Veranstaltungsdokumentation - Fachtagung "Kindgerechte Justiz - Zugang zum Recht für Kinder" - Deutsches Kinderhilfswerk
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Veranstaltungsdokumentation Fachtagung „Kindgerechte Justiz – Zugang zum Recht für Kinder“ 7. September 2018 I Berlin
Impressum Herausgeber: Deutsches Kinderhilfswerk e.V. Koordinierungsstelle Kinderrechte Leipziger Straße 116-118 Fon: 030 30 86 93-0 Fax: 030 30 86 93-93 E-Mail: dkhw@dkhw.de Fotos: Deutsches Kinderhilfswerk e.V.: Titel, Umschlagseite innen, Seite 14, 37 Peter van Heesen: Umschlagseite innen, Seite 2, 3, 4, 6, 9, 10, 11, 14, 18, 23, 26, 27, 31, 35, 37, 44 Layout: Ruth Billen © 2018 Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Inhalt Hintergrund und Zielsetzung der Fachtagung ..................................................................... 1 Begrüßung .................................................................................................................... 2 Juliane Seifert | Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ______________________________________________________________ 2 Christiane Wirtz | Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz _______________________________________________________ 3 Anne Lütkes | Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes ________________________ 4 Marta Santos Pais | Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Kinder (Videobotschaft) ___________________________________________ 5 Impulsvorträge .............................................................................................................. 8 Bestandsaufnahme – Kindgerechte Justiz in Deutschland? _____________________________ 8 Leitlinien des Europarates zu kindgerechter Justiz (Sofia-Strategie), Europäische Best-Practice-Beispiele _______________________________________________ 9 Perspektiven von Kindern und Jugendlichen gemäß den Ergebnissen der FRA-Studie zur kindgerechten Justiz ___________________________________________________________ 10 Workshops.................................................................................................................. 11 Workshop 1: Begleitung von Kindern in gerichtlichen Verfahren – Verfahrensbeistand und psychosoziale Prozessbegleitung _____________________________________________ 11 Workshop 2: Rechte von Kindern in familiengerichtlichen Verfahren ____________________ 14 Workshop 3: Rechte von Kindern in Verwaltungs-/öffentlich-rechtlichen Verfahren________ 18 Workshop 3 A: Rechte von Kindern im Verwaltungshandeln _________________________ 18 Workshop 3 B: Rechte von Kindern in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren _______ 21 Workshop 4: Rechte minderjähriger Opferzeuginnen und -zeugen in Ermittlungs- und Strafverfahren ________________________________________________________________ 24 Workshop 5: Internationale Rechtsinstrumente zur Durchsetzung von Kinderrechten in gerichtlichen Verfahren – Strategische Prozessführung und Lobbyarbeit ______________ 27 Fishbowl-Diskussion .................................................................................................... 29
