BCG Digital Government Citizen Survey 2020 - Deutschland 2021 - Was jetzt zu tun ist - Boston ...
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9.000 Bürger*innen befragt aus 9 Ländern 2012 BCG Digital 9.900 2014 Government Citizen 2016 10.200 Bürger*innen Survey 2020 Bürger*innen befragt befragt Einführung aus 11 aus 21 Ländern 2018 Ländern Spezieller Fokus Datenschutz und 14.500 -sicherheit Bürger*innen befragt aus 30 Ländern Spezieller Fokus KI-Einsatz in Behörden 20 20 Spezieller Fokus 24.500 aus Korrelation Bürger*innen 36 Ländern zwischen Vertrauens‑ befragt basis und Dienste‑ bereitstellung
/06 Autoren /26 III. Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg /14 II. /30 IV. BCG Digital Was ist zu tun ? Government Citizen Survey /08 I. /36 V. Management Winning the 20s – Summary Den Wandel proaktiv gestalten /38 VI. /44 Anmerkungen Methodik Impressum
Autoren Dr. Ralf Kleindiek Partner und Director – Public Sector Boston Consulting Group Staatssekretär a. D. Kleindiek.Ralf@bcg.com Dr. Alexander Türpitz Managing Director und Senior Partner Autoren Boston Consulting Group Tuerpitz.Alexander@bcg.com Frank Felden Managing Director und Senior Partner Boston Consulting Group Felden.Frank@bcg.com Thilo Zelt Managing Director und Partner Boston Consulting Group Zelt.Thilo@bcg.com Patrick Bauer Associate Director – Digital Government Boston Consulting Group Bauer.Patrick@bcg.com
09 Der vorliegende BCG Digital Die Boston Consulting Group führt den im globalen Benchmark zu erkennen, wo Government Citizen Survey BCG Digital Government Citizen Survey seit man im Verhältnis zu anderen Ländern 2012 alle zwei Jahre durch. Unsere steht. Deutschland ist als eines von neun 2020 präsentiert neueste Untersuchung erlaubt den globalen Ver‑ Ländern von Anfang an dabei, kann also Erkenntnisse darüber, wie die gleich von inzwischen 36 Ländern. auf die Entwicklung von mittlerweile acht Bürger*innen in Deutschland Jahren zurückblicken. und weltweit die digitalen Es handelt sich um die mit Abstand größte derartige Studie weltweit. In Und: In jedem BCG Digital Government Möglichkeiten der Verwaltung Deutschland wurden 2.000 Personen, Citizen Survey steht ein besonderes wahrnehmen und beurteilen. global fast 25.000 Menschen befragt, wie Fokusthema im Mittelpunkt. In dieser häufig sie digitale Angebote der öffentli‑ Studie ist es die Korrelation zwischen den chen Verwaltung nutzen, wie zufrieden Erfahrungen mit digitalen Services der sie mit deren Qualität sind und wie aus Verwaltung und dem Vertrauen in Staat ihrer Sicht die Angebote der Verwaltung und Verwaltung insgesamt. im Vergleich mit digitalen Services kom‑ merzieller Anbieter abschneiden. Damit ist es möglich, zum einen die Entwicklung für das eigene Land nachzuvollziehen und zum anderen anhand der Position → Boston Consulting Group
Die wichtigsten Ergebnisse des BCG Digital Government Citizen Survey 2020 auf einen Blick I 02 01 Deutschland gehört – je nach Kategorie – Management Summary zu den schlechtesten 10 bis 15 Prozent. Tendenz: Negativ. Deutschland ist weiter zurückgefallen, der Rück‑ stand zu den Top-10-Ländern hat sich vergrößert. In den Top-10-Ländern ist es der Verwaltung gelungen, den privaten Sektor im Hinblick auf Bürgernutzen und -zufrieden‑ heit zu überholen. Für Deutsch- 03 land gilt das allerdings nicht. In Deutschland hat die Zufriedenheit mit den digitalen Services der Verwaltung im Vergleich zu den früheren Erhebungen sogar deutlich abgenommen.
04 05 Gleichzeitig stagniert die Nachfrage nach digitalen Die sinkende Zufriedenheit ist auch ein politisches Verwaltungsservices Warnzeichen. im Vergleich zu 2018 in Deutschland. Die schlechten Erfahrungen der Bürger*innen mit digitalen In den Top-10-Ländern ist die Services haben einen negativen Nutzung dagegen weiter Einfluss auf ihr Vertrauen in angestiegen. Staat und Regierung insgesamt. 11 Die anderen sind schneller. Deshalb wird Deutschlands Rückstand im globalen Vergleich größer und unsere Aufholjagd anspruchsvoller. FAZIT Zu erklären sind diese Resultate vor allem damit, dass viele große Digitalprojekte der öffentlichen Verwaltung in Deutschland nicht planmäßig gelingen, sondern ins Stocken geraten oder sogar ganz scheitern. Dabei bilden diese Großprojekte gleichsam das Rückgrat für die Digitalisierung und sind die Voraussetzung dafür, dass Bürger‑ services funktionieren. Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg. Es wird jedoch höchste Zeit, ihn jetzt einzuschlagen. Boston Consulting Group
Was jetzt zu tun ist I Management Summary → Die Strategie für die Digitalisierung muss richtig entwickelt und konsequent umgesetzt werden.
