Der Frevel der Hybris "eritis sicut Deus" - die Schuld der Menschen sich Gott gleich zu fühlen Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades ...
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Der Frevel der Hybris „eritis sicut Deus“ – die Schuld der Menschen sich Gott gleich zu fühlen Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts eingereicht von Mag. Maria Ulrike Uray bei A.O. Univ. Prof. Karl Prenner i.R. Institut für Religionswissenschaft an der Kath.-Theol.-Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz Graz, am 02.08.2020
Inhaltsverzeichnis Abstrakt ........................................................................................................................... 5 Abstract ........................................................................................................................... 6 Vorwort ............................................................................................................................ 7 Einleitung......................................................................................................................... 7 1 Der Begriff der Sünde ............................................................................................ 9 1.1 Exkurs: Sokrates Lehre vom „Tugendwissen“ .......................................... 10 1.2 Sünde und Schuld ......................................................................................... 10 1.3 Die Ethik ........................................................................................................ 11 1.4 Exkurs: Das „Daimonion“ des Sokrates ..................................................... 12 2 Ethisches Bewusstsein bei den Völkern des AO................................................. 13 2.1 Exkurs: Jenseitsvorstellung im Koran: ...................................................... 14 2.2 Das Sündenverständnis im AO .................................................................... 16 2.2.1 Die Sumerer ............................................................................................ 16 2.2.2 Altbabylonische Zeit ............................................................................... 17 2.2.3 Ägypten................................................................................................... 17 2.2.4 Persien..................................................................................................... 19 2.3 Der Sündenfall in der Bibel ......................................................................... 19 2.4 Exkurs: Die Bedeutung der Schlange und der Frau: ................................ 21 3 Die Hybris .............................................................................................................. 23 4 „ … scientes bonum et malum“ ........................................................................... 26 4.1 Exkurs: Die Bedeutung der Gesetze im klassischen Griechenland.......... 28 5 „eritis sicut deus ...“ .............................................................................................. 30 5.1 die Sehnsucht der Menschen nach Unsterblichkeit ................................... 30 5.1.1 Achilles ................................................................................................... 30 5.1.2 Meleagros ............................................................................................... 31 5.1.3 Aphrodite und Anchises ......................................................................... 31 5.1.4 Die Orphik .............................................................................................. 32 5.1.5 Die Mysterien ......................................................................................... 32 5.1.6 Der Mithraskult ....................................................................................... 34 6 Unsterblichkeit durch persönliche Leistung ...................................................... 35 6.1 Dichtung......................................................................................................... 35 6.1.1 Dichter – vates ........................................................................................ 35 6.1.2 Unsterblichkeit durch dichterischen Ruhm............................................. 36 6.1.3 Der Staatsmann ....................................................................................... 37 7 Die Hybris, sich mit den Göttern zu messen ...................................................... 39 7.1 Hygin .............................................................................................................. 39 7.2 Marsyas .......................................................................................................... 39 7.3 Die Hybris bei Ovid ...................................................................................... 40 7.3.1 P. Ovidius Naso ...................................................................................... 40 7.3.2 Niobe....................................................................................................... 40 7.3.3 Daedalus und Ikarus................................................................................ 42 7.3.4 Prometheus ............................................................................................. 43 8 Menschen, die die Grenzen überschreiten.......................................................... 44 2
8.1 Die Grenze zum Himmel .............................................................................. 44 8.1.1 Bellerophon............................................................................................. 44 8.1.2 Typhon .................................................................................................... 44 8.2 Menschen, die die Grenzen zur Unterwelt überschreiten ......................... 45 8.2.1 Herakles .................................................................................................. 45 8.2.2 Odysseus ................................................................................................. 46 8.2.3 Alkestis ................................................................................................... 47 8.2.4 Vergils Aeneis ........................................................................................ 48 8.2.5 Orpheus und Eurydike ............................................................................ 49 8.2.6 Bei Ovid: ................................................................................................. 