Hintergrund und Zielsetzung der Fachtagung Im Rahmen der Umsetzung der aktuellen Strategie des Europarates für die Rechte des Kindes (So- fia-Strategie 2016-2021) hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) das Deutsche Kinderhilfswerk mit der Umsetzung der Europaratsstrategie beauftragt. Dazu wurde eine Koordinierungsstelle Kinderrechte eingerichtet. Aufgabe der Koordinierungs- stelle Kinderrechte ist es, entsprechende Projektmaßnahmen in Deutschland und auf europäi- scher Ebene inhaltlich sowie organisatorisch im Sinne der Stärkung der Kinderrechte zu koordi- nieren, umzusetzen und politische Handlungsimpulse zu entwickeln. In Anlehnung an die in der Sofia-Strategie definierten Zielbereiche steht unter anderem das Themenfeld kindgerechte Justiz und Zugang zum Recht für Kinder im Fokus der Arbeit der Koordinierungsstelle Kinderrechte. Jedes Jahr stehen in Deutschland tausende Kinder vor Gericht. Sie sind beispielsweise Beteiligte in familienrechtlichen Verfahren, Zeuginnen und Zeugen in strafrechtlichen Verfahren oder Be- troffene in Asylverfahren. Um den besonderen Bedürfnissen von Kindern Rechnung zu tragen, macht das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention oder VN-KRK) Vorgaben für ein kindgerechtes Justizsystem. So müssen die Interessen des Kindes in Gerichts- und Verwaltungsverfahren als ein vorrangiger Gesichtspunkt berücksichtigt werden (Artikel 3 VN- Kinderrechtskonvention) und dem Kind ist die Möglichkeit zu geben, angehört zu werden (Artikel 12 VN-Kinderrechtskonvention). Vom Europarat gibt es explizite Leitlinien für die Ausgestaltung einer kindgerechten Justiz. Auf der Fachtagung „Kindgerechte Justiz – Zugang zum Recht für Kinder“ wurde die Situation der Kinder im Justizsystem in Deutschland betrachtet und über den Stand der Umsetzung internatio- naler Vorgaben diskutiert. Der Blick wurde darauf gerichtet, wie die Justiz in Deutschland im Fami- lien-, Straf- und öffentlichen Recht kindgerechter gestaltet werden kann. Ziel der Fachtagung war es, für die zuständigen Stellen und Akteure konkrete Handlungsempfehlungen für eine kindge- rechte Gestaltung der Justiz zu formulieren. Die benannten Problemfelder und formulierten Handlungsempfehlungen werden in die weitere Ar- beit der Koordinierungsstelle einfließen, u.a. im Bereich der Qualifikation und Vernetzung invol- vierter Akteure sowie der Ausgestaltung kindgerechter Informationen. 1
Begrüßung Juliane Seifert | Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dies ist eine kurze Zusammenfassung des Grußwortes. Es gilt das gesprochene Wort. wie die Ausgestaltung der Gerichtsgebäude gehören: helle und gemütlichere Räume mit sicheren Zugängen, ein Bild an der Wand, eine Zimmerpflanze, etwas zu trinken. In Bezug auf die Beachtung des Kindeswohl- prinzips hob Frau Seifert das Erfordernis mul- tidisziplinärer Kooperation hervor. Es sei oft eine Herausforderung, dass all diejenigen, die in der Justiz mit Kindern in Kontakt kom- men, gut zusammenarbeiten. Im Mittelpunkt müsse dabei aber immer das Wohl des Kin- des stehen. Das Kind müsse gehört und in Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundes- seinen Bedürfnissen ernstgenommen wer- ministerium für Familie, Senioren, Frauen den − in allen Verfahren, egal ob im Familien- und Jugend, begrüßte alle Teilnehmenden gericht, Straf- oder Verwaltungs- oder Asyl- der Konferenz im Bundeskinderministerium. verfahren. Gerichte und Behörden seien auf den ersten Blick keine Orte für Kinder und deshalb stelle Die genannten Rechte des Kindes sind in der sich die Frage, wie Orte staatlichen Handelns Kinderrechtskonvention der Vereinten Natio- Orte für Kinder werden können. nen normiert. Diese gilt in Deutschland ver- bindlich als Bundesgesetz. Frau Seifert Frau Seifert betonte die Bedeutung des Zu- merkte in ihrer Rede aber auch an, dass sie gangs zum Recht als ein zentrales Menschen- bei der Umsetzung der Kinderrechtskonven- recht, welches ein Eckpfeiler des Rechtsstaa- tion noch Defizite sehe. Diese Defizite beträ- tes und damit unserer Demokratie ist. Damit fen nicht nur den Umgang mit Kindern in be- Kinder aber überhaupt zu ihrem Recht kom- hördlichen