Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt - Das Scheitern der EU-Diplomatie und Alternativen zu einem neuen Krieg

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Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt

         Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt
        Das Scheitern der EU-Diplomatie und Alternativen zu einem neuen Krieg

                                          Von Mohssen Massarrat

Einleitung                                             auch Schlussfolgerungen, die einen Gewaltein-
                                                       satz als Mittel zur Konfliktlösung legitimieren:
                                                       „Sollte Teheran nicht zu mehr Flexibilität bereit
Der Iran-Atomkonflikt wird in der öffentlichen         sein“, so Oliver Thränert von der Stiftung Wissen-
Debatte überwiegend darauf zurückgeführt, dass         schaft und Politik „dürfte es kaum eine andere
das iranische Atomprogramm nicht nur energie-          Möglichkeit geben, als zu versuchen, durch Be-
politische Ziele, sondern auch militärische Ziele      schlussfassung des UN-Sicherheitsrates Iran auch
verfolgt und dass die „internationale Gemein-          mit nicht-kooperativen Mitteln von seinen allem
schaft“ aus Sorge um die Nicht-Weiterverbreitung       Anschein nach bestehenden Absichten, sich eine
von Atomwaffen Iran zu einer Änderung seiner           Atomwaffenoption zu verschaffen, abzubringen.“
Atompolitik bewegen will.                              Diese die Anwendung von nicht-kooperativen
In der Logik dieser Konfliktbeschreibung liegen        Mitteln, letztlich einen neuen Krieg befürwortende
Position, die inzwischen leider in Europa und in       iranische Regierung - demzufolge 15 – 20 Atom-
Deutschland zur Mainstream-Position geworden           kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von
ist, ist empirisch einseitig und unterschlägt die      20.000 MW erforderlich. Anderenfalls wäre der
vielschichtigen Motive und Interessenlagen auf         Iran gezwungen, bald die gesamte Öl- und Gas-
beiden Seiten des Konflikts.                           produktion für den einheimischen Verbrauch
                                                       einzusetzen (gegenwärtig beträgt dieser Anteil
Der Iran verfolgt mit seinem Atomprogramm
                                                       40%), mit der Folge, dass seine Deviseneinnah-
energiepolitische, sicherheitspolitische sowie wirt-
                                                       men auf Null sinken würden. Diese doch be-
schafts- und technologiepolitische Ziele mit na-
                                                       trächtliche nukleare Kraftwerkskapazität setze –
tional-symbolischer Bedeutung.
                                                       so Teheran – einen eigenständigen iranischen
Der Westen verfolgt dagegen einerseits das Ziel
                                                       Brennstoffkreislauf, d.h. die Herstellung von yel-
zu verhindern, dass der Iran eine regionale
                                                       low cake, die Erzeugung des gasförmigen Uran-
Atommacht wird. Andererseits kristallisiert sich
                                                       hexafluorid (UF6) und schließlich die Urananrei-
auch immer deutlicher heraus, dass sich
                                                       cherung auf 3% voraus. Nur so könne langfristig
hinter dem Vorwand der Nichtweiterverbreitung
                                                       die eigene energiepolitische Unabhängigkeit und
von      Atomwaffen      eine      Strategie    der
                                                       Sicherheit garantiert werden. Mit einer ähnlichen
flächendeckenden Weiterverbreitung von Atom-
                                                       Argumentation schuf 1975 das mit den USA ver-
energie und handfeste Interessen der internatio-
                                                       bündete Schah-Regime - seinerzeit mit Zustim-
nalen, vor allem der US-amerikanischen Nu-
                                                       mung und Unterstützung von USA und Europa -
klearindustrie verbirgt.
                                                       das iranische Atomprogramm, das schon damals
                                                       den vollständigen Brennstoffkreislauf einschloss.
Im Folgenden sollen zunächst die Motive und
                                                       1981 - also nach der islamischen Revolution, die
Interessen beider Seiten näher erläutert und dann
                                                       1979 stattfand - beschloss die neue islamische
Alternativen zum Gewalteinsatz und Krieg skiz-
                                                       Führung, das nukleare Programm des alten Re-
ziert werden.
