Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb

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Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
SEEVÖGEL, Zeitschrift Verein Jordsand, Hamburg 1982 / Sonderband 39

Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich
von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
Von Thomas Meineke und Wulf Gatter

1. Einleitung                                                            mehreren Stellen des südwestlichen Harzrandes (Herzberg-
                                                                         Osterode-Wulften, 200-300 m ü. NN), meist frühmorgendli¬
Die Auswertung unserer Zugplanbeobachtungen ergab vor al¬                che Zählungen des sichtbaren Vogelzuggeschehens durchge¬
lem beim Rotmiln so auffällige Unterschiede, daß wir uns zu              führt. Zusätzlich wurden einige Daten (16 Beobachtungen mit
einer vergleichenden Bearbeitung entschlossen. Damit kann                111 Vögeln) aus dem Gebiet des Seeburger Sees übernom¬
neben einer erstmaligen gründlichen Darstellung des Rotmi¬               men. Aus Zeitgründen konnte oft nur stundenweise gezählt
lans im Westharz vor allem eines gezeigt werden: Durch Plan¬             werden. An 66 Tagen wurden zumindest auch Zeitabschnitte
beobachtungen des sichtbaren Tagzuges an verschiedenen                   zwischen 10.00 und 15.00 h erfaßt (Abb. 1). Zur Beantwortung
Orten lassen sich bereits mit relativ geringem Aufwand und               der Frage nach den Zugwegen erfolgten an einigen Tagen
schon nach wenigen Jahren grundsätzliche Ergebnisse erzie¬               gleichzeitige Zählungen an verschiedenen Punkten. Trotz be¬
len, die unsere Ansichten überden Status vieler Arten sehr viel          vorzugter Registrierung der nach Verlauf der vorausgegange¬
weiter bringen werden.                                                   nen Witterung als optimal eingeschätzten Zugtage, muß eine
                                                                         Beurteilung hier unter dem Vorbehalt der unvollständigen und
                                                                         nicht standardisierten zeitlichen Erfassung gesehen werden.
2. Material und Methodik                                                 W. Hessner ist für die rege Mitbeobachtungstätigkeit und
Beobachtungspunkte im Westharz:                                          G. Brunken für die Überlassung einiger Daten aus der See-
                                                                         burger-See-Kartei zu danken.
An insgesamt 191 Tagen wurden 1978-1980 in den Monaten
August bis November im Hochharz (Sonnenberger Moor
                                                                         Randecker Maar/Schwäbische Alb:
800 m, Torfhaus 800 m und Bruchberg 920 m ü. NN) sowie an
                                                                         Der sichtbare Tagzug wird am Randecker Maar während des
                                                                         Wegzuges seit 1961 sporadisch, ab 1967 lückenhaft und seit
                                                                         1970 lückenlos und ganztägig erfaßt. Die Station ist alljährlich
                                                                         von Mitte Juli bis in die zweite Novemberhälfte besetzt. Topo¬
                                                                         graphie des Beobachtungsortes sowie die Methodik der unter
                                                                         standardisierten Bedingungen entstehenden Beobachtungen
                                                                         siehe Gatter (1978). Es sei jedoch kurz erwähnt, daß die Be¬
                                                                         obachtungsstation am nördlichen Steilabfall der Alb liegt, der
                                                                         sich Zugvögeln als 400-500 m hoch aufragendes Hindernis in
                                                                         den Weg stellt. Insofern bestehen durchaus vergleichbare
                                                                         Verhältnisse zu denjenigen am Harz. Den inzwischen über 80
                                                                         z.T. langjährigen Mitarbeitern sei an dieser Stelle herzlich ge¬
                                                                         dankt.