und gerichtlichen Verfahren, son- men, brauche es kindgerechte Verfahren und dern auch viele andere Lebensbereiche, wie sensible Behördenmitarbeiterinnen und -mit- zum Beispiel Bildungschancen oder die arbeiter, die im Umgang mit ihnen geschult Stadtplanung. sind und auch Richterinnen und Richter, die sie kindgerecht vernehmen oder anhören. Diese Umsetzungsdefizite im Blick habend, Und damit Gerichte Orte für Kinder werden betonte Frau Seifert zudem, dass sie die im können, sei es wichtig, Kinder umfassend zu Koalitionsvertrag vorgesehene Schaffung ei- informieren: über den Ablauf eines Verfah- nes eigenen Kindergrundrechts für ein gutes rens, die Bedeutung einzelner Regelungen Signal hält. und die beteiligten Personen. So fühlen sie sich dem Verfahren nicht hilflos ausgesetzt. Zum Abschluss wünschte Frau Seifert allen Zusätzlich hob Frau Seifert hervor, dass zu ei- Konferenzteilnehmenden einen guten Aus- ner kindgerechten Justiz auch kleine Dinge, tausch und eine interessante Tagung. 2
Christiane Wirtz | Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Dies ist eine kurze Zusammenfassung des Grußwortes. Es gilt das gesprochene Wort. Frau Wirtz stellte anschließend die relevan- ten Gesetzesänderungen der letzten Jahre im Bereich kindgerechte Justiz vor. So hätten seit Januar 2017 insbesondere Kinder und Ju- gendliche, die Opfer von Gewalt- und Sexu- aldelikten geworden sind, einen Anspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbeglei- tung. Um auch die praktische Umsetzung vo- ranzutreiben, seien im BMJV zudem „Best- Practice-Opferschutz“-Treffen eingeführt worden. Dort kämen zwei Mal im Jahr Vertre- Christiane Wirtz, Staatsekretärin im Bundes- terinnen und Vertreter der Landesjustizver- ministerium der Justiz und für Verbraucher- waltungen, der betroffenen Bundesressorts schutz, hieß alle Teilnehmenden der Konfe- und mittlerweile auch viele andere Expertin- renz willkommen. Die Stärkung der Rechte nen und Experten zusammen, um sich zum von Kindern sei seit längerem ein gemeinsa- Thema Opferschutz auszutauschen. Auch die mes Anliegen des BMFSFJ und des BMJV, so Ergebnisse der Fachtagung würden beim Wirtz. nächsten Treffen besprochen werden, so Wirtz. Auch wenn der Zugang zum Recht eine allge- mein notwendige Voraussetzung sei, um in In Bezug auf das familiengerichtliche Verfah- einer Gesellschaft Regeln zu setzen, und be- ren ging Frau Wirtz auf die Reform des Verfah- sonders Kinder vor Herausforderungen rens in Familiensachen und in den Angele- stelle, gebe es in der Praxis immer noch er- genheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit heblichen Erörterungsbedarf. Vor diesem (FGG-Reform) ein. Eine kürzlich im Auftrag Hintergrund betonte Frau Wirtz auch den im des BMJV durchgeführte Evaluierung der Koalitionsvertrag verankerten Plan, ein Kin- FGG-Reform habe durchaus positive Ergeb- dergrundrecht zu schaffen. Nachdem die Ver- nisse gezeigt. So zeige die Evaluierung, dass fassungen der Bundesländer inzwischen Verfahrensbeiständinnen und -beistände ganz überwiegend ergänzt worden seien, um eine wichtige Rolle dabei spielen, dem Kind Kinderrechte zu benennen, sei es nun an der rechtliches Gehör zu verschaffen und eine Zeit, auch das Grundgesetz zu ergänzen. Da- einvernehmliche Konfliktlösung im Sinne des für sei im Juni eine Bund-Länder-Arbeits- Kindes zu erreichen. Noch nicht umfassend gruppe eingerichtet worden. Ziel der Arbeits- genutzt würden hingegen die im Verfahrens- gruppe sei es, einen Regelungsvorschlag für recht angelegten Möglichkeiten der interdis- die Änderung des Grundgesetzes zu entwi- ziplinären Zusammenarbeit. An dieser Stelle ckeln. Die Arbeitsgruppe werde über die bestünde also noch Nachholbedarf, so Wirtz. Rechtsstellung des Kindes, Staatsziele und Abschließend betonte Frau Wirtz das Poten- Grundrechte, das Kindeswohl und Beteili- zial der Tagung. Die Tagung könne neue Im- gungsrechte sprechen. Die Entwicklung des pulsive liefern, Handlungsempfehlungen for- Kindes spiele dabei eine wichtige Rolle, so mulieren und so der Praxis helfen, ihre Arbeit Wirtz. kindgerechter auszuführen. 3
