantwortung der
Forschungsfrage nicht relevant waren oder keine Volltexte verfügbar waren. Von den
übrig gebliebenen 26 Studien wurde der Volltext gelesen und somit werden schließlich
die relevanten Studien zur Beantwortung der Forschungsfrage dieser Arbeit
identifiziert, die im nächsten Abschnitt der Arbeit detailliert beschrieben werden.
Mithilfe von Abbildung 1 werden die Ergebnisse der Literaturrecherche grafisch als
Flowchart dargestellt.

                                                                                Seite 12
Abbildung 1: PRISMA Flowchart (nach Moher et al. 2009)

Die für den Ergebnisteil identifizierten relevanten Studien werden schließlich mittels
MMAT-Bewertungsbogen kritisch bewertet und der fertigen Arbeit als Anhang
hinzugefügt. Der Vorteil des MMAT-Bewertungsbogens liegt darin, dass er zahlreiche
unterschiedliche Studiendesigns beinhaltet und man auf diese Art und Weise den
gleichen Bewertungsbogen zur Beurteilung aller Studien verwenden kann.

3. Ergebnisse
In diesem Teil der Arbeit werden die Ergebnisse und Charakteristika der gewählten
Studien vorgestellt. Die Einteilung der Ergebnisse erfolgt in fünf Unterkapitel, die sich
aus der Art der gesetzten Intervention ergeben:

1.) (Inter-) Aktive Musiktherapie

2.) Passive/Rezeptive Musiktherapie

3.) Live-Auftritte/Live-Konzerte

                                                                                 Seite 13
4.) Einsatz von Musik während Pflegehandlungen und während der Essenszeiten

5.) Einstellungen und Meinungen von Pflegepersonal und Familien zum Einsatz von
Musik bei demenziell erkrankten Menschen.

3.1 Charakteristika der Studien
In   den   Ergebnisteil   dieser   Arbeit   wurden   zehn   Studien   inkludiert.   Alle
eingeschlossenen Studien wurden in Pflegeheimen durchgeführt. Mehr als die Hälfte
der Studien, nämlich sechs, fanden im asiatischen Raum statt – eine in China, eine in
Japan und vier in Taiwan. Eine Studie stammt aus Australien, die restlichen vier aus
dem europäischen Raum: eine aus Frankreich, eine aus Schweden, eine aus den
Niederlanden und eine aus Großbritannien, wobei die Studie von Shibazaki & Marshall
(2015) sowohl in Großbritannien als auch in Japan durchgeführt wurde.

Jedes Stadium der Demenz kommt im Laufe des Ergebnisteils vor und in jeder der
acht Interventionsstudien wurden entweder (inter-) aktive oder passive Musik-
Interventionen durchgeführt. In zwei der Studien werden die Einstellungen und
Meinungen von Pflegepersonen und Familienangehörigen von demenziell erkrankten
Menschen hinsichtlich der Effektivität von Musiktherapie evaluiert.

Eine Übersicht der Charakteristika der eingeschlossenen Studien ist der folgenden
Tabelle zu entnehmen.

                                                                                Seite 14
Autoren,      Forschungsziel       Studiendesign         Setting, Stichprobe            Intervention       Hauptergebnisse
 Land, Jahr
Sakamoto M.,   Ziel war es,          Randomized         4 Gruppen-Wohnheime            10 Wochen lang,      Sowohl in der
Ando H.,       herauszufinden, ob    Controlled Trial   und ein auf Demenz             1x/Woche, 30         passiven als auch in
Tsutou A.      individualisierte                        spezialisiertes                Minuten lang         der interaktiven
               Musikinterventionen                      Krankenhaus in Kobe City.      (Insgesamt 10        Interventionsgruppe
Japan          einen vorteilhaften                                                     Sitzungen)           führte der Einsatz
               Effekt im Vergleich                      39 über 65-                                         von Musik zu einer
2013           mit einer nicht-                         jährigeTeilnehmerInnen:        Passives Hören       Stressreduktion und
               musikalischen                               •   mit diagnostizierter,   ausgewählter Musik   Entspannung direkt
               Kontrollgruppe für                              schwerer Demenz         über CD              nach der
               Menschen mit                                    vom Alzheimer-Typ                            Intervention.
               schwerer Demenz                             •   ohne                    Interaktives Hören
               haben und ob der                                Höreinschränkungen von Musik inklusive       Der Effekt hielt bis
               Effekt einer                                •   ohne Erfahrung mit      Klatschen, Singen    etwa zwei Wochen
               interaktiven                                    Musikinstrumenten       und Tanzen.          nach der Intervention
               Musikintervention                           •   frei von                                     an, verschwand
               größer ist als der                              Herzerkrankungen,                            allerdings nach drei
               einer passiven.                                 Hypertonie, sowie                            Wochen.
                                                               Diabetes mellitus.

