Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015

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Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015
INSTITUT FÜR WELTWIRTSCHAFT
                                  AN DER UNIVERSITÄT KIEL

                         Prognosezentrum

                                     Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1)
Mittelfristprojektion
   für Deutschland
      im Frühjahr 2015

                         Abgeschlossen am 23. März 2015
Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015
Inhalt

Deutschland mittelfristig in der Hochkonjunktur                               1

  Das Produktionspotenzial 2015–2019                                          1

  Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bis zum Jahr 2019                         4

     Weltwirtschaftliches Umfeld                                              4

     Monetäre Rahmenbedingungen und finanzpolitische Ausrichtung              6

     Deutschland expandiert mittelfristig in die Hochkonjunktur               7

     Kasten 1: Zur Entwicklung des öffentlichen Kapitalstocks – Ein Update   10

  Literatur                                                                  13
Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015
Deutschland mittelfristig in der Hochkonjunktur

Jens Boysen-Hogrefe, Nils Jannsen, Klaus-Jürgen Gern, Dominik Groll, Stefan Kooths und
Martin Plödt

Das Bruttoinlandsprodukt wird bis zum Jahr 2019
                                                         Das Produktionspotenzial 2015–
kräftig zulegen. Maßgeblich hierfür ist eine aus deut-
scher Sicht extrem expansive Geldpolitik. Gleichzeitig   2019
wird das Produktionspotenzial mit durchschnittlich 1,2
Prozent kaum stärker wachsen als in den vergange-
                                                         Im Zeitraum 2015 bis 2019 wird das Produk-
nen Jahren. Zwar stützen der wieder etwas kräftigere
                                                         tionspotenzial jahresdurchschnittlich um 1,2
Kapitalstockaufbau und ein beschleunigter Produkti-
                                                         Prozent wachsen. Die größten Wachstumsbei-
vitätsanstieg das Wachstum der Produktionsmöglich-
                                                         träge mit durchschnittlich etwa 0,7 Prozent-
keiten, demgegenüber fallen die zuletzt vom Ar-
                                                         punkten dürften dabei von der Zunahme der
beitsmarkt ausgehenden Wachstumskräfte zuse-
                                                         totalen Faktorproduktivität (TFP) ausgehen (Ab-
hends schwächer aus. Ausgehend von mehr oder
                                                         bildung 1). Der Wachstumsbeitrag des Kapital-
weniger normal ausgelasteten Produktionskapazitä-
ten dürfte die Produktionslücke auf ein Niveau stei-
gen, wie es zuletzt zu Zeiten des Wiedervereini-
                                                          Abbildung 1:
gungsbooms verzeichnet worden war. Durch die sich         Produktionspotenzial und Wachstumsfaktoren 2000–
abzeichnende Überauslastung der Kapazitäten er-           2019
höht sich das Rückschlagpotenzial für die deutsche
                                                                   Prozent(punkte)
Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik steht somit in den      2,0
kommenden Jahren vor erheblichen Herausforderun-
gen.                                                       1,5

                                                           1,0

                                                           0,5

                                                           0,0

                                                           -0,5
                                                                  2000       2004      2008   2012    2016

                                                                   Kapital          Arbeit    TFP       Potenzial

                                                         Jahresdaten. Produktionspotenzial: Veränderung gegenüber Vor-
                                                         jahr in Prozent; Faktoren: Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten.

                                                         Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe
                                                         1.2; Berechnungen des IfW; grau hinterlegt: Projektion.
Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015
2   Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

stocks wird im Prognosezeitraum wohl durch-                projizierte Beschleunigung bei der TFP aus-
schnittlich rund 0,3 Prozentpunkte betragen.               schließlich auf einen rascheren technischen
Der Beitrag des Arbeitsvolumens dürfte nach                Fortschritt zurückzuführen. Vielmehr ist zu
kräftigen Zuwächsen in den vergangenen Jah-                bedenken, dass sich durch die Berechnungs-
ren hingegen im Verlauf der nächsten Jahre                 methode Fehler in den anderen Teilen des
stetig abnehmen. Zur Schätzung des Produkti-               Verfahrens auch auf diese Größe auswirken.
onspotenzials verwenden wir einen Produkti-                Bei untypisch langen Konjunkturzyklen ist die
onsfunktionsansatz, bei dem die gesamtwirt-                Bestimmung der Wachstumsbeiträge des Pro-
schaftliche Aktivität als Ergebnis einer Cobb-             duktionspotenzials besonders unsicher.
Douglas-Produktionsfunktion mit den Inputfakto-
ren Arbeit und Kapital aufgefasst wird. Mit die-           Das potenzielle Arbeitsvolumen hat in den
sem Modellrahmen folgen wir dem Vorgehen                   vergangenen Jahren nicht zuletzt aufgrund
der Europäischen Kommission, wobei wir in                  der hohen Einwanderung nach Deutschland
einzelnen Punkten von ihrer jüngst angewand-               spürbar zugenommen. Der Saldo aus Zuzü-
ten Schätzmethodik abweichen. So ziehen wir                gen und Fortzügen ist von rund 130 000 Perso-
einen weiter in die Vergangenheit reichenden               nen im Jahr 2010 auf 430 000 im Jahr 2013 ge-
Stützzeitraum zur Schätzung heran und ver-                 stiegen. Im vergangenen Jahr sind bis August
wenden zur Ausweitung des Stützzeitraums am                (jüngere Zahlen liegen noch nicht vor) bereits
aktuellen Rand unsere aktuelle Kurzfristpro-               330 000 Personen per saldo nach Deutschland
gnose (Boysen-Hogrefe et al. 2015).                        eingewandert. Es zeichnet sich daher eine
                                                           abermals höhere Zuwanderung für das Ge-
Der Wachstumsbeitrag des Kapitalstocks                     samtjahr 2014 ab; wir rechnen mit einem Wan-
nimmt spürbar zu. Der gesamtwirtschaftliche                derungssaldo von 480 000 Personen.
Kapitalstock wird etwas zügiger ausgeweitet als
in den beiden Vorjahren. Maßgeblich ist hier der           Politische und wirtschaftliche Faktoren ste-
prognostizierte Investitionsaufschwung. Dieser             hen hinter der stark gestiegenen Zuwande-
übersetzt sich direkt in einen Aufbau des Kapi-            rung. Zum einen sind in den Jahren 2011 und
talstocks, da es annahmegemäß zu keinen grö-               2014 die Freizügigkeitsbeschränkungen für Ar-
ßeren Ausschlägen bei den Abschreibungen                   beitnehmer aus zahlreichen osteuropäischen
kommt. In dem Verfahren kann nicht unter-                  EU-Staaten weggefallen. Dies sorgte für eine
schieden werden, wie nachhaltig die Investi-               deutliche Zunahme der Einwanderung insbe-
tionen sind. Sollte es beispielsweise in einem             sondere aus Polen, Ungarn, Rumänien und
monetären Boom zu Fehlinvestitionen kommen,                Bulgarien. Zum anderen hatten sich die Ar-
droht eine Überschätzung des Potenzials.                   beitsmarktperspektiven im übrigen Euroraum,
Insgesamt haben die Veränderungen des Kapi-                insbesondere in den südlichen Krisenländern,
talstocks aber einen vergleichsweise geringen              erheblich verschlechtert; dies gilt sowohl absolut
Einfluss auf die Veränderungen des Potenzial-              als auch relativ zum deutschen Arbeitsmarkt. In
wachstums.                                                 der Folge nahm die Einwanderung aus den be-
                                                           troffenen Ländern wie Italien, Spanien und
Die totale Faktorproduktivität gewinnt im                  Griechenland deutlich zu. Es dürfte zudem zu
Verlauf des Projektionszeitraums merklich                  einer Umlenkung der Wanderungsströme aus
an Fahrt. Die totale Faktorproduktivität ist nicht         anderen Ländern gekommen sein, da bei-
beobachtbar und wird als Residuum errechnet                spielsweise Bulgaren und Rumänen, die vor der
und geglättet, gegeben die beiden Faktoren                 Krise noch bevorzugt nach Spanien und Italien
Arbeit und Kapital, deren Produktionselas-                 gezogen waren, nun in den deutschen Arbeits-
tizitäten und der gesamtwirtschaftlichen Aktivi-           markt einwandern.
tät. Gemeinhin wird die totale Faktorproduktivi-
tät als Maß für den technischen Fortschritt                In den kommenden Jahren dürfte die Zu-
interpretiert. Es wäre aber vermessen, die                 wanderung zwar nachlassen, der Wande-
Mittelfristprojektion für Deutschland - im Frühjahr 2015
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland            3

