KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Deutsche Wirtschaft im Sommer 2021 - Kiel Institute for the World ...

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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

KIELER
KONJUNKTUR-
BERICHTE

Deutsche Wirtschaft
im Sommer 2021

Abgeschlossen am 17. Juni 2021

                                                              Nr. 80 (2021|Q2)

Martin Ademmer, Joscha Beckmann, Jens Boysen-Hogrefe,
Salomon Fiedler, Dominik Groll, Nils Jannsen, Stefan Kooths
und Saskia Meuchelböck

                                                                Forschungszentrum
                                                          Konjunktur und Wachstum
                                                                             1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      MEHR DRUCK AUF DEN PREISVENTILEN

      Martin Ademmer, Joscha Beckmann, Jens Boysen-Hogrefe, Salomon Fiedler,
      Dominik Groll, Nils Jannsen, Stefan Kooths und Saskia Meuchelböck

      Die Konjunktur in Deutschland nimmt wieder Fahrt          Der Konjunkturkessel steht unter Dampf. Seit
      auf. Nachdem das Wiederaufflammen der Corona-
      Pandemie die wirtschaftliche Erholung im Winterhalb-
                                                                dem Ausbruch der Coronapandemie ist der Kon-
      jahr ins Stocken gebracht hatte, wird die gesamtwirt-     junkturverlauf maßgeblich durch die – national
      schaftliche Produktion im weiteren Verlauf des Jahres     wie international – zum Infektionsschutz ergriffe-
      in hohem Tempo ausgeweitet werden und ihr Vor-            nen Maßnahmen geprägt. Infolgedessen ist Pro-
      krisenniveau wieder überschreiten. Mit dem Wegfall
      der pandemiebedingten Restriktionen wird die Aktivi-      duktion in erheblichem Umfang ausgefallen, die
      tät vor allem in jenen Bereichen rasch wieder zuneh-      unter normalen Umständen absatzfähig gewe-
      men, die zuvor besonders belastet wurden. So dürften      sen wäre. Umgekehrt kehrt nun die wirtschaftli-
      vor allem der Handel und kontaktintensive Dienst-
      leistungen von dem Rückprall bei den Konsumaus-           che Aktivität überall dort rasch wieder zurück, wo
      gaben der privaten Haushalte profitieren. Vorerst         pandemiebedingte Restriktionen wegfallen.
      verzögern wird sich die Erholung jedoch in der            Während sich die Industrie im Windschatten des
      Industrie. Die weltweit kräftige Erholung hat viel-
      schichtige Lieferengpässe mit sich gebracht, die die
                                                                Exportgeschäfts zunächst kräftig erholte, kam es
      Produktion vieler Unternehmen spürbar behindern.          im Winterhalbjahr bei den kontaktintensiven
      Trotz der sehr guten Auftragslage wird die Produktion     Dienstleistungsbereichen – und damit insbeson-
      im Verarbeitenden Gewerbe deshalb wohl erst in der        dere beim privaten Verbrauch – im Zuge der ver-
      zweiten Jahreshälfte wieder nach und nach auf ihren
      Erholungskurs einschwenken, sofern die Liefereng-         schärften Shutdowns zu einem abermaligen Ein-
      pässe dann allmählich überwunden werden. Mit den          bruch. Mit dem sich nun abzeichnenden Ende
      produktionsseitigen Friktionen hat auch der Preis-        der pandemischen Lage setzt auf breiter Front
      druck zugenommen, zumal die konjunkturelle Dyna-
      mik weltweit hoch ist. So waren die Preise für Roh-       eine Erholung ein, bei der sich auch Nachwehen
      stoffe, Vorleistungsgüter und Transportleistungen         der Coronakrise geltend machen. So hat der
      zuletzt auf breiter Front aufwärtsgerichtet. Alles in     Staat die privaten Einkommen über verschie-
      allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr
      um 3,9 Prozent zulegen und im Jahr 2022 um 4,8
                                                                dene Kanäle massiv gestützt. Dies konnte den
      Prozent. Die Verbraucherpreise werden in diesem
                                                                Abbildung 1:
      Jahr, zumal auch noch die Mehrwertsteuererhöhung
      und das Klimapaket preistreibend wirken, deutlich         Bruttoinlandsprodukt
      beschleunigt um voraussichtlich 2,6 Prozent steigen.             Kettenindex (2015=100)                            Prozent
      Im kommenden Jahr wird die Inflation wohl bei rund 2       112                                                                 10,0
      Prozent liegen.                                            110
                                                                                Veränderung
                                                                                                                                     7,5
                                                                                Niveau
                                                                 108                                                                 5,0

                                                                 106                                                                 2,5

                                                                 104                                                                 0,0

                                                                 102                                                                 -2,5

                                                                 100                                                                 -5,0

                                                                  98                                                                 -7,5

                                                                  96                                                                 -10,0

                                                                  94                                                                 -12,5
                                                                          1,3         0,6         -4,8        3,9          4,8
                                                                  92                                                                 -15,0
                                                                       I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
                                                                         2018        2019        2020        2021         2022

                                                                 Quartalsdaten: preis-, kalender- und saisonbereinigt; Verän-
                                                                 derung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala).
       Kasten 1:                                                 Jahresdaten: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vor-
       Bedeutung von Lieferengpässen für die laufende Produk-    jahr in Prozent (gerahmt).
       tion in Deutschland (S. 16)                               Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2 und
                                                                 1.3; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

                                                                                                                                             2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      privaten Verbrauch und die ihm dienende Wert-       Dynamik aus. Zum einen gibt es in den konsum-
      schöpfung aber kaum stabilisieren, weil wichtige    nahen Bereichen etwas weniger aufzuholen,
      Ausgabemöglichkeiten pandemiebedingt ver-           und zum anderen blieb der Shutdown zur Ab-
      schlossen waren. Im Ergebnis staute sich in den     wehr der dritten Infektionswelle länger in Kraft
      beiden Jahren 2020 und 2021 bei den privaten        als angenommen. So kam es erst ab Mitte Mai
      Haushalten Kaufkraft in Höhe von rund 200 Mrd.      und nicht – wie von uns unterstellt – ab Mitte Ap-
      Euro auf. Das angeschwollene Finanzpolster          ril zu ersten Lockerungen, die den kontaktinten-
      dürfte die rasche Rückkehr zu den gewohnten         siven Wirtschaftsbereichen wieder größere Frei-
      Konsummustern stark befördern. Gerade in den        räume erlauben. Wir halten an der Annahme
      kontaktintensiven Konsumbereichen, die nun          fest, dass bis zum Ende des dritten Quartals alle
      über eine längere Zeit entbehrt werden mussten,     nennenswerten pandemiebedingten Restriktio-
      ist mit einer erhöhten Zahlungsbereitschaft zu      nen nach und nach aufgehoben werden. Zu ei-
      rechnen. Dort trifft eine schwungvolle Nachfrage    ner im Sommerhalbjahr schwächeren als bislang
      auf Kapazitäten, die während der Pandemie-          erwarteten Dynamik tragen auch die erheblichen
      phase tendenziell eher geschrumpft sind, was in     Friktionen im Produzierenden Gewerbe bei, die
      einem zwischenzeitlich stärkeren Aufwärtsdruck      von ausbleibenden Zulieferungen herrühren. Die
      bei den Preisen münden dürfte. In der Industrie     dadurch bedingten Produktionsbehinderungen
      kommt die Produktion schon seit Mitte vergan-       erreichen derzeit ausweislich von Unterneh-
      genen Jahres der kräftig anziehenden Nach-          mensbefragungen ein Allzeithoch. Wir gehen
      frage nicht mehr hinterher, was sich bereits in     davon aus, dass diese Probleme erst im Verlauf
      deutlichen Preisanstiegen im Neugeschäft be-        des Jahres sukzessive überwunden werden, so-
      merkbar macht. Maßgeblich hierfür sind welt-        dass von dieser Seite im Schlussquartal eine et-
      weite Lieferengpässe – auch infolge von Trans-      was höhere Expansionsdynamik angelegt ist.
      portproblemen –, die das Hochfahren der Pro-        Gleichwohl dürfte das Vorkrisenniveau der ge-
      duktion behindern. Schließlich bleibt die Finanz-   samten Wirtschaftsleistung schon im dritten
      politik hierzulande wie in wichtigen Abnehmer-      Quartal erreicht werden.
      ländern trotz der einsetzenden Erholung sehr
                                                          Der Erholungsprozess wird im Sommerhalb-
      expansiv ausgerichtet, auch weil strukturelle
                                                          jahr vor allem von den konsumnahen Wirt-
      Mehrausgaben, die in der Krise beschlossen
                                                          schaftsbereichen getrieben. Erst in der zwei-
      wurden, nun nach und nach in Gang kommen.
                                                          ten Jahreshälfte kommen auch kräftige Impulse
      Begleitet wird all dies von einer weiterhin sehr
                                                          aus dem Auslandsgeschäft und der heimischen
      expansiven Geldpolitik. Alles in allem stehen die
                                                          Investitionstätigkeit hinzu. Im Jahresverlauf wer-
      Zeichen damit auf kräftige Expansion, die in dem
                                                          den sich die Zuwachsraten deutlich abschwä-
      Maße preistreibend wirkt, wie die entsprechen-
                                                          chen und gegen Ende des Prognosezeitraums
      den Produktionskapazitäten noch nicht wieder
                                                          nur noch wenig über der Wachstumsrate des
      mit der höheren Nachfrage Schritt halten kön-
                                                          Produktionspotenzials liegen. In der hohen Zu-
      nen.
                                                          wachsrate für das Jahr 2022 kommt daher mit
      Im Jahr 2021 nimmt das Bruttoinlandspro-            3,3 Prozentpunkten ein hoher statistischer Über-
      dukt um 3,9 Prozent zu, im kommenden Jahr           hang zum Tragen (Tabelle 1).
      um 4,8 Prozent. Gegenüber unserer Frühjahrs-
                                                          Tabelle: 1
      prognose haben wir die Prognose für die Expan-      Statistische Zerlegung der Zuwachsrate des Bruttoinlands-
      sionsrate des laufenden Jahres geringfügig (um      produktes
                                                                                                  2019 2020 2021 2022
      0,2 Prozentpunkte) angehoben (Abbildung 1).         Ursprungswerte                            0,6   -4,8    3,9     4,8
      Zwar fiel das Minus der Wirtschaftsleistung im         Kalendereffekt (Prozentpunkte)         0,0    0,4    0,0    -0,1
                                                             kalenderbereinigt                      0,6   -5,1    3,9     4,9
      ersten Quartal merklich kleiner aus als erwartet    Statistischer Überhang                    0,2    0,0    2,0     3,3
                                                          Verlaufsrate                              0,4   -3,3    5,3     2,2
      (-1,8 Prozent gegenüber einem prognostizierten      Preisbereinigt, in Prozent; Statistischer Überhang: Jahreszu-
      Wert von -2,7 Prozent), vor allem, weil der pri-    wachsrate, die sich ergäbe, wenn das Bruttoinlandsprodukt in al-
                                                          len vier Quartalen unverändert bliebe; Verlaufsrate: Vorjahresrate
      vate Verbrauch weniger stark auf den Shutdown       im vierten Quartal auf der Basis saison- und kalender-bereinigter
      reagierte und Läger deutlich aufgestockt wur-       Quartalswerte; Abweichungen bei der Zerlegung rundungsbe-
                                                          dingt.
      den. Allerdings gehen wir nun vor allem für das     Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2 und
      zweite Quartal von einer etwas geringeren           Reihe 1.3; eigene Berechnungen; grau hinterlegt: Prognose des
                                                          IfW Kiel.

