Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt - Das Scheitern der EU-Diplomatie und Alternativen zu einem neuen Krieg
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Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt Das Scheitern der EU-Diplomatie und Alternativen zu einem neuen Krieg Von Mohssen Massarrat Einleitung auch Schlussfolgerungen, die einen Gewaltein- satz als Mittel zur Konfliktlösung legitimieren: „Sollte Teheran nicht zu mehr Flexibilität bereit Der Iran-Atomkonflikt wird in der öffentlichen sein“, so Oliver Thränert von der Stiftung Wissen- Debatte überwiegend darauf zurückgeführt, dass schaft und Politik „dürfte es kaum eine andere das iranische Atomprogramm nicht nur energie- Möglichkeit geben, als zu versuchen, durch Be- politische Ziele, sondern auch militärische Ziele schlussfassung des UN-Sicherheitsrates Iran auch verfolgt und dass die „internationale Gemein- mit nicht-kooperativen Mitteln von seinen allem schaft“ aus Sorge um die Nicht-Weiterverbreitung Anschein nach bestehenden Absichten, sich eine von Atomwaffen Iran zu einer Änderung seiner Atomwaffenoption zu verschaffen, abzubringen.“ Atompolitik bewegen will. Diese die Anwendung von nicht-kooperativen In der Logik dieser Konfliktbeschreibung liegen Mitteln, letztlich einen neuen Krieg befürwortende Position, die inzwischen leider in Europa und in iranische Regierung - demzufolge 15 – 20 Atom- Deutschland zur Mainstream-Position geworden kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von ist, ist empirisch einseitig und unterschlägt die 20.000 MW erforderlich. Anderenfalls wäre der vielschichtigen Motive und Interessenlagen auf Iran gezwungen, bald die gesamte Öl- und Gas- beiden Seiten des Konflikts. produktion für den einheimischen Verbrauch einzusetzen (gegenwärtig beträgt dieser Anteil Der Iran verfolgt mit seinem Atomprogramm 40%), mit der Folge, dass seine Deviseneinnah- energiepolitische, sicherheitspolitische sowie wirt- men auf Null sinken würden. Diese doch be- schafts- und technologiepolitische Ziele mit na- trächtliche nukleare Kraftwerkskapazität setze – tional-symbolischer Bedeutung. so Teheran – einen eigenständigen iranischen Der Westen verfolgt dagegen einerseits das Ziel Brennstoffkreislauf, d.h. die Herstellung von yel- zu verhindern, dass der Iran eine regionale low cake, die Erzeugung des gasförmigen Uran- Atommacht wird. Andererseits kristallisiert sich hexafluorid (UF6) und schließlich die Urananrei- auch immer deutlicher heraus, dass sich cherung auf 3% voraus. Nur so könne langfristig hinter dem Vorwand der Nichtweiterverbreitung die eigene energiepolitische Unabhängigkeit und von Atomwaffen eine Strategie der Sicherheit garantiert werden. Mit einer ähnlichen flächendeckenden Weiterverbreitung von Atom- Argumentation schuf 1975 das mit den USA ver- energie und handfeste Interessen der internatio- bündete Schah-Regime - seinerzeit mit Zustim- nalen, vor allem der US-amerikanischen Nu- mung und Unterstützung von USA und Europa - klearindustrie verbirgt. das iranische Atomprogramm, das schon damals den vollständigen Brennstoffkreislauf einschloss. Im Folgenden sollen zunächst die Motive und 1981 - also nach der islamischen Revolution, die Interessen beider Seiten näher erläutert und dann 1979 stattfand - beschloss die neue islamische Alternativen zum Gewalteinsatz und Krieg skiz- Führung, das nukleare Programm des alten Re- ziert werden. gimes weiterzuführen. Inzwischen sind ca. 4.000 1. Energie- und nukleartechnologische hoch dotierte