                                                       gimes weiterzuführen. Inzwischen sind ca. 4.000
1. Energie- und nukleartechnologische
                                                       hoch dotierte Ingenieure und Wissenschaftler in
Motive
                                                       der iranischen Nuklearindustrie beschäftigt, die -
Das iranische Energieministerium prognostiziert
                                                       ganz in Übereinstimmung mit der Propaganda
bis 2025 den Bedarf einer Kraftwerkskapazität
                                                       der europäisch-amerikanischen Nuklearindustrie
von 100.000 Megawatt, die gegenwärtige Kapa-
                                                       - den Atomstrom als die einzige Alternative zu
zität beträgt ca. 40.000 MW. Dieser Bedarf wird
                                                       erschöpfbaren fossilen Energiequellen erklären
mit steigender Bevölkerungszahl und wachsen-
                                                       und dafür plädieren, die Atomenergie zum zwei-
dem Lebensstandard begründet. Zur Deckung
                                                       ten Standbein der iranischen Energieversorgung
des wachsenden Strombedarfs seien – so die
                                                       zu machen. Die Prognosen zum Strombedarf
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entsprechen den Wünschen iranischer Atomener-         gieversorgung ins Spiel gebracht. Ganz im Ge-
gieexperten, die genauso willkürlich und unbe-        genteil erklärte sich die EU in ihrem Angebot vom
gründet sind wie die Strombedarfsprognosen der        8. August 2005 bereit, Iran beim massiven Aus-
deutschen Atomindustrie vor 30 Jahren. Erstens        bau der Atomenergie zu unterstützen, allerdings
werden in dieser Prognose die technologischen         mit der nicht verhandelbaren Bedingung eines
Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz     dauerhaften iranischen Verzichts auf Urananrei-
und Absenkung des Bedarfs in großem Umfang            cherung. Diese Bedingung liefe aus iranischer
nicht berücksichtigt. Zweitens wird die Perspektive   Sicht jedoch darauf hinaus, die für die Sicherheit
der Nutzung von regenerativen Energiequellen,         der Energieversorgung sensibelste Stufe der nu-
deren Potentiale im Iran beträchtlich sind, als       klearen Energieerzeugung ins Ausland zu verla-
Alternative zur Nuklearenergie und ein zweites        gern und sich in eine dauerhafte Abhängigkeit zu
Standbein neben den fossilen Energiequellen           begeben.
systematisch ausgeblendet.                            Alle Fraktionen der iranischen Elite lehnen dieses
Die USA und die EU haben bisher weder die             Ansinnen mit einem durchaus einsichtigen Argu-
iranischen Strombedarfsprognosen, und damit           ment rundweg ab: „Wir wollen“, so die überwie-
die angepeilte nukleare Kraftwerkskapazität in        gende Ansicht der Regierung und des Parlaments
Frage gestellt noch von sich aus die Alternative      „die Abhängigkeit von eigenen fossilen Energie
regenerativer Energietechnologien für Irans Ener-
quellen reduzieren, aber nicht um den Preis einer     den Präzedenzfall für zwei Klassen von Staaten
neuen energiepolitischen Abhängigkeit, und dazu       mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen: Er-
noch einer Abhängigkeit vom Ausland bzw. von          stens die Industriestaaten, allen voran die USA,
Staaten, die uns nicht freundlich gesinnt sind“.      mit allen rechtlichen Möglichkeiten der AKW-
Tatsächlich wäre der Iran dadurch jederzeit er-       Produktion und weltweiten Exports. Und zweitens
pressbar und seine kostspieligen Atomanlagen          die Länder des Südens, denen die Rolle zugewie-
wären im Konfliktfall keinen Pfifferling mehr wert.   sen wird, die AKWs importieren zu dürfen, im
Teheran wirft den USA und der EU vor, unter           übrigen aber von fremder Brennstoffversorgung,
dem Vorwand der Nicht-Weiterverbreitung von           und damit der Nuklearindustrie der Industrielän-
Atomwaffen die Weiterverbreitung und den flä-         der de facto langfristig abhängig zu werden. Für
chendeckenden Export von Atomkraftwerken ab-          diese Annahme spricht, dass im 35-seitigen EU-
sichern und entgegen den Bestimmungen des             Angebot an den Iran die Handschrift der interna-
Atomsperrvertrages (NPT) zwei Klassen von             tionalen Nuklearindustrie nicht zu übersehen ist.