                                                                                                                                3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      Die Produktionslücke überzeichnet die unter         zum Ende des Prognosezeitraums fast wieder
      Pandemiebedingungen relevanten Expansi-             auf ihr Vorkrisenniveau.
      onsspielräume erheblich. Die Wirtschaftsleis-
                                                          Der Expansionsgrad der Finanzpolitik stellt
      tung lag im vergangenen Jahr rechnerisch 5 Pro-
                                                          sich nochmals etwas größer dar, ein erhebli-
      zent unter dem Wert, der bei Normalauslastung
                                                          cher Teil der Impulse kann jedoch erst wäh-
      aller Produktionsfaktoren möglich gewesen
                                                          rend der Erholung nachfragestimulierend
      wäre. Im laufenden Jahr beträgt die so gemes-
                                                          wirken. Gegenüber dem Datenstand der Früh-
      sene Produktionslücke immer noch -2,3 Prozent
                                                          jahrsprognose wird das gesamtstaatliche Finan-
      und suggeriert somit weiterhin eine beträchtliche
                                                          zierungsdefizit für das Jahr 2020 nunmehr mit
      gesamtwirtschaftliche Unterauslastung. Indes
                                                          rund 140 Milliarden Euro nochmals um fast 10
      unterstellt dies, dass alle Produktionskapazitä-
                                                          Milliarden Euro höher ausgewiesen. Dies mar-
      ten auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Dies
                                                          kiert den höchsten Wert, der je in einer Krise ver-
      ist unter den Bedingungen einer Pandemie je-
                                                          zeichnet wurde, auch wenn man das Defizit in
      doch gerade nicht der Fall, weil im Interesse des
                                                          Relation zur Wirtschaftsleistung setzt. Im laufen-
      Infektionsschutzes bestimmte Wirtschaftsberei-
                                                          den Jahr dürfte das Defizit gut 175 Milliarden
      che erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar
                                                          Euro erreichen (12 Milliarden mehr als noch im
      gänzlich stillgelegt werden. Auch die derzeitigen
                                                          Frühjahr erwartet), für das kommende Jahr rech-
      Produktionsbehinderungen infolge von Lie-
                                                          nen wir mit einem Fehlbetrag von 52 Milliarden.
      ferengpässen führen dazu, dass eine betrags-
                                                          Neben den Mindereinnahmen (auch durch die
      mäßig größere Produktionslücke ausgewiesen
                                                          temporäre Mehrwertsteuersenkung) ist ein Gut-
      wird, die damit Expansionsspielräume anzeigt,
                                                          teil der hohen Defizite in den beiden Pandemie-
      die kurzfristig gar nicht bestehen. So melden die
                                                          jahren dem Aufwuchs bei Subventionen (Unter-
      Industrieunternehmen derzeit im Durchschnitt
                                                          nehmenshilfen) und monetären Sozialleistungen
      eine über dem Normalniveau liegende Kapazi-
                                                          (u. a. Kurzarbeitergeld) geschuldet. Diese Leis-
      tätsauslastung. Eine ausgeprägte konjunkturelle
                                                          tungen haben während der Pandemie die priva-
      Anspannung und eine zunächst weiterhin offene
                                                          ten Einkommen stabilisiert und die Produktions-
      Produktionslücke sind somit kein Widerspruch.
                                                          kapazitäten im Großen und Ganzen aufrecht-
      Da all diese Produktionseinschränkungen im
                                                          erhalten. Die so vom Staat an den Privatsektor
      kommenden Jahr unter den dieser Prognose zu-
                                                          transferierte Kaufkraft kann mit Blick auf die pri-
      grundeliegenden Annahmen nicht mehr beste-
                                                          vaten Konsumausgaben erst mit dem Wiederer-
      hen, wird dann das Konzept der Produktionslü-
                                                          öffnen der entsprechenden Wirtschaftsbereiche
      cke mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Kapa-
                                                          in größerem Umfang ausgabenwirksam werden.
      zitätsauslastung wieder aussagekräftiger. Mit ei-
                                                          Ein großer Teil des fiskalischen Stabilisierungs-
      nem Wert von 0,7 Prozent dürfte die Normalaus-
                                                          effektes hat sich demnach bislang aufgestaut.
      lastung im Durchschnitt des Jahres 2022 etwas
                                                          Ebenso laufen die in der Krise beschlossenen
      überschritten werden.
                                                          zusätzlichen Transformationsausgaben auf nati-
      Das Bild für die Entwicklung am Arbeitsmarkt        onaler und EU-Ebene (Zukunftspaket, „Next Ge-
      hat sich seit dem Frühjahr kaum geändert. Im        neration EU“-Programm) erst in diesem und im
      Zuge der kräftigen Erholung der wirtschaftlichen    nächsten Jahr an. Sie treffen damit auf eine Wirt-
      Aktivität wird auch der in der Coronakrise einge-   schaft, die dann schon wieder sehr nahe an oder
      tretene Beschäftigungseinbruch nach und nach        bereits über der normalen Kapazitätsauslastung
      überwunden (Tabelle 2). Der rasche Abbau der        operiert. So dürften insbesondere im Bereich der
      Kurzarbeit geht in der zweiten Hälfte des laufen-   Bauwirtschaft starke Verdrängungseffekte die
      den Jahres in einen dynamischen Beschäfti-          Folge sein.
      gungsaufbau über. Die Effektivverdienste wer-
      den wieder stärker anziehen, zunächst im Zuge
      der rückläufigen Kurzarbeit, im weiteren Progno-
      sezeitraum infolge zunehmender Knappheiten
      am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote sinkt bis

