Der Vermittler 11 2019 - Museum Rietberg
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18. MAI BIS 31. MAI 11 2019 Der Vermittler Porträt Kunsthistoriker Albert Lutz inszeniert seine letzte Ausstellung Das Museum Rietberg präsentiert umfassend und einzigartig die Jahrtausende alte Kulturge- schichte des Spiegels.
Foto: Christoph Wider Leidenschaft für Kunstvermittlung Mit einer Schau zu Spiegeln verabschiedet sich der Ostasien-Kunsthistoriker Albert Lutz vom Museum Rietberg. In ihr reflektiert sich auch das engagierte Wirken eines passionierten Ausstellungsmachers. «Eternity Now» heisst das Werk der Schweizer dien wie Kunst, Film, Fotografie aber auch Lite- Künstlerin Sylvie Fleury, das an diesem letzten ratur und Psychologie. Montag im Mai seit wenigen Stunden in der «Weit mehr als um die optische Reflexion Eingangshalle zum Zürcher Rietberg-Museum geht es um das Nachdenken des Menschen über steht. Der überdimensionierte Rückspiegel re- sich selbst beim Blick in den Spiegel», sagt er flektiert gerade Museumsdirektor Albert Lutz und lächelt verschmitzt. Es ist dieses Spitzbübi- im Gespräch mit seinen Mitarbeitenden über sche – und auch der Bündner Dialekt, mit denen die richtige Position des Werks. Mit dem Titel der Kunsthistoriker sein Gegenüber sofort ge- «Ewigkeit – und zwar sofort» verweist er gleich- winnt. Und dann natürlich mit seiner Fachkom- zeitig auf die schnelllebige Konsumwelt und petenz und seinem Gestaltungswillen. wird durch seinen ursprünglichen Standort auf einem Genfer Friedhof zum Symbol für Ver- Der Aufbau der Ausstellung hat eben erst be- gänglichkeit und Tod. Auf der Rückseite sind gonnen. Schaukästen werden zusammengesetzt, denn auch züngelnde Flammen zu sehen. Eine Videos installiert, in einer Ecke steht das welt- Anspielung auf das Höllenfeuer? weit älteste, vollständig erhaltene Gewand eines Diese Vielschichtigkeit und Ambivalenz der Schamanen etwas verloren neben seiner Trans- Spiegel interesseiert Albert Lutz. Dem Utensil portkiste. 230 Ausstellungsobjekte werden es ins- widmet er deshalb eine kulturvergleichende Aus- gesamt sein, ein Grossprojekt mit rund 100 Leih- stellung mit Objekten aus allen Kontinenten und gebern. Auch wenn Albert Lutz von jedem ein- Spiegel-Geschichten in unterschiedlichsten Me- zelnen Objekt fasziniert ist, letztlich geht es ihm forum 11 2019 4
SCHWERPUNKT Anfänge einer Ausstellung: Albert Lutz mit seinen Mitarbeitenden (Spiegelbild) bei der Positionierung von Sylvie Fleurys «Eternity Now». um die Kombination, darum, Zusammenhänge führte, seine Liebe zu Asien. «Ich war beein- zu schaffen und Kunst so zu zeigen, dass sie druckt von den Menschen, den alten Tempeln – in der Vielfalt zum Nachdenken anregt. «Im und dem herrlichen Essen.» Zurück in Zürich Herzen bin ich weder Sammler noch Wissen- schrieb er sich an der Universität für das Studi- schaftler, sondern vor allem ein Museums- um ostasiatischer und europäischer Kunstge- mensch, der gern Kunst inszeniert», sagt er schichte ein und verfasste seine Doktorarbeit von sich selbst. über einen buddhistischen Tempel in der chine- sischen Provinz Yunnan. Die häufigen Besuche Im Rietberg-Museum, das ein Fenster sein will, in China und die vier Monate, die er 1987 mit welches sich in Zürich auf die Welt hin öffnet seiner Frau und seinen beiden Kindern im und