                                                                                                                               Seite 15
13 TeilnehmerInnen in der
                                                      Kontrollgruppe, 13
                                                      TeilnehmerInnen in der
                                                      passiven
                                                      Musikinterventionsgruppe,
                                                      13 TeilnehmerInnen in der
                                                      interaktiven
                                                      Musikinterventionsgruppe
Sung H., Lee   Ziel war es             Randomized     Ein Pflegeheim in Taiwan    6 Wochen lang,       Der durchschnittliche
W., Li T.,     herauszufinden, wie Controlled Trial                               2x/Woche             Angstwert laut RAID-
Watson R.      sich der Effekt einer                  55 TeilnehmerInnen über     nachmittags, 30      Skala sank in der
               aktiven Gruppen-                       65 Jahre:                   Minuten lang         Interventionsgruppe
Taiwan         Musikintervention                         •   mit Demenz und                            von 10,04 zu Beginn
               mit Percussions auf                           BPSD                 Bewegung der         der Intervention auf
2012           Angst und agitiertes                      •   in der Lage          Extremitäten sowie   3,22 nach 4 Wochen
               Verhalten dementer                            einfachen Aktivitäten Spielen             und stieg minimal
               Personen auswirkt.                            und Anordnungen      unterschiedlicher    auf 3,89 nach 6
                                                             zu folgen            Percussion-          Wochen an.
                                                         •   ohne                 Instrumente zu
                                                             Höreinschränkung.    bekannten Melodien
                                                                                  und Liedern.

                                                                                                                      Seite 16
27 TeilnehmerInnen in der
                                                      Interventionsgruppe, 28 in
                                                      der Kontrollgruppe
Tang Q., Zhou   Ziel war es, den     Randomized       Ein auf Demenz               12 Wochen lang,        Bei TeilnehmerInnen
Y., Yang S.,    Effekt einer         Controlled       spezialisiertes Pflegeheim   3x/Woche, 50           der
Thomas W.,      Gruppen-Musik-       Clinical Trial   in China                     Minuten lang           Interventionsgruppen
Smith G.,       Intervention auf                                                                          sank die Apathie
Yang Z., Yuan   Antrieb, Zuneigung                    77 TeilnehmerInnen über      Therapiesitzungen in signifikant. Die
L., Chung J.    und kognitive                         60 Jahre:                    Kleingruppen (etwa     kognitive Funktion
                Verhaltensweisen                         •   mit leichter-         neun Personen) mit     blieb bei
China           dementer Personen                            fortgeschrittener     Hören und Singen       TeilnehmerInnen der
                mit Anzeichen von                            Demenz (MMSE 10-      traditioneller Musik   Interventionsgruppen
2018            Apathie zu                                   27)                   und Spielen            stabil, bei denen der
                erforschen.                              •   in der Lage zu        einfacher              Kontrollgruppe
                                                             kommunizieren und     Musikinstrumente.      hingegen sanken die
                                                             kooperieren                                  MMSE Punkte.
                                                         •   mit Apathie-
                                                             Symptomen.
                                                      39 TeilnehmerInnen in der
                                                      Interventionsgruppe, 38 in
                                                      der Kontrollgruppe

                                                                                                                           Seite 17
Guétin S.,       Ziel war es, den    Randomized         Ein Pflegeheim in             24 Wochen lang,       In der
Portet F., Picot Effekt von          Controlled Study   Montpellier                   1x/Woche, 20          Interventionsgruppe
M., Pommié       Musiktherapie auf                                                    Minuten lang          wurden signifikante
C., Messaoudi    Angst und                              30 TeilnehmerInnen:                                 Verbesserungen von
M., Djabelkir    Depression bei                            •   mit leichter-          Rezeptive             Angst (p < 0,01) und
L., Olsen A.,    BewohnerInnen mit                             fortgeschrittener AD   Musiktherapie mit     Depression (p <
Cano, M.M.,      leichter-                                 •   zwischen 70 und 95     individualisierten    0,01) festgestellt.
Lecourt E.,      fortgeschrittener                         •   mit adäquater          Musikstücken
Touchon J.       Alzheimer-Demenz                              wörtlicher oder        basierend auf den
                 herauszufinden.                               schriftlicher          Präferenzen der
Frankreich                                                     Ausdrucksweise         TeilnehmerInnen mit

                                                           •   ohne Hörgeräte         Einsatz der „U“-
2009                                                       •   ohne andere            Methode.

