Der Fast-Foward-Präsident - Inwiefern Donald Trump vor allem langfristige Trends beschleunigt - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Quelle: © Carlos Barria, Reuters. Der Blick nach Westen Der Fast-Foward- Präsident Inwiefern Donald Trump vor allem langfristige Trends beschleunigt Paul Linnarz 8
Hoffnungen darauf, dass sich die westlichen Verbündeten nach den Zwischenwahlen in den U SA politisch leichter durch- setzen können, sind unbegründet; viele Weichen wurden für die derzeitige politische Linie bereits vor langer Zeit gestellt. Neue Übereinkünfte sind jedoch möglich. Denn im Land selbst wächst der Widerstand gegen den Kurs von Präsident Trump. Was seine Kommunikation angeht, darf Donald zumindest einen Teilabzug ihrer Truppen aus Trump gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt Afghanistan überlegen. getrost als einzigartig gelten. Mit seinen Äuße- rungen vor der Kamera und per Twitter irri- Kurz vor Weihnachten hatte Donald Trump tiert, brüskiert, ja schockiert der US-Präsident bereits angekündigt, die US-Truppen aus Syrien nicht nur seine politischen Gegner im eigenen abziehen zu wollen. „Wir haben I SIS in Syrien Land, sondern auch enge Verbündete im Aus- besiegt“, twitterte der Präsident, „mein einziger land. Wer die Hoffnung gehabt haben mag, Grund, während der Trump-Präsidentschaft dort dass Trump nach den US-Zwischenwahlen am zu sein.“3 Mit Befremden und großer Besorgnis 6. November konziliantere Töne anschlagen reagierten nicht nur die europäischen Verbünde- und sich mit seinen ausländischen Verbündeten ten auf die Entscheidung; auch unter Kongress- um gemeinsame Positionen bemühen würde, mitgliedern und innerhalb der Regierung stieß wurde in den Wochen danach eines Besseren der Vorstoß auf Unverständnis. Einen Tag nach belehrt. der Ankündigung des Präsidenten reichte Ver- teidigungsminister James Mattis sein Rücktritts- Anfang Januar ließ der US-Präsident am Rande schreiben ein. einer Kabinettssitzung wissen: „Ich interessiere mich nicht für Europa. Ich werde nicht von Euro- Im Kern „neu“ sind die umstrittenen Positionen päern gewählt.“1 Nur Tage später wurde dann des US-Präsidenten deshalb aber noch lange bekannt, dass die EU-Delegation in Washington nicht. Einerseits hält Trump unvermindert an von der US-Regierung seit 2018 protokollarisch Forderungen fest, die er größtenteils bereits vor nicht länger als Botschaft behandelt wird, son- seinem Amtsantritt im Januar 2017 formuliert dern nur noch als Vertretung einer internatio- hat: Europa: okay! Handel: sicher! N ATO: gerne! nalen Organisation. Die Rückstufung war mit Aber alles nur unter Bedingungen, die aus Sicht Brüssel offenbar nicht abgestimmt worden. der U SA „fair“ sind. Entscheidender ist noch, dass sich – allen Unterschieden in Stil und Ton Vor Journalisten äußerte Trump Verständnis für zum Trotz – bestimmte Linien und Tendenzen den Einmarsch in Afghanistan, weil aus dem der US-amerikanischen Politik bereits über Jahre, Land damals „Terroristen nach Russland gin- teilweise über Jahrzehnte zurückverfolgen lassen. gen. Sie (die Sowjetunion) hatten Recht, da zu sein“. Gleichzeitig sei die Sowjetunion über den Außenpolitisch alles schon gewesen Konflikt zusammengebrochen: „Afghanistan hat sie zu Russland gemacht, weil sie in Afghanis- Als Washington Mitte 2017 den Ausstieg aus tan bankrottging.“2 Die afghanische Regierung dem globalen Klimaabkommen von Paris reagierte auf die Begründung für den Einmarsch ankündigte, schien fast vergessen, dass die U SA mit Empörung und bat Washington umgehend bereits 2001, damals unter Präsident George W. um eine Stellungnahme. Unterdessen bestä- Bush, das Klimaschutz-Abkommen von Kyoto tigte Vizepräsident Mike Pence, dass die U SA abgelehnt hatten. Aus wirtschaftspolitischen Der Blick nach Westen 9
