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DGAPkompakt Nr. 22 / Oktober 2018 US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress Sabine Ruß-Sattar Bei den US-Zwischenwahlen am 6. November geht es nicht nur darum, ob die De- mokraten eine oder gar beide Parlamentskammern zurückerobern können. Damit der Kongress in Zukunft den Präsidenten wieder wirksam kontrollieren kann, müssen die Abgeordneten bereit sein, gegebenenfalls jenseits der binären Machtlogik der Partei- en zu handeln. In der hoch polarisierten politischen Konjunktur haben es moderate Kandidaten aber schwer. Damit schwindet die Hoffnung auf mehr Stabilität in der Innen- oder Außenpolitik der USA. Die amerikanische Demokratie gründet auf dem Austa- Die Zwischenwahlen als Trump-Plebiszit rieren der Macht zwischen dem Präsidenten und dem Wenige Wochen vor den Zwischenwahlen mehren sich Kongress. Dieses von der Verfassung gewollte Spannungs- die Anzeichen für eine Kräfteverschiebung zugunsten verhältnis funktioniert allerdings nur dann, wenn die Mit- der Partei der Demokraten im Kongress. Zur Wahl stehen glieder des Kongresses imstande sind, in kritischen Fragen alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses und ein Drittel auch einmal über Parteilinien hinweg zusammenzuar- des Senats. Zugleich finden in einem Teil der Gliedstaaten beiten. Angesichts der völlig verhärteten Linien zwischen Gouverneurswahlen und Wahlen auf der Ebene der Coun- Demokraten und Republikanern in beiden Häusern ist ties und Kommunen statt. das derzeit unmöglich. Deswegen wäre es dringend nötig, Traditionell dominieren bei den Zwischenwahlen die dass nach den Zwischenwahlen im November gemäßigte lokale Perspektive und die zur Wahl stehenden Persön- Politiker und Politikerinnen in das Repräsentantenhaus lichkeiten. Trotzdem bieten die Midterm Elections seit und vor allem in den Senat einziehen. Nur dann kann der jeher auch eine Gelegenheit, die Politik des Präsidenten Kongress den Volten von US-Präsident Donald Trump in nach der ersten Hälfte seiner Amtszeit zu bewerten. der internationalen Politik etwas entgegensetzen. Angesichts der heftigen Kontroversen um US-Präsident Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft Trump und seiner Politik spielt diese nationale Ebene und Politik erschwert die Rückkehr in die politische beim Wahlgang 2018 eine besonders wichtige Rolle. Mitte. Auch das Mehrheitswahlsystem und das System Eine Umfrage des Pew Research Center vom Juni 2018 der Vorwahlen erweist sich alles andere als hilfreich. zeigt, dass 68 Prozent der Befragten es für ihre Wahl- Mobilisieren lassen sich Parteibasis und Wählerschaft entscheidung wichtig finden, welche Partei am Ende im am leichtesten mit radikalen Forderungen und offensiver Kongress die Mehrheit hat; das ist ein Rekord. 60 Prozent Kritik. Einen neuen Akzent setzt immerhin das Kandida- nannten zudem ihre Meinung zum Präsidenten zentral tenfeld der Demokraten, das 2018 diverser und weiblicher für ihre Wahlentscheidung.1 geworden ist.
