Deutschland auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem

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Nicole Hollenbach-Biele

Deutschland auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem
Elternerfahrungen in einem laufenden Systemumbau

Zusammenfassung
In Deutschland wird nach wie vor an der flächendeckenden Umsetzung eines inklusiven Schulsystems gearbeitet. Die
öffentliche Stimmung diesbezüglich ist ambivalent. Eltern nehmen eine wichtige Rolle ein, denn letztendlich entschei-
den sie darüber, wo ihre Kinder lernen. Umfragen zeigen: Wenn Eltern über Erfahrungen mit Inklusion verfügen, ste-
hen sie dem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf positiver gegenüber.
Insbesondere Einblicke in inklusiv arbeitende Klassen und Schulen helfen, die Chancen des gemeinsamen Lernens zu
erkennen. So kann Skepsis abgebaut, verunsichernde Informationen aus der Öffentlichkeit können neu bewertet und
letztlich die Umsetzung der UN-BRK im Schulsystem sichergestellt werden.

Résumé
En Allemagne, on travaille toujours à la mise en œuvre d’un système scolaire inclusif dans toutes les régions du pays.
L’opinion publique est ambivalente sur le sujet. Les parents jouent ici un rôle important dans la mesure où ce sont eux
qui décident en dernier ressort du lieu où leurs enfants seront scolarisés. Les sondages le montrent : lorsque les pa-
rents ont pu faire l’expérience de l’inclusion, ils voient de manière plus positive l’apprentissage en commun d’enfants
avec et sans besoin éducatifs particuliers. C’est notamment lorsqu’on a eu un aperçu des classes et écoles travaillant
de manière inclusive que l’on est le plus apte à reconnaître les chances que représente l’apprentissage en commun.
C’est ainsi que l’on coupe court au scepticisme, que l’on est en mesure de réévaluer des informations publiques dé-
routantes, et finalement que la mise en œuvre de la CDPH dans le système scolaire peut être garantie.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-02-02

                        Einleitung                                                    des Einzelnen getroffen werden», dass «für
                        Im Frühjahr 2009 ist Deutschland der                          Menschen mit Behinderungen innerhalb
                        UN-Konvention über die Rechte von Men-                        des allgemeinen Bildungssystems die not-
                        schen mit Behinderungen beigetreten. Mit                      wendige Unterstützung geleistet wird, um
                        dem Artikel 24 dieser Konvention haben                        ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern»,
                        die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass                     und dass «wirksame individuell angepass-
                        «Menschen mit Behinderungen nicht auf-                        te Unterstützungsmassnahmen in einem
                        grund von Behinderung vom allgemeinen                         Umfeld, das die bestmögliche schulische
                        Bildungssystem ausgeschlossen werden                          und soziale Entwicklung gestattet, ange-
                        und dass Kinder mit Behinderungen nicht                       boten werden» (Beauftragter der Bundes-
                        aufgrund von Behinderung vom unentgelt-                       regierung für die Belange behinderter Men-
                        lichen und obligatorischen Grundschulun-                      schen, 2010).
                        terricht oder vom Besuch weiterführender                           Auch 2019, also zehn Jahre nach dem
                        Schulen ausgeschlossen werden». Der Arti-                     Beitritt Deutschlands zur UN-Behinderten-
                        kel 24 verpflichtet weiter dazu, «dass ange-                  rechtskonvention, wird die Frage, wie die
                        messene Vorkehrungen für die Bedürfnisse                      Lernbedürfnisse des einzelnen Kindes in der