Ingenieure und Wissenschaftler in Motive der iranischen Nuklearindustrie beschäftigt, die - Das iranische Energieministerium prognostiziert ganz in Übereinstimmung mit der Propaganda bis 2025 den Bedarf einer Kraftwerkskapazität der europäisch-amerikanischen Nuklearindustrie von 100.000 Megawatt, die gegenwärtige Kapa- - den Atomstrom als die einzige Alternative zu zität beträgt ca. 40.000 MW. Dieser Bedarf wird erschöpfbaren fossilen Energiequellen erklären mit steigender Bevölkerungszahl und wachsen- und dafür plädieren, die Atomenergie zum zwei- dem Lebensstandard begründet. Zur Deckung ten Standbein der iranischen Energieversorgung des wachsenden Strombedarfs seien – so die zu machen. Die Prognosen zum Strombedarf
DJF Quarterly 01 / 2006 entsprechen den Wünschen iranischer Atomener- gieversorgung ins Spiel gebracht. Ganz im Ge- gieexperten, die genauso willkürlich und unbe- genteil erklärte sich die EU in ihrem Angebot vom gründet sind wie die Strombedarfsprognosen der 8. August 2005 bereit, Iran beim massiven Aus- deutschen Atomindustrie vor 30 Jahren. Erstens bau der Atomenergie zu unterstützen, allerdings werden in dieser Prognose die technologischen mit der nicht verhandelbaren Bedingung eines Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz dauerhaften iranischen Verzichts auf Urananrei- und Absenkung des Bedarfs in großem Umfang cherung. Diese Bedingung liefe aus iranischer nicht berücksichtigt. Zweitens wird die Perspektive Sicht jedoch darauf hinaus, die für die Sicherheit der Nutzung von regenerativen Energiequellen, der Energieversorgung sensibelste Stufe der nu- deren Potentiale im Iran beträchtlich sind, als klearen Energieerzeugung ins Ausland zu verla- Alternative zur Nuklearenergie und ein zweites gern und sich in eine dauerhafte Abhängigkeit zu Standbein neben den fossilen Energiequellen begeben. systematisch ausgeblendet. Alle Fraktionen der iranischen Elite lehnen dieses Die USA und die EU haben bisher weder die Ansinnen mit einem durchaus einsichtigen Argu- iranischen Strombedarfsprognosen, und damit ment rundweg ab: „Wir wollen“, so die überwie- die angepeilte nukleare Kraftwerkskapazität in gende Ansicht der Regierung und des Parlaments Frage gestellt noch von sich aus die Alternative „die Abhängigkeit von eigenen fossilen Energie regenerativer Energietechnologien für Irans Ener- quellen reduzieren, aber nicht um den Preis einer den Präzedenzfall für zwei Klassen von Staaten neuen energiepolitischen Abhängigkeit, und dazu mit unterschiedlichen Rechten zu schaffen: Er- noch einer Abhängigkeit vom Ausland bzw. von stens die Industriestaaten, allen voran die USA, Staaten, die uns nicht freundlich gesinnt sind“. mit allen rechtlichen Möglichkeiten der AKW- Tatsächlich wäre der Iran dadurch jederzeit er- Produktion und weltweiten Exports. Und zweitens pressbar und seine kostspieligen Atomanlagen die Länder des Südens, denen die Rolle zugewie- wären im Konfliktfall keinen Pfifferling mehr wert. sen wird, die AKWs importieren zu dürfen, im Teheran wirft den USA und der EU vor, unter übrigen aber von fremder Brennstoffversorgung, dem Vorwand der Nicht-Weiterverbreitung von und damit der Nuklearindustrie der Industrielän- Atomwaffen die Weiterverbreitung und den flä- der de facto langfristig abhängig zu werden. Für chendeckenden Export von Atomkraftwerken ab- diese Annahme spricht, dass im 35-seitigen EU- sichern und entgegen den Bestimmungen des Angebot an den Iran die Handschrift der interna- Atomsperrvertrages (NPT) zwei Klassen von