02 Digitalisierung muss schneller werden Auch ein großes Projekt muss sich daran messen lassen, was es in zwölf Monaten erreicht – und nicht in fünf Jahren. Die konsequente Realisierung der digitalen Großprojekte des Bundes mit voller Transparenz ist hierfür der Gradmesser. Die Umsetzung des Online‑ zugangsgesetzes (OZG) z. B. muss dafür strategisch neu justiert werden. 13 03 01 Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen Digitalisierung muss schlagkräftiger werden Deutschland braucht ein Bundes digitalministerium mit ausreichenden finanziellen Mitteln, weitreichenden administrativen Befugnissen sowie einem Digitalisierung ist keine Frage der Technik, hohen Maß an politischer Entscheidungs sondern der Kulturveränderung. Agiles macht. Unterstützt werden sollte das Arbeiten, eine neue Fehlerkultur und die Bundesministerium durch eine nationale Überwindung des bisherigen Silodenkens Digitalisierungsagentur. sind die Voraussetzungen hierfür. Eine Bundesakademie für Digitalisierung muss diese Kulturveränderung unterstützen. Boston Consulting Group
II. II BCG Digital Government Citizen BCG Digital Government Citizen Survey Survey
15 Die Boston Consulting Group führt Im Einzelnen standen folgende Themenkomplexe den BCG Digital Government Citizen im Mittelpunkt: Survey seit 2012 zum fünften Mal weltweit durch. Unsere Studie 1. Häufigkeit der Nutzung digitaler Angebote der erlaubt den globalen Vergleich von öffentlichen Verwaltung inzwischen 36 Ländern. Es handelt 2. Zufriedenheit mit den digitalen Angeboten sich um die mit Abstand größte derartige Studie weltweit. Fast 3. Vergleich mit kommerziellen Angeboten 25.000 Menschen wurden zu drei Komplexen befragt. Zudem werden in jeder Studie Fragen zu einem besonderen Fokusthema gestellt. → Boston Consulting Group
Als Fokusthema – Vertrauen in Bezug auf die Korrelation zwischen den Erfahrungen mit digitalen Services der Verwaltung und dem Vertrauen in Staat und Verwaltung. Damit ist es möglich, zum einen die Entwicklung für das eigene Land nachzuvollziehen und zum anderen anhand der Position im globalen Benchmark zu erkennen, wo man im Verhältnis zu anderen Ländern steht. Deutschland ist als eines von neun Ländern von Anfang an dabei, kann also auf die Entwicklung von mittlerweile acht Jahren zurückblicken. II Für den Survey wurden Fragen zu digitalen Angeboten aus den BCG Digital Government Citizen Survey folgenden Lebensbereichen gestellt: Gemeinwesen und Kultur, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Immigration, Melderegister, Soziale Dienste, Steuern und Zölle, Verkehr und Transport, Justiz. Die Teilnehmer*innen wurden gebeten, 26 Dienste im Hinblick auf Nutzung und Zufriedenheit zu bewerten: Grün gekennzeichnete Zahlen sind den 41 Diensten aus dem Umsetzungsplan für das OZG zugeordnet. Gemeinwesen 01 02 03 und Kultur Beantragung oder Beschwerden, Feedback und Stimmabgabe bei Erneuerung von Jagd-, Instandhaltungsanträge Parlamentswahlen Angelscheinen etc. Bildung 04 Zugang zu einer öffentlichen Bildungseinrichtung, Immatrikulation und Interaktion Gesundheit 05 Suche nach, Registrierung von oder Zugriff auf Gesundheitsakten Wohnen 06 07 Beantragung oder Erneue Suche nach, Registrierung rung einer Planungs- oder oder Änderung von Baugenehmigung Mietverträgen
Immigration 08 09 Beantragung oder Beantragung oder Erneue Erneuerung von rung von Visa, Aufenthalts- Reisepässen oder Arbeitserlaubnissen Melderegister 10 11 12 Beantragung oder Erneue Adress- oder Kontakt‑ Suche nach oder Regis‑ rung von Personal- oder datenänderungen bei trierung von Geburts-, Altersausweisen Umzug Sterbe- und Heiratsurkunden 13 14 15 Suche nach, Registrierung Suche nach, Registrierung Patentanmeldung oder oder Änderung von oder Aktualisierung von Antrag auf Schutz geistigen Firmeninformationen Grundbuch- oder Eigentums Eigentumsregistereinträgen 17 Soziale Dienste 16 17 18 Beantragung von staatlichen Einzahlungen in Pensions‑ Anmeldung oder Nutzung Beihilfen, Subventionen pläne oder staatliche eines Arbeitssuch- oder oder Vergünstigungskarten Rentensysteme -vermittlungsdienstes 19 Zugang zu öffentlich geförderten Wohnungen oder Wohnungszuschüssen Steuern 20 21 22 und Zölle Verwendung von eGates Einreichung von Steuer‑ Steuer-, Abgabe-, Buß- bei der Grenzkontrolle erklärungen, -bescheiden oder Strafgeldzahlungen oder -anmeldungen Verkehr und 23 24 25 Transport Suche nach, Registrierung Echtzeitzugriff auf öffentliche Beantragung oder oder Änderung von Informationsdienste Erneuerung von Kfz-Zulassungen (z. B. Wetter, Verkehr) Führerscheinen Justiz 26 Kontaktaufnahme mit Gerichten und Einreichung von Dokumenten Stellt man den globalen BCG-Survey den Verwaltungs von denen das OZG bei der Umsetzung ausgeht (Familie leistungen gegenüber, die in Deutschland aufgrund des und Kind, Bildung, Arbeit, Bauen und Wohnen, Engagement Onlinezugangsgesetzes (OZG) bis 2022 umgesetzt werden und Hobby, Mobilität und Reisen, Ein- und Auswanderung, müssen1 , dann sind die 41 Dienste, die im Umsetzungs‑ Gesundheit, Recht und Ordnung) 2 , entsprechen weitgehend plan für das OZG mit den Prioritäten 1 und 2 versehen den Lebensbereichen im BCG-Survey. sind, weitgehend vergleichbar. Und auch die Lebenslagen, Boston Consulting Group
II BCG Digital Government Citizen Survey FRAGEN In unserem Survey wurden unter anderem die folgenden Fragen Wie häufig nutzen Sie gestellt → persönlich das Internet ? — Wie viele und welche Arten von Internet-Zugangsgeräten nutzen Sie ? — Wie viele und welche Arten von Internet-Zugangsgeräten werden Sie voraussichtlich in drei Jahren nutzen ? — Welche dieser 26 Dienste haben Sie in den letzten zwei Jahren online genutzt ?