Anne Lütkes | Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes Dies ist eine kurze Zusammenfassung des Grußwortes. Es gilt das gesprochene Wort. diene. Dies beinhalte Verfahren, bei denen die Meinung von Kindern beachtet werde und bei denen ihre Interessen vorrangig berück- sichtigt werden. Auch kindgerechte Anhörun- gen müssten entsprechend der individuellen Reife und Kapazitäten der betroffenen Kinder vorgenommen werden. Der Kindeswohlvor- rang (Art. 3 VN-KRK) und die Beteiligungs- rechte des Kindes (Art. 12 VN-KRK) vervoll- ständigten sich dabei gegenseitig. Zwar müsse die Meinung eines Kindes nicht Als Vizepräsidentin des Deutschen Kinder- zwangsläufig dem festgestellten Kindeswohl hilfswerkes hieß Frau Lütkes alle Gäste der entsprechen, doch sei die Feststellung zwei- Fachtagung herzlich willkommen. Das Deut- felsfrei dann fehlerhaft, wenn das Kind nicht sche Kinderhilfswerk freue sich als Initiator angemessen beteiligt wurde. Daraus ergäbe der Veranstaltung besonders über das große sich auch die Pflicht für Staaten, die die VN- Interesse an dem Thema und über die zahl- KRK ratifiziert haben, Entscheidungsverfah- reichen Anmeldungen zur Veranstaltung. ren kindgerecht zu gestalten, um dem Kin- deswohlvorrang gerecht zu werden. Bezogen Frau Lütkes hob hervor, dass es im Kontakt auf die Umsetzung der Prinzipien der VN-KRK von Kindern mit dem Justiz- und Verwaltungs- in nationales Recht begrüßte Frau Lütkes system die Erwachsenen seien, die entschei- nochmals ausdrücklich, dass der Koalitions- den, ob und welchen Zugang Kinder zu Rech- vertrag der Bundesregierung endlich das ten hätten und wie groß deren Entschei- Vorhaben, Kinderrechte in das Grundgesetz dungs- und Machtspielraum in den Verfahren zu übernehmen, aufgenommen hat. Aller- sei. Gerichts- und Verwaltungsverfahren hät- dings wies sie auch darauf hin, dass ein blo- ten in der Regel eine wesentliche, lebensver- ßes Staatsziel den Anforderungen nicht ge- ändernde Tragweite für Kinder. Es sei daher recht werde. verwunderlich, dass die betroffenen Perso- nen häufig nicht nach bisher Erlebtem, nach Aufgeworfen wurde auch die Frage, inwieweit Wünschen und Bedürfnissen gefragt und am die Voraussetzungen, die sich aus der VN- Prozess der Entscheidungsfindung beteiligt KRK ergeben, in Deutschland erfüllt seien. werden. Kinder wünschten sich, besser ge- Gerade diese Frage solle auf der heutigen hört, begleitet, informiert und mit Respekt Konferenz von den Teilnehmenden diskutiert behandelt zu werden. werden, betonte Lütkes. Die Fachtagung solle die Gelegenheit bieten, voneinander zu In Bezug auf die Anforderungen der VN-Kin- lernen und Kooperationen zu beginnen sowie derrechtskonvention an eine kindgerechte bestehende Kooperationen zu vertiefen. Justiz, machte Frau Lütkes deutlich, dass es ein Justizsystem brauche, welches Kinder verstehe und der Durchsetzung ihrer Rechte 4