Gründen wollte sich Bush nicht zu Höchst- grenzen für den Kohlendioxid-Ausstoß von Kraftwerken verpflichten. Als Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Oktober 2018 ankündigte, aus dem Washingtoner Ver- trag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) mit Russland auszusteigen, weckte dies Erinne- rungen an das Jahr 2002. Damals hatten sich die USA aus dem ABM-Vertrag über die Begrenzung antiballistischer Raketenabwehrsysteme verab- schiedet. Iran wird auch nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump vorgeworfen, im Nahen und Mittleren Osten Terroristen zu unterstützen. Mit dieser Begründung hatte Ex-Präsident Bush Teheran bereits 2002 auf die „Achse des Bösen“ gesetzt. Dessen Nachfolger stellte den Vorwurf, das iranische Regime sei der größte Förderer von Terrorismus, im Mai 2018 gleich an den Anfang seiner Erklärung zum Ausstieg der U SA aus dem Atomabkommen mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA).4 Auch der Handel: In diesem Bereich sind Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ebenfalls keine Erfindung der jetzigen Administration. Bereits 2002 sah Präsident Bush darin ein geeig- netes Mittel, um der kränkelnden metallverar- beitenden Industrie seines Landes unter die Arme zu greifen. Anders als das Weiße Haus heute, argumentierte Bush damals aber nicht mit „Auswirkungen auf die nationale Sicherheit“ der USA. Stattdessen konstatierte er bei einem Besuch in Ägypten: „[…] wir sind eine Freihan- delsnation, und um eine Freihandelsnation zu bleiben, müssen wir Gesetze durchsetzen. Und und führende Demokraten den republikani- genau das habe ich getan. Ich entschied, dass schen US-Präsidenten 2002 dann sogar dafür die Importe unsere Branche stark beeinträch- kritisierten, die Zölle nicht auf mindestens 40 tigten – eine wichtige Branche […]. Und deshalb Prozent erhöht zu haben. bieten [die Zölle von bis zu 30 Prozent] eine vorübergehende Erleichterung, damit sich die Nur wenige Wirtschaftsexperten waren Branche umstrukturieren kann.“5 Seinem Vor- angesichts der damals ohnehin rückläufigen gänger Bill Clinton hatte Bush vorgeworfen, zum Stahlimporte allerdings überrascht, dass die Schutz der Arbeiter zu wenig gegen Billigim- Welthandelsorganisation ( WTO) die Zölle porte unternommen zu haben, und das in einer Ende 2003 für unrechtmäßig erklärte.6 Schon Zeit, in der „Freihandel“ zu den Kernmerkmalen dieses Beispiel illustriert, warum Washington republikanischer Politik zählte. Am Rande sei verbindlichen Schlichtungsverfahren auf multi bemerkt, dass die Stahlarbeiter-Gewerkschaft lateraler Ebene bis heute entweder skeptisch 10 Auslandsinformationen 1|2019
Verblasster Glanz: Für Trumps Anhänger verbindet sich mit seiner Präsidentschaft die Hoffnung auf die Rückkehr alter Zeiten. Quelle: © Joshua Lott, Reuters. gegenübersteht oder diese gänzlich ablehnt. Im Als Richtwert wurden zwei Prozent des jeweili- August bezeichnete Donald Trump die Grün- gen Bruttoinlandsprodukts (BIP) festgeschrie- dung der W TO vor zweieinhalb Jahrzehnten ben. Beim NATO-Gipfel 2014 in Wales wurden als „die schlimmste Handelsvereinbarung, die die zwei Prozent noch einmal bestätigt: „Ver- je gemacht wurde“. Die Organisation habe die bündete, deren aktueller BIP-Anteil für Verteidi- USA „sehr schlecht“ behandelt. „Wenn sie sich gung unter diesem Niveau liegt, werden jedem nicht weiterentwickelt, würde ich mich aus der Rückgang der Verteidigungsausgaben Einhalt WTO zurückziehen.“7 gebieten.“ Zudem wollte man „darauf abzielen, die Verteidigungsausgaben mit wachsendem Sodann die NATO: Die Mitglieder des Bünd- BIP real zu erhöhen“. Und schließlich beabsich- nisses hatten sich bereits 2002 in Prag darauf tigte man, „sich innerhalb eines Jahrzehnts auf verständigt, in ausreichender Höhe finanzielle die Zwei-Prozent-Richtlinie zuzubewegen, um Ressourcen für die Verteidigung aufzuwenden. [die] N ATO-Fähigkeitsziele zu erreichen und die Der Blick nach Westen 11