Staaten mit unterschiedlichen Rechten schaffen zu     Die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und
wollen.                                               England vermieden es in diesem Angebot konse-
Präzedenzfall Iran                                    quent, dem Iran zur Deckung der Bedarfslücke
Die Annahme ist durchaus nicht abwegig, dass          anstelle von Atomtechnik als zweites Standbein
im Süden eine von der internationalen Nuklear-        regenerative Energietechnologien anzubieten,
industrie, hauptsächlich der US-Nuklearindustrie,     obwohl ein derartiges Angebot dem Unabhän-
abhängige Energieversorgung etabliert werden          gigkeitsargument der iranischen Seite Rechnung
soll. Angesichts der weltweit steigenden Energie-     tragen und dem iranischen Atomprogramm auf
nachfrage, der sinkenden fossilen Energieres-         glaubwürdige Weise die energiepolitische Legiti-
sourcen und der Notwendigkeit zur Reduktion           mation entziehen würde. Es ist jedenfalls unbe-
von CO2 rechnet die internationale Nuklearin-         greiflich, warum ausgerechnet der grüne Außen-
dustrie mit einer Renaissance der Atomkraft-          minister und die rot-grüne Bundesregierung es
werke, zumal vor allem die US-Nuklearindustrie        versäumt haben, die regenerative Energiealter-
Prototypen von Mini-AKWs entwickelte, die auch        native wenigstens ins Spiel zu bringen, zumal nur
in ländlichen Gebieten dezentral installiert wer-     diese Alternative auch die sicherste Garantie
den könnten. Doch diese langfristig angelegte         dafür darstellt, die Weiterverbreitung von Atom-
Strategie der Weiterverbreitung von Atomenergie       waffen zu verhindern. Indem die drei EU-Staaten
erfordert gleichzeitig eine überzeugende neue         diese Alternative bisher an keiner Stelle auch nur
Strategie der Nicht-Weiterverbreitung von Atom-       erwähnen und ausschließlich die Atomenergie in
waffen, zumal NPT sich dazu als lückenhaft er-        den Vordergrund stellen, setzen sie sich dem
wiesen hat. In diesem Kontext ist es naheliegend,     Verdacht aus, den Iran-Konflikt für die Sanierung
durch Iran notfalls auch mittels Gewalteinsatz
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt

der internationalen Nuklearindustrie instrumenta-    melsrichtungen. Die EU ignorierte in ihrem An-
lisieren zu wollen.                                  gebot Ende August diese Realität völlig. Ihr An-
                                                     gebot, auf eine Bedrohung Irans mit britischen
2. Das sicherheitspolitische Motiv                   und französischen Atomwaffen zu verzichten, ist
Der Iran ist eine regionale Mittelmacht, sicher-     ein Hohn und eine Beleidigung für die Intelligenz
heitspolitisch aber der militärischen Überlegen-     des iranischen Militärs und der Sicherheitsbera-
heit seiner strategischen Hauptgegner, nämlich       ter. Obgleich die iranische Regierung wohlweis-
der Hegemonialmacht USA und dem Ministaat            lich jegliches Junktim zwischen ihrem Atompro-
Israel gleichermaßen, hoffnungslos ausgeliefert.     gramm und dem Sicherheitsdilemma vermeidet,
Nicht nur die gegenwärtige islamische Regie-         ist nicht von der Hand zu weisen, dass Irans Mi-
rung, sondern auch eine demokratisch säkulare        litär auf die Atomwaffenoption drängt. Der ge-
Regierung wird sich mit dem bestehenden „Si-         plante Schwerwasserreaktor in der Nähe der
cherheitsdilemma“ nicht abfinden. Irans Nach-        Stadt Arak, der für die Produktion von waffenfä-
barstaaten Pakistan und Russland sind Atom-          higem Plutonium geeignet ist, sowie das Pro-
staaten, Israels Atomwaffen (200-300 Atom-           gramm zum Ausbau von Trägerraketen lassen
sprengköpfe und alle dazu erforderlichen Träger-     auf die Absicht schließen, sich die technologi-
systeme) stellen für den Iran eine aktuelle Bedro-   schen und wissenschaftlichen Kapazitäten für die