                                                                                   Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 2 / 2020
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Schule und im Unterricht angemessen be-                          verlieren, und welche Impulse Elternumfra-
rücksichtigt und durch individuelle Massnah-                     gen geben können, um die schulische Inklu-
men unterstützt werden können, hoch emo-                         sion weiter voranzubringen.
tional diskutiert. Umfängliche empirische Be-
lege zur Beantwortung dieser Frage fehlen                        Zum Ausmass an inklusiver
bislang. Es gibt aber einige empirisch gesi-                     Beschulung in Deutschland
cherte Erkenntnisse, die sich zur Versachli-                     Vor zehn Jahren – also im Schuljahr 2008/09
chung der Debatte und zur Diskussion der                         – besuchten in Deutschland fast fünf Pro-
nächsten Schritte auf System-, Schul- und Un-                    zent (4,9 %) aller Kinder und Jugendlichen
terrichtsebene eignen. Auf einige dieser Be­                     der Klassenstufen fünf bis zehn (Zehn- bis
lege werde ich in meinem Beitrag eingehen:                       Sechzehnjährige) an Förderschulen. Nach
In drei Teilkapiteln zeige ich unter Rückgriff                   der Ratifizierung der UN-BRK sank diese
• auf schulamtliche Statistiken                                  Exklusionsquote den aktuellen amtlichen
     der 16 Bundesländer,                                        Statistiken zufolge auf 4,3 Prozent (vgl.
• auf ausgewählte Befunde aus                                    Tab. 1). Das entspricht einem Rückgang von
    der Bildungsforschung und                                    0,6 Prozent in zehn Jahren.
• auf Ergebnisse von repräsentativen                                  In diesem Zeitraum sank deutschland-
    Elternumfragen                                               weit die Anzahl der Förderschulstandorte
exemplarisch auf, wie weit Deutschland die                       um rund 13 Prozent und auch die durch-
Massgaben der UN-BRK rein quantitativ                            schnittliche Schülerzahl der Förderschulen
umgesetzt hat, was Studien über die Leis-                        hat sich um rund 20 Prozent verringert. Die-
tungsentwicklung von Schülerinnen und                            se Entwicklung ist im Wesentlichen auf
Schülern in inklusiven Settings aussagen,                        zwei Faktoren zurückzuführen: zum einen
und über welche Erfahrungen Eltern im Zu-                        auf die demografische Entwicklung und
sammenhang mit dem inklusiven Lernen                             zum anderen auf eine zunehmende Umori-
ihrer Kinder berichten. In meinem Fazit er-                      entierung der Schülerinnen und Schüler von
läutere ich, weshalb wir in der BRD derzeit                      den Förderschulen in die allgemeinen Schu-
Gefahr laufen, die UN-BRK aus dem Blick zu                       len (siehe Tab. 2, S. 23).

Tabelle 1: Quoten1 bzw. Anteile in Prozent (Quellen: KMK, 2019a; KMK, 2019b; KMK, 2019c)

                                Förderquote                      Exklusionsquote             Inklusionsquote                Inklusionsanteil

    2017/18                     7,4                              4,3                         2,8                            41,7

    2008/09                     6,0                              4,9                         1,1                            18,4

1   Inklusionsquote: Anteil der Lernenden mit Förderbedarf an allen Schülerinnen und Schülern der Primar-
    und Sekundarstufe I, die eine Regelschule besuchen – Inklusionsanteil: Anteil der Lernenden mit Förder-
    bedarf an allen Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf, die eine Regelschule besuchen – Exklusions-
    quote: Anteil der Lernenden mit Förderbedarf an allen Schülerinnen und Schülern der Primar- und Sekun-
    darstufe I, die eine Förderschule besuchen – Förderquote: Anteil der Lernenden mit Förderbedarf an allen
    Schülerinnen und Schülern der Primar- und Sekundarstufe – www.aktion-mensch.de/inklusion/bildung/
    hintergrund/zahlen-daten-und-fakten/inklusionsquoten.html [Zugriff am 10.12.2019].

