Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland

 
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Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-
störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen
in der ambulanten Versorgung in Deutschland
Teil 1 - Entwicklung der Diagnose- und
Medikationsprävalenzen von ADHS
zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich
Hering R • Schulz Mandy • Wuppermann A* • Bätzing-Feigenbaum J
*Volkswirtschaftliche Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München

Abstract

Hintergrund:
Seit vielen Jahren bildet die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ein Thema von
großem Interesse. Nationale und internationale Studien berichten immer wieder von steigenden Diag-
nosezahlen und Verordnungen von Methylphenidat (bekanntester Handelsname: Ritalin). Jedoch sind
die Ergebnisse unterschiedlicher Studien auf Grund verschiedener Datengrundlagen und Einschluss-
kriterien oft nur eingeschränkt miteinander vergleichbar. Ambulante Abrechnungsdaten sowie Arznei-
verordnungsdaten der Jahre 2008 bis 2011 bieten hier eine alternative Möglichkeit, die Entwicklung
von Diagnostik und Medikation auf Basis einer einheitlicher Datengrundlagen über einen Vierjahres-
zeitraum zu beobachten.

Methodik:
Im Analysezeitraum von 2008 bis 2011 werden aus bundesweiten, kassenübergreifenden ambulanten
Abrechnungsdaten der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Kinder und Jugendliche zwischen 5
und 14 Jahren mit mindestens zweimaliger gesicherter Kodierung von ADHS (ICD-10-Code: F90 „Hy-
perkinetische Störungen“) in unterschiedlichen Quartalen eines Jahres als ADHS-Patienten identifiziert.
Diagnoseprävalenzen von ADHS pro Jahr werden auf Basis der in den Abrechnungsdaten enthaltenen
Patienten auf KV- und Kreisebene berechnet. Die ebenfalls bundesweit und kassenübergreifend vorlie-
genden Arzneiverordnungsdaten desselben Zeitraumes werden herangezogen, um Verordnungen von
Methylphenidat (ATC-Code = N06BA04) und Atomoxetin (ATC-Code = N06BA09) bei 5- bis 14-Jährigen
zu extrahieren. Bezogen auf alle Patienten zwischen 5 und 14 Jahren bzw. auf diejenigen mit ADHS
wird die Anzahl der verordneten Packungen, das Verordnungsvolumen (in DDD = Defined Daily Dose)
und die Zahl der Patienten mit mindestens einer Verordnung nach KV-Bereichen bestimmt.

Ergebnisse:
Im Untersuchungszeitraum 2008 bis 2011 wird für Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 14 Jahren
ein Anstieg der ADHS-Diagnoseprävalenz von 3,7% auf 4,4% beobachtet. Jungen sind gut dreimal so
häufig betroffen wie Mädchen. Das Verordnungsgeschehen ist bis 2010 leicht zunehmend und danach
in 2011 leicht rückläufig. Die rückläufige Tendenz ist bezogen auf die ADHS-Patienten deutlicher als in

Korrespondierender Autor: Ramona Hering
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland
Herbert-Lewin-Platz 3 - 10623 Berlin - Tel. (030) 4005-2407 - E-Mail: rhering@zi.de
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland
Bezug auf alle Kinder. 2011 wird bei ADHS-Patienten ein Verordnungsgeschehen z.T. unter dem Niveau
von 2008 erreicht. Sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Medikation gibt es deutliche Unter-
schiede zwischen den KV-Bereichen. Tendenziell höhere Diagnoseprävalenzen zeigen sich in südöstli-
chen Bundesländern sowie in Rheinland-Pfalz. Eher niedrigere Werte weisen Hamburg, Bremen und
Hessen auf. Diese räumlichen Muster spiegeln sich nur z.T. in der Medikation wider. Bezogen auf alle
Kinder findet sich ein geringeres Verordnungsgeschehen im Nordosten sowie in Bremen und Hessen,
ein höheres in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und in Bayern. Bezogen auf die ADHS-
Patienten ist im Bereich der neuen Bundesländer tendenziell ein geringeres Verordnungsgeschehen zu
beobachten als in den alten Bundesländern.

Diskussion:
Anhand der vorliegenden Untersuchung kann nicht ausgeschlossen werden, dass die leicht steigende
Diagnoseprävalenz trotz strenger Einschlusskriterien durch einen steigenden Anteil falsch positiver
Diagnosen beeinflusst wird. Andererseits lassen die Ergebnisse im Vergleich zu anderen, vor allem in-
ternationalen Studien auch den Schluss zu, dass sogar eine Unterdiagnose der ADHS vorliegen könnte.
Das seit 2010 etwas zurückgehende Verordnungsgeschehen könnte mit den im Jahr 2010 geänderten
Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss zur Beschränkung von Methylphenidat-
verordnungen zusammenhängen. Jedoch bedarf es einer weiterführenden Betrachtung im Zeitver-
lauf, um zu beurteilen, ob sich der beobachtete Trend fortsetzt. Zur Klärung der räumlichen Unter-
schiede sind weitere Studien angebracht. So könnte zum Beispiel untersucht werden, inwieweit die
Verfügbarkeit von Kinder- und Jugendpsychiatern, sozioökonomische Faktoren oder auch vorhandene
ADHS-Verträge zwischen KV-Bereichen und Krankenkassen die Diagnostik und Medikation von ADHS
beeinflussen.
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

                                                           Deutschland vor, die Gültigkeit ist aktuell jedoch
 Hintergrund
                                                           abgelaufen [6]. Eine aktualisierte Version soll im
                                                           Dezember 2014 vorliegen. Außerdem gibt es seit
 Seit vielen Jahren steht die sogenannte Aufmerk-          2001 Leitlinien für die ADHS der „Arbeitsgemein-
 samkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)            schaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V.“,
 kontinuierlich im Interesse der Öffentlichkeit            die zuletzt im März 2014 aktualisiert wurden [7].
 und wird in den Medien immer wieder in unter-
 schiedlicher Intensität thematisiert. Beispielhaft        Der Bericht der Bundesärztekammer [5] äußer-
 sei hier nur ein Bericht in „Spiegel online“ ange-        te sich auch zur Epidemiologie und wies auf die
 führt, der am 12.7.2012 im Zusammenhang mit               unterschiedlichen Prävalenzen hin, die sich auf-
 der Neuerscheinung des internationalen psychi-            grund unterschiedlicher Datengrundlagen erge-
 atrischen Standardwerks „Diagnostic and Stati-            ben. Wurde die weiter gefasste Definition des
 stical Manual of Mental Disorders“ der „Ameri-            US-amerikanischen DSM-IV [1] genutzt, ergaben
 can Psychiatric Association“ (die neue Version            sich in der Altersgruppe 4-17 Jahre gemäß inter-
 DSM-5 löst die Vorgängerversion DSM-IV ab                 nationalen Studien aus den Jahren 1996 bis 2004
 [1,2]) folgendes schreibt: „(…) Als der Vorgänger         Prävalenzen der ADHS zwischen 2% und 7%.
 DSM-4 1994 erstmals die kindliche Aufmerksam-             Wurden die strenger gefassten Kriterien der ICD-
 keitsstörung ADHS auflistete, löste das eine Epi-         10 [8] zugrunde gelegt, ergab sich für das Jahr
 demie aus. ‚Häufig haben allerdings Kinder den            2000 in Großbritannien eine Prävalenz von 1 bis
 Stempel ‚ADHS‘ erhalten, die sich schlicht zu we-         2% [5]. Eine erste interviewbasierte Studie des
 nig bewegt haben. Jeden Tag mit Auto zur Schu-            Robert Koch-Instituts (RKI) im Rahmen des Kin-
 le gefahren werden, dann dort mehrere Stunden             der- und Jugendsurveys hatte 2002 eine mittle-
 still sitzen und nachmittags zu Hause vor dem             re Prävalenz der ADHS in Deutschland von 3,9%
 Fernseher: Logisch platzt irgendwann der natür-           ergeben [9]. In einer Untersuchung von AOK-
 liche Bewegungsdrang heraus‘, sagt der Psycho-            Versicherten in Hessen wurde in 2007 im Alter
 loge Hans-Ulrich Wittchen von der TU Dresden.             bis 18 Jahre eine Prävalenz der ADHS von 2,2%
 Genauere Beispiele, welche Verhaltensweisen               gefunden. Im Vergleich zu Voruntersuchungen
 etwa unter das Kriterium ‚Aufmerksamkeits-                aus 2000 war dies ein Anstieg um 45%. Die Zu-
 mangel‘ zu zählen sind und exaktere Formulie-             nahme der Diagnosen war bei Mädchen stärker
 rungen im DSM-5 sollen die Flut von voreiligen            ausgeprägt als bei Jungen [10].
 Diagnosen eindämmen (...)“[3]. Die Angaben in
„Spiegel online“ sind nicht ganz korrekt. Denn be-         In 2008 veröffentlichte das RKI weitere Präva-
 reits in den Vorgängerversionen DSM-II (1968)             lenzdaten für Deutschland, die noch höher lagen.
 gab es mit der „Hyperkinetic reaction of child-           Im Alter von 3-17 Jahren lag die Prävalenz im
 hood“ und im DSM-III (1980) mit der „Attention            Durchschnitt bei 4,8% der Kinder und Jugendli-
 deficit disorder with and without hyperactivity“          chen, bei denen jemals ärztlich oder psychothe-
 entsprechende Erkrankungsentitäten [4]. Beein-            rapeutisch eine ADHS diagnostiziert worden war.
 flusst durch die Medienresonanz wuchs jedoch              Dazu kam bei 4,9% die Verdachtsdiagnose einer
 auch das Interesse der Gesundheitspolitik und             ADHS [11]. Die Prävalenz war im Alter von 11-
 der Fachöffentlichkeit an der ADHS und den sich           13 Jahren mit 7,1% am höchsten und das Risiko
 ergebenden Implikationen.                                 für Jungen mit einer OR von 4,8 im Vergleich zu
                                                           Mädchen deutlich erhöht [11]. Nach der Basiser-
In 2005 trug die Bundesärztekammer (BÄK) die-              hebung in 2003-2006 erfolgte in 2009-2012 die
ser Entwicklung Rechnung und veröffentlichte               erste Folgebefragung in dieser KIGGS genannten
auf Empfehlung ihres Wissenschaftlichen Beirats            Langzeitstudie des RKI zur gesundheitlichen Lage
eine Stellungnahme zur Aufmerksamkeitsdefizit-             der Kinder und Jugendlichen in Deutschland.
/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die ausführlich            Über die Zeit ließ sich keine bedeutsame Ver-
zu Definition und Klassifikation, Diagnostik und           änderung in der Gesamthäufigkeit psychischer
Differentialdiagnose, Therapie und Versorgung,             Auffälligkeiten nachweisen, deren Prävalenz sich
Verlauf und Prognose Stellung bezog und auch               bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3-17
zukünftigen Forschungsbedarf identifizierte [5].           Jahren mit zunächst 20,0% und 20,2% in der Fol-
Leitlinien der zuständigen Fachgesellschaften zu           gebefragung als sehr stabil erwies [12]. Auch be-
Diagnose und Therapie hyperkinetischer Störun-             züglich der ADHS ergab sich in KIGGS zwischen
gen, zu denen die ADHS zu zählen ist, liegen in            der Basiserhebung (4,8%; altersadjustiert 5,4%)