tionalen Nuklearindustrie nicht zu übersehen ist. Staaten mit unterschiedlichen Rechten schaffen zu Die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und wollen. England vermieden es in diesem Angebot konse- Präzedenzfall Iran quent, dem Iran zur Deckung der Bedarfslücke Die Annahme ist durchaus nicht abwegig, dass anstelle von Atomtechnik als zweites Standbein im Süden eine von der internationalen Nuklear- regenerative Energietechnologien anzubieten, industrie, hauptsächlich der US-Nuklearindustrie, obwohl ein derartiges Angebot dem Unabhän- abhängige Energieversorgung etabliert werden gigkeitsargument der iranischen Seite Rechnung soll. Angesichts der weltweit steigenden Energie- tragen und dem iranischen Atomprogramm auf nachfrage, der sinkenden fossilen Energieres- glaubwürdige Weise die energiepolitische Legiti- sourcen und der Notwendigkeit zur Reduktion mation entziehen würde. Es ist jedenfalls unbe- von CO2 rechnet die internationale Nuklearin- greiflich, warum ausgerechnet der grüne Außen- dustrie mit einer Renaissance der Atomkraft- minister und die rot-grüne Bundesregierung es werke, zumal vor allem die US-Nuklearindustrie versäumt haben, die regenerative Energiealter- Prototypen von Mini-AKWs entwickelte, die auch native wenigstens ins Spiel zu bringen, zumal nur in ländlichen Gebieten dezentral installiert wer- diese Alternative auch die sicherste Garantie den könnten. Doch diese langfristig angelegte dafür darstellt, die Weiterverbreitung von Atom- Strategie der Weiterverbreitung von Atomenergie waffen zu verhindern. Indem die drei EU-Staaten erfordert gleichzeitig eine überzeugende neue diese Alternative bisher an keiner Stelle auch nur Strategie der Nicht-Weiterverbreitung von Atom- erwähnen und ausschließlich die Atomenergie in waffen, zumal NPT sich dazu als lückenhaft er- den Vordergrund stellen, setzen sie sich dem wiesen hat. In diesem Kontext ist es naheliegend, Verdacht aus, den Iran-Konflikt für die Sanierung durch Iran notfalls auch mittels Gewalteinsatz
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt der internationalen Nuklearindustrie instrumenta- melsrichtungen. Die EU ignorierte in ihrem An- lisieren zu wollen. gebot Ende August diese Realität völlig. Ihr An- gebot, auf eine Bedrohung Irans mit britischen 2. Das sicherheitspolitische Motiv und französischen Atomwaffen zu verzichten, ist Der Iran ist eine regionale Mittelmacht, sicher- ein Hohn und eine Beleidigung für die Intelligenz heitspolitisch aber der militärischen Überlegen- des iranischen Militärs und der Sicherheitsbera- heit seiner strategischen Hauptgegner, nämlich ter. Obgleich die iranische Regierung wohlweis- der Hegemonialmacht USA und dem Ministaat lich jegliches Junktim zwischen ihrem Atompro- Israel gleichermaßen, hoffnungslos ausgeliefert. gramm und dem Sicherheitsdilemma vermeidet, Nicht nur die gegenwärtige islamische Regie- ist nicht von der Hand zu weisen, dass Irans Mi- rung, sondern auch eine demokratisch säkulare litär auf die Atomwaffenoption drängt. Der ge- Regierung wird sich mit dem bestehenden „Si- plante Schwerwasserreaktor in der Nähe der cherheitsdilemma“ nicht abfinden. Irans Nach- Stadt Arak, der für die Produktion von waffenfä- barstaaten Pakistan und Russland sind Atom- higem Plutonium geeignet ist, sowie das Pro- staaten, Israels Atomwaffen (200-300 Atom- gramm zum Ausbau von Trägerraketen lassen sprengköpfe und alle dazu erforderlichen Träger- auf die Absicht schließen, sich die technologi- systeme) stellen für den Iran eine aktuelle