                                                                         3. Beobachtungen und Ergebnisse
                                                                         3.1. Milanzug und Topographie
                                                                         Der Hochharz wird mit Ausnahme des Brockens und seiner
                                                                         Ausläufer wohl an allen Stellen überflogen. An »guten« Zugta¬
                                                                         gen erreichen die Rotmilane über die Taleinschnitte von Ra¬
                                                                         dau, Ecker und Ilse den paßähnlichen Punkt Torfhaus. Sie ha¬
                                                                         ben dann jeweils meist über 600 m Höhenunterschied über¬
                                                                         wunden und folgen bei günstiger Thermik den in NO-SW-Rich-
                                                                         tung verlaufenden Höhenrücken von Bruchberg und Acker. Am
                                                                         28.9.1980 waren es beispielsweise 80 Vögel (Abb. 2a). Fehlen
                                                                         Aufwinde und herrschen zudem noch auf der Hochharzfläche
                                                                         kalte Winde aus östlichen Richtungen vor, wie z. B. während
                                                                         des am 1.11.1980 über ganz Mitteleuropa liegenden kräftigen
                                                                         Hochdruckgebietes, wird der relative Windschatten der nord¬
                                                                         westlich gelegenen niederen Bereiche genutzt und der
                                                                         eigentliche Hochharz (über 700 m) gemieden (Abb. 2b).
                                                                         Bei starker Bewölkung, die den Hochharz häufig in dichten Ne¬
Abb. 1: Jahreszeitliche Verteilung des Wegzuges im Harz (H) mit          bel hüllt, findet praktisch kein Zug statt. Damit läßt sich auch
        Darstellung der Beobachtungsaktivität. Zählungen bis 10.00 h     das in einzelnen Zugperioden stark diskontinuierliche Zugbild
        = Querstrich, (auch) nach 10.00 h = schwarz. Zum Vergleich       erklären.
        wird dargestellt der Zug am Randecker Maar (RM)
        1961-1971, n = 100 (Gatter 1972) und der Zugablauf auf           Ähnlich dem Mäusebussard nutzt auch der Rotmilan die Ther-
        Falsterbo (F) 1949-1951 und 1953, n = 240 (Ulfstrand et al.      mikzur Fortbewegung, legt im Gegensatz zu diesem aber auch
        1974). Pfeilspitzen geben den Zeitabschnitt an, bis zu dem       häufiger weite Strecken im aktiven Flug - dann meist relativ
        über 50% aller Vögel gezogen sind.                               niedrig - zurück. Aus der Ferne gesehen erinnern aktiv flie-
Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
40 Wegzug des Rotmilans im Bereich von Westharz und Randecker Maar

Abb. 2: Zugwege des Rotmilans über den Hochharz bei Hochdruckla¬      und vermutete (Pfeil mit ?) Einflugwege in den Harz an. Das
         gen A) mit ausgeprägter und B) ohne Aufwind-Thermik. Dicke   Harzmassiv wird durch die 300 m, 700 m und 800 m (grauer
         Pfeile am nördlichen Harzrand zeigen bek nnte (schwarz)      Bereich) Höhenlinie dargestellt.
Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
SEEVOGEL, Zeitschrift Verein Jordsand, Hamburg 1982 / Sonderband 41

gende Rotmilangruppen an das Flugverhalten von Großmö¬
wen. Beim Segelflug lösen sich die Vögel nacheinander ein¬
zeln aus der kreisenden Gesellschaft oder aber ganze Trupps
                                                                         %
entfernen sich in mehr oder weniger aufgelöster Linie (vgl.
auch Schuster 1951). Einige Male wurden gemeinsam zie¬
hende Rotmilane und Mäusebussarde beobachtet.
Der im Randecker Maar-Bereich ONO-WSW verlaufende
Steilabfall der Schwäbischen Alb wird von Milanen nicht unbe¬
dingt überflogen. Ein Teil der Vögel kommt aus ONO bereits
über die Hochfläche an. Andere, mit stärker nach Süden aus¬
gerichtetem Zug sind gezwungen, den Albsteilrand zu über¬
winden. Eine dritte Gruppe fliegt, zum Teil vom Randecker
Maar aus sichtbar, am Steilrand und dessen Fuß entlang.