49 9 Die Hybris, die Macht der Götter anzuzweifeln und sie auf die Probe zu stellen ............................................................................................................................. 51 9.1 Das Schicksal bei Herodot............................................................................ 51 9.1.1 Herodot ................................................................................................... 51 9.1.2 Kroisos .................................................................................................... 51 10 Zweifel an der Allwissenheit der Götter ......................................................... 52 11 Die Hybris, das Schicksal überlisten zu wollen .............................................. 52 12 Das Schicksal im Alten Orient ......................................................................... 53 12.1 Das Schicksal bei den Griechen und Römern ............................................ 54 12.2 Das Schicksal im Islam ................................................................................. 54 12.3 Das Schicksal bei Herodot............................................................................ 55 12.4 In der Tragödie ............................................................................................. 56 12.4.1 Oedipus ................................................................................................... 56 13 Die Hybris, die Götter anzugreifen ................................................................. 57 13.1 Hesiods Theogonie ........................................................................................ 57 13.2 Der Kampf der Giganten bei Ovid .............................................................. 58 14 Die Hybris, das dem Menschen gesetzte Maß zu überschreiten................... 59 14.1 Im Alten Orient ............................................................................................. 59 14.1.1 Das Gilgamesch Epos: ............................................................................ 59 14.2 Im antiken Griechenland ............................................................................. 59 14.2.1 Antigone von Sophokles ......................................................................... 59 14.3 Im Hinduismus .............................................................................................. 60 14.4 Kroisos bei Herodot ...................................................................................... 61 14.5 Alexander der Große - ein Mensch, der seine Grenzen überschreitet – Exkurs ........................................................................................................................ 61 14.6 Die Sophisten ................................................................................................. 63 15 Die Hybris, sich selbst zum Gott zu machen .................................................. 64 15.1 Die Propaganda des Augustus ..................................................................... 65 15.2 Caligula .......................................................................................................... 66 15.3 Nero ................................................................................................................ 67 16 Die Schöpfung ................................................................................................... 68 16.1 Die Schöpfung im AT ................................................................................... 68 16.2 Die Schöpfung durch den Menschen........................................................... 70 16.2.1 Der Homunculus ..................................................................................... 70 16.2.2 Blut ist ein besond´rer Saft ..................................................................... 71 16.3 Schöpfung bei Ovid....................................................................................... 72 3
16.3.1 Die Giganten ........................................................................................... 72 16.3.2 Deukalion und Pyrrha ............................................................................. 72 16.3.3 Pygmalion ............................................................................................... 73 16.4 Der Golem...................................................................................................... 73 17 Menschen als Gott............................................................................................. 75 17.1 Herodes .......................................................................................................... 75 17.2 Menschen, die sich als Messias ausgeben ................................................... 75 18 Schöpfung durch Technik und Digitalisierung - Ausblick ........................... 76 19 Zusammenfassung ............................................................................................ 77 20 Bibliographie ..................................................................................................... 80 Primärliteratur.......................................................................................................... 80 Sekundärliteratur ..................................................................................................... 80 Linkverzeichnis ......................................................................................................... 83 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................. 84 4
ABSTRAKT In der Arbeit wird untersucht, wie die Hybris sich Gott gleich zu stellen in der klassischen Antike bestraft wird. Der Begriff „Sünde“ hat sich bis zum Christentum entscheidend verändert- Deshalb wird hier das Wort „Frevel“ verwendet. Eine wichtige Passage ist auch dem Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies im Alten Testament gewidmet, wo durch die Worte des Versuchers „ihr werdet sein wie Gott und das Gute und Böse wissen“ der Frevel der Hybris angesprochen wird. Die Bedeutung des Wortes „Hybris“ wird genau erörtert. Die Hybris des Menschen, der die Grenze zur Unsterblichkeit überschreiten will, die selbst die Götter einhalten müssen, zeigt sich zum Beispiel an Achilles und anderen .Das Streben des Menschen nach Unsterblichkeit wird durch verschiedene Beispiele gezeigt Auch Menschen, die den Weg in die Unterwelt unbeschadet überwunden haben, werden gezeigt. Hier werden mehrere Mythen behandelt. Das Überschreiten der Grenze zum Himmel wird gezeigt. Die Hybris sich mit den Göttern zu messen und ihre Bestrafung wird an den Beispielen von Marsyas, Niobe bei Ovid und Daedalus und Ikarus gezeigt. Die Hybris, die Allwissenheit der Götter anzuzweifeln und das Schicksal ändern zu wollen, zeigt sich besonders in der Geschichte von Kroisos bei Herodot und auch in der Tragödie des Sophokles „Oidipus tyrannos“. Die Hybris, die Götter anzugreifen wird am Beispiel von Hesiods Theogonie und den Giganten bei Ovid gezeigt. Auch Menschen, die über ihr Maß hinaus gehen, machen sich der Hybris schuldig. Alexander der Große ist ein Beispiel für diese Form der Hybris. Menschen, die sich selbst zum Gott machten, findet man unter den römischen Kaisern. Auch die Schöpfung eines Menschen ist der Gottheit vorbehalten. Das Streben des Menschen nach Göttlichkeit ist in Goethes „Faust II“ durch die Schöpfung des Homunculus verwirklicht. Der Ausblick auf die zunehmende Digitalisierung zeigt die Möglichkeiten zur „Schöpfung“ durch den Menschen in der Zukunft. 5