hung dar. Hinzu kommt die militärische Einkrei-      militärische Option zu verschaffen. Dabei geht es
sung Irans durch die USA von allen vier Him-
dem Iran um die Herstellung der Balance of Po-       es bedroht gleichzeitig aber alle anderen Staaten
wer und eines Gleichgewichts des Schreckens,         in der Region und zwingt diese dazu, sich eben-
getreu den international immer noch vorherr-         falls Atomwaffen zu beschaffen. Dadurch wird
schenden sicherheitspolitischen Doktrinen.           Israels Bevölkerung zur Geisel einer permanenten
Israel ist dagegen entschlossen, die atomare         Angst und Unsicherheit, dass es irgendeinem
Vormachtstellung im Mittleren und Nahen Osten        Staat der Region doch noch gelingen könnte,
unter keinen Umständen aus der Hand zu geben         den jüdischen Staat mit Atomwaffen oder ande-
und gegnerische Nuklearprojekte, wie 1981 in         ren Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Aus
Irak, präventiv zu zerstören. Schenkt man einer      dieser Perspektive sind Israels Atomwaffen die
informativen Spiegel-Titelgeschichte Glauben,        schlechteste aller Optionen, um sein Existenz-
stand Israel tatsächlich auch bereits zwei Mal       recht zu garantieren. „Zu viel militärische Macht
kurz davor, Atombomben gegen arabische               bringt nicht automatisch mehr Sicherheit, sondern
Nachbarn einzusetzen: 1973 im Yom-Kippur-            gefährdet sie eher“, lautet der Lehrsatz des neo-
Krieg und 1982 zu Beginn des Libanonkrieges.         klassischen Realismus, der vor dem Hintergrund
Die USA und offensichtlich auch die EU wollen,       des atomaren Overkills im Ost-West-Konflikt
dass Israel seine atomar gestützte militärische      formuliert und als allgemein gültig anerkannt
Vormachtstellung behält. „Viele Menschen be-         worden ist. Der Verdacht liegt jedoch nahe, es
greifen nicht hinreichend“, sagte Joschka Fischer    geht den Vereinigten Staaten bei ihrer Mittelost-
als deutscher Außenminister in einem Zeit-Inter-     Politik nicht in erster Linie um die Verteidigung
view „warum Israel eine Position der militärischen   der Existenz Israels, sondern darum, die Existenz-
Überlegenheit braucht.“ Wer aber von Israels         ängste der israelischen Bevölkerung für eigene
militärischer Stärke spricht, der meint natürlich    geopolitische Ziele in einer der sensibelsten Re-
auch dessen Atomwaffenarsenal und nimmt wis-         gionen der Welt zu instrumentalisieren.
send oder nicht wissend unweigerlich auch in         Ein Zustand der Unsicherheit, der Instabilität und
Kauf, dass Israel gegebenenfalls davon Ge-           der permanenten gegenseitigen Bedrohung liefert
braucht macht. Als moralische Rechtfertigung         tatsächlich einen permanenten Grund für Partei-
dafür wird auf das Existenzrecht des jüdischen       nahme, Einmischung und schließlich auch militä-
Staates und auf die Rhetorik führender Politiker     rische Interventionen, die den eigenen geopoliti-
der Region, wie jüngst die inakzeptable Äußerung     schen Interessen dienlich sind.
des iranischen Staatspräsidenten Ahmadined-
schad „der Schandfleck wird ohne Zweifel aus         3. Symbolisches Motiv:
dem Schoß der islamischen Welt verschwinden“,
                                                     Atomprogramm als nationales Projekt Das ener-
hingewiesen. Das Monopol an Atomwaffen
                                                     giepolitische Motiv Irans deckt sich weitgehend
macht Israel einerseits militärisch unangreifbar,
DJF Quarterly 01 / 2006

mit seinem sicherheitspolitischen Motiv. Atom-         Noch deutlicher legt sich der konservativ orien-
energieexperten wähnen sich im Bündnis mit den         tierte Teil der iranischen Elite um den neuen ira-
Technokraten und der militärischen Elite der is-       nischen Präsidenten auf das nukleare Projekt fest.