                                                                                                                4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      Tabelle 2:
      Eckdatentabelle für die wirtschaftliche Entwicklung
                                                                                            2019      2020       2021        2022
      Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt                                                    0,6       -4,8       3,9         4,8
      Bruttoinlandsprodukt, Deflator                                                          2,2        1,6       2,2         1,7
      Verbraucherpreise                                                                       1,4        0,5       2,6         1,9
      Arbeitsproduktivität (Stundenkonzept)                                                  -0,0       -0,0       2,0         0,9
      Erwerbstätige im Inland (1000 Personen)                                             45.268    44.818     44.804      45.565
      Arbeitslosenquote (Prozent)                                                             5,0        5,9       5,8         5,3
      In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt
         Finanzierungssaldo des Staates                                                       1,5       -4,5      -4,9        -1,4
         Schuldenstand                                                                       59,7      69,7       70,2       66,6
         Leistungsbilanz                                                                      7,2        7,3       6,9         6,4
      Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, Arbeitsproduktivität: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; Arbeitslosen-
      quote: Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit.
      Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht; Bundesagentur für Arbeit,
      Monatsbericht; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

      Die kräftige Erholung geht auf der Verbrau-                      Allerdings ist unklar, in welchem Umfang und
      cher- wie auf der Erzeugerstufe mit einem                        über welchen Zeitraum die privaten Haushalte –
      verstärkten Preisauftrieb einher. Für die Ver-                   nicht nur in Deutschland – die während der Pan-
      braucherpreise zeichnet sich im laufenden Jahr                   demie aufgestaute Kaufkraft für nachholende
      mit einer Inflationsrate von 2,6 Prozent der                     Güterkäufe nutzen. Bis Mitte des kommenden
      stärkste Anstieg seit 13 Jahren ab. Hierfür sind                 Jahres ist für diese Prognose unterstellt, dass
      zwar zu einem erheblichen Teil Sondereffekte                     die kräftige Erholung der Konsumausgaben im
      verantwortlich (Wiederanhebung der Mehrwert-                     Wesentlichen durch die Normalisierung des
      steuer, Einführung der CO2-Steuer, Basiseffekte                  Ausgabeverhaltens der privaten Haushalte ge-
      im Zuge sich erholender Energiepreise). Aber                     tragen wird. Erst in der zweiten Hälfte des kom-
      auch die sich mit der Überwindung der Pande-                     menden Jahres unterschreitet die Sparquote der
      mie kräftig erholende Nachfrage wirkt preistrei-                 privaten Haushalte die Vorkrisenniveaus etwas.
      bend. In den konsumnahen Wirtschaftsberei-                       Zudem dürfte der Privatsektor Teile der aufge-
      chen dürfte sie sich vor allem auf solche Güter                  stauten Kaufkraft auch für Wohnungsbauinvesti-
      richten, die während der Shutdowns entbehrt                      tionen verwenden und dort zum Preisauftrieb
      werden mussten. Dies sind vor allem kontaktin-                   beitragen. Ferner werden erst im Zuge der ohne-
      tensive Dienstleistungen (z. B. Gastronomie,                     hin schon kräftigen Erholung Teile der staatli-
      Touristik, Unterhaltung), bei denen die Kapazitä-                chen Konjunkturprogramme ausgabewirksam.
      ten typischerweise kaum rasch über das Vorkri-                   Hinzu kommen zusätzliche strukturelle Ausga-
      senniveau hinaus aufgestockt werden können,                      ben für verschiedene industriepolitische Pro-
      sodass sich hier für die Unternehmen größere                     gramme, die ohne die Krise wohl nicht beschlos-
      Spielräume für höhere Preise bieten. Ein starker                 sen worden wären. Auch im Ausland wird die
      Preisauftrieb zeigt sich auch bei Erzeugerprei-                  Wirtschaft durch die Finanzpolitik stark stimu-
      sen und wichtigen Rohstoffen. Anders als die                     liert, wodurch sich auch im Exportgeschäft zu-
      Energiepreise hatten diese nach dem Ausbruch                     sätzliche Preiserhöhungsspielräume ergeben.
      der Pandemie kaum nachgegeben, ziehen aber                       All dies geht einher mit einer weiterhin ultraex-
      seit Jahresbeginn kräftig an. So haben die No-                   pansiv ausgerichteten Geldpolitik, sodass von
      tierungen für Nichtenergierohstoffe innerhalb                    den Finanzierungskonditionen im gesamten
      weniger Monate ein Allzeithoch erklommen, und                    Prognosezeitraum kaum nennenswerte Brems-
      auch die Erzeugerpreise für den Inlandsabsatz                    effekte zu erwarten sind.
      steigen seit Anfang des Jahres rasant. Hier dürf-
      ten vor allem die bestehenden Produktionsbe-
                                                                       Monetäre Rahmenbedingungen
      hinderungen bei einem gleichzeitig starken
      Nachfragesog preistreibend wirken. In dem                        Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt
      Maße, wie die Friktionen im industriellen Bereich                keine Änderungen an ihren geldpolitischen
      allmählich überwunden werden, dürfte von die-                    Instrumenten vor. Die gezielten längerfristigen
      ser Seite eine gewissen Entspannung eintreten.                   Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) sowie die

                                                                                                                                     5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      Nettokäufe unter dem Anleihekaufprogramm             beobachten. Hierzu trugen allerdings auch Ba-
      APP im monatlichen Umfang von 20 Mrd. Euro           siseffekte aus der akuten Krisenphase bei, in der
      werden unverändert fortgesetzt. Die Käufe im         in großem Umfang Überbrückungskredite aufge-
      (äußerst flexibel definierten) Rahmen des Pan-       nommen worden waren. Die Konsumenten- und
      demie-Notfallprogramms (PEPP) sollen wie be-         sonstigen Kredite entwickelten sich weiterhin
      reits seit März auch im kommenden Quartal for-       schwach; sie lagen 0,3 Prozent unter ihrem Vor-
      ciert durchgeführt werden. Hierbei zielt die EZB     jahresvolumen. Bei den nichtfinanziellen Unter-
      neben ihrem Inflationsziel auch darauf ab, die Fi-   nehmen hält der Trend hin zu einer verstärkten
      nanzierungsbedingungen in allen Marktsegmen-         Finanzierung über die Kapitalmärkte an: im April
      ten günstig zu halten. Mit einer Leitzinsanhe-       hatten sie 10,8 Prozent mehr inländische Inha-
      bung (derzeit Einlagesatz: -0,5 Prozent, Haupt-      berschuldverschreibungen im Umlauf als ein
      refinanzierungssatz: 0 Prozent, Spitzenrefinan-      Jahr zuvor. Die Coronakrise hat bislang in der
      zierungssatz: 0,25 Prozent) rechnen wir bis zum      Insolvenzstatistik erstaunlich geringe Spuren
      Ende des Prognosezeitraums nicht.                    hinterlassen. Auch im März lag die Zahl der an-
                                                           gemeldeten Unternehmensinsolvenzen unter ih-
      Das sehr günstige Finanzierungsumfeld
                                                           rem Vorjahresniveau. Bei den Insolvenzen von
      bleibt bestehen. Zwar wurden ausweislich der
                                                           Verbrauchern und ehemals selbständig Tätigen
      Umfrage unter den Geschäftsbanken (Bank Len-
                                                           kam es zwar im Februar und März zu kräftigen
      ding Survey) die Kreditrichtlinien für Unterneh-
                                                           Anstiegen, hierzu dürfte allerdings auch beige-
      men zuletzt per Saldo gestrafft, allerdings sind
                                                           tragen haben, dass viele Personen wohl die Ge-
      die Darlehenszinsen weiterhin äußerst niedrig.
                                                           setzesnovelle, die die Entschuldung erleichtert,
      Bei Restlaufzeiten zwischen einem und fünf Jah-
                                                           abgewartet haben.
      ren betrugen sie im April für kleinere und größere
      Kredite nichtfinanzieller Unternehmen 2,2 bzw.
      1,4 Prozent. Auch für Wohnungsbaukredite ver-        Außenhandel
      blieben sie mit 1,3 Prozent bei ihrem historisch
                                                           Die Erholung der Exporte wird vorüberge-
      niedrigen Niveau. Die Kapitalmarktfinanzierung
                                                           hend durch Knappheiten bei Vorleistungsgü-
      blieb ebenfalls günstig: die Renditen von Anlei-
                                                           tern gebremst. Zu Jahresbeginn expandierten
      hen nichtfinanzieller Unternehmen mit mittleren
                                                           die Exporte erwartungsgemäß recht kräftig,
      Restlaufzeiten von über drei Jahren verharrten
                                                           wenngleich mit deutlich geringerer Dynamik als
      im Mai bei 0,9 Prozent, wodurch sich der Auf-
                                                           im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres.
      schlag gegenüber Bundesanleihen mit ähnlicher
                                                           Dabei stiegen die Exporte von Waren und von
      Laufzeit weiter verringerte, auf nun 1,1 Prozent-
                                                           Dienstleistungen gleichermaßen. Einem stärke-
      punkte. Hier hat sich die langsame Zinswende,
                                                           ren Anstieg wirkte der Austritt des Vereinigten
      die zuletzt bei Staatspapieren zu verzeichnen
                                                           Königsreichs aus der Europäischen Union zum
      war, also noch nicht niedergeschlagen. Wäh-
                                                           Jahreswechsel 2020/2021 entgegen. Die nomi-
      rend zehnjährige Bundesanleihen vor einem hal-
                                                           nalen Warenexporte dorthin brachen zu Jahres-
      ben Jahr noch mit -0,6 Prozent rentierten, stieg
                                                           beginn regelrecht ein; im ersten Quartal lagen
      ihre Rendite seitdem auf -0,3 Prozent, wozu
                                                           sie insgesamt rund ein Fünftel unter ihrem Vor-
      wohl nicht zuletzt höhere Inflationserwartungen
                                                           quartalsniveau. Dazu dürften Vorzieheffekte im
      beitrugen. Im Einklang mit der aktuellen Zins-
                                                           vergangenen Jahr und längere Bearbeitungszei-
      strukturkurve rechnen wir bis zum Ende des
                                                           ten beim Grenzübertritt beigetragen haben, aber
      Prognosezeitraums mit einem weiteren leichten
                                                           auch pandemiebedingte Sondereffekte. Zudem
      Anstieg dieser Rendite auf dann -0,1 Prozent.
                                                           haben produktionsseitige Engpässe einen stär-
      Die Kreditexpansion bleibt robust. Im April          keren Anstieg der Warenexporte insgesamt ver-
      stieg das Volumen der Kredite an den nichtfinan-     hindert. Dafür spricht, dass das Ausfuhrvolumen
      ziellen privaten Sektor im Vorjahresvergleich um     nicht mit den Bestellungen aus dem Ausland
      3,9 Prozent. Haupttreiber blieben die Woh-           Schritt hält. Letztere lagen im ersten Quartal be-
      nungsbaukredite, deren Zuwachs sich auf nun          reits fast 10 Prozent über ihrem Vorkrisenniveau
      6,8 Prozent beschleunigte. Demgegenüber war          Ende des Jahres 2019, wohingegen die Waren-
      bei den Krediten an die nichtfinanziellen Unter-     exporte noch leicht darunter lagen. Die nomina-
      nehmen eine gefallene Rate von 2,2 Prozent zu        len Exporte im Kraftwagensegment gingen im

