Diabetes, Hypertonus und Luftnot
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Diabetes, Hypertonus und Luftnot Sie übernehmen von einem ärztlichen Kollegen einen stark übergewichtigen Patienten. Seit vielen Wochen habe er schon bei leichtester Anstrengung mit starker Luftnot und Schweißausbrüchen zu kämpfen. Zielgruppe Allgemeinmediziner, Internisten, kardiologische interessierte Ärzte Lernziele • EKG-Zeichen der KHK • Klinische Besonderheiten bei Angina pectoris und Diabetes mellitus • Koronare Herzkrankheit: Epidemiologie, Risikofaktoren, PROCAM-Score • Angina pectoris: CCS-Score • Diabetes mellitus und KHK Autoren Maximilian v. Karais Albertinen-Herzzentrum Hamburg © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 2 1. Anamnese Sie übernehmen von einem ärztlichen Kollegen einen sehr adipösen Patienten in Ihre All- gemeinarztpraxis. Schnaufend betritt er das Sprechzimmer und senkt sich auf den Patien- tenstuhl. Seit vielen Wochen habe er schon bei leichtester Anstrengung mit starker Luftnot und Schweißausbrüchen zu kämpfen. Zuvor sei er immer leistungsfähig gewesen. Seit sieben Jahren ist eine mit Insulin behandelte Zuckerkrankheit bekannt, außerdem eine arterielle Hypertonie, die sich offenbar nur leidlich einstellen lässt. Mit der Frage nach Beschwerden im Brustkorb kann der Patient wenig anfangen: Solche Probleme kenne er nicht. Ein EKG legt den Verdacht auf eine bislang unerkannte Grunderkrankung nahe. 2. Untersuchungsbefund • 55 Jahre alter Patient, Adipositas permagna, indolent wirkende Persönlichkeit. • Herz: Herztöne rein und regelmäßig, Frequenz etwa 50/min, • Lunge: auskultatorisch frei. • RR 185/100 mmHg. 3. Fragen 1. Wie interpretieren Sie den EKG Befund? 2. Was ist ein Pardee-Q? Welche anderen EKG-Zeichen einer KHK sind bedeutsam (außer solchen einer akuten Myokardischämie)? 3. Was ist bei einem langjährigen Diabetes mellitus im Hinblick auf Angina-pectoris- Beschwerden zu beachten? 4. Wie interpretieren Sie die Symptomatik bei dem Patienten des vorliegenden Falls? 5. Kennen Sie ein paar Zahlen und Fakten zur Epidemiologie der KHK? 6. Gehen Sie mit einigen Worten auf die wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer KHK ein. 7. Kennen Sie den PROCAM-Algorithmus zur Abschätzung des Herzinfarkt-Risikos? 8. Erläutern Sie die Schritte einer koronaren Stufendiagnostik. 9. Wie wird die stabile Angina pectoris üblicherweise in klinische Stadien eingeteilt? 10. Welche Aspekte sind bei der bedeutsamen Konstellation „KHK plus Diabetes mellitus“ besonders wichtig? © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 3 4. EKG-Interpretation Sinusbradykardie, Herzfrequenz etwa 50/min, Linkslagetyp, Zeiten in der Norm, negative T-Welle und Pardee-Q in II, III, aVF, Erregungsrückbildung sonst unauffällig. SpecialChar_Roman_8pt SpecialChar_Ro SpecialCar_Roman_6pt SpecialCar_Roman_ SpecialChar_Bold_8pt SpecialChar_B SpecialChar_Bold_6pt SpecialChar_Bold_ I V1 II V2 III V3 aVR V4 aVL V5 aVF V6 F19a F19b Abb.: EKG 5. Das Pardee-Q und weitere KHK-Zeichen im EKG Das physiologische „Q“ entsteht in den Ableitungen V5 und V6 physiologisch als Folge der Septumerregung; daher wird es auch als „septales Q“ bezeichnet. Daneben gibt es das pathologische Pardee-Q, das manchmal als einziges EKG-Zeichen eines abgelaufenen Myokardinfarkts zurückbleibt. Sicherstes Kriterium für ein pathologisches Q ist eine Breite > 40 ms (2 mm bei 50 mm/s). Häufig wird auch eine Amplitude von 30–50% der zugehörigen R-Zacke gefordert. Bei einer bestehenden KHK sind weitere EKG-Zeichen z.B. • negative T-Wellen, • ein Verlust der R-Progression über den