ABSTRACT The work describes how the hubris of equalising with or identifying oneself with God is punished in classical antiquity. The term “sin” has also changed significantly until Christianity That is why the word "sacrilege" is used here. An important passage is also dedicated to the fall of human, known as original sin, resulting in the expulsion and banishment from paradise in the Old Testament. The words "You’ll be like God, being able to recognise good and evil" provides evidence of the evil of hubris The meaning of the word “hubris” is discussed in detail. The hubris of man who wants to cross the border to immortality, which even the gods must adhere to, is shown by Achilles and others. Man's triving for immortality is illustrated by various examples. Exceeding the border to heaven is described. The hubris of measuring oneself against the gods and its punishment is shown by the examples of Marsyas, Niobe in Ovid’s Metamorphoses and Daedalus and Icarus .The hubris of questioning the omniscience of the gods and desiring to change fate is particularly evident in the story of Croesus from Herodotus and also in the tragedy of Sophocles "Oidipus tyrannos" The hubris of attacking the gods is shown using the example of Hesiod's theogony and the giants at Ovid. Even people who go beyond their measure are guilty of hubris. Alexander the Great is an example of this type of hubris. People who deified or proclaimed themselves gods are found among the Roman emperors- The creation of a human being is also reserved for the deity. This can be seen in the representation of the myth of Deucalion and Pyrrha or Pygmalion from Ovid's Metamorphoses. Man's striving for divinity through the creation of a human being is performed in Goethe's "Faust II" through the creation of the homunculus. The increasing digitalization shows the possibilities for "creation" by humans in the future. 6
VORWORT Der Begriff „Sünde“ wird erst durch das Christentum in der uns geläufigen Form festgesetzt. Dennoch gibt es aber einen Frevel, der stets von den Göttern bestraft wird, die Hybris. Diese Selbstüberschätzung führt den Menschen dazu, sich den Göttern gleich zu setzen und wird schon in der Sündenfallerzählung im Alten Testament durch die Worte der Schlange „eritis sicut deus ...“ formuliert. In der gesamten griechisch-römischen Literatur findet man Beispiele für diesen Frevel, der bis in unsere Zeit noch aktuell ist. Diese Arbeit soll zeigen, wie dieses Thema von den Kulturen des Vorderen Orients bis zu den Römern zu beobachten ist. EINLEITUNG Im Menschen aller Kulturen und Zeiten ist ein Gefühl für Recht und Unrecht vorhanden. Platon versucht dieses Phänomen durch seine Ideenlehre zu erklären. Vor der Geburt hat der Mensch schon die Idee des Guten und Rechten geschaut und erinnert sich im tatsächlichen Leben daran. Diese Wiedererinnerung nennt Platon Anamimnesis.1 Durch die Entstehung verschiedener Religionen entstand die Vorstellung, was man zu tun hatte, um die Gottheit zufrieden zu stellen. Viele Religionen sahen darin das genaue Befolgen aller Riten. So leitet Cicero (105 - 43 v.Chr.) den Begriff „religio“ von „relegere“ - „immer wieder durchgehen“ ab, d. h. man müsse alle Gebete und Riten sorgsam bewahren. (Cic.de natura deorum, II,72). So findet man in allen antiken Hochkulturen ein Sündenbewusstsein, da die Menschen erlittenes Unheil mit unterlassenen Opfern und Gebeten erklärten. Der Begriff „Sünde“ ist uns vor allem aus der christlichen Religion bekannt und wird wie folgt beschrieben: “Sünde ist ein religiös konnotierter Begriff. (Im christlichen Religion Verständnis bezeichnet er den unvollkommenen Zustand des von Gott getrennten Menschen.2 In der Genesis verführt die Schlange die Menschen mit den Worten: “Eritis sicut deus scientes bonum et malum.“ Goethe stellte diesen Satz gleichsam als Überschrift an den Anfang seines „Faust“. Ich bin der Meinung, dass in diesem Satz der größte Frevel formuliert wird, der in allen Kulturen bis heute festzustellen 1 Vgl. Lesky, Albin, Geschichte der griechischen Literatur, Bern, München, Francke Verl., 1957/58, 3.Aufl., S.603 2 Vgl. Oraison, Marc, Was ist Sünde? Freiburg im Br.: Herder Verl., 1982, S.13 – 18 7
ist, nämlich der Frevel der Hybris, dass der Mensch sich Gott/den Göttern gleich fühlt. Diese Vorstellung der Hybris zieht sich durch die gesamte griechisch-römische Antike. Dort gibt es keine Sünden im christlichen Sinn, die Hybris zieht aber immer Strafe nach sich. Diese Vorstellung findet sich schon bei Homer, später bei Herodot und geht in römischer Zeit bis Ovid und Hygin. Wenn sich ein Mensch Gott gleich fühlt, ist der Vorwurf der Vielgötterei nahe liegend, was im Islam und auch im Judentum der Fall ist. Einige Religionen sehen daher auch die Gebote und Gesetze als von Gott gesandt an und umgehen so den Gedanken an einen menschlichen Gesetzgeber. So wurden die 10 Gebote dem Moses von Gott geoffenbart und auch die Scharia wurde dem Mohammad von Gott herabgesandt. Sogar die Mormonen berufen sich auf ein von Gott geoffenbartes Gesetz. In der folgenden Arbeit soll die These, dass die Hybris in der Antike der größte Frevel ist, dargestellt werden. 8