ATO-Kapazitätslücken zu schließen“.8 Im Kern, N heute, gut zehn Jahre nach der Publikation des heißt es etwas griffiger auf der Internetseite des Beitrags, hauptsächlich darauf reduziert, welche Bundesverteidigungsministeriums, sei vorgese- finanziellen Forderungen US-Präsident Trump hen, „dass alle N ATO-Verbündeten spätestens per Twitter stellt, spricht viel dafür, dass der im Jahr 2024 zwei Prozent des jeweiligen natio- von Sloan konstatierte Prozess der Anpassung nalen Bruttoinlandsprodukts für Rüstungsmaß- an neue strategische Realitäten beiderseits des nahmen ausgeben“.9 Atlantiks noch immer nicht abgeschlossen ist bzw. längst von anderen Konfliktfeldern (Krim-Krise, Sicherlich hält Donald Trump sich in seinen zahl- Asien-Pazifik-Raum, Migration, Cyberspace) neu losen Tweets nicht mit den im NATO-Beschluss herausgefordert wird. sehr bewusst eingesetzten diplomatischen For- mulierungen wie „abzielen … zuzubewegen“ auf; im Kern stößt der US-Präsident mit seinen Trotz offensichtlicher Unter- wiederholten Forderungen nach höheren Ver- schiede ist die rhetorische teidigungsausgaben aber in eine offene Flanke. Distanz zwischen Obamas Während der ersten Amtsperiode von Präsident George W. Bush wurde die öffentliche Diskus- Aufruf zum „Nation Building“ sion über höhere finanzielle Aufwendungen und Trumps „Make America weitgehend von der einseitigen Aufkündigung Great Again“ eher gering. des Klimaschutz-Abkommens von Kyoto über- lagert. Die Angst unter den Verbündeten vor US- amerikanischen Alleingängen wuchs noch, als das Weiße Haus 2001 ankündigte, den US-Senat Und – erneut allen offenkundigen Unterschie- nicht mehr mit der Ratifizierung des Kernwaffen- den zum Trotz – auch Barack Obama hat diesen teststopp-Vertrages (CTBT) befassen zu wollen. Prozess in die heutige Richtung vorangetrie- Die Bereitschaft der USA, im „Kampf gegen den ben. In seine Amtszeit fiel 2014 die Bestätigung Terror“ auch unilateral zu agieren, verschärfte des Zwei-Prozent-Ziels beim NATO-Gipfel in die Auseinandersetzung innerhalb der NATO Wales. Nach den zermürbenden Erfahrungen damals zusätzlich. der blutigen und kostspieligen Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan hatte der demokra- Nach Ansicht von Stanley R. Sloan „war der tische Ex-Präsident den US-Bürgern schon 2011 Anreiz für die Krise das Versagen der europä aber zugerufen: „America, it is time to focus on ischen Staaten, ausreichende militärische Kapazi- nation building here at home.“11 Rückblickend täten aufzubauen, um einen wesentlichen Beitrag mussten selbst Trump-kritische Kommenta- zu den Sicherheitsproblemen nach dem Kalten toren feststellen, dass die rhetorische Distanz Krieg zu leisten, und dem damit einhergehenden zwischen Obamas Aufruf inklusive der seinerzeit Verlust an Vertrauen der USA, in welchem Maße damit verbundenen politischen Implikationen, sie auf ihre europäischen Verbündeten zählen darunter die schrittweise Abwendung der bishe- könnten“. In seiner Analyse aus dem Jahr 2008 rigen globalen Ordnungsmacht U SA vom Nah- stellt Sloan zur Wahl, die Präsidentschaft von ostkonflikt, und dem vom jetzigen Präsidenten George W. Bush in Zukunft „entweder als Haupt mantraartig postulierten „Make America Great ursache der Krise oder einfach als Zünder für ein Again“ eher gering ist. Die weltweiten Reaktio- Feuer [zu sehen], dass nur darauf gewartet hatte nen, die Donald Trump kurz nach Weihnachten auszubrechen, als Verbündete auf beiden Seiten 2018 mit seinem Hinweis ausgelöst hat, die U SA des Atlantiks versuchten, ihre Wahrnehmungen „können nicht weiterhin der Polizist der Welt und Prioritäten an die neuen strategischen Reali- sein“12, sollten nicht außer Acht lassen, dass täten nach dem Ende des Kalten Krieges und dem sich dessen Amtsvorgänger praktisch mit der Untergang der Sowjetunion anzupassen.