Brustwandableitungen und • indirekt auch in manchen Fällen ein Schenkelblock oder • Rhythmusstörungen wie z.B. vermehrte ventrikuläre Extrasystolen oder Vorhofflim- mern bzw. Vorhofflattern. © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 4 6. Diabetes mellitus und Angina pectoris Bei einem langjährigen Diabetes mellitus besteht durch den gestörten Glukosemetabo- lismus oft eine Polyneuropathie, die nicht nur die peripheren Nerven der Extremitäten, sondern auch die Innervation des Herzens beeinträchtigt. Daher kann ein Diabetiker oft keine typische Angina pectoris in Form von Thoraxbeschwer- den wahrnehmen, sondern ausschließlich begleitende Symptome wie Dyspnoe und Kalt- schweißigkeit als so genanntes Angina-Äquivalent. Nicht selten wird ein stumm abgelaufener Myokardinfarkt erst Jahre später in der Echokar- diografie oder im EKG festgestellt, so wie im vorliegenden Fall. 7. Klinische Symptomatik und Interpretation in vorliegendem Fall Bei diesem Patienten kann in der Zusammenschau der Befunde und nach Kenntnis des EKGs mit einiger Sicherheit eine koronare Herzkrankheit (KHK) vermutet werden, min- destens im Zustand eines abgelaufenen Myokardinfarkts. Möglicherweise hat dieser zu einer sogenannten „ischämischen Kardiomyopathie“ geführt, die sich nun verschlechtert und durch abgenommene linksventrikuläre Ejektionsfraktionen zu einer Herzinsuffizienzsymptomatik geführt hat. Es ist auch denkbar, dass hinter den durch den Diabetes maskierten Angina-Äquivalenten neue hämodynamisch relevante Koronarstenosen stecken. Eine koronare Stufendiagnos- tik ist daher dringend angezeigt. 8. KHK: Epidemiologie In den Industrienationen der sogenannten westlichen Welt stellt die KHK mit ihren Folge- erkrankungen und Komplikationen mit Abstand die häufigste Todesursache dar. Die Wahrscheinlichkeit, an einer KHK zu erkranken, liegt in diesen Ländern für Männer bei ca. 30% und für Frauen bei ca. 15%. Die Inzidenz über alle Altersklassen hinweg wird mit ca. 0,6% pro Jahr angegeben, mit deutlich steigender Tendenz im höheren Alter. Somit ist die koronare Herzerkrankung eine eminente gesamtgesellschaftliche und nicht zuletzt gesundheitspolitische Herausforderung. 9. KHK: Risikofaktoren Die Risikofaktoren für die Ausbildung einer KHK sind gut untersucht und weithin bekannt: Im Einzelnen sind dies • Nikotinkonsum (hier gibt es keine unteren Schwellenwerte), • arterielle Hypertonie (ab 125 mmHg systolisch und 85 mmHg diastolisch), © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 5 • Fettstoffwechselstörungen und im engeren Sinn Dyslipoproteinämie (Triglyzeride über 100 mg/dl, LDL über 100 mg/dl, HDL unter 35 mg/dl), • Adipositas (ab BMI von 25 kg/m2), • Diabetes mellitus, • positive kardiovaskuläre Familienanamnese, • Lebensalter, • männliches Geschlecht, • Bewegungsmangel, • Stress und • psychosoziale Faktoren. Die Steigerung des kardiovaskulären Risikos erfolgt dabei durch synergistisch überpro- portionales Zusammenwirken der einzelnen Faktoren. Am stärksten verantwortlich für Morbidität und Mortalität sind der • Diabetes mellitus (2,5fach erhöhtes Risiko), • der Nikotinkonsum (2,5fach erhöhtes Risiko, abhängig von den Packyears), • die arterielle Hypertonie (lineare Korrelation zwischen Blutdruckwerten und Risiko) und • die Hypercholesterinämie (LDL wirkt atheromatös, HDL intimaprotektiv). 