Marta Santos Pais | Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Kinder (Videobotschaft) Dies ist eine nichtamtliche Übersetzung. Es gilt das gesprochene Wort. Die Videobotschaft kann hier angesehen werden. dritte Fakultativprotokoll zur Kinderrechts- konvention verabschiedet. Das Protokoll er- kennt das Recht des Kindes an, eine Be- schwerde vor einem unabhängigen internati- onalen Expertengremium − dem Ausschuss für die Rechte des Kindes – einzureichen, wenn die nationalen Rechtsbehelfe gegen eine Verletzung der Rechte des Kindes er- schöpft sind. Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, Exzellenzen, sehr geehrte Teilnehmende, die das dritte Protokoll im Jahr 2013 ratifi- ich bedanke mich beim Bundesministerium ziert und sich damit feierlich verpflichtet ha- für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und ben, ihre innerstaatliche Rechtsordnung an beim Deutschen Kinderhilfswerk für die Or- die Grundsätze und Bestimmungen des Über- einkommens und des dritten Protokolls an- ganisation dieser wichtigen Konferenz. zugleichen. Die Förderung einer kindgerechten Justiz ist eine der Hauptprioritäten meines Mandats In jüngster Zeit hat die internationale Ge- meinschaft mit der Verabschiedung der als Sonderbeauftragte des VN-Generalsekre- tärs für Gewalt gegen Kinder. Agenda für nachhaltige Entwicklung ein kla- res Ziel einbezogen, nämlich den gleichbe- In der Tat ist der Zugang zum Recht für Kinder rechtigten Zugang zur Justiz für alle zu ge- ein grundlegendes Menschenrecht. Und es währleisten und niemanden zurück zu las- ist auch eine Voraussetzung für den Schutz sen. Es wird von allen Staaten erwartet, dass aller anderen Rechte, einschließlich des Kin- sie dieses Ziel bis zum Jahr 2030 erreichen. derrechts auf Gewaltfreiheit. Dies sind wichtige Verpflichtungen, an deren Wie Sie wissen, schenkt die Konvention über Einhaltung sich die Staaten gebunden ha- die Rechte des Kindes der Förderung von Ge- ben. Damit der Zugang zum Recht für Kinder, rechtigkeit („justice“) zur Verwirklichung der vor allem für die am meisten abgehängten, Rechte des Kindes große Aufmerksamkeit. garantiert wird, muss jedoch besondere Dies wird durch mehrere ihrer Bestimmungen Sorgfalt auf die Schutzvorkehrungen gelegt deutlich, darunter diejenigen, die das Recht werden, um sicherzustellen, dass Kinder gut des Kindes auf ein ordentliches Verfahren, über ihre Rechte informiert und im Sinne ih- das Recht, in Gerichts- und Verwaltungsver- rer Sicherheit angemessen geschützt sind fahren gehört zu werden, das Recht auf recht- und dass sie die Möglichkeit haben, wirklich liche und sonstige Unterstützung sowie das an Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Recht, die Rechtmäßigkeit des Freiheitsent- zuges anzufechten, beinhalten. Der Zugang von Kindern zur Justiz erfordert ein System, das die Rechte des Kindes in vol- Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, lem Umfang respektiert und schützt. Es be- hat die internationale Gemeinschaft das darf aber auch eines Systems, das Kinder ver- stehen, dem sie vertrauen und bei dem sie 5
sich in die Lage versetzt fühlen, es zu nutzen, langwierigen und komplexen Verfahren zu er- auch wenn sie als Opfer, Zeuginnen und Zeu- zählen. gen oder als mutmaßliche Straftäterinnen Vor diesem Hintergrund gewinnt das Barna- und Straftäter Gewalt ausgesetzt sind. hus-Modell − oder Kinderhaus, wie es auch Junge Menschen sind begierig darauf, ihr genannt wird − so eine besondere Relevanz. Wissen über ihre Menschenrechte und über Ich gratuliere Deutschland zu seinem ersten die Möglichkeiten, wie ihr Schutz gewährleis- „Barnahus“. Mit hochqualifizierten Fachkräf- tet werden kann, zu vertiefen. Sie wollen ver- ten vereint das Barnahus-Modell unter einem stehen, was die Rechtsvorschriften aussa- Dach Vertreterinnen und Vertreter der zu- gen, und sie wollen auf Fachleute zählen kön- ständigen Behörden, darunter Justiz-, Poli- nen, die bereit sind, zuzuhören und die