US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress 2 Die Anhängerschaft der Demokraten ist hoch mobi- werden von Trump-freundlichen Medien wie Fox News lisiert. 2016 hatte die demokratische Kandidatin Hillary als „side show“ abgetan. Clinton einen Vorsprung von drei Millionen Stimmen. Bei der Berechnung der Erfolgschancen für dieWahlen Dass Trump trotzdem siegte, hat ein tiefes Trauma hin- darf zudem nicht vergessen werden, dass die vorliegen- terlassen. Diese demokratischen Wähler sehen jetzt die den repräsentativen Umfragen landesweite Meinungs- Chance auf ein Anti-Trump-Plebiszit. Dies zeigt sich an trends erfassen, die Wahlen aber von den Kandidaten in der Rekordhöhe der eingegangenen Kleinspenden 2 und sehr unterschiedlich aufgestellten Wahlkreisen nach dem an der starken Beteiligung bei den Vorwahlen. Gelingt es Mehrheitswahlrecht gewonnen werden müssen. In vielen den Demokraten, die Mehrheit in einer oder sogar beiden der von Republikanern regierten Einzelstaaten haben Kammern des derzeit von der Republikanischen Partei die Gouverneure außerdem von ihrem Recht Gebrauch dominierten Kongresses zurückzuerobern, können sie gemacht, die Grenzen der Wahlkreise neu zu ziehen, und den Präsidenten nicht nur stärker kontrollieren, sondern zwar zu Gunsten ihrer eigenen Partei („Gerrymande- auch umstrittene Vorhaben wie die Mauer an der Grenze ring“). zu Mexiko stoppen. Der Graben zwischen den politischen Lagern ist so tief Angesichts des nahezu ausgeglichenen Kräfteverhältnis- wie nie, und dennoch lässt sich die politische Landschaft ses zwischen den beiden großen Parteien ist die Mobilisie- nicht auf die Formel „Für oder wider Trump“ reduzieren. rung der eigenen Wählerschaft wahlentscheidend. Das hat Schenkt man den Zuspitzungen im Wahlkampf Glauben, sich bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2016 gezeigt: kommt laut demokratischer Lesart ein Votum für einen Am Ende waren es nur wenige 10.000 Stimmen in den republikanischen Kandidaten einem Votum für Trump traditionellen Hochburgen der Demokraten Wisconsin, gleich und bedeutet das Ende von „Obamacare“. Umge- Pennsylvania und Michigan, die Clinton zum Sieg fehlten. kehrt ist nach Trumps bzw. republikanischer Lesart jedes Teile der Arbeiterschaft blieben zuhause, weil sie nicht für Votum für einen demokratischen Kandidaten ein Votum die als elitär kritisierte Kandidatin stimmen wollten. für offene Grenzen. Tatsächlich ist die politische Gemen- Dieses Mal könnten dank der starken Anti-Trump- gelage komplizierter. Innerhalb der Demokratischen Mobilisierung mehr demokratische Wähler an die Urnen ebenso wie der Republikanischen Partei herrscht Uneinig- gehen – 48 Prozent bezeichnen sich als „starke Trump- keit in Bezug auf inhaltliche und strategische Positionen. Gegner“, im Vergleich zu nur 27 Prozent „starken Trump- Unterstützern“ auf der republikanischen Seite. Zudem ist das Interesse an den Wahlen bei den Demokraten um 16 Strategischer Dissens bei der Opposition Prozentpunkte höher als bei den Republikanern.3 Die Demokraten sind zwischen radikaler Opposition und Die Demokraten hoffen darauf, dass die Zollpolitik des moderatem Establishment tief gespalten. Spitzenpolitiker Präsidenten, die Schaden für den Export landwirtschaft- wie Nancy Pelosi, Dianne Feinstein, Chuck Schumer, John licher Produkte wie Soja und Fleisch befürchten lässt, Kerry und Joe Biden wollen Obamacare bewahren, aber Wähler in den ländlichen Republikaner-Hochburgen auch an niedrigen Steuern als Mittel zur Ankurbelung der des Jahres 2016 von dieser Wahl fernbleiben lässt. Auch Wirtschaft festhalten. So wollen sie klassische Republika- statistisch kann sich die Demokratische Partei Chancen ner-Wähler gewinnen, die von der Politik und dem Amts- ausrechnen: Bislang hat die Partei, die den Präsidenten stil Trumps verschreckt sind. In diesem Kontext ist auch