rungssaldo bleibt jedoch deutlich positiv.                 Abbildung 2:
Die Perspektiven auf dem deutschen Arbeits-                Komponenten des Arbeitsvolumens 2000–2019
markt bleiben wohl auf absehbare Zeit deutlich                      Prozent(punkte)
                                                             0,8                                                    0,8
günstiger als in vielen anderen EU-Staaten,
wenngleich sich dort die Lage weiter verbessern              0,6                                                    0,6
dürfte. Wir erwarten vor diesem Hintergrund
einen im Vergleich zum Vorjahr unveränderten                 0,4                                                    0,4
Wanderungssaldo (480 000 Personen). Danach
                                                             0,2                                                    0,2
dürfte der Wanderungssaldo sinken. Wir unter-
stellen, dass er bis zum Jahr 2018 auf 200 000               0,0                                                    0,0
Personen zurückgeht und danach auf diesem
Niveau verharrt; ein langfristiger Saldo von                -0,2                                                    -0,2

200 000 Personen entspricht auch der An-
                                                            -0,4                                                    -0,4
nahme W2 der 12. Koordinierten Bevölkerungs-
vorausberechnung des Statistischen Bundes-                  -0,6                                                    -0,6
amts. Die Zuwanderung kann nicht vollständig                       2000     2004         2008   2012     2016

den demografisch bedingten Rückgang der Er-                         Partizipationsrate          Arbeitszeit

werbsbevölkerung kompensieren, so dass die                          Erwerbsbevölkerung          NAIRU

Erwerbsbevölkerung weiter schrumpfen wird.                          Arbeitsvolumen

Unter der Annahme eines abnehmenden                       Jahresdaten. Arbeitsvolumen: Veränderung gegenüber dem Vor-
Wanderungssaldos wird sich dieser Rückgang                jahr in Prozent; Komponenten: Wachstumsbeitrag in Prozentpunk-
                                                          ten.
beschleunigen und somit das Wachstum des
Produktionspotenzials zunehmend dämpfen                   Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2;
                                                          Berechnungen des IfW; grau hinterlegt: Projektion.
(Abbildung 2).

Auch die strukturelle Verbesserung auf dem
Arbeitsmarkt hat spürbar zur Stärkung des                Der trendmäßige Anstieg der Partizipations-
potenziellen Arbeitsvolumens beigetragen.                rate hat das potenzielle Arbeitsvolumen in
Seit der Umsetzung der Hartz-Reformen ist die            den vergangenen Jahren ebenfalls gestärkt.
strukturelle Arbeitslosenquote (NAIRU) von               Die zunehmende Partizipationsrate geht auf
schätzungsweise 8 Prozent auf derzeit 4,5 Pro-           eine gestiegene Erwerbsbeteiligung insbeson-
zent gesunken. Ohne die Einführung des flä-              dere von Älteren und Frauen zurück. Die ge-
chendeckenden, gesetzlichen Mindestlohns zu              stiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen spie-
Beginn dieses Jahres würde der positive Re-              gelt sich in einer Zunahme von Teilzeitarbeits-
formeffekt über den mittelfristigen Projektions-         plätzen wider. Mittelfristig dürfte die Partizipati-
zeitraum langsam auslaufen, die NAIRU wäre               onsrate die wichtigste – voraussichtlich sogar
dementsprechend noch etwas gesunken. Die                 die einzige – Komponente sein, die das poten-
Einführung des Mindestlohns erhöht für sich              zielle Arbeitsvolumen für sich genommen er-
genommen die NAIRU (Boysen-Hogrefe et al.                höht. Die Einführung der „Rente mit 63“ im ver-
2014b: Kasten 1). Der Rückgang der NAIRU                 gangenen Sommer wirkt dem entgegen, da sie
fällt daher geringer aus, was den Anstieg des            die Erwerbsbeteiligung der entsprechenden Al-
Arbeitsvolumens dämpft. Der negative Effekt              terskohorte reduziert. Im gesamtwirtschaftlichen
auf das Produktionspotenzial wird allerdings             Durchschnitt werden der Anstieg der Par-
dadurch etwas gemildert, dass die vom Min-               tizipationsrate und somit letztlich das Potenzial-
destlohn betroffenen Niedriglohnbezieher in der          wachstum gedämpft.
Regel unterdurchschnittliche Arbeitszeiten auf-
weisen; die gesamtwirtschaftliche Arbeitszeit            Der Rückgang der durchschnittlich geleiste-
fällt somit etwas höher aus.                             ten Arbeitszeit je Erwerbstätigen wird das
                                                         potenzielle Arbeitsvolumen weiter leicht
4   Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