verschiedenste Kulturen in die Limmat- Reich der Mitte arbeitete, haben ihn geprägt. Bis stadt bringt, hat er dazu ein ideales Betätigungs- heute ist China sein Spezialgebiet geblieben. feld gefunden. «Ich möchte den Menschen mei- Seine Kenntnisse der chinesischen Sprache hat ne persönliche Wertschätzung fremden Welten er zwar etwas verloren, den engen Austausch gegenüber vermitteln und dabei auch kleineren und die Beziehungen zu verschiedenen Mu- Kulturen eine Niche bieten. Es gibt ja auch heute seen jedoch pflegt er noch immer. «Die Zusam- noch so viel zu entdecken.» menarbeit mit verschiedenen Institutionen auf der ganzen auf der Welt wird in Zukunft immer Während seiner 36-jähriger Tätigkeit am Museum wichtiger werden. Kooperationen auf Augen- Rietberg – erst als Kurator, seit 1998 als Direktor – höhe sind für alle interessant.» hat Albert Lutz das Museum, das sich der Kunst der traditionellen, aber auch der zeitgenössischen Im Herzen bin ich weder Sammler noch Kulturen Asiens, Afrikas, Amerikas und Ozea- niens widmet, neu positioniert und zu einem Wissenschaftler, sondern vor allem ein Museums- der grossen Kunstmuseen der Schweiz und ei- mensch, der gern Kunst inszeniert. nem der aktivsten Weltkunst-Museen Europas gemacht. Sylvie Fleurys Rückspiegel hat inzwischen seinen Über 30 Ausstellungen hat er in dieser Zeit Platz gefunden. Er spiegelt nun auch das mosaik- kuratiert und mit Themen wie «Mystik», «Lie- artige Glasdach des Museums: Grünweisse Farb- be», «Kosmos», «Gärten» oder jetzt «Spiegel» tupfer beleben das Bild. das traditionelle Spektrum des Hauses für aktu- Neue Tupfer wird es wohl bald auch im elle Fragegestellungen geöffnet. Unter seiner Leben von Albert Lutz geben. Ende November Egide wurde 2007 der «Smaragd» genannte Er- geht der Kunsthistoriker in Pension. Dann wird weiterungsbau eröffnet, ein Höhepunkt seines er mehr Zeit für sein Privatleben haben, mit Schaffens. seiner Frau, die sich als Kunsthistorikerin der Ein Jahr später richtete das Museum Riet- Gegenwartskunst verschrieben hat, die Welt be- berg als eines der ersten Museen der Schweiz reisen, Bücher schreiben und sich ausgiebiger eine eigene Stelle für Provinienzforschung ein. seinem Hobby Filmen widmen. Sicher Grund stolz zu sein. Stolz? Albert Lutz «Natürlich bin ich froh, die Verantwortung für zögert. Der Erfolg erfülle ihn eher mit Genug- das Museum nach über zwanzig Jahren abgeben tuung und Freude, meint er bescheiden und zu können» sagt er. «Was ich aber – neben dem fügt – ganz Teamplayer – an: «Es ist alles ein Ge- Ausstellungsmachen – sicher vermissen werde, meinschaftswerk, an dem sehr viele Menschen ist die Möglichkeit, immer wieder gut qualifi- aus unterschiedlichen Bereichen beteiligt wa- zierte und höchst motivierte Menschen in allen ren – Mitarbeitende, Sponsoren, Politiker.» Bereichen, sei es im Café, im Kuratorium, im Marketing oder sonst wo an unser Haus zu Ursprünglich wollte der in Chur geborene Bündner binden. Es ist für mich jedes Mal eine Freude, ja eigentlich die Familientradition fortsetzen und Praktikantinnen und Praktikanten anzustellen wie sein Vater und seine zwei Brüder Bauinge- und zu beobachten, wie diese jungen Frauen nieur werden. Das ETH-Studium jedoch sagte und Männer frischen Wind und gute Ideen ins ihm nicht zu. Dafür entdeckte er auf einer Welt- Museum bringen.» reise, die ihn nach Japan, Korea und Taiwan Pia Stadler forum 11 2019 5