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               Nun liegt die Schulpolitik in Deutschland in                  ler wie internationaler Befunde deuten dar-
               der Hand der 16 Bundesländer. Deshalb ist                     auf hin, dass Kinder mit SFB (sonderpädago-
               es wenig verwunderlich, dass der Ausbau                       gischem Förderbedarf; Anm. NHB) bessere
               inklusiver Schulen bei gleichzeitigem Rück-                   Leistungen zeigen, wenn sie inklusiv beschult
               bau des Sonder- bzw. Förderschulsystems                       werden.» Allerdings bezieht sich der hier
               von Land zu Land sehr unterschiedlich ist:                    knapp referierte Forschungsstand in Deutsch-
               In immerhin zwölf Bundesländern hat sich                      land im Wesentlichen auf die Förderschwer-
               die Exklusionsquote über die vergangenen                      punkte Lernen, emotionale und soziale Ent-
               zehn Jahre verringert. Insbesondere Bre-                      wicklung sowie Sprache und legt hauptsäch­
               men mit einer aktuellen Exklusionsquote                       lich Ergebnisse zu den ersten vier Schuljahren
               von 1,2 Prozent und Schleswig-Holstein                        (Grund- und Förderschule) vor.
               (2,1 %) zeigen, dass die UN-Konvention                              Diesen Studien zufolge hat der inklusi-
               durchaus umsetzbar ist. Demgegenüber                          ve Unterricht positive Effekte auf die Leis-
               haben sich andere Länder mit einer leicht                     tungsentwicklung der Schülerinnen und
               steigenden Exklusionsquote eher von der                       Schüler. Inklusiv lernende Kinder und Ju-
               Umsetzung der UN-BRK entfernt, sofern                         gendliche mit sonderpädagogischem För-
               man die offiziellen Zahlen als Richtwerte                     derbedarf erreichen tendenziell bessere
               verwendet. Konkret bedeutet das, dass                         Schulabschlüsse als vergleichbare Lernende
               seit dem Schuljahr 2009/2010 knapp                            in Förderschulen. Weniger eindeutig sind die
               43 000 Kinder und Jugendliche, die ohne                       Ergebnisse zur schulischen Motivation und
               die Inklusion in Förderschulen zur Schule                     zum schulischen Wohlbefinden der Schüle-
               gegangen wären, jetzt in allgemeinen                          rinnen und Schüler: Die Studien weisen so-
               Schulen unterrichtet werden (Hollenbach &                     wohl beim inklusiven wie auch beim exklu-
               Klemm, in Vorb.). Trotzdem wechseln aktu-                     siven Lernen Vor- und Nachteile auf. Und:
               ell jährlich immer noch 23 000 Kinder und                     Die Wissenschaft hat entgegen landläufigen
               Jugendliche aus allgemeinbildenden Schu-                      Annahmen keine Hinweise dafür, dass durch
               len in Förderschulen – also von der Inklu-                    das gemeinsame Lernen eine Verlangsa-
               sion zur Exklusion.                                           mung des Lerntempos oder andere Benach-
                                                                             teiligungen für Schülerinnen und Schüler
                                                                             ohne sonderpädagogischen Förderbedarf
Vorteile des inklusiven Unterrichts                                          entstehen. Vielmehr scheinen alle Schülerin-
zeigen sich in der Leistungsentwicklung                                      nen und Schüler von der Expertise der Lehr-
der Schülerinnen und Schüler.                                                personen in den Bereichen individuelle Dia-
                                                                             gnostik und Förderung zu profitieren
                                                                             (Stranghöner et al., 2017).
               Zu den empirischen Befunden
               In den Debatten über die Vor- und Nachteile                   Warum die Elternsicht auf inklusive
               von Unterricht in allgemeinen Schulen wird                    Schulen wichtig ist
               immer wieder die Frage nach der Leistungs-                    Eltern sind Expertinnen und Experten, wenn
               entwicklung der Schülerinnen und Schüler                      es um das Thema Bildung geht: Sie führen
               gestellt. Den Forschungsstand zu dieser Fra-                  mit ihren Kindern regelmässig Gespräche
               ge fassen Stranghöner et al. (2017, S. 127)                   darüber, wie sie schulisches Lernen erleben,
               wie folgt zusammen: «Die Mehrzahl nationa-                    was in der Schule und im Klassenzimmer

