Der KZ-Häftling und der SS-Untersturmführer - Die Profitgier des SS-Mannes ermöglicht das Überleben des Häftlings Gertrud Graf und Eugen Michelberger
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Der KZ-Häftling und der SS-Untersturmführer Die Profitgier des SS-Mannes ermöglicht das Überleben des Häftlings Gertrud Graf und Eugen Michelberger Jean-Pierre Hippert, geboren am 3. April 1915, von Beruf Bäcker, gehört 1941 zu den 1 Gründungsmitgliedern der Widerstandsgruppe "Lëtzeburger-Volleks-Legio'n", LVL und beteiligt sich aktiv an deren Arbeit. Zusammen mit anderen Gruppen richtet die LVL geheime Verstecke und Fluchtwege für Luxemburger Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige ein. Die LVL sammelt außerdem Informationen für den Nachrichtendienst der Alliierten in London.- Im Spätsommer 1942 unterwandert ein Spitzel die LVL und verrät deren Mitglieder an die Gestapo. Jean-Pierre Hippert wird am 9. Dezember 1942 verhaftet und ins Gefängnis „Luxemburger Grund“ eingeliefert. Die grausamen Verhöre dauern bis zum 27. Dezember 1942. Am 28. Dezember 1942 erfolgt die Verlegung in das SS-Sonderlager Hinzert (Rheinland-Pfalz) und am 20. Januar 1943 in das Stammlager Natzweiler Struthof (Elsaß). Er erhält die Häftlingsnummer 2255. Zu diesem Zeitpunkt ist er 27 Jahre alt. Ab März 1943 durchläuft er 7 Außenlager.2 Im März 1944 wird er in das Konzentrationslager Sainte-Marie- aux-Mines (Haut-Rhin in der Region Grand Est) verlegt und begegnet dort SS- Untersturmführer Eugen Wurth. Eugen Wurth3, geboren am 20. April 1917 in Mahlberg im Landkreis Lahr, gehört ab 1939 zur Leibstandarte Hitlers. Während des Frankreichfeldzugs wird er bei einem Luftangriff schwer verwundet. Auf Grund seiner gesundheitlichen Probleme erfolgt 1940 die Entlassung aus der Truppe. Er erhält eine leitende Stellung bei der Volkswohlfahrt. Im Juli 1941 stellt er den Antrag auf die Wiederaufnahme in die SS. Im März 1944 wird ihm die Leitung des KZ Markirch (Sainte-Marie-aux-Mines) im Elsaß (Außenlager des KZ Struthof) übertragen. Nach seinen Angaben hat er sich zuvor erfolglos gegen einen Einsatz in Konzentrationslagern gewehrt.
In Sainte-Marine-aux-Mines4 fällt ihm der luxemburger Häftling Jean-Pierre Hippert auf, der anfangs zwar zur Arbeit im Tunnel eingeteilt war, inzwischen aber täglich zur Arbeit in einer Großbäcker in Colmar abgestellt ist. Eugen Wurth erfährt, dass Hippert dort Beziehungen zu vielen Elsässern aufgebaut hat. Jean-Pierre Hippert hat auch beste Verbindungen innerhalb des Lagers. Er ist bei allen gefragt, weil er unter schwierigsten Bedingungen verhandeln und erfolgreich organisieren kann. Wurth nutzt das für seine Zwecke aus. Jean-Pierre muss ab sofort die Privat-Geschäfte Wurths in die Wege leiten und abwickeln. Jean-Pierre Hippert erinnert sich: Alles geheim. Weil ich einige Sprachen beherrschte, suchte Kommandant Wurth mich auf und ich musste mit großem Schweigen Dienst für ihn nebenbei leisten. Er „bat“ mich seinen Aufgaben zu folgen, „oder“! (..) Er bereicherte sich mit Unterschlagungen und dergleichen und oftmals musste ich mit Lastwagen nach Lahr und Mahlberg fahren, wo ich bei seiner Familie viele Lasten ablud. Halt gemacht wurde auch in Haslach und Villingen bei Mauser.