stellt, immer dann bei den Zwischenwahlen Sitze verlo- der Auftritt Barack Obamas in Orange County in Kalifor- ren, wenn dessen Zustimmungsraten zur Halbzeit unter nien am 8. September zu sehen. Obama unterstützte dort 40 Prozent lagen. In der Woche vom 10. bis 16. September einen ehemaligen Republikaner, der nun auf dem Ticket ermittelte die Umfrageforschung von Gallup für Trump der Demokraten antritt, um Freihandel – einen ehemals eine Zustimmungsrate von 38 Prozent und Ablehnungsra- zentralen Bestandteil der republikanischen Programma- te von 56 Prozent.4 tik – gegen Trumps Protektionismus zu verteidigen. Die Doch der Erfolg ist den Demokraten alles andere als Parteiführung der Demokraten will einen polarisierenden sicher. Immerhin ist die wirtschaftliche Lage gut, und Wahlkampf nach dem Motto „Trump muss weg“ vermei- die Arbeitslosenzahlen sinken. So verwundert es nicht, den, weil dies die Trump-Befürworter an die Wahlurnen dass auch Präsident Trump Interesse daran hat, die treiben könnte. Auch wollen sich die Demokraten nicht Halbzeitwahlen zum Plebiszit über seine Politik zu ma- darauf festlegen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen chen. In den Augen seiner Wähler hat Trump alle Wahl- den Präsidenten anzustreben. versprechen gehalten. Die Skandale in seinem Umfeld Im Gegensatz dazu stehen die Kandidaten, die sich im politischen Vokabular der USA als „progressiv“ bezeich- DGAPkompakt / Nr. 22 / Oktober 2018
US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress 3 nen und gegenüber Trump auf Konfrontation setzen. Sie Besonders die jüngeren Wählergruppen reiben sich an vertreten einen linksliberalen und nach europäischem der aggressiv restriktiven Einwanderungspolitik Trumps.8 Verständnis teilweise sogar linken Kurs im Sinne des Wie weit die Demokraten aber insgesamt nach links Beinahe-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders. Das rücken, lässt sich noch nicht eindeutig beantworten. Bei 2016 geschaffene Unterstützernetzwerk dieses demokra- den demokratischen Vorwahlen in Delaware und Virginia tischen Sozialisten zeigt sich nachhaltig aktiv und hat konnten sich die Mandatsinhaber gegen weiter linksste- nun eine bunte Riege neuer Kandidaten ins Rennen der hende Herausforderer behaupten. Insgesamt zählt eine Vorwahlen geschickt, unter ihnen viele Frauen.5 Wie im Brookings-Studie bei den erfolgreichen Vorwahl-Kandi- programmatischen Buch „Our Revolution“ von Sanders daten 101 „Progressive“ und 139 Establishment-Kandida- dargelegt, geht es um die Bekämpfung der wachsenden ten (ohne Berücksichtigung von wieder kandidierenden sozialen Ungleichheit durch eine umfassende Steuer- Amtsinhabern).9 reform, die Einführung einer allgemeinen öffentlichen Gleichwohl zeigt eine weitere Brookings-Analyse, Krankenversicherung nach skandinavischem Vorbild, um dass linksliberale Forderungen bei den demokratischen kostenlose Bildung und um Klimaschutzpolitik. Politikern inzwischen insgesamt auf mehr Resonanz Vertreter dieser sogenannten progressiven Strömung stoßen. Dazu gehören beispielsweise der Vorschlag sehen die Republikaner und insbesondere Trump als für eine umfassende öffentliche Krankenversicherung Gefahr für Frauen- und Minderheitenrechte sowie als „Medicare for all“10 und die Erhöhung des Mindestlohns Zerstörer der amerikanischen Demokratie. Bei den An- auf 15 Dollar pro Stunde. Allerdings ist fraglich, ob dies hörungen des konservativen Richters Brett Kavanaugh, auch für weiterreichende Forderungen der Parteilinken den Präsident Trump für das US-Verfassungsgericht gilt. Jenseits der Ostküste dürfte weder eine umfassende nominiert hatte, verschafften sie sich lautstark Gehör. Steuerreform mit einer höheren Belastung für Unterneh- Sie kritisierten nicht zuletzt die Führung der Demokrati- men und Reiche noch die von Ocasio-Cortez geforderte schen Partei im