                                                                                                                6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      ersten Quartal sogar zurück; besonders in die-            Im Außenhandel steigen die Preise deutlich.
      sem Bereich klagten Unternehmen zuletzt ver-              Die Importe verteuerten sich im ersten Quartal
      mehrt über fehlende Vorprodukte. Im laufenden             nicht nur aufgrund der weiter gestiegenen Roh-
      Quartal dürfte sich die Erholung der Exporte an-          stoffpreise, sondern auch, weil sich die Preise für
      gesichts der weiter deutlich aufwärtsgerichteten          importierte Vorleistungsgüter nicht zuletzt auf-
      Frühindikatoren zwar fortgesetzt haben, jedoch            grund von Lieferengpässen spürbar erhöhten.
      deuten die preisbereinigten Monatsdaten im                Gleichzeitig stiegen auch die Exportpreise merk-
      Spezialhandel auf eine weitere Abschwächung               lich, sodass sich die Terms of Trade kaum ver-
      der Dynamik hin. Die produktionsseitigen                  schlechterten. Zum Anstieg trugen auch die
      Knappheiten dürften zunächst ein belastender              drastisch gestiegenen Frachtraten für den See-
      Faktor bleiben. Mit dem Nachlassen dieser Frik-           verkehr bei (Gern et al. 2021).1 Im laufenden
      tionen werden die Exporte voraussichtlich wie-            Quartal sind die Import- und Exportpreise wohl
      der in erhöhtem Tempo zulegen, zumal der An-              weiter spürbar gestiegen, letztere aber in gerin-
      stieg der globalen Investitionstätigkeit stimulie-        gerem Maße, sodass sich die Terms of Trade
      ren dürfte (Gern et al. 2021). Die Rücknahme              deutlich verschlechtert haben dürften; darauf
      pandemiebedingter Einschränkungen wird zu-                deuten die monatlichen Preisindizes im Außen-
      dem den Export von Dienstleistungen beflügeln.            handel hin. Im weiteren Jahresverlauf werden
      Insgesamt rechnen wir damit, dass die Exporte             sie sich gegeben unserer Wechselkurs- und Öl-
      im laufenden Jahr um 11,2 Prozent zulegen wer-            preisannahmen weiter verschlechtern, jedoch
      den. Nach diesem Aufholprozess steigen sie                mit abnehmender Dynamik. Im Jahr 2022 dürf-
      wieder mit geringeren Raten; für das Jahr 2022            ten sie in etwa unverändert bleiben. Insgesamt
      ergibt sich eine Zuwachsrate von 5,8 Prozent.             rechnen wir mit einer Verschlechterung der
                                                                Terms of Trade um 1,6 Prozent im laufenden
      Auf der Importseite hinken die Dienstleistun-
                                                                Jahr und um 0,5 Prozent im Jahr 2022.
      gen den Waren im Erholungsprozess hinter-
      her. Im ersten Quartal erhöhten sich die Importe
      trotz der Schwäche bei der heimischen Absorp-             Entstehung
      tion sehr kräftig. Maßgeblich war ein deutlicher
                                                                Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird
      Anstieg der Warenimporte im März sowie eine
                                                                ihre Erholung nach der pandemiebedingten
      positive Entwicklung in einigen Dienstleistungs-
                                                                Verzögerung im Winterhalbjahr in hohem
      bereichen. Die Warenimporte haben das Vorkri-
                                                                Tempo fortsetzen. Da die pandemiebedingten
      senniveau vom vierten Quartal 2019 bereits
                                                                Einschränkungen der ökonomischen Aktivität
      überschritten. Im Sommerhalbjahr werden sie im
                                                                unserer Annahme zufolge nun rasch entfallen,
      Zuge der Erholung der Binnenkonjunktur weiter
                                                                wird die Bruttowertschöpfung vor allem in den
      spürbar zulegen, wenngleich sich für das lau-
                                                                Wirtschaftsbereichen kräftig zunehmen, die da-
      fende Quartal nach den preisbereinigten Mo-
                                                                von zuvor besonders beeinträchtigt worden wa-
      natswerten im Spezialhandel ein moderaterer
                                                                ren. Im Verarbeitenden Gewerbe dürfte sich die
      Anstieg abzeichnet. Die Dienstleistungsimporte
                                                                Erholung jedoch noch etwas verzögern, da hier
      lagen im ersten Quartal noch rund 20 Prozent
                                                                Lieferengpässe die Produktion spürbar behin-
      unter ihrem Vorkrisenniveau. Mit den Lockerun-
                                                                dern.
      gen im Reiseverkehr dürften sie im Sommer-
      halbjahr kräftig ausgeweitet werden. Nach die-            Die Lieferengpässe belasten die Industrie-
      sem Erholungsprozess schwächt sich die Im-                produktion massiv. Während die Auftragsein-
      portdynamik insgesamt ab. Im laufenden Jahr               gänge angesichts der lebhaften weltweiten
      steigen die Einfuhren um 10,9 Prozent; im Jahr            Nachfrage ihr Vorkrisenniveau bereits um 10
      2022 um 7,1 Prozent.                                      Prozent überschritten haben, ist die Industrie-
                                                                produktion seit Jahresbeginn noch einmal um

      1 Deutschland ist Nettoexporteur von Transportleis-       Prozent an den Dienstleistungsexporten, aber von nur
      tungen im Seeverkehr. Im Jahr 2019 wurden Fracht-         2 Prozent an den Dienstleistungsimporten. Daher
      leistungen in Höhe von rund 27 Mrd. Euro exportiert;      schlagen sich die drastisch erhöhten Frachtraten
      der Importwert belief sich auf weniger als 7 Mrd. Euro.   deutlich stärker im Deflator der Exporte nieder.
      Damit hat die Seefracht einen Anteil von reichlich 8