- Er war ein Egoist und Materialist. Mein Leben stand jeden Tag auf „Heute oder Morgen“. Meine Vorsicht - meine „List“ – rettete mich immer wieder. Die Zustände in Sainte-Marie-aux-Mines vor dem Eintreffen von Eugen Wurth. Jean-Pierre Hippert erinnert sich: Hier war der Empfang unter Lagerführer Fritsche, Obersturmführer, grausam. Tag um Tag gab es „Bock“ (Prügelstrafe). Wir wurden in der Teinturie Diehl (ehem. Textilfabrik) eingesperrt und morgens in den Tunnel getrieben. In der Teinturie Diehl waren fast keine Betten und 250 Mann lagen zwischen Maschinen und dergleichen: (…) 250 Polen, Russen, ein Deutscher, 5 Luxemburger.- (…) Die Organisation Todt war streng und die Häftlinge waren nicht stark genug, um das Pensum durchzustehen. Wir hatten am Anfang Tote und Tote. Und dann Ruhr, wegen der Hygiene. - Jeden Tag mussten 250 Mann an die Arbeit im Tunnel. Welch ein Chaos. Die ersten Tage waren ganz klar Folterei. Die Leute wurden getreten wie das Vieh. Keine Schaufeln, nur mit den Händen arbeiten, nichts als Steine. Fazit: an einem Tag 6 Tote. Die mangelnde Hygiene brachte die Ruhr, Flecktyphus, 14 bis 100 Tote. Wegen meinem Französisch war ich als Dolmetscher eingesetzt. Veränderungen durch den Amtsantritt von Eugen Wurth im März 1944: Es wurde anders. Die Führung wurde abgelöst. Kommandant wurde SS-Untersturmführer Eugen Wurth aus Mahlberg. Eugen Wurth kam mit seiner Mannschaft und bewirkte wichtige Veränderungen: Nur drei Wochen später wurden Baracken für 500 Mann gebaut. Es ging besser. Fünf Luxemburgern5 wurde eine bessere Arbeit zugeteilt: Jule Böschen (Jules Boulanger) ein alter Genosse, war eingeteilt als Lagerältester, Mathias Freppert als Arbeitseinteiler, Nicolas Birtz als Schreiber, Pierre Heck als Metzger, Roger Ewert als Sanitäter.- Jean-Pierre Hippert bleibt abgeordnet in die Großbäckerei in Colmar.
Auflösung des Kommandos Sainte-Marie-aux-Mines (nach 8 Monaten, im September 1944) – Beförderung von Eugen Wurth zum übergeordneter Lagerleiter für die gesamten „Wüste“- Lager. Er wird Nachfolger von SS-Hauptsturmführer Franz Johann Hofmann und ist dadurch ranghöchster SS-Führer der Region und Ansprechpartner für alle übergeordneten Dienststellen. Hofmann wird zum Kommandantur-Stab des KZ Natzweiler nach Guttenbach versetzt.6 - Kommandant Wurth sagte zu mir: „Ich lasse die Luxemburger nicht im Unklaren.“ Das bedeutete, ausgewählte luxemburger Häftlinge müssen Eugen Wurth begleiten, denn er braucht eine eingespielte Mannschaft für seine Zwecke. Die Gruppe besteht aus Jean-Pierre Hippert, Nicolas Birtz, Pierre Heck und Roger Ewert.7 Mathias Freppert hat diese Chance nicht. Er ist schon vorher nach Natzweiler zurückgebracht worden und stirbt dort kurz vor der Auflösung des Stammlagers, am 1. August 1944.8 Schömberg: Im Lager Schömberg angekommen, sagte er bei einer Absprache, er würde 5 Lager übernehmen und ich besuchte mit ihm in gleicher Zeit die Arbeitsstätten in Schörzingen, Erzingen, Dautmergen und Schömberg. Was für mich ein Grauen war. Unmenschlich sah es hier aus. Die Häftlinge wateten im Morast bis an die Knie und die B.V.