Bedro- schen und wissenschaftlichen Kapazitäten für die hung dar. Hinzu kommt die militärische Einkrei- militärische Option zu verschaffen. Dabei geht es sung Irans durch die USA von allen vier Him- dem Iran um die Herstellung der Balance of Po- es bedroht gleichzeitig aber alle anderen Staaten wer und eines Gleichgewichts des Schreckens, in der Region und zwingt diese dazu, sich eben- getreu den international immer noch vorherr- falls Atomwaffen zu beschaffen. Dadurch wird schenden sicherheitspolitischen Doktrinen. Israels Bevölkerung zur Geisel einer permanenten Israel ist dagegen entschlossen, die atomare Angst und Unsicherheit, dass es irgendeinem Vormachtstellung im Mittleren und Nahen Osten Staat der Region doch noch gelingen könnte, unter keinen Umständen aus der Hand zu geben den jüdischen Staat mit Atomwaffen oder ande- und gegnerische Nuklearprojekte, wie 1981 in ren Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Aus Irak, präventiv zu zerstören. Schenkt man einer dieser Perspektive sind Israels Atomwaffen die informativen Spiegel-Titelgeschichte Glauben, schlechteste aller Optionen, um sein Existenz- stand Israel tatsächlich auch bereits zwei Mal recht zu garantieren. „Zu viel militärische Macht kurz davor, Atombomben gegen arabische bringt nicht automatisch mehr Sicherheit, sondern Nachbarn einzusetzen: 1973 im Yom-Kippur- gefährdet sie eher“, lautet der Lehrsatz des neo- Krieg und 1982 zu Beginn des Libanonkrieges. klassischen Realismus, der vor dem Hintergrund Die USA und offensichtlich auch die EU wollen, des atomaren Overkills im Ost-West-Konflikt dass Israel seine atomar gestützte militärische formuliert und als allgemein gültig anerkannt Vormachtstellung behält. „Viele Menschen be- worden ist. Der Verdacht liegt jedoch nahe, es greifen nicht hinreichend“, sagte Joschka Fischer geht den Vereinigten Staaten bei ihrer Mittelost- als deutscher Außenminister in einem Zeit-Inter- Politik nicht in erster Linie um die Verteidigung view „warum Israel eine Position der militärischen der Existenz Israels, sondern darum, die Existenz- Überlegenheit braucht.“ Wer aber von Israels ängste der israelischen Bevölkerung für eigene militärischer Stärke spricht, der meint natürlich geopolitische Ziele in einer der sensibelsten Re- auch dessen Atomwaffenarsenal und nimmt wis- gionen der Welt zu instrumentalisieren. send oder nicht wissend unweigerlich auch in Ein Zustand der Unsicherheit, der Instabilität und Kauf, dass Israel gegebenenfalls davon Ge- der permanenten gegenseitigen Bedrohung liefert braucht macht. Als moralische Rechtfertigung tatsächlich einen permanenten Grund für Partei- dafür wird auf das Existenzrecht des jüdischen nahme, Einmischung und schließlich auch militä- Staates und auf die Rhetorik führender Politiker rische Interventionen, die den eigenen geopoliti- der Region, wie jüngst die inakzeptable Äußerung schen Interessen dienlich sind. des iranischen Staatspräsidenten Ahmadined- schad „der Schandfleck wird ohne Zweifel aus 3. Symbolisches Motiv: dem Schoß der islamischen Welt verschwinden“, Atomprogramm als nationales Projekt Das ener- hingewiesen. Das Monopol an Atomwaffen giepolitische Motiv Irans deckt sich weitgehend macht Israel einerseits militärisch unangreifbar,