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  3
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen in der ambulanten Versorgung in Deutschland
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

und der ersten Folgeerhebung (5,0%) keine sig-             Impulsivität umfassen, allerdings anamnestisch
nifikante Prävalenzänderung [13]. In einer Me-             das Vollbild der ADHS erfüllt haben müssen [17].
taanalyse, in die nach systematischer Literatur-           Der Subtyp mit Aufmerksamkeitsstörung ist am
recherche insgesamt 86 internationale Studien              häufigsten und es gibt Hinweise darauf, dass
aus den Jahren 1994 bis 2010 zur ADHS im Kin-              beim kombinierten Typ öfter eine stationäre Be-
des- und Jugendalter und 11 Studien im Erwach-             handlung erforderlich wird [14]. In einer Unter-
senenalter eingingen, ergaben sich unabhängig              suchung anhand bundesweite verfügbarer Diag-
vom methodischen Ansatz (Elternbefragung,                  nosedaten von Krankenhauspatienten aus 2003
Lehrerbefragung oder klinische Diagnostik) für             wurde gezeigt, dass die Hospitalisierungsraten
Kinder und Jugendliche Prävalenzen zwischen                wegen HKS in den neuen Bundesländern deut-
5,9 und 7,1%, für junge Erwachsene bei Selbst-             lich höher als in den alten Ländern lagen, wobei
auskunft 5,0% [14]. Aus Versichertendaten der              die Unterschiede u .a. mit der niedrigeren Ärz-
Barmer GEK wurden Prävalenzen für den Zeit-                tedichte ambulant tätiger Kinder- und Jugend-
raum 2006 bis 2011 erhoben. Mindestens eine                psychiater (und -psychotherapeuten) in Ost-
gesicherte ambulante ADHS-Diagnose wiesen al-              deutschland in Zusammenhang stehen könnten,
tersunabhängig 0,6% aller Patienten in 2006 und            möglicherweise aber auch mit unterschiedlichen
0,9% in 2011 auf. Bei Kindern und Jugendlichen             Schweregraden und Prävalenzen der HKS [19].
zwischen 0 und 19 Jahren stieg diese Prävalenz
im selben Zeitraum von 2,9% auf 4,1%. 2011 lag              In zwei empirischen Untersuchungen aus
die Prävalenz sowohl altersunabhängig als auch              Deutschland fanden sich Hinweise darauf, dass
bei Kindern und Jugendlichen für Jungen etwa                ADHS möglicherweise zu häufig diagnostiziert
dreimal so hoch wie für Mädchen [15].                       wird. Insbesondere bei Jungen wird diese Di-
                                                            agnose bei identischer Symptomatik häufiger
Anfang 2014 wurde eine Metaanalyse veröf-                   gestellt als bei Mädchen [20, 21]. Es wurden
fentlicht, die 135 Untersuchungen zur ADHS-                 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und
Prävalenz aus aller Welt und drei Dekaden in               -psychiatern Fallgeschichten vorgelegt mit der
eine multivariate Analyse einschloss. Es zeigte             Bitte um anschließende Diagnosestellung. Bei
sich insgesamt eine signifikante Variabilität der           insgesamt drei Fallgeschichten mit Nicht-ADHS
Prävalenzergebnisse mit Abhängigkeit von den                stellten knapp 17% der Therapeuten eine falsch
jeweils gewählten Methoden. Dagegen waren                   positive Diagnose, obwohl die diagnostischen
die geografische Lokalisierung (Länder bzw. Kon-            Kriterien nicht erfüllt waren, und knapp 6% ver-
tinente) und das Studienjahr ohne signifikanten             gaben eine Verdachtsdiagnose. Beim Fall mit
Einfluss auf die Variabilität der Prävalenzschät-           tatsächlicher ADHS stellten dagegen nur knapp
zung. Es konnte damit kein Hinweis auf eine stei-           8% eine falsch negative Diagnose. Darüber hi-
gende Anzahl von Kindern mit ADHS-Diagnose                  naus zeigte sich, dass männliche Therapeuten
gefunden werden [16].                                       die Diagnose ADHS häufiger als Therapeutinnen
                                                            vergaben. Andere Merkmale der Therapeuten
Der nach DSM-IV klassifizierten ADHS entspricht             (Berufsgruppe, psychotherapeutische Orientie-
die nach ICD-10 klassifizierte hyperkinetische              rung, Alter) hatten dagegen keinen Einfluss [20,
Störung (HKS), die zusammen mit den Störungen               21]. Es muss dabei auch berücksichtigt werden,
des Sozialverhaltens die häufigsten psychischen             dass schwere psychische Störungen insgesamt
Störungen im Kindes- und Jugendalter darstellen             in der Adoleszenz in Deutschland eine Prävalenz
[17]. „Die Diagnostik fußt auf einer Exploration            von 10% haben, wobei bei Mädchen introversive
der Symptomatik und der störungsspezifischen                psychische Störungen wie Depressionen, sozia-
Entwicklungsgeschichte, der Erfassung psychia-              le Ängstlichkeit und Essstörungen häufiger sind,
trischer Komorbiditäten, Begleitstörungen und               während bei Jungen extroversive Störungen wie
Rahmenbedingungen sowie einer apparativen,                  Störungen des Sozialverhaltens vorherrschen
Labor- und Testdiagnostik.“ [17,18] Den beiden              [22]. Allein dieses Wissen könnte dazu beitragen,
verfügbaren Klassifizierungssystemen liegen je-             dass ADHS vor allem bei Jungen möglicherweise
doch unterschiedliche Definitionen der Störun-              überdiagnostiziert wird. Methodisch bleibt bei
gen zugrunde. Mit dem DSM-IV können auch                    diesen Untersuchungen jedoch offen, inwieweit
Subtypen klassifiziert werden, die im aktuellen             die Diagnosestellung durch Fallbeschreibungen
Befund entweder nur die Aufmerksamkeits-                    ohne Patientenkontakt auf die Versorgungsrea-
störung oder nur die Merkmale Hyperaktivität/               lität übertragbar ist.