SCHWERPUNKT Foto: zvg Von der Gotteseben- bildlichkeit zum Selfie Spiegel spielen in Religion und Philosophie seit jeher eine grosse Rolle. Der Mystikforscher Alois Haas weiss warum. forum: Alois Haas, erzählen Sie uns bitte mel bis zur Erde bilden. Die Kette hält Spiegel und werden so in sein eigenes Ihre liebste Spiegel-Geschichte. zusammen, weil sich ein Wesen im an- Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Alois Haas: Die für mich eindrücklichs- dern und in allen zusammen die Schöp- Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.» te Spiegelung findet sich in der Gött- fung spiegelt. lichen Komödie von Dante, wo sich im Welche Bedeutung kommt dem Spiegel Paradies die ganze Schöpfung spiegelt. Gott offenbart sich uns nur durch seine in den Religionen sonst noch zu? Dies wiederum geht zurück auf eine Spiegelung in seiner Schöpfung? Spiegel gelten auch als Metapher für Szene aus der Illias von Homer, bei der Genau. Schon Apostel Paulus beschreibt die Seele: Sie muss rein und immer die Götter eine goldene Kette vom Him- deshalb unsere Gotteserkenntnis als rei- blankgeputzt sein, kein Staub darf sich ne Spiegel-Erkenntnis, die damit auch auf sie legen. Ist die Seele ein Spiegel, Alois Maria Haas eingeschränkt ist: «Jetzt schauen wir so kann sich Gott in ihr spiegeln und ist Germanist, in einen Spiegel und sehen nur rätsel- wirksam werden. Philosoph und hafte Umrisse, dann aber schauen wir Eine zusätzliche Pointe zur Spiegel- Mystikforscher. von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein betrachtung liefert der Wüstenmönch Bis zu seiner Eme- ritierung 1999 Erkennen Stückwerk, dann aber werde Philotheus (zwischen dem 8. und 12. Jahr- lehrte und forsch- ich durch und durch erkennen so wie hundert), wenn er schreibt: «Mit aller te er als Professor ich auch durch und durch erkannt wor- Wachsamkeit (…) wollen wir zu jeder an der Universität Zürich. Er ist ver- den bin. (Kor 1.12)» Stunde unser Herz und wenigstens den heiratet und Und andernorts heisst es: «Wir alle winzigen Spiegel unserer Seele vor fins- wohnt in Uitikon (…) schauen mit enthülltem Angesicht teren Gedanken bewahren. In ihm wird Waldegg. die Herrlichkeit des Herrn wie in einem ja Christus, die Weisheit und Kraft des forum 11 2019 6
Spiegeldose aus Bronze (Detail, Umzeichnung). Griechisch, 4. Jh. v. Chr. Zur Ausstellung The Metropolitan Museum of Art. «Spiegel» Vaters, von Natur aus abgebildet und selbst erkennt und mit kluger Voraus- «Wie sehe ich aus, was sagt mir mein lichtvoll gezeichnet (photographeisthai sicht den Weg in die Zukunft bedenkt –, Gesicht?» Tag für Tag dient uns der = sich lichtvoll einschreiben).» als auch des Hochmuts und der Eitel- Spiegel als Instanz zur Prüfung un- Ohne die historische Tragweite sei- keit – denn hochmütig, stolz und eitel seres Aussehens und Empfindens. ner frommen Ausdrucksweise zu erah- ist, wer sich oft selbstverliebt im Spie- Er begleitet uns ein Leben lang und nen, erfand Philotheus das Verb fotogra- gel anschaut, weder an die Vergangen- wir pflegen mit ihm eine meist inni- fieren, dass für die medialen Spiege- heit noch an die Zukunft denkt und ge, mitunter auch selbstvergessene lungstechniken der digitalen Moderne selbstvergessen dahinlebt. und