DJF Quarterly 01 / 2006 mit seinem sicherheitspolitischen Motiv. Atom- Noch deutlicher legt sich der konservativ orien- energieexperten wähnen sich im Bündnis mit den tierte Teil der iranischen Elite um den neuen ira- Technokraten und der militärischen Elite der is- nischen Präsidenten auf das nukleare Projekt fest. lamischen Republik in einem festen Bündnis. „Der nukleare Brennstoffkreislauf“, sagte der Doch es geht um mehr: Es geht um die Mobili- neue Chef von Irans Nationalem Sicherheitsrat, sierung aller, auch der regimekritischen Iraner für Larijani, „ist ein Recht und zugleich auch ein Be- ein vermeintlich nationales und Identität stiften- dürfnis, ... kein Volk kann am Zugang zu dieser des Projekt. Inzwischen ist das Atomprogramm Technologie gehindert werden. Dabei dürfen wir tatsächlich für alle politischen Fraktionen im Iran, nicht übersehen, Ahmadineschat siegte und für Reformer wie für die Konservativen, auch für übernahm die Macht, weil er die Idee und das die studentische Opposition, die für Demokratie Ziel für Iran verfolgte, diese Technologie zu be- und den säkularen Staat eintritt, zu einem sym- herrschen und den erreichten Stand zu verteidi- bolischen nationalen Projekt geworden, an des- gen. Er fühlt sich diesem Anliegen nachhaltig sen Fundamenten gegenwärtig niemand rütteln verpflichtet. Damit ist dieses Projekt eine natio- kann und will. Selbst Irans ehemaliger Staatsprä- nale Idee und ein nationales Ziel geworden. Es sident und Reformer Khatami verteidigte das nu- ist ein großer Fehler des Westens, dass er diese kleare Projekt, da es „unseren nationalen Interes- allgemein verbreitete Auffassung der Iraner igno- sen, unserer nationalen Ehre, unserer Zukunft riert.“ entspricht und unser Fortschritt davon abhängt.“ Die Parallele zwischen Mossadeghs Projekt der Nationalisierung der iranischen Ölindustrie vor gen Energieversorgung scheint so gut wie ausge- 55 Jahren und dem nuklearen Projekt liegt auf schlossen zu sein. Einseitige Forderungen ohne der Hand. Mossadeghs Projekt trug tatsächlich seriöse Gegenleistungen, wie das EU-Angebot erheblich zum Nationalbewusstsein und zum vom 8. August 2005 , sind zum Scheitern verur- Souveränitäts- und Freiheitsgefühl im modernen teilt. Auch die USA bestehen entsprechend der Iran bei. Die kollektive Erinnerung daran, dass es oben dargestellten ökonomischen, sicherheits- die USA und Großbritannien waren, die vor über und geostrategischen Motive weiterhin auf ihrem einem halben Jahrhundert Mossadeghs Projekt Standpunkt, Iran zu einem Verzicht auf Uranan- der Nationalisierung des Erdöls gewaltsam zu reicherung zu zwingen. Die EU-Diplomatie ist Fall brachten, bestätigt viele Iraner in der Auffas- gescheitert und befindet sich inzwischen im sung, dass es dem Westen auch diesmal darum Schlepptau der amerikanischen Iran-Politik. Auch geht, Irans Souveränität aushebeln zu wollen, der russische Vorschlag, die Urananreicherung und dass so wie damals die eigenständige Ölin- auf russischem Boden durchzuführen, dürfte an dustrie nun heute die Schaffung einer eigenstän- der Absicht Teherans scheitern, sich wegen der digen Nuklearindustrie im Iran verhindert werden Atomstromproduktion nicht vom Ausland abhän- soll. Doch kann das nukleare Projekt seine sym- gig machen zu wollen. Durch die Logik vom bolische Funktion genauso schnell wieder verlie- scheinbar unauflösbaren Gegensatz zwischen ren wie sie entstanden ist. Das nukleare Projekt den Konfliktparteien gerät eine weitere Konflikt- verschlingt beträchtliche Ressourcen des Landes zuspitzung - letztlich auch ein Krieg - immer mehr und ist ökonomisch nicht tragfähig. Es schafft in den Bereich der Wahrscheinlichkeit, und dies mehr Abhängigkeit und Konflikte, ohne für Irans trotz der massiven Rückschläge für die USA und Energiebedarf