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  4
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

„Therapeutisch wird von einem multimodalen                 2006-2011 eine Zunahme der Methylphenidat-
 Ansatz ausgegangen, wobei die medikamentöse               verordnungen im Bundesdurchschnitt von knapp
Therapie mit Stimulanzien einen hohen Stellen-             1,5% auf 2% der Versicherten im Altersbereich
 wert einnimmt. Sie wird häufig mit einer Verhal-          bis 19 Jahre. Im Alter 9-11 Jahre ist der Verord-
 tenstherapie kombiniert, vor allem bei extrem             nungsanteil am größten und stieg von 3,4% in
 ausgeprägten Symptomen und bei vorhande-                  2006 auf 4,3% in 2010 und ging in 2011 gering-
 nen Komorbiditäten.“ [17, siehe auch 18] Zur              fügig auf 4,2% zurück [15]. Den ebenfalls zur Be-
 medikamentösen Behandlung sind spezifisch                 handlung von ADHS zugelassenen Wirkstoff Ato-
 wirksame Medikamente zugelassen. Deren Ein-               moxetin2 [7] erhielten im Jahr 2011 0,18% der
 satz in Deutschland wurde z. B. anhand von Ver-           0-19-Jährigen. Über alle Altersgruppen stieg der
 brauchsdaten von GKV-Versicherten aus 2000                Anteil der Personen mit Verordnung von 2006
 und 2001 in Mecklenburg-Vorpommern für das                bis 2008 zunächst von 0,04% auf 0,05% und sank
 zu den Stimulantien gezählte, bei ADHS bzw. hy-           danach bis 2011 zurück auf das Niveau von 2006
 perkinetischen Syndromen eingesetzte Methyl-              [15]. Sowohl bei der Diagnose der HKS als auch
 phenidat1 erhoben. Die Behandlungsprävalenz               der Verordnung von Methylphenidat wurden
 für Methylphenidat im Alter 5-15 Jahre betrug             größere regionale Unterschiede gefunden [15].
 in dieser Untersuchung 0,6% in 2000 und 1,4%              Aber auch andere, nicht spezifisch für die Be-
 in 2001. Jüngere Kinder sowie Jugendliche und             handlung von ADHS zugelassene Psychopharma-
 Erwachsene wurden zum damaligen Zeitpunkt                 ka kommen bei der HKS bzw. ADHS zum Einsatz.
 sehr selten behandelt. Die Behandlung erfolgte            Das gemäß einer entsprechenden Untersuchung
 durch wenige Arztgruppen, vorwiegend Kinder-              am meisten verordnete Antipsychotikum Rispe-
 ärzte, Allgemeinmediziner sowie Neurologen,               ridon wird in 61,5% der Fälle bei Patienten mit
 Psychiater und Kinder- und Jugendpsychiater. In           Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
 der Studie konnte keine Verknüpfung der Medi-             (ADHS) eingesetzt [25, 26]. „Die häufigsten Dia-
 kamentenverordnung mit Diagnosen hergestellt              gnosen bei Verschreibung von Risperidon waren
 werden [23]. In einer weiteren Untersuchung in            hyperkinetische Störungen, Störungen des So-
 einer Stichprobe von AOK-Versicherten in Hes-             zialverhaltens, Autismus, Intelligenzminderung,
 sen fand sich ein Anstieg des mit Psychopharma-           Angst- und emotionale Störungen sowie depres-
 ka behandelten Anteils an Kindern und Jugend-             sive Störungen. 27,9% aller Antipsychotika-Ver-
 lichen, bei denen ein HKS diagnostiziert worden           ordnungen erfolgten durch Fachärzte für Kinder-
 war, von 24% in 1998 auf 32% in 2001 [24]. In             und Jugendpsychiatrie, 25,4% durch Fachärzte
 erster Linie wurde Methylphenidat verordnet,              für Kinder- und Jugendmedizin und 16,2% durch
 im Altersbereich 5-16 Jahre in 1998 bei 16% bzw.          Hausärzte.“ [26]
 in 2001 bei 25% der Patienten mit HKS-Diagnose.
 Einmalverordnungen lagen bei 15% der Fälle vor,           Angesichts der beobachteten Verschreibungszu-
 was nach Angaben der Autoren im Bereich der               wächse legte der Gemeinsame Bundesausschuss
 Non-Responderquote lag [24]. Von 2000 nach                (G-BA) bereits im Dezember 2010 in seinen Arz-
 2007 wurde in Hessen ein Anstieg der Methyl-              neimittelrichtlinien fest, dass ärztlicherseits
 phenidatverordnungen im Altersbereich 6-18                u. a. Stimulantien wie Methylphenidat nur noch
 Jahre beobachtet, der insbesondere Jungen                 nach sehr strengen Maßstäben verschrieben
 betraf (1,2% bzw. 2,2%). Bei Mädchen gleichen             werden dürfen. In 2009 wurde eine Neufassung
 Alters wurden in 2007 0,5% mit Methylphenidat             der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) veröffentlicht
 behandelt [10].                                           [27], deren aktuell gültige Fassung im Juli 2014
                                                           in Kraft trat [28]. Im Anhang III der AM-RL wer-
Aktuellere Daten aus einer Vollerhebung der                den Stimulantien unter der Nr. 44 geführt [29].
Versicherten in einer gesetzlichen Krankenkas-             Zwischen 2009 und 2014 hat der G-BA den An-
se in Deutschland ergaben für den Zeitraum                 hang bzgl. der Nr. 44 (Stimulantien einschließ-
                                                           lich Methylphenidat) mehrmals modifiziert und
                                                           in entscheidenden Passagen weiter entwickelt.
1   Methylphenidat ist ein rezeptpflichtiges, dem Be-
    täubungsmittelgesetz unterliegendes Stimulans. Es
    wirkt dopaminagonisierend durch die Hemmung der        2    Atomoxetin ist ein rezeptpflichtiges Nicht-Stimulans,
    Wiederaufnahme von Dopamin in den synaptischen              welches durch die Hemmung der Wiederaufnahme
    Spalt[7].                                                   von Noradrenalin noradrenalin-agonistisch wirkt [7].

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                    5
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