Wie gut sollte die Inwieweit beeinträchtigt eine Dienstebereitstellung bei schlechte Erfahrung mit digitalen Behördendiensten digitalen Behördendiensten funktionieren ? Ihr Vertrauen in staatliche Behörden [und umgekehrt] — auf einer Skala von 1 bis 7 ? 19 Wie gut sind Online-Behörden‑ — dienste im Vergleich zu Dienstangeboten im privaten Inwieweit wären Sie zum Sektor auf einer Bewertungsskala Datenaustausch zwischen von 1 bis 5 ? Behörden bereit ? Auch zwischen verschiedenen — Regierungsebenen ? Wie zufrieden sind Sie mit zwei — der 26 genannten Dienste auf einer Skala von 1 bis 7 ? Welche Maßnahmen sollten Regierungen vorrangig treffen, — um potenzielle Risiken des KI-Einsatzes in Behörden Welche spezifischen Pro‑ zu minimieren ? bleme haben Sie bei der Nutzung eines bestimmten Dienstes festgestellt [10 Probleme] ? — Wie zufrieden sind Sie mit der Nutzung eines bestimmten Dienstes in Bezug auf 20 Ser- vicelevel-Merkmale (Zweck‑ mäßigkeit, Sicherheit, Trans‑ parenz, Nutzen, Datenschutz, Kontrolle) auf einer Skala von 1 bis 7 ? Boston Consulting Group
Die wichtigsten Ergebnisse SURVEY-FRAGE Wie oft nutzen Sie Behördendienste online? Befragte in % 80 75 70 62 62 61 61 58 58 II 60 30 22 53 16 18 49 48 21 19 46 BCG Digital Government Citizen Survey 45 24 24 16 9 13 14 16 40 15 12 12 18 12 14 10 9 11 9 7 12 9 24 20 17 15 15 20 10 16 15 18 13 11 11 11 13 14 13 14 13 13 15 10 10 10 12 11 9 0 ien ien ark ina ko E n n sia ien ika a len ore ege sie VA rok lay fr Ch tin Ind rab Po em e dk da rw on Ma Ma en n i- A Sü Sü No Dä Ind Arg ud Sa Immerhin: Der eGovernment MONITOR 2020 der Initia‑ gegenüber Deutschland weiter vergrößert. Zudem tive D21 kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland fällt auf, dass in den Top-10-Ländern digitale im Vergleich zur Schweiz und zu Österreich einen Angebote nicht nur häufiger, sondern auch regel‑ höheren Zuwachs bei der Internetnutzung verzeich‑ mäßiger genutzt werden. Der Anteil der Befragten, nen konnte und diese Steigerung auch stärker als die Angebote täglich oder mehrmals wöchentlich in den vergangenen Jahren ausgefallen ist. In dieser wahrnehmen, ist in diesen Ländern signifikant höher Hinsicht holt Deutschland also auf.3 als in Deutschland. Weitet man aber den Blick auf den globalen Ver‑ gleich aus, dann hat sich der Vorsprung der Top 10
Häufigkeit der Nutzung Im Jahr 2020 nutzen 33 Prozent der Befragten 47 Prozent. Im Vergleich zu 2018 (34 %) ist dieser in Deutschland mindestens einmal pro Woche Wert in Deutschland sogar um einen Prozentpunkt digitale Behördendienste. Das ist erheblich gesunken. Hinzu kommt: In den Top-10-Ländern weniger als in den Top-10-Staaten, wo die Quote befindet sich die Nutzungsfrequenz auf einem zwischen 58 und 78 Prozent beträgt, und liegt auch beträchtlich höheren Niveau als in Deutschland. deutlich unter dem internationalen Durchschnitt von 33 21 44 44 42 42 42 40 39 39 38 38 38 11 5 16 12 11 8 5 9 7 7 32 31 31 30 30 7 9 5 7 7 7 7 5 10 8 6 6 5 11 9 8 7 9 13 4 3 15 6 7 13 11 13 9 5 12 10 8 11 12 9 10 13 7 8 8 7 16 14 14 12 13 11 12 12 13 11 8 10 9 8 10 10 10 n ng A r en nd d d iz UK n d ich ich an e da pu nd n an de a lan US e ko na ali Jap hst ela tla hw re re ga a e ssl ng str ter nk Ka hw s ch erl Es use Sc sac Sin Ru Ho Fra Au d Ös Sc ut Nie Ka Ne De Mehr als einmal Einmal 2- bis 6-mal Einmal pro Tag pro Tag pro Woche pro Woche 1- bis 3-mal pro Monat Boston Consulting Group
Zufriedenheit In Deutschland äußert sich die Hälfte der Befragten die Zufriedenheit der Bürger*innen mit den digita‑ zufrieden mit dem digitalen Angebot der Verwaltung. len Angeboten ihrer Verwaltung anbelangt, nimmt Das erscheint auf den ersten Blick wie ein befrie‑ Deutschland im internationalen Vergleich Platz 29 digender Wert, jedoch: Diese „Netto-Zufrieden‑ von 36 ein. Beträchtlich ist vor allem die Distanz heit“ auf einer Skala von „extrem unzufrieden“ bis zu den Top-10-Ländern. Das Ergebnis erklärt sich „extrem zufrieden“ liegt in den Industrieländern hauptsächlich daraus, dass der Anteil derjenigen, die im Durchschnitt bei 64 Prozent und in den sich „unzufrieden“ oder „ziemlich unzufrieden“ sind, in entwickelnden Ländern bei 58 Prozent. Was Deutschland vergleichsweise hoch ist. Nutzer aus China Indien Estland II Industrieländern Singapur BCG Digital Government Citizen Survey VAE Kanada zeigen sich Saudi-Arabien Frankreich Polen zufriedener mit Indonesien Australien USA Russland Online-Diensten. Neuseeland Niederlande UK China und Indien Kenia Schweden Hongkong liegen an der Dänemark Malaysia Norwegen Spitze.4 Südafrika Katar Österreich Ukraine Schweiz Chile Dabei ist leider auch zu konstatieren, dass Deutschland zu Deutschland den Ländern gehört, in denen die Zufriedenheit im Vergleich Nigeria zu 2018 abgenommen hat. In 14 Ländern ist die Zufriedenheit Argentinien mit digitalen Angeboten des Staates gegenüber 2018 gewachsen (zwischen +1 und +15 %). Deutschland verzeichnet einen ent‑ Bangladesch gegengesetzten Trend: Hier hat sich der Grad der Zufriedenheit Südkorea um 7 Prozentpunkte verschlechtert. Marokko Kasachstan Japan
SURVEY-FRAGE Wie zufrieden sind Sie mit der Nutzung des Internets zur Bereitstellung verschiedener Arten von Behördendiensten? Mögliche Antwortoptionen auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = Extrem unzufrieden und 7 = Extrem zufrieden). Befragte, die „5“, „6“ oder „7“ ausgewählt haben, wurden als zufrieden eingestuft. Befragte, die „1“, „2“ oder „3“ ausgewählt haben, wurden als unzufrieden eingestuft. Die Netto-Zufriedenheit ergibt sich aus Gesamtzufriedenheit minus Gesamt-Unzufriedenheit. Extrem unzufrieden Ziemlich unzufrieden Zufrieden Befragte in % Unzufrieden Ziemlich zufrieden Extrem zufrieden 61 Durchschnitt Durchschnitt Netto- Sich entwickelnde 58 64 Industrieländer Zufriedenheit Länder (% der Befragten) 78 77 76 23 76 76 74 73 69 68 68 68 66 66 66 66 65 64 63 63 62 61 60 59 58 58 54 53 53 50 50 49 49 48 40 40 21 Boston Consulting Group