- Kapos (B.V. gleich Berufsverbrecher) wüteten. Die Bevölkerung sah zu, wie die Armen im Dreck wateten und die Tage ihres Lebens gezählt waren. Es gab Tote und Tote. Wurth grübelte über dieses Geschehen und sagte, in Spaichingen wird es anders. Spaichingen: Anderntags (im September 1944) kamen wir Luxemburger nach Spaichingen (…). Die Behausung und Kost, der Unterschied war riesengroß. Wir hatten 3 Baracken, für 9 150 Häftlinge. Lagerführer Schnabel schrie, drohte mit Hieben, Hängen und langsamem Tod. Schnabel war ein Mörder. Aber Wurth war human und wollte das Schlagen oder Strafen nicht zulassen. Kommandant Wurth war ein Dorn im Auge für die SS im Lager. Anderntags kam Wurth und wir wurden zur Arbeit eingeteilt, als Sani, Metzger, Lagerältester, Bäcker. Wir hatten einen kleinen Vorteil, aber das Lager war in einem desolaten Zustand. Der Lagerälteste meldete sich bei Wurth, aber auch Wurth wurde von der Stadtverwaltung alles verweigert. – Jean-Pierre Hippert wird als Arbeiter der Bäckerei Georg Merkt zugeteilt, die Brot liefern muss, für die Stadtbewohner, die Gefangenen und Mannschaften des KZ und des Stammlagers für Kriegsgefangene (Stalag). Er arbeitet dort täglich 16 Stunden. Sehr schnell gelingt es ihm, ein gutes Verhältnis zur Bäckersfamilie, zum Pfarrer, zum Amtstierarzt, zur Apotheke und zu engagierten Bürgern aufzubauen. Auf diesem Wege kann er Medikamente für die Gefangenen besorgen und ins Lager
schmuggeln. Er erreicht es sogar, dass der Amtstierarzt nach Schwerstkranken schauen kann. Leider ist nur ein Mal möglich. Das Kriegsende kündigt sich an: Nach dem derzeitigen Stand der Forschung ging frühestens am 14. April 1945 in den süddeutschen Lagern ein fernschriftlicher Befehl von Himmler ein: Die Übergabe kommt nicht in Frage. (…) Kein Häftling darf in die Hand des Feindes fallen. (Glauning S. 361) Die Verantwortung für die Räumung der „Wüste“-Lager erhielten die beiden SS-Führer Franz Hofmann und Eugen Wurth. Den Oberbefehl hatte vermutlich der ranghöhere Hofmann. (Glauning, Sl.364). - Zur gleichen Zeit kam Wurth zu mir. Bei Merkt erkundigte ich mich wegen Truppenablösung. Schnabel und (die) Wachmannschaften wurden ersetzt durch Luftwaffensoldaten (Litauer und Siebenbürger). Wurth befahl mir, die Fahrt nach Mahlberg wieder durchzuziehen. „Alles geheim“. In Memmingen wurden Lebensmittel in großen Mengen aufgeladen und in Haslach und bei Mauser Villingen noch aufgeladen, alles Schiebereien. Zurück von der Reise musste ich mit Wurth nach dem Heuberg (auf den) Dreifaltigkeitsberg. Hier war der Drill der „Freiwilligen Häftlinge“. Ja, das war unmenschlich. Trauriges Dasein für die Front. Im Lager wurde es besser unter Kommandant Halter, aber viele Häftlinge hatten Ödeme, Tuberkulose, Durchfall. - Nun jagten die Spitfire über die Stadt und später krachte es, der Bahnhof wurde mit Bomben belegt. „Panik“, die Nazis und die Gläubigen beteten für den Frieden. Auflösung des Lagers – Todesmarsch: SS-Blockführer Franz Hartmann und Wurth kamen wieder zu mir für einen Transport nach Feldkirch. Wieder Schiebereien von Hartmann10. Seine Schwester, Sekretärin, machte mir bekannt, dass das Lager nach Feldkirch verlegt wird. Zwei Wochen später war Hartmann verschwunden. Dann kam ein Appell von Wurth, die Lager werden am 23. April aufgelöst. Wurth war bei mir vorstellig und sagte, du bleibst bei mir. Die Räumung des Lagers Spaichingen erfolgte am 18. April 1945: Wir marschierten in Holzschuhen über Pullendorf (Pfullendorf), Ahlendorf (Aulendorf), Kempten, Lechbruck nach Schwanstein (ca. 250 Kilometer zu Fuß). Alle die unterwegs nicht weiter konnten, sollten von der Nachtruppe erschossen werden. Aber