 Die Entwicklung lässt sich insbesondere in drei            in der Fassung von 2014 aber fest, dass dies gilt
 Fassungen des Anhangs III der AM-RL aus 2009,             „(…) sofern die Erkrankung bereits im Kindesal-
 2010 und 2014 nachvollziehen [29-31]. Gemäß                ter bestand, [und] im Rahmen einer therapeuti-
 Vorgaben des G-BA muss die Diagnose ADHS                   schen Gesamtstrategie, wenn sich andere Maß-
 umfassender als früher gestellt werden und                 nahmen allein als unzureichend erwiesen haben.
 darf nur noch von Spezialisten für Verhaltens-             Die Diagnose erfolgt angelehnt an DSM-IV Krite-
 störungen bei Kindern und Jugendlichen erfol-              rien oder Richtlinien in ICD-10 und basiert auf ei-
 gen. Außerdem sehen die Richtlinien vor, dass              ner vollständigen Anamnese und Untersuchung
 der Arzt die Therapie regelmäßig unterbricht,              des Patienten. Diese schließen ein strukturier-
 um die Auswirkungen auf den allgemeinen Ge-                tes Interview mit dem Patienten zur Erfassung
 sundheitszustand der Kinder besser beurteilen              der aktuellen Symptome, inkl. Selbstbeurtei-
 zu können. So gab die Anlage III Nr. 44 in 2009            lungsskalen ein. Die retrospektive Erfassung des
 nur vor, dass von der Verordnungseinschrän-                Vorbestehens einer ADHS im Kindesalter muss
 kung für Stimulantien wie z. B. Psychoanaleptika,          anhand eines validierten Instrumentes (Wender-
 Psychoenergetika und coffeinhaltiger Mittel u. a.          Utha-Rating-Scale-Kurzform (WURS-k)) erfolgen.
„(…) Hyperkinetische Störung bzw. Aufmerksam-               Die Arzneimittel dürfen nur von einem Spezia-
 keitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS)             listen für Verhaltensstörungen bei Erwachsenen
 bei Kindern ab 6 Jahren und Weiterführung der              verordnet (Fachärztin/Facharzt für Nervenheil-
Therapie bei Jugendlichen im Rahmen einer the-              kunde, für Neurologie und/oder Psychiatrie oder
 rapeutischen Gesamtstrategie, wenn sich ande-              für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin/
 re Maßnahmen allein als unzureichend erwiesen              Facharzt für psychosomatische Medizin und
 haben (…)“ ausgenommen sind. Der Einsatz von               Psychotherapie, ärztliche Psychotherapeuten
 Stimulantien sei im Verlauf besonders zu doku-             gemäß Bedarfsplanungs-Richtlinie) und unter
 mentieren [29].                                            dessen Aufsicht angewendet werden. In thera-
                                                            peutisch begründeten Fällen können bei fortge-
 In der Fassung von 2010 wurde ergänzt: „Die                setzter Behandlung in einer Übergangsphase bis
 Diagnose darf sich nicht allein auf das Vorhan-            maximal zur Vollendung des 21. Lebensjahres
 densein eines oder mehrerer Symptome stützen               Verordnungen auch von Spezialisten für Ver-
 (Verwendung z. B. der DSM-IV Kriterien). Die               haltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen
 Arzneimittel dürfen nur von einem Spezialis-               vorgenommen werden (…) [31]“.
 ten für Verhaltensstörungen bei Kindern und/
 oder Jugendlichen verordnet (Fachärztin/Fach-             Zeitgleich wurden von den Kassenärztlichen
 arzt für Kinder- und Jugendmedizin; Fachärztin/           Vereinigungen, der Kassenärztlichen Bundes-
 Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und            vereinigung (KBV) und einigen Krankenkassen
-psychotherapie; Fachärztin/Facharzt für Ner-              insbesondere auf regionaler Ebene Maßnah-
 venheilkunde, für Neurologie und/oder Psych-              men ergriffen, um die Versorgung von Patienten
 iatrie oder für Psychiatrie und Psychotherapie,           mit HKS bzw. ADHS zu verbessern. Den Anfang
 ärztliche Psychotherapeuten mit einer Zusatz-             machte der ADHS-Vertrag in Baden-Württem-
 qualifikation zur Behandlung von Kindern und              berg zum April 2009 [32]. Weitere Verträge in
 Jugendlichen nach § 5 Abs. 4 der Psychothera-             anderen KV-Regionen folgten3. Aktuell vorlie-
 pie-Vereinbarungen) und unter dessen Aufsicht             gende Daten weisen darauf hin, dass die in den
 angewendet werden. In Ausnahmefällen dürfen               ADHS-Vertrag versorgten Kinder deutlich weni-
 auch Hausärztinnen/Hausärzte Folgeverordnun-              ger Medikamente benötigen. Nachdem in 2010
 gen vornehmen, wenn gewährleistet ist, dass               ärztlicherseits noch in 43% der ADHS-Fälle eine
 die Aufsicht durch einen Spezialisten für Ver-            medikamentöse Behandlung veranlasst wurde,
 haltensstörungen erfolgt.“ [30] Der Einsatz von           lag dieser Anteil in 2012 bei 32% [35].
 Stimulantien muss im Verlauf besonders do-
 kumentiert werden, insbesondere eine Dauer-               Mit dem ersten Teil der aktuellen Studie sol-
 therapie über mehr als 12 Monate. Außerdem                len jetzt erstmalig in Deutschland bundesweite
 müssen die behandlungsfreien Zeitabschnitte,
 die mindestens einmal jährlich erfolgen sollten,
 beurteilt werden [30]. Seit dem hat der G-BA              3    Die KV Nordrhein schloss zum 01.10.2010 und die
 auch die Behandlung der HKS bzw. der ADHS mit                  KV Hamburg zum 01.07.2011 einen entsprechenden
 Stimulantien bei Erwachsenen zugelassen, legt                  Vertrag mit der AOK [33, 34]

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  6
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

ambulante, vertragsärztliche Abrechnungsda-                 In den VDX-Daten erfolgt die Kennzeichnung ei-
ten sowie Arzneimittelverordnungsdaten der                  ner Patientenentität über die Kombination aus
GKV-Versicherten für den Zeitraum 2008 bis                  Vorname, Nachname und Geburtsdatum. Die
2011 bezüglich Versorgungsprävalenzen von                   Diagnosen werden in Form der durch den Arzt
ADHS und der erkrankungsspezifischen Verord-                erfassten Diagnosekodierungen nach ICD-10
nungsprävalenzen von Methylphenidat und Ato-                [37] mit quartalsweiser Zuordnung angegeben.
moxetin ausgewertet werden. Andere für HKS                  Außerdem liegt pro Patient eine Kreiszuordnung
bzw. ADHS nicht spezifische Psychopharmaka                  vor, aus der darüber hinaus jeweils der Bereich
wurden nicht in die Untersuchung eingeschlos-               der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) wohnort-
sen. Die Auswertung beinhaltet auch regiona-                bezogen abgeleitet werden kann.
lisierte Analysen. Im Fokus stehen Kinder und
Jugendliche zwischen 5 und 14 Jahren. Weitere               Arzneiverordnungsdaten (AVD) gemäß § 300
tiefergehende Analysen u. a. mit Untersuchun-               Abs. 2 SGB V
gen zum Zusammenhang von Einschulungsal-
ter und ADHS-Prävalenz sollen im zweiten Teil               Die Arzneiverordnungsdaten, die dem Zentralin-
folgen.                                                     stitut (ZI) zur Verfügung stehen, enthalten Anga-
                                                            ben zu

Methoden                                                    •    dem abgegebenen Arzneimittel (z.B. Phar-
                                                                 mazentralnummer (PZN), Abgabedatum,
                                                                 Preis);
Datengrundlage
                                                            •    dem Patienten (pseudonymisierte Versi-
Die Auswertungen basieren sowohl auf den ver-                    chertennummer, Institutskennzeichen des
tragsärztlichen Abrechnungsdaten (VDX) gemäß                     Kostenträgers gemäß Krankenversiche-
§ 295 SGB V als auch den Arzneiverordnungsda-                    rungskarte (IK1), Institutskennzeichen des
ten (AVD) gemäß § 300 Abs. 2 SGB V der Jahre                     Kostenträgers gemäß Rechnungsempfänger
2008 bis 2011, welche bundesweit und kassen-                     (IK2), Geburtsdatum, wohnortbezogener
übergreifend vorliegen4. Im Folgenden werden                     KV-Bereich;
die verwendeten Datenkörper näher erläutert:
                                                            •    dem verordnenden Arzt (pseudonymisier-
Ambulante Abrechnungsdaten (VDX) gemäß §                         te lebenslange Arztnummer (LANR), pseu-
295 SGB V                                                        donymisierte       Betriebsstättennummer
                                                                 (BSNR), Kassenärztliche Vereinigung (KV),
Die VDX-Daten enthalten u.a. Angaben zu                          Facharztgruppe).

•    dem Arzt bzw. zu der Praxis (z. B. pseudo-             Die Arzneimitteldaten umfassen alle Verordnun-
     nymisierte lebenslange Arztnummer (LANR),              gen, die als eingelöste Rezepte an die Apothe-
     pseudonymisierte Betriebsstättennummer                 kenrechenzentren weitergeleitet wurden. Eine
     (BSNR), Facharztgruppe, KV-Bereich;                    Geschlechtsangabe liegt nicht vor. Aus der PZN
                                                            werden mit Hilfe der jeweils gültigen WIdO-
•    dem Patienten (z. B. pseudonymisierte Ver-             Stammdatei der ATC-Code (Anatomisch-thera-
     sichertennummer, Institutskennzeichen der              peutisch-chemisches Klassifikationssystem, ATC)
     Krankenversicherungskarte (KVK-IK), Ge-                und die DDD (engl. „defined daily dose“; defi-
     burtsdatum, Geschlecht, Wohnort-KV, Kreis,             nierte tägliche Dosis) abgeleitet. Die amtliche
     Kreistyp);                                             Fassung wird als ATC-Klassifikation mit definier-
                                                            ten Tagesdosen (DDD) seit 2004 einmal jährlich
•    den Diagnosen (arzt- und patientenbezogen              vom Deutschen Institut für Medizinische Doku-
     pro Quartal);                                          mentation und Information (DIMDI) veröffent-
                                                            licht und steht auch über das Wissenschaftliche
                                                            Institut der AOK (WIdO) als sogenannte WIdO-
4   Siehe auch Methodenpaper im Versorgungsatlas unter      Stammdatei zur Verfügung [38, 39].
    http://www.versorgungsatlas.de/fileadmin/ziva_docs/
    ID10_Dok1_Bericht__Langversion__neu.pdf [36]

                                         Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  7
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