1 DER BEGRIFF DER SÜNDE Besonders die christliche Kirche beschäftigt sich eingehend mit der Bedeutung der Sünde im Leben der Menschen. Ambrosius Karl Ruf schreibt dazu: „Die Rede von der Sünde ist ein Zentralbegriff christlicher Verkündigung.“3 Doch in der heutigen Zeit spielt die Sünde kaum mehr eine große Rolle. So stellt Ruf fest: „Das Wort „Sünde“ scheint aus unserem Vokabular zu schwinden. „Es deutet auf einen Sachverhalt, der seinen Ort im Religiösen, im Bezug zum Transzendenten hat. Im Wortschatz unseres Alltags hat es keinen Platz mehr. Aber auch in der Ethik ist es kaum mehr zu hören. Es wird als unzeitgemäß, antiquiert empfunden.“4 Wir wollen nämlich von Sünde nichts wissen, und außerdem lässt sich die überkommene Sündenvorstellung nicht mit unseren Glaubensvorstellungen harmonisieren. Unser heutiges Sündenverständnis charakterisiert Ruf mit fünf Punkten. a) Sünde ist eine sichtbare Tat. Dabei wird die sichtbare Handlung überbewertet. Die „innere“ Tat, also Gedanken und Wünsche, werden nicht berücksichtigt. b) Sünde ist eine „böse“ Tat, die einer Ordnung widerspricht, die das Sein – Sollen bestimmt. Man geht hier davon aus, dass die ethische Ordnung für alle Zeiten durch staatliche Gesetzgebung festgelegt ist. c) Sünde richtet sich gegen Gott. Die von Gott festgelegte Ordnung wird gestört. So wird die Sünde auch oft als „Beleidigung Gottes“ verstanden. d) Sünde ist eine aus der freien Entscheidung des Menschen kommende Tat. e) Sünde wird heute dort angenommen, wo sich ein Mensch in vollem Bewusstsein der Tragweite für eine Tat entscheidet, die nicht das Gute, sondern das Böse bewirkt.5 3 Ruf, Ambrosius Karl, Sünde – was ist das? München: Kosel Verl. 1972, S.15 4 Ruf, Sünde - was ist das? S.14 5 Vgl. Ruf, Sünde – was ist das? S.16 – 21 9
1.1 EXKURS: SOKRATES LEHRE VOM „TUGENDWISSEN“ Es erhebt sich die Frage, ob ein Mensch wohl freiwillig eine Tat begehen würde, von der er weiß, dass sie böse ist. Mit dieser Frage beschäftigte sich Sokrates eingehend. Er geht davon aus, dass ein Mensch, der Unrecht tut, sich selbst am meisten schadet. So kommt er zu dem Schluss, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun. Niemand werde sich wohl wissentlich Böses antun. Man müsse daher den Menschen lediglich zeigen, was gut und gerecht sei. Hätten sie das einmal verstanden, würden sie niemals mehr freiwillig Böses tun. 1.2 SÜNDE UND SCHULD Marc Oraison, der zuerst als praktischer Arzt tätig war und später als Benediktiner – Theologe in Paris lebte, beschäftigt sich besonders mit Themen der Psychologie. Er betont, dass “das Wort Sünde sorgfältig von Schuld zu unterscheiden “ sei.6 Das Wort „Sünde“ habe nämlich nur dort seine Bedeutung, wo es in christlichem Zusammenhang verwendet werde. Es bezeichne etwas, das sich in der Beziehung zwischen Menschen und Gott ereigne. Beim Sündenfall habe der Mensch „Nein“ zu Gott gesagt. Unter dem Antrieb des Geistes des Bösen wolle der Mensch selbst Gott gleich werden. Die erste Tat des Menschengeschlechts sei also das „Nein“ zu Gott gewesen. Sünde stehe am Ursprung des Entstehens jeden menschlichen Wesens. Jeder sei in diese „Ursprungssünde“ involviert.7 In dem Kapitel „Psychologie der Schuld“ sucht Oraison nach den Ursachen der Schuldgefühle und deren Folgen. Er betont, dass das Schuldgefühl für den Menschen eine grundlegende Erfahrung sei. Jeder Mensch habe es schon erfahren, manchmal auch ohne ersichtlichen Grund. Es entstehe aus der Meinung, die innere oder äußere Ordnung gestört 6 Oraison, Marc, Was ist Sünde?, Freiburg im Br.: Herder Verl. 1982, S. 84 7 Vgl. Oraison, Was ist Sünde? S.86 – 88 10
zu haben. Das Schuldgefühl wegen einer Störung der äußeren Ordnung führe zu Angst vor dem Urteil der anderen. Man fürchte, ausgestoßen zu werden. Diese Angst löse eine Fluchtreaktion aus. Sei das nicht möglich, reagiere man mit einem aggressiven Verhalten. Zur eigenen Verteidigung projiziere man die eigene Schuld auf andere. Manchmal werde die Aggression auch auf sich selbst gerichtet. Das führe dann zum Selbstmord. Diese Reaktion erkennt Oraison bei Judas.8 Um die Ordnung wiederherzustellen, verwendeten die alten Völker bestimmte Kultriten und Gebete, womit sie den Zorn der Götter besänftigten. Durch das Erkennen der Schuld könne der Mensch aber auch seine eigenen Grenzen erkennen, stellt Oraison fest. Dazu bringt er eine Stelle aus Paulus als Beispiel. In Röm.7,18 heißt es: „Ich bin imstande, das Gute zu wollen, doch ich bin unfähig, es auszuführen; ich tue das Böse, das ich nicht will, das Gute, das ich möchte, tue ich nicht.“9 Um die Entstehung des Schuldgefühls zu erklären, greift Oraison auf die Theorie Freuds zurück. Das Kind brauche die Beziehung zu einer Autoritätsperson. Diese seien zuerst die Eltern, bzw. der Vater. Später lebe es in einer „Horde“. Der Anführer dieser Horde sei der alleinige Herr. Er repräsentiere die absolute Autorität, das Über-Ich. Um nicht selbst getötet zu werden, müsse der Sohn den Vater töten und so die Autorität des Über- Ichs brechen. Daher rührten die Schuldgefühle der Menschen, die so die Ordnung gestört hätten. Freud biete noch eine andere Version dieser Geschichte. Der Anführer der Horde, der Vater, habe seine Söhne entmannt, um seine Macht zu sichern. Einige seien aber entkommen. Diese entwickelten Schuldgefühle, da sie die Ordnung durchbrochen hätten. Diese führten zur Furcht vor der Reaktion der anderen und des eigenen Gewissens.10 1.3 DIE ETHIK Cicero schreibt: „Socrates primus philosophiam devocavit e caelo et in urbibus collocavit et in domus etiam introduxit et coegit de vita et moribus rebusque bonis et malis quaerere.“ Sokrates rief als Erster die Philosophie vom Himmel herab und stellte sie in 8 Vgl. Oraison, Was ist Sünde?, S.13 – 18 9 Vgl. Oraison, Was ist Sünde?, S.18 – 19 10 Vgl. Oraison, Was ist Sünde?, S.28 – 32 11
den Städten auf und führte Sie auch in die Häuser und zwang über das Leben und die Sitten und Gutes und Schlechtes nachzudenken. (Cic. Tusc.disp. V. 10) Damit will Cicero sagen, dass Sokrates mit der Naturphilosophie Schluss machte und sich der Ethik zuwandte. Nicht mehr der Kosmos und die Natur standen im Mittelpunkt seines Forschens, sondern der Mensch und sein Handeln. Er versuchte, Normen für die Gestaltung des Lebens zu gewinnen. 11 Oraison schreibt, dass die Menschen zu allen Zeiten darüber nachgedacht hätten, wie sie zu handeln hätten und welcher der sittliche Wert ihrer Handlungen wäre. Es gehe hier um die Begegnung der Menschen mit einander. Wir suchen instinktiv eine Beziehung. Im menschlichen Seelenleben sei es eine normale Haltung, auf das Gute und Böse Bezug zu nehmen.12 Das Gefühl für gutes und schlechtes Handeln werde auch in der Kindheit entwickelt, wie Freud zeigt. Um die moralischen Normen festzulegen, sei die Erziehung wichtig. Bei der Übertretung der durch die sittlichen Normen gesetzten Grenzen entstünden Schuldgefühle, die wir als Gewissen bezeichnen. Der freie Wille sei Voraussetzung für unsere Lebensgestaltung. Wir trügen die Verantwortung für eine bestmögliche Lebensgestaltung. Dafür seien sittliche Werte und Normen wichtig. Erfahrungen würden überkommene Werte bestätigen oder zeigen, dass diese unvernünftig seien. Moral sei daher ein wesentlicher Beitrag zur Lebensgestaltung und ihrer Verwirklichung, wie Volker Eid feststellt.13 1.4 EXKURS: DAS „DAIMONION“ DES SOKRATES Immer wieder wird von Sokrates von einer inneren Stimme berichtet, die er selbst „Daimonion“ nennt. Diese Stimme warnte ihn, wenn er etwas tun sollte, das ihm schaden würde. Diese warnende Stimme sorgte dafür, dass er von seinem Weg nicht abwich.14 Dieses Daimonion kann man wohl als eine Form des Gewissens sehen. Platon lässt in 11 Vgl. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, S. 563 12 Vgl. Oraison, Was ist Sünde?, S.61 13 Vgl. Eid, Volker, Freiheit und Schuld im Kontext christlichen Glaubens. In: Hermanutz, Leopold / Karg, Anton (Hrsg.) Sünde, Schuld und Versöhnung, Vorträge des Religionspädagogischen Kurses im Cassianum Donauwörth. Donauwörth: Verl. Ludwig Auer. 1985, S. 45 – 48 14 Vgl. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, S.561 12
seiner Apologie den Sokrates selbst sagen: „Mir aber ist dies von meiner Kindheit an geschehen, eine Stimme nämlich, welche jedes Mal, wenn sie sich hören lässt, mir von etwas abredet, was ich tun will, zugeredet aber hat sie mir nie.“ (Plat. Apol. 31, d) 2 ETHISCHES BEWUSSTSEIN BEI DEN VÖLKERN DES AO Unsere Vorstellung von Sünde ist vom Christentum geprägt. Aber schon bei den Völkern des Alten Orients gab es das Bewusstsein von Gut und Schlecht. Das Jenseits war ein Reich der Schatten, geprägt von Finsternis. Diese Vorstellung findet sich auch in der griechischen und römischen Antike Die Unterwelt ist für den Menschen ein hässlicher Ort. Diese Vorstellung findet sich auch bei Homer. In der Odyssee trifft Odysseus in der Unterwelt Achilles, den griechischen Helden im Kampf gegen Troja und Herrscher von Phthia, der sagt, er wolle lieber als armer Mann bei einem Fremden dienen, als über alle Toten zu herrschen. „βουλοίμην κ ʼεπαρουρος ἐὼν θητευέμεν ἄλλῳ, ἀνδρὶ πάρ ʼακλήρῳ, ᾧ μὴ βίοτος πολὺς εἴη ἢ πᾶσιν νεκύεσσι καταφθιμένοισιν ἀνάσσειν.“ „Ich möchte lieber als Landmann einem fremden, ganz unbekannten Mann dienen, als über alle Leichen der Verstorbenen herrschen.“ (Hom. Od. XI, 489 – 491) Auch Aeneas, der in Vergils Aeneis im 6. Gesang auf den Spuren des Odysseus in die Unterwelt hinabsteigt, erlebt das Reich der Schatten auf ähnliche Weise. Es ist ein finsterer, freudloser Ort, geprägt von Angst. Auch der Mythos vom Raub der Persephone, der römischen Proserpina, zeigt die Unterwelt als Platz, den auch die Götter nicht freiwillig aufsuchen. Hades, der Herrscher der Unterwelt, raubt Persephone, die Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, und nimmt sie als seine Gemahlin in die Unterwelt mit. Nach langer Suche findet Demeter 13
ihre Tochter. Zeus entscheidet schließlich, dass Persephone ein halbes Jahr bei ihrem. Gemahl im Hades bleiben müsse, ein halbes Jahr aber bei der Mutter in der Oberwelt verbringen dürfe. Damit wurde auch der Kreislauf der Natur erklärt. Die Zeit, in der Persephone in der Unterwelt sein muss, ist eine Zeit des Sterbens und der Trauer der Natur. Sie entspricht dem Herbst und dem Winter. Wenn Persephone wieder in der Oberwelt ist, bricht eine Zeit der Freude an. Diese entspricht dem Frühling und Sommer, wo auf der Erde alles wächst und gedeiht. Die Unterwelt aber ist geprägt von Finsternis und Trauer. In den Jenseitsvorstellungen spielt auch die Vorstellung von einem Gericht eine große Rolle. Das setzt das Empfinden von Gut und Böse voraus. Das Christentum stellt dieser Unterweltsvorstellung eine andere Idee entgegen. So steht im Johannesevangelium immer wieder das Licht im Gegensatz zur Finsternis. Jesus, der Offenbarer, wird als „Licht der Welt“ bezeichnet.15 Das Licht des Offenbarers bringt die Finsternis der Sünde ans Licht. Die Offenbarung scheidet den im Unglauben verharrenden Kosmos von den Glaubenden.16 Gott hat Jesus gesandt, in ihm vollendet sich der Heilswille Gottes der Welt gegenüber. So ist für Johannes die einzige wahre Sünde, die Offenbarung Jesu nicht anzunehmen und in „schuldhafter Verblendung“ zu verharren, was er den Pharisäern vorwirft.17 2.1 EXKURS: JENSEITSVORSTELLUNG IM KORAN: In der Jenseitsvorstellung im Koran sehe ich eine Parallele zum Johannesevangelium. Immer wieder wird hier auf das Schicksal nach dem Tod hingewiesen. Ins Paradies 15 Vgl. Metzner, Rainer, Das Verständnis der Sünde im Johannesevangelium, wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Tübingen: Mohr Siebeck Verl., 2000, S. 30 – 33 16 Vgl. Metzner, Verständnis der Sünde, S.32 17 Vgl. Metzner, Verständnis der Sünde, S.98 – 99 14
gelangen nur diejenigen, die an die Offenbarung durch den Propheten glauben und die Zeichen der Schöpfung erkennen. Im Evangelium des Johannes wird betont, dass nur der das ewige Leben bekommt, der das Wort Jesu hört und glaubt. Im Johannesevangelium setzt sich Johannes mit den Pharisäern auseinander, die betonen, über das Gesetz Bescheid zu wissen. Der Sündenbegriff ist bei diesen eine Übertretung des Gesetzes. Das Gesetz hat das Leben der Menschen zum Ziel, es kann das ewige Leben nicht vermitteln. Sünde ist Blindheit. Das wird in der Erzählung von der Heilung eines Blinden am Sabbat deutlich. (Joh. 9, 39 - 41) Metzner zeigt, dass es sich hier um eine symbolische Erzählung handelt. Mit Hilfe der Symbole „Nacht “und „Finsternis“ wird der Gegensatz zu „Tag“, „Licht“ und Glaube dem Unglauben entgegengesetzt. Es wird deutlich, dass Blindheit Finsternis bedeutet und Sehen das Licht. Die gesetzeskundigen Pharisäer sind die eigentlichen Blinden, die aber ihre Blindheit nicht anerkennen. Wegen ihrer Anmaßung, die Wissenden zu sein, bleiben sie in ihrer Sünde. Daraus folgt das Nichtanerkennen des Gesandten Gottes und ihr Ziel ist das Gericht. Die Konsequenz der Verweigerung gegenüber dem „Licht“ ist die „Finsternis“.18 So gibt das Christentum dem Begriff „Sünde“ einen neuen Sinn. Jesus ist zur Rettung der Welt gekommen. Er wurde von Gott aus Liebe zur Welt gesandt. Der unter der Sünde versklavte Kosmos darf nicht so bleiben. Durch seinen Opfertod am Kreuz beseitigt Jesus diese Sünde. Das Heilswerk Jesu besteht nicht darin, die Sünde zu „tragen“, sondern sie zu „beseitigen“ und die Werke des Diabolos zu zerstören. Dieses Heilswerk ist an den Tod Jesu gekoppelt.19 18 Vgl. Metzner, der Sündenbegriff im Johannesevangelium, S.92 – 99 19 Vgl. Metzner, Der Sündenbegriff im Johannesevangelium, S.140 – 155 15