dämpfen. Die Arbeitszeit je Erwerbstätigen folgt           auch das Welthandelsvolumen im Projektions-
seit langer Zeit einem fallenden Trend.                    zeitraum nicht so stark wie zur Mitte des ver-
Haupttreiber dieser Entwicklung ist die stetige            gangenen Jahrzehnts zulegen. Wir erwarten je-
Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. So ist ihr              doch, dass sich die in den vergangenen Jahren
Anteil seit der Wiedervereinigung kontinuierlich           ausgesprochen geringe Elastizität des Welt-
von 18 auf 39 Prozent gestiegen. Die Dynamik               handels bezüglich der globalen Produktion wie-
hat sich in den vergangenen Jahren allerdings              der etwas erhöhen wird. Neben strukturellen
spürbar verlangsamt. Wir erwarten daher, dass              Gründen (wie z.B. dem Ende des durch die
sich der fallende Trend der durchschnittlichen             Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft be-
Arbeitszeit je Erwerbstätigen im Projektions-              dingten Globalisierungsschubs) sind wohl auch
zeitraum weiter abflacht.                                  zyklische Faktoren, die im Projektionszeitraum
                                                           an Gewicht verlieren werden (etwa die anhal-
Alles in allem wird der Zuwachs des poten-                 tende Konjunkturschwäche im Euroraum), für
ziellen Arbeitsvolumens von Jahr zu Jahr                   die gedämpfte Entwicklung verantwortlich.1
geringer ausfallen und schließlich zum Er-
liegen kommen. Jenseits der mittleren Frist ist            Die wirtschaftliche Expansion in den fortge-
durch den demografischen Wandel ein Rück-                  schrittenen Volkswirtschaften wird in die-
gang des Arbeitsvolumens angelegt. Dieser                  sem und im nächsten Jahr an Dynamik ge-
könnte durch geeignete Politikmaßnahmen (z.B.              winnen, in den Jahren danach aber wieder
höhere Erwerbstätigkeit Älterer) zumindest                 etwas an Schwung verlieren. In den Verei-
weiter in die Zukunft verschoben werden                    nigten Staaten und im Vereinigten Königreich
(Bachmann et al. 2013).                                    haben Unternehmen und Haushalte erhebliche
                                                           Fortschritte bei der Konsolidierung ihrer Schul-
                                                           denpositionen gemacht, so dass die niedrigen
                                                           Zinsen inzwischen zunehmend Wirkung entfal-
Gesamtwirtschaftliche                                      ten und die Konjunktur sich am Beginn eines
Entwicklung bis zum Jahr 2019                              kräftigen Aufschwungs befindet. Vor diesem
                                                           Hintergrund wird die Geldpolitik sukzessive ih-
                                                           ren Expansionsgrad verringern. Die Zinsen
                                                           dürften in beiden Ländern allmählich bis auf ein
Weltwirtschaftliches Umfeld                                neutrales Niveau angehoben werden. Gleich-
                                                           zeitig dürfte die in den vergangenen Jahren im
Die Weltwirtschaft expandiert in den kom-                  Zuge des massiven Kaufs von Anleihen ent-
menden fünf Jahren beschleunigt, aber ohne                 standene Liquidität nach und nach verringert
großen Schwung. Die Projektion der mittelfris-             werden, vermutlich vor allem dadurch, dass fäl-
tigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in                lig werdende Papiere nicht ersetzt werden.
Deutschland erfolgt unter der Setzung eines                Hinzu kommt, dass die Anregungen vom niedri-
unveränderten nominalen effektiven Wechsel-                geren Ölpreis auslaufen. In der Folge rechnen
kurses. Außerdem wird angenommen, dass sich                wir für die Jahre am Ende des Projektionszeit-
die realen Rohstoffpreise im weiteren Projek-              raums mit einer Abschwächung der Konjunktur
tionszeitraum nicht ändern. Demzufolge erhöht              in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten
sich der nominale Ölpreis bis 2019 annahme-                Königreich. In Japan ist eine spürbare Be-
gemäß sukzessive auf knapp 80 US-Dollar. Die               schleunigung des Potenzialwachstums ange-
Weltproduktion wird nach unserer Einschätzung              sichts wenig überzeugender Strukturreformen
in den Jahren 2015 bis 2019 im Durchschnitt
                                                           (Gern et al. 2015: Kasten 2) nicht in Sicht. Zu-
mit einer Rate von 3,7 Prozent zunehmen (Ta-
                                                           dem werden Maßnahmen zur Begrenzung der
belle 1). Diese Rate entspricht etwa dem län-
gerfristigen Durchschnitt und ist erheblich nied-          ____________________
riger als in den Jahren des weltwirtschaftlichen           1 Für eine Analyse der längerfristigen Entwicklung

Booms vor der Finanzkrise. Entsprechend wird               des Welthandels siehe Gern et al. (2014: Kasten 1).
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland              5

Tabelle 1:
Weltproduktion und Welthandel 2013–2019

                                         2013        2014       2015            2016         2017             2018         2019
Bruttoinlandsprodukt
  Vereinigte Staaten                       2,2        2,4            3,0          3,5            3,0           2,2           2,0
  Japan                                    1,6        0,0            0,8          1,4            1,5           0,5           1,0
  Euroraum                                -0,4        0,9            1,4          1,8            2,5           2,5           2,2
  Vereinigtes Königreich                   1,7        2,6            2,8          2,5            2,5           2,0           2,0
  Fortgeschrittene Länder insgesamt        1,4        1,9            2,3          2,7            2,6           2,1           1,9
  China                                    7,7        7,4            7,0          6,7            6,5           6,0           5,5
  Lateinamerika                            2,5        0,9            1,3          2,3            3,5           3,5           3,5
  Indien                                   6,4        7,2            7,4          7,4            7,0           7,0           7,0
  Ostasien                                 5,2        4,5            5,2          5,2            5,5           5,5           5,5
  Russland                                 1,3        0,4           -3,0          0,5            2,5           2,0           2,0
  Weltwirtschaft insgesamt                 3,4        3,5            3,7          4,0            3,9           3,5           3,4
Nachrichtlich:
Welthandel                                3,0         3,3        4,0             5,0          6,0              5,5          5,0
Ölpreis (US-$/Barrel)                   108,8        98,9       65,1            74,3         75,7             77,2         78,8

Bruttoinlandsprodukt, Welthandel: Volumen, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent. Ostasien: ohne China, Indien
und Japan.
Quelle: IMF, International Financial Statistics; OECD, Main Economic Indicators; eigene Berechnungen; grau hinterlegt:
Projektion des IfW.

Staatsverschuldung die Aktivität in den Jahren                  Abbildung 3:
nach 2016 dämpfen. Auch hier dürfte die Pro-                    Mittelfristiges Wachstum der Weltwirtschaft 1994–
duktion gegen Ende des Projektionszeitraums                     2019

kaum schneller expandieren als das Produkti-                          Prozent
                                                                6
onspotenzial. Im Euroraum wird der Ausstieg
aus der expansiven Geldpolitik angesichts der                                   Welt insgesamt
                                                                5
vorerst weiter geringen konjunkturellen Dynamik
und der besonders hohen Unterauslastung der
                                                                4
gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten erst ver-
gleichsweise spät erfolgen. Der Konjunkturauf-
                                                                3
schwung dürfte sich hier bis zum Jahr 2017 ver-
stärken. Insgesamt wird sich der Anstieg des
                                                                2                Fortgeschrittene
Bruttoinlandsprodukts in den fortgeschrittenen                                  Volkswirtschaften
Volkswirtschaften in den Jahren 2015–2019 auf
                                                                1
jahresdurchschnittlich 2,3 Prozent belaufen.
Dies wäre der höchste Zuwachs in einem 5-Jah-
                                                                0
res-Zeitraum seit mehr als einem Jahrzehnt,                         1994   1998    2002    2006        2010    2014   2018
wenngleich immer noch weniger als in den Jah-
                                                                Jahresdaten, preisbereinigt; Veränderung gegenüber dem Vor-
ren vor der Finanzkrise (Abbildung 3).                          jahr, nachlaufende 5-Jahresdurchschnitte.

                                                                Quelle: IMF, World Economic Outlook Database; grau
Die weltwirtschaftliche Dynamik wird durch                      hinterlegt: Prognose des IfW.
die Schwellenländer gedämpft. Die weltwirt-
schaftliche Expansion wird weiterhin zum über-
wiegenden Teil von den Entwicklungs- und                      insgesamt weiterhin wesentlich höher ist als in
Schwellenländern getragen werden. Allerdings                  den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, zeich-
gehen von dieser Seite kaum zusätzliche Im-                   net sich für die kommenden Jahre ein eher ab-
pulse aus. Auch wenn das Trendwachstum dort                   nehmendes Expansionstempo ab. Vor allem
6    Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