Definition der Studienpopulation und der ver-              Verordnungspatienten
wendeten Variablen
                                                           Berücksichtigt werden alle Arzneiverordnungen
Im Folgenden werden die Kennzahlen definiert,              von Methylphenidat (ATC-Code = N06BA04)
welche im weiteren Verlauf zur Berechnung von              und Atomoxetin (ATC-Code = N06BA09) bei Pa-
Indizes für die Analyse herangezogen werden.               tienten zwischen 5 und 14 Jahren. Aus den Ver-
                                                           ordnungsdaten wird die Anzahl der Kinder und
Studienpopulation                                          Jugendlichen mit mindestens einer Verordnung
                                                           pro Jahr extrahiert. Unterschieden wird dabei
In die Basispopulation werden für jedes Jahr               zwischen Verordnungen von Methylphenidat
des Untersuchungszeitraums 2008 bis 2011 aus               und Atomoxetin, so dass zwei Populationen von
den Abrechnungsdaten (VDX) alle Patienten im               Patienten mit unterschiedlichen Verordnungen
Alter von 5 bis 14 Jahren mit eindeutiger Ge-              entstehen7.
schlechtszuordnung aufgenommen. Die Alters-
beschränkung erfolgte aufgrund der im zweiten              Anzahl der Verordnungen
Teil der Studie vorgesehenen ergänzenden Ana-
lysen zum Einschulungsalter. Das bundesweit                Für Methylphenidat und Atomoxetin ge-
früheste Einschulungsalter liegt in einigen Bun-           trennt werden die Verordnungen (Packungen)
desländern bei fünf Jahren [40]. Der Beobach-              von Patienten zwischen 5 und 14 Jahren auf-
tungszeitraum in dieser Studie wurde auf einen             summiert. Es resultieren zwei verschiedene
maximalen Zeitraum von zehn Jahren nach den                Verordnungsanzahlen.
frühest möglichen Einschulungen festgelegt. Ein
vermehrtes Auftreten von ADHS-Diagnosen ab                 Verordnungsvolumen
dem Einschulungsalter ist bekannt5. Der Aus-
schluss von Kindern bis 4 Jahre ermöglicht ei-             Für Methylphenidat und Atomoxetin getrennt
nen fokussierten Einblick in das ADHS-spezifi-             werden die verordneten DDD von Patienten zwi-
sche Diagnose- und Verordnungsgeschehen bei                schen 5 und 14 Jahren aufsummiert. Es resultie-
Schulkindern.                                              ren zwei verschiedene Verordnungsvolumina.

ADHS-Patienten
                                                           Berechnete Indizes
Das Merkmal „ADHS-Patient“ wird denjenigen
Patienten der Studienpopulation zugewiesen,                ADHS-Versorgungsprävalenzen (administrative
für die in den Abrechnungsdaten in mindestens              Prävalenz)
zwei unterschiedlichen Quartalen eines Jahres
eine gesicherte ADHS-Diagnose, entspricht dem              Die ADHS-Versorgungsprävalenz wird wie folgt
ICD-10-Kode F90, vorliegt (sogenanntes „M2Q-               berechnet:
Kriterium“). Auf diese Weise soll sichergestellt
werden, dass die ermittelten „ADHS-Patienten“              ADHS-Patienten / Studienpopulation * 100
nicht nur einmalig, sondern über einen längeren
Zeitraum auf Grund der Diagnose ADHS in Be-                Im folgenden Text bezieht sich die Bezeichnung
handlung waren6.                                           Prävalenz, wenn nicht anders angegeben, aus-
                                                           schließlich auf die administrative Prävalenz im
                                                           Sinne einer „Versorgungsprävalenz“.

5   Zwischen 2006 und 2011 erhielten Kinder zwischen 5     Naheliegend erscheint, als Nenner die
    und 14 Jahren 10 bis 16 mal häufiger eine ambulante    Zahl der Versicherten in der Gesetzlichen
    ADHS-Diagnose als Kinder bis 4 Jahre [15].
6   Das „M2Q-Kriterium“ wurde in der Versorgungsfor-
    schung bei der Nutzung von Routinedaten bereits vor
    über 10 Jahren noch vor Einführung des Zusatzinfor-
    mation „G“ mit der Bedeutung „Diagnose gesichert“      7    Für eine geringe Zahl von Kindern traten Verord-
    zum ICD-Code angewendet, um die Basis für Präva-            nungen beider Wirkstoffe auf. Aus Gründen der
    lenzangaben aus Sekundärdaten der ambulanten                Übersichtlichkeit wurde diese Gruppe nicht in der
    Versorgung zu stabilisieren [41].                           Untersuchung berücksichtigt.

                                         Veröffentlicht am 03.12.2014                                                 8
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

 Krankenversicherung (GKV) aus der KM6-Sta-                 Verordnungspatienten / ADHS-Patienten * 100.
 tistik [42] zu verwenden. Diese liegt jedoch nur
 für die Altersgruppe 0 bis 14 Jahre vor und ist            Da Abrechnungs- und Verordnungsdaten ge-
 damit nicht kompatibel mit der Studienpopula-              trennt voneinander vorliegen, kann nicht direkt
 tion. Eine zweite Alternative stellen die Einwoh-          für jeden ADHS-Patient geprüft werden, ob eine
 nerzahlen laut statistischem Bundesamt im Alter            oder mehrere Verordnungen vorliegen. Statt-
 zwischen 5 und 14 Jahren dar. Diese enthalten              dessen werden ADHS-und Verordnungspatien-
 jedoch im Gegensatz zu den Abrechnungsdaten                ten wie oben beschrieben getrennt voneinander
 (VDX) auch privat Versicherte (gut 10% der Be-             gezählt und die Summen ins Verhältnis gesetzt.
 völkerung)8. Die statt dessen als Nenner verwen-           Es erfolgt eine differenzierte Berechnung nach
 dete Studienpopulation umfasst alle Kinder, die            KV-Bereichen.
 innerhalb eines Jahres mindestens einen Arzt
 aufsuchen. Dies entspricht 2008 bis 2011 zwi-              Anzahl der Verordnungen pro 1.000 Kinder und
 schen 86% und 90% der jeweiligen Einwohner-                Jugendliche
 zahl gemäß Bevölkerungsstatistik in derselben
 Altersgruppe. Bei einem Anteil privat Versicher-           Beide Verordnungszahlen werden mit der Studi-
 ter Patienten von gut 10% an der Gesamtbevöl-              enpopulation verrechnet:
 kerung kann davon ausgegangen werden, das
 die bundesweit in der GKV versicherten Kinder              Anzahl der Verordnungen /
 und Jugendlichen in der Studienpopulation fast             Studienpopulation * 1.000
 vollständig erfasst sind. Die genaue Zahl der
„fehlenden“ Kinder und Jugendlichen lässt sich              Differenziert wird nach KV-Bereichen.
 aus oben genannten Gründen nicht ermitteln.
 Insgesamt ist bei der Verwendung der Abrech-               Anzahl der Verordnungen pro 1.000
 nungspatienten (Studienpopulation) als Nenner              ADHS-Patienten
 von einer geringen Prävalenzüberschätzung aus-
 zugehen. Die Prävalenzen werden differenziert              Beide Verordnungszahlen werden mit den
 nach Geschlecht, KV-Bereich, Kreis und Kreistyp            ADHS-Patienten ins Verhältnis gesetzt:
 berechnet.
                                                            Anzahl der Verordnungen /
Anteil der Kinder und Jugendlichen mit                      ADHS-Patienten * 1.000
Verordnung
                                                            Differenziert wird nach KV-Bereichen.
Beide Populationen von Verordnungspatienten
werden mit der Studienpopulation ins Verhält-               Verordnungsvolumen pro 1.000 Kinder und
nis gesetzt:                                                Jugendliche

Verordnungspatienten /                                      Beide Verordnungsvolumina werden mit der
Studienpopulation * 100                                     Studienpopulation verrechnet:

Differenziert wird nach KV-Bereichen.                       Verordnungsvolumen /
                                                            Studienpopulation * 1.000
Verordnungspatienten je 100 ADHS-Patienten
                                                            Differenziert wird nach KV-Bereichen.
Beide Populationen von Verordnungspatienten
werden mit den ADHS-Patienten ins Verhältnis                Verordnungsvolumen pro 1.000
gesetzt:                                                    ADHS-Patienten

                                                            Beide Verordnungsvolumina werden mit den
8   In den einzelnen Bundesländern liegt der Anteil der     ADHS-Patienten ins Verhältnis gesetzt:
    Privatpatienten zwischen 6,5 - 16,5%, im Bundes-
    durchschnitt bei 13,8% (eigene Berechnung anhand
    der Einwohnerzahl gemäß Statistisches Bundesamt         Verordnungsvolumen / ADHS-Patienten * 1.000
    [43] abzüglich der in der GKV versicherten Personen
    gemäß der KM6-Statistik [42], jeweils Daten für 2012.   Differenziert wird nach KV-Bereichen.