2.2 DAS SÜNDENVERSTÄNDNIS IM AO 2.2.1 Die Sumerer In der Religion der Sumerer ist Schuld ein Eingriff in die göttliche Ordnung. Schuld ist aber nicht für das Schicksal bestimmend. Das menschliche Tun hat wenig Bedeutung und wird nicht von den Göttern beachtet. Es gibt Texte über Beschwörungen gegen Krankheiten und verschiedene Leiden. Nirgends gibt es aber die Ansicht, dass die Götter die Menschen wegen einer Schuld bösen Dämonen überlassen hätten.20 Über die Rolle des Menschen in der Schöpfung erfahren wir aus dem Atramhasis Epos (16.Jh. v. Chr) und dem Enuma Elish Epos (14.Jh.v.Chr.) Im Atramhasis Epos wird der Mensch aus Lehm und dem Blut des Gottes Gestu´e geschaffen. Dieser Gott war im Besitz des Verstandes, und der Mensch hat diese Eigenschaft geerbt. Er handelt daher in eigener Verantwortung. Die Menschen, die eigentlich geschaffen wurden, um den Göttern die Arbeit abzunehmen, handeln über den ihnen zugedachten Arbeitsauftrag hinaus und stören durch ihren Lärm den Schlaf des Gottes Enlil. Die Götter beschließen daher, das Menschengeschlecht wieder zu vernichten. Sie schicken daher drei Seuchen, haben aber keinen Erfolg. Schließlich beschließen die Götter, die Sintflut zu schicken und so einen Neuanfang zu setzen. Die Menschen tragen nun Mitverantwortung für die Erhaltung der Schöpfung, und der Erhalt des Lebens der Menschheit hat Priorität. Der Mensch ist mit göttlicher Planungsfähigkeit ausgestattet. Die Grenze zur Hybris, dass sich der Mensch Gott gleich fühlt, ist schwer zu bewahren.21 Auch im Enuma Elish Epos wird ein Grund für das besondere Verhältnis der Menschen zu den Göttern gesucht. Die Menschen sind aus dem Blut eines aufrührerischen Gottes entstanden. Sie tragen dieses göttliche Erbe in sich und lehnen sich daher gegen die göttliche Ordnung auf22 Bei den Sumerern gab es kein ausgeprägtes Sündenbewusstsein. Es gibt auch keine individuellen Gebete und Bitten um Vergebung. 20 Vgl. Soden, Wolfram, Der Alte Orient, eine Einführung, hrsg. von Michael Streck, 1992, Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft,2006, S.176- 177 21 Vgl. Prenner, Karl, Werteordnungen des AO und Ägyptens, in: Ethos der Weltreligionen, Religion und Ethik, Grabner-Haider, Anton (Hrsg.) mit einem Vorwort von Hans Küng, Göttingen: Vandenhoek u. Ruprecht GmbH. 2006, S. 166 -168 22 Vgl. Prenner, Werteordnungen des AO und Ägyptens, S. 167 16
2.2.2 Altbabylonische Zeit In altbabylonischer Zeit dagegen kann man von einer Ethisierung der babylonischen Religion sprechen. Es gibt ein individuelles Sünden- und Schuldbewusstsein. Sünden ziehen die Strafe der Gottheit nach sich. Diese wendet sich vom Menschen ab und liefert ihn den Dämonen aus. Die Folgen sind Krankheiten und andere Leiden. Es herrscht also ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Handeln des Menschen und dem irdischen Wohlergehen. Um das böse Schicksal abzuwenden, musste man die gekränkte Gottheit wieder versöhnen. Das ist das Zentrum der meisten Gebete. Um sicher zu gehen, dass man alle Sünden sühnte, wurden bei den entsprechenden Zeremonien eigene Sündenlisten rezitiert. „Weisheitslehren“ gaben Ratschläge, wie man sein Leben führen solle, um zu Wohlstand und Glück zu kommen.23 2.2.3 Ägypten Die Sündenvorstellung im alten Ägypten war von Anfang an durch die Vorstellung vom Tun – Ergehen, die Maat, geprägt, Aus Pyramidentexten aus der Zeit um 2500 v.Chr. lässt sich erkennen, dass der Gerechte durch ein glückliches Leben belohnt wurde, der Böse hingegen durch Dämonen bestraft wurde. Im Kapitel 125 des ägyptischen Totenbuches aus der Mitte des 2.Jahrtausends v.Chr. sagt der Tote, welche bösen Taten er nicht begangen habe. Daraus kann man erschließen, welche guten Taten erwartet wurden, nämlich Schwache zu schützen, Nackte zu bekleiden, Hungernde zu speisen u.a. Ägypten hatte großen Einfluss auf die Nachbarländer. So kann man in den Psalmen den ägyptischen Einfluss erkennen, und die Sprüche Salomos sind eine wörtliche Übersetzung eines ägyptischen Buches der Lebensweisheiten.24 „Weisheitslehren“ hatten das Ziel, die Menschen zu einem vernunftgemäßen ethischen Verhalten und so zu einem erfolgreichen Leben zu führen. Es ging darin um richtiges Benehmen und Verhalten in Gesellschaft, religiöse Vorschriften, Gehorsam gegenüber dem Pharao, Demut und sich Ergeben in den Willen der Götter u.a. Diese Ratschläge wurden von Generation zu Generation weitergegeben und neu gedeutet. 23 Vgl. Prenner, Wertevorstellungen im AO, S.168 – 172 24 Vgl. Raeder, Günther, Die ägyptische Religion, in: Religionen der Erde, ihr Wesen und ihre Geschichte, Goldmanns gelbe Taschenbücher, München, 1966, S, 68 – 70 17
Im Alten Reich konzentrierte sich alles auf den sakralen Bereich. Der König galt als Verwalter Gottes im Diesseits. Er verkörperte die Maat und sorgte für Gerechtigkeit auf der Erde. Daher war die loyale Haltung gegenüber dem Herrscher religiöse Pflicht.25 Im Mittleren Reich stand die Loyalität gegenüber dem Pharao und seinen Vertretern im Vordergrund. Da der König die Inkarnation Gottes war, war die Loyalität gleichsam Religion. Aus den Verhaltensregeln der Beamten und oberen Schichten der Gesellschaft bildete sich eine Ethik für alle Schichten der Bevölkerung. Diese Verhaltensnormen wurden auch verschriftlicht. In dieser Zeit breitete sich in Ägypten auch der Osiris Kult aus. Der Gedanke an ein Totengericht nahm dabei breiten Raum ein. Die Vorstellung breitete sich aus, dass der Mensch unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung nach seinen Taten beurteilt werde. Die Unsterblichkeit der Seele und die Vorstellung von einem Totengericht garantierten die Gerechtigkeit auf der Erde. Man ging davon aus, dass Gott in der Schöpfung eine natürliche Ordnung festgelegt habe, die sich in der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch in der Gesellschafts- und Sozialordnung der Menschen zeige. Das Gegenteil dieser Ordnung ist das Chaos. Die Maat repräsentiert diese Ordnung und muss daher vom Menschen verwirklicht werden, um das Chaos abzuwehren. Wer die Gesetze der Maat übertritt, wird bestraft. Das Böse wurde durch den Gott Seth verkörpert. Auch der sozialethische Kontext spielte dabei eine Rolle. Nichtbeachten der sozialen Vernetzung galt als das Böse und wurde bestraft.26 Im Neuen Reich trat die persönliche Frömmigkeit in den Mittelpunkt. Gott galt als Schöpfer und Lenker, auf den alles zurückging. Man musste in Demut und Gehorsam dem Willen Gottes folgen. Das Tun – Ergehen Prinzip wurde zurückgedrängt, Lohn und Strafe lagen bei Gott. So wandte sich der Einzelne direkt an Gott und nahm seinen Beschluss demütig an. Es gab keine Garantie, dass gutes Handeln belohnt wurde, alles lag bei Gott.27 25 Vgl. Prenner, Wertevorstellungen im AO und Ägypten. S. 160 26 Vgl. Prenner, Wertevorstellungen im AO und Ägypten, S.160 27 Vgl. Prenner, Werteordnungen des AO und Ägyptens, S. 163 – 164 18