lamischen Republik in einem festen Bündnis.            „Der nukleare Brennstoffkreislauf“, sagte der
Doch es geht um mehr: Es geht um die Mobili-           neue Chef von Irans Nationalem Sicherheitsrat,
sierung aller, auch der regimekritischen Iraner für    Larijani, „ist ein Recht und zugleich auch ein Be-
ein vermeintlich nationales und Identität stiften-     dürfnis, ... kein Volk kann am Zugang zu dieser
des Projekt. Inzwischen ist das Atomprogramm           Technologie gehindert werden. Dabei dürfen wir
tatsächlich für alle politischen Fraktionen im Iran,   nicht übersehen, Ahmadineschat siegte und
für Reformer wie für die Konservativen, auch für       übernahm die Macht, weil er die Idee und das
die studentische Opposition, die für Demokratie        Ziel für Iran verfolgte, diese Technologie zu be-
und den säkularen Staat eintritt, zu einem sym-        herrschen und den erreichten Stand zu verteidi-
bolischen nationalen Projekt geworden, an des-         gen. Er fühlt sich diesem Anliegen nachhaltig
sen Fundamenten gegenwärtig niemand rütteln            verpflichtet. Damit ist dieses Projekt eine natio-
kann und will. Selbst Irans ehemaliger Staatsprä-      nale Idee und ein nationales Ziel geworden. Es
sident und Reformer Khatami verteidigte das nu-        ist ein großer Fehler des Westens, dass er diese
kleare Projekt, da es „unseren nationalen Interes-     allgemein verbreitete Auffassung der Iraner igno-
sen, unserer nationalen Ehre, unserer Zukunft          riert.“
entspricht und unser Fortschritt davon abhängt.“       Die Parallele zwischen Mossadeghs Projekt der
Nationalisierung der iranischen Ölindustrie vor        gen Energieversorgung scheint so gut wie ausge-
55 Jahren und dem nuklearen Projekt liegt auf          schlossen zu sein. Einseitige Forderungen ohne
der Hand. Mossadeghs Projekt trug tatsächlich          seriöse Gegenleistungen, wie das EU-Angebot
erheblich zum Nationalbewusstsein und zum              vom 8. August 2005 , sind zum Scheitern verur-
Souveränitäts- und Freiheitsgefühl im modernen         teilt. Auch die USA bestehen entsprechend der
Iran bei. Die kollektive Erinnerung daran, dass es     oben dargestellten ökonomischen, sicherheits-
die USA und Großbritannien waren, die vor über         und geostrategischen Motive weiterhin auf ihrem
einem halben Jahrhundert Mossadeghs Projekt            Standpunkt, Iran zu einem Verzicht auf Uranan-
der Nationalisierung des Erdöls gewaltsam zu           reicherung zu zwingen. Die EU-Diplomatie ist
Fall brachten, bestätigt viele Iraner in der Auffas-   gescheitert und befindet sich inzwischen im
sung, dass es dem Westen auch diesmal darum            Schlepptau der amerikanischen Iran-Politik. Auch
geht, Irans Souveränität aushebeln zu wollen,          der russische Vorschlag, die Urananreicherung
und dass so wie damals die eigenständige Ölin-         auf russischem Boden durchzuführen, dürfte an
dustrie nun heute die Schaffung einer eigenstän-       der Absicht Teherans scheitern, sich wegen der
digen Nuklearindustrie im Iran verhindert werden       Atomstromproduktion nicht vom Ausland abhän-
soll. Doch kann das nukleare Projekt seine sym-        gig machen zu wollen. Durch die Logik vom
bolische Funktion genauso schnell wieder verlie-       scheinbar unauflösbaren Gegensatz zwischen
ren wie sie entstanden ist. Das nukleare Projekt       den Konfliktparteien gerät eine weitere Konflikt-
verschlingt beträchtliche Ressourcen des Landes        zuspitzung - letztlich auch ein Krieg - immer mehr
und ist ökonomisch nicht tragfähig. Es schafft         in den Bereich der Wahrscheinlichkeit, und dies
mehr Abhängigkeit und Konflikte, ohne für Irans        trotz der massiven Rückschläge für die USA und
Energiebedarf einen nennenswerten Beitrag zu           die Neokonservativen im Irak. Die US-Regierung
leisten.                                               glaubt, ohne Bodentruppen und durch die Zer-
                                                       störung von Irans Atomanlagen aus der Luft die
4. Wie wahrscheinlich ist ein neuer                    iranische Bedrohung abzuwenden und dabei im
Krieg?                                                 Unterschied zum Fall Irak die Weltöffentlichkeit
                                                       auf ihrer Seite zu haben. Washington verfügt
Die islamische Regierung hat sich auf das Recht
                                                       zweifelsohne über detaillierte Planungen für einen
zur Urananreicherung und die Beherrschung des