Wurth und Konsorten waren alle ausgerissen und in Schwanstein sollte der Volkssturm III aufmarschieren11 um die Erschießung durchzuführen. Aber wir waren 4+1 abgehauen in die Berge. (erfolgreiche Flucht am 27. April 1945 für Jean-Pierre Hippert, Pierre Heck, Nicolas Birtz und Roger Ewert). Danach wurden wir über Oe (Oestreich), Kempten, Isny befreit. Am 1. Mai war ich in meiner Heimat. Die Zeit danach für Jean-Pierre Hippert: 1945 eröffnete ich eine Bäckerei. (…) In den Prozessen wurden die Kleinen gehängt und die Großen nur mit einer Geldstrafe bedacht. (…) Zwei Jahre später bekam ich einen Brief (von der Mutter Wurths) aus Mahlburg, dass ihr Sohn in W. (?) mit der Familie leben würde, wo er eine Schreinerei betrieb. Später bekam Wurth einen Prozess (…). und der Pfarrer ersuchte mich um Antwort. Ich beglaubigte dem Pfarrer, was er (Wurth) für uns und Kollegen tat und dass wir ihm dankbar waren. Die Zeit danach für Eugen Wurth: Aus den Hechinger Prozessakten geht hervor, dass er sich nach dem Krieg als Schreiner in Mahlberg betätigt. Die französischen Behörden ermitteln gegen ihn. Ein französisches Militärgericht in Metz verurteilt ihn am 16. Februar 1951 - wegen Verbrechen im KZ Markirch - in Abwesenheit zum Tode. Er soll in Markirch an der Erschießung eines Häftlings teilgenommen haben. Das Urteil wird aber nie vollstreckt.12
Freispruch mangels Beweisen: Im Hechinger Prozess (5. Juli 1965 bis 18. März 1966) ist Eugen Wurth „n u r“ wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Der Prozess fußt auf zehnjähriger Fahndungsarbeit der Staatsanwaltschaft Hechingen. Bei den Verhören betont Eugen Wurth, dass er zu keiner Zeit an Misshandlungen oder einer Exekution beteiligt war. Von insgesamt 200 befragten Zeugen erhebt keiner eine Anschuldigung gegen ihn. Für eine Kaution von 5000 DM wird er auf freien Fuß gesetzt. Mangels Beweisen beantragt die Staatsanwaltschaft Freispruch. 1969 beginnt in Ulm einer neuer Prozess gegen Helmut Schnabel (letzter Kommandant des KZ Spaichingen), SS-Unterscharführer Stefan Kruth (war von Wurth als Kommandoführer im KZ Dautmergen abgesetzt worden, weil er äußerst brutal mit Häftlingen umging) und Eugen Wurth.13 Insgesamt sind 90 Zeugen geladen. Es ergeben sich erneut keine Gründe für einen Verurteilung von Eugen Wurth. Er kehrt ins „bürgerliche Leben“ zurück und stirbt 1971.14 Wie kann es sein, dass ein SS-Verantwortlicher freigesprochen wird und unbehelligt weiterleben kann? Die Bekanntgaben der Gerichtsurteile von Hechingen und Ulm lösten in den 60iger Jahren großes Unverständnis aus und irritiert noch bis heute. Eugen Wurth trug ab März 1944 die Verantwortung in Sainte-Marie-aux-Mines, ab September 1944 für Spaichingen und die „Wüste“-Lager, ab März 1945 für die Auflösung und die damit verbundenen Todesmärsche. Laut Zeugenaussagen hat er selbst nicht misshandelt, nicht getötet. Trotz eingehender Nachforschungen bleibt ungeklärt, ob er im April 1945 die Exekution von 22 Häftlingen auf Grund eines Militärgerichtsurteils befehligte, die vom SD zur Hinrichtung ins Lager überstellt worden waren. Die Hinrichtungen fanden vor den versammelten Häftlingen im Scheinwerferlicht eines Autos statt. Sicher feststellen ließ sich nur, dass sich das Exekutionskommando aus SS-Angehörigen zusammensetzte, die nicht zu den Lagermann- schaften gehörten.15- Der