Senat, weil diese die Anhörungen nicht Abschaffung der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) boykottieren wollte. bei der Mittelschicht Anklang finden.11 Einigen linksliberalen Kandidatinnen gelangen bei den Vorwahlen Überraschungssiege gegen etablierte Politiker. So setzten sich in New York die Latina Alexandria Ocasio- Die Republikaner als Vehikel für Cortez und in Boston die afroamerikanische Kandidatin Trumps Agenda Ayanna Pressley gegen altgediente Kongressmitglieder Das innerparteiliche Kräfteverhältnis bei den Republika- durch. Gerade in Boston waren es jedoch weniger die nern ist kompliziert, und das gilt auch für ihr Verhältnis inhaltlichen Unterschiede, die für diesen Erfolg entschei- zu Trump. Bislang erträgt die Partei den Präsidenten. Sie dend waren. Die demokratische Basis schätzte Pressley scheint auch als Vehikel seiner Politik zu funktionieren. als weibliche Vertreterin der wachsenden nicht-weißen Der Militärhistoriker Max Boot spricht gar von einem Minderheiten als vertrauenswürdiger ein als den langjäh- Stockholm-Syndrom der Republikanischen Partei, also rigen Amtsinhaber. davon, dass die „Geisel“ G.O.P. („Große Alte Partei“, die Tatsächlich erneuert sich die Demokratische Partei Republikaner) ihren „Geiselnehmer“ liebt.12 Tatsächlich derzeit personell. Das zeigt auch die erfolgreiche Nomi- mutierten nach dem Amtsantritt Trumps zahlreiche nierung von afro-amerikanischen und hispanischen Kan- seiner innerparteilichen Gegner zu loyalen Unterstützern. didaten für die Gouverneursposten in Florida, Georgia, Andere Gegner ist der Präsident inzwischen losgeworden: Maryland und Arizona. Hier vollzieht die Demokratische Klassische sozialkonservative Republikaner wie Paul Ryan Partei einen für ihren zukünftigen Erfolg wesentlichen oder Jeff Flake13 stellen sich nicht mehr zur Wahl; der kon- Generationswechsel. Die soziodemografische Entwick- sequent widerborstige John McCain – unter anderem ein lung arbeitet für die Demokraten, denn sie verfügen Verteidiger von Obamacare – ist jüngst verstorben.14 über einen deutlichen Sympathievorsprung bei jungen Werden republikanische Politiker nach ihrer ideolo- Menschen, Frauen und nichtweißen Minderheiten (wobei gischen Einstellung befragt, wählen sie laut Umfragen letztere allerdings unterdurchschnittlich auf den Wähler- meist die Etikette „konservativ“ oder „unternehmens- listen registriert sind).6 Die soziale Machtbasis, über die und wirtschaftsorientiert“. Einige wenige greifen auf der Seiteneinsteiger Trump mit den von ihm gekaperten „Tea-Party“ zurück. Unter dieser Bezeichnung sammelte Republikanern verfügt, schrumpft dagegen. Für die sich vor einem Jahrzehnt eine aus libertären und sozial- Zukunft zeichnen Demografen das Bild eines ethnisch konservativen Elementen bestehende Bewegung. Sie ent- hyperdiversen Amerikas.7 stand aus Protest gegen „Big Government“ in Washington: DGAPkompakt / Nr. 22 / Oktober 2018
US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress 4 zunächst die Kriseninterventionspolitik des damaligen agitiert – und ein bekannter Trump-Getreuer ist. Trump Präsidenten George W. Bush nach der Finanzkrise 2008 gratulierte auf Twitter.19 und dann Obamas Gesundheitsreform. Tatsächlich Der gleiche Kampf zwischen traditionellen Republika- gelang es der Tea Party, die alte republikanische Partei nern und Vertretern des rechten Flügels ist in Pennsylva- und den amerikanischen Konservatismus regelrecht nia zu beobachten. Dort unterlag die Trump-Unterstütze- umzukrempeln15 und dadurch Raum für den Außenseiter rin und Tea-Party-Aktivistin Christina Hagan dem von der Trump zu schaffen. Parteiführung favorisierten Kandidaten Anthony Gonza- Viele von denen, die sich 2018 als „konservativ“ be- lez, erhielt aber immerhin 41 Prozent der Stimmen. Ha- zeichnen, sind dies in einem von der Tea Party geprägten gan hatte