China befindet sich nach zwei Jahrzehnten sehr              ternationalen Finanzmärkten kommt, etwa plötz-
raschen Wachstums inzwischen offenbar auf                   lichen ausgeprägten Veränderungen der Kapi-
einem deutlich niedrigeren Wachstumspfad. Wir               talströme und Wechselkurse, verbunden mit
rechnen für den Projektionszeitraum damit,                  Finanzmarktstress und potenziell beträchtlichen
dass sich die Zuwachsrate des Bruttoinlands-                Auswirkungen auf die Weltkonjunktur.
produkts weiter, auf unter 6 Prozent, verlang-
samt. Angesichts des inzwischen sehr hohen
Anteils Chinas an der globalen Produktion von               Monetäre Rahmenbedingungen und
16 Prozent, gerechnet nach Kaufkraftparitäten,              finanzpolitische Ausrichtung
bzw. knapp 13 Prozent auf der Basis von
Marktwechselkursen, führt die Verlangsamung                 Die monetären Rahmenbedingungen werden
des Trendwachstums in China zu einer spürba-                die wirtschaftliche Expansion treiben. Ange-
ren Verringerung auch des globalen Expansi-                 sichts der nur moderaten konjunkturellen Erho-
onstempos. Gelingt es nicht, das Wachstum der               lung im Euroraum und niedriger Inflations-
chinesischen Wirtschaft auf eine nachhaltige                erwartungen dürfte die EZB ihren sehr expansi-
Grundlage zu stellen, resultieren daraus erheb-             ven Kurs in Form der Nullzinspolitik und der
liche Gefahren für die Weltwirtschaft. Für La-              „Quantitativen Lockerung“ noch einige Zeit bei-
teinamerika und Russland erwarten wir nach                  behalten. Da die konjunkturelle Lage und die
der in diesem Jahr sehr schwachen Entwicklung               Verschuldung von Unternehmen und Haushal-
zwar eine Belebung der Konjunktur, die mittel-              ten in Deutschland günstiger bzw. geringer ist
fristigen Aussichten sind allerdings von gesun-             als im übrigen Euroraum, dürfte der Kurs der
kenen Rohstoffpreisen und beträchtlichen                    EZB hier besonders stimulierend wirken und ei-
Strukturproblemen überschattet. Verbessert ha-              nen Boom befeuern. Im Verlauf der mittleren
ben sich hingegen die Perspektiven für Indien,              Frist wird die Geldpolitik wohl zwar wieder ihren
wo die Geldpolitik stärker stabilitätsorientiert ist        Expansionsgrad reduzieren, doch dürfte sie, da
und die Regierung einen stärkeren Fokus auf                 sie an der konjunkturellen Situation im gesam-
wachstumsorientierte Reformen legt.                         ten Euroraum ausgerichtet ist, aus deutscher
                                                            Sicht nahezu im gesamten Projektionszeitraum
Erhebliche Risiken für das außenwirtschaft-                 sehr expansiv wirken.
liche Umfeld in der mittleren Frist sind mit
dem bevorstehenden Ausstieg aus der ultra-                  Die Finanzpolitik wird in den kommenden
expansiven Geldpolitik verbunden. Mittelfris-               Jahren leicht expansiv ausgerichtet sein. Die
tig sind mit der extrem expansiven Geldpolitik              günstige Lage auf der Einnahmenseite der Ge-
der vergangenen Jahre, welche die Zinsen nun                bietskörperschaften dürfte in den kommenden
schon für lange Zeit auf historisch niedrigem Ni-           Jahren zunächst anhalten. Da die Vorgaben der
veau hält, beträchtliche Stabilitätsrisiken ver-            Schuldenbremse angesichts derzeitiger struktu-
bunden. Zum einen kann die Aufblähung der                   reller Überschüsse dem nicht entgegenstehen,
Bilanzen der Zentralbanken dazu führen, dass                wird dies für Mehrausgaben in der mittleren
letztlich das Vertrauen in den Willen oder in die           Frist sorgen. Die Finanzpolitik dürfte somit ex-
Fähigkeit der Geldpolitik, die Inflation auf mitt-          pansiv ausgerichtet sein. Insbesondere die In-
lere Sicht niedrig zu halten, verlorengeht. Zum             vestitionsausgaben werden spürbar zulegen.
anderen steigt die Gefahr von negativen Ne-                 Gegen Ende des Projektionszeitraums dürften
benwirkungen für die Finanzstabilität und das               dann die Spielräume der Finanzpolitik ange-
Produktionspotenzial, je länger diese Politik               sichts der Zinswende und des demografischen
verfolgt wird. Von daher ist es angezeigt, den              Wandels enger werden, so dass der Expansi-
geldpolitischen Kurs so rasch wie möglich zu                onsgrad dann wieder sinken dürfte.
normalisieren. Allerdings birgt auch die Abkehr
von den nichtkonventionellen Maßnahmen das
Risiko, dass es zu Turbulenzen an den in-
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland          7

Deutschland expandiert mittelfristig in                           vielen der krisengeplagten fortgeschrittenen
die Hochkonjunktur                                                Volkswirtschaften – so unsere Prognose – nun
                                                                  wieder Tritt fassen wird. Schließlich sind von-
                                                                  seiten der Finanzpolitik zusätzliche Impulse zu
Deutschland steht am Beginn einer ausge-
prägten Expansionsphase. Die Konjunktur in                        erwarten, da die kräftig sprudelnden Steuer-
Deutschland hat wieder Tritt gefasst. Nachdem                     einnahmen für zusätzliche Ausgabenprogram-
das Bruttoinlandsprodukt bereits im Jahr 2014                     me genutzt werden dürften.
mit 1,6 Prozent rascher als das Potenzial ex-
                                                                  Die dynamische Bautätigkeit verlängert den
pandierte, dürfte sich der Produktionsanstieg im
                                                                  Investitionszyklus. Die Ausrüstungsinvestitio-
laufenden Jahr auf eine Rate von 1,8 Prozent
                                                                  nen werden voraussichtlich vor allem aufgrund
beschleunigen (Tabelle 2). Die Produktions-
                                                                  zyklischer Faktoren ab dem kommenden Jahr
lücke wird im laufenden Jahr in etwa geschlos-
                                                                  kräftig expandieren (Tabelle 3). So ist die Inves-
sen sein (Abbildung 4). Vieles spricht dafür,
                                                                  titionstätigkeit der Unternehmen in der Regel
dass sie sich in den kommenden Jahren deut-
                                                                  dann besonders ausgeprägt, wenn die Kapazi-
lich ausweitet und die Expansionsphase im
                                                                  tätsauslastung ihr normales Niveau übersteigt
Vergleich zu früheren Zyklen besonders ausge-
                                                                  und sich die Absatz- und Ertragserwartungen
prägt sein wird. Maßgeblich ist, dass die mone-
                                                                  spürbar aufhellen. Mit dem Nachlassen der
tären Rahmenbedingungen voraussichtlich
                                                                  steigenden Auslastung der Produktionskapa-
noch auf Jahre hinaus anregend auf die Kon-
                                                                  zitäten dürfte die Investitionstätigkeit – so die
junktur wirken werden. Hinzu kommt, dass die
                                                                  Erfahrungen mit früheren Investitionszyklen –
anhaltend günstige Entwicklung am Arbeits-
                                                                  wieder spürbar an Fahrt verlieren (Abbildung 5).
markt die Konsum- und Investitionsneigung der
                                                                  Dies spricht für ein Abflauen der auf Kapazi-
privaten Haushalte weiter stimulieren dürfte.
                                                                  tätserweiterungen gerichteten Investitionstätig-
Ferner werden wohl vorerst noch zusätzliche
                                                                  keit ab dem Jahr 2018. Allerdings dürften sich
Impulse von der Belebung der Weltwirtschaft
                                                                  die Bruttoanlageinvestitionen nicht so ausge-
ausgehen, insbesondere da die Konjunktur in