“10 Auch wortgleichen Formulierung bereits 2013 an die wenn sich zumindest die öffentliche Diskussion US-Bevölkerung wandte. 12 Auslandsinformationen 1|2019
Kurzum: Die Erwartungen und Streitpunkte, um unversöhnlich stehen sich die politischen Lager die im transatlantischen Verhältnis auf hoher und auch in den anderen Kernpunkten der innen höchster politischer Ebene derzeit gerungen wird, politischen Agenda gegenüber. haben fast durchgängig eine lange Vorgeschichte. Eigentlich nichts spricht deshalb dafür, dass die Zwar gaben bei den Zwischenwahlen sowohl die US-Regierung auf Bitten ihrer ausländischen republikanischen (63 Prozent) als auch die demo- Partner absehbar einen Kurswechsel einlei- kratischen Wähler (75 Prozent) mehrheitlich an, ten oder „den Druck aus dem Kessel“ nehmen das Gesundheitssystem müsse umfänglich refor- könnte. Im Gegenteil, wie bereits im Juli 2018 in miert werden. Nur acht Prozent der demokra einem KAS-Länderbericht festgestellt, geht in tischen Anhänger sind jedoch der Meinung, dass Washington so mancher Regierungsmitarbeiter der von Präsident Obama eingeführte Affordable davon aus, Donald Trump habe gewissermaßen Care Act (auch: Obamacare) aufgehoben werden nur die Fast-Forward-Taste gedrückt.13 Das gilt müsse. Demgegenüber sprechen sich 90 Prozent auch für die US-amerikanische Innenpolitik. der republikanischen Wähler für die Abschaf- fung des Gesetzes aus. Knapp über 90 Prozent Polarisierung als zweischneidiges Schwert der republikanischen Wähler befürworten die Steuerreform von 2017 deutlich, wohingegen Den Eindruck, konsequenter als alle seine Vor- nur acht Prozent der demokratischen Anhänger gänger endlich gegen jahrelange Missstände diese Auffassung teilen. Selbst die wirtschaftliche vorzugehen, kultiviert der Präsident unter sei- Lage wird von beiden Seiten sehr unterschiedlich nen Anhängern beharrlich. So hält er kompro- bewertet: 61 Prozent der Republikaner meinen, misslos an seinem Wahlkampf-Versprechen zum diese sei gut bis exzellent, während 78 Prozent Bau einer Mauer entlang der Grenze zu Mexiko der Demokraten angeben, der US-Ökonomie fest. Dabei ist auch dieses Vorhaben grundsätz- gehe es nicht so gut oder sogar schlecht. Gespal- lich keine Idee der jetzigen Administration. Den tener könnte das Bild mithin kaum sein. Entspre- Grundstein dafür legte bereits Bill Clinton, wenn chend gaben bei den Zwischenwahlen nur neun auch in deutlich bescheidenerem Umfang. Mit Prozent aller Wähler an, die USA seien stärker Operation Safeguard und Operation Hold the Line geeint, während 76 Prozent die Auffassung ver- bewilligte der frühere Präsident Mitte der neun- traten, die Gesellschaft bewege sich auseinan- ziger Jahre die Finanzierung von Grenzzäunen der. Die von Robert Kagan 2003 in „Of Paradise in Texas und Arizona. Unter dessen republikani- and Power“ aufgestellte These: „Amerikaner schem Nachfolger George W. Bush wurde 2006 sind vom Mars und die Europäer von der Venus“ mit dem Secure Fence Act dann ein weiterer Aus- markiert heute im übertragenen Sinne jeden- bau der Barrieren beschlossen. 