versucht, durch die Weitergabe offensichtlich Sinne. Trump selbst war nie ein Tea-Party-Unterstützer. manipulativer Meldungen über einen „illegalen Migran- Seine wirtschafts- und handelspolitischen Ansätze stehen ten und Drogendealer mit Namen Gonzalez“, einen realen in offenem Gegensatz zu den libertären Teilen des in der Kriminellen, den Namen ihres Gegners in den Schmutz Tea Party anzutreffenden Ideen-Sammelsuriums. Gleich- zu ziehen. Die Parteiführung sah sich gezwungen, von wohl sind die Tea-Party-Anhänger, die nach wie vor aktiv Hagan ein Ende dieser Kampagne zu verlangen. vernetzt sind und von Stiftungen wie Freedom Works Kritiker sprechen schon vom Ende der „Großen Alten gefördert werden, eine Säule der Trumpschen Macht. Der Partei“; sie sei nur noch eine leere Hülle, die von Trump ideologische Kleber dieser auf den ersten Blick unpassen- benutzt werde. Eine Brookings-Studie relativiert je- den Koalition hat zwei Komponenten: Erstens die gemein- doch die These von der Übernahme durch Trump. Eine same Anti-Establishment-Attitüde und zweitens illiberale Auswertung des Vorwahlkampfs der republikanischen Einstellungen, basierend auf der Angst, der „American Kandidaten ohne Sitz im Kongress ergab, dass 53 Prozent way of life“ sei bedroht. der Herausforderer Trump überhaupt nicht erwähnten. Republikaner aus klassisch-konservativem Holz, wie Nur 37 Prozent sprachen positiv von ihm. Von den letzt- McCain es war, stehen in Opposition zu Trumps Ein- genannten war jeder Dritte bei den Vorwahlen erfolg- wanderungspolitik. Für Kontroversen sorgt auch der in reich.20 Außerdem verweisen Beobachter darauf, dass die jüngster Zeit wieder in brutaler Schärfe zu Tage tretende Spitzenpolitiker der republikanischen Kongressmehrheit Rassenkonflikt sowie Fragen des Geschlechterverhältnis- in informellen Gesprächen – und somit unhörbar für die ses und der sexuellen Identität und Selbstbestimmung. Öffentlichkeit – ihre eigene Linie Trump gegenüber sehr Mit den letztgenannten Punkten schafft Trump, der selbst wohl deutlich machen.21 nicht sonderlich religiös auftritt, jedoch den Brücken- schlag zu evangelikalen und anderen religiös-konser- vativen Kreisen innerhalb der republikanischen Anhän- Wie stark ist der Kontrollhebel? gerschaft, die sich über die Abtreibungsfrage politisch Gerade bei europäischen Beobachtern ist der Eindruck mobilisieren lassen.16 entstanden, dass Präsident Trump in der Außen- und In einer politischen Konjunktur, die durch die Überla- Außenhandelspolitik die alte Garde der republikanischen gerung von Fragen der sozio-ökonomischen Ungleichheit Partei überfahren hat. Zumindest hat sie es versäumt, und der Identitätspolitik aufgeheizt ist, haben Republika- ihre Möglichkeiten zur Steuerung insbesondere über den ner, die sich offen gegen Trump stellen, einen schweren Senat auszuschöpfen. Dafür spricht, dass beispielsweise Stand. Zu diesem verminten Themenfeld gehören – wie Bob Corker, der republikanische Vorsitzende des außen- bereits genannt – Fragen des Geschlechterverhältnisses politischen Senatsausschusses, bei seinen Parteikollegen (#metoo), der gefährlich schwelende Rassenkonflikt17 keine Unterstützung für einen Gesetzentwurf fand, der („Black Lives Matter“), aber auch die umstrittene Erin- eine Mitsprache des Senats bei der Verhängung von Zöl- nerung an den amerikanischen Bürgerkrieg und letztlich len und Handelshemmnissen festgeschrieben hätte. auch der Streit um das Waffenrecht. So verlor der von Es liegt aber nicht nur an der Willfährigkeit repu- der lokalen Parteiführung der Republikaner unterstütz- blikanischer Senatoren gegenüber Trump, dass die te Trump-Kritiker Mark Sanford bei den Vorwahlen in Kontrollhebel in der Außenpolitik nicht mehr greifen. South Carolina. Seine Herausforderin Katie Arrington Insgesamt sind die Machtressourcen des Senats im hatte ihre Loyalität zu Präsident Trump ins Zentrum ihres Bereich der Außenpolitik immer schwächer geworden. Wahlkampfes gestellt und Donald Trump persönlich sich Die seit den 1990er Jahren intensivierte parteipolitische zu ihren Gunsten per Twitter eingemischt.18 In Virginia Polarisierung erschwert parteiübergreifende Initiativen, siegte der rechtsradikale Kandidat Corey Stewart, der ge- die veränderte Arbeitsorganisation (mehr Ausschüsse gen Einwanderung und für den Stolz der Konföderierten pro Senator, mehr Fluktuation) erschwert den Aufbau DGAPkompakt / Nr. 22 / Oktober 2018