3.2. Die jahreszeitliche Zugverteilung
Überzugbewegungen des Rotmilans im eigentlichen Harz gibt
es erst aus jüngster Zeit konkrete Hinweise. Während die Art
nach Saxesen (1834) nur selten bis auf den Oberharz kam, ist          3CH
sie hier in den letzten Jahren oft zu Gast (Skiba 1971). Beob¬
achtungen in den DDR-Teil des Harzes einfliegender Rotmi¬
lane (z.B. bei llsenburg, Thale und Ballenstedt) veranlaßten
Haensel u. König (1974) als erste zur Feststellung, daß die Art       20-
den Harz auf dem Zuge überquert.
Insgesamt wurden 1978-1980 zwischen dem 19.8. und 29.11.
770 ziehende Rotmilane beobachtet (Abb.1). Einem ersten               10-
Höhepunkt Ende September/Anfang Oktober folgt ein zweites
ausgeprägtes Maximum Ende Oktober/Anfang November.
Allein am 1.11.1980 zählte Hessner 211 Rotmilane bei Wulf¬
ten, aber auch schon 1978 wurde am gleichen Datum eine Ta¬
gessumme von 59 Vögeln bei Herzberg festgestellt.
Als Median ergibt sich der 26.10., unter Ausklammerung des
                                                                      20-,
außerordentlich hohen Wertes vom 1.11.1980 der 8.10.
Am J3andecker Maar ist der Durchzug bei Beginn der Beobach¬
tungen um Mitte Juli schon im Gang (Tab.1), ohne im August
an Stärke zunehmen. Von 270 Durchzüglern entfallen 17 auf
den Juli und 25 auf August, 111 auf September und 107 auf den         10-
Oktober.
Von ganz wenigen Vögeln abgesehen ist der Zug um die Mitte
des Oktobers abgeschlossen. Im November/Dezember folgen
nur noch wenige, zum Teil als Schneeflüchter. Der edianwert
fällt auf den 28. September (Gatter 1972).
                                                                      Abb. 3: Tageszeitliche Verteilung ziehender Rotmilane. F = Fal-
Tabelle 1: Monatliche Verteilung ziehender Rotmilane am                       sterbo (n=240), H = Harz (n=322), RM = Randecker Maar
            Randecker Maar (RM) (1970-1980) und vom Harz                      (n=100). Pfeilspitzen geben den Zeitabschnitt an, bis zu dem
                                                                              über 50% aller Vögel gezogen sind.
           (1978-1980).
  Juli August Sept. Okt. Nov. Dezember                                über 60% aller gezählten Rotmilane (Abb. 4) und die größten
            25       111                  4               RM          Verbände umfaßten 61 und mehrmals 40 Vögel. Im Gegensatz
   17                         107
    ?       17       138      324      291               Harz         zu diesen Truppgrößen zeichnet sich der Zug am Randecker
                                                                      Maar deutlich als Randgeschehen mit völlig anderem Sozial¬
                                                                      verhalten ab. 84% der »Trupps« sind Einzelvögel (Harz 47%).
3.3. Das tageszeitliche Zugmuster                                     65% der Rotmilane ziehen allein. Truppgrößen von mehr als 5
                                                                      kommen hier praktisch nicht vor (Abb. 4).
In Anbetracht des hohen Anteils thermikunabhängiger Strek-
kenflüge ist ein relativ breit angelegtes Zugmuster zu erwarten,
das über dasjenige der reinen Thermiksegler, wie Mäusebus¬            3.5. Quantitative Stellung des Rotmilans innerhalb des
sard, hinausgeht. Im Westharz wie am Randecker Maar setzt                  Greifvogelzuges
der Zug zeitig nach 7 bzw. 6 Uhr ein und steigt im Harz nahezu
kontinuierlich bis gegen 14 Uhr an. Der tageszeitlich stärkste        Um die extremen Unterschiede zwischen den beiden Orten
Zug wurde hier zwischen 11.00 und 14.00 Uhr registriert               deutlich zu machen, wollen wir die Daten mit zwei häufigen
                                                                      Greifvogelarten vergleichen, deren Zug am Harz ebenfalls in
(s.Abb.3). Über 35% aller Vögel zogen allein zwischen 13.00
                                                                      den Erfassungszeitraum fällt. Im Vergleich zu den Zahlen von
und 14.00 Uhr. Danach ziehen hier kaum mehr Milane. Am
                                                                      Turmfalke, Falco tinnunculus und Mäusebussard, Buteo bu-
Randecker Maar ist die Kurve weitaus flacher (Abb. 3). In kei¬
ner Stunde ziehen mehr als 18%. Das Verteilungsmuster am              teo, zeigt sich die unterschiedliche Stellung des Rotmilans an
Randecker Maar ähnelt damit demjenigen vom Schweizer Col              beiden Orten wiederum deutlich. Im Bereich des Harzes stellte
de Bretolet (beide Milanarten n = 52, Thiollay 1967) und zeigt        er 1978 unter diesen drei Arten einen Anteil von 31,9%, 1979
damit eine völlig andere Verteilung als im Harz.                      43,7% und 1980 sogar von 70,8% (bedingt durch den außer¬
                                                                      ordentlichen Zugtag am 1.11., s.o.).