                                                       Luftangriff gegen iranische Atomanlagen. Sey-
gesamten Brennstoffkreislaufs festgelegt. Ein Ab-
                                                       mour Hersh, die Koryphäe im investigativen
weichen von diesem Ziel ohne objektive Sicher-
                                                       Journalismus der USA, enthüllte im ebenso re-
heitsgarantien zur Überwindung von Irans Si-
                                                       nommierten wie vorsichtigen „New Yorker“ Mitte
cherheitsdilemma und ohne nachvollziehbare
                                                       Januar 2005 die Angriffsabsichten der US-Neo-
Antworten für die Möglichkeit einer selbstständi-
                                                       konservativen. „Bei meinen Recherchen während
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt

der beiden vergangenen Monate wurde ich al-           Indizien für eine Art psychologische Kriegsvorbe-
lerdings mit viel undiplomatischeren Auffassun-       reitung erhärten die Annahme ernsthafter Kriegs-
gen konfrontiert. Die Falken in der Regierung         absichten der Vereinigten Staaten. Dazu gehört
rechnen damit, dass sich schon bald das Schei-        die systematische Stigmatisierung Irans als un-
tern der europäischen Vermittlungsbemühungen          glaubwürdige Konfliktpartei. Die in den neunzi-
mit Teheran herausstellen wird.“ Dann sei der         ger Jahren begangenen Rechtsbrüche werden
Zeitpunkt gekommen, an dem die US-Regierung           immer wieder aufgefrischt, obwohl Irans Atom-
zur Tat schreiten müsse. „Wir reden hier nicht        anlagen inzwischen zu den weltweit bestkontrol-
über irgendwelche Positionspapiere des Natio-         lierten Anlagen gehören. Zu beobachten sind
nalen Sicherheitsrats“, betonte der frühere Spit-     auch die systematischen „Enthüllungen“, die das
zenagent. „Über diese Hürde sind die längst hin-      Unglaubwürdikeitsstigma festigen sollen. Im No-
weg. Es geht nicht mehr darum, ob sie irgendet-       vember 2005 wurde die Meldung der
was gegen Iran unternehmen. Sie werden es             Entdeckung eines Laptops mit geheimen Details
tun.“ (Hersh in: Der Spiegel 4/2005)                  lanciert. Tatsächlich liegt dieser Laptop dem CIA
                                                      aber bereits seit einem Jahr vor und enthält kei-
Scott Ritter, ehemaliger Irak-UN-Beauftragter, will
                                                      neswegs derart hochstilisierte Geheiminforma-
von der dezidierten Absicht der USA wissen, Iran
                                                      tionen. Ein fünfseitiges Dokument mit Zeichnun-
durch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat ver-
                                                      gen zum Bau von Atombomben wurde ebenfalls
pflichten zu wollen, der IAEA sowohl die Kontrolle
                                                      im November als neue Enthüllung deklariert.
seiner nuklearen wie auch aller militärischen Ein-
                                                      Tatsächlich hatte aber der Iran selbst dieses Do-
richtungen zu jedem Zeitpunkt und ohne Voran-
                                                      kument der IAEA übergeben. Besonders gravie-
meldung zu erlauben. Da jedoch der Iran - wie
                                                      rend ist die Umkehrung der Beweislast für den
vorauszusehen ist - eine derart weitreichende
                                                      Iran, keine Absicht zum Bau von Atombomben zu
Resolution als Angriff auf die eigene Souveränität
                                                      hegen. Da jegliche iranische Beteuerung in
auffassen und daher zurückweisen würde, fühlte
                                                      Zweifel gezogen werden kann, dürfte der Iran
sich die US-Regierung hinreichend legitimiert, mit
                                                      immer auf der Anklagebank sitzen. Zu den psy-
oder auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates
                                                      chologischen Kriegsvorbereitungen gehören auch
gegen den Iran Krieg zu führen und z. B. Irans
                                                      die periodisch aufgestellten Behauptungen, der
nukleare und militärische Anlagen aus der Luft zu
                                                      Iran sei für das Chaos im Irak mitverantwortlich,
bombardieren.