                                                               lebensbedrohliche
                                                               Erkrankungen.
                                                        15 TeilnehmerInnen in der
                                                        Interventionsgruppe, 15
                                                        TeilnehmerInnen in der
                                                        Kontrollgruppe
Van der          Ziel war es, den    Quasi-             Sechs Pflegeheime in den      45 Minuten pro        Insbesondere für
Vleuten M.,      Effekt von Live-    Experimentell      Niederlanden, in denen        Auftritt von          Personen mit leichter

                                                                                                                             Seite 18
Visser A.,      Auftritten                            bereits Auftritte gebucht   SängerInnen der      Demenz steigerten
Meeuwesen L.    professioneller                       waren                       Organisation Diva    die Auftritte das
                SängerInnen auf                                                   Dichtbij für         geistige
Niederlande     die Lebensqualität                    54 TeilnehmerInnen          Kleingruppen (etwa   Wohlbefinden (p =
                von Menschen mit                      unterschiedlicher Demenz-   10 Personen) mit     0,001). Bei den
2012            Demenz                                Schweregrade                Möglichkeit der      fortgeschrittenen
                unterschiedlicher                                                 interaktiven         Stadien konnten in
                Schweregrade zu                                                   Teilnahme,           dem Bereich keine
                erforschen.                                                       insgesamt 17         signifikanten
                                                                                  Konzerte.            Besserungen
                                                                                                       festgestellt werden
                                                                                                       (p = 0,071), es gab
                                                                                                       jedoch positive
                                                                                                       Emotionen (p =
                                                                                                       0,045) sowie gute
                                                                                                       Rückmeldungen von
                                                                                                       TeilnehmerInnen
                                                                                                       aller Stadien.
Shibazaki K.,   Die Studie           Semi-            3 Pflegeheime in            11 Konzerte in GB,   In beiden Ländern
Marshall N.     beschreibt Effekte   Strukturierte    Großbritannien, 3           11 Konzerte in       erwies sich der
                von Live-            Interviews mit   Pflegeheime in Japan        Japan, etwa eine     Besuch der Konzerte

                                                                                                                         Seite 19
Großbritannien Musikkonzerten auf   Klienten,                                   Stunde/Konzert, am     als vorteilhaft für
& Japan         Menschen mit        Angehörigen      53 TeilnehmerInnen, davon frühen Nachmittag       BewohnerInnen als
                Demenz, deren       und              27 BewohnerInnen, 13                              auch für das
2015            Pflegepersonen      Pflegepersonal   Familienangehörige und 13 Professionelle          Pflegepersonal –
                sowie deren         sowie            Angestellte der            SängerInnen traten     BewohnerInnen mit
                Familien.           Beobachtung      Pflegeeinrichtungen        jeweils im Duett auf   leichter-
                                                                                und sangen familiäre fortgeschrittener
                                                                                Lieder                 Demenz waren
                                                                                durchgemischter        kooperativer und
                                                                                Stilrichtungen.        kommunikativer,
                                                                                                       diejenigen mit
                                                                                                       schwerer Demenz
                                                                                                       waren weniger
                                                                                                       agitiert und
                                                                                                       zugänglicher.
Chang F.,       Ziel war es, den    Quasi-           Ein Pflegeheim in Taiwan   8 Wochen lang, jede    Das
Huang H., Lin   Effekt von Musik    Experimentell                               zweite Woche           Problemverhalten
K., Lin L.      während der                          41 TeilnehmerInnen mit     täglich während des    hat sich deutlich
                Essenszeiten auf                     Demenz:                    Mittagessens (11:00    reduziert – eine
Taiwan          das                                     •   über 65 Jahre alt   – 12:00)               Verbesserung der
                Problemverhalten                                                Klavierklänge und      verbalen und

                                                                                                                        Seite 20
2010         von Menschen mit                        •   MMSE 23 oder         Naturgeräusche       physischen
             Demenz zu                                   weniger              (Vogelgesang, Wal-   Aggressivität konnte
             untersuchen.                            •   vorhandenes          Laute, fließendes    festgestellt werden.
                                                         Problemverhalten     Wasser).
                                                     •   nicht bettlägerig
                                                     •   ohne
                                                         Höreinschränkungen
Götell E.,   Ziel war es, den    Qualitative      Ein Pflegeheim in           Drei Szenarien der   Hintergrundmusik
Brown S.,    Einfluss von        Inhaltsanalyse   Schweden                    Morgenpflege         und Gesang der
Ekman S.     Hintergrundmusik    von                                          wurden für alle      Pflegeperson
             und Gesang von      Videoaufnahmen Neun BewohnerInnen mit        teilnehmenden        verbesserte die
Schweden     Pflegepersonen                       schwerer Demenz, Fünf       BewohnerInnen        Kommunikation,
             während der                          Pflegepersonen              untersucht: einmal   verstärkte positive
2009         Morgenpflege auf                                                 die herkömmliche     Emotionen und
             die Emotionen von                                                Morgenpflege ohne    reduzierte
             Menschen mit                                                     Musik, einmal mit    Aggressionen.
             Demenz zu                                                        Hintergrundmusik,
             erforschen.                                                      einmal mit Gesang
                                                                              der Pflegeperson