Tabelle 2:
Verwendung des Bruttoinlandsproduktes 2013–2019

                                                       2013       2014       2015      2016       2017     2018        2019

                                                                                in Vorjahrespreisen
Bruttoinlandsprodukt                                     0,1        1,6        1,8        2,0        2,5     2,1         1,2
  Letzte Inländische Verwendung                          0,7        1,3        2,1        2,5        2,8     2,5         1,7
     Private Konsumausgaben                              0,8        1,2        2,7        2,2        2,3     2,5         2,1
     Konsumausgaben des Staates                          0,7        1,1        1,6        1,1        1,2     1,2         1,1
     Bruttoanlageinvestitionen                           0,2        1,7        0,7        5,0        5,8     3,6         1,4
     Vorratsveränderung (Expansionsbeitrag)              0,2       -0,4       -0,4       -0,2        0,0     0,1         0,1
  Außenhandel (Expansionsbeitrag)                       -0,5        0,4       -0,1       -0,3       -0,1    -0,2        -0,4
     Exporte                                             1,6        3,9        5,6        6,3        7,0     5,7         4,6
     Importe                                             3,1        3,4        6,8        8,3        8,5     7,2         6,3
                                                                              in jeweiligen Preisen
Bruttoinlandsprodukt                                    2,2        3,4        3,9         4,1       5,0      4,7         4,0
  Letzte Inländische Verwendung                         2,2        2,6        3,1         4,3       5,2      5,1         4,5
     Private Konsumausgaben                             2,1        2,1        3,0         3,5       4,6      5,1         4,9
     Konsumausgaben des Staates                         3,8        3,7        4,5         4,1       4,2      4,3         4,3
     Bruttoanlageinvestitionen                          0,8        4,5        4,4         7,6       7,4      5,3         3,2
     Vorratsveränderung (Mrd. Euro)                   -22,3      -32,8      -46,1       -53,6     -53,9    -52,4       -51,2
  Außenbeitrag (Mrd. Euro)                            163,3      189,4      218,8      221,6      225,1    224,8       217,1
     Exporte                                            1,4        3,6        5,2         6,6       8,4      7,3         6,0
     Importe                                            1,4        1,8        3,5         7,6       9,6      8,5         7,4

Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 4; grau hinterlegt: Projektion des IfW.
8    Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

Tabelle 3:
Anlageinvestitionen 2013–2019

                                              2013           2014     2015             2016          2017           2018          2019
Anlageinvestitionen                           -0,6              3,4    2,7              5,7            5,2           2,9            0,9
  Unternehmensinvestitionen                   -1,3              2,9    2,6              6,6            5,9           2,7           -0,1
    Ausrüstungen                              -2,4              4,3    4,3              9,5            7,8           2,6           -2,0
    Wirtschaftsbau                            -2,1              2,0    0,0              4,3            3,0           2,0            1,2
    Sonstige Anlagen                           1,3              1,2    1,8              3,3            4,5           3,4            2,5
  Wohnungsbau                                  0,6              4,1    3,8              3,6            4,1           3,4            2,9
  Öffentlicher Bau                             1,6              4,6   -0,9              5,7            3,1           3,0            2,2
Nachrichtlich:
Bauinvestitionen                              -0,1              3,6    2,1              4,0            3,7           3,0            2,3

Preisbereinigt; Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2; grau hinterlegt: Projektion des IfW.

 Abbildung 4:                                                          Abbildung 5:
 Potenzial und Produktion 1991–2019                                    Bruttoanlageinvestitionen 1992–2019

                                                                             Prozent                                        Prozent
         Mrd. Euro                                    Prozent          28                                                             10
 3100                                                            5
                              Bruttoinlandsprodukt                                                                                    8
                                                                 4                   Quote
 2900     Produktionslücke                                             23
             (rechte Skala)                                      3                                                                    6

                                                                                                                                      4
                                                                 2
 2700                                                                  18
                                                                                                                                      2
                                                                 1
                                                                                                                                      0
 2500                                                            0
                                                                       13
                                                                                                                                      -2
                                                                 -1                Veränderung
 2300                                                                              (rechte Skala)
                                                                                                                                      -4
                                                                 -2     8
                                                                                                                                      -6
                        Potenzial                                -3
 2100                                                                                         Produktionslücke
                                                                        3                                                             -8
                                                                 -4                            (rechte Skala)
                                                                                                                                      -10
 1900                                                            -5
        1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 2015 2018              -2                                                             -12
                                                                            1992     1996     2000   2004    2008   2012   2016
 Jahresdaten; Bruttoinlandsprodukt, Potential: preisbereinigt (ver-
 kettete Volumenwerte, Referenzjahr 2010).                             Jahresdaten; Quote, Veränderung: Bruttoanlageinvestitionen;
                                                                       Quote: nominal, Anteil am Bruttoinlandsprodukt; Veränderung:
 Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe                  preisbereinigt.
 1.2; Berechnungen des IfW; grau hinterlegt: Projektion
 des IfW.                                                              Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2;
                                                                       Berechnungen des IfW; grau hinterlegt: Projektion des
                                                                       IfW.

prägt wie in früheren Zyklen verlangsamen, da
die Dynamik bei der Bautätigkeit wohl für einen                       Die Impulse aus dem Ausland halten noch
ungewöhnlich langen Zeitraum hoch bleiben                             einige Zeit an. In vielen fortgeschrittenen
wird. Dafür spricht vor allem, dass die privaten                      Volkswirtschaften haben hohe Verschuldungs-
Wohnungsbauinvestitionen aufgrund der für den                         positionen und strukturelle Probleme die wirt-
gesamten Projektionszeitraum günstigen Finan-                         schaftliche Entwicklung im Anschluss an die
zierungskonditionen sowie der anhaltend hohen                         globale Finanzkrise gebremst. In vielen Ländern
Einkommenszuwächse wohl weiterhin robust                              des Euroraums ist es im Jahr 2012 im Zuge der
zulegen werden.                                                       Schuldenkrise sogar zu einer abermaligen
                                                                      Rezession gekommen. Hier wird die Konjunktur
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland   9