10. PROCAM-Algorithmus Das PROCAM-System geht auf die PROCAM-Studie zurück, die seit 1979 durchgeführt wird (Prospektive Cardiovaskuläre Münster-Studie). Mit dem PROCAM-Score kann das Risiko für einen innerhalb von zehn Jahren zu erlei- denden Herzinfarkt abgeschätzt werden (http://www.assmann-stiftung.de/stiftungsinstitut/ procam-tests/procam-schnelltest-score/). Von der International Task Force for Prevention of Coronary Heart Disease steht ein interaktiver Risiko-Kalkulator im Internet zur Verfügung: http://www.chd-taskforce.de/ procam_interactive.html. 11. KHK: Stufendiagnostik Der erste Schritt der koronaren Stufendiagnostik ist das Belastungs-EKG: Dabei wird der Patient unter kontinuierlicher EKG-Aufzeichnung z.B. auf einem Fahrrad-Ergometer belas- tet. Treten als Folge von Koronarstenosen Durchblutungsstörungen auf, äußert sich dies in so genannten Endstreckenveränderungen, also in Veränderungen im Bereich der ST- Strecken und der T-Wellen. Im klassischen Sinn treten reversible ST-Strecken-Senkungen auf. Auch belastungsinduzierte Herzrhythmusstörungen wie AV-Blockierungen, aber auch Schenkelblockierungen oder ventrikuläre Extrasystolen geben Hinweise auf eine KHK. © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 6 Bei der Stressechokardiografie stellen sich unter Belastung regionale Wandbewegungs- störungen dar, die in Ruhe nicht erscheinen. Die Belastung kann durch Pedalbewegungen im Liegen oder medikamentös induziert werden (z.B. mit Dobutamin). Die Myokardszintigrafie kann eine radiologisch messbare Minderperfusion bestimmter Myokardareale unter Stress aufdecken. Diese Untersuchung weist allerdings eine relativ niedrige Spezifität bei verhältnismäßig hoher Sensitivität auf, so dass die größte diagnos- tische Sicherheit hier bei einem Patientenkollektiv von mittlerer Prävalenz der KHK erzielt wird. Der Goldstandard der Koronardiagnostik mit hoher Spezifität und hoher Sensitivität unter Anwendung durch einen erfahrenen Untersucher ist die im klinischen Alltag längst etab- lierte Koronarangiografie: Über eine periphere Arterie wird ein Führungskatheter bis in die Öffnungen der Koronarien platziert. Dort kann in die Gefäße Kontrastmittel injiziert werden. Unter Durchleuchtung werden die Kontrastmittelflüsse in den Herzkranzgefäßen sichtbar und Stenosen können mit hoher Genauigkeit dargestellt werden. 12. Stabile Angina pectoris: CCS-Score Von der Canadian Cardiovascular Society ist eine im Alltag praktikable Stadieneinteilung der stabilen Angina pectoris vorgelegt worden, der CCS-Score (www.ccs.ca): Stadium Definition CCS 0 Stumme Ischämie ohne jegliche Symptomatik CCS I Symptomatik nur unter schwerer körperlicher Belastung CCS II Geringe Beschwerden bei normaler körperlicher Aktivität CCS III Erhebliche Beschwerden bei normaler körperlicher Aktivität CCS IV Beschwerden unter geringer körperlicher Belastung bzw. in Ruhe 13. KHK und Diabetes mellitus Bei der häufigen und klinisch, therapeutisch und prognostisch bedeutsamen Konstellation einer KHK und eines Diabetes mellitus spielen folgende Kriterien eine zentrale Rolle: • Im Hinblick auf die Prognose ist ein manifester Typ-2-Diabetes einer ebenfalls mani- festen kardiovaskulären Erkrankung gleichzusetzen. Die prognostische Rate an Er- eignissen pro Jahr beträgt über 2%. Nach einem Myokardinfarkt wird durch stringente Einhaltung der Normoglykämie die Morbidität und Letalität signifikant gesenkt. Es gibt Hinweise auf pleiotrop kardioprotektive Effekte bei der niederschwellig einzuset- zenden antidiabetischen Substanz Metformin. Selbstverständlich sollten koexistente Risikofaktoren mit Nachdruck therapiert werden, um einer Progression der Arterio- sklerose zu begegnen. • Die Blutglukose sollte nüchtern zwischen 80 und 120 mg/dl liegen, der HbA1c un- ter 6,5%; unter solcher Einstellung kann ein peri- und postinterventioneller Verlauf günstig