Verwaltung und kommerzielle Nutzung In den vergangenen zehn Jahren haben die prägt auch die Erwartungen der Bürger*innen an Digitalisierung und eine wachsende mobile Kom‑ ihre Verwaltung. Kommerzielle digitale Angebote munikationskultur eine Revolution im Kommuni‑ haben hohe Standards in Sachen Einfachheit und kationsverhalten ausgelöst. Mehr als 40 Stunden intuitiver Nutzerführung gesetzt. Auch in Deutsch‑ pro Woche sind die Deutschen heute online. land erwarten die meisten Bürger*innen deshalb, Nirgendwo sonst sind die Menschen so einfach und dass digitale Behördendienste auf demselben schnell zu erreichen wie über das Internet. Dies Niveau funktionieren wie kommerzielle Services. SURVEY-FRAGE Welchen Qualitätsstandard sollten Online-Behördendienste Ihrer Meinung nach haben – in Bezug auf Geschwindigkeit, Zweckmäßigkeit, Barrierefreiheit, Personalisierung etc. ? 5 II BCG Digital Government Citizen Survey 51 % 27 % 16 % 6% 60 % 40 % 20 % 0% Ähnlich wie Ähnlich wie Ähnlich wie Meine Erwartungen beste Institutionen digitale beste Online- sind niedriger als im privaten Sektor Marktführer Behördendienste oben genannt
Digitalisierung der Verwaltung und Vertrauen in den Staat Die Erfahrungen, die Bürger*innen mit digitalen Ser‑ Erlebnisse führen zu einem Vertrauensverlust. So vices von öffentlichen Verwaltungen machen, haben betonten im Rahmen einer BCG-Studie 87 Prozent einen deutlich messbaren Einfluss auf das Vertrauen, aller Befragten, eine schlechte Erfahrung bei der das sie ihren Regierungen insgesamt entgegenbrin‑ Nutzung digitaler Verwaltungsservices wirke sich gen. Positive Erlebnisse mit digitalen Dienstleistun‑ negativ auf ihr Vertrauen in den Staat insgesamt aus.6 gen steigern das Vertrauen in die Regierung – auch unabhängig vom Thema Digitalisierung –, negative SURVEY-FRAGE Welche der folgenden Aussagen beschreibt am besten, wie gut aktuelle Online- Behördendienste Ihren Bedürfnissen gerecht werden? 25 39 % der Befragten gaben an, dass digitale Behördendienste alle oder die meisten ihrer Bedürfnisse erfüllen. 7 7% 32 % 41 % 16 % 4% Alle Die meisten Einige Bedürfnisse Bedürfnisse Bedürfnisse Bedürfnisse Bedürfnisse werden oft nicht werden nie werden erfüllt werden erfüllt werden erfüllt erfüllt erfüllt Der BCG Digital Government Citizen Survey 2020 Kommunikationsformen mit der Verwaltung (also hat ergeben, dass in Deutschland die digita- zwischen mobiler App, Website, Webchat, Remote- len Behördenangebote für 39 Prozent der Verbindung oder persönlichem Kontakt) sollte „ein‑ Befragten alle oder die meisten Bedürfnisse fach sein“ – aber lediglich knapp ein Drittel sagen, erfüllen. Zudem äußerten knapp zwei Drittel der dass dies in der Praxis tatsächlich der Fall sei. Teilnehmer*innen den Wunsch, ein Wechsel von Boston Consulting Group
III Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg III. Die Aufholjagd wird anspruchsvoller
27 Deutschland läuft Gefahr, Der nur schleppende Fortschritt schadet auf die Eingabe von Benutzername und den Anschluss an die der deutschen Wirtschaft und beschädigt Passwort. Das erwartbare Ergebnis: Die das Vertrauen der Bürger*innen in den Anzahl der digitalen Verfahren hat internationale Entwicklung Staat. In der COVID-19-Pandemie sind sich um nahezu das Zwanzigfache der digitalen Verwaltung die Defizite der deutschen digitalen erhöht. zu verlieren. Benchmark Verwaltung offenbar geworden: Gesund‑ müssen weltweit die heitsämter, die mit Faxgeräten kom- munizieren müssen, oder Schulen Länder mit dynamischer ohne E-Learning sind nur zwei Beispie‑ Entwicklung sein. le. Deutschland ist nicht wegen, sondern trotz seiner mangelhaft entwickelten digitalen Verwaltung bisher verhältnis‑ mäßig gut durch die COVID-19-Pan‑ demie gekommen.8 Dabei gibt es auch positive Beispiele: So wurde – aufgrund von COVID-19 – in Bayern das digitale An- und Ummeldeverfahren für Kraftfahr‑ zeuge umgestellt: vom Online-Verfahren mit elektronischem Personalausweis → Boston Consulting Group
In Deutschland steigen die Erwartungen nach nicht zum gesetzlich vorgesehenen der Menschen an die digitale Verwal‑ Zeitpunkt 2022 erreicht sein, aber bei der tung schneller, als sich die Angebote Vorbereitung werden jetzt systematisch verbessern. Diese Entwicklung ist nicht agile Arbeitsweisen angewandt in Teams, nur gesellschaftlich und wirtschaft‑ die über die Verwaltungsebenen hinweg lich nachteilig, sie ist auch gefährlich. zusammenarbeiten. Und der Bund hat Unsere Untersuchungen zeigen: Die im Rahmen des COVID-19-Konjunk‑ Erfahrungen – ob positiver oder negati‑ turprogramms mit 3 Milliarden Euro in ver Natur –, welche die Bürger*innen mit diesem Jahr zusätzlich sehr viel Geld für digitalen Verwaltungsservices machen, die Umsetzung des OZG zur Verfügung haben einen signifikanten Einfluss auf ihr gestellt, um die Länder und Kommunen Vertrauen in ihre Regierung insgesamt zu unterstützen. Entsprechendes gilt – auch unabhängig vom Thema Digitali‑ für die Registermodernisierung, für die sierung. Das ist ein dramatischer Befund: zusätzlich 300 Millionen Euro vom Bund Das mangelnde Tempo des Staates bei bereitgestellt werden. Dennoch kann der Digitalisierung gefährdet nicht nur für keines der genannten Vorhaben die wirtschaftliches Wachstum und weckt gesicherte Erwartung gelten, dass sie nun Frustrationen bei den Bürgerinnen und zügig und erfolgreich umgesetzt werden. Bürgern. Schlimmer noch: Es bedroht auch das Vertrauen in die Integrität „Die Konjunkturmilliarden können helfen, unseres Staates insgesamt. aber Geld allein macht nicht glücklich – III Wir müssen Komplexität reduzieren und Große IT-Projekte sind oft zu komplex, zu wettbewerbsfreundlich standardisieren.“ Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg schlecht geplant und werden zudem nicht Das hat der Nationale Normenkontroll‑ richtig gesteuert. Umsetzungsdefizite bei rat jüngst zu Recht festgestellt. 9 Nur großen IT-Projekten drohen zum Sinnbild mit Geld lässt sich die Umsetzung nicht für die Digitalisierungsanstrengungen beschleunigen, und wenn nun offenbar der deutschen Verwaltung zu werden. die Dienstleister in den Ländern stärker Alle großen IT-Projekte der Bundesver‑ in die Pflicht genommen werden sollen, waltung hinken ihrem Zeitplan hinterher um die Online-Dienste „Einer für Alle – zum Teil um Jahre. Das gilt sowohl für (EfA)“ zu entwickeln, dann müssen sie die IT-Konsolidierung der Bundes- dazu auch personell und fachlich – neben verwaltung oder die Umsetzung des ihren übrigen Verpflichtungen – in der Onlinezugangsgesetzes als auch für Lage sein. Erforderlich ist dafür ein Kon‑ die Einführung der elektronischen zept zur Ertüchtigung der Dienstleister Akte, die Registermodernisierung und dessen Umsetzung. Zudem muss die oder das Projekt „Polizei 2020“. Der Idee hinter EfA ernst genommen werden. Erfolg all dieser Vorhaben ist essenziell Es genügt nicht, dass eine EfA-Dienstleis‑ für eine funktionierende digitale Verwal‑ tung einmal konzipiert ist 10, sondern sie tung in Deutschland und für attraktive muss auch überall und vollständig – ent‑ digitale Services für die Bürger*innen. weder im Bund, in den Ländern oder den Kommunen – tatsächlich implementiert Dabei gibt es auch gelungene Beispiele – werden. Das ist eine gewaltige Aufgabe, etwa das digitale Elterngeld –, und durch die nicht bis Ende 2022 erledigt sein wird. die COVID-19-Pandemie sind erhebliche Benötigt wird dafür eine nationale Infra‑ Kräfte und beträchtliche finanzielle Mittel struktur, welche die Beschäftigten in den freigesetzt worden. Die Folgen sind Verwaltungen bei der Implementierung durchaus positiv: Die elektronische Akte und Anwendung vor Ort umfassend wird größere Fortschritte machen, weil unterstützt, aus- und weiterbildet – eine durch Corona für alle offenbar geworden „Nationale OZG-Akademie“ ist hierfür der ist, dass flexibles und mobiles Arbeiten richtige Ansatz. nur mit einer funktionierenden elektroni‑ schen Aktenführung möglich ist. Für die Für die Umsetzung des OZG bedarf es Registermodernisierung sind die gesetz‑ keines Neustarts; vielmehr kann auf lichen Grundlagen in diesem Jahr relativ den bisherigen Erfolgen aufgebaut und weit vorangeschritten. Für das Vorhaben die Finanzierung sinnvoll genutzt werden. „Polizei 2020“ (der Name macht deutlich, Erforderlich sind jedoch drei Dinge: dass dieses Programm zur Neuordnung der polizeilichen IT-Architektur in diesem 1. Ein ehrliches und transparentes Ein‑ Jahr abgeschlossen sein sollte) sind die geständnis, dass es nicht möglich ist, die finanziellen Voraussetzungen geschaffen ursprünglich gesetzten Ziele planmäßig worden. Die Umsetzung des Onlinezu‑ zu erreichen. gangsgesetzes wird zwar aller Voraussicht →
/01 2. Ein Revirement des gesetzlich fest‑ geschriebenen Zieldatums 31.12.2022. Kernaufgaben der Verwaltung zu kon‑ zentrieren. Dabei sind es gerade die Kernaufgaben der Verwaltung, welche Ein ehrliches und trans- 3. Eine neue Strategie für die flächen‑ die Digitalisierung nachhaltig und wie‑ parentes Eingeständnis, deckende Einführung der 575 Dienst‑ derkehrend verändern wird. Eine zentrale dass es nicht möglich ist, leistungen und ihre Umsetzung. Aufgabe der obersten Behördenleitungen die ursprünglichen Ziele zu ist es, ihre Organisationen zu dieser Ver‑ erreichen. Wenn Großprojekte in einer komplexen änderung zu befähigen. Organisation nicht funktionieren, liegt das praktisch immer daran, dass ihre Die unzureichende strategische Unterstüt‑ Durchführung nur unzureichend strate‑ zung hat Schwächen beim Management /02 gisch unterstützt wird. Die politische und administrative Leitung in der Verwaltung treibt Digitalisierung nach wie vor als zur Folge. Und diese Management-Schwä‑ chen führen wiederum dazu, dass fach‑ liche Herausforderungen nicht bewältigt Ein Revirement des ge‑ technisches Projektportfolio voran – und werden können. setzlich festgeschriebenen delegiert nicht nur die Umsetzung auf die Zieldatums 31.12.2022. (technische) Fachebene, sondern faktisch Wir sind noch nicht auf dem richtigen auch die administrative Verantwortung Weg. Es wird jedoch höchste Zeit, ihn hierfür. Unter maximaler Kraftanstren‑ jetzt einzuschlagen. • gung verfolgt man mit Großprojekten /03 unrealistische mittelfristige Ziele, um sich im Anschluss wieder auf die eigentlichen 29 Eine neue Strategie für die flächendeckende Einführung der 575 Dienstleistungen und ihre Umsetzung. Boston Consulting Group
IV Was jetzt zu tun ist IV. Was jetzt zu tun ist: Die Strategie für die Digitalisierung konsequent entwickeln – und richtig umsetzen
31 „Wer wagt, gewinnt“ – Doch ebenso wichtig wie Mut und Ent‑ im Rahmen der Daseinsvorsorge. Digi‑ dieses Motto gilt auch für schlossenheit ist es, dass dieser Weg von talisierung soll dabei ein Hilfsmittel Anbeginn durchdacht, reflektiert und sein, zugleich ist sie aber Ausdruck einer die digitale Transformation. mit einer klaren Umsetzungsstrategie umfassenden Transformation. Für diese Die Digitalisierung wird begangen wird. Wenn die Boston Con‑ Transformation ist ein Management gelingen, wenn Politik sulting Group Großprojekte unterstützt, erforderlich – und damit eine politische und Verwaltung die folgen wir einer stringenten Logik: Zuerst und administrative Führung, die die werden von der Leitung der Organisa‑ Transformation verinnerlicht hat und in Herausforderung mit Mut tion Ziele definiert. Im nächsten Schritt der Lage ist, sie zu vermitteln und vor‑ und Entschlossenheit werden diese Ziele in messbare Meilen‑ zuleben. Das ist keine Selbstverständ‑ angehen. steine heruntergebrochen. Abschließend lichkeit. Dafür bedarf es gegebenenfalls wird der Weg zu diesen Meilensteinen mit Qualifizierung, Training und der „Überset‑ konkreten Initiativen gebahnt. Dieser zung“ dessen, was technisch zu leisten ist, Ansatz muss auch bei der Digitalisierung in administrative Führung. Und es bedarf der Verwaltung gelten: Eindeutige und Expert*innen – intern und / oder extern – , messbare Ziele, Meilensteine und die diesen Prozess unterstützen. Initiativen müssen erarbeitet und – das ist ein zentraler Punkt – von der jeweili‑ gen administrativen und politischen Füh‑ rung getragen werden. Und: die Projekte müssen strategisch so geplant und durch‑ geführt werden, dass Fehlentwicklungen schneller korrigiert werden können. Digitalisierung ist nicht der Hauptzweck und nicht das Kerngeschäft der öffent‑ lichen Verwaltung. Die öffentliche Ver‑ waltung hat höchst vielfältige Aufgaben → Boston Consulting Group