64 Abgeordnete falls auch die politischen Realitäten innerhalb der Demokraten im Repräsentantenhaus und der USA. 26 demokratische Senatoren, darunter Barack Obama und Hillary Clinton, stimmten damals Der US-Präsident ist nicht der Auslöser für die für das Gesetz. Heute hingegen symbolisiert der fortschreitende Spaltung; in der ersten Hälfte Mauerbau entlang der mexikanischen Grenze seiner Amtszeit hat Trump die Polarisierung der alles, was die Demokraten an Donald Trump Gesellschaft aber in einem Maße vorangetrieben zutiefst ablehnen. Während sie sich erbittert wie keiner seiner Vorgänger. Mit seiner Strate- gegen das milliardenschwere Vorhaben wehren, gie der Konfrontation, anhaltenden und zum Teil sind nach einer Umfrage von AP VoteCast14 rund haarsträubenden Attacken gegen seine Gegner 90 Prozent der Republikaner für den Mauerbau. in Politik und Medien sowie der gleichzeitigen Fast 80 Prozent der republikanischen Anhänger Mobilisierung seiner treuen Anhängerschaft sind überdies der Meinung, dass illegale Einwan- („Trump erhält negative Bewertungen für viele derer aus den U SA ausgewiesen werden müssen, persönliche Merkmale, aber die meisten sagen, während nur 19 Prozent der demokratischen er stehe für seine Überzeugungen“15) mit Schlag- Wähler diese Auffassung vertreten. Vergleichbar worten und Formulierungen, die selbst in den Der Blick nach Westen 13
eigenen Reihen so manchem moderaten Repu- Sicher, der US-Präsident konnte auch diesmal blikaner den Angstschweiß auf die Stirn treiben, in hohem Maße seine Anhänger mobilisieren. hat Donald Trump 2016 die Präsidentschafts- In dieser Bevölkerungsgruppe genießt er immer wahl gewonnen. Die gleiche Methode – ab August noch überaus hohe Zustimmungswerte von 80 2018 hatte der US-Präsident in den für ihn wichti- bis 90 Prozent. Trumps konfrontativer Stil und gen ländlich geprägten Bundesstaaten mit einem Ton hat im November aber auch die politischen hohen weißen Bevölkerungsanteil über 30 Wahl- Gegner mobilisiert. Im Ergebnis lag die Wahl- kampfauftritte absolviert – hat den Republika- beteiligung bei etwas über 49 Prozent, höher als nern, soviel ist sicher, bei den Zwischenwahlen bei allen anderen Zwischenwahlen der letzten im November mit Blick auf das Repräsentanten- 50 Jahre. 1966, immerhin die turbulente Hoch- haus Schlimmeres erspart bzw. dazu beigetragen, phase des Civil Rights Movement in den USA, lag ihren bisher knappen Vorsprung im Senat sogar sie bei 48,7 Prozent. In einigen Wahlbezirken noch leicht auszubauen. Seit Anfang Januar sit- wurden im letzten Jahr fast so viele oder sogar zen im Repräsentantenhaus jetzt 235 Demokra- mehr Stimmen abgegeben als ansonsten bei den ten und 199 Republikaner. Dem Senat gehören Präsidentschaftswahlen (mit durchschnittlich 53 Republikaner, 45 Demokraten und zwei Unab- 55 Prozent seit dem Jahr 2000). In Ohio lag die hängige an. Letztere unterstützen die Demokra- Wahlbeteiligung gut 40 Prozent über der von ten. Allein im Repräsentantenhaus wurden fast 2014, in Florida 33 Prozent, und in Texas betrug ein Viertel aller Sitze diesmal neu besetzt; nur der Anstieg sogar 90 Prozent. Für Zwischenwah- 1992 und 2010 war die Fluktuation während der len untypisch, nahmen diesmal auch mehr junge letzten vier Jahrzehnte noch höher. Wähler im Alter zwischen 18 und 29 Jahren am Urnengang teil. In dieser Bevölkerungsgruppe betrug die Wahlbeteiligung etwas über 30 Pro- Zu den Zwischenwahlen zent und lag damit höher als in den letzten 25 mobilisierte Trump mit Jahren. Insgesamt kamen die jungen Wähler auf 13 Prozent aller abgegebenen Stimmen. seinem konfrontativen Stil und Ton sowohl Anhänger Für Professor Michael McDonald, an der Uni- als auch politische Gegner. versity of Florida zuständig für das United States Election Project, lässt sich die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung leicht begründen: „Es ist klar, dass sich hier in unserer Politik etwas geän- Für sich genommen war das Ergebnis der dert hat. Die einzige logische Erklärung für das, Abstimmung weder überraschend noch unge- was sich geändert hat, ist Donald Trump.