                                                                                                                     Seite 21
Insgesamt 27
                                                                                        Pflegesituationen.
Sung H., Lee       Die Studie            Cross-Sectional   16 Pflegeheime in Taiwan     Fragebögen, die aus   Der Großteil der
W., Chang S.,      untersuchte die       Study                                          zwei                  befragen Personen
Smith G.           Einstellung und den                     214 TeilnehmerInnen, die     Unterkategorien       sind positiv
                   Gebrauch von                            mindestens drei Monate in    (Einstellungen und    gegenüber dem
Taiwan             Musik von                               der jeweiligen Institution   Erwartungen –         Einsatz von Musik
                   Pflegepersonen, die                     gearbeitet haben             Erfahrungen zu dem    für demente
2011               mit dementen                                                         Thema) bestanden,     Personen eingestellt,
                   Personen                                                             im ersten Teil 23     jedoch haben nur
                   zusammenarbeiten.                                                    Fragen insgesamt      30.6% (n = 66)
                                                                                        die anhand einer      tatsächlich Erfahrung
                                                                                        Likert-Skala          damit. Zu wenig
                                                                                        beantwortet wurden,   Schulung und
                                                                                        im zweiten Teil       zeitliche Ressourcen
                                                                                        sieben Fragen.        werden als Problem
                                                                                                              angegeben.
Tuckett A.,        Ziel war es, die      Semi-             3 Pflegeheime in Australien 12 Wochen              Musikinterventionen
Hodgkinson         Effektivität von      Strukturierte                                  Musikintervention     sollten bevorzugt am
B., Rouillon L.,   Gruppen-              Interviews von                                 der BewohnerInnen,    frühen Nachmittag
                   Musikinterventionen Fokusgruppen                                                           stattfinden. Der

                                                                                                                                 Seite 22
Balil-Lozoya    auf das Verhalten   30 TeilnehmerInnen, 23   2x/Woche, 45-60        Einfluss von Musik
T., Parker D.   dementer Personen   Pflegepersonen, Sieben   Minuten lang           auf das Verhalten
                zu evaluieren.      Familienmitglieder                              und die Emotionen
Australien                                                   Im Anschluss           der BewohnerInnen
                                                             Interviews mit         werden vom Großteil
2015                                                         Pflegepersonal und     der Befragten
                                                             Familienmitgliedern.   bestätigt. Politiker
                                                                                    sollten wissen, dass
                                                                                    Musiktherapie
                                                                                    gefördert werden
                                                                                    muss.

                                                                                                     Seite 23
3.2 (Inter-) Aktive Musiktherapie
„A group music intervention using percussion instruments with familiar music
to reduce anxiety and agitation of institutionalized older adults with dementia“
                                 (Sung et al. 2012)

In der Studie von Sung et al. (2012) wird hervorgehoben, dass Angst und agitiertes
Verhalten ein häufiges Problem in der Betreuung dementer Menschen darstellt und
auch von deren Pflegepersonen als Herausforderung gesehen wird. Des Weiteren
zeigt die Studie auf, dass im asiatischen Raum und insbesondere in der
taiwanesischen Kultur geistige Erkrankungen weiterhin stark stigmatisiert werden und
Pflegepersonen die genannten Probleme aus diesem Grund häufig nicht ansprechen
oder nach Hilfe fragen. Dies führt dazu, dass diese demenziell bedingten
Verhaltensweisen häufig unzureichend eingeschätzt und bewältigt werden können.