                                                                          Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 2 / 2020
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Tabelle 2: Entwicklung von Schüler- und Standortzahlen in Deutschland
(Quellen: KMK, 2019a; KMK, 2019b; KMK, 2019c; Statistisches Bundesamt, 2009;
Statistisches Bundesamt, 2019)

  Schüler-/Standortzahl                     2008/09                   2017/18                   Rückgang

  in allgemeinen Schulen*                   7 988 349                 7 347 566                 -8 %

  in Förderschulen                          393 491                   317 480                   -19,3 %

  Förderschulstandorte                      3302                      2865                      -13,2 %

  Schüler je Standortorte                   119                       111                       -6,7 %

* in Primar- und in Sekundarstufe I (Jahrgänge 1 bis 9 bzw. 10, Sechs- bis Sechzehnjährige)

passiert oder wie unterstützend sie ihre                         gend eingebunden sind. Der gebundene
Lehrpersonen empfinden. Die Sicht von El-                        Ganztag, das multikulturelle Angebot oder
tern auf Schule und Unterricht ist deshalb                       auch das gemeinsame Lernen können noch
eine äusserst wertvolle Perspektive. Gleich-                     so gut umgesetzt werden: Wenn Eltern sich
zeitig werden Eltern bei der (Um-)Gestal-                        aufgrund der Unkenntnis über Alternativen
tung von Schule und Unterricht in der Regel                      oder aufgrund individueller Überzeugungen
selten einbezogen. Dagmar Killus und                             zum Beispiel für eine Halbtagsschule oder
Klaus-Jürgen Tillmann (2011, S. 12) berich-                      für eine Schule in einem «besseren» Wohn-
ten in diesem Zusammenhang von einem                             viertel entscheiden, gestalten sie letztend-
strukturellen Defizit: Eltern befinden sich in                   lich die flächendeckenden Reformen im Bil-
einer benachteiligten Position, sobald es                        dungswesen mit.
darum geht, ihre Sichtweisen in übergrei-
fende Diskurse einzubringen (z. B. zu den
Themen Schulentwicklung oder Bildungs-                           Zum Zeitpunkt der Schulentscheidung
politik). Es gibt zwei Gründe, weshalb sie                       rächt es sich, wenn Eltern in
nicht einbezogen werden: Sie werden als                          Reformprozesse nicht genügend
Laien betrachtet und man spricht ihnen die                       eingebunden sind.
Fähigkeit ab, genügend Zeit und Energie in
die Diskussionen investieren zu können.
     Gleichwohl haben Schul- und Unter-                          Eltern werden deshalb in den letzten Jahren
richtsreformen, die im Rahmen von wissen-                        von der Forschung zunehmend in den Blick
schaftlichen, politischen und administrati-                      genommen. So wurden die Eltern zum Bei-
ven Prozessen entstehen, direkte (positive                       spiel bei PISA oder auch beim Nationalen Bil-
oder negative) Auswirkungen auf die Schü-                        dungspanel NEPS befragt. Auch in der Mei-
lerinnen und Schüler sowie auf deren Eltern.                     nungsforschung interessiert man sich für die
Und schliesslich entscheiden in der Regel                        Eltern, diese werden zum Beispiel regelmäs-
die Eltern, welche Schule ihr Kind letztend-                     sig vom Institut für Entwicklungsforschung
lich besucht. So rächt es sich spätestens                        (IFS) befragt. Die Zielsetzungen dieser Be­
zum Zeitpunkt der Schulentscheidung,                             fragungen können von einer reinen Sensibili­
wenn Eltern in Reformprozesse nicht genü-                        sierung der bildungsinteressierten Öffentlich-

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              keit über die Sichtweisen von Eltern bis hin zu               Schülern mit und ohne sonderpädagogi-
              einer Einordnung in einen wissenschaftlichen                  schen Förderbedarf gemacht haben, stehen
              Diskurs rund um schulische Inklusion reichen                  selbigem hingegen tendenziell etwas kriti-
              (Tillmann & Killus, 2011, S. 15).                             scher gegenüber.
                    Die Bertelsmann Stiftung führte im                           Unser Fazit: Es ist die Erfahrung, die
              Jahr 2015 eine repräsentative Elternumfra-                    dem gemeinsamen Unterricht von Kindern
              ge in Deutschland durch (Bertelsmann Stif-                    mit und ohne Behinderung die Türen öffnet.
              tung, 2015). Die Zielgruppe waren Eltern,                     Die Mehrheit der «inklusionserfahrenen»
              die im Rahmen einer onlinebasierten Befra-                    Eltern ist zufrieden mit «ihrer» inklusiv ar-
              gung über ihre Erfahrungen mit den Bil-                       beitenden Schule, empfindet die Lernsitua-
              dungsinstitutionen ihrer Kinder berichteten.                  tion im Klassenverband positiv und bewer-
              Die Antworten der Eltern machten deutlich,                    tet die Arbeit der Lehrpersonen als gut. In
              wie viele Mütter und Väter sich bewusst da-                   allen drei Aspekten sind Eltern von Kindern
              rüber werden, dass inklusive Bildung positi-                  an inklusiven Schulen zufriedener als Eltern
              ve Effekte für alle Kinder mit sich bringt.                   ohne schulische Inklusionserfahrungen.
                                                                                 Unsere Elternumfrage zeigt zugleich
                                                                            die ambivalente Sicht bezüglich der flächen-
Eltern, die bislang keine Erfahrungen                                       deckenden Umsetzbarkeit des gemeinsa-
mit inklusivem Lernen gemacht                                               men Lernens. Die Frage, ob schulische In-
haben, stehen selbigem tendenziell etwas                                    klusion für alle Arten des sonderpädagogi-
kritischer gegenüber.                                                       schen Förderbedarfs geeignet ist, erzeugte
                                                                            differenzierte Rückmeldungen der Befrag-
                                                                            ten. Zwar empfand die Mehrheit der Eltern
              Wie Eltern inklusive Schulen sehen                            Inklusion als wichtig für die Gesellschaft,
              Im Jahr 2015 berichtete ein Drittel der be-                   aber die Mehrheit zweifelte daran, ob inklu-
              fragten Eltern über eigene Erfahrungen mit                    sives Lernen der beste Weg für alle Schüle-
              schulischer Inklusion. Dieser Anteil war                      rinnen und Schüler ist. Diese Bedenken teil-
              deutlich höher als derjenige der drei Jahre                   ten alle Teilgruppen – unabhängig davon,
              zuvor durchgeführten JAKO-O-Studie (27 %,                     ob das eigene Kind inklusiv oder exklusiv
              vgl. Killus & Tillmann 2012). Diese Steige-                   lernt. Gleichwohl zeigte sich auch hier, dass
              rung ist angesichts des gewachsenen Inklu-                    die Erfahrungen das Vertrauen in das ge-
              sionsanteils der deutschen Bildungsstatistik                  meinsame Lernen vergrössern: Eltern von
              plausibel – und es kann davon ausgegan-                       Kindern, die inklusive Schulen besuchen,
              gen werden, dass beide Quoten weiter an-                      oder die private Kontakte zu Kindern mit
              gestiegen sind (Hollenbach-Biele & Klemm,                     sonderpädagogischem Förderbedarf ha-
              in Vorb.). In der Befragung aus dem Jahr                      ben, bewerten das Potenzial des gemeinsa-
              2015 vergaben vor allem die Mütter und Vä-                    men Lernens tendenziell besser als Eltern,
              ter, deren Kind in eine inklusive Schule ging,                die nicht mit dem Thema Inklusion in Berüh-
              mehrheitlich gute Noten an «ihre» Schule,                     rung kommen. Diese Bewertungen fallen im
              Klasse und Lehrpersonen – unabhängig                          Vergleich mit Schulen, die keine Kinder mit
              vom Förderstatus ihres eigenen Kindes. El-                    sonderpädagogischem Förderbedarf auf-
              tern, die bislang keine Erfahrungen mit in-                   nehmen, in vielen Aspekten häufiger positiv
              klusivem Lernen von Schülerinnen und                          aus. Die deutliche Mehrheit der «inklusions-

                                                                         Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 2 / 2020
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erfahrenen» Eltern hat also das Gefühl, dass                     ses Lob kann ein Ansporn für alle Lehrperso-
ihre Kinder bei den Lehrpersonen in guten                        nen sein, die Herausforderung im Umgang
Händen sind, dass diese mit Schülerinnen                         mit Heterogenität im deutschen Klassenzim-
und Schülern mit und ohne Förderbedarf                           mer anzunehmen – denn es lohnt sich.
gut umgehen und dass alle profitieren.
     Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit
den Befunden anderer Elternumfragen. So                          Noch ist die Mehrheit der Eltern besorgt,
berichten Dedering und Hostkemper (2014,                         dass ihre Kinder in inklusiven Schulen nicht
S. 64f.): «Wir können somit zunächst einmal                      bestmöglich gefördert werden.
festhalten, dass Eltern, deren Kinder Schulen
besuchen, die sich auf den Weg der Umset-
zung inklusiven Lernens gemacht haben, die                       Fazit
Lernsituation ihrer Kinder, die Arbeit des dort                  Inklusion ist eine wichtige gesamtgesell-
tätigen Personals und ihre eigenen Möglich-                      schaftliche Aufgabe des deutschen Schul-
keiten, Schulleben und Lernkultur mitzuge-                       systems – das ist bei den Eltern in Deutsch-
stalten, insgesamt sehr positiv beurteilen.»                     land angekommen. Bereits im Jahr 2015
Dieses positive Urteil bleibt auch nach der                      war die klare Mehrheit überzeugt, dass alle
Kontrolle von Schulstufen und Schulform er-                      Kinder – unabhängig vom eigenen Lernver-
halten. Dabei kommt insbesondere die Hal-                        halten und Förderbedarf – gut miteinander
tung der Angestellten in inklusiven Schulen                      und voneinander lernen. Damit ist eine
bei den Eltern positiv an.                                       wichtige Grundlage geschaffen, um das ge-
     Auch in unserer Umfrage melden Eltern                       meinsame Lernen weiter auszubauen.
zurück, dass die Schulen und Lehrpersonen                        Gleichzeitig steckt in der wiederkehrenden
stärker als nicht-inklusive Schulen auf die                      Ambivalenz der Elternrückmeldungen über
Interessen, Bedürfnisse und Stärken ihrer                        alle Umfragen hinweg ein klarer Auftrag für
Schülerinnen und Schüler achten, sich mehr                       die deutsche Politik, die Forschung und die
für das gemeinsame Miteinander einsetzen                         Praxis: Noch ist die Mehrheit der Eltern be-
und kooperationsfreudiger sind. Zudem be-                        sorgt, dass ihre Kinder in inklusiven Schulen
ziehen sie Eltern in höherem Masse ein.                          nicht bestmöglich gefördert werden. Sie
     Dieses Ergebnis hat uns in seiner Deut-                     sind hin- und hergerissen, ob Schülerinnen
lichkeit positiv überrascht, denn an deut-                       und Schüler mit Förderbedarf nicht doch
schen Schulen waren zum Zeitpunkt der                            besser an Förderschulen – also unter sich –
Umfrage die Rahmenbedingungen für das                            lernen, und ob Kinder ohne Förderbedarf
gemeinsame Lernen meistens weder ge-                             beim gemeinsamen Unterricht fachliche
klärt noch langfristig gesichert. Zugleich                       Nachteile haben.
waren die Resultate der Befragung ein Ge-                             Hier muss gut gemachte Inklusion zei-
genpol zum negativen Bild von Schulen und                        gen, dass sich diese Befürchtungen nicht
Lehrpersonen in der Öffentlichkeit.                              bewahrheiten. Die Erkenntnisse der Wissen-
     Allen Elternumfragen gemeinsam ist der                      schaft sind in den Köpfen vieler Eltern noch
positive Befund, dass die Mehrheit der Eltern                    nicht angekommen: Vom gemeinsamen Ler-
sehr zufrieden mit den Lehrpersonen ihrer                        nen profitieren Kinder ohne Förderbedarf
Kinder war (und bis heute ist) und diese als                     ebenso wie Kinder mit Förderbedarf – und
kompetent sowie engagiert wahrnimmt. Die-                        zwar sowohl bezüglich der sozialen als auch

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                       der fachlichen Kompetenzen. Wenn diese                        Literatur
                       Erkenntnis bei Eltern ankommt, dann ist ein                   Beauftragter der Bundesregierung für die Be-
                       wichtiger Schritt auf dem Weg zum inklusi-                        lange behinderter Menschen (2010). Die
                       ven Schulsystem gemacht. Das zeigen auch                          UN-Behindertenrechtskonvention – Über-
                       die Rückmeldungen der Mütter und Väter,                           einkommen über die Rechte von Men-
                       die bereits Erfahrungen mit schulischer In-                       schen mit Behinderungen. Berlin.
                       klusion sammeln konnten und ihr Potenzial                     Bertelsmann Stiftung (2015). Wie Eltern In-
                       für alle Kinder positiver einschätzen als an-                     klusion sehen: Erfahrungen und Einschät-
                       dere Eltern. Das sollte den Verantwortlichen                      zungen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
                       Mut machen, Inklusion weiter beherzt vor-                     Dedering, K. & Horstkemper, M. (2014). Wie
                       anzutreiben – auch in Zeiten, in denen der                        stehen Eltern zur Inklusion? In D. Killius &
                       akute Lehrpersonenmangel an deutschen                             K. Tillmann (Hrsg.), Eltern zwischen Er-
                       Schulen zum Grundproblem wird und die                             wartungen, Kritik und Engagement. Ein
                       Frage «Wie können wir Inklusion gut ma-                           Trendbericht zu Schule und Bildungspoli-
                       chen?» durch die Frage «Was sollen wir                            tik in Deutschland (3. JAKO-O Bildungs-
                       denn noch alles machen?» überlagert zu                            studie) (S. 47 – 69). Münster: Waxmann.
                       werden droht.                                                 Hollenbach-Biele, N. & Klemm, K. (in Vorb.).
                                                                                         Zehn Jahre Inklusive Bildung in Deutsch-
                                                                                         land: Licht- und Schattenseiten. Güters-
                                                                                         loh: Bertelsmann Stiftung.
                                                                                     Killus, D. & Tillmann K. (2011). Elternbefra-
                                                                                         gung wozu? – eine Einführung. In D. Killi-
                                                                                         us & K. Tillmann (Hrsg.), Der Blick der El-
                                                                                         tern auf das deutsche Schulsystem (1. JA-
                                                                                         KO-O Bildungsstudie) (S. 9 – 20). Münster:
                                                                                         Waxmann.
                                                                                     Killus, D. & Tillmann, K. (Hrsg.). Eltern ziehen
                                                                                         Bilanz. Ein Trendbericht zu Schule und Bil-
Dr. Nicole Hollenbach-Biele                                                              dungspolitik in Deutschland. Die 2. JA-
Senior Expert Schulforschung und                                                         KO-O Bildungsstudie. Münster: Waxmann.
Schulentwicklung
Programm Integration und Bildung
Bertelsmann Stiftung
Carl-Bertelsmann-Straße 256
DE-33311 Gütersloh
nicole.hollenbach-biele@
bertelsmann-stiftung.de