IV 01 Digitalisierung muss Was jetzt zu tun ist die Menschen in den Mittelpunkt stellen Digitalisierung ist keineswegs nur oder auch nur gelingen. Zudem erfordert die Digitalisierung eine vorrangig eine Frage der Technik. Nicht die Technik, neue Kultur innerhalb der öffentlichen Verwaltung. sondern der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Bei zahlreichen Digitalisierungsprojekten in der Ver‑ Die Verwaltung in Deutschland ist geprägt durch gangenheit wurde zu 70 Prozent über Algorithmen, einen hohen Qualitätsanspruch und das Streben zu 20 Prozent über Technologie und zu 10 Prozent nach Effizienz. Dies hat zu einer hierarchischen über Menschen gesprochen. Diese Priorisierung ist und funktional-arbeitsteiligen Organisationsstruktur jedoch grundlegend falsch. Die Menschen sind die geführt, in der die Zusammenarbeit durch detaillier‑ wichtigsten Ressourcen eines Unternehmens und te Vorgaben und exakt abgegrenzte Zuständigkeiten ebenso einer Verwaltung – mit ihnen steht oder fällt sichergestellt wird. Diese Organisationsstruktur der Erfolg eines jeden Digitalisierungsprojekts. Den bringt eine Kultur hervor, in der Umsetzungstreue Fokus müssen wir daher umkehren: Wir brauchen und Fehlervermeidung im Vordergrund stehen. Für 10 Prozent Algorithmen, 20 Prozent Technologie – einige der politischen und administrativen Aufgaben und 70 Prozent Menschen. der Verwaltung ist dies ein nach wie vor adäquates Vorgehensmodell. Für die Digitalisierung ist es Die Digitalisierung verändert die Ansprüche, die an jedoch hinderlich. Wo Entscheidungen nicht einer Beamte und Angestellte gestellt werden. Führungs‑ politischen oder administrativen, sondern einer kräfte und Mitarbeitende müssen die Möglichkeit technischen Logik folgen und am besten unter haben, sich besser auf diese Ansprüche einzustellen. agilen Bedingungen getroffen werden, sollte auch Kompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken und eine andere Lösungs- und Fehlerkultur etabliert emotionale Intelligenz sind zentral, um die Art und werden. Auch wenn wir noch so viel Geld in die Weise, wie die Kernaufgaben der eigenen Behörde Digitalisierung investieren: Solange wir nicht bereit erfolgreich bearbeitet werden, nachhaltig verändern sind, Neues zu wagen und dabei auch Fehler zu zu können. Zugleich gewinnen technische Kompe‑ machen, hat die digitale Transformation in diesem tenzen – wie das Beherrschen von statistischen Ana‑ Land keine Chance. lyseinstrumenten und Visualisierungsanwendungen – zunehmend an Relevanz. Nur wenn die Führungs‑ Doch wie lässt sich eine neue, digitalisierungs‑ kräfte und Mitarbeitenden umfassend befähigt freundliche Kultur ermöglichen? Wie bei ähnlichen werden, können innovative Digitalisierungsprojekte Projekten in der Privatwirtschaft müssen wir auch
33 hier eine Sollkultur definieren und Maßnahmen fest‑ sollten bei ihrer Umsetzung nicht auf sich allein legen, mit welchen wir diese umsetzen. Dabei eignen gestellt sein. Deshalb ist es richtig, dass der neue sich manche Sollkulturen besser als andere: Eine CIO der Bundesregierung in seinen 9-Punkte-Plan Kultur, die auf Offenheit, Kreativität und Visionen auch die „Förderung digitaler Kompetenzen“ auf‑ beruht, ist für Digitalisierungsvorhaben adäquater genommen hat. Die benötigten Fähigkeiten sollten als eine Kultur, die auf Ordnung, Hierarchie und mit einer Digitalakademie des Bundes aufgebaut Pflichten basiert. Solche Kulturveränderungen werden. Die Reform der Bundesakademie für öffent‑ sind komplex. Doch sind sie möglich. Sie müssen liche Verwaltung kann hierfür ein vielversprechender nur richtig angegangen werden. Die typische Vor‑ Weg sein. gehensweise bei Bemühungen, eine neue Kultur in Organisationen zu etablieren, besteht darin, auf der Ebene der Mitarbeitenden anzusetzen. Es wird ver‑ sucht, Denkmuster, Prioritäten und Werte zu formen. Darüber sollen Verhaltensweisen etabliert werden, die schließlich die Art der Zusammenarbeit und damit die Kultur des Unternehmens prägen. Dieser Ansatz erweist sich jedoch zumeist als wenig erfolg‑ reich, da er die Verantwortung für die Gestaltung der Kultur letztendlich bei den Mitarbeitenden verortet. Die Methodik von BCG setzt dagegen an den Orga‑ nisationsstrukturen an. Um die Kultur einer Orga‑ nisation nachhaltig zu verändern, muss zuerst der Gesamtkontext der Organisation festgelegt werden. Auf dieser Basis lassen sich dann Verhaltensweisen incentivieren, welche wiederum die Denkmuster, Prioritäten und Werte der Mitarbeitenden prägen. Diese Kulturveränderung ist sehr anspruchsvoll. Sie wird nicht von selbst eintreten, und die Verwaltungen • Boston Consulting Group