                                          Veröffentlicht am 03.12.2014                                                9
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

Regionseinteilungen                                           Ergebnisse

Für die regionalen Vergleiche werden folgende                ADHS-Versorgungsprävalenzen
regionale Einteilungen vorgenommen:
                                                             Von 2008 bis 2011 ist bundesweit ein Anstieg
•    KV-Bereich (Zuständigkeitsbereich der je-               der administrativen ADHS-Prävalenz bei Kindern
     weiligen Kassenärztlichen Vereinigung, wel-             und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren von
     cher mit Ausnahme vom in Nordrhein und                  3,7% auf 4,4% zu verzeichnen. Jungen sind deut-
     Westfalen-Lippe unterteilten Nordrhein-                 lich häufiger betroffen als Mädchen. Für beide
     Westfalen den Bundesländern entspricht);                Geschlechter getrennt ist ebenfalls eine Zunah-
                                                             me der Prävalenz zu beobachten: Anstieg von
•    Kreise (nur für VDX-Daten verfügbar);                   5,7% auf 6,6% bei Jungen und von 1,7% auf 2,1%
                                                             bei Mädchen (Abbildung 1).
•    Kreistyp (Unterscheidung in vier Typen
     (Kernstadt, verdichtetes Umland, ländliches             Die Abbildungen 2 bis 4 zeigen die ADHS-Prä-
     Umland, ländlicher Raum) gemäß Bundesin-                valenzen 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen
     stitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
     (BBSR) [44]; nur für VDX-Daten verfügbar).
                                                               7%
Für die Berechnung der Indikatoren wurde die                   6%
Wohnortsicht verwendet. Das heißt, dass alle                   5%
Kennzahlen über die Wohnort-KV bzw. den
Wohnort-Kreis aufsummiert wurden. Auf diese                    4%
Weise lassen sich die Ergebnisse für den folgen-               3%
den zweiten Berichtsteil sinnvoll mit Informati-
onen zu bundeslandabhängigen Einschulungs-                     2%
stichtagen verknüpfen, bei denen ebenfalls der                 1%
Wohnort der Kinder zum Tragen kommt. Die
                                                               0%
Indikatoren geben also die Versorgung der Pa-
                                                                        2008       2009       2010       2011
tienten der unterschiedlichen KV-Bereiche wie-
der (Wohnortbezug), jedoch nicht unbedingt das                          Jungen         Mädchen           gesamt
Verordnungsverhalten der Ärzte pro KV-Bereich
(Leistungsbezug). Auf den möglichen Einfluss                 Abbildung 1: Jährliche ADHS-Versorgungs-
von Mitversorgungsbeziehungen wird bereits in                prävalenz von Kindern und Jugendlichen im
einem anderen Versorgungsatlasbericht einge-                 Alter von 5 bis 14 Jahren im Zeitraum 2008
gangen [45].                                                 bis 2011 in Deutschland (VDX-Daten [%])

    9%
    8%
    7%
    6%
                                                                                                            2008
    5%
    4%                                                                                                      2009

    3%                                                                                                      2010
    2%                                                                                                      2011
    1%
    0%

Abbildung 2: Jährliche ADHS-Versorgungsprävalenz von Kindern und Jugendlichen im Alter von 5
bis 14 Jahren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (VDX-Daten [%])

                                          Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  10
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

 9%
 8%
 7%
 6%
                                                                                                          2008
 5%
 4%                                                                                                       2009

 3%                                                                                                       2010
 2%                                                                                                       2011
 1%
 0%

Abbildung 3: Jährliche ADHS-Versorgungsprävalenz von Jungen im Alter von 5 bis 14 Jah-
ren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (VDX-Daten [%])

  9%
  8%
  7%
  6%
                                                                                                          2008
  5%
  4%                                                                                                      2009

  3%                                                                                                      2010
  2%                                                                                                      2011
  1%
  0%

Abbildung 4: Jährliche ADHS-Versorgungsprävalenz von Mädchen im Alter von 5 bis 14 Jah-
ren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (VDX-Daten [%])

differenziert für alle Kinder und Jugendlichen             höheren Prävalenzniveaus. Verdeutlicht wer-
bzw. unterschieden nach Geschlecht. Es wird                den diese Aspekte auch durch die Kartenreihe
deutlich, dass der Prävalenzanstieg insgesamt              in Abbildung 5, welche die ADHS-Prävalenz nach
sowie nach Geschlecht getrennt grundlegend                 KV-Bereichen für 2008 bis 2011 mit gleichartiger
für alle KV-Bereiche zu beobachten ist. In kei-            Klasseneinteilung wiedergibt. Über alle Jahre
nem KV-Bereich und auch nicht bundesweit sind              geringere Prävalenzen weisen vor allem Ham-
nennenswerte Unterschiede der Entwicklungs-                burg, Bremen und Hessen sowie Schleswig-Hol-
trends zwischen Jungen und Mädchen sichtbar.               stein und Mecklenburg-Vorpommern auf. Hier
Insgesamt fallen die Entwicklungen in den KV-              wird die 3,5%-Marke kaum überschritten. Auch
Bereichen jedoch unterschiedlich stark aus. Eher           Baden-Württemberg überschreitet 3,5% nur in
steilere Anstiege gibt es in Niedersachsen, West-          2010 und 2011, aber etwas deutlicher. Höhere
falen-Lippe und Nordrhein. Durch geringere An-             Prävalenzen finden sich über den gesamten Be-
stiege zeichnen sich Hessen, Berlin und Meck-              obachtungszeitraum in Rheinland-Pfalz, Bayern,
lenburg-Vorpommern aus. In Brandenburg und                 Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Hier er-
Sachsen sind zum Teil Stagnationen bzw. leichte            reichen die Prävalenzen in mindestens einem der
Rückgänge zu erkennen. Darüber hinaus gibt es              Jahre die 5%-Marke oder liegen sogar darüber.
KV-Bereiche mit grundsätzlich niedrigeren bzw.             Vergleichsweise nah am Bundesdurchschnitt

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  11
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

Abbildung 5: Kartografische Darstellung der jährlichen ADHS-Versorgungsprävalenz von Kindern und Jugend-
lichen im Alter von 5 bis 14 Jahren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen (VDX-Daten [%, klassiert])

Abbildung 6: Kartografische Darstellung der jährlichen ADHS-Versorgungsprävalenz von Kindern und Ju-
gendlichen im Alter von 5 bis 14 Jahren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach Kreisen (VDX-Daten [%, klassiert])

liegen Berlin, Nordrhein und das Saarland. Ten-            Raum Würzburg) durch besonders hohe Prä-
denziell stehen niedrigere Prävalenzen im Nord-            valenzen über 5,7% auszeichnet. Weitere „Hot
westen höheren Prävalenzen im Südosten ge-                 Spots“ zeichnen sich im Osten Thüringens und
genüber (Abbildung 2).                                     im Westen Sachsens ab. Auch der südlichste Teil
                                                           Sachsen-Anhalts reiht sich hier ein. Über die Jah-
Abbildung 6 gibt die ADHS-Prävalenzen analog               re deutlich steigende Prävalenzen finden sich in
zu Abbildung 5 auf Kreisebene wieder. Auch                 einem zusammenhängenden Gebiet im Osten
hier wird die höhere ADHS-Prävalenz in süd-                von Niedersachsen und im Westen Sachsen-An-
östlichen Gebieten plus Teilen von Rheinland-              halts. Weitere Kreise mit Prävalenzen über 5,7%
Pfalz deutlich. Innerhalb der insgesamt stärker            liegen im Süden und Norden von Rheinland-Pfalz
betroffenen KV-Bereiche Bayern, Sachsen und                sowie vereinzelt jeweils im Westen von Nieder-
Brandenburg zeigt sich eine recht starke Varia-            sachsen, Nordrhein und Baden-Württemberg.
tion. Brandenburg weist zum Beispiel im Nord-              In letztgenanntem KV-Bereich fallen darüber
osten deutlich geringere Prävalenzen als im Sü-            hinaus die durchgehend niedrigen Prävalenzen
den auf, in Sachsen selbst gibt es ein deutliches          in zentralen und südöstlichen Landesteilen ins
West-Ost-Gefälle. In Bayern sind im Süden und              Auge, die höheren Prävalenzen im Westen und
Südwesten eher niedrige Prävalenzen zu finden,             im Norden gegenüberstehen.
während sich der Nordwesten (Unterfranken,

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  12
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