                                                                      Mit im Mittel 48,8% ist der Rotmilan unter den durchziehenden
3.4. Intraspezifisches Sozialverhalten                                Greifvögeln hier die deutlich dominierende Art.
Im Harz kommen zu über 45% einzelne oder kleine Gruppen               Im Gegensatz dazu hat der Rotmilan am Randecker Maar mit
mit maximal 4 Milanen zur Beobachtung. Größere Verbände               3,24% im Durchschnitt der Jahre 1968-1980 nur einen ganz
(ab 20 Individuen) stellen aber zusammen einen Anteil von             geringen Anteil am Zuggeschehen der Greifvögel (Tab.2).
Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
42 Wegzug des Rotmilans im Bereich von Westharz und Randecker Maar

       °/
       /o                                                                1972 und Abb. 1) kurz nach demjenigen von Falsterbo (Ulf¬
                                                                         strand et al. 1974) und 10 bzw. 30 Tage früher als im Harz. Der
                                                                         dort in der zweiten Oktoberhälfte und noch im November statt¬
                                                                         findende starke Zug deutet sich am Randecker Maar nicht ein¬
                                                                         mal an. Der zeitigere Zug schwedischer Vögel hat durchaus
                                                                         Parallelen, da viele nordische Populationen durch Raffung jah¬
                                                                         resperiodischer Vorgänge zu einem zeitigen Wegzug befähigt
                                                                         sind (Gatter 1977).
                                                                        Da der Einzug ins Winterquartier Anfang November bereits
                                                                        weitgehend abgeschlossen sein dürfte (Glutz et al. 1971),
                                                                        handelt es sich bei den im Harzbereich noch im Oktober/No¬
                                                                        vember durchziehenden Milanen möglicherweise um Vögel,
                                                                        die in Mitteleuropa überwintern. Im Gegensatz dazu ist zu er¬
                                                                        warten, daß solche Zugbewegungen am Randecker Maar und
                                                                        anderen süddeutschen Punkten nicht stattfinden. Bei dem hier
                                                                        fast fehlenden Hinterland an Brutgebiet (siehe Brutverbreitung
                                                                        bei Glutz et al. 1971) werden die wenigen Überwinterer ihre
                                                                        Wintergebiete gezielt aufsuchen und das Randecker Maar da¬
                                                                        bei gar nicht berühren. Ähnlich ist die Situation in Falsterbo. Die
                                                                        Zieher innerhalb der kleinen südschwedischen Population ver¬
                                                                        lassen Schweden relativ zeitig. Die Überwinterer bleiben öst¬
                                                                        lich von Falsterbo (Ulfstrand 1970) und werden deshalb dort
                                                                        nicht beobachtet. Während dort ziehende Milane nach Anfang
                                                                        Oktober zu den Seltenheiten gehörten (Ulfstrand 1970),
                                                                        scheinen solche Nachweise Ende Oktober/Anfang November
                                                                        neuerdings zumindest etwas häufiger vorzukommen (Roos
                                                                        1977, 1977 a, 1979).