02 Digitalisierung muss schneller werden Nur schnelle Erfolge zeigen große Wirkung. Ein zu arbeiten. Die Pilotierung neuer Lösungen auf gutes Digitalisierungsprojekt muss sich daran Teilaspekten eröffnet häufig mehr Spielraum – auch messen lassen, was es in zwölf Monaten erreicht dann, wenn es zunächst zu Misserfolgen kommt. – und nicht in fünf Jahren. Andernfalls ist es weder Denn die Erfolgswahrscheinlichkeit des Digitali‑ strategisch richtig geplant noch sinnvoll in Teilpro‑ sierungsvorhabens insgesamt erhöht sich dadurch. jekte gegliedert. Sichtbare Anfangserfolge, deren Wenn mit einer noch nicht perfekten, aber soliden Nutzen sowohl innerhalb der Verwaltung als auch Lösung unter Fokussierung auf einen Teilaspekt IV für Bürger*innen sowie Unternehmen erkennbar (etwa geografische Region, Teilprozess) der neue ist, sorgen für Akzeptanz und bewirken gleichzeitig Prozess bzw. das damit verbundene neue System Was jetzt zu tun ist den Abbau von Hürden. Sie machen den Weg frei weiter optimiert wird, kann anschließend eine weite‑ für komplexere technische und organisatorische re Ausdehnung auf zusätzliche Nutzergruppen oder Veränderungen – diese sind immer erforderlich, Themen erfolgen. Gelungene Pilotprojekte dienen wenn es um die Anpassung bestehender IT-Groß‑ so als Blaupause und verleihen größeren kritischen systeme im Hintergrund geht. Es ist daher ratsam, Projekten den notwendigen Schub. zu Beginn solche Vorhaben zu priorisieren, die durch vergleichsweise geringe Komplexität gekennzeichnet Die meisten wesentlichen IT-Systeme öffentlicher sind und zugleich den Bürger*innen sowie Unter‑ Verwaltungen wurden noch vor der Jahrtausend‑ nehmen spürbare Vorteile bringen, welche ihnen den wende installiert. Sie sind daher nicht in der Lage, Nutzen der Digitalisierung vor Augen führen. Die die digitalen Anforderungen des 21. Jahrhunderts übergreifende Priorisierung sollte sich demnach am zu erfüllen. Gleichzeitig stellen sie aber den Nu‑ Bürgernutzen und am Umsetzungsaufwand orien‑ kleus der Verwaltungsarbeit dar – mit ihrer Hilfe tieren. In Dänemark oder Estland zum Beispiel hat erfolgen etwa die Zahlung von Sozialleistungen, es sich zudem bewährt, zunächst – soweit möglich die Verwaltung der Personenstandsdaten oder die – kleinere Arbeitspakete bzw. Teilprojekte anzugehen behördeninterne Personalplanung. Im Zuge einer und die größeren Projekte eher auf einen späteren grundlegenden Modernisierung der Verwaltungs‑ Zeitpunkt im Projektverlauf zu legen. Auf diese Weise prozesse ist früher oder später auch die Anpassung entsteht sukzessive ein Gesamtprogramm, bei dem oder Ersetzung dieser Kernsysteme unabdingbar. ein Element auf dem vorangehenden aufbaut und Nur so wird eine durchgängige Digitalisierung der die Organisation kontinuierlich dazulernt. Darüber Verwaltungsprozesse möglich sein. Weltweit sind hinaus empfiehlt es sich, in der Umsetzung zunächst zahlreiche IT-Großprojekte öffentlicher Verwal‑ nicht auf die Vollvariante zu setzen in der Erwartung, tungen gescheitert. Das macht deutlich, dass die dass gleich am ersten Tag alles perfekt funktioniert, Veränderung der Kernsysteme mit großer Behutsam‑ sondern – wo möglich und sinnvoll – auch mit Piloten keit angegangen werden muss. Die beschriebene Modernisierung ist also hochkomplex und mitunter langwierig, aber zwingend erforderlich. Zweckdien‑ lich ist dafür die Erarbeitung einer mehrjährigen Roadmap mit Wellen, die mit vergleichsweise ein‑ fachen, aber wirkungsvollen Maßnahmen beginnen. Parallel zur Überarbeitung und Digitalisierung ein‑ zelner Prozesse gilt es, das IT-Portfolio zu bereinigen, beispielsweise im Hinblick auf Applikationen oder unterschiedliche Standards und Vorgaben. Darüber hinaus sollten auch gemeinsame technische Baustei‑ ne bzw. Module erarbeitet werden, welche künftig in mehreren Prozessen zur Anwendung kommen können (z. B. Bezahlung, Identifikation). Auf Basis dieser bereits etablierten technischen Grundlagen lässt sich dann in den späteren Wellen der Digitali‑ sierung die Geschwindigkeit erhöhen. •
03 Digitalisierung muss schlagkräftiger werden Die Zeit ist reif für ein Bundesdigitalministerium. Dabei wird niemand so realitätsfern sein und annehmen, ein neues Ministerium wäre in der Lage, sämtliche Probleme, welche sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Verwaltung stellen, im Alleingang zu lösen. Die Erfahrungen aus der Ver‑ gangenheit machen jedoch überdeutlich, dass es 35 an einem strategischen Zentrum auf Bundesebene fehlt. Damit ein Digitalministerium seine definierten Ziele, Meilensteine und Initiativen realisieren und so einen tatsächlichen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen kann, muss es über einen geeigneten inhaltlichen Zuschnitt, ausreichende finanzielle Mittel, weitrei‑ chende administrative Befugnisse sowie ein hohes Maß an politischer Entscheidungsmacht verfügen. Ein Bundesdigitalministerium muss der Eigner der Digitalisierung aller relevanten Verwaltungsprozesse in der Bundesverwaltung sein, und es muss die Digi‑ talisierung in den anderen fachlichen Ministerien unterstützen. Ein eigenständiges Ministerium kann tiefgreifende Prozessveränderungen erwirken, Synergien ermög‑ lichen und Kompetenzen bündeln, wenn es auch einen starken nachgeordneten Bereich hat – mit einer nationalen Digitalisierungsagentur. Das zeigen nicht zuletzt auch Erfahrungswerte aus dem Ausland. Ob Österreich, Australien, Schweden oder Dänemark: eine Vielzahl an Ländern haben in den letzten Jahren dedizierte Digitalisierungsbehörden geschaffen 11 – und teils beeindruckende Resultate erzielt: Mit der 2011 gegründeten dänischen Digitali‑ sierungsagentur konnte beispielsweise die dänische Regierung die Bearbeitungszeit von Anträgen durch Behörden um 30 Prozent senken und die Prozess‑ transparenz um 96 Prozent erhöhen. Es verwundert daher kaum, dass heute rund 70 Prozent aller Behör‑ dengänge in diesem Land online möglich sind – mehr als in jedem anderem OECD-Staat. Der Aufbau einer Digitalagentur war bereits im Koalitionsvertrag für die noch laufende Legislaturperiode vorgesehen. Spätestens in der nächsten Legislatur gilt es nun, nicht nur ein schlagkräftiges Digitalministerium aufzustellen, sondern diesem auch einen nachge‑ ordneten Bereich zu verschaffen, der Arbeitsfähig‑ keit für die Realisierung der großen Digitalvorhaben herstellt. • Boston Consulting Group