im Verhältnis zur deutschen Konjunktur wohl              Allerdings dürften nicht alle in Aussicht gestell-
erst verzögert an Fahrt aufnehmen und im                 ten Mittel zu höheren Investitionsvolumen füh-
Vergleich zu früheren Zyklen noch relativ lange          ren. Zum einen ist damit zu rechnen, dass es
Impulse für die deutschen Ausfuhren liefern. In          auf Seiten von Ländern und Kommunen zu Mit-
unserer Projektion verlangsamt sich der Anstieg          nahmeeffekten kommt, und zum anderen dürfte
der Exporte erst ab dem Jahr 2018 allmählich             es gerade mit Blick auf nur vorübergehende „In-
wieder.                                                  vestitionsoffensiven“ zu deutlichen Preiseffekten
                                                         kommen. Insgesamt wird die Ausweitung der
Der private Konsum behält sein hohes Ex-                 öffentlichen Investitionen den seit 15 Jahren zu
pansionstempo bei. Aufgrund der anhaltend                verzeichnenden Verfall des öffentlichen Kapital-
günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt mit                stocks voraussichtlich nicht stoppen, sondern
steigender Beschäftigung und robusten Lohn-              lediglich verlangsamen (Kasten 1).
zuwächsen werden auch die real verfügbaren
Einkommen weiterhin kräftig zulegen. Vor die-            Der Aufschwung ist vor allem durch bin-
sem Hintergrund dürfte sich die Konsumnei-               nenwirtschaftliche Faktoren geprägt. Auf-
gung der privaten Haushalte erhöhen und zu-              grund der günstigen Lage am Arbeitsmarkt und
sammengenommen mit den ausgesprochen                     den anhaltenden Impulsen von monetärer Seite
günstigen Finanzierungsbedingungen auch die              ist der derzeitige Aufschwung deutlich stärker
Kreditaufnahme für Konsumzwecke anregen.                 von binnenwirtschaftlicher Seite geprägt als
Insgesamt rechnen wir damit, dass der private            frühere Aufschwünge (Abbildung 6). Dazu trägt
Konsum in den kommenden Jahren mit Raten                 freilich auch bei, dass die Exporte nicht mehr
von über 2 Prozent expandieren wird.                     ganz so dynamisch expandieren dürften, da
                                                         sich das Potenzialwachstum nicht nur in vielen
Das Volumen des Staatskonsums dürfte                     fortgeschrittenen Volkswirtschaften, sondern
vergleichsweise moderat zulegen. Zum einen               auch in vielen Schwellenländern etwas verlang-
ist nicht mit einer erheblichen Aufstockung der          samt hat. Aus diesen Gründen rechnen wir da-
Personalzahlen auf Seiten der Gebietskörper-             mit, dass die Einfuhren über den gesamten
schaften zu rechnen und zum anderen dürften              Projektionszeitraum hinweg mit höheren Raten
die sozialen Sachleistungen zwar, bedingt                expandieren werden als die Ausfuhren. In der
durch die Alterung der Gesellschaft, anziehen,           Folge wird der Außenhandel rein rechnerisch
doch rechnen wir nicht mit Leistungsauswei-              negativ zum Zuwachs des Bruttoinlandspro-
tungen im größeren Umfang. Hintergrund ist die           dukts beitragen.
hohe Preisdynamik in diesem Bereich, die sich
in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte, so            Ab dem kommendem Jahr werden die Pro-
dass die Spielräume der Gesetzlichen Kranken-            duktionskapazitäten mehr und mehr über-
und Pflegeversicherung trotz deutlicher Zu-              dehnt. Aufgrund der hohen konjunkturellen Dy-
wächse bei den Einnahmen wohl gering bleiben             namik wird das Bruttoinlandsprodukt über meh-
werden.                                                  rere Jahre hinweg mit höheren Raten zulegen
                                                         als das Produktionspotenzial, so dass sich die
Die öffentlichen Bauinvestitionen werden                 Produktionslücke mehr und mehr öffnet. Wir
sich in der mittleren Frist deutlich beschleu-           rechnen erst für das Ende des Projektionszeit-
nigen. Maßgeblich sind die Investitionspakete            raums damit, dass sich der Zuwachs des Brutto-
des Bundes, wie die jüngst vorgestellte „Investi-        inlandsprodukts wieder spürbar verlangsamt –
tionsoffensive“ und das für das Jahr 2017 ge-            vor allem aufgrund einer zyklischen Verlangsa-
plante Bundesteilhabegesetz, welches gerade              mung bei den Ausrüstungsinvestitionen und ei-
die Kommunen, die angesichts hoher Sozial-               ner sich abschwächenden Weltkonjunktur. Die
ausgaben kaum finanzielle Spielräume für In-             Produktionslücke wird dann voraussichtlich mit
vestitionen haben, merklich entlasten soll und           knapp 3 Prozent ihr höchstes Niveau seit der
so deren Investitionstätigkeit stimulieren dürfte.       Wiedervereinigung erreicht haben.
10    Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

Kasten 1:
Zur Entwicklung des öffentlichen Kapitalstocks – Ein Update
Im Frühjahr 2013 stellten wir im Rahmen der Mittel-        Abbildung K1-1:
fristprojektion erstmals auch die Fortschreibung des       Ausgabenanteile der Gebietskörperschaften 1991–
öffentlichen Kapitalstocks vor (Boysen-Hogrefe et al.      2013
2013: Kasten 1). Anlass war die um die Jahrtau-
                                                                  Prozent                                            Prozent
sendwende einsetzende Erosion des öffentlichen             25                                                                   25
Sachanlagevermögens, die in der wirtschaftspoliti-                       Rechenstand 2013  Rechenstand 2014
schen Diskussion um die Infrastrukturqualität – ins-
besondere im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen –                 distributiv                                                  20
                                                           20
zunehmend als Problem erkannt wurde. In der im
vergangenen Jahr vollzogenen Generalrevision der
                                                                                                                                15
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen wurde un-
                                                           15
ter anderem der Investitionsbegriff neu gefasst. Ins-
besondere werden seitdem Ausgaben für Forschung                                                                                 10
und Entwicklung als Investitionen aktiviert; auch
militärische Ausrüstungsgüter fallen nun unter die         10                                      investiv
öffentlichen Investitionen. In der Folge hat sich die                                                                           5
Investitionsquote in den Haushalten der Gebietskör-
perschaften merklich erhöht (Abbildung K1-1). Das           5
allgemeine Bild im Trend rückläufiger investiver Aus-                                                                           0
gabenanteile bei gleichzeitig zunehmenden distribu-               Nettoinvestitionen
tiven Ausgabenanteilen bleibt hiervon jedoch unbe-
                                                            0                                                                   -5
rührt, auch wenn die Stabilisierung der Investitions-           1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012
quote ab dem Jahr 2005 nach neuer Rechnung et-
                                                           Jahresdaten; Anteil an den Gesamtausgaben, konsolidiert;
was klarer ausfällt.                                       investiv: Bruttoinvestitionen und Investitionszuschüsse; distri-
    Da der nunmehr erweiterte Investitionsbegriff im       butiv: monetäre Sozialleistungen und soziale Sachleistungen;
ESVG 2010 zur Beurteilung der Kapitalstockent-             Nettoinvestitionen: gesamtstaatlich.
wicklung hinsichtlich der Infrastrukturqualität weniger    Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe
gut geeignet ist, weisen wir fortan den Bestand an         1.4; Berechnungen des IfW.
Nichtwohnbauten des öffentlichen Sektors aus und
schreiben diesen entsprechend den in unserer Mit-          Abbildung K1-2:
telfristprojektion eingestellten Investitionen unter Be-   Öffentlicher Kapitalstock 1991–2019
rücksichtigung der Abschreibungen fort (Abbildung
                                                                  Mrd. Euro                                        Mrd. Euro
K1-2). In Anlehnung an die bisherige Vorgehens-             20                                                                  1080
weise wird weiterhin das preisbereinigte Nettoanla-
gevermögen als verkettete Volumenwerte ausgewie-                                                                                1060
                                                            15
sen. In dem so abgegrenzten Kapitalstock machen
Tiefbauten rund 57 Prozent aus, von denen gut die                                                                               1040
Hälfte auf das Straßennetz entfällt.                        10
    Der Befund eines seit dem Jahr 2001 erodieren-                                                                              1020
den öffentlichen Kapitalstocks hat nach dieser Rech-         5
nung weiterhin Bestand. Gemäß den amtlichen An-                                                                                 1000
gaben, die bis in das Jahr 2013 reichen, ist der Ka-
                                                             0
pitalstock bereits auf das Niveau des Jahres 1994                                                                               980
zurückgefallen. Auch wenn die Investitionshaushalte
im Zuge der Infrastrukturdebatte zuletzt etwas auf-         -5
                                                                                                                                960
gestockt wurden, so wird sich der Verfall öffentlicher
Nichtwohnbauten im Projektionszeitraum fortsetzen.         -10                                                                  940
Im Jahr 2019 dürfte der Kapitalstock dann nur noch               1991    1995    1999   2003   2007    2011      2015    2019
leicht über dem Niveau des Jahres 1992 liegen. Es                    Kapitalstock (rechte Skala)              Nettoinvestitionen
zeichnet sich allerdings ab, dass sich das Erosions-       Jahresdaten; Kapitalstock: Nettoanlagevermögen des Staates,
tempo im Laufe des Projektionszeitraums entschleu-         Nichtwohnbauten, preisbereinigt (Referenzjahr 2010); Netto-
                                                           investitionen: in jeweiligen Preisen.
nigt. So dürften nach derzeitigem Stand die Brutto-
investitionen im Jahr 2019 nahezu ausreichen, um           Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.4
den Verschleiß auszugleichen.                              und Anlagevermögen nach Sektoren (Arbeitsunterlage);
                                                           Berechnungen des IfW; grau hinterlegt: Projektion des IfW.
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland   11