                                                                        Sehr hohe Siedlungsdichten (ä 3 P./100 qkm) erreicht der
                                                                        Rotmilan in einem ca. 500 km langen und bis zu 200 km breiten
                                                                        Gebiet, das sich in Verlängerung der oberrheinischen Tief¬
                                                                        ebene in nordöstlicher Richtung bis zur mecklenburgischen
                                                                        Seenplatte erstreckt (vgl. Abb. 5). Innerhalb dieser mitteleuro¬
                                                                        päischen Hauptbrutverbreitung findet sich die größte Be¬
                                                                        standsdichte mit z.T. über 7 P./100 qkm und insgesamt über
                                                                        600 Paaren um den Harz (Haensel u. König 1974, Wodner
                                                                        1975, Peters 1979, Fiscfier 1980). Im nordöstlichen Harzvor¬
                                                                        land wurden z. B. 1978 und 1979 in einem nur ca. 13 qkm gro¬
                                                                        ßen Waldgebiet (Hakel) 108 bzw. 136 (!) besetzte Horste fest¬
 Abb. 4: Häufigkeit der Truppgrößen (Kurve) und Verteilung der jewei¬
                                                                        gestellt (Stubbe u. Matthes in Ortlieb 1980). Der selbst fast
         ligen Gesamtsumme ziehender Rotmilane bezogen auf die
         Truppgrößen (Säulendiagramm). RM = Randecker aar, H            unbesiedelte Harz liegt also mitten im Zentrum des mitteleuro¬
            = Harz.                                                     päischen Rotmilanbestandes.
                                                                        Demgegenüber brüten in Baden-Württemberg auf 36000 qkm
 Tabelle 2: Prozentualer Anteil des Rotmilans am Zug der
                                                                         nur 170-210 Paare (Hölzinger et al. 1970). Nach Verteilung
                häufigen Greifvögel Turmfalke und Mäusebussard
                                                                        der Ringfunde (Glutz et al. 1971, Hillerich 1978 u.a.) er¬
                am Randecker Maar (RM) und vom Harz.
                                                                        streckt sich das Winterquartier des Rotmilans in Südfrankreich
Jahr                       Prozent RM            Prozent Harz           und auf der iberischen Halbinsel in SW-NO-Richtung und in
                                                                        der Verlängerung des Hauptbrutgebietes in Mitteleuropa.
1968                          4,6                                       Hauptwegzugrichtung und Längsausdehnung des mitteleuro¬
1969                          1,9                                       päischen Brutgebietes decken sich also in etwa. Im nordwestli¬
1970                          2,3                                       chen, östlichen und südlichen Europa werden Rotmilane daher
1971                          2,1                       _
                                                                        auf dem Wegzug auch nur in geringer Zahl oder überhaupt
1972                          4,6                                       nicht beobachtet. Auf diese Weise werden auch die hohen
1973                          1,3                                       Zugzahlen mit Gesellschaften von über 30 Individuen im nörd¬
1974                          2,3                                       lichen Harzvorland, Südniedersachsen, Nordost-Thüringen
1975                          3,0                                       und Hessen verständlich (vgl. Abb. 5).
1976                          1,4
1977                                                                    Diese Situation läßt sich bis in den Anfang des letzten Jahrhun¬
                              6,3
1978                          8,0                     31,9              derts zurückverfolgen. Schon Naumann (1822) schreibt (Kö¬
1979                          1,5                                       then in Anhalt betreffend): »Er ziehet selten einzeln, mehren-
                                                      43,7
1980                          2,8                     70,8              teils in kleinen, oft aber auch in großen Gesellschaften zu fünf¬
                                                                        zig bis hundert Stücken«. Auch im Herzogtum Braunschweig
1968-1980 (x)                 3,24                    48,8              trat der »Tagzugvogel« bereits »in größeren Gesellschaften bis
                                                                        zu 30-50 Stück auf«, wie Blasius (1896) zu berichten weiß.