                                                      weil er die Terroristen unterstütze und mit der Al
Daniel Ellsberg, der durch die Veröffentlichung
                                                      Kaida zusammenarbeite.
von Geheimdokumenten des Pentagons zum
Vietnamkrieg zum vorzeitigen Ende des Krieges
                                                      5. Über die Rolle der EU und Alternati-
beitrug, hält es für wahrscheinlich, dass die US-
                                                      ven zu einem neuen Krieg
Regierung einen Luftkrieg gegen den Iran unter-
                                                      Die EU-Diplomatie scheiterte nicht nur an Tehe-
nehmen wird, und zwar zu einer Zeit, die ihr poli-
                                                      ran, sondern auch an Washington. Durch die
tisch geeignet erscheint. Glaubte man den Aus-
                                                      Ablehnung jedweder, für Iran unverzichtbarer
sagen in dem Unternehmenskreisen nahestehen-
                                                      Sicherheitsgarantien hatte Washington die EU-
den Magazin „Vertrauliche Mitteilungen aus Poli-
                                                      Diplomatie in der Hand und ließ sie mit der Ab-
tik, Wirtschaft und Geldanlage“, dann hätten US-
                                                      sicht, den Fall vor den UN-Sicherheitsrat zu brin-
Unterhändler bereits im Oktober 2005 mit den
                                                      gen und selbst den weiteren Ablauf in die Hand
Vertretern wichtiger Industrienationen und inter-
                                                      zu nehmen, scheitern. Den EU-Drei Deutschland,
nationaler Finanzinstitutionen Stützungsmaßnah-
                                                      England und Frankreich bleibt jetzt - sofern sie
men für Börsen- und Währungskurse vereinbart,
                                                      sich aus der Iran-Falle der USA nicht herauslösen
die im Falle eines Krieges gegen den Iran ergrif-
                                                      - keine andere Wahl, als der US-Taktik im Si-
fen werden sollten. Dabei ginge es vor allem
                                                      cherheitsrat zu folgen und schließlich auch einen
darum zu verhindern, dass der US-Dollar seine
                                                      Luftkrieg der USA moralisch zu legitimieren. Auch
Funktion als Öl-Leitwährung verliert. "Die Ge-
                                                      Russland, das sich bisher gegen eine mögliche
sprächsteilnehmer wurden instruiert, dass das
                                                      Resolution des Sicherheitsrates gewandt hat,
Eingreifen der USA im März 2006 erforderlich
                                                      droht angesichts eines voraussehbaren Scheiterns
werden könnte. Die Planungen gehen offenbar
                                                      seiner Initiative das gleiche Schicksal wie der EU,
von einem möglichen Angriff zu diesem Termin
                                                      der US-Eskalationsstrategie nichts mehr entge-
aus."