ehemalige Krankenkontrolleur Karl Rieflin bescheinigte Wurth, sich für die Schonung von Häftlingen eingesetzt zu haben. Der SS-Unterscharführer Friedrich Bauer erklärte, Wurth habe das Schlagen verboten und die Schläger von ihren Posten abgelöst. Der Anklagevertreter Dr. Rall ging in seinem Schlussplädoyer ausführlich auf die Frage ein, ob es den Angeklagten möglich gewesen sei, sich der brutalen Misshandlung und Ausrottung von Häftlingen zu entziehen. Er bejahte dies mit Hinweis auf die Beispiele Dold und Wurth.16 Der Unterschied zwischen Erwin Dold und Eugen Wurth liegt in den Motiven für ihr Handeln: Dold sagte bei einer Vernehmung am 11.7.1946: Als KZ-Wachmann habe ich Dinge gesehen, die mich entsetzten, worauf ich beschlossen habe, den Häftlingen zu helfen.- Bei Eugen Wurth entspringen all seinen Taten dem Bestreben, sich materiell in großem Umfang zu bereichern. Veränderungen und Verbesserungen entsprangen nicht der Menschlichkeit, sondern der Notwendigkeit, einen gewinnbringenden Einsatz der Arbeitskraft der Gefangenen möglichst lange zu erhalten. Der Nebeneffekt bestand für die Betroffen darin, dass sich für sie daraus eine Überlebenschance ergab. Jean-Pierre Hippert sagte später für Wurth aus, aber mit der Betonung: Er war ein Egoist und Materialist. Mein Leben stand jeden Tag auf „Heute oder Morgen“. Meine Vorsicht - meine „List“ – rettete mich immer wieder. Jean-Pierre Hippert starb am 30. Juli 2005 in Esch (Luxemburg) im Alter von 90 Jahren. © Gertrud Graf und Eugen Michelberger
Anmerkungen: 1) Die LVL, "LëtzeburgerVolleksLegio'n" entstand aus dem Zusammenschluss der "LëtzeburgerLegio'n und der LëtzeburgerScouten im Juni 1941 und operierte vor allem im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes. Ihre Haupttätigkeiten waren die Beteiligung an der Kampagne gegen die "Personenstandsaufnahme" vom 10. Oktober 1941 und am Aufruf zum Streik vom 31. August 1942. Zusammen mit anderen Gruppen richtete sie geheime Verstecke für Luxemburger Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige ein. Besonders hervorzuheben ist ihr Nachrichtendienst, der nach London über die Abschussrampen der V1- und V2-Raketen in Peenemünde berichtete. Dies führte zur Bombardierung eben dieser Rampen. Zwischen Oktober und Dezember 1943 verhaftete die Gestapo zahlreiche Mitglieder der LVL. Weitere Luxemburger Widerstandsbewegungen: LEL Letzebuerger Roudeléiw (roter Löwe), LFB Letzebouerger Freiheitsbond, TLS Letzebuerger Studenten. 2) Die Außenlager, die Jean-Pierre Hippert durchlaufen muss: Obernai (Oberehnheim im Elsaß, Errichtung einer NS- Nachrichtenschule), Heppenheim (Teeplantage, Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung), Iffezheim-Rastatt (Wirtschaftslager der SS), Lichterfelde Berlin (Bauvorhaben der SS in Berlin), Kornwestheim (Werner-Pfleiderer-Werke). Anfang März 1944 schickt ihn SS-Obergruppenführer Oswald Pohl ins Hauptlager Natzweiler zurück. Von dort geht es weiter in das Außenlager Iffezheim HWL II (Kistenproduktion und Einsatz in einer Großbäckerei in Rastatt). Es folgen Ellwangen (Bunker- und Wohnungsbau der SS), Sainte Marie aux Mines (Tunnelbau für eine unterirdische Rüstungsfabrik mit Produktion für BMW und Arbeit in einer Bäckerei in Colmar), Schömberg (Begleitung von Eugen Wurth bei der Inspektion mehrerer „Wüste“-Lager) und Spaichingen (Arbeit in der Bäckerei Merkt für die Stadt, das KZ-Lager und die Stalag-Lager). 