Mei- zei-, Gesundheits- und Sozialarbeiter/innen, nungen der Kinder gebührend zu berücksich- die ein kindgerechtes Umfeld bieten, in dem tigen; Menschen, auf die sich Kinder verlas- Kinder befragt, Beweise gesammelt und Be- sen können und die für ihre Anliegen sensi- handlung vorgesehen werden. Alle Schritte bel sind. sind vom Kindeswohl geleitet und abge- stimmt auf die sich entwickelnde Reife und Die Realität ist jedoch oft ganz anders. Un- das Alter der Kinder, auch wenn die Kinder zählige Millionen von Kindern haben Angst, noch sehr jung sind. Mit diesem Ansatz kön- sind verunsichert und im Unklaren darüber, nen Mehrfachinterviews vermieden, Beweise was das Justizsystem zu bieten hat und wie gesichert werden, um Straflosigkeit zu ver- sie von dessen schützender Funktion profi- hindern, und für die minderjährigen Opfer er- tieren können. forderlicher Schutz, Fürsorge und Unterstüt- Der Schutz von Kindern vor Gewalt veran- zung gewährleistet werden. schaulicht dies. Wie Sie wissen, erkennt die Liebe Freunde, VN-KRK das Recht eines jeden Kindes auf Schutz vor Gewalt an: alle Formen von Ge- Mit den Erfahrungen, die seit fast dreißig Jah- walt, überall und zu jeder Zeit. ren mit der Umsetzung der VN-KRK gesam- melt wurden, und dem Bekenntnis in der Kinder, die Gewalt ausgesetzt sind, müssen Agenda für nachhaltige Entwicklung zur Be- einen echten Zugang zu sicheren und kindge- endigung von Gewalt gegen Kinder und zur rechten Beratungs-, Melde- und Beschwer- Gewährleistung des Zugangs zum Recht für demechanismen haben. In immer noch zu alle haben Staaten auf der ganzen Welt eine vielen Ländern sind jedoch kindgerechte Be- einzigartige Gelegenheit, den Fortschritt in ratungs-, Melde- und Beschwerdemechanis- der kommenden Zeit zu beschleunigen. men nicht vorhanden oder nur schwer zu- gänglich. Die Konvention stellt einen wichtigen Be- zugspunkt für die Gesetzgebung, die Politik, Nach der eigenen Einschätzung der Kinder die Interessenvertretung und die Praxis der und um ihre eigenen Worte zu verwenden: Regierungen dar. Alle Entscheidungen von Gesetze sind zu komplex, um sie zu verste- Entscheidungsträgerinnen und -trägern, Ge- hen, und Kinder fühlen sich in einem Laby- richten und des Justizsystems als Ganzem rinth verloren; die Verfahren scheinen unzu- müssen sich am Grundsatz des Kindes- reichend, um ihre Bedürfnisse zu befriedi- wohls/der besten Interessen der Kinder ori- gen; und Beschwerden werden in der Regel entieren und Kinder als vollwertige Bürgerin- ohne die erforderliche Untersuchung zurück- nen und Bürger anerkennen. gewiesen. Darüber hinaus sind die verfügba- ren Dienste lückenhaft und unzusammen- Viele Staaten haben die Vorrangstellung der hängend, was minderjährige Opfer dazu Konvention über die Rechte des Kindes in ih- zwingt, ihre Geschichten immer wieder in 6
ren eigenen Verfassungen bekräftigt. Ich be- zu werden, das bei der Einreichung von Kla- grüße eine solche Anerkennung der Rechte gen und beim Zugang zu Rechtsbehelfen, des Kindes im Grundgesetz des Landes von wenn die Rechte des Kindes vernachlässigt ganzem Herzen. Dies trägt dazu bei, eine werden oder Gefahr laufen, verletzt zu wer- klare Botschaft auszusenden, dass die den, kindgerecht informiert, beraten und Rechte des Kindes keine Mini-Rechte sind; rechtlich unterstützen kann. und bildet den Grundstein für die Wahrung Ein kindgerechtes Justizsystem ist entschei- des Grundsatzes des Kindeswohls („the best dend, um die Verwirklichung dieser Rechte interests of the child“) bei allen Maßnahmen zu gewährleisten, und Ihre Konferenz ist ein im Zusammenhang mit Kindern; nicht als entscheidender Schritt, um deren wirksamen Wahