DGAPkompakt - Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DGAPkompakt Nr. 4 / April 2017 Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017 Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten Claire Demesmay (Hrsg.) Die weitreichende Fokussierung des französischen Wahlkampfs auf innenpolitische Themen ist insofern paradox, als kaum ein anderes demokratisch gewähltes Staats- oberhaupt so großen außen- und verteidigungspolitischen Handlungsspielraum hat wie der französische Präsident. Je nach Wahlausgang könnte die jahrzehntelange Kontinuität der französischen Außenpolitik zu einem Ende kommen, mit schwer- wiegenden Auswirkungen auf Deutschland und die Europapolitik. Die relevantesten außenpolitischen Bereiche sind die Zukunft der Eurozone und Wirtschafts- und Haushaltspolitik, Handelspolitik, Migration und Schengenraum, die S yrienfrage, das Verhältnis zu Russland und die Verteidigungspolitik – die Positionen der fünf aussichtsreichsten Kandidaten zu diesen Themen zeigen, dass nur zwei von ihnen wirklich „Deutschland-kompatibel“ sind: Emmanuel Macron und François Fillon. Mit J ean-Luc Mélenchon oder gar Marine Le Pen wäre eine konstruktive Zusam menarbeit aufgrund ihrer Ablehnung der EU und einer multilateral eingebetteten französischen A ußenpolitik nur schwer vorstellbar – sollten die beiden Populisten im Falle ihrer Wahl tatsächlich an ihren Positionen festhalten. Im Vordergrund des französischen Präsidentschaftswahl- unktion entscheidet er über Auslandseinsätze der F kampfs stehen Themen wie die Arbeitsmarktpolitik, der französischen Armee – im Gegensatz zu Deutschland, Umgang mit Religion und die „Moralisierung“ des politi- ohne das Parlament einbinden zu müssen – und bestimmt schen Lebens, also strengere Regeln zur Vermeidung von allein über den Einsatz von Kernwaffen. Interessenskonflikten und zur Gewährleistung größerer Dem Amtsinhaber obliegt daher eine große Verant- Transparenz in der Politik. wortung; gerade angesichts der Vielzahl an Krisenherden Diese weitreichende Fokussierung des Wahlkampfes an Europas Grenzen und der Ungewissheiten nach dem auf innenpolitische Themen ist insofern paradox, als Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. kaum ein anderes demokratisch gewähltes Staatsober- haupt so großen außen- und verteidigungspolitischen Handlungsspielraum hat wie der französische Präsident. Er ist Hauptgestalter von Frankreichs Außenpoli- tik und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. In dieser
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 2 Wenn es in diesem Wahlkampf um Außen- und schaftskandidaten möchten das Abkommen reformie- Sicherheitspolitik geht, lassen sich drei Trends erkennen: ren oder sogar abschaffen. .. Die Kritik gegenüber der EU hat stark zugenommen, .. Je nach Wahlausgang könnte die jahrzehntelange unter anderem aufgrund einer im Land verbreiteten Kontinuität der französischen Außenpolitik zu Nostalgie nach Souveränität und Protektionismus. einem Ende kommen. Dies hätte schwerwiegende Gewiss, der Trend ist älter: Spätestens die Ablehnung Auswirkungen auf Frankreichs Partner, in erster Linie der europäischen Verfassung durch eine Mehrheit der Deutschland. französischen Wähler im Jahr 2005 verdeutlichte, dass Unter den fünf aussichtsreichsten Kandidaten herrscht der „permissive Konsens“ gegenüber der europäischen zwar Konsens darüber, dass Frankreichs Sicherheit Integration nicht mehr gilt. höchste Priorität hat und seine militärischen Kapazitä- Neu ist allerdings, dass die EU im Wahlkampf außeror- ten dementsprechend modernisiert werden müssen. Mit dentlich negativ dargestellt wird. Dies liegt nicht nur an Ausnahme des Linken Jean-Luc Mélenchon möchten der starken Präsenz der europafeindlichen Le Pen und alle Kandidaten zwei beziehungsweise drei Prozent des euroskeptischen Mélenchon. Auch in den etablier- des BIP auf Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben ten Parteien wird der Europakurs gern kritisiert. verwenden. So bezeichnet sich der Sozialist Benoît Hamon zwar als Gleichzeitig stellen jedoch zwei von ihnen Frankreichs proeuropäisch und spricht sich etwa in der Fiskalpolitik multilaterale Einbettung infrage und fordern, seine tra- für weitere Integrationsschritte aus, doch gleichzeitig ditionellen Bündnisse zu kündigen: Genährt von einem schlägt er vor, die Maastrichter Kriterien und den damit tief verankerten Antiamerikanismus teilen Mélenchon verbundenen Stabilitätskurs aufzuheben. und die rechtsextreme Marine Le Pen die Ansicht, dass Der Republikaner François Fillon beschwert sich Frankreich aus der Führungsstruktur der NATO aus- wiederum über ein Europa, das Frankreichs Macht treten und seine Souveränität in Verteidigungsfragen schwäche. Seine Forderung nach neuen Impulsen in wiedererlangen muss. Nach derselben Logik planen der Währungs- und in der Verteidigungspolitik hindert beide, die EU-Verträge grundlegend zu ändern und ihn nicht daran, die Zusammenarbeit in der EU „auf das schließen, wenn auch in unterschiedlichem Grad, einen Wesentliche beschränken“ zu wollen. „Frexit“ nicht aus. Allein der ehemalige sozialistische Wirtschaftsmi- nister und nun unabhängige Kandidat der Bewegung .. Die außenpolitische Diskussion konzentriert sich „En marche!“, Emmanuel Macron, hat einen klaren auf den Syrienkrieg und den Umgang mit Russland, proeuropäischen Diskurs und ehrgeizige Ziele für die also zwei Themen, die eng mit der Bekämpfung des EU-Integration. Dass ihn die Moderatorin der zweiten IS und so auch mit der Terrorbedrohung in Europa Fernsehdebatte der Kandidaten am 4. April 2017 fragte, verknüpft sind. In diesem Zusammenhang werden in ob er nicht für ein „naives“ Europa stehe, ist bezeich- erster Linie die internationalen Bündnisse Frankreichs nend für die aktuelle Stimmung. und die Relevanz des Militärs im Kampf gegen den Terrorismus diskutiert. Nur zwei der Kandidaten sind wirklich „Deutschland- Die Terroranschläge seit Januar 2015 prägen wesentlich kompatibel“: Emmanuel Macron und François Fillon. die Wahrnehmung der internationalen Lage und die Aufgrund ihrer Ablehnung der EU und einer multilateral Risikoanalyse der politischen Akteure. Die meisten von eingebetteten französischen Außenpolitik wäre eine ihnen teilen François Hollandes Einschätzung aus dem konstruktive Zusammenarbeit mit Jean-Luc Mélenchon November 2015, dass Frankreich sich im Krieg gegen oder gar Marine Le Pen nur schwer vorstellbar – sollten den internationalen Terrorismus befinde. In Reaktion die beiden Populisten im Falle ihrer Wahl tatsächlich an auf die Anschläge führt Frankreich mehrere Militärein- ihren Positionen festhalten. sätze im In- wie Ausland an. Der Notstand gilt nach wie Im Gegensatz zu ihnen würde sich ein Präsident vor, und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Hamon der deutsch-französischen Zusammenarbeit zwar spricht sich gegen dessen Aufhebung auf. nicht widersetzen; doch manche seiner Positionen, etwa Doch nicht nur die französische Sicherheits- und in der Haushalts- und in der Handelspolitik, könnten zu Verteidigungspolitik wird unter dem Gesichtspunkt Konflikten mit Deutschland führen. der Terrorbedrohung thematisiert, sondern auch die Im Falle einer Präsidentschaft Macrons oder Fillons Flüchtlingskrise, Migrations- und Integrationsfragen hingegen wären deutsch-französische Initiativen zu er- und das Schengen-Abkommen. Mehrere Präsident- warten, sei es im Bereich der Währungsunion oder in der DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 3 Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In vielen der hier ußenpolitischen Themen analysiert: Die Zukunft der a analysierten Aspekte decken sich die Positionen Macrons Eurozone und Wirtschafts- und Haushaltspolitik, Han- und Fillons mit denen der Bundesregierung. Dass bei- delspolitik, Migration und Schengenraum, der Syrien- de für Frankreich ambitionierte Reformprogramme krieg, das Verhältnis zu Russland und die Verteidigungs- vorschlagen, bleibt in Deutschland nicht unbemerkt. Ihre politik. Jeder dieser Bereiche ist von großer Relevanz für Umsetzung dürfte gerade für gemeinsame Initiativen die Europapolitik, und somit für die deutsch-französische im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion eine Zusammenarbeit. Grundvoraussetzung sein. Auch in anderen Fragen der Anhand der Programme und öffentlichen Stellung- Europa- und Außenpolitik bestehen zwar Meinungs- nahmen der Kandidaten werden die Konfliktlinien und verschiedenheiten, aber Kompromisse sind durchaus Debatten in den jeweiligen Politikfeldern nachgezeichnet, realistisch. und herausgearbeitet, welche Divergenzen und gemein- In der Russlandpolitik wäre Fillon hingegen ein samen Handlungsansätze sich je nach Wahlausgang mit Problem für Berlin: Er fordert ein Ende der Sanktionen, Deutschland ergeben würden. was der schwer erkämpften Position der Europäer und Deutschlands Prioritäten widerspricht. Im Folgenden werden die Positionen der fünf aus- Dr. Claire Demesmay leitet das Programm Frankreich/ sichtsreichsten Kandidaten zu den meistdiskutierten deutsch-französische Beziehungen der DGAP. Die Zukunft der Eurozone und Wirtschafts- und Haushaltspolitik Mélenchon Macron Le Pen Hamon Fillon Für die Gemeinschaftswährung Europäische Weiterentwicklung Größere EU-Kompetenzen Nationale Anpassung Grundlegende Austritt aus der Eurozone Benoît Hamon setzt sich für die Emmanuel Macron François Fillon will die Neuverhandlung Für Marine Le Pen hat die Aufweichung des Stabilitäts- und wünscht sich ein intergouvernementale Sollte die Rückgewinnung der Wachstumspakts ein. Wie Fillon gemeinsames Budget für Koordinierung in der Eurozone Neuverhandlung und nationalen Souveränität in plädiert er für eine fiskalische die Eurozone und stärken und die Schuldenlast der somit die Abkehr von der der Währungspolitik Harmonisierung in der Eurozone. einen gemeinsamen Mitgliedstaaten vergemeinschaften. Haushaltsdisziplin Priorität. Sie möchte ein Minister für Wirtschaft Die Geldpolitik der EZB soll einer scheitern, droht Jean-Luc Referendum zum Austritt und Finanzen. globalwirtschaftlichen Strategie Mélenchon mit einem aus dem Euro. dienen. Austritt aus der Eurozone. Im französischen Wahlkampf ist das Spektrum an Positio- für Vorschläge, die die Funktionsweise der Eurozone nen zur Wirtschafts- und Haushaltspolitik sowie der Euro- stärker an klassischen französischen Vorstellungen zone breiter aufgefächert als in der deutschen Diskussion. ausrichten würden. François Fillon sieht den Euro als Sou- Fragen dieses Politikfelds werden in Frankreich schon seit veränitätsinstrument und schlägt vor, die Europäische längerer Zeit kontrovers diskutiert. Zentralbank und ihre Geldpolitik als Teil einer umfassen- Zwei der fünf aussichtsreichsten Kandidaten fallen deren, globalwirtschaftlichen Strategie einzusetzen. Dies durch ihre kritische Haltung gegenüber der europäischen widerspricht dem deutschen Ansatz, die Unabhängigkeit Währungsunion auf. Während die Rechtsextremistin der Geldpolitik zu wahren und diese ausschließlich an Marine Le Pen angekündigt hat, im Falle ihres Wahlsiegs der Erhaltung der Geldwertstabilität auszurichten. Fillon Frankreich aus der Europäischen Währungsunion heraus- will die Koordinierung innerhalb der Eurozone stärken, zulösen, strebt der Linke Jean-Luc Mélenchon eine grund- allerdings vor allem auf intergouvernementaler Basis. Er legende Neuverhandlung der europäischen Verträge an schlägt zudem vor, die Schuldenlast der Mitgliedstaaten und droht – im Falle eines (programmierten) Scheiterns in einem europäischen Schatzamt zu vergemeinschaf- – ebenfalls mit einem Austritt aus der Eurozone. ten, sobald ein Mindestmaß an fiskalischer Konvergenz Die anderen drei Kandidaten stehen indes zur erreicht ist. Gemeinschaftswährung. Sie alle werben im Wahlkampf DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 4 Wie Fillon argumentiert auch der Sozialist ten Nicolas Sarkozy und François Hollande Zweifel an Benoît H amon, dass innerhalb der EU fiskalische Har- Frankreichs Reformfähigkeit gewachsen sind. Aus deut- monisierung vorangetrieben werden soll. Hamon for- scher Sicht bedarf eine zukünftige größere Solidarität dert allerdings eine Aufweichung des Stabilitäts- und nicht nur Reformen im Vorfeld der Vertiefung der Eu- Wachstumspakts: Zunächst soll es ein Moratorium in rozone. Es muss überdies gewährleistet sein, dass keine der Anwendung der Drei-Prozent-Regel geben, durch falschen Anreize gesetzt werden: Mehr Solidarität ist nur eine spätere Reform des Pakts sollen investive Ausgaben dann möglich, wenn gleichzeitig etwa die Möglichkeit der von der Defizitberechnung ausgenommen und – je nach staatlichen Insolvenz die Überwachungsmechanismen Konjunkturzyklus – auch Defizite von über drei Prozent und Eigenverantwortung von Regierungen stärkt. zugelassen werden. Erträge aus einer europäischen Sowohl Fillon als auch Macron befinden sich im Unternehmenssteuer sollen Investitionen in alternative Widerspruch zum Sozialisten Hamon, der zunächst eine Energien finanzieren. Stärkung der europäischen Solidarität fordert und so Emmanuel Macron macht Vorschläge zur Weiterent- nationale Anpassungskosten vergemeinschaften will, wicklung der Eurozone, die Teil einer anspruchsvollen etwa durch eine Stundung der nach 2008 angehäuften europapolitischen Agenda sind. Er betont neben dem Schulden. Seine Infragestellung der Koordinierungsziele Zurückgewinn von Handlungsfähigkeit durch größe- und -mechanismen zur Überwachung der nationalen re Kompetenzen auf EU-Ebene auch die Stärkung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik dürfte für die Bundes- demokratischen Legitimation. In der Eurozone soll ein regierung inakzeptabel sein, denn sie widersprechen dem gemeinsames Budget künftig erlauben, Investitionen zu Ziel einer stärkeren Kontrolle und Selbstverantwortung. fördern, finanzielle Nothilfe zu geben und in wirtschaft- In der Frage, wie in der Eurozone künftig etwa über lichen Krisen unterstützen zu können. Konkrete Zahlen wirtschafts- und haushaltspolitische Fragen entschieden nennt Macron dafür indes nicht. Um Trittbrettfahrerver- werden soll, liegt Macron den deutschen Vorstellungen halten zu verhindern, soll aber der Erhalt von Mitteln aus näher als Fillon. Letzterer hat in gaullistischer Tradition diesem EU-Budget an die Einhaltung europäischer Regeln vorgeschlagen, auf Kosten der EU-Kommission die Staats- (Fiskalregeln und soziale Standards) geknüpft werden. und Regierungschefs sowie einen Generalsekretär zum Ein Wirtschafts- und Finanzminister der Eurozone soll Steuerungszentrum der Eurozone zu machen. Finanz- für das Budget und die Kontrolle der Regeleinhaltung minister Wolfgang Schäuble hingegen hat angeregt, die verantwortlich sein, unter Aufsicht einer Versammlung Kommission zu stärken, etwa durch Durchgriffsrechte in von Europaparlamentariern der Eurozone. nationale Budgetprozesse und Wirtschaftspolitik, wenn Mit den Kandidaten Macron und Fillon dürften Initiati- Regeln verletzt werden. Macron unterstützt die Stärkung ven zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Wäh- europäischer Institutionen und Entscheidungsverfahren. rungsunion aus deutscher Sicht möglich sein. Die größte potenzielle Belastungsprobe der deutsch- Macron betont die Notwendigkeit einer Balance aus französischen Beziehungen stellt Le Pen dar. Sollte sie an Kontrolle und Eigenverantwortung einerseits, und ge- die Macht kommen, würde dies aufgrund ihrer Extrempo- meinschaftlichem Handeln und Solidarität andererseits. sition zum Euro-Austritt mit großer Wahrscheinlichkeit So zeichnet er eine mögliche deutsch-französische Kom- Marktreaktionen auslösen, die unmittelbar koordiniertes promisslinie vor. Am deutlichsten von allen Kandidaten Handeln zwischen Berlin, Paris und Frankfurt erforder- betont er, dass eine Vertiefung der Eurozone mehr Risi- lich machen würden. Marktunruhen und die Risiken, die koteilung erfordert – dass dafür aber alle Mitgliedstaa- dadurch für Frankreich etwa durch steigende Risiko- ten, so also auch Frankreich, zuvor Reformen umsetzen, aufschläge auf französische Staatsanleihen entstünden, Budgets konsolidieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit könnten Le Pen zwar von Radikalpositionen abbringen. steigern müssen. Doch selbst wenn Frankreich unter einer Präsidentin Diese Form der Sequenzierung erachtet sonst nur Le Pen in Euro und EU bleiben sollte, würde der Umgang Fillon, der ebenso ein Reformprogramm für Frankreich mit ihr äußerst schwierig werden. vorschlägt, als notwendig. Diese kritische Einschätzung zur Situation Frankreichs kommt in Deutschland gut an, Dr. Daniela Schwarzer leitet das Forschungsinstitut der insbesondere, da während der Amtszeiten der Präsiden- DGAP. DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 5 Was die Kandidaten in der Handelspolitik erreichen wollen Mélenchon Macron Hamon Le Pen Fillon Für eine gemeinsame EU-Handelspolitik Freihandel mit Modifizierungen Ablehnung von Rückkehr zum Protektionismus Emmanuel Macron und François Fillon sind beide für TTIP und CETA Jean-Luc Mélenchon fordert den Austritt den Ausbau von Anti-Dumping-Instrumenten. Fillon Die EU soll sich nach Frankreichs aus allen bestehenden fordert außerdem Reziprozität in der Handelspolitik. Ansicht Hamons gegen Freihandelsabkommen. Wie bei Le Pen Sozial- und wäre seine Position nur durch einen Umwelt-Dumping schützen. EU-Austritt Frankreichs realisierbar. Eine Besonderheit in diesem Wahlkampf ist, dass sowohl Statt dieser Freihandelsabkommen schlägt er ein Modell die Kandidatin des Front National Marine Le Pen als auch der Zusammenarbeit vor, das „sozialen und ökologischen der Linke Jean-Luc Mélenchon eine nationale und protek- Fortschritt“ fördert. Mit diesem Schwerpunkt auf „politischer tionistische Handelspolitik für Frankreich fordern. Das ist Ökologie“ trifft er einen Kern der deutschen Diskussionen insofern außergewöhnlich, als die Kompetenz in diesem um Sinn und Ziel von Handelsabkommen, vor allem in der Bereich bei der Europäischen Union liegt. Die Rückkehr zu deutschen Zivilgesellschaft und bei den Grünen. Protektionismus würde also voraussetzen, dass Frankreich Hamon wendet sich vom klassischen Wachstumsbegriff aus der EU austritt. ab und konzentriert sich auf ein soziales und ökologisches Genau das will Le Pen. In der Handelspolitik zielt sie vor Wirtschaftsprogramm, indem er etwa für ein Grundeinkom- allem darauf ab, die EU und die gemeinsame Handelspolitik men plädiert. In Deutschland hat er starke Übereinstimmun- zu verlassen und stattdessen ähnlich wie Trump in den USA gen mit den Grünen und der Linken. Im Bereich Freihandel in Frankreich eine protektionistische Politik einzuführen. wären mit ihm keine gemeinsamen Initiativen mit der Trotz vorhandenem Misstrauen in der Bevölkerung gegen- jetzigen Bundesregierung denkbar. Sollte sich nach der Bun- über Freihandelsabkommen wie der Transatlantischen destagswahl im September 2017 eine Rot-Rot-Grün-Koalition Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) werden diese bilden, könnte es mit Hamon eher zu einer gemeinsamen Ziele in Deutschland generell nicht geteilt. Mit wenigen Abkehr von der bisherigen europäischen Handelspolitik Ausnahmen wie der AfD bleiben die EU und die gemeinsame kommen. Handelspolitik weiterhin im Selbstverständnis der Deut- Übereinstimmung mit der Bundesregierung besteht in der schen verankert. Wie Le Pen lehnt auch Jean-Luc Mélenchon Handelspolitik vor allem mit Emmanuel Macron. Wie Angela alle Freihandelsabkommen ab. Er schlägt vor, aus interna- Merkel ist er ein starker Befürworter von Globalisierung und tionalen Foren und Organisationen wie G7, G20, IWF und Freihandelsabkommen, so dass mit ihm Fortschritte in der WTO auszutreten und den Welthandel durch UNCTAD als Ausgestaltung der europäischen Handelspolitik möglich wä- zentraler Organisation zu lenken. ren. Ähnliche Überschneidungen gibt es auch mit François Die drei anderen Kandidaten stellen die europäische Fillon, da dessen Forderung nach einer Öffnung der Märkte Handelspolitik nicht grundsätzlich infrage, ihnen geht es der Schwellenländer beziehungsweise Reziprozität in der mehr um eine Verschiebung der Akzente. François Fillon und Handelspolitik auch in der Bundesregierung Konsens sind. Emmanuel Macron fordern den Ausbau von Anti-Dumping- Eine Präsidentin Marine Le Pen würde das Ende der Instrumenten. Gerade seit der Diskussion um die Anerken- deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa bedeuten nung von China als Marktwirtschaft 2016 besteht hier große und auch die Zukunft der EU insgesamt infrage stellen. Auch Übereinstimmung mit Deutschland und anderen EU-Part- mit einem Präsidenten Mélenchon wäre es schwierig, eine nern. Die EU-Kommission arbeitet bereits seit Beginn 2016 an gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit in europäischen einer solchen Verschärfung. Wirtschafts- und Handelsfragen zu finden. Benoît Hamon von der Parti Socialiste fokussiert sich weniger auf die Handelspolitik als auf die Wirtschaftspolitik Dr. Claudia Schmucker leitet das Programm der Eurozone. Allerdings lehnt auch er TTIP und CETA ab. Globalisierung und Weltwirtschaft der DGAP. DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 6 Migration und Schengen: Öffnung, Reform oder Abschottung Mélenchon Macron Hamon Le Pen Fillon Restriktive Migrationspolitik Keine EU, kein Für mehr Solidarität Punktuelle Änderungen Reform des Austritt aus dem Schengenraum Schengen Benoît Hamon schlägt Emmanuel Macron will das Schengen-Abkommens Marine Le Pen will aus Jean-Luc Mélenchon die Einführung von derzeitige Schengen-Abkommen François Fillon möchte dem Schengenraum aus- fordert statt Frontex humanitären Visa und bewahren und verstärkte Schengen neu verhandeln und treten. einen zivilen Schutz der einen solidarischen nationale Befugnisse auf mehr gezielte Grenzkontrollen an Außengrenzen. Zu Verteilungsmechanismus Gefahrensituationen begrenzen. den Binnengrenzen. Frontex soll Schengen äußert er vor. Zu Schengen Frontex soll den Schutz der gestärkt werden. Wegen sich nicht im Detail, konkret äußert er sich Außengrenzen verstärken. Terrorismus verdächtigte oder lehnt es aber als Teil der nicht. vorbestrafte Personen sollen aus derzeitigen EU im dem Schengenraum Grundsatz ab. ausgewiesen werden. Anders als Deutschland hat Frankreich die Flüchtlings- Haltung, die Ex-Premierminister Manuel Valls gegenüber krise seit 2015 weniger direkt erfahren, da von Anfang Deutschland wiederholt in dieser Frage zeigte: Die A syl- an quasi parteiübergreifend Konsens darüber bestand, und Rückführungsverfahren sollen beschleunigt, die nur vergleichsweise geringe Zahlen von Flüchtlingen ins Zusammenarbeit im Schengenraum durch einen stärke- Land zu lassen. Und doch spielt bei einigen Kandidaten ren Schutz von dessen Grenzen verstärkt und die Agentur die Immigrationspolitik eine herausragende Rolle im Frontex aufgestockt werden. Wahlkampf. Dabei wird das Thema wesentlich stärker mit Benoît Hamon bleibt bei diesen Fragen vage: Er schlägt den Themen Identität und innere Sicherheit verquickt, als humanitäre Visa und einen solidarischen Verteilungsme- dies etwa in Deutschland der Fall ist. In Reaktion auf die- chanismus vor – ohne zu konkretisieren, wie er umsetzen se Ängste in der Bevölkerung führen die Präsidentschafts- möchte, woran die gesamte EU in den letzten Jahren kandidaten den rigiden migrationspolitischen Kurs der gescheitert ist. derzeitigen Regierung weitestgehend fort, oder gehen in Für Jean-Luc Mélenchon gilt auch bei Grenzfragen: ihren Forderungen sogar noch weiter. „Entweder verändern wir die EU oder wir verlassen sie“. Die Kandidaten, bei denen das Thema Migration und Konkrete Vorschläge dazu macht er nicht, abgesehen Grenzen den größten Raum einnimmt, vertreten hier von einem zivilen statt militärischen Grenzschutz im auch die restriktivsten Positionen: Marine Le Pen plant, Mittelmeer. Zugleich plant er als einziger Kandidat, das legale wie illegale Immigration mit einem Maximum französische Recht auf Asyl wiederzubeleben und die von jährlich 10 000 Einwanderern quasi zu „beenden“. dafür nötigen Strukturen zu schaffen. François Fillon schlägt vor, durch eine Obergrenze der zu So zahlreich und detailliert Le Pens und Fillons vergebenden Aufenthaltstitel die Einwanderung auf ein Vorschläge einer restriktiven Migrationspolitik sind, so nicht näher definiertes „Minimum“ zu reduzieren. vage bleiben also die anderen Kandidaten bei ihren Ideen Während Le Pen verlangt, den Schengenraum ganz zu zu europäischen oder deutsch-französischen Ansätzen. verlassen und damit die nationale Souveränität in Grenz- Selbst Macron, der sich zumindest im Prinzip an Deutsch- fragen wiederherzustellen, fordert Fillon eine Reform lands Seite stellt, geht in seinen Vorschlägen nicht des Schengen-Abkommens, um den Schutz der Außen- wesentlich über den Status quo hinaus. Im Falle seines grenzen zu stärken. Die Einwanderungspolitik der USA Wahlsiegs würde er vermutlich weder mit einer Kanzle- dient ihm hier als Vorbild. Solange das Abkommen nicht rin Merkel noch einem Kanzler Schulz auf grundlegende reformiert ist, sollen angesichts der Anschlagsgefahr Differenzen stoßen. nationale Grenzkontrollen, wie sie derzeit im Rahmen Inwiefern jedoch mit konkreten Anstößen für eine des Notstands bestehen, aufrechterhalten werden. Angela koordinierte, gesamteuropäische Politik zu rechnen Merkels Flüchtlingspolitik beurteilt er als Fehler. wäre, bleibt fraglich: Auch nach den Wahlen bleibt Emmanuel Macron wiederum würdigte Merkels Frankreichs Gesellschaft gespalten; ein großer Teil der Politik mehrfach öffentlich als „Europas Stolz“. Jedoch Bevölkerung nimmt Einwanderung als Bedrohung wahr unterscheiden sich seine Vorschläge kaum von der klaren und will, dass sie reduziert wird; Macrons angekündigte DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 7 irtschaftsreformen würden zudem seine gesamte politi- W ren Mitgliedstaaten sehen hier großen Handlungsdruck, sche Durchsetzungskraft in Anspruch nehmen. was Raum für Kompromisse öffnet. Eine langfristige Fillons Programm enthält nur wenige Ansätze für Koordinierung im Sinne eines einheitlichen Asylverfah- weitreichende deutsch-französische Initiativen auf rens scheint dagegen illusorisch. Im Falle des Wahlsiegs europäischer Ebene. Die derzeitige Blockadesituation Le Pens wiederum wäre eine deutsch-französische Zu- zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf eine Reform sammenarbeit undenkbar; es wäre das Ende von Frank- des Dublin-System könnte mit ihm weiterbestehen. Bei reich im Schengenraum. einem Präsidenten Fillon oder Macron könnte sich die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung auf Fragen Julie Hamann ist Mitarbeiterin im Programm Frankreich/ des Schutzes der EU-Außengrenzen stützen. Die ande- deutsch-französische Beziehungen der DGAP. Die Positionen zum Syrienkonflikt Mélenchon Macron Hamon Le Pen Fillon Grundsätzlich für eine europäische diplomatische Initiative Mit Assad keine Lösung Alle Parteien an einen Tisch Zusammenarbeit mit Russland Nur mit Assad und Russland Benoît Hamon sieht die François Fillon und Jean-Luc Mélenchon Marine Le Pen ist für die Notwendigkeit, neben der EU plädieren beide für einen stärkeren Einbezug Wiederaufnahme diplomatischer und den USA auch die UN von Russland bei der Lösung des Beziehungen mit dem und Vertreter der arabischen Syrienkonflikts. Assad-Regime und für eine Länder einzubinden. Er will Zusammenarbeit mit Russland keine Zusammenarbeit mit im Kampf gegen den IS. Assad und Putin. Frankreich unter Präsident Hollande fliegt bereits seit Unter den Kandidaten für das Präsidentenamt steht September 2014 Luftangriffe gegen Stellungen des so- Le Pen mit ihrer Auffassung zu den Ursachen des syri- genannten Islamischen Staats (IS) – wie aber sehen die schen Bürgerkriegs ziemlich alleine da. Selbst Jean-Luc Präsidentschaftskandidaten den Konflikt in Syrien und Mélenchon, der Putins Handeln in Syrien für positiv hält welche Lösungen schlagen sie vor? Ginge es nach Mari- und keinen Unterschied zwischen Russlands Bombardie- ne Le Pen, stellte sich die Lage ganz klar dar: Der EU sei rungen und denen der Anti-IS-Koalition sieht, geht nicht die Situation in Syrien anzulasten, sie unternehme alles, so weit wie Le Pen. Syriens Präsident Baschar al-Assad mittels eines Bürger- François Fillon, Benoît Hamon und Emmanuel Macron kriegs zu stürzen. Russland hingegen, das nach Auffas- beurteilen die Lage in Syrien wesentlich differenzierter: sung Le Pens gegen den IS kämpft, laste man dabei alle Was mit brutal niedergeschlagenen Demonstrationen Schrecklichkeiten an. gegen den diktatorischen Herrscher al-Assad begann, In Deutschland wird eine ähnliche Auffassung nur in wuchs sich im Lauf der Jahre zu einem Krieg aus, in dem Teilen der Linkspartei vertreten, welche die „Urschuld“ zahlreiche staatliche und nichtstaatliche Beteiligte ihre am syrischen Bürgerkrieg allerdings nicht der EU, son- eigenen Interessen durchzusetzen versuchen. Dies ent- dern den USA zuweisen. Diese hätten mit ihrer Forderung spricht auch in etwa der Analysegrundlage der deutschen „Assad muss weg“ und ihrer angeblichen Unterstützung Parteien – jenseits der Linkspartei und der AfD, die sich auch islamistischer Milizen den Bürgerkrieg erst ins zu diesem Thema allerdings nicht tiefergehend geäußert Rollen gebracht. Russland hingegen (hier trifft man sich hat. Einer solch komplexen Lage müsse man auch in mit Le Pen) gelte es gegen den Vorwurf schwerwiegender Lösungsansätzen Rechnung tragen. Kriegsverbrechen wie bei der Bombardierung Aleppos zu Stark vereinfachte Analysen ziehen ebenso einfache schützen und im Kampf gegen den IS zu unterstützen. Lösungen nach sich: Marine Le Pen erwägt die Wie- deraufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 8 ssad-Regime und möchte strategische Beziehungen zu A Vertreter der arabischen Länder einzubinden. Außerdem Russland im Kampf gegen den IS etablieren. Das übersä- spricht er sich dafür aus, dass Frankreich mehr syrische he allerdings völlig, dass Russland bislang überwiegend Flüchtlinge aufnimmt. Macron wiederum plant, aktiv eine Stellungen der Regimegegner, nicht aber wesentliche Initiative für einen Transitionsprozess voranzubringen, Stellungen oder Rückzugsräume des IS bombardiert die syrische und regionale Parteien, die Europäer, die UN hat. Eine solche Strategie würde überdies alle anderen und andere große Mächte involviert. Von einem „Assad staatlichen und nicht-staatlichen Beteiligten im syrischen muss weg“ halten alle Kandidaten abgesehen von Hamon Bürgerkrieg ausschließen. Diese aber müssten in eine nichts. Ihre Beurteilungen des syrischen Machthabers etwaige Lösung eingebunden werden. unterscheiden sich zwar voneinander: Während Macron Eine starke europäische diplomatische Initiative, die in ihm den Chef eines „blutrünstigen Regimes“ sieht, stellt alle Parteien zusammenbringt, setzt sich François Fillon Fillon dessen politischen Legitimität nicht infrage. zum Ziel, ebenso wie Benoît Hamon, Emmanuel Mac- Doch alle plädieren dafür, Assad einzubinden – und ron und Jean-Luc Mélenchon. In dieser Grundannahme befinden sich hier durchaus auch auf der Linie der Bun- stimmen sie auch mit den wesentlichen Beteiligten in desregierung. Dort sieht man Assad zwar als Hauptver- Deutschland überein. Der ehemalige Außenminister ursacher des Bürgerkriegs. Man weiß aber auch, dass ein Frank-Walter Steinmeier wurde nicht müde zu betonen, Machtvakuum in Syrien im Zweifelsfall von radikalen dass nur eine Verhandlungsrunde, die alle Beteiligten Gruppen gefüllt würde. Hier setzt man fürs Erste auf involviert, eine stabile Lösung für Syrien bringen könne. einen Mittelweg. Ohne Assad ist eine Transition nicht Was die Kooperation mit Russland betrifft, zeigen sich möglich (schon, weil Russland und noch mehr Iran an aber doch graduelle Unterschiede zwischen den Kan- ihm festhalten). Mit Assad wird es aber langfristig auch didaten. Fillon und Mélenchon, die generell eine etwas keine stabile Nachkriegsordnung geben können. russlandfreundlichere Politik favorisieren, unterstützen im Kampf gegen den IS eine Kooperation mit Russland. Hamon hingegen beschreibt den „Imperialismus Dr. Sylke Tempel ist Chefredakteurin der von der DGAP Russlands als nicht hinnehmbar“. Dafür betont er die Not- herausgegebenen Zeitschriften Internationale Politik und wendigkeit, neben der EU und den USA auch die UN und Berlin Policy Journal. Das künftige Verhältnis zu Russland Mélenchon Macron Hamon Le Pen Fillon Für eine Beendigung der EU-Sanktionen Nicht mit Putin Sanktionen und Minsker Prozess Aufhebung der Sanktionen Normalisierung der bilateralen Beziehung Benoît Hamon setzt sich Emmanuel Macron ist für die François Fillon will die Jean-Luc Mélenchon hält die Sanktionen für für die Fortführung der Fortführung der Sanktionspolitik im Aufhebung der Sanktionen, illegal und lehnt sie ebenso wie Marine Le Pen Sanktionspolitik ein und Rahmen des Minsker Prozesses, will um mit Russland wieder ein ab. Beide fordern eine Normalisierung der lehnt eine aber gemeinsam mit Russland eine neues „Vertrauensverhältnis“ bilateralen Beziehung zu Russland. Marine Le Zusammenarbeit mit Lösung der Krise in der Ostukraine aufzubauen und plädiert für Pen wurde während des Wahlkampfs von Russland unter Putin ab. finden. eine Handelspartnerschaft. Wladimir Putin empfangen. Selbst wenn das Verhältnis zur russischen Regierung ational sieht im Verhältnis zu Russland eine Alterna- N weniger emotional diskutiert wird als in Deutschland, tive zu Globalisierung und EU-Einfluss. So inszenierte polarisiert es auch in Frankreich und gehört im dortigen Marine Le Pen ihren Empfang durch Putin Mitte März Wahlkampf zu den meistdiskutierten außenpolitischen 2017 als Symbol für ein souveränes Frankreich, das US- Themen. Oft ist Wladimir Putin eine Projektionsfläche Einfluss trotzt und, wie Moskau, für ein traditionelles für Themen, die weniger etwas mit Russland zu tun Wertesystem eintritt. haben als mit Frankreich selbst. Insbesondere der Front DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 9 Der Blick auf Russland und die franko-russische Bezie- bei diesem Thema sein als Marine Le Pen, da er auch hung variiert stark zwischen den Kandidaten. Am russ- ein gutes Verhältnis gegenüber Deutschland als zentral landfreundlichsten gibt sich Marine Le Pen, die Putins für Frankreich sieht. Aber sein persönliches Verhältnis Wirtschaftspolitik, auch wenn sie noch so perspektivlos zu Wladimir Putin und die enge Verknüpfung mit ist, immer wieder als patriotisches Modell hervorhebt. f ranzösischen Wirtschaftsinteressen in Russland würden Die Krim-Annexion beurteilt sie als legal, die Sanktio- ihn zu einem unzuverlässigen Partner im konsequenten nen dementsprechend als „ungerecht und ineffizient“. Auftreten gegenüber Moskau machen. Fillon appelliert Unter einer Präsidentin Le Pen würde deren Ablehnung dafür, mit Russland wieder ein „Vertrauensverhältnis“ der Russland-Sanktionen die europäische Einigkeit bei aufzubauen. Seine russlandfreundliche Haltung müss- diesem Thema schwächen und im Normandie-Format, in te sich im Präsidentenamt erst noch an der russischen dem Frankreich gemeinsam mit Deutschland mit Russ- Realität beweisen; auf jeden Fall wäre er gegenüber Putin land und der Ukraine über die Einhaltung des Minsker kompromissbereiter, als es Merkel derzeit ist. Abkommens verhandelt, wohl das deutsch-französische Seine Vorschläge für eine Handelspartnerschaft mit Tandem zerstören. Bei einem Wahlsieg Le Pens würde Russland und eine engere Kooperation bei der Bekämp- Deutschland seinen wichtigsten außenpolitischen Part- fung des IS treffen in der Bundesregierung auf Zustim- ner in der EU verlieren und hätte große Probleme, die mung. Gleichzeitig wächst dort inzwischen die Erkennt- Sanktionsfront zu erhalten. nis, dass ohne politische Veränderungen in Russland der Wie Le Pen plädiert auch der Linke Jean-Luc Mélen- Handel kaum zunehmen wird, und der Kampf gegen den chon für eine Normalisierung der bilateralen Beziehung. IS vor allem mit Donald Trump diskutiert werden muss. Außerdem soll aus seiner Perspektive die Diskussion über Emmanuel Macron ist in der Russlandpolitik der die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion wiedereröffnet Gegenpol zu Marine Le Pen und auch Fillon und deshalb werden. Mélenchon verbindet seine russlandfreundliche ein Ziel von Attacken russischer (Auslands-)Medien. Die Haltung mit Globalisierungskritik. Zudem plädieren Mé- dort verbreiteten Gerüchte und Halbwahrheiten über lenchon wie Le Pen dafür, dass Frankreich die Führungs- seine Person und seinen Lebensstil sollen seine Glaub- struktur der NATO verlässt. würdigkeit untergraben. Macron steht Angela Merkel in Ein Gegenbild liefert der Sozialist Benoît Hamon, der der Russlandpolitik am nächsten: Er spricht sich klar für die Brutalität russischer Militärführung in Syrien offen die Fortführung der Sanktionspolitik im Rahmen des kritisiert und sich damit vom russlandfreundlichen Popu- Minsker Prozesses aus, benennt den Bruch internatio- lismus des Front National abgrenzt. Die Krim-Annexion nalen Rechts durch die Krim-Annexion und den Krieg in und die Unterstützung separatistischer Gruppen in der der Ostukraine, betont aber gleichzeitig, gemeinsam mit Ukraine sieht er als Vertragsverletzung, die eine strenge Russland eine Lösung der Krise finden zu müssen. Reaktion erfordert. Während Benoît Hamon der Bundesregierung in Bezug Zwischen diesen beiden Positionen gilt François Fillon auf Russland wenig konzeptionelle Anknüpfungspunkte in Moskau als ein Vertreter der konservativen französi- bietet, da er sich für eine harten Kurs gegenüber Russland schen Eliten, die eng mit Wirtschaftsinteressen verbun- ohne konkrete Vorschläge positioniert, würde Macrons den sind und dementsprechend wohlwollend gegenüber Eintreten für internationales Recht, den Erhalt der Russland auftreten. Bis zu seinen Geschäftsaffären galt Sanktionen bis zu einer Verbesserung der Situation in der er als Favorit Moskaus. Er sieht in Russland vor allem Ost-Ukraine sowie eine engere Abstimmung in der EU das einen Partner für den Ausbau von Handel sowie im Kampf Tandem mit Deutschland wohl stärken. gegen den IS und hat sich gegen die EU-Sanktionen ausgesprochen. Fillon würde ein schwieriger Partner für die deutsche Dr. Stefan Meister leitet das Robert Bosch-Zentrum für Bundesregierung bei der Verlängerung der Sanktionen Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der gegenüber Russland. Fillon mag kompromissbereiter DGAP. DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 10 Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen europäischer Initiative und nationalem Rückzug Mélenchon Macron Hamon Le Pen Fillon Für eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts Gemeinsame europäische Verteidigungspolitik Zusammenarbeit ohne Integration Nationale Autonomie Emmanuel Macron fordert Benoît Hamon ist für eine François Fillon will zwar ein Marine Le Pen will die Jean-Luc Mélenchon die Schaffung eines europäische Kooperation im „europäisches Bündnis der nationale Autonomie ist gegen eine europäischen Bereich der Verteidigung, u. a. Verteidigung“, aber sichern. europäische Verteidigungsfonds und durch Verbesserung des durch eine Stärkung der Sie will aus den Verteidigung und will eines europäischen europäischen Hubs. intergouvernementalen Kommandostrukturen zudem den Austritt Sicherheitsrats. Frankreich Frankreich bleibt in der NATO. Zusammenarbeit. Keine der NATO austreten. Frankreichs aus der bleibt in der NATO. bekannte Position zur NATO. NATO. Insgesamt ist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in nommen, wie etwa den Verteidigungsfonds, den Sicher- der französischen Bevölkerung weniger umstritten als in heitsrat oder das militärische EU-Hauptquartier. Deutschland und im Wahlkampf als Thema viel präsen- Mit einem Präsidenten Mélenchon oder einer Präsi- ter. Einig sind sich bis auf den extrem linken Jean-Luc dentin Marine Le Pen hingegen stünden der deutsch- Mélenchon die anderen vier bestplatzierten Kandidaten französischen Kooperation im Bereich Sicherheit und in der Forderung nach einer Erhöhung des Verteidigungs- Verteidigung schwere Zeiten bevor. Beide wollen eine haushalts, im Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung rein nationale Verteidigungspolitik, die die strategische und darin, dass die Rüstungsindustrie maßgeblich ist. Autonomie Frankreichs sichert. Le Pen möchte aus den Zudem möchten sie alle die Armee mindestens in ihrer Kommandostrukturen der NATO aussteigen, Mélenchon derzeitigen Größe erhalten, wenn nicht sogar vergrößern, sogar komplett aus der Organisation, in der Frankreich und das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Armee erst seit 2009 wieder Vollmitglied ist. verbessern. Vor allem Le Pen wirbt um das Wählerpotenzial des Der am klarsten proeuropäische Kandidat ist Em- französischen Militärs, das im Wesentlichen den natio- manuel Macron, der sich dezidiert für eine europäische nalen Horizont im Blick hat. Sie fordert bei klassischen Verteidigung ausspricht. Dafür möchte er einen europä- militärischen Fähigkeiten wie Panzern, Flugzeugen und ischen Verteidigungsfonds für den Erwerb gemeinsamer Schiffen mehr Gerät und zeichnet so ein Bild französi- Militärausstattung einrichten und einen europäischen scher Verteidigungspolitik des 20. Jahrhunderts. Demge- Sicherheitsrat schaffen. genüber sehen Macron und Fillon modernere Streitkräfte Der Konservative François Fillon situiert sich im Mittel- vor, die sich auf Cyber-Fähigkeiten und eine größere feld: Er plädiert zwar für ein „europäisches Bündnis der Handlungsfähigkeit der Geheimdienste konzentrieren. Verteidigung“, hält aber nichts vom Aufbau integrierter Beide verbinden so auch die klassische Verteidigungspo- Strukturen. Er will vielmehr die intergouvernementale litik mit der inneren Sicherheit, die in Frankreich ein weit Zusammenarbeit im verteidigungspolitischen Bereich wichtigeres Thema ist. stärken. Die Unterschiede zur deutschen Debatte sind the- Bei den Sozialisten ist europäische Verteidigung kein matisch bemerkenswert und bergen erhebliches Po- großes Thema: Benoît Hamon wünscht sich eine europäi- tenzial, um die deutsch-französischen Beziehungen zu sche Kooperation im Bereich der Verteidigung, aber ohne erschweren. klare Vorschläge. Ein erster Unterschied besteht darin, dass in Frank- Neue Initiativen für die deutsch-französische Koope- reich Sicherheit sehr stark in der Vernetzung von innerer ration finden sich in keinem der Wahlprogramme un- und äußerer Sicherheit gedacht wird: So gilt die Terroris- mittelbar. Doch die Programme Fillons und mehr noch musbekämpfung als ein globales Problem, und Militärein- Macrons bieten eine Basis, auf der man aufbauen kann. sätze als Teil der Lösung. Diese Position ist in Deutschland Insbesondere Macron hat die bestehenden Ideen und Ini- erheblich umstritten und die Trennung von innerer und tiativen auf der EU-Ebene und aus gemeinsamen Papieren äußerer Sicherheit bis auf Weiteres fest in den politischen Deutschlands und Frankreichs in sein Programm aufge- Normen und Gesetzen verankert. DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017
Frankreichs Präsidentschaftswahl 2017: Was die fünf wichtigsten Kandidaten für Deutschland bedeuten 11 Doch die größten Unterschiede mit direkter Relevanz würde verlorengehen. Sollte die künftige französische für Deutschland betreffen die künftige Rolle von Allian- Regierung das Interesse an dieser gemeinsamen Gestal- zen (EU, NATO) in der französischen Sicherheitspolitik tung Europas und der gemeinsamen Verantwortung für sowie das Verhältnis zu Russland – und damit die Frage Europa verlieren, wäre dies gerade in einem Moment der nach der zukünftigen Rolle Frankreichs bei den EU-Sank- Unsicherheit für die europäische Entwicklung (angesichts tionen und im Normandie-Format. des Brexits und differenzierter Integration) für Deutsch- Für Deutschland bleibt die multilaterale Einbettung land problematisch. Deutschland würde neue Partner seiner Politik zentral. Deshalb wäre ein Frankreich, das in der EU und NATO suchen müssen und auch finden – lieber außerhalb als innerhalb dieser Strukturen handelt, diese hätten jedoch kaum den Einfluss und das Gewicht und kein Interesse mehr daran hat, insbesondere die EU Frankreichs. weiterzuentwickeln, kein so wertvoller Partner mehr. Viel gemeinsame Gestaltungsmacht, die sich etwa im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Dr. Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des durch zahlreiche gemeinsame Initiativen gezeigt hat, Forschungsinstituts der DGAP. BIldrechte: Brandenburger Tor: von Stephan Czuratis (Jazz-face) (Eigenes Werk) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons François Fillon: By Marie-Lan Nguyen (Own work) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons Benoît Hamon: Thomas Bresson [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons Marine Le Pen: Foto-AG Gymnasium Melle [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons Emmanuel Macron: Mutualité Française [CC BY-NC 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/)], via Flickr Jean-Luc Mélenchon: Par Cancillería Ecuador from Ecuador [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons DGAPkompakt / Nr. 4 / April 2017 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. This work is licensed under a Creative Commons Attribution – NonCommercial – NoDerivatives 4.0 International License. Die DGAP trägt mit wissenschaftlichen Untersu- Herausgeber chungen und Veröffentlichungen zur Bewertung Deutsche Gesellschaft für internationaler Entwicklungen und zur Diskus- Auswärtige Politik e.V. sion h ierüber bei. Die in den Veröffentlichungen ISSN 2198-5936 geäußerten Meinungen sind die der Autoren. Redaktion Sabine Wolf Rauchstraße 17 / 18 . 10787 Berlin Grafiken Reiner Quirin Tel. +49 (0)30 25 42 31 -0 / Fax -16 Layout /Satz Andreas Alvarez info@dgap.org . www.dgap.org Designkonzept Carolyn Steinbeck · Gestaltung
Sie können auch lesen