“16 Für wöhnlich. Obwohl dieser dabei gar nicht zur diese Einschätzung spricht, dass 60 Prozent aller Wahl steht, gelten die Midterms traditionell als registrierten Wähler in einer Gallup-Umfrage17 Referendum über die Arbeit des amtierenden vom Oktober angaben, mit ihrer Stimme bei den Präsidenten. Der Verlust der Mehrheit wenigs- Midterms eine klare zustimmende oder ableh- tens in einer der beiden Parlamentskammern nende Botschaft an den US-Präsidenten senden ist bei Zwischenwahlen in den U SA eher die zu wollen. Seit 1998 betrug der Anteil derer, die Regel als die Ausnahme. Untypisch war hin- mit ihrem Votum in erster Linie den jeweils amtie- gegen, dass die Republikaner jetzt zwar ihre renden Präsidenten adressieren wollten, durch- Mehrheit im Repräsentantenhaus einbüßen schnittlich hingegen nur 47 Prozent. Donald mussten, ihren Vorsprung im Senat aber sogar Trump stand 2018 insofern stärker im Mittelpunkt noch leicht ausbauen konnten. Trotzdem ist das als seine Vorgänger bei früheren Zwischenwahlen. Kalkül der Republikaner natürlich nur zum Teil aufgegangen. Für sie erwies sich Donald Trump In den bevölkerungsarmen ländlichen Regio- bei den Zwischenwahlen als Fluch und Segen nen vieler Bundesstaaten konnten die republi- zugleich. kanischen Kandidaten mit dem Präsidenten als 14 Auslandsinformationen 1|2019
Galionsfigur überwiegend punkten. Die meisten ihn, wie es ein Journalist in seiner Frage aus- städtischen Metropolen und die hart umkämpf- drückte, „mit einem Sturm von Vorladungen zu ten Vororte fielen auch im Inland aber mehrheit- allem von der Russland-Untersuchung […] bis zu lich an die Demokraten. Diese urbanen Zentren Ihren Steuererklärungen“ überziehen. „Wenn das wachsen seit Jahren kontinuierlich. So wurden in passiert“, so Trump, „werden wir dasselbe tun Texas 43 Prozent aller Stimmen allein in den fünf und die Regierung kommt zum Stillstand.“ Die Metropolregionen des Bundesstaates abgegeben. Schuld dafür liege in dem Fall bei den Demokra- Im Ergebnis konnten sich die Republikaner dort ten, versicherte der Präsident.19 nur mit sehr knapper Mehrheit behaupten. Der konfrontative und polarisierende Stil des US-Prä- sidenten schreckt überdies vor allem weibliche Der Streit um den Bau der Wähler ab. Ihr Anteil an allen abgegebenen Mauer führte zur bisher Stimmen betrug bei den Midterms 52 Prozent. längsten Haushaltssperre. Fast 60 Prozent haben landesweit für demokra- tische Kandidaten gestimmt – knapp 13 Prozent mehr als bei den Männern. Der republikanische Senator John Cornyn bezeichnete die Zwischen- Zum Stillstand kam es dann postwendend. Aber wahlen deshalb als Weckruf für seine Partei. Die nicht wegen der Russland-Ermittlungen. Im Frage ist nun, ob Donald Trump auf diese Strö- Dezember ist ein offener Streit über das milli- mungen und die veränderten Befindlichkeiten ardenschwere Vorhaben zum Bau der Mauer innerhalb seiner Partei Rücksicht nehmen wird. entlang der Grenze zu Mexiko ausgebrochen. Anfänglich schien es so. Die erbitterte politische Auseinandersetzung führte zur bisher längsten Haushaltssperre in der Konfrontation mit ungewissem Ausgang Geschichte der Vereinigten Staaten und liefert ein beredtes Zeugnis darüber, wie gespalten die „Hoffentlich“, ließ Trump im November am Tag US-amerikanische Gesellschaft gut zehn Jahre nach den Midterms wissen, „können wir nächs- nach der Verabschiedung des Secure Fence Act tes Jahr alle zusammenarbeiten, um weiterhin nicht nur in dieser Frage ist. für die amerikanische Bevölkerung zu sorgen, einschließlich bei Wirtschaftswachstum, Infra Wie bereits erwähnt, ist Trump nicht der erste struktur, Handel, geringeren Kosten für ver- US-Präsident, dessen Partei bei einer Zwischen- schreibungspflichtige Medikamente.