Werden die ADHS-Versorgungsprävalenzen über                  3,5
die Jahre 2008 bis 2011 nach Kreistypen getrennt
                                                               3
betrachtet, fallen zunächst die relativ niedrigen
Werte in Kernstädten auf (2008: 3,6%, 2011:                  2,5
4,0%) (Bund: 3,7% bis 4,4%). Die höchsten Wer-                 2
te (4,1% bis 4,6%) finden sich für das ländliche             1,5
Umland. Das verdichtete Umland weist einen                     1
etwas stärkeren Anstieg von 3,7% im Jahr 2008                0,5
auf 4,6% im Jahr 2011 auf. ADHS-Versorgungs-
                                                               0
prävalenzen im ländlichen Raum liegen 2008 mit
                                                                        2008     2009       2010        2011
4,0% etwa gleichauf mit dem ländlichen Umland.
Nach einem etwas leichteren Anstieg ist die Prä-                        Methylphenidat          Atomoexetin
valenz mit knapp 4,4% im Jahr 2011 etwa gleich
hoch wie im verdichteten Umland.                           Abbildung 8: Kinder und Jugendliche zwischen
                                                           5 und 14 Jahren mit mindestens einer jährlichen
                                                           Verordnung von Methylphenidat oder Atomo-
 5%                                                        xetin pro 100 Kinder und Jugendliche zwischen
                                                           5 und 14 Jahren (Studienpopulation) im Zeit-
                                                           raum 2008 bis 2011 (AVD- und VDX-Daten [n])
 4%
                                                             150

 3%
                                                             100
         2008       2009       2010        2011

                  Kernstadt
                                                              50
                  Verdichtetes Umland
                  Ländliches Umland                             0
                  Ländlicher Raum                                       2008     2009       2010        2011

Abbildung 7: Jährliche ADHS-Versorgungspräva-                           Methylphenidat          Atomoexetin
lenzen von Kindern und Jugendlichen im Alter von
                                                           Abbildung 9: Anzahl jährlicher Verordnun-
5 bis 14 Jahren im Zeitraum 2008 bis 2011 nach
                                                           gen von Methylphenidat bzw. Atomoxetin pro
Kreistypen gemäß BBSR [44] (VDX-Daten [%]).
                                                           1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und
                                                           14 Jahren (Studienpopulation) im Zeitraum
                                                           2008 bis 2011 (AVD- und VDX-Daten [n])
Verordnungspatienten, Verordnungen und
Verordnungsvolumen                                           5.000

Abbildung 8 zeigt bundesweit die Anzahl der                  4.000
Kinder und Jugendlichen mit mindestens einer                 3.000
Verordnung von Methylphenidat bzw. Atomoxe-
tin je 100 Patienten der Studienpopulation. Zu-              2.000
nächst ist zu erkennen, dass Atomoxetin neben
                                                             1.000
Methylphenidat nur eine geringe und außerdem
leicht abnehmende Rolle spielt (0,4% und 0,3%                       0
in 2008 und 2011). Der Anteil der Kinder und Ju-                         2008      2009      2010       2011
gendlichen mit Methylphenidat steigt von 2008
bis 2010 von 2,9% auf 3,3% an und fällt zu 2011                         Methylphenidat          Atomoexetin
leicht auf 3,2% ab.                                        Abbildung 10: Jährliches Verordnungsvolumen
                                                           in DDD von Methylphenidat bzw. Atomoxetin
Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich bei der Betrach-        pro 1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5
tung von Verordnungen bzw. Verordnungsvo-                  und 14 Jahren (Studienpopulation) im Zeitraum
lumen in DDD je 1.000 Kinder und Jugendliche               2008 bis 2011 (AVD- und VDX-Daten [DDD])

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  13
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

zwischen 5 und 14 Jahren (Abbildungen 9 und                  100
10). Atomoxetin spielt eine deutlich geringere
                                                              80
Rolle und ist leicht rückläufig (25 Verordnungen
und 298 DDD bzw. 21 Verordnungen und 238                      60
DDD in 2008 bzw. 2011). Der Trend für Methyl-
phenidat geht zwischen 2008 und 2010 stetig                   40
nach oben und danach bis 2011 leicht zurück.                  20
Methylphenidat wurde im Jahr 2008 114-mal
und im Jahr 2011 133-mal pro 1.000 Patienten                    0
verordnet. Das Verordnungsvolumen lag 2008                                  2008      2009     2010     2011
bei 3.413 und 2011 bei 4.085 DDD je 1.000
                                                                            Methylphenidat       Atomoexetin
Patienten.
                                                           Abbildung 11: Kinder und Jugendliche zwischen
Wie in Abbildung 11 zu sehen, verhält sich die             5 und 14 Jahren mit mindestens einer jährlichen
Entwicklung der Zahl der Verordnungspatienten              Verordnung von Methylphenidat bzw. Atomoxetin
in Bezug auf die ADHS-Patienten etwas anders               pro 100 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und
als in Bezug auf die gesamte Studienpopulation             14 Jahren mit ADHS („ADHS-Patienten“) im Zeit-
(vgl. Abbildung 8). Zwar ist auch hier die geringe-        raum 2008 bis 2011 (AVD- und VDX-Daten [n])
re Bedeutung und die leichte Abnahme von Ato-
moxetin zu erkennen (10 gegenüber 7 Verord-                  4.000
nungspatienten je 100 ADHS-Patienten in 2008
gegenüber 2011). Aber für Methylphenidat ist                 3.000
der Wert zwischen 2008 auf 2010 relativ kons-
tant bei 77, gefolgt von einem leichten Rückgang             2.000
zu 2011 auf 73.
                                                             1.000
Verordnungen und Verordnungsvolumen pro
1.000 ADHS-Patienten im Alter von 5 bis 14 Jah-                     0
ren 2008 bis 2011 sind in den Abbildungen 12                                 2008     2009     2010     2011
und 13 zu sehen. Hier zeigt sich ein schwacher
                                                                            Methylphenidat       Atomoexetin
Anstieg von Methylphenidat von 3.077 auf 3.277
Verordnungen bzw. von 92.163 auf 100.233 DDD               Abbildung 12: Zahl der jährlichen Verordnun-
in den Jahren 2008 bis 2010, gefolgt von einem             gen von Methylphenidat bzw. Atomoxetin pro
Abfall zu 2011 auf 3.048 Verordnungen bzw.                 1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und
93.501 DDD. Die Werte für Atomoxetin sinken                14 Jahren mit ADHS („ADHS-Patienten“) im Zeit-
über die Jahre von 673 auf 467 Verordnungen                raum 2008 bis 2011 (AVD- und VDX-Daten [n])
bzw. von 8.042 auf 5.443 DDD.
                                                             120.000
Die deutlich geringere und abnehmende Be-                    100.000
deutung von Atomoxetin gegenüber Methyl-
phenidat ist auch auf Ebene der KV-Bereiche zu                80.000
erkennen. In Abbildung 14 sind die Anteile der                60.000
Patienten mit Verordnungen nur des einen oder                 40.000
des anderen Wirkstoffes nach KV-Bereichen für
                                                              20.000
die Jahre 2008 bis 2011 abgetragen. Es zeigt
sich, dass in Berlin der Anteil der mit Atomoxe-                        0
tin versorgten Patienten mit stets über 20% am                                 2008     2009    2010    2011
höchsten liegt, dicht gefolgt von Brandenburg,
                                                                            Methylphenidat       Atomoexetin
wo der Anteil über die Jahre unter 20% sinkt.
Auch in den KV-Bereichen der anderen neuen                 Abbildung 13: Jährliches Verordnungsvolumen in
Bundesländer liegt der Anteil von Patienten                DDD von Methylphenidat bzw. Atomoxetin pro
mit Atomoxetin, wenn auch meist abnehmend,                 1.000 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 14
über dem Bundesdurchschnitt. Als einziger                  Jahren mit ADHS („ADHS-Patienten“) im Zeitraum
KV-Bereich mit einem zunehmenden Anteil ist                2008 bis 2011. (AVD- und VDX-Daten [DDD])

                                        Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  14
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

 100%
  90%
  80%
  70%
  60%
  50%
  40%
  30%
  20%
  10%
   0%
           SH    HH HB      NI   WL NO HE         RP BW BY          BE    SL    MV BB     ST    TH    SN Bund
                                         Methylphenidat           Atomoxetin

Abbildung 14: Anteile der Patienten mit Verordnung von Methylphenidat bzw. Atomoxe-
tin über den Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (AVD-Daten [%])