                                                                                                                       7
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      2,5 Prozent zurückgegangen und lag damit zu-        die Produktion so zusätzlich vorübergehend er-
      letzt 5 Prozent unter ihrem Vorkrisenniveau. Ins-   höhen. Sofern es nicht zu größeren Stornierun-
      besondere dürften Lieferengpässe zu dieser          gen von Aufträgen kommt oder die Unterneh-
      Diskrepanz beigetragen haben. So berichtete         men längerfristig mit einem höheren Auftragsbe-
      zuletzt ein Rekordanteil von mehr als 40 Prozent    stand disponieren, ist diesbezüglich seit Jahres-
      der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe           beginn zusätzlich zum Aufholpotenzial ein Nach-
      von Produktionsbehinderungen aufgrund eines         holpotenzial von etwa 6,5 Prozent aufgelaufen.
      Mangels an Rohstoffen oder Vorleistungen. Der       Für unsere Prognose gehen wir davon aus, dass
      quantitative Einfluss der Lieferengpässe ist je-    sich die Lieferengpässe in der zweiten Jahres-
      doch nur schwer abschätzbar, auch weil solche       hälfte nur allmählich abbauen, sodass das Auf-
      Engpässe in der Vergangenheit wohl nur recht        wärtspotenzial bei der Produktion erst nach und
      selten die Produktion maßgeblich beeinflusst ha-    nach realisiert werden wird.
      ben. Quantitativ eingrenzen lässt sich der Ein-
      fluss, indem man ein „normales“ Niveau der In-
                                                          Heimische Absorption
      dustrieproduktion anhand des langfristigen Zu-
      sammenhangs zwischen Produktion und Auf-            Die heimische Absorption hat sich im Winter-
      tragseingängen abschätzt. Unseren Schätzun-         halbjahr angesichts der umfangreichen In-
      gen zufolge lag die Industrieproduktion im April    fektionsschutzmaßnahmen robust gezeigt.
      mehr als 10 Prozent unter dem Niveau, das an-       Dazu haben zwar auch deutliche Anstiege bei
      gesichts der Auftragsentwicklung zu erwarten        den Vorratsveränderungen beigetragen. Doch
      gewesen wäre (Kasten 1). Allein seit Jahresbe-      selbst wenn man davon absieht, fiel der Rück-
      ginn hat sich diese Diskrepanz um rund 5 Pro-       gang bei Weitem nicht so dramatisch aus wie im
      zentpunkte erhöht. Unterstellt man, dass die        Verlauf der ersten Welle im vergangenen Jahr.
      Entwicklung seit dem Jahresbeginn vor allem         Der Rückgang bei den privaten Konsumausga-
      auf die Lieferengpässe zurückzuführen ist und       ben war in Anbetracht der Dauer der Shutdown-
      mittels der Industrieproduktion auf eine ver-       Maßnahmen vergleichsweise moderat. Bei den
      gleichbare Entwicklung der Bruttowertschöpfung      Bruttoanlageinvestitionen hatten sich für das
      im Verarbeitenden Gewerbe geschlossen wer-          Winterhalbjahr ohnehin keine größeren Rück-
      den kann, dann wurde die Bruttowertschöpfung        schläge abgezeichnet. Mit den nun deutlich
      im Verarbeitenden Gewerbe allein im ersten          nachlassenden Belastungen durch die Pande-
      Quartal um rund 2 Prozent durch die Liefereng-      mie wird die heimische Absorption rasch anzie-
      pässe gedrückt. Sollten sich die Lieferengpässe     hen und wohl bereits im dritten Quartal wieder
      zumindest bis zur Jahresmitte auf dem Niveau        ihr Vorkrisenniveau erreichen. Der Einbruch war
      des Aprils fortsetzen – was plausibel erscheint –   somit zwar deutlich tiefer, als dies in früheren
      würde die Bruttowertschöpfung dadurch noch          Rezessionen zu beobachten war. Gleichzeitig
      mal zusätzlich um etwa 2,5 Prozent gedrückt         würde damit die Erholung aber auch deutlich
      werden.                                             schneller vollzogen werden.

      Sobald die Lieferengpässe nachlassen, wird          Die verfügbaren Einkommen legen kräftig zu.
      die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe            Nachdem die verfügbaren Einkommen im ver-
      zusätzlichen Schub erhalten. Zum einen wird         gangenen Jahr stagnierten, zeichnen sich nun
      sich die Produktion dann dauerhaft wieder ihrem     recht kräftige Anstiege von 3,9 Prozent (2021)
      normalen Niveau annähern, das angesichts der        bzw. 4,4 Prozent (2022) ab. So wird die Lohn-
      Auftragseingänge zu erwarten wäre. Allein seit      summe mit der Besserung am Arbeitsmarkt wie-
      Jahresbeginn hat sich ein Aufholpotenzial für die   der kräftig anziehen, nachdem sie im vergange-
      Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Ge-           nen Jahr noch um 0,7 Prozent zurückgegangen
      werbe von 4,5 Prozent ergeben – die Bruttowert-     war. Insbesondere im laufenden Jahr werden
      schöpfung würde demzufolge zukünftig um 4,5         zudem steuerliche Anpassungen – insbeson-
      Prozent stärker zunehmen als die Auftragsein-       dere der zu großen Teilen entfallene Solidari-
      gänge. Zum anderen dürfte der durch die nied-       tätszuschlag – die Nettolöhne und -gehälter zu-
      rige Produktion zwischenzeitlich aufgelaufene       sätzlich erhöhen. Die Unternehmens- und Ver-
      Auftragsbestand dann abgearbeitet werden und        mögenseinkommen (UVE) dürften angesichts

                                                                                                              8
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      der raschen wirtschaftlichen Erholung vor allem      kräftig aus. Mit den weiteren Lockerungen wer-
      im laufenden Jahr, in dem die Unternehmen            den die privaten Konsumausgaben im Sommer-
      auch noch durch recht hohe Subventionszahlun-        halbjahr spürbar anziehen und voraussichtlich
      gen unterstützt werden, kräftig steigen. Damit       ihr Vorkrisenniveau bereits wieder übersteigen.
      bewegt sich die UVE in Relation zum Volksein-        Zwar kam es aufgrund der zwischenzeitlichen
      kommen dann in etwa auf dem Niveau des Jah-          Verschärfungen der Shutdown-Maßnahmen im
      res 2019. In früheren Zyklen legten die UVE der      April zu einem deutlichen Rücksetzer bei den
      privaten Haushalte erst mit leichter Verzögerung     Einzelhandelsumsätzen; sie lagen dabei aber
      wieder zu, sodass wir hier erst für das Jahr 2022    immer noch auf dem durchschnittlich im ersten
      mit einem kräftigeren Anstieg rechnen. Demge-        Quartal verzeichneten Niveau. Wir gehen davon
      genüber werden die monetären Sozialleistungen        aus, dass sie im Mai das Niveau vom März be-
      2022 wohl deutlich weniger dynamisch zulegen         reits wieder übertroffen haben – dafür spricht
      als im laufenden Jahr. Nach einem Anstieg von        auch das Passantenaufkommen in den deut-
      rund 3 Prozent im laufenden Jahr dürften sie im      schen Innenstädten –2 und danach weiter anzie-
      kommenden Jahr kaum mehr als stagnieren.             hen. Die Erholung in anderen besonders be-
      Geschmälert wird die Kaufkraft der verfügbaren       troffenen Branchen wie dem Gastgewerbe dürfte
      Einkommen durch kräftige Preisanstiege. Für          aufgrund der dort etwas späteren Lockerung der
      das laufende Jahr rechnen wir mit einem Anstieg      Infektionsschutzmaßnahmen leicht verzögert
      des Deflators der privaten Konsumausgaben            eintreten und stärker im dritten Quartal zum Tra-
      von 2,6 Prozent, gefolgt von 1,8 Prozent im Jahr     gen kommen. Vor diesem Hintergrund rechnen
      2022.                                                wir für das laufende Jahr mit einer Zuwachsrate
                                                           der privaten Konsumausgaben von 2,4 Prozent.
      Die privaten Konsumausgaben schließen mit
                                                           Die Stärke der Erholung wird erst im Jahreser-
      den Lockerungen rasch zu ihrem Vorkrisen-
                                                           gebnis für 2022 mit einer Zuwachsrate von vo-
      niveau auf. Im Verlauf des Winterhalbjahres
                                                           raussichtlich 8,2 Prozent sichtbar werden.
      sind die privaten Konsumausgaben zwar um
      mehr als 7 Prozent gefallen. Angesichts der          Es ist weiterhin offen, wieviel der zwischen-
      Dauer der Infektionsschutzmaßnahmen, die vor         zeitlich aufgestauten Kaufkraft für zusätzli-
      allem Teile des Einzelhandels sowie einige kon-      che private Konsumausgaben aufgewendet
      taktintensive Dienstleistungsbranchen wie das        werden wird. Vor allem aufgrund der einge-
      Gastegerwebe betrafen, fiel der Rückgang im          schränkten Konsummöglichkeiten haben die pri-
      Vergleich zum zweiten Quartal 2020 jedoch            vaten Haushalte ihre Ersparnis seit dem Beginn
      recht glimpflich aus. So lagen die privaten Kon-     der Pandemie in beträchtlichem Maße ausge-
      sumausgaben im ersten Quartal rund 3 Prozent         weitet. Im Vergleich zu einem Szenario, in dem
      über dem Tiefpunkt des vergangenen Jahres            die Sparquote auf ihrem Vorkrisenniveau ver-
      und haben sich damit besser gehalten als wir es      blieben wäre, beträgt unserer Prognose zufolge
      – gestützt auf die Erfahrungen während des ers-      die im vergangenen und in diesem Jahr aufge-
      ten Shutdowns – in unserer Frühjahrsprognose         staute Kaufkraft zusammengenommen rund 200
      erwartet hatten (Jannsen 2021). Zur besseren         Mrd. Euro bzw. 10 Prozent des verfügbaren Ein-
      Entwicklung beigetragen hat, dass sich der Kfz-      kommens (im Jahr 2019).3 Für unsere Prognose
      Handel – trotz der zusätzlichen Belastungen          haben wir unterstellt, dass die Sparquote im Jahr
      durch die Mehrwertsteuererhöhung zu Jahres-          2022 nur leicht um 0,5 Prozentpunkte ihr Vorkri-
      beginn – deutlich besser behauptet hat als wäh-      senniveau unterschreitet und somit nur ein klei-
      rend der ersten Welle. Zudem hat der Online-         ner Teil der zwischenzeitlich zusätzlich aufge-
      Handel wohl stärker stabilisiert, als von uns im     bauten Ersparnis für private Konsumausgaben
      Frühjahr veranschlagt. Schließlich fiel der An-
      stieg der Einzelhandelsumsätze im März trotz
      der noch recht moderaten Lockerungen sehr

      2   Vgl. den IfW-Datenmonitor. https://www.ifw-      3 Der überwiegende Teil von dieser aufgestauten
      kiel.de/de/the-mendossiers/corona-krise/datenmoni-   Kaufkraft ist bereits bis einschließlich des ersten
      tor-corona-krise/.                                   Quartals des laufenden Jahres angefallen.

                                                                                                                 9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      aufgewendet werden wird.4 So dürfte ein Teil der       sich Unternehmen aufgrund einer durch die Pan-
      aufgestauten Kaufkraft für Immobilien- oder            demie angegriffenen Eigenkapitaldecke erst ein-
      Wertpapieranlagen aufgewendet werden. Ein              mal mit Investitionen zurückhalten. Die beson-
      großer Teil der zusätzlichen Ersparnis ist wohl        ders von der Pandemie betroffenen Branchen
      ohnehin bei Haushalten angefallen, die eine            sind jedoch nur für einen kleineren Teil der Un-
      hohe Sparneigung haben (Deutsche Bundes-               ternehmensinvestitionen verantwortlich. Offen
      bank 2021). Schließlich könnten insbesondere           ist, inwieweit die Lieferprobleme im Verarbeiten-
      Soloselbstständige und Kleinstunternehmen,             den Gewerbe die Erholung bei den Investitionen
      deren Ersparnisse in der Krise aufgezehrt wur-         belasten. Kurzfristig könnten Produktionsbehin-
      den, ihre Ersparnisbildung mit der wirtschaftli-       derungen, die zu längeren Lieferzeiten bei In-
      chen Besserung zunächst wieder erhöhen. Frei-          vestitionsgütern führen, die Erholung verzögern.
      lich ist es sehr gut möglich, dass ein weitaus grö-    Sollten sich die Lieferprobleme verschärfen und
      ßerer Teil der aufgestauten Ersparnis für Kon-         auf die Geschäftsaussichten durchschlagen,
      sumausgaben aufgewendet wird. Die privaten             könnten Unternehmen ihre Investitionsvorhaben
      Konsumausgaben und die Verbraucherpreise               aber auch zurückstellen. Für unsere Prognose
      würden dann deutlich stärker steigen als in die-       unterstellen wir, dass es lediglich zu kurzfristigen
      ser Prognose.                                          Belastungen kommt und die Unternehmensin-
                                                             vestitionen im zweiten Halbjahr wieder merklich
      Die Unternehmensinvestitionen erholen sich
                                                             Fahrt aufnehmen. Für ein zunächst noch verhal-
      im Rekordtempo. Im Winterhalbjahr dürfte die
                                                             tenes zweites Quartal sprechen auch die monat-
      wieder verschärfte Pandemielage in Deutsch-
                                                             lichen Inlandsumsätze sowie die Produktions-
      land zwar auch Bremsspuren bei den Unterneh-
                                                             zahlen     der     Investitionsgüterhersteller     in
      mensinvestitionen hinterlassen haben. Aller-
                                                             Deutschland. Alles in allem dürften die Unter-
      dings wurden sie noch leicht ausgeweitet und
                                                             nehmensinvestitionen in diesem Jahr um 4,3
      brachen nicht abermals ein, so wie es während
                                                             Prozent und im kommenden Jahr um 5,2 Pro-
      der ersten Infektionswelle noch zu beobachten
                                                             zent zulegen, nach einem Rückgang von 6,2
      war. Angesichts der kräftigen wirtschaftlichen
                                                             Prozent im vergangenen Jahr.
      Erholung im In- und Ausland und den damit ver-
      bundenen besseren Geschäftsaussichten wird             Materialengpässe heizen die Baupreise an.
      die Investitionstätigkeit voraussichtlich wieder       Die Bauinvestitionen sind im Winterhalbjahr
      spürbar Fahrt aufnehmen. Vor allem bei den             deutlich gestiegen. Selbst für das erste Quartal,
      Ausrüstungsinvestitionen gibt es noch Aufholpo-        in dem die Mehrwertsteuererhöhung sowie un-
      tenzial, lagen sie doch im ersten Quartal noch         günstige Witterungsbedingungen belastend
      rund 10 Prozent unter ihrem Vorkrisenniveau.           wirkten, ergab sich noch ein recht deutliches
      Insgesamt rechnen wir damit, dass die Ausrüs-          Plus von mehr als 1 Prozent. Mittlerweile mehren
      tungsinvestitionen gegen Mitte des kommenden           sich Berichte, dass Materialengpässe die Bau-
      Jahres - und damit ungewöhnlich schnell - be-          wirtschaft massiv beeinträchtigen. So stieg der
      reits wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen. Für        Anteil der Unternehmen im Bauhauptgewerbe,
      gewöhnlich dauert die Erholung bei den Ausrüs-         die von Behinderungen aufgrund von Material-
      tungsinvestitionen im Anschluss an Rezessio-           engpässen berichten, im April kräftig und er-
      nen oder Krisen deutlich länger (Ademmer und           reichte im Mai mit rund 38 Prozent ein Rekordni-
      Jannsen 2018; IMF 2015; Jannsen 2015). Für             veau. Im April 2020, als die Pandemie auch
      eine kräftige Erholung spricht, dass sich mit dem      schon zu Materialengpässen führte, berichteten
      Zurückdrängen der Pandemie das Wirtschafts-            nur rund 7 Prozent der Unternehmen von Beein-
      geschehen in vielen Wirtschaftsbereichen rasch         trächtigungen; vor dem Jahr 2020 lag der
      wieder normalisiert. So lagen die Auftragsein-         höchste jemals in einem Monat verzeichnete
      gänge aus dem Inland für Investitionsgüter zu-         Wert bei 6 Prozent. Da somit kaum Erfahrungs-
      letzt bereits wieder über ihrem Vorkrisenniveau.       werte mit solch großen Ausschlägen vorliegen,
      Gebremst werden könnte die Erholung, wenn              ist nur schwer abschätzbar, in welchem Ausmaß

      4 Dieser Rückgang ist mit einem Szenario konsistent,   eine ausführliche Analyse vgl. Deutsche Bundesbank
      in dem rund 25 Prozent der aufgestauten Kaufkraft in   (2021).
      einem Zeitraum von 4 Jahren zurückgeführt wird. Für