 Abbildung 6:                                                       zurück. Die Erwerbslosenquote nach Definition
 Verwendungsseitige Expansionsbeiträge 2000–2019                    der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnungen er-
                                                                    reicht sogar ein Niveau von 2,7 Prozent, womit
  6,0     Prozent(punkte)
                                                                    sie unterhalb der strukturellen Erwerbslosen-
  4,0
                                                                    quote (NAIRU) liegen wird. Der weitere Rück-
                                                                    gang der Arbeitslosigkeit wird somit zunehmend
  2,0                                                               der Hochkonjunktur geschuldet sein, wodurch
                                                                    die Anspannungen am Arbeitsmarkt deutlich
  0,0
                                                                    steigen werden. Eine Erwerbslosenquote von
  -2,0
                                                                    2,7 Prozent sollte allerdings nicht ohne weiteres
                                                                    mit Vollbeschäftigung gleichgesetzt werden. Die
  -4,0                                                              Definition von Erwerbslosigkeit gemäß den
                                                                    Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ent-
  -6,0
                                                                    spricht der ILO-Definition, wonach eine Person
  -8,0
                                                                    bereits bei einer Wochenarbeitszeit von nur
         2000         2004     2008    2012       2016              einer Stunde nicht mehr als erwerbslos gilt.
                Außenhandel               Lager                     Nach Definition der Bundesagentur für Arbeit
                Anlagen                   Konsum                    gilt eine Person erst ab einer Wochenarbeitszeit
                BIP                                                 von 15 Stunden nicht mehr als arbeitslos.
Jahresdaten, preisbereinigt; BIP: Veränderung gegenüber dem
Vorjahr; Komponenten: Expansionsbeitrag in Prozentpunkten.          Die zunehmende Anspannung auf dem
                                                                    Arbeitsmarkt wird sich in stärker steigenden
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe
1.2; grau hinterlegt: Projektion des IfW.                           Löhnen niederschlagen. Nachdem im kom-
                                                                    menden Jahr der Lohnanstieg durch den Weg-
                                                                    fall des Mindestlohneffekts noch geringer aus-
Die Beschäftigung bleibt mittelfristig auf-                         fallen wird als in diesem Jahr, wird er sich in der
wärtsgerichtet. Die Arbeitsnachfrage wird im                        Folge zunehmend beschleunigen, sobald die
Zuge der Hochkonjunktur und aufgrund des                            Arbeitslosigkeit aufgrund der konjunkturellen
weiterhin günstigen Verhältnisses von Produkti-                     Überauslastung ihr strukturelles Niveau unter-
vität und realen Lohnkosten weiter steigen. Im                      schreitet. Gegen Ende des Projektionszeitraums
Verlauf des Projektionszeitraums dürfte das Ar-                     dürften die Effektivverdienste mit Raten von
beitsvolumen dabei das bisherige gesamtdeut-                        über 4 Prozent so stark steigen wie seit Anfang
sche Rekordniveau aus dem Jahr 1991 über-                           der 1990er Jahre nicht mehr. Die nominalen
schreiten (Tabelle 4). Die Arbeitsleistung wird                     Lohnstückkosten werden sich ebenfalls spürbar
aber von deutlich mehr Menschen erbracht als                        beschleunigen, auch weil die Arbeitsprodukti-
damals. Die Zahl der Erwerbstätigen, die schon                      vität in der fortgeschrittenen Phase der Hoch-
seit einigen Jahren von Rekord zu Rekord eilt,                      konjunktur wieder schwächeln dürfte. Nichts-
wird dementsprechend weiter spürbar zuneh-                          destotrotz werden die Lohnstückkosten in realer
men. Hingegen wird die Pro-Kopf-Arbeitszeit                         Rechnung überwiegend sinken, da die allge-
gemäß ihrem langjährigen fallenden Trend wohl                       meine Preisentwicklung (gemessen am Deflator
weiter abnehmen, wenngleich mit geringerem                          des Bruttoinlandsprodukts) spürbar an Fahrt
Tempo.                                                              gewinnen wird.

Die Anspannungen am Arbeitsmarkt nehmen                             Angesichts stark überausgelasteter Kapazi-
spürbar zu. Im Zuge der Beschäftigungsaus-                          täten wird sich der Preisauftrieb merklich
weitung wird die Arbeitslosigkeit – wenn auch                       verstärken. Die Teuerungsrate für die privaten
unterproportional – weiter sinken. Die Arbeitslo-                   Verbraucher dürfte sich unserer Mittefristprojek-
senquote nach Definition der Bundesagentur für                      tion zufolge der 3-Prozent-Marke nähern. Der
Arbeit geht bis zum Jahr 2019 auf 5,0 Prozent
12     Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

Tabelle 4:
Arbeitsmarkt und Preisentwicklung 2013–2019
                                               2013        2014        2015         2016         2017     2018       2019
                                                                                Absolute Werte
Arbeitsvolumen (Mill. Stunden)                57 608      58 476      59 127       59 590     60 127      60 608     61 033
  Erwerbstätige (Tsd. Pers.)                  42 281      42 652      42 989       43 334     43 813      44 252     44 651
  Arbeitszeit (Stunden)                        1 363       1 371       1 375        1 375      1 372       1 370      1 367
Arbeitslose, BA (Tsd. Pers.)                   2 949       2 898       2 795        2 713      2 515       2 356      2 237
  Quote (%)                                       6,9         6,7         6,4          6,2        5,7         5,3        5,0
Erwerbslose, ILO (Tsd. Pers.)                  2 175       2 090       1 984        1 854      1 607       1 398      1 229
  Quote (%)                                       4,9         4,7         4,4          4,1        3,5         3,1        2,7
Effektivverdienste (Euro/h)                     23,8        24,3        25,0         25,6       26,5        27,5       28,8
Bruttolöhne (Mrd. Euro)                      1 163,3     1 207,7     1 263,0      1 305,9    1 363,2     1 431,0    1 507,6
                                                             Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Arbeitsvolumen                                   -0,3        1,5         1,1          0,8          0,9       0,8        0,7
  Erwerbstätige                                   0,6        0,8         0,8          0,8          1,1       1,0        0,9
  Arbeitszeit                                    -0,9        0,6         0,3         -0,0         -0,2      -0,2       -0,2
Arbeitsproduktivität (Stundenbasis)               0,4        0,1         0,7          1,2          1,6       1,2        0,5
Effektivverdienste                                2,8        1,8         3,1          2,5          3,3       4,0        4,5
Bruttolöhne                                       3,0        3,8         4,6          3,4          4,4       5,0        5,4
BIP-Deflator                                      2,1        1,7         2,1          2,1          2,4       3,0        2,9
Verbraucherpreise                                 1,5        0,9         0,1          1,5          2,4       2,7        2,9
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2; grau hinterlegt: Projektion des IfW.