einen nennenswerten Beitrag zu die Neokonservativen im Irak. Die US-Regierung leisten. glaubt, ohne Bodentruppen und durch die Zer- störung von Irans Atomanlagen aus der Luft die 4. Wie wahrscheinlich ist ein neuer iranische Bedrohung abzuwenden und dabei im Krieg? Unterschied zum Fall Irak die Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite zu haben. Washington verfügt Die islamische Regierung hat sich auf das Recht zweifelsohne über detaillierte Planungen für einen zur Urananreicherung und die Beherrschung des Luftangriff gegen iranische Atomanlagen. Sey- gesamten Brennstoffkreislaufs festgelegt. Ein Ab- mour Hersh, die Koryphäe im investigativen weichen von diesem Ziel ohne objektive Sicher- Journalismus der USA, enthüllte im ebenso re- heitsgarantien zur Überwindung von Irans Si- nommierten wie vorsichtigen „New Yorker“ Mitte cherheitsdilemma und ohne nachvollziehbare Januar 2005 die Angriffsabsichten der US-Neo- Antworten für die Möglichkeit einer selbstständi- konservativen. „Bei meinen Recherchen während
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt der beiden vergangenen Monate wurde ich al- Indizien für eine Art psychologische Kriegsvorbe- lerdings mit viel undiplomatischeren Auffassun- reitung erhärten die Annahme ernsthafter Kriegs- gen konfrontiert. Die Falken in der Regierung absichten der Vereinigten Staaten. Dazu gehört rechnen damit, dass sich schon bald das Schei- die systematische Stigmatisierung Irans als un- tern der europäischen Vermittlungsbemühungen glaubwürdige Konfliktpartei. Die in den neunzi- mit Teheran herausstellen wird.“ Dann sei der ger Jahren begangenen Rechtsbrüche werden Zeitpunkt gekommen, an dem die US-Regierung immer wieder aufgefrischt, obwohl Irans Atom- zur Tat schreiten müsse. „Wir reden hier nicht anlagen inzwischen zu den weltweit bestkontrol- über irgendwelche Positionspapiere des Natio- lierten Anlagen gehören. Zu beobachten sind nalen Sicherheitsrats“, betonte der frühere Spit- auch die systematischen „Enthüllungen“, die das zenagent. „Über diese Hürde sind die längst hin- Unglaubwürdikeitsstigma festigen sollen. Im No- weg. Es geht nicht mehr darum, ob sie irgendet- vember 2005 wurde die Meldung der was gegen Iran unternehmen. Sie werden es Entdeckung eines Laptops mit geheimen Details tun.“ (Hersh in: Der Spiegel 4/2005) lanciert. Tatsächlich liegt dieser Laptop dem CIA aber bereits seit einem Jahr vor und enthält kei- Scott Ritter, ehemaliger Irak-UN-Beauftragter, will neswegs derart hochstilisierte Geheiminforma- von der dezidierten Absicht der USA wissen, Iran tionen. Ein fünfseitiges Dokument mit Zeichnun- durch eine Resolution im UN-Sicherheitsrat ver- gen zum Bau von Atombomben wurde ebenfalls pflichten zu wollen, der IAEA sowohl die Kontrolle im November als neue Enthüllung deklariert. seiner nuklearen wie auch aller militärischen Ein- Tatsächlich hatte aber der Iran selbst dieses Do- richtungen zu jedem Zeitpunkt und ohne Voran- kument der IAEA übergeben. Besonders gravie- meldung zu erlauben. Da jedoch der Iran - wie rend ist die Umkehrung der Beweislast für den vorauszusehen ist - eine derart weitreichende Iran, keine Absicht zum Bau von Atombomben zu Resolution als Angriff auf die eigene Souveränität hegen. Da jegliche iranische Beteuerung in auffassen und daher zurückweisen würde, fühlte Zweifel gezogen werden kann, dürfte der Iran sich die US-Regierung hinreichend legitimiert, mit immer auf der Anklagebank sitzen. Zu den psy- oder auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates chologischen Kriegsvorbereitungen gehören auch gegen den Iran Krieg zu führen und z. B. Irans die periodisch aufgestellten Behauptungen, der nukleare und militärische Anlagen aus der Luft zu Iran sei für das Chaos im Irak mitverantwortlich, bombardieren. weil er die Terroristen unterstütze und mit der Al Daniel Ellsberg, der durch die Veröffentlichung Kaida zusammenarbeite. von Geheimdokumenten des Pentagons zum Vietnamkrieg zum vorzeitigen Ende des Krieges 5. Über die Rolle der EU und Alternati- beitrug, hält es für wahrscheinlich, dass die US- ven zu einem neuen Krieg Regierung einen Luftkrieg gegen den Iran unter- Die EU-Diplomatie scheiterte nicht nur an Tehe- nehmen wird, und zwar zu einer Zeit, die ihr poli- ran, sondern auch an Washington. Durch die tisch geeignet erscheint. Glaubte man den Aus- Ablehnung jedweder, für Iran unverzichtbarer sagen in dem Unternehmenskreisen nahestehen- Sicherheitsgarantien hatte Washington die EU- den Magazin „Vertrauliche Mitteilungen aus Poli- Diplomatie in der Hand und ließ sie mit der Ab- tik, Wirtschaft und Geldanlage“, dann hätten US- sicht, den Fall vor den UN-Sicherheitsrat zu brin- Unterhändler bereits im Oktober 2005 mit den gen und selbst den weiteren Ablauf in die Hand Vertretern wichtiger Industrienationen und inter- zu nehmen, scheitern. Den EU-Drei Deutschland, nationaler Finanzinstitutionen Stützungsmaßnah- England und Frankreich bleibt jetzt - sofern sie men für Börsen- und Währungskurse vereinbart, sich aus der Iran-Falle der USA nicht herauslösen die im Falle eines Krieges gegen den Iran ergrif- - keine andere Wahl, als der US-Taktik im Si- fen werden sollten. Dabei ginge es vor allem cherheitsrat zu folgen und schließlich auch einen darum zu verhindern, dass der US-Dollar seine Luftkrieg der USA moralisch zu legitimieren. Auch Funktion als Öl-Leitwährung verliert. "Die Ge- Russland, das sich bisher gegen eine mögliche sprächsteilnehmer wurden instruiert, dass das Resolution des Sicherheitsrates gewandt hat, Eingreifen der USA im März 2006 erforderlich droht angesichts eines voraussehbaren Scheiterns werden könnte. Die Planungen gehen offenbar seiner Initiative das gleiche Schicksal wie der EU, von einem möglichen Angriff zu diesem Termin der US-Eskalationsstrategie nichts mehr entge- aus." gensetzen zu können. Mögliche Alternativen zu
DJF Quarterly 01 / 2006 einem drohenden Krieg sind allesamt komplex aber er verspricht größere Realisierungschancen und erscheinen sogar mehr oder weniger als und ist gleichzeitig auch eine zukunftsfähige Ant- utopisch. Aber es gibt sie und es kommt darauf wort auf viele andere grenzüberschreitende Kon- an, sie von der visionären auf eine politisch- fliktfelder, wie z.B. territoriale Streitigkeiten, ethni- praktische Ebene zu bringen: sche Konflikte, grenzüberschreitende Nutzung Erstens die multilaterale Kontrolle sämtlicher von Energiequellen und Gewässern etc. Die USA Atomanlagen in Industrie- und Entwicklungslän- werden sicherlich über einen derartigen Vorstoß dern entsprechend des Vorschlags von El Bara- nicht gerade glücklich sein. Dagegen ist die Per- dei, und damit die völkerrechtliche Gleichstellung spektive eines befriedeten Mittleren und Nahen aller Staaten. Dieser Weg wäre konsequent und Ostens für Europa in vieler Hinsicht von existen- auch ein entscheidender Schritt in Richtung einer zieller Bedeutung. Auch Russland und China weltweiten Abrüstung von Atomwaffen. Allerdings hätten keinen konkreten Anlass dagegen zu sein muss damit gerechnet werden, dass