                                                                                                                     10
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      sich diese Engpässe bei den Bauinvestitionen         Dies war wohl nicht zuletzt ein Symptom von
      bemerkbar machen. Im April ging die Produktion       Knappheiten und Lieferengpässen aufgrund der
      im Bau zwar spürbar zurück. Allerdings befand        raschen konjunkturellen Erholung. Inzwischen
      sie sich nach dem kräftigen Anstieg im März          scheint aber auch hier der Zenit überschritten zu
      noch auf einem recht hohen Niveau. Im März fie-      sein; jüngst gaben die Preise einer Reihe von
      len zudem die Auftragseingänge im Bau spür-          Rohstoffen wie Holz oder Kupfer merklich nach.
      bar. Hier bleibt abzuwarten, ob höhere Kosten        Es ist allerdings zu beachten, dass Preis-
      und längere Lieferzeiten die Nachfrage für einen     schwankungen bei den Agrar- und Industrieroh-
      längeren Zeitraum belasten werden. Für unsere        stoffen die allgemeine Preisentwicklung deutlich
      Prognose unterstellen wir, dass die Materialeng-     weniger stark beeinflussen als jene bei Energie-
      pässe das Volumen der Bauinvestitionen vor al-       rohstoffen und hier insbesondere beim Rohöl. 5
      lem im zweiten Quartal belasten und danach           Der Euro kostete zuletzt rund 1,22 US-Dollar und
      wieder die fundamental guten Rahmenbedin-            lag damit in etwa auf seinem Niveau vom Jah-
      gungen insbesondere für die Wohnungsbauin-           resbeginn und etwa 10 Cent höher als vor einem
      vestitionen stärker zum Tragen kommen. Die           Jahr. Auch nominal effektiv wertete er im Vorjah-
      Materialengpässe werden sich dann vor allem in       resvergleich etwas auf (Mai: +4 Prozent).
      höheren Preisen niederschlagen, da das Bau-
                                                           Die Inflation wird im laufenden Jahr durch
      material einen wesentlichen Kostenfaktor dar-
                                                           Sondereffekte getrieben. Im Mai lag der Ver-
      stellt. Vor diesem Hintergrund rechnen wir mit ei-
                                                           braucherpreisindex 2,5 Prozent über seinem
      nem Anstieg der Bauinvestitionen von 2 Prozent
                                                           Vorjahreswert. Besonders kräftig fiel dabei im
      für das laufende Jahr sowie 2,5 Prozent für das
                                                           Zuge des wiederangestiegenen Ölpreises mit 10
      kommende Jahr. Der Deflator der Bauinvestitio-
                                                           Prozent die Inflation der Energiepreise aus. Zu-
      nen wird in beiden Jahren sehr kräftig um vo-
                                                           dem schlugen weitere Sondereffekte wie die
      raussichtlich jeweils rund 4 Prozent anziehen.
                                                           Einführung der CO2-Steuer zu Jahresbeginn zu
                                                           Buche. Des Weiteren dürfte aktuell auf bestimm-
      Preisentwicklung                                     ten Märkten das Aufeinandertreffen von produk-
                                                           tionsseitigen Knappheiten mit einer im Zuge der
      Die Rohstoffpreise gehen gestärkt aus der
                                                           Rückführung der Maßnahmen zum Infektions-
      Coronakrise. Der Ölpreis war bereits bis zum
                                                           schutz entfesselten Nachfrage preistreibend wir-
      Jahresanfang wieder auf sein Vorkrisenniveau
                                                           ken. Diese Kapazitätsengpässe zeigen sich
      geklettert. Hatte im Tiefpunkt der Krise ein Fass
                                                           auch in den zuletzt stark anziehenden Preisen
      der Sorte Brent zeitweilig weniger als 20 Dollar
                                                           für Importe, Vorleistungsgüter und Transporte.
      gekostet, so werden mittlerweile wieder rund 70
                                                           Ab Juli wird zusätzlich die Wiederanhebung der
      Dollar aufgerufen. Seit März hat sich der Preis-
                                                           Mehrwertsteuer in den Jahresraten sichtbar wer-
      anstieg allerdings merklich verlangsamt und wir
                                                           den, sodass im späteren Jahresverlauf die Infla-
      rechnen bis zum Ende des Prognosezeitraums
                                                           tionsraten in einzelnen Monaten an 4 Prozent
      mit einem real in etwa konstanten Ölpreis. Hier-
                                                           heranreichen dürften. Insgesamt rechnen wir für
      für spricht, dass die erdölproduzierenden Länder
                                                           das laufende Jahr mit einem Anstieg der Ver-
      ihre bestehenden Förderkapazitäten noch nicht
                                                           braucherpreise um 2,6 Prozent. Nach dem Weg-
      ausreizen und somit auch ein weiterer kräftiger
                                                           fallen der gewichtigen Sondereffekte dürfte die
      Anstieg der Nachfrage im Zuge der weltwirt-
                                                           Inflation im kommenden Jahr mit 1,9 Prozent et-
      schaftlichen Erholung bedient werden kann.
                                                           was niedriger ausfallen. Dieser Prognose liegt
      Preise deutlich über den Vorkrisenniveaus las-
                                                           die Annahme zugrunde, dass die privaten Haus-
      sen sich bei den Industrie- und Agrarrohstoffen
                                                           halte ihre während der Shutdowns zusätzlich ge-
      beobachten, die auch noch bis in den Mai teils
                                                           bildete Ersparnis kaum für Konsumzwecke aus-
      deutliche Zuwächse verzeichneten (Gern et al.
                                                           geben.
      2021: Kasten 1). Auf Eurobasis gerechnet lag
      der HWWI-Rohstoffpreisindex für den Euroraum
      rund 50 Prozent über seinem Vorkrisenniveau.

      5 So machen Energierohstoffe bei dem nach Im-        für den Euroraum reichlich 80 Prozent (Rohöl: über 60
      portanteilen gewichteten HWWI-Rohstoffpreisindex     Prozent) aus.

                                                                                                                   11
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      Arbeitsmarkt                                        Die Kurzarbeit sinkt bereits seit März wieder.
                                                          Nachdem die Kurzarbeit von November bis Feb-
      Während die tariflich vereinbarten Ver-
                                                          ruar ausgeweitet worden war, sank sie bereits im
      dienste nur moderat zulegen, erholen sich
                                                          März wieder recht kräftig um reichlich 20 Prozent
      die effektiv gezahlten Bruttolöhne und -geh-
                                                          auf 2,6 Mill. Personen bei einem durchschnittli-
      älter dynamisch. Die Tarifverdienstzuwächse
                                                          chen Arbeitsausfall von 56 Prozent. Sowohl die
      (laut Tarifverdienststatistik der Deutschen Bun-
                                                          bis Mai bei den Arbeitsagenturen eingegange-
      desbank) werden im laufenden Jahr mit 1,6 Pro-
                                                          nen Anzeigen zur Kurzarbeit als auch die Schät-
      zent schwächer zulegen als im Vorjahr, nach-
                                                          zung des ifo Instituts für April laut monatlicher
      dem sie sich bereits im vergangenen Jahr mit 2,2
                                                          Konjunkturumfrage deuten auf einen weiteren
      Prozent verlangsamt hatten (2019: 2,9 Prozent).
                                                          Abbau der Kurzarbeit im April und Mai hin. Die
      Das Wiederanziehen der wirtschaftlichen Aktivi-
                                                          Zahl der Erwerbstätigen ist im ersten Quartal sai-
      tät im laufenden Jahr wird sich erst mit Verzöge-
                                                          sonbereinigt um 48 000 Personen gegenüber
      rung bei den Tarifverdiensten widerspiegeln. Für
                                                          dem Vorquartal gesunken. Im März und April
      das Jahr 2022 rechnen wir mit einer moderaten
                                                          wurden allerdings bereits leichte Anstiege ver-
      Beschleunigung auf 1,9 Prozent. Einer höheren
                                                          zeichnet. Dies war im Wesentlichen der sozial-
      Dynamik steht nicht zuletzt der jüngste Ab-
                                                          versicherungspflichtigen Beschäftigung ge-
      schluss in der gewichtigen Metall- und Elektroin-
                                                          schuldet; hier wurden nur im Gastgewerbe per
      dustrie entgegen. Nach der Nullrunde im vergan-
                                                          Saldo noch Stellen abgebaut. Aber auch bei der
      genen Jahr wurde für Juni 2021 eine Coronaprä-
                                                          ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäfti-
      mie in Höhe von 500 Euro und für Februar 2022
                                                          gung scheint es nach dem abermaligen Rück-
      eine Einmalzahlung in Höhe von 18,4 Prozent ei-
                                                          schlag im zurückliegenden Winterhalbjahr eine
      nes Monatsgehalts (sog. Transformationsgeld)
                                                          Bodenbildung gegeben zu haben. Die Arbeitslo-
      vereinbart. Bezogen aufs Kalenderjahr steigt
                                                          sigkeit stagnierte seit Jahresbeginn in etwa; im
      das Tarifgehalt dadurch im kommenden Jahr
                                                          Mai waren saisonbereinigt 2,74 Mill. Personen
      weniger stark als im laufenden Jahr, selbst wenn
                                                          (Quote: 6,0 Prozent) als arbeitslos registriert.
      mit der nächsten Tarifrunde im Herbst 2022 eine
                                                          Während die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis
      überdurchschnittlich hohe Abschlussrate verein-
                                                          SGB III (Arbeitslosenversicherung) in diesem
      bart wird. Die gesamtwirtschaftlichen Effektiv-
                                                          Zeitraum um rund 60 000 Personen sank, nahm
      verdienste (Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit-
                                                          sie im Rechtskreis SGB II (Grundsicherung) um
      nehmer) legen mit 3,7 Prozent (2021) und 3,8
                                                          den gleichen Betrag zu. Hierbei spielte nicht zu-
      Prozent (2022) deutlich stärker zu als die Tarif-
                                                          letzt das Auslaufen der bis zum Ende des ver-
      verdienste, nachdem sie im vergangenen Jahr
                                                          gangenen Jahres befristeten, um drei Monate
      nur stagniert hatten. Letzteres war der massiven
                                                          verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld
      Ausweitung der konjunkturellen Kurzarbeit ge-
                                                          (SGB III) eine Rolle.
      schuldet (Groll 2020). Auch im ersten Quartal
      des laufenden Jahres wurden die Effektivver-        Die Erwerbstätigkeit wird sich ab Mitte des
      dienste durch vermehrte Kurzarbeit gedämpft.        laufenden Jahres spürbar erholen. Die wirt-
      Mit der wirtschaftlichen Erholung ab dem zwei-      schaftliche Erholung wird zunächst über einen
      ten Quartal wird die Kurzarbeit rasch sinken und    kräftigen Anstieg der Arbeitszeit realisiert wer-
      die Effektivverdienste wieder stärker anziehen.     den, indem die Kurzarbeit abgebaut wird und an-
      Für eine hohe Lohndynamik spricht auch, dass        dere pandemiebedingte Arbeitsausfälle (insbe-
      Arbeitskräfteknappheiten wieder deutlich an Be-     sondere infolge von Schul- und Kitaschließun-
      deutung gewonnen haben. So lag im zweiten           gen) an Bedeutung verlieren. In der zweiten
      Quartal der Anteil der Unternehmen im Verarbei-     Hälfte des Jahres wird daraufhin auch die Erho-
      tenden Gewerbe, die fehlende Arbeitskräfte als      lung der Erwerbstätigkeit an Fahrt gewinnen. Die
      Produktionshindernis beklagen, bereits wieder       Einstellungsbereitschaft der Unternehmen hat
      über dem Vorkrisenniveau und damit im histori-      sich ausweislich des ifo Beschäftigungsbarome-
      schen Vergleich überdurchschnittlich hoch (Eu-      ters bereits seit Februar stark erhöht – sowohl im
      ropean Business Survey der Europäischen             Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleis-
      Kommission).                                        tungsbereich – und liegt nun auf einem Niveau,
                                                          das zuletzt vor zwei Jahren verzeichnet wurde.