jährliche Anstieg des Deflators des Brutto-                         Aufgrund der für Deutschland sehr expansi-
inlandsprodukts, welcher bereits seit zwei Jah-                     ven Geldpolitik sind die Risiken für krisen-
ren über der Inflationsrate liegt, wird sich eben-                  hafte Entwicklungen besonders hoch. Das
falls beschleunigen. Damit verteuert sich die                       mit einem Boom einhergehende Risiko ist für
Produktion in Deutschland so stark wie seit gut                     Deutschland derzeit besonders ausgeprägt, da
20 Jahren nicht mehr. Da die Konjunktur und                         das anhaltende Niedrigzinsumfeld die Fehlver-
der Preisauftrieb im übrigen Euroraum weiterhin                     wendung von Kapital zunehmend wahrschein-
deutlich schwächer ausfallen werden, wird die                       lich macht. So sind an den Immobilienmärkten
Geldpolitik der anziehenden Inflation in                            bereits mancherorts erste Anzeichen für Über-
Deutschland nicht energisch entgegentreten                          treibungen zu erkennen. Sollte nun auch noch
können.                                                             die Kreditvergabe spürbar anspringen, so wür-
                                                                    den sich die systemischen Risiken für die deut-
Die Risiken für einen wirtschaftlichen Ein-                         sche Wirtschaft zusehends erhöhen. Für unsere
bruch erhöhen sich. Mit der zunehmenden                             Mittelfristprojektion haben wir unterstellt, dass
Überauslastung erhöht sich auch das Rück-                           sich diese absehbaren Risiken für die deutsche
schlagpotenzial für die deutsche Wirtschaft,                        Wirtschaft nicht in krisenhaften Entwicklungen
denn jede deutliche Überauslastung ist natur-                       entladen. Solche Risiken bauen sich in der Re-
gemäß nicht nachhaltig und muss früher oder                         gel über einen längeren Zeitraum auf, und es ist
später durch eine Anpassungsrezession korri-                        nicht vorhersehbar, wann sie so groß geworden
giert werden. Je ausgeprägter der Boom aus-                         sind, dass sie unweigerlich zu einer Krise füh-
fällt, desto höher sind auch die Risiken für eine                   ren. Gleichwohl sollten solche Risiken zukünftig
besonders tiefe Anpassungsrezession. Aus sta-                       sehr genau beobachtet werden. Erschwert wird
bilitätspolitischen Überlegungen heraus stellt                      dies freilich dadurch, dass der Aufbau solcher
sich eine Volkswirtschaft dadurch schlechter als                    Risiken nicht notwendigerweise stets dem glei-
bei einer stetigeren Entwicklung.                                   chen Muster folgt – beispielsweise über eine
                                                                    starke Kreditausweitung im Zusammenhang mit
Kieler Konjunkturberichte Nr. 6 (2015|Q1) – Mittelfristprojektion für Deutschland   13

einem Immobilienboom, so wie es vor der glo-             strukturelle Ausgabenerhöhungen aufgewendet
balen Finanzkrise zu beobachten war.                     werden. Die Finanzpolitik sollte diesen Risiken
                                                         begegnen und sich nicht mit dem Erfüllen der
Die Politik muss nicht tatenlos zusehen. Die             Schuldenbremse zufrieden geben. Eine rasche
Wirtschaftspolitik steht in den kommenden Jah-           Reduktion der Schuldenstandsquote wäre eine
ren vor gewaltigen Herausforderungen. So er-             geeignete Risikovorsorge, um den Gefahren,
höht sich in der Boomphase das Risiko, Maß-              die sich aus einer monetären Expansion erge-
nahmen zu beschließen, die das Potenzial-                ben können, zu begegnen (Boysen-Hogrefe
wachstum auf mittlere Sicht merklich schwä-              2014). Schließlich sollte die Wirtschaftspolitik
chen, deren negative Auswirkungen kurzfristig            den sich abzeichnenden systemischen Risiken
jedoch durch die günstige konjunkturelle Ent-            möglichst frühzeitig begegnen. Dafür böte es
wicklung überdeckt werden. In jüngster Zeit              sich vor allem an, geeignete makroprudenzielle
wurden bereits einige solcher Maßnahmen (z.B.            Maßnahmen zu ergreifen. Dabei sollte zunächst
Mindestlohn oder Rente mit 63) umgesetzt.                Maßnahmen der Vorrang gegeben werden, die
Jede für sich genommen dürfte das Potenzial-             eine geringe Eingriffsintensität aufweisen (und
wachstum zwar nur leicht dämpfen. Sollte in              mit geringen Nebenwirkungen verbunden wä-
den kommenden Jahren diese Politik jedoch                ren) und gleichzeitig das Finanzsystem insge-
fortgesetzt werden, so wären die Reformerfolge           samt stabiler machen, beispielsweise eine –
früherer Jahre rasch wieder verspielt (Kooths            auch über die im Basel-III-Regelwerk vorgese-
2014). Auch die Risiken für die Finanzpolitik er-        henen Bestimmungen hinausgehende – Erhö-
höhen sich in konjunkturellen Hochzeiten, da             hung der Risikovorsorge des Finanzsystems
konjunkturelle Mehreinnahmen allzu leicht als            und eine Stärkung des Haftungsprinzips (Boy-
dauerhaft angesehen und in der Folge für                 sen-Hogrefe et al. 2014a).

Literatur

Bachmann, R., S. Braun, A. Friedl, M. Giesecke, D. Groll, A. Kramer, A. Paloyo und A. Sachs (2013).
    Demografie und Wachstum: Die gesamtwirtschaftlichen Effekte einer höheren Erwerbstätigkeit
    Älterer. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 62 (3): 287–310.
Boysen-Hogrefe (2014). Niedrige Zinsen und rasche monetäre Expansion: Was soll die Finanzpolitik
    tun? Kiel Policy Brief 75. Institut für Weltwirtschaft, Kiel. Via Internet .
Boysen-Hogrefe, J., K.-J. Gern, D. Groll, N. Jannsen, S. Kooths, M. Plödt, T. Schwarzmüller, B. van
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    Expansion. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik 5. Institut für Weltwirtschaft, Kiel.
Boysen-Hogrefe, J., K.-J. Gern, D. Groll, M. Kappler, S. Kooths und J. Scheide (2014b). Mittelfrist-
    projektion für Deutschland: Wirtschaftspolitik schwächt Produktionspotenzial. Institut für Welt-
    wirtschaft (Hrsg.), Deutsche Konjunktur im Frühjahr 2014. Kieler Diskussionsbeiträge 536/537.
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Boysen-Hogrefe, J., D. Groll, N. Jannsen, S. Kooths, I. Pirschel, M. Plödt und M. Wolters (2015).
    Deutschland auf dem Weg in die Hochkonjunktur. Kieler Konjunkturberichte Nr. 5 (2015|Q1).
    Institut für Weltwirtschaft, Kiel. Via Internet .
Gern, K.-J., N. Jannsen, M. Plödt und J. Scheide (2014). Weltwirtschaftliche Expansion ohne
    Schwung. Institut für Weltwirtschaft (Hrsg.), Weltkonjunktur im Herbst 2014. Kieler Diskussions-
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14   Institut für Weltwirtschaft – Prognosezentrum

Gern, K.-J., N. Jannsen, S. Kooths und M. Plödt (2015). Weltkonjunktur zieht allmählich an. Kieler
    Konjunkturberichte Nr. 3 (2015|Q1). Institut für Weltwirtschaft, Kiel. Via Internet .
Kooths, S. (2014). Zeitgespräch: Nahe am Eichstrich – kein Bedarf für Konjunkturprogramme,
    Wachstum braucht ordnungspolitische Reformen. Wirtschaftsdienst 94 (12): 847–850.
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