“ „Dies“, so wahl während der ersten Amtszeit die Mehrheit der Präsident, „sind einige der Dinge, an denen in wenigstens einer Kammer des Kongresses die Demokraten arbeiten wollen, und ich glaube verloren hat. Bill Clinton wurde zwei Jahre spä- wirklich, dass wir das schaffen werden.“ Sogar ter trotzdem wiedergewählt, das Gleiche gilt für der Umweltschutz war Trump in seiner Stel- Barack Obama. Gut möglich ist also, das Donald lungnahme wichtig: „Wir wollen kristallklares Trump gegen die demokratische Mehrheit im Wasser. Wir wollen schöne, perfekte Luft. Luft Repräsentantenhaus – erstmals sind dort im und Wasser müssen perfekt sein. Gleichzeitig Januar mehr als 100 weibliche Abgeordnete ein- wollen wir uns nicht gegenüber anderen Ländern gezogen, darunter Afroamerikanerinnen, Latinas, benachteiligen, die sehr wettbewerbsfähig sind zwei muslimische Abgeordnete und Abkömm- und sich nicht an die Regeln halten. Wir wollen linge der amerikanischen Ureinwohner – anhal- unseren Jobs nicht schaden. Wir wollen unseren tend und auch auf anderen politischen Feldern Fabriken nicht schaden. Wir wollen nicht, dass einen harten Konfrontationskurs fahren wird. Unternehmen (aus den USA) abwandern. Wir Dieses Rezept zur Wiederwahl hatte erfolgreich wollen absolut wettbewerbsfähig sein, und das schon Harry Truman angewendet, nachdem er sind wir.“18 Die Grenzen der parteiübergreifen- die Mehrheit in beiden Kammern des Kongres- den Zusammenarbeit sind für den Präsidenten ses bei den Zwischenwahlen an die Republikaner hingegen dann erreicht, wenn die Demokraten abtreten musste. Der Blick nach Westen 15
Dem US-Präsidenten käme bei dieser Vorgehens- Ob das Konzept der Polarisierung und Mobilisie- weise das amerikanische Wahlsystem zugute. rung auch bei den Präsidentschaftswahlen 2020 Denn der Regierungschef wird nicht direkt, son- aufgeht, wenn Trump und sein Vizepräsident dern durch ein Wahlkollegium mit Vertretern aus Mike Pence wiedergewählt werden wollen, ist allen Bundesstaaten gewählt. Kritiker argumen- jedoch keineswegs sicher. Jedenfalls verdeutlicht tieren, dass die Zusammensetzung des Electoral die Machtprobe um den Mauerbau, wie stark die College ländlich geprägte Bundesstaaten mit einem Zwischenwahlen vom November den Präsidenten vergleichsweise hohen und durchschnittlich älte- geschwächt haben. Zwar wissen auch die Demo- ren (Trump-freundlichen) weißen Bevölkerungs- kraten, dass ihnen ein andauernder oder wieder- anteil gegenüber urbaneren Bundesstaaten mit holter Regierungs-„Stillstand“ langfristig schaden einem größeren Anteil an (Trump-kritischen) würde, jedoch erwecken die demokratischen Minderheiten sowie jungen Menschen mit aka- Vertreter im Kongress, zumal die weiblichen und demischem Abschluss bevorzugt. die Vertreter der Minderheiten, keineswegs den Der weiße Block: Mehr als 100 weibliche Abgeordnete sind bei den letzten Midterms neu in den Kongress einge- zogen, darunter Afroamerikanerinnen, Latinas, zwei muslimische Abgeordnete und Abkömmlinge der amerikani- schen Ureinwohner. Quelle: © Jonathan Ernst, Reuters. 16 Auslandsinformationen 1|2019