kein Atom- und dürften einen Vorstoß in diese Richtung waffenstaat sich darauf einlassen wird, und dass wahrscheinlich unterstützen. Die EU ist die ein- damit dieser Weg vorerst keine Antwort auf den zige politische und moralische Kraft, mit diesem Atomkonflikt mit Iran liefert. Vorschlag aufzuwarten und ihn mit konkreten Zweitens die multilaterale Kontrolle der Uranan- Schritten zu koppeln. Dazu gehört die Einberu- reicherungsanlagen Irans und auch anderer fung einer baldigen regionalen Konferenz für Schwellenländer mit einem Atomprogramm auf Sicherheit und Zusammenarbeit, die seriös vor- internationalem Boden, wie vom SIPRI vorge- bereitet und demnächst durchgeführt werden schlagen worden ist. Auf eine derartige Möglich- müsste. Damit wird nicht zuletzt Iran signalisiert, keit würden sich der Iran und auch andere Län- sein Sicherheitsdilemma ernst zu nehmen, so der nicht einlassen, da sie letztlich dazu führen dass auch der Iran sich aller Wahrscheinlichkeit würde, zwei Klassen von Staaten mit unterschied- nach bis auf Weiteres zu einem Verzicht auf lichen Rechten zu schaffen. Die Abhängigkeit Urananreicherung bereit erklären könnte. Dieser vom Ausland bliebe bei dieser Alternative beste- Vorstoß müsste, um innerhalb von Europa ak- hen, eine objektive Sicherheitsgarantie für die zeptanzfähig zu sein und auch Israels vermutlich dauerhafte Lieferung von nuklearen Brennstäben massive Gegnerschaft abzumildern, mit konkre- könnte die UN letztlich nur im Falle eines UN- ten Vorschlägen sowie unzweifelhaften und ob- Gewaltmonopols geben. Andernfalls besteht jektiven Sicherheitsgarantien für die Existenz Isra- immer die Möglichkeit, dass die USA oder an- els z.B. durch die USA und die EU gekoppelt dere Staaten die Brennstofflieferung militärisch sein. Die EU sollte dem Iran gleichzeitig auch verhindern. Zudem macht dieser Vorschlag den den Vorschlag unterbreiten, ihm regenerative Weg für eine flächendeckende Weiterverbreitung Energietechnologien zu liefern und das Land bei von Atomkraftwerken in den Entwicklungsländern der Etablierung eines zukunftsfähigen und um- frei. Darüber hinaus gibt dieser Weg keine Ant- weltfreundlichen zweiten Standbeins zur Energie- wort auf Irans Sicherheitsdilemma und die Abrü- versorgung zu unterstützen. Dieser Weg öffnet stung im Nahen und Mittleren Osten. immerhin ein neues Fenster des Friedens und Drittens der Vorstoß zu konkreten Schritten für ein setzt mit der Perspektive zur Schaffung einer Or- System der gemeinsamen Sicherheit und Zusam- ganisation der regionalen Sicherheit und Zu- menarbeit im Mittleren und Nahen Osten analog sammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten zum KSZE-Prozess mit dem Ziel der Schaffung (OSZMNO) einen Prozess in Gang, dem sich auf einer atomwaffenfreien Zone in der gesamten Dauer kein Staat der Region, weder der Iran Region. Dies ist zwar auch kein einfacher Weg, noch Israel, wird verschließen können. Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Uni- versität Osnabrück mit den Forschungsschwerpunkten Mittlerer und Naher Osten, Energie, Friedens- und Konfliktforschung, Nord-Süd-Konflikt.
Motive der Konfliktparteien im Iran-Atomkonflikt Der Text ist sein Vortrag, gehalten beim 12. Friedenspolitischen Ratschlag am 3./4. Dezember 2005 in der Universität Kassel. Quelle: attac-gk.net-hh.de/index.php - http://attac-gk.net- hh.de/index.php?id=559&table=news&full=1 URL: Kommentare und Diskussion zum Thema bitte im attac-Hamburg-Forum
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