                                                      gensetzen zu können. Mögliche Alternativen zu
DJF Quarterly 01 / 2006

einem drohenden Krieg sind allesamt komplex           aber er verspricht größere Realisierungschancen
und erscheinen sogar mehr oder weniger als            und ist gleichzeitig auch eine zukunftsfähige Ant-
utopisch. Aber es gibt sie und es kommt darauf        wort auf viele andere grenzüberschreitende Kon-
an, sie von der visionären auf eine politisch-        fliktfelder, wie z.B. territoriale Streitigkeiten, ethni-
praktische Ebene zu bringen:                          sche Konflikte, grenzüberschreitende Nutzung
Erstens die multilaterale Kontrolle sämtlicher        von Energiequellen und Gewässern etc. Die USA
Atomanlagen in Industrie- und Entwicklungslän-        werden sicherlich über einen derartigen Vorstoß
dern entsprechend des Vorschlags von El Bara-         nicht gerade glücklich sein. Dagegen ist die Per-
dei, und damit die völkerrechtliche Gleichstellung    spektive eines befriedeten Mittleren und Nahen
aller Staaten. Dieser Weg wäre konsequent und         Ostens für Europa in vieler Hinsicht von existen-
auch ein entscheidender Schritt in Richtung einer     zieller Bedeutung. Auch Russland und China
weltweiten Abrüstung von Atomwaffen. Allerdings       hätten keinen konkreten Anlass dagegen zu sein
muss damit gerechnet werden, dass kein Atom-          und dürften einen Vorstoß in diese Richtung
waffenstaat sich darauf einlassen wird, und dass      wahrscheinlich unterstützen. Die EU ist die ein-
damit dieser Weg vorerst keine Antwort auf den        zige politische und moralische Kraft, mit diesem
Atomkonflikt mit Iran liefert.                        Vorschlag aufzuwarten und ihn mit konkreten
Zweitens die multilaterale Kontrolle der Uranan-      Schritten zu koppeln. Dazu gehört die Einberu-
reicherungsanlagen Irans und auch anderer             fung einer baldigen regionalen Konferenz für
Schwellenländer mit einem Atomprogramm auf            Sicherheit und Zusammenarbeit, die seriös vor-
internationalem Boden, wie vom SIPRI vorge-           bereitet und demnächst durchgeführt werden
schlagen worden ist. Auf eine derartige Möglich-      müsste. Damit wird nicht zuletzt Iran signalisiert,
keit würden sich der Iran und auch andere Län-        sein Sicherheitsdilemma ernst zu nehmen, so
der nicht einlassen, da sie letztlich dazu führen     dass auch der Iran sich aller Wahrscheinlichkeit
würde, zwei Klassen von Staaten mit unterschied-      nach bis auf Weiteres zu einem Verzicht auf
lichen Rechten zu schaffen. Die Abhängigkeit          Urananreicherung bereit erklären könnte. Dieser
vom Ausland bliebe bei dieser Alternative beste-      Vorstoß müsste, um innerhalb von Europa ak-
hen, eine objektive Sicherheitsgarantie für die       zeptanzfähig zu sein und auch Israels vermutlich
dauerhafte Lieferung von nuklearen Brennstäben        massive Gegnerschaft abzumildern, mit konkre-
könnte die UN letztlich nur im Falle eines UN-        ten Vorschlägen sowie unzweifelhaften und ob-
Gewaltmonopols geben. Andernfalls besteht             jektiven Sicherheitsgarantien für die Existenz Isra-
immer die Möglichkeit, dass die USA oder an-          els z.B. durch die USA und die EU gekoppelt
dere Staaten die Brennstofflieferung militärisch      sein. Die EU sollte dem Iran gleichzeitig auch
verhindern. Zudem macht dieser Vorschlag den          den Vorschlag unterbreiten, ihm regenerative
Weg für eine flächendeckende Weiterverbreitung        Energietechnologien zu liefern und das Land bei
von Atomkraftwerken in den Entwicklungsländern        der Etablierung eines zukunftsfähigen und um-
frei. Darüber hinaus gibt dieser Weg keine Ant-       weltfreundlichen zweiten Standbeins zur Energie-
wort auf Irans Sicherheitsdilemma und die Abrü-       versorgung zu unterstützen. Dieser Weg öffnet
stung im Nahen und Mittleren Osten.                   immerhin ein neues Fenster des Friedens und
Drittens der Vorstoß zu konkreten Schritten für ein   setzt mit der Perspektive zur Schaffung einer Or-
System der gemeinsamen Sicherheit und Zusam-          ganisation der regionalen Sicherheit und Zu-
menarbeit im Mittleren und Nahen Osten analog         sammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten
zum KSZE-Prozess mit dem Ziel der Schaffung           (OSZMNO) einen Prozess in Gang, dem sich auf
einer atomwaffenfreien Zone in der gesamten           Dauer kein Staat der Region, weder der Iran
Region. Dies ist zwar auch kein einfacher Weg,        noch Israel, wird verschließen können.

Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni-
versität Osnabrück mit den Forschungsschwerpunkten Mittlerer und Naher Osten, Energie, Friedens- und
Konfliktforschung, Nord-Süd-Konflikt.
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt

Der Text ist sein Vortrag, gehalten beim 12. Friedenspolitischen Ratschlag am 3./4. Dezember 2005 in
der Universität Kassel.

Quelle: attac-gk.net-hh.de/index.php - http://attac-gk.net-
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