3) Eugen Wurth, SS-Untersturmführer: Lagerführer im KZ Markirch / St. Marine-aux-Mines ab Frühjahr 1944. - Ein Sonderbefehl des Kommandanten des KZ Natzweiler, SS-Sturmbannführer Hartjenstein, setzt ihn mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 „als Führender der Wachkompanie für das Lager Schömberg und dessen Außenlager ein. Er kommt dort jedoch erst im Dezember 1944, nach Räumung des KZ Markirch als Kompanieführer an. … Nach Ablösung Hofmanns … wird Wurth – so das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft - zum Kommandoführer des Bauvorhabens „Wüste“ ernannt und ist „in dieser Eigenschaft unmittelbarer Vorgesetzter der in den „Wüste“-Lagern als Kommando- bzw. Lagerführer eingesetzten SS-Unterführer. Diese umfassende Aufgabenstellung hat Wurth später immer bestritten. Wurth erhält Mitte Oktober 1944 die Leitung der „Wüste“-Lager und des Aussenlagers Spaichingen, und ist mitverantwortlich für die Räumung dieser Lager im April 1944. - (Andreas Zekorn, Todesfabrik KZ Dautmergen, Ein Konzentrationslager des Unternehmens „Wüste“, 2019, S. 112/113) 4) Außenlager Markirch / Sainte Marie aux Mines: Der 6872 Meter lange Maurice-Lemaire-Tunnel in Frankreich, meist als Tunnel de Sainte-Marie-aux-Mines bezeichnet, wurde 1937 als Eisenbahntunnel an der Strecke Sélestat – Lesseux-Frapelle – Saint-Dié eröffnet. Zwischen März und September 1944 wurde der Tunnel beschlagnahmt und in eine Fabrik für Flugzeugteile umgewandelt. Als Arbeitskräfte dienten Insassen des Konzentrationslagers Struthof. In aller Eile war am östlichen Ende des Tunnels bei Sainte-Marie-aux-Mines (Markirch) ein Außenlager für 800 Personen errichtet worden. Ein Großteil der Häftlinge kam aus der Region Trži• im heutigen Slowenien. Die Häftlinge mussten in 12 Stunden-Schichten den Tunnel ausbauen und für BMW Flugzeug- und Raketenmotoren produzieren. Zusammen mit den Häftlingen aus dem Hauptlager wurden die Männer aus Sainte-Marie-aux-Mines im September 1944 nach Dachau und dessen Außenlager „evakuiert“. (Wikipedia zu Maurice-Lemaire-Tunnel, abgerufen am 13. Juni 2019) 5) Zu den Kameraden von Jean-Pierre Hippert: Nicolas Birtz, geb. am 17.03. 1922, Häftlings-Nr. 2198, Pierre Heck, geb. am 02.09.1915, Häftlings-Nr. 2248 und Roger Ewert, geb. am 20.10.1923, Häftlingsnummer 7019 wurden gemeinsam mit Jean-Pierre Hippert am 20. Januar 1943 in Natzweiler eingeliefert, waren gemeinsam in den KZ Sainte-Marie-aux-Mines und Spaichingen und auf dem Todesmarsch. Sie flüchteten gemeinsam am 27.04.1945 in Trauchgau und kamen miteinander am 1. Mai 1945 in der Heimat an. Bis Sainte-Marie-aux-Mines war auch Mathias Freppert, geb. 11.05.1907, Häftlingsnummer 2226 dabei, er starb aber am 01.08.1944 in Natzweiler. Jule Boulanger, geb. am 02.10.1898, Häftlings Nr. 15 327, wurde erst am 20.05.1944 in Natzweiler registriert, nach Sainte-