2.2.4 Persien Bei den Zoroastriern im heutigen Iran gab es schon die Vorstellung von einer Hölle, in der die Sünder bestraft wurden. Besonders die Lüge galt als Sünde. Durch den Weltbrand würde die Welt vom Bösen befreit. Der Zoroastrismus hatte auch Einfluss auf die Juden, besonders auf das Buch Tobias der Bibel. Dort heißt nämlich der Dämon, der die 7 für Sara bestimmten Männer tötet, Asmodi. Das ist der Name des Teufels bei den Zoroastriern.28 2.3 DER SÜNDENFALL IN DER BIBEL Der Mythos gehörte bei den alten Völkern zur Daseinsbewältigung. So wird auch in der Bibel die Geschichte der Menschheit durch verschiedene Erzählungen gezeigt. Auf den Schöpfungsbericht folgt die Erzählung vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies, die die Grenzen des Menschen aufzeigen. Hier geht es um das Verhältnis des Menschen zu Gott. Daran schließt sich die Erzählung vom Brudermord Kains an Abel. Es geht um eine Grenzüberschreitung der Menschen untereinander. Auch sprachlich wird dieser Zusammenhang gezeigt. So spricht Gott nach seiner Verfehlung direkt zu Adam: “Adam, wo bist du?“. Dem entspricht die direkte Frage an Kain: “Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ Für die christliche Kirche bis zur Aufklärung war die Erzählung vom Sündenfall sehr wichtig. Sie zeigt ja den Menschen als sündiges Wesen, das erst durch den Opfertod Christi von dieser Schuld erlöst wird. Der Mensch will Gott gleich werden und nimmt seine Verantwortung nicht wahr. Der menschlichen Existenz sind aber Grenzen gesetzt.29 28 Vgl. Lemmel, Hans, die iranische Religion, in: Religionen der Erde I, Goldmanns gelbe Taschenbücher, o.J., S.185 -188 29 Vgl. Schulz, Hans Jürgen, Schöpfung, in: Westermann, Claus (Hrsg.), Schöpfung, Themen der Theologie, Bd. 12, Stuttgart, Berlin: Kreuz Verl., o.J., S.25 – 42 19
Hans Jürgen Schulz zeigt, dass zwei ursprünglich selbständige Erzählungen in der Bibel verbunden wurden, nämlich die Erschaffung des Menschen und der Sündenfall. In der ersten Erzählung wird dem Menschen der Garten Eden gegeben, damit er ihn bebaue. Der Garten ist dazu geschaffen, dem Menschen Nahrung zu spenden. Der Mensch erhält einen konkreten Arbeitsauftrag, den Garten zu bebauen. In der zweiten Erzählung handelt es sich um einen besonderen Garten. Seine Schönheit wird betont und die besonderen Bäume geschildert. der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Der Mensch ist von Gott richtig geschaffen – „und Gott sah, dass es gut war“- heißt es im Schöpfungsbericht in der Bibel. Der Mensch wird in allen Daseinsbezügen gesehen. In der ersten Erzählung wird der Mensch in seiner natürlichen Umwelt gezeigt. Die Versorgung ist sichergestellt. Gott und Mensch sind noch nicht getrennt. Die Arbeit wird positiv bewertet. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Bewertung der körperlichen Arbeit wird im AT die Arbeit als Wesensbestandteil des Menschen gesehen. Im Mittelalter galt körperliche Arbeit als niedrige Tätigkeit im Gegensatz zur geistigen Arbeit. Im AT hingegen erhält die Arbeit durch den göttlichen Auftrag einen Sinn. In den folgenden Abschnitten wird gezeigt, wie der Mensch seine Welt ordnet. Die Schöpfung der Frau zeigt die Notwendigkeit der Gemeinschaft. Auch die Tiere bezieht der Mensch in seine Welt ein und gibt ihnen Namen. In der zweiten Erzählung geht es um das Verhältnis von Mensch und Gott. Der Mensch ist mit einem Drang nach Erkenntnis geschaffen. Er überschreitet die Grenzen, die ihm gesetzt sind. Gott spricht noch zu den Menschen. Er erlaubt Adam, von allen Bäumen zu essen. Dann aber spricht er Adam in der 2.Person direkt an. Das Gebot Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, zeigt noch, dass Gott Vertrauen in den Menschen hat. Dass der Mensch sich verführen lässt, zeigt aber wieder seine Begrenztheit. Die Worte der Schlange, mit denen sie die Menschen verführt, locken zum Frevel der Hybris, der in der gesamten Antike von den Göttern geahndet wird. Die Schlange spricht nämlich: “Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum“. Die Menschen maßen sich an, Gott gleich zu werden. Die Frau ist in dieser Erzählung die treibende Kraft. Sie will klug werden. Deshalb isst sie vom Baum der Erkenntnis. Der 20
Drang nach Erkenntnis ist mit dem Menschen geschaffen. Durch das Übertreten des Gebotes überschreitet der Mensch seine Grenzen. Adam ist in dieser Geschichte nur ein „Mitläufer“. Alles geht von der Frau aus.30 2.4 EXKURS: DIE BEDEUTUNG DER SCHLANGE UND DER FRAU: Die Schlange tritt hier als das Böse, als der Verführer, auf. Die Schlange spielte in der ägyptischen Religion eine Rolle. Sie wurde als Versorgungsgöttin verehrt. Unter dem Namen Thermutis und Renenutet war sie der Inbegriff der Lebensweisheit. Die Weisheit der Maat wurde auch oft als Kobra dargestellt. Ägypten war für die Israeliten eine ständige Bedrohung. Man war der Meinung, dass die ägyptische Weisheit den Jahwe Glauben gefährde. So ist es auch naheliegend, dass die Schlange als Symbol des Bösen, das mit Ägypten verbunden wird, auftritt. Dazu passt auch die Frau als Ursache allen Übels, Wir erfahren im AT, dass Salomon aus diplomatischen Gründen die Tochter des Pharaos zu seiner Frau gemacht hätte. Das führte in Israel zu heftigen Reaktionen. Man berief sich auf das Verbot, sich mit einer stammesfremden Frau einzulassen. Eine ägyptische Frau galt als eine solche fremde Frau. So ist die Frau zusammen mit der Schlange die Wurzel allen Übels. Sie ergreift sofort die Initiative, Adam ist wie Salomon widerspruchslos seiner Frau ergeben. Nicht Adam oder Salomon trifft die Schuld. Sie sind schutzlos dem bösen Einfluss der Frau ausgeliefert. Auf der Suche nach der Lage des Gartens Eden fanden einige Forscher sogar eine Bestätigung dieser Geschichte. Jerusalem galt als Mitte der Menschheit. Im Bereich der Palast- und Tempelanlagen erstreckte sich ein wunderbarer Königspark. Dieser stand unter dem Schutz Jahwes. Nach der Verfehlung Evas ist der Mensch schutzlos. Er ist ja auf den Schutz Jahwes angewiesen. Görg sieht in der Paradiesgeschichte eine „metaphorische Reflexion des geschichtlichen Umbruchs“.31 Salomon hat die Krise des 30 Vgl. Schulz, Schöpfung, S.111 – 135 31 Görg, Manfred, Studien zur biblisch – ägyptischen Religionsgeschichte, in: Dautzenberg, Gerhard und Lohfink, Norbert (Hrsg.), Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 14, Altes Testament, Stuttgart: Kath. Bibelwerk, 1992. S.89 21