US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress 5 von Expertise, und die Medien prämieren die Innen- und muss die ideologische Ausrichtung der bei den Wahlen nicht die Außenpolitik.22 erfolgreichen Politiker mit in Rechnung stellen. Es geht Trotz alledem kann Trump nicht „durchregieren“: 2017 nicht nur darum, wie es die neuen Senatoren und Ab- verhängte der Kongress gegen seine Wünsche Sanktionen geordneten mit Trump und seinem „America first“-Kurs gegen Russland. Am 12. September, in Sichtweite der Zwi- halten. Mit Blick auf die Verfassung der USA lautet die schenwahlen, unterzeichnete der Präsident dann ein De- eigentliche Gretchenfrage: Seid Ihr bereit, im Kongress kret, das Einmischung aus dem Ausland in amerikanische auch einmal über die Parteigrenzen hinweg zusammen- Wahlabläufe sanktioniert (und die Entscheidung über zuarbeiten? Sanktionen dem Präsidenten überlässt). Dies geschah An der Bereitschaft, bestimmte politische Vorhaben auf Druck des Kongresses hin. Dieser hatte zuvor ein – auch jenseits der Parteilinien durchzusetzen oder zu deutlich strengeres23 – Gesetz unter Federführung des verhindern, erkennt man in der politischen Arena der Republikaners Marco Rubio (Florida) und des Demokra- Vereinigten Staaten die Mitte. Die Turbulenzen im Senat ten Chris Van Hollen (Maryland) vorbereitet („Defending um die Ernennung von Brett Kavanaugh, der von Präsi- Elections from Threats by Establishing Red Lines Act“). dent Trump für das Verfassungsgericht nominiert wurde, Bemerkenswert ist, dass es sich hierbei um eine par- stimmen pessimistisch. Sie haben in drastischer Weise teiübergreifende Initiative handelt. In der ideologisierten vor Augen geführt, wie tief sich die amerikanischen Par- Konjunktur von heute ist das eine politische Rarität. Für teien in ihren Lagern verschanzt haben.24 den Erhalt des institutionellen Gefüges, auf dem die frei- Die Aussichten auf eine Kurskorrektur der amerikani- heitliche amerikanische Demokratie basiert, sind solche schen Politik nach November 2018 sind nur verhalten gut. Initiativen allerdings notwendig. Dafür muss es ausrei- Auch wenn die Chancen der Demokraten auf die Erobe- chend viele gemäßigte Politiker geben. Denn nur solange rung der Mehrheit mindestens im Repräsentantenhaus die Machtfrage zwischen Präsident und Kongress offen ist, nicht schlecht stehen, sind die Aussichten gering, dass da- bleibt die Souveränität beim Volk. durch das Lagerdenken im Kongress überwunden werden kann. Ohne eine verhandlungs- und kompromissbereite Mitte wird der Kongress als Gegenmacht zur Exekutive Fazit: Weichenstellung für die jedoch funktionell entkernt. Insofern ist es nicht übertrie- amerikanische Demokratie ben, die kommenden Zwischenwahlen als Weichenstel- In den Medien wird vor allem danach gefragt, ob es den lung für die amerikanische Demokratie zu bezeichnen. Demokraten gelingen wird, bei den Zwischenwahlen die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses zurückzuer- obern. Doch diese Betrachtung greift zu kurz. Von Belang Sabine Ruß-Sattar ist Professorin für Politikwissenschaft ist nicht nur das an Mandaten abzählbare Kräfteverhält- an der Universität Kassel und Associate Fellow im nis. Wer wissen will, welche Perspektiven es für eine be- Programm Frankreich/deutsch-französische Beziehungen rechenbare amerikanische Innen- und Außenpolitik gibt, der DGAP. DGAPkompakt / Nr. 22 / Oktober 2018