Marie-aux-Mines verliert sich seine Spur. (Ernest Gillen, Namensliste Liste der Luxemburger in Natzweiler, Rappel 5 - 6, 1990) 6) „Wüste“- Lager: Unter dem Decknamen Unternehmen „Wüste“ wurden in den letzten Monaten vor Kriegsende entlang der Bahnlinie Tübingen/Rottweil sieben Konzentrationslager errichtet. Sie sollten billige Arbeitskräfte für 10 Industrieanlagen liefern, die zur Gewinnung von Öl aus Schiefer errichtet wurden. Es waren dies die Lager Schömberg, Schörzingen, Frommern. Erzingen, Bisingen, Dautmergen, Dormettingen. Fast 3000 Häftlinge wurden in wenigen Monaten dort Opfer der „Vernichtung durch Arbeit“. Die Mehrzahl der Häftlinge waren politische Gefangene aus den besetzten Staaten Europas. (Möglichkeiten des Erinnerns, Orte jüdischen Lebens und nationalsozialistischen Unrechts im Zollernalbkreis und im kreis Rottweil, S. 43) 7) Bericht von Jean-Pierre Hippert, der am 04.12.2013 von Arlette Hippert an Gertrud Graf und Eugen Michelberger übergeben und von Eugen Michelberger transkribiert wurde. Archiv Graf/Michelberger 8) Ernest Gillen. Gestohlene Jugendjahre in den Konzentrationslagern Natzweiler-Struthof und Dachau 1942-1945, Namensliste der Luxemburger in Natzweiler, S. 403 -411 9) Lagerführer Schnabel: war Lagerführer in den KZ Schömberg, Vaivara / Estland und in weiteren Lagern in Estland, im Schwurgerichtsprozess in Ulm wurde er 8. September 1969 zu 6 Jahre Zuchthaus verurteilt. (Christine Glauning, Entgrenzung und KZ-System, S. 393). Er war der letzte Lagerkommandant von Spaichingen. Es gelang ihm 1945 über Zwischenstationen nach Hannover zu entkommen, wo er bei einem Tiefbauunternehmen tätig war und später eine Gaststätte eröffnete. Erst im Februar 1962 wurde er in Untersuchungshaft im Landgerichtsgefängnis Hechingen genommen. Bei dem nachfolgenden Kriegsverbrecher-Prozess verurteilte ihn das Gericht, das Schnabel als einen „brutalen und unbarmherzigen Schläger“ charakterisierte, lediglich wegen eines versuchten Mordes und Beihilfe zum Mord in fünf Fällen zu zehn Jahren Zuchthaus, wobei keines der Verbrechen, die zur Verurteilung führten, mit dem KZ Spaichingen oder dem von Schnabel geleiteten Todesmarsch in Verbindung stand. (Andreas Zekorn, Endlich der Moment der Befreiung, Die Räumung des KZ Spaichingen und der Lager des Unternehmens „Wüste“ im April 1945, Tuttlinger Heimatblätter 2016, S. 21 - 42) 10) Franz Hartmann, SS Blockführer, Spaichingen: er wurde im zweiten „Wüste“-Prozess in Rastatt 1947 zu 20 Jahren Haft verurteilt. (Christine Glauning, Entgrenzung und KZ-System, S. 386). 11) Volkssturm in Schwanstein: Nachdem die Wachleute verschwunden waren, erschien jedoch der lokale Volkssturm. Offenbar hatten die verschwundenen Wachsoldaten die örtliche Parteiführung verständigt. Die Volkssturmführer sprachen mit den Anführern unter den Gefangenen und ließen sich Alibi-Schriftstücke unterschreiben, dass sie die Gefangenen gut behandelt und mit Essen und Trinken versorgt hatten. Arno Huth, Das doppelte Ende des KL Natzweiler, S. 326, Aussage Meir Eldar, Anmerkung 650 12) Christine Glauning, Entgrenzung und KZ-System, S. 393 13) Andreas Zekorn, Todesfabrik KZ Dautmergen, Ein Konzentrationslager des Unternehmens „Wüste“, S. 119) 14) Michael Grandt, Unternehmen Wüste - Hitlers letzte Hoffnung, Das NS-Ölschieferprogramm auf der Schwäbischen Alb, S. 150, 154). 15) Arno Huth, Das doppelte Ende des KZ Natzweiler auf beiden Seiten des Rheins, S. 342-343; Andreas Zekorn, Todesfabrik KZ Dautmergen, Ein Konzentrationslager des Unternehmens „Wüste“, S. 229 16) Christine Glauning, Entgrenzung und KZ-System, S. 393, sowie Michael Grandt, Unternehmen Wüste – Hitlers letzte Hoffnung, S. 150-151
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