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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2)

      Die Zahl der offenen Stellen ist deutlich gestie-   zu Buche. Deutlich langsamer steigen die mone-
      gen. Und auch die Einschätzungen der lokalen        tären Sozialleistungen, da die Kurzarbeit im Jah-
      Arbeitsagenturen zur künftigen Entwicklung der      resverlauf abnimmt und die Renten zur Jahres-
      Beschäftigung in der kurzen Frist hat sich in den   mitte kaum steigen. Die Ausgaben für laufende
      vergangenen Monaten rasant verbessert (IAB-         Übertragungen legen merklich zu, insbesondere
      Arbeitsmarktbarometer). Im Jahresdurchschnitt       weil mit dem neuen Haushaltsrahmen die Zah-
      2021 verbleibt zwar voraussichtlich noch ein        lungen an die EU kräftig steigen. Angesichts des
      leichter Rückgang der Erwerbstätigkeit gegen-       im Juni 2020 auf den Weg gebrachten Zukunfts-
      über dem Vorjahr von rund 10 000 Personen,          pakets und den damit verbundenen Investitions-
      nach dem Einbruch von 450 000 Personen im           hilfen dürften ferner die Vermögensübertragun-
      Jahr 2020. Für das Jahr 2022 ergibt sich hinge-     gen spürbar aufwärtsgerichtet sein. In der
      gen ein kräftiger Anstieg von 760 000 Erwerb-       Summe rechnen wir mit einem Fehlbetrag von
      stätigen. Mit der Erholung der Erwerbstätigkeit     174 Mrd. Euro (4,9 Prozent in Relation zum Brut-
      wird die Arbeitslosigkeit im weiteren Jahresver-    toinlandsprodukt).
      lauf sinken. Die Arbeitslosenquote dürfte im Jah-
                                                          Im Jahr 2022 dürften die Ausgaben des
      resdurchschnitt 2021 mit 5,8 Prozent noch unge-
                                                          Staats erstmals seit dem Jahr 2011 sinken.
      fähr auf demselben Niveau liegen wie im Vor-
                                                          Viele krisenbedingte Ausgaben entfallen im Jahr
      jahr. Im Jahr 2022 sinkt sie unserer Prognose
                                                          2022. Insbesondere die Ausgaben für Subven-
      zufolge auf 5,3 Prozent.
                                                          tionen und Vorleistungen dürften deutlich nach-
                                                          geben. Zugleich werden die monetären Sozial-
      Öffentliche Haushalte                               leistungen durch den Wegfall von Kinderbonus
                                                          und Coronabonus, den nahezu vollständigen
      Im laufenden Jahr dürfte das Budgetdefizit
                                                          Rückgang der Kurzarbeit und sinkende Arbeits-
      noch höher ausfallen als im Jahr 2020. Die
                                                          losenzahlen kaum mehr als stagnieren. Mit einer
      konjunkturelle Belebung sorgt für sprudelnde
                                                          stärkeren Dynamik rechnen wir im Zuge der fort-
      Steuereinnahmen. Steuerrechtsänderungen fal-
                                                          laufenden Umsetzung des Zukunftspakets hin-
      len dabei weniger ins Gewicht. Zwar wurden die
                                                          gegen bei den Vermögensübertragungen. Auch
      Mehrwertsteuersätze zu Jahresbeginn wieder
                                                          dürften die Bruttoinvestitionen nach einer Delle
      angehoben und eine CO2-Abgabe eingeführt,
                                                          im Jahr 2021 wieder etwas stärker zulegen.
      doch wurden zugleich Einkommensteuersätze
      gesenkt und der Solidaritätszuschlag entfiel für    Die Einnahmen des Staates steigen im Jahr
      einen Großteil der Steuerpflichtigen. Etwas lang-   2022 rasant, gleichen das Budget aber nicht
      samer als von der wirtschaftlichen Entwicklung      aus. Beflügelt von der Konjunktur werden insbe-
      vorgezeichnet legen die Beitragseinnahmen zu,       sondere die Steuereinnahmen in nahezu allen
      die im Jahr zuvor von der Kurzarbeit profitieren    Bereichen kräftig steigen. Die Entwicklung am
      konnten. Insgesamt legen die Einnahmen kräftig      Arbeitsmarkt sorgt zudem für ein klares Plus bei
      zu, doch steigen die Ausgaben noch schneller.       den Beitragseinnahmen, infolge der rückläufigen
      Insbesondere die Subventionen ziehen deutlich       Kurzarbeit aber unterproportional zur Lohnent-
      an, was darauf zurückzuführen ist, dass aus         wicklung. Zudem gehen wir davon aus, dass ne-
      Bundesmitteln die EEG-Umlage gemindert              ben der Beitragssatzanhebung für Kinderlose in
      wurde und Coronahilfen an Unternehmen und           der Pflegeversicherung nur vereinzelt Kranken-
      Selbstständige ausgeteilt werden. Hier spielt       kassen noch Zusatzbeiträge anheben, weil ein
      eine Rolle, dass die November- und Dezember-        höherer Bundeszuschuss zum Gesundheits-
      hilfen überwiegend erst im laufenden Jahr aus-      fonds geleistet werden dürfte. Die sonstigen Ein-
      gezahlt wurden. Ein kräftiges Plus verzeichnen      nahmen werden merklich zulegen, weil mit Zu-
      die sozialen Sachleistungen, da im ersten Jahr      weisungen von Seiten der EU für den deutschen
      der Pandemie medizinische Behandlungen un-          Aufbau- und Resilienzplan zu rechnen ist. Insge-
      terblieben und nun Nachholeffekte auftreten         samt steigen die Einnahmen deutlich. In Summe
      dürften. Deutlich schwächer als im Vorjahr, aber    dürfte dennoch ein Defizit in Höhe von 50 Mrd.
      immer noch mit hohen Raten, legen die Vorleis-      Euro (1,3 Prozent in Relation zum Bruttoinlands-
      tungskäufe zu – hier schlagen weiterhin umfang-     produkt) verbleiben.
      reiche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung

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