Reiches verschuldet und den Grundstein zum Verfall der Einheit gelegt. Das Königtum in Jerusalem stand unter dem Schutz Jahwes. Durch die Reichsteilung ging durch die Schuld des Herrschers der paradiesische Zustand verloren. Vor dem schädlichen Einfluss Ägyptens muss Israel mit allen Mitteln geschützt werden. Der Zugang zum Garten Eden wird von Keruben bewacht. Auch im außerbiblischen Bereich werden Sphingen zum Schutz der Tempelanlagen aufgerichtet, deren apotropäischer Charakter bekannt ist. Der Zugang ist für alle vom Westen, d.h. von Ägypten Kommende versperrt.32 Nach dem Sündenfall spricht Gott nochmals zu Adam. Dieser versteckt sich zuerst, dann bekennt er sich nicht zu seiner Schuld. Er beruft sich auf seine Frau „die du mir gegeben hast.“ Die Frau wiederum schiebt die Schuld auf die Schlange. Die Schlange wird nicht befragt. Es gibt keinen Dialog zwischen Gott und dem Verführer. Die Strafe für die Menschen ist rational erfassbar. Die böse Tat hat Folgen für den Täter. Der Mensch wird in seinen Grenzen gesehen. Die Strafsprüche zeigen, was das Verbleiben in der Nähe Gottes bedeuten würde. Die Vertreibung aus dem Garten Eden zwingt den Menschen, fern von Gott zu sein. Der Mensch hat die Verantwortung über die Erde, die ihm Gott übertragen hat, nicht übernommen. Er kann nicht Gott gleich werden. Seine Grenzen werden ihm klar aufgezeigt. Der Drang nach ewigem Leben ist durch den Tod begrenzt. Das ewige Leben ist den Göttern vorbehalten. Diese Grenze kann der Mensch nicht überschreiten. Der Drang nach Erkenntnis ist aber mit dem Menschen zusammen geschaffen. Deshalb isst Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis und überschreitet so diese Grenze.33 32 Vgl. Görg, Manfred, Studien zur Religionsgeschichte, S.79 – 91 33 Vgl. Schulz, Schöpfung, S.133 – 149 22
3 DIE HYBRIS Das altgriechische Wort „ὓbriV“ bedeutet „Übermut, Frevelmut, Hochmut“ 34 Der Mensch überschätzt seine Fähigkeiten maßlos und überschreitet so seine Grenzen. In einem „Partheneion“, einem sog. „Mädchengedicht“ des griechischen Dichters Alkaios (7.Jh.v.Chr.), das auf einem Papyrus gefunden wurde, wird vor der Hybris gewarnt: der Mensch soll nicht zum Himmel fliegen wollen, noch Aphrodite zum Weibe begehren.35 Die Hybris ist ein wichtiges Thema in der griechischen Tragödie. Immer wieder geht es um eine Person, die die von den Göttern gegebenen Gesetze ignoriert. Dieser Frevel zieht die Strafe der Nemesis, die für die Verteilung des Glücks und Bestrafung der Hybris sorgt, nach sich. Die Tragödie endet mit dem Fall oder Tod des Frevlers. Als Beispiel kann hier die Rede des Dareios in den „Persern“ des Aischylos dienen. “Die Katastrophe der persischen Königsmacht stellt sich als Folge jener Ursünde dar, die der Grieche Hybris nennt“, stellt Lesky fest.36 Der Mensch überschreitet seine Grenzen und verwirrt so die göttliche Ordnung. Auch das Perserreich hat diese Grenzen überschritten. Die Hybris zeigte sich im Frevel des Xerxes, der Meer zu Land machte.37 Auch heute zeigt sich die Hybris im Umgang mit der Natur. Die Menschen wollen die von Gott gegebene Natur verändern und so an die Stelle Gottes treten. Unsere Probleme mit dem Klimawandel und der Zerstörung der Umwelt sind Folgen der Hybris. Sir Karl Popper sagt: “The attempt to realize haeven on earth has always produced hell“.38 Mit diesem Zitat ist das Problem des Menschen, der die Rolle Gottes übernehmen will, sehr gut gezeigt, wie ich meine. Im „Lexikon der Alten Welt“ wird der Begriff der Hybris folgendermaßen beschrieben: “Hybris ist die Bezeichnung für jedes Verhalten, das die Grenzen der Ordnung übermütig 34 Gemoll, Wilhelm, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, München, Wien: Hölder, Pichler, Tempsky Verl. 1959, S. 755 35 Vgl. Lesky, Geschichte der griech. Literatur, S.179 35 Vgl. Lesky, Geschichte der griech. Literatur, S. 285 36 Lesky, Geschichte der griech. Literatur S. 285 37 Vgl. Lesky, Geschichte der griech. Literatur, S. 285 38 https://www.zitate.eu/autor/sir-karl-raimund-popper-zitate/65085, abgefragt am 26.11.2019) 23
und anmaßend überschreitet. Es ist von Homer an überaus häufig.“39 So stehen sich schon in Hom.Od.14, 487 Eunomie und Hybris feindlich gegenüber und bei Hesiod (Hes.erg.134) geht das Silberne Menschengeschlecht durch seine Hybris zugrunde. In der Geschichtsschreibung des 4. Jh.v.Chr. wird das Wort für den Tyrannen gebraucht. Daher wird der letzte König von Rom Tarquinius Superbus genannt. Das Wort „Superbus“ ist die lateinische Bezeichnung von „ὑbristήV“, was „Frevler, Übermütiger“ bedeutet. Heute wird das Wort im Sinne von Selbstüberschätzung,40 Vermessenheit gebraucht. Mit der Verheißung der Gottgleichheit konnte der Verführer die ersten Menschen verlocken. Dieses Thema findet sich auch in den Mythen und in der Literatur aller antiken Hochkulturen. Die Götter führen ein glückliches ewiges Leben. Sie sind weder durch Sorgen noch durch die Gewissheit des Todes bedroht. Der Götterstaat, den Homer in der Ilias vor Augen führt, hat den mykenischen Königshof zum Vorbild. Dennoch scheidet eine tiefe Kluft die Götter von den Menschen. Die Götter sind nämlich frei vom Tod und haben außerdem übernatürliche Kräfte. Die Götter sind anders als die Menschen. Für sie ist der Krieg um Troja ein Spiel. Diese Andersartigkeit der Götter betont Apollo selbst im 5. Gesang der Ilias. Diomedes stürmt im Kampf gegen Aineias vor, der unter dem Schutz des Gottes steht. Der Gott ruft Diomedes zu: „Besinne dich und weiche! Nimmer gleicht der Menschen Geschlecht dem der unsterblichen Götter.“ (Hom.Il.5,440) Über dem Menschen schwebt immer das Schicksal des Todes. Das trennt sie von den Göttern.41 Ich bin der Meinung, dass man diese Vorstellung auch im Buddhismus feststellen kann. Im Cakra, dem Rad der Existenzen, ist die Göttlichkeit als eine Form der Existenz vorgesehen. Diese ist aber nicht das höchste Ziel, da der Mensch auch dort vom Gedanken an die Vergänglichkeit bedroht wird. Die Göttlichkeit und die damit verbundene Unsterblichkeit ist dem Menschen verwehrt. Deshalb ist es auch eine Form der Hybris, sich mit den Göttern gleich zu setzen. 39 Andersen, Carl, Erbse, Hartmut, Gigon, Olaf (Hrsg.): Lexikon der Alten Welt, Zürich/Stuttgart: Artemis Verl. 1965 s.v. hybris 40 ebd. 41 Vgl. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, S.87 – 89 24
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