beeinflusst werden. Außerdem wirken in der Nähe der Norm liegende Blut- zuckerwerte präventiv im Hinblick auf das Fortschreiten der Arteriosklerose und den diabetestypischen Endorganschäden. © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 7 14. Zusammenfassung • Elektrokardiografische Zeichen einer KHK (abgesehen von akuter Myokardischämie) können beispielsweise sein: Pardee-Q, negative T-Wellen, fehlende R-Progression, Schenkelblockierungen, ventrikuläre Extrasystolen, Vorhofflimmern, Vorhofflattern. • Bei langjährig bestehendem Diabetes mellitus sind durch die Polyneuropathie auch der kardialen Innervation häufig die typischen Angina-Symptome so weit maskiert, dass sogar manifeste Myokardinfarkte unbemerkt ablaufen können. • In den Industrienationen der sogenannten westlichen Welt stellt die KHK mit ihren kon- sekutiven Erkrankungen und Komplikationen mit Abstand die häufigste Todesursache dar. Die koronare Herzerkrankung ist dadurch eine eminente gesamtgesellschaftliche und gesundheitspolitische Herausforderung. • Die Steigerung des kardiovaskulären Risikos erfolgt dabei durch synergistisch über- proportionales Zusammenwirken der einzelnen bekannten Risikofaktoren. Die bedeu- tendsten Risikofaktoren sind der Diabetes mellitus, die arterielle Hypertonie, der Niko- tinkonsum und die Hypercholesterinämie. • Das prozentuale Risiko für einen innerhalb von zehn Jahren zu erleidenden Herzinfarkt kann im klinischen Alltag simpel mit dem PROCAM-Score anhand einer Punktevergabe für die einzelnen Risikofaktoren kalkuliert werden. Der CCS-Score ist eine im Alltag praktikable Stadieneinteilung der stabilen Angina pectoris. • Wichtigster Bestandteil einer kardialen Stufendiagnostik ist ein Belastungs-EKG; weite- re Bausteine sind etwa die Stress-Echokardiografie und die Stress-Myokardszintigrafie. Die diagnostische Klärung mit der höchsten Genauigkeit erfolgt mit dem Goldstandard der Koronarangiografie. • In der Nähe der Norm liegende Blutzuckerwerte wirken präventiv im Hinblick auf das Fortschreiten der Arteriosklerose und den diabetestypischen Endorganschäden. Nach prognostischen Gesichtspunkten ist ein manifester Typ-2-Diabetes einer manifesten kardiovaskulären Erkrankung gleichzusetzen. 15. Literatur • Trautmann N, v. Karais M: Die 50 wichtigsten Fälle: EKG, 1. Auflage, Elsevier-Verlag München (2010). • Yalcin M, Kardesoglu E, Aparci M, Isilak Z, Uz O Yiginer O, Ozmen N, Cingozbay BY, Uzun M, Cebeci BS. Cardiovascular risk scores for coronary atherosclerosis. Acta Car- diol. 2012 Oct; 67(5):557–63. • De la Hera JM, García-Ruiz JM, Martínez-Camblor P, Martín M, Tellería AL, Corros C, Torres F, Fernández-Cimadevilla OC, Alvarez-Pichel I, Capín E, Avanzas P, Delgado E. Real incidence of diabetes mellitus in a coronary artery disease population. Am J Car diol. 2013 Feb 1; 111(3):333–8. • Assmann G, Schulte H, Seedorf U. Cardiovascular risk assessment in the metabolic syndrome: results from the Prospective Cardiovascular Munster (PROCAM) Study. Int. J. Obes. 2008; 32: S11-S16. © 2013 Elsevier GmbH, München
Polamidon und Übelkeit Seite 8 • Kahan T, Forslund L, Held C, Björkander I, Billing E, Eriksson SV, Näsman P, Rehnqvist N, Hjemdahl P. Risk prediction in stable angina pectoris. Eur J Clin Invest. 2013 Feb; 43(2):141–51. • McLellan A, Prior D. Cardiac stress testing – stress electrocardiography and stress echocardiography. Aust Fam Physician. 2012 Mar; 41(3):119–22. ELSEVIER PROFESSIONAL SOLUTIONS Hackerbrücke 6 80335 München professional-solutions@elsevier.de © 2013 Elsevier GmbH, München
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