                                                                                  Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 2 / 2020
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Killus, D. & Tillmann, K. (Hrsg.). Eltern zwi-
    schen Erwartungen, Kritik und Engage-
                                                                                                Impressum
    ment. Ein Trendbericht zu Schule und Bil-
                                                                                                Schweizerische Zeitschrift für
    dungspolitik in Deutschland (3. JAKO-O                                                      Heilpädagogik, 26. Jahrgang, 2 / 2020
                                                                                                ISSN 1420-1607
    Bildungsstudie). Münster: Waxmann.
KMK (Kulturministerkonferenz) (2019a). Son-                                                     Herausgeber
                                                                                                Stiftung Schweizer Zentrum
    derpädagogische Förderung in allge­                                                         für Heil- und Sonderpädagogik (SZH)
    meinen Schulen (ohne Förderschulen) –                                                       Haus der Kantone
                                                                                                Speichergasse 6, Postfach, CH-3001 Bern
    2017/18. Berlin.                                                                            Tel. +41 31 320 16 60, Fax +41 31 320 16 61
KMK (Kulturministerkonferenz) (2019b).                                                          szh@szh.ch, www.szh.ch

    Sonderpädagogische Förderung in För-                                                        Redaktion und Herstellung
    derschulen (Sonderschulen) – 2017/18.                                                       Kontakt: redaktion@szh.ch
                                                                                                Verantwortlich: Romain Lanners
    Berlin.                                                                                     Redaktion: Silvia Brunner Amoser,
KMK (Kulturministerkonferenz) (2019c).                                                          Silvia Schnyder, Daniel Stalder
                                                                                                Rundschau und Dokumentation: Thomas Wetter
    Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen                                                    Inserate: Remo Lizzi
    der Schulen 2008 bis 2017. Berlin.                                                          Layout: Anne-Sophie Fraser

Statistisches Bundesamt (2009). Fachserie.                                                      Erscheinungsweise
                                                                                                9 Ausgaben pro Jahr, jeweils in der Monatsmitte
    11, Bildung und Kultur. 1, Allgemeinbil-
    dende Schulen, Schuljahr 2007/08 (korr.                                                     Inserate
                                                                                                inserate@szh.ch
    Fassung vom 20. Dezember 2010). Berlin.                                                     Annahmeschluss: 10. des Vormonats;
Statistisches Bundesamt (2019). Fachserie.                                                      Preise: ab CHF 220.– exkl. MwSt.;
                                                                                                Mediadaten unter www.szh.ch ➝ Zeitschrift
    11, Bildung und Kultur. 1, Allgemeinbil-
                                                                                                Auflage
    dende Schulen, Schuljahr 2017/18. Berlin.
                                                                                                2247 Exemplare (WEMF / SW-beglaubigt)
Stranghöner, D., Hollmann, J., Otterpohl, N.,
                                                                                                Druck
    Wild, E. & Lütje-Klose, B. (2017). Inklusion                                                Ediprim AG, Biel
    versus Exklusion: Schulsetting und Le-
                                                                                                Jahresabonnement
    se-Rechtschreibentwicklung von Kindern                                                      Digital-Abo CHF 69.90
                                                                                                Print-Abo   CHF 79.90
    mit Förderschwerpunkt Lernen. Zeit-
                                                                                                Kombi-Abo CHF 89.90
    schrift für Pädagogische Psychologie,
                                                                                                Einzelausgabe
    31 (2), 125 – 136.                                                                          Print CHF 9.90 (inkl. MwSt.), plus Porto
                                                                                                Digital CHF 7.90 (inkl. MwSt.)

                                                                                                Abdruck
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                                                                                                jedoch nur mit ausdrücklicher Genehmigung
                                                                                                der Redaktion.

                                                                                                Hinweise
                                                                                                Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge von
                                                                                                Autorinnen und Autoren muss nicht mit
                                                                                                der Auffassung der Redaktion übereinstimmen.

                                                                                                Weitere Informationen erhalten Sie auf
                                                                                                unserer Website www.szh.ch

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 2 / 2020
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