Eindruck, als wollten sie sich mit den von Donald 1 The White House 2019: Remarks by President Trump Trump abgesteckten Chancen und Grenzen für in Cabinet Meeting, 03.01.2019, in: https://bit.ly/ 2AuwRGt [14.01.2019]. die checks and balances kampflos arrangieren. 2 Ebd. Gleichzeitig wird Widerstand in den eigenen 3 Trump, Donald 2019 via Twitter: „We have defeated Reihen laut. Kurz vor seinem Einzug in den Senat ISIS in Syria, my only reason for being there during konstatierte der frühere Präsidentschaftskandi- the Trump Presidency“, 19.12.2018, in: https://bit.ly/ 2LqOprb [14.01.2019]. dat Mitt Romney in einem Zeitungskommentar, 4 US-Botschaft Berlin 2018: Ausstieg der Vereinigten die „Trump-Präsidentschaft machte im Dezember Staaten aus dem Atomabkommen mit Iran, US- einen tiefen Abstieg“. Das Verhalten des Präsiden- Botschaft und Konsulate in Deutschland, 08.05.2018, ten „in den letzten zwei Jahren, insbesondere sein in: https://bit.ly/2ROVYgO [14.01.2019]. 5 CNN 2002: „Bush and Mubarak Meet“ (Transcript), Verhalten im letzten Monat“ sei, so Romney, ein 05.03.2002 (Sendedatum), in: https://cnn.it/2QNb8Pb Beweis dafür, dass der Präsident seines Amtes [14.01.2019]. nicht gerecht werde. „In einer so gespaltenen, 6 Becker, Elizabeth 2003: U.S. Tariffs on Steel Are Illegal, verärgerten und aufgebrachten Nation ist die Füh- World Trade Organization Says, The New York Times, 11.11.2003, in: https://nyti.ms/2VSCEyD [14.01.2019]. rung des Präsidenten in C haraktereigenschaften 7 Sky News 2018: Donald Trump threatens to pull unerlässlich.“ In diesem Bereich „ist der Rück US out of World Trade Organisation, Sky News, stand“ des Amtsinhabers in den Worten des 31.08.2018, in: https://bit.ly/2SWa7q2 [14.01.2019]. republikanischen Senators „am eklatantesten“.20 8 NATO 2014: Wales Summit Declaration, N ATO, 05.09.2014, in: https://bit.ly/2QFyWVS [14.01.2019]. Romneys Parteifreunde im Senat reagierten eini- 9 Bundesministerium der Verteidigung: N ATO-Gipfel germaßen fassungslos auf die öffentliche Kritik an 2014: Erhöhte Einsatzbereitschaft, in: https://bit.ly/ Donald Trump. Der Wahlkampf für die Präsident- 2Rs68F0 [14.01.2019]. schaftswahl 2020 hat damit im Grunde genom- 10 Sloan, Stanley R. 2008: How and Why Did N ATO Survive Bush Doctrine?, N ATO Defense College, men jedoch begonnen. 10/2008, in: https://bit.ly/2HcdCqS [14.01.2019]. 11 The White House 2011: Remarks by the President on the Way Forward in Afghanistan, 22.06.2011, in: Paul Linnarz ist Leiter des Auslandsbüros der https://bit.ly/2M7skhJ [14.01.2019]. Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington D.C. 12 Fritze, John / Vanden Brook, Tom / Jackson, David 2018: Trump defends Syria policy during surprise visit with US troops in Iraq, U SA TODAY, 26.12.2018, in: https://bit.ly/2Q5FM5U [14.01.2019]. 13 Vgl. Linnarz, Paul 2018: Wie weiter mit den U SA?, KAS-Länderbericht, 07/2018, in: https://bit.ly/ 2MdG8r6 [14.01.2019]. 14 Vgl. Bowman, Karlyn / Ornstein, Norman / Barone, Michael 2018: Election 2018: What Voters Said, AEI Political Report, American Enterprise Institute, 11/2018, in: https://bit.ly/2HbqflZ [14.01.2019]. 15 Pew Research Center 2018: Trump Gets Negative Ratings for Many Personal Traits, but Most Say He Stands Up for His Beliefs, Pew Research Center, 01.10.2018, in: https://pewrsr.ch/2QmCpIr [14.01.2019]. 16 Vesoulis, Abby 2018: The 2018 Elections Saw Record Midterm Turnout, Time, 13.11.2018, in: https://ti.me/ 2qK4KgW [14.01.2019]. 17 Vgl. Brenan, Megan 2018: U.S. Voters Using Midterms to Send Trump a Message, Gallup, 02.11.2018, in: https://bit.ly/2Fr7oS7 [14.01.2019]. 18 The White House 2018: Remarks by President Trump in Press Conference After Midterm Elections, 07.11.2018, in: https://bit.ly/2PftE6W [14.01.2019]. 19 Ebd. 20 Romney, Mitt 2019: The president shapes the public character of the nation. Trump’s character falls short, The Washington Post, 01.01.2019, in: https://wapo.st/ 2CoeEdy [14.01.2019]. Der Blick nach Westen 17
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