                                                                        Durch seine Lage im Randbereich der Brutverbreitung und
4. Diskussion                                                           durch das in Herkunftsrichtung der Wegzieher nur dünn oder
Die Verteilung des vergleichsweise wesentlich geringen Zug¬             nicht besiedelte Hinterland (Glutz et. al. 1971) ist der Rotmilan
geschehens in Falsterbo (Ulfstrand et al. 1974 u. Abb.1)                am Randecker Maar selten. Dies drückt sich auch im intraspe¬
zeigt, daß der Hauptzug dort 2 bis 4 Wochen (Median = 23.9.).           zifischen Sozialverhalten aus. So liegt die durchschnittliche
früher als im Westharz stattfindet. Zugspitzen liegen in Süd¬           Truppgröße am Randecker Maar bei 1,3, am Harz dagegen bei
schweden Anfang und Ende September. Größere Überein¬                    10,4 Vögeln.
stimmung ergibt sich beim Vergleich mit den Zugdaten des                Der Rotmilan zieht also entsprechend seiner eng umgrenzten
nordöstlichen Harzvorlandes (Haensel u. König 1974). Hier               Verbreitung und der genau in südwestlicher Verlängerung ge¬
liegt der Median in der 2. Oktoberdekade. Am Randecker Maar             legenen Winterquartiere in relativ schmaler Front oder wie es
liegt der Medianwert in den letzten Septembertagen (Gatter              Wattel(1980) ausdrückt »on small scale« über Europa.
Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
SEEVOGEL, Zeitschrift Verein Jordsand, Hamburg 1982 / Sonderband 43

5. Zusammenfassung                                                       6. Summary
Der Vergleich von Tagzugbeobachtungen am Westharz und                    Observation of the visible migration of the Red Kite (Milvus mil-
am Randecker Maar ergab beim Rotmilan erhebliche Unter¬                  vus) in the Harz Mountains (Southern Lower Saxony) and in the
schiede.                                                                 Randecker Maar (Swabian Alb) has shown considerable dif-
Der jahres- und tagesperiodische Ablauf des Wegzugs wird                 ferences.
dargestellt.                                                             The annual and the diurnal phenology of the visible autumn
Wesentliche Unterschiede im jahreszeitlichen Ablauf zwischen             passage is presented.
Randecker Maar und Falsterbo einerseits und Harz anderer¬                Important differences in the annual migration pattem are re¬
seits werden auf das unterschiedlich große Hinterland an Brut¬           lated to the different dimensions of the hinterlands of breeding
areal zurückgeführt.                                                     areas at the Randecker Maar and Falsterbo (Sweden) on the
Extreme quantitative Unterschiede zeigen, daß der Harz im                one hand and the Harz Mountains on the other hand.
Zentrum, das Randecker Maar an der Peripherie des Zug¬                  The large quantitative differences demonstrate that the Harz
geschehens liegt.                                                       Mountains are located in the centre of the migration area while
Der Wegzug des Rotmilans über Europa spielt sich aufgrund               the Randecker Maar is located at the periphery.
seiner Brutverbreitungsschwerpunkte und der Lage des                     The passage of the Red Kite through Europe is restricted on a
Winterareals im wesentlichen auf einem eng umgrenzten Ge¬                limited area by the main breeding distribution in Central Europe
biet ab. Als Folge dieser Faktoren wird der Breitfrontzug dieser        and the main location of wintering at the Iberian Peninsula. In
Art quantitativ gesehen zur Schmalfront.                                consequence the migration to the wintering area takes place in
Mit der Arbeit soll gezeigt werden, daß sich durch planmäßige           terms of numbers on a small scale.
Beobachtung des sichtbaren Tagzugs an verschiedenen Orten               This paper points out that important basic results can be ob-
schon nach kurzer Zeit grundsätzliche Ergebnisse erzielen               tained by short-time observations of the visible bird migration at
lassen.                                                                 different places.
Der Wegzug des Rotmilans Milvus milvus im Bereich von Westharz und Randecker Maar/Schwäbische Alb
44 Wegzug des Rotmilans im Bereich von Westharz und Randecker Maar

7. Literatur                                                    Roos, G. (1977a): Sträckräkningar vid Falsterbo hösten 1975.
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