US-Demokratie ohne „checks and balances“? Ohne eine kompromissbereite Mitte entmachtet sich der Kongress 6 Anmerkungen 1 Pew Research Center, Voters More Focused on 25 sich als moderat bezeichnende Politiker und 18 Vgl. Donald Trump (@realDonaldTrump) auf Control of Congress – and the President – than Politikerinnen und 96 „Sonstige“, vgl. (abgerufen am 14.09.2018). 10 Elaine Kamarck, Alexander R. Podkul, Ni- auf Twitter, 13.06.2018, 02:55 Uhr, (abgerufen am announces Best May ever with $11.3 M Raised, matter?, in: Brookings Institution Blog Fixgov, 10.10.2018). 19.06.2018, , 3 NBC/WSJ poll: Trump’s support has gotten (abgerufen am 08.10.2018). hier: Elaine Kamarck, Alexander R. Podkul, Is deeper — but not broader (Umfrage vom 1.bis 4. 11 Zur Rolle der ICE, der Diskussion bei den Demo- the Republican Party really Donald Trump’s Juni 2018), in: NBC News, 07.06.2018, (abgerufen am 17.09.2018). 12 Max Boot, Republicans Have Stockholm (abgerufen am 14.09.2018). „Conscience of a Conservative“ veröffentlichten Council Foreign on Foreign Relations, 14. August 6 Elaine Kamarck, Alexander R. Podkul, Nicholas Buch zum Agieren seiner Partei: „We pretended 2018, (abgerufen am 11.09.2018). 14.06.2018, (abgerufen am 08.10.2018); verzichtete auf eine erneute Kandidatur, weil er Trumps Dekret die Entscheidung über das Ob und allerdings sorgt die derzeitige Gestaltung der sich in der Vorwahlrunde keine Chancen gegen Wie von Sanktionen beim Präsidenten verbleibt. Wahlverfahren für eine Benachteiligung der einen Trump-Getreuen ausgerechnet hatte. 24 Zwar unterbreitete der republikanische Senator sozial schwachen Minderheiten, insbesondere in 14 Tatsächlich treten dieses Mal besonders viele Jeff Flake im letzten Moment vor der Abstim- der Gruppe der afro-amerikanischen Wahlbe- republikanische Mandatsinhaber nicht mehr an. mung im zuständigen Senatsausschuss noch rechtigten, vgl. Carol Anderson, One Person, No Vgl. Nathan L. Gonzales, House Retirement Tide einen Kompromissvorschlag, den er mit dem Vote. How Voter Suppression is Destroying Our is Coming, 05.09.2017, (abgerufen am 14.09.2018). zwischenparteiliche Zusammenarbeit, sondern politischen Konsequenzen, vgl. William H. Frey, 15 Theda Skocpol, Vanessa Williams, The Tea Party war als Ausnahme eine Überraschung für alle; Diversity Explosion. How New Racial Demogra- and the Remaking of American Conservatism, vgl. Michael Shear, Nicholas Fandos, Michael phics are Remaking America, o.O. 2018. Oxford 2012. S. Schmidt, A Tumultuous 24 Hours: How 8 Pew Research Center, The Generation Gap 16 Für diese kultur-konservativen, illiberalen Kreise Jeff Flake Delayed a Vote on Kavanaugh, in: in American Politics, 1. März 2018, (abgerufen am 14.09.2018). 17 Dies ist einerseits ein Identitätskonflikt, hat aber 30.09.2018). 9 Dabei handelt es sich um Selbstbezeichnungen. bekanntlich andererseits auch eine sehr materiel- Zudem gab es bei den Vorwahlen der Demokraten le und sozio-ökonomische Komponente. DGAPkompakt / Nr. 22 / Oktober 2018 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. This work is licensed under a Creative Commons Attribution – NonCommercial – NoDerivatives 4.0 International License. Die DGAP trägt mit wissenschaftlichen Untersu- Herausgeber chungen und Veröffentlichungen zur Bewertung Deutsche Gesellschaft für internationaler Entwicklungen und zur Diskus- Auswärtige Politik e.V. sion h ierüber bei. Die in den Veröffentlichungen ISSN 2198-5936 geäußerten Meinungen sind die der Autoren. Redaktion Eva-Maria McCormack, Rauchstraße 17 / 18 . 10787 Berlin Bettina Vestring Tel. +49 (0)30 25 42 31 -0 / Fax -16 Layout /Satz Reiner Quirin info@dgap.org . www.dgap.org Designkonzept Carolyn Steinbeck · Gestaltung
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