In dieser Studie von Sung et al. (2012) wurden 27 TeilnehmerInnen der
Interventionsgruppe und 28 TeilnehmerInnen der Kontrollgruppe, die weiterhin die
übliche Pflege ohne Musik erhielt, zugeteilt. TeilnehmerInnen der Interventionsgruppe
nahmen in einem Zeitraum von insgesamt sechs Wochen an je zwei Tagen in der
Woche an interaktiven Gruppen-Musiktherapiesitzungen zu je 30 Minuten teil
(insgesamt 12 Sitzungen), die nachmittags stattfanden. Diese Sitzungen bestanden
aus einer fünfminütigen Aufwärmphase (Dehnen der Muskeln und Atemübungen) und
einer 20-minütigen Hauptsitzung, in der die TeilnehmerInnen dazu motiviert wurden,
die Extremitäten zu bewegen und mit einfachen Percussion-Instrumenten zu
bekannten chinesischen oder taiwanesischen Liedern der 1950er – 1970er Jahre zu
spielen.   Beendet   wurden    die   Gruppensitzungen    durch   eine   fünfminütige
Entspannungsphase, in der die TeilnehmerInnen sich zu sanften Rhythmen erneut
dehnen konnten. Die Agitation der TeilnehmerInnen wurde mithilfe des Cohen-
Mansfield Agitation Inventory (CMAI) gemessen. Dieser beinhaltet 29 unterschiedliche
agitierte Verhaltensweisen, die in Fremdbeurteilung evaluiert werden, um so den Grad
der Agitation festzustellen. Je höher die Punktezahl, desto häufiger treten agitierte
Verhaltensweisen auf. Zur Erhebung der Angst wurde die Rating of Anxiety in
Dementia (RAID) – Skala hinzugezogen. Die RAID-Skala misst Angst bei dementen
Menschen mithilfe von 18 Items, die sich in vier Untergruppen unterteilen und mit
jeweils maximal vier Punkten bewertet werden können. Ein Ergebnis von 11 Punkten
oder mehr zeigt deutlich das Vorhandensein von Ängsten. Das durchschnittliche RAID-

                                                                              Seite 24
Ergebnis sank in der Interventionsgruppe signifikant von 10,04 zu Beginn der Studie
auf 3,22 nach Woche vier und stieg bis Woche sechs minimal auf 3,89 an. Auch in der
Kontrollgruppe sank das RAID-Ergebnis von anfangs 12,14 auf 9,39 (Woche vier) und
schließlich auf 5,36 nach Woche sechs. Auch das CMAI-Ergebnis verringerte sich in
beiden Gruppen, jedoch ist der Unterschied zwischen den Gruppen nicht signifikant (p
= 0,95). Die Studie zeigt hiermit auf, dass eine Gruppen-Musikintervention einen
signifikanten Effekt auf die Reduzierung von Angst bei Menschen mit Demenz haben
kann und dass dies außerdem die Möglichkeit bietet, mit anderen BewohnerInnen und
dem Pflegepersonal in Form von gemeinsamen Gesangs- und Tanzeinlagen zu
interagieren (Sung et al. 2012).

   „Comparing the effects of different individualized music interventions for
        elderly individuals with severe dementia“ (Sakamoto et al. 2013)

Auch die Studie von Sakamoto et al. (2013) legte den Fokus neben passiver
Musikintervention auf interaktive Interventionen und stellte die Theorie auf, dass die
interaktive Form sogar einen noch vorteilhafteren Effekt auf das Problemverhalten
dementer Menschen haben kann als die passive. In dieser Studie wurde das
Augenmerk nicht nur auf die Kurzzeit- sondern auch auf Langzeiteffekte gelegt.

In der Studie von Sakamoto et al. (2013) wurden 39 TeilnehmerInnen randomisiert
eingeteilt in je eine interaktive Musikinterventionsgruppe, eine passive/rezeptive
Musikinterventionsgruppe und eine Kontrollgruppe, wobei jede der drei Gruppen aus
13 TeilnehmerInnen bestand. Die Interventionen wurden hierbei über einen
zehnwöchigen Zeitraum einmal wöchentlich in gewohnter Umgebung zu je 30 Minuten
(10 Sitzungen insgesamt) gesetzt. Die TeilnehmerInnen der Kontroll- und passiven
Gruppe wurden von einer Pflegeperson und einem Musiktherapeuten aus der Ferne
beobachtet, ohne dabei direkt mit ihnen in Kontakt zu treten. Die interaktiven
Interventionssitzungen hingegen wurden individuell von einem Musiktherapeuten
gestaltet, der auch mit den TeilnehmerInnen direkt Kontakt aufnahm. TeilnehmerInnen
der Kontrollgruppe verbrachten Zeit mit einer Pflegeperson in ihrem Zimmer in ruhiger
Umgebung ohne jegliche Form von Musik. Die passive Interventionsgruppe hörte sich
ausgewählte Musik via CD-Player an und die interaktive Interventionsgruppe wurde
vom Musiktherapeuten dazu animiert, zur laufenden Musik auch zu klatschen, zu
singen oder zu tanzen. Welche Musik während der Sitzungen laufen sollte wurde im

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