V Winning the 20s – Den Wandel proaktiv gestalten V. Winning the 20s – Den Wandel proaktiv gestalten
37 Digitale Transformation ist Ziel sind agile Organisationen, die Deutschland hat anerkanntermaßen weit mehr als ein IT-Projekt. auf flachen Hierarchien und funktions‑ eine der besten Verwaltungen der Welt – übergreifender Zusammenarbeit beru‑ bisher. Das Vertrauen der Bürger*innen Soll die Digitalisierung hen, und ein Führungsstil, der klare in die Integrität staatlichen Handelns ist signifikante Verbesserungen Visionen und Zielsetzungen entwickelt bei uns überdurchschnittlich hoch – noch. erbringen, sind und vermittelt sowie die Befähigung und Für die analoge Welt sind diese Aussagen umfangreiche Anpassungen Eigenverantwortung der Teams fördert. gültig. Die allzu schleppenden Fortschrit‑ Automatisierung, Standardisierung und te bei der Digitalisierung der Verwaltung der Arbeitsabläufe und Prozessverschlankung sind Schlagworte, drohen beides – die hohe Qualität Strukturen erforderlich. die bei vielen Mitarbeitern Ängste aus‑ der Verwaltung und das Vertrauen der Dies macht ein umfassendes lösen können. Prozesse und Organisa‑ Bürger*innen in ihre Regierung – zu ver‑ Veränderungsmanagement tionen müssen zum Teil grundlegend spielen. Ohne digitale Transformation ist verändert werden, und bereits der Weg die Verwaltung nicht zukunftsfähig. Dies notwendig. Digitalisierung dorthin erfordert eine neue Art des Den‑ hat der BCG Digital Government Citizen muss daher von Anfang an kens und Arbeitens. Hier ist die Kommu‑ Survey 2020 gezeigt. Es ist höchste Zeit Chefsache sein. nikation – wie in allen Change-Prozessen zum Handeln. Dann – und nur dann – – mehr als bloßes Beiwerk. Mit offener gewinnt Deutschland die zwanziger Jahre. und transparenter Information und Betei‑ ligung können Verwaltungen allfälligen Missverständnissen entgegenwirken. • Boston Consulting Group for [Name of Company]
VI Methodik VI. Methodik
39 Der BCG Digital Government Die Stichprobengröße ist seit 2012 Citizen Survey wird seit 2012 von 9.000 auf 24.500 Bürger*innen gestiegen. Die Zahl der teilnehmenden alle zwei Jahre durchgeführt, Länder hat sich von neun auf 36 erhöht. 2020 also zum fünften Mal. Deutschland gehört seit 2016 dazu. 2016 lag der spezielle Fokus auf Datenschutz und -sicherheit, 2018 auf dem KI-Ein‑ satz in Behörden, 2020 auf der Korrela‑ tion zwischen Dienstebereitstellung und Vertrauensbasis. → Boston Consulting Group for [Name of Company]
BCG befragte 24.500 Internetnutzer*innen in 36 Ländern zu ihrer Nutzung digitaler Kanäle für Behördendienste 12 Grün gekennzeichnete Länder sind seit der Studie von 2016 neu hinzugekommen. VI Methodik Offices in 36 Länder Kanada Chile Befragte Internetnutzer*innen USA Argentinien 24.500
Norwegen Österreich Ukraine China Schweden Schweiz Kasachstan Hongkong Niederlande Polen Indien Südkorea UK Dänemark Bangladesch Japan Frankreich Estland Russland Deutschland 41 Marokko Saudi-Arabien Malaysia Australien Nigeria Katar Indonesien Neuseeland Kenia VAE Singapur Südafrika Boston Consulting Group
Die demografische Stichprobe in Deutschland verteilt sich wie folgt Befragte nach Altersgruppen 23 % 22 % 20 % 35 % VI 18 – 34 Jahre 35 – 49 Jahre 50 – 59 Jahre 60 plus Methodik Befragte nach Urbanität 22 % 34 % 21 % 23 % Städtisch Vorstädtisch Stadt Ländlich und oder Kleinstadt abgelegen Befragte nach Geschlecht Weiblich 51 % 49 % Männlich
Befragte nach Beschäftigungsstatus 44 % 14 % 7 % 43 Vollzeit Teilzeit Selbstständig 4 % 25 % 6 % Studierend Ruhestand Ohne Beschäftigung Boston Consulting Group
Anmerkungen Stocksmeier, Dirk / Hunnius, Sirko, OZG-Umsetzungs‑ 1 9 N ationaler Normenkontrollrat, Monitor Digitale Verwaltung katalog: Digitale Verwaltungsleistungen im Sinne des #4, September 2020, S. 3. Onlinezugangsgesetzes, 2018, S. 17 ff. Anmerkungen 10 E s ist zumindest irritierend, wenn sich im BMI-Dashboard 2 S tocksmeier, Dirk / Hunnius, Sirko, OZG-Umsetzungs‑ unter dem Thema „Umsetzungsfortschritt der OZG-Leis‑ katalog: Digitale Verwaltungsleistungen im Sinne des tungen“ folgende – offenbar neue – Definition findet: Onlinezugangsgesetzes, 2018, S. 21. „Eine OZG-Leistung gilt als online, wenn mindestens eine zugehörige Verwaltungsleistung den Reifegrad 2 erreicht (und im Digitalisierungsprogramm einer Kommune 3 Initiative D21 (Hrsg.), eGovernment MONITOR 2020, verfügbar ist).“ Oktober 2020, S. 14. 11 Ö sterreich hat 2018 ein eigenes Digitalministerium 4 BCG Digital Government Citizen Survey 2020. geschaffen – Australien, Schweden und Dänemark verfügen über governmental agencies für Digitalisierung. 5 BCG Digital Government Citizen Survey 2020. Zum Vergleich der nationalen E-Government-Strategien von Dänemark und Deutschland s. die jüngste Studie des NEGZ: 6 BCG / Salesforce-Studie → The Trust Imperative für → https://negz.org/wp-content/uploads/2020/12/ Australien und Neuseeland. NEGZ-Kurzstudie-12-Nationale-E-Government-Strate‑ gien-2020.pdf 7 BCG Digital Government Citizen Survey 2020. 12 BCG Digital Government Citizen Survey 2020. 8 Die BCG-Studie Die Verwaltung als Gewinnerin der Corona-Krise? Ergebnisse der Befragung von Führungskräften im öffentlichen Sektor hat ergeben, dass 43 Prozent der Befragten meinen, die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung habe sich in der COVID-19-Krise sogar erhöht. Aber nur die Hälfte aller Institutionen hatte vor der Pandemie überhaupt einen Notfallplan für Ausnahmesituationen. Zugleich hat die Krise die aktuellen Defizite bei der digitalen Einsatzbereitschaft und bei der Arbeitsorganisation wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. → https://www.bcg.com/de-de/pspa-studie
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