distanzierte Beziehung. Aber was von höchster Bedeutung werden sollte. wissen wir über ihn, und was erzählt Seine Absicht war, die Ebenbildlichkeit der Spiegel über uns? Foto: zvg der Menschenseele mit dem göttlichen Die Ausstellung im Rietberg- Urbild zu signalisieren. Im narzissti- Museum präsentiert erstmals die schen Kult der heutigen Selfies verbin- Jahrtausende alte Kulturgeschichte det sich so ein Rest der uralten Thema- des Spiegels umfassend. Ob im alten tik der Gottesebenbildlichkeit mit mo- Ägypten, bei den Maya in Mexiko, in dernsten Abbildtechniken. Japan, in Venedig oder in der Kunst und im Spielfilm von heute – Zivili- sationen rund um den Globus haben Ist die Seele ein Spiegel hergestellt und ihnen unter- Spiegel, so kann sich schiedliche Bedeutungen und Wirk- kräfte zugeschrieben. Gott in ihr spiegeln Mit 220 Kunstwerken aus 95 Mu- und wirksam werden. seen und Sammlungen weltweit, wer- Alois Haas den die wechselvolle handwerkliche und technologische Entwicklung wie auch die kulturelle und gesellschaft- Spiegel haben Menschen offen- liche Tragweite dieses reflektieren- sichtlich seit Urzeiten fasziniert. den Mediums beleuchtet. Es geht um Warum eigentlich? Spiegel als Artefakte aber auch um Weil es komplexe Phänome sind, die Selbsterkenntnis, um Eitelkeit und immer ein Stück rätselhaft bleiben. Der Weisheit, Schönheit, Mystik und Ma- Spiegel ist auch eine Metapher der gie und nicht zuletzt um das Spiegel- Überschreitung des sinnlich Wahrnehm- Prinz Salim, der spätere Mogulkaiser medium unserer Zeit – das Selfie. baren. Denn im Blick in den Spiegel Jahangir als junger Mann. Bichitr (Künstler), Mogulreich Um 1630. geschieht Zauberhaftes: Das darin Ab- «Spiegel – Der Mensch im Widerschein» Victoria and Albert Museum, London. gebildete erscheint – wenn auch seiten- 17. Mai bis 22. September 2019. verkehrt, so doch aufs Genaueste nach- Di bis So 10 – 17 Uhr, Mi 10 – 20 Uhr. gezeichnet – als Verdoppelung des Ur- Um mich selbst zu erkennen muss ich Museum Rietberg, Gablerstrasse 15, bildes. Und doch zeigt er nur ein Bild mich also spiegeln? Zürich; 044 415 31 31. eines Sachverhaltes, und nicht dessen Ja. So wie das Auge unfähig ist, sich Öffentliche Führungen: Mi 18.30 Uhr, Realität. Wenn ich den Spiegel zerstöre, selbst zu sehen und sich am besten Do 12.15 Uhr, Sa 14 Uhr, So 11 Uhr löst sich die Reflexion auf. Das Spiegel- in der Spiegelung im Auge des Gegen- ( ausser 29./30.6.) bild an sich ist nichts, und doch genau übers erkennt, so spiegelt, wer sich Sommerfest im Rieterpark: Sa, 29.6., das Abbild von mir – ein Paradox. selbst erkennen will, sein Eigenes im 10 –21 Uhr; So, 30.6., 10 – 18 Uhr. Blick hinüber zum Anderen in dessen www.rietberg.ch Dann ist der Spiegel auch sehr Seele. So erfasst er das Göttliche in der ambivalent? Seele des Anderen und findet zu sich Und ausserdem … Natürlich. Wie kaum ein anderes Bild selbst. «Spiegeleien» Einzigartige Spiegelbilder eignet sich der Spiegel, sowohl zum aus Kunst und Wissenschaft. Guten wie zum Schlechten hin inter- Gespräch: Pia Stadler Täglich: 10 – 17 Uhr. pretiert zu werden. Im Christentum gilt Technoramastrasse 1, Winterthur; er sowohl als Symbol der Weisheit und 052 244 08 44, www.technorama.ch. Klugheit – denn weise ist, wer sich forum 11 2019 7
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