Mecklenburg-Vorpommern zu nennen. Die ge-                   ähnlicher Trends der Entwicklung von Verord-
ringste Bedeutung hat Atomoxetin im Saarland                nungsvolumina bzw. der Anzahl von Verordnun-
mit knapp 5%. In den KV-Bereichen der alten                 gen auf die Darstellung der letztgenannten im
Bundesländer wird, abgesehen vom Jahr 2008,                 Bericht verzichtet. Die Zahlen können online auf
die 10%-Marke für Atomoxetin so gut wie nicht               www.versorgungsatlas.de abgerufen werden.
überschritten. Auch die beiden Stadtstaaten
Hamburg und Bremen, die in 2008 noch größere                Abbildung 15 zeigt die Entwicklung der Kinder
Anteile hatten, liegen in 2011 im Bundesdurch-              und Jugendlichen mit mindestens einer Verord-
schnitt bzw. nur noch knapp darüber.                        nung je 100 Kinder und Jugendliche 2008 bis 2011
                                                            nach KV-Bereichen. Die Ausgangs- und Entwick-
Aus Gründen der Übersichtlichkeit erfolgt nach              lungsunterschiede zwischen den KV-Bereichen
der differenzierten Betrachtung der Wirkstoffe              ähneln denen der ADHS-Prävalenz (siehe Abbil-
Methylphenidat und Atomoxetin auf Bundes-                   dung 2). Bestätigt wird dieser Eindruck durch sig-
ebene für die regionalisierte Betrachtung eine              nifikante, positive Korrelationen mittlerer Stärke
Fokussierung auf den relevanteren Wirkstoff                 für die Jahre 2009 bis 2011 mit r=0,29 in 2008,
Methylphenidat. Darüber hinaus wird auf Grund               r=0,51 in 2009, r=0,60 in 2010 sowie r=0,64 in

 6%

 5%

 4%

 3%

 2%

 1%

 0%
         SH     HH   HB   NI     WL NO      HE    RP   BW    BY     BE     SL   MV   BB    ST    TH    SN Bund

                                           2008     2009     2010        2011

Abbildung 15: Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 14 Jahren mit mindestens einer jährlichen Ver-
ordnung von Methylphenidat pro 100 Kinder und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren (Studienpo-
pulation) im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (AVD- und VDX-Daten [%])

                                         Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  15
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

2011. Die Entwicklungen sind jedoch nicht ein-              Methylphenidat-Verordnung pro 100 “ADHS-
heitlich. Während die ADHS-Versorgungspräva-                Patienten“ des gleichen Altersbereichs. Auffällig
lenz in allen KV-Bereichen steigend ist, weist die          ist zunächst, dass in den Verordnungsdaten zum
Verordnungsprävalenz von Methylphenidat in                  Teil mehr Patienten mit Methylphenidat-Verord-
drei KV-Bereichen (Hamburg, Bremen und Meck-                nung identifiziert wurden, als ADHS-Patienten in
lenburg-Vorpommern) eine leicht rückläufige                 den Abrechnungsdaten (Kriterium: F90 Diagnose
Tendenz auf. Gegenüber den Prävalenzen fallen               in zwei unterschiedlichen Quartalen). Dieser me-
die Verordnungen je 100 Kindern und Jugendli-               thodisch bedingte „Überschuss“ (mehr als 100
chen vor allem in Rheinland-Pfalz und dem Saar-             Verordnungspatienten pro 100 ADHS-Patienten)
land, aber auch in Hamburg relativ höher und                ist in Hamburg, Bremen und dem Saarland zu
insbesondere in Berlin und Brandenburg relativ              beobachten. Spätestens 2011 sinkt das Verhält-
niedriger aus. In allen KV-Bereichen außer Ba-              nis jedoch in allen KV-Bereichen unter 100. Die
den-Württemberg, Bayern und Sachsen ist von                 geringste Anzahl Verordnungspatienten je 100
2010 nach 2011 ein Rückgang zu erkennen.                    ADHS-Patienten weisen Berlin, Brandenburg,
                                                            Thüringen und Sachsen auf, die höchste findet
Abbildung 16 zeigt die Zahl der Kinder                      sich in Schleswig-Holstein, Hamburg, Rheinland-
und Jugendlichen mit mindestens einer                       Pfalz und dem Saarland. Am stärksten gehen die

 120

 100

  80

  60

  40

  20

    0
         SH    HH    HB    NI   WL NO       HE    RP   BW     BY    BE     SL   MV   BB    ST   TH    SN Bund

                                          2008      2009     2010        2011

Abbildung 16: Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 14 Jahren mit mindestens einer Verordnung von
Methylphenidat pro 100 Kinder und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren mit ADHS („ADHS-Patien-
ten“) im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (AVD- und VDX-Daten [n])

Abbildung 17: Kartografische Darstellung von Kindern und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren mit mind.
einer jährlichen Verordnung von Methylphenidat pro 100 Kinder und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren mit
ADHS („ADHS-Patienten“) im Zeitraum 2008 bis 2011 nach KV-Bereichen (AVD- und VDX-Daten [n, klassiert])

                                         Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  16
Entwicklung der Diagnose- und Medikationsprävalenzen von ADHS zwischen 2008 und 2011 im regionalen Vergleich

Werte in Hamburg und Bremen zurück. Geringe                  Verordnungsvolumina dargestellt. Sie unter-
Zunahmen bis 2010 sind in Nordrhein, Rhein-                  scheiden sich in einigen Details vom Quotien-
land-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern, Berlin,               ten aus der Zahl der Verordnungspatienten pro
Saarland, Thüringen und Sachsen zu erkennen.                 100 Kinder und Jugendliche (vgl. Abbildung 15).
Seit 2010 sind, außer in Sachsen, keine weiteren             Höhere Werte, besonders unter Berücksichti-
Anstiege zu verzeichnen.                                     gung der Prävalenz (vgl. Abbildung 2), liegen
                                                             auch hier in Rheinland-Pfalz und dem Saarland
Abbildung 17 verdeutlicht die räumlichen Un-                 vor. Hinzu kommen jedoch Schleswig-Holstein,
terschiede des Quotienten von Kindern und                    Hamburg und Niedersachsen, in etwas geringe-
Jugendlichen mit Methylphenidatverordnung                    rem Ausmaß auch Mecklenburg-Vorpommern.
pro 100 Kindern und Jugendlichen mit ADHS                    Von diesen „Spitzenreitern“ weisen Hamburg
(„ADHS-Patienten“) über die Jahre mittels einer              und Mecklenburg-Vorpommern über die Jahre
Kartenserie. Gut zu erkennen sind die bereits                jedoch einen deutlichen Rückgang auf, der da-
angesprochene Unterschiede zwischen neuen                    rüber hinaus auch in Bremen zu erkennen ist.
und alten Bundesländern sowie der generel-                   Deutlich höhere Werte beim Verordnungsvolu-
le Rückgang dieser Kennzahl. Ein Vergleich mit               men gegenüber der Anzahl der Verordnungen
den Karten zur Prävalenzentwicklung (siehe Ab-               liegen in Mecklenburg-Vorpommern vor. In et-
bildung 5) zeigt außerdem, dass es KV-Bereiche               was geringerem Umfang ist dies auch für Ham-
mit hohen ADHS-Prävalenzen bei gleichzeitig                  burg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thürin-
im Vergleich höheren Methylphenidat-Verord-                  gen zutreffend9.
nungsraten gibt (z. B. Bayern und Rheinland-
Pfalz). Eine höhere Prävalenz bei weniger Ver-               Auch die nach KV-Bereichen differenzierten
ordnungspatienten stellen sich in Brandenburg,               Entwicklungen bei Verordnungen und Verord-
Sachsen und Thüringen dar. Bei eher geringen                 nungsvolumen (DDD) von Methylphenidat pro
ADHS-Prävalenzen erhalten in Hamburg und                     1.000 „ADHS-Patienten“ zwischen 5 und 14
Schleswig-Holstein eher mehr, in Mecklenburg-                Jahren fallen sehr ähnlich aus (Verordnungsvo-
Vorpommern eher weniger „ADHS-Patienten“                     lumina siehe Abbildung 19), unterscheiden sich
Methylphenidat.                                              jedoch vom Muster der Gegenüberstellung von
                                                             Verordnungspatienten und „ADHS-Patienten“
Die nach KV-Bereichen differenzierten Verord-
nungen und Verordnungsvolumina von Me-
thylphenidat pro 1.000 Kinder und Jugendli-                  9    Daten zur Anzahl der Verordnungen siehe
che im Zeitraum 2008 bis 2011 zeigen ein sehr                     http://www.versorgungsatlas.de/themen/
ähnliches Muster. In Abbildung 18 sind die                        alle-analysen-nach-datum-sortiert/?tab=6&uid=51

 7.000
 6.000
 5.000
 4.000
 3.000
 2.000
 1.000
     0
            SH    HH   HB     NI   WL NO      HE    RP BW        BY   BE   SL   MV BB       ST    TH   SN Bund

                                           2008      2009     2010     2011

Abbildung 18: Jährliches Verordnungsvolumen von Methylphenidat in DDD pro 1.000 Kin-
der und Jugendlichen zwischen 5 und 14 Jahren (Studienpopulation) im Zeitraum 2008
bis 2011 nach KV-Bereichen und bundesweit (AVD- und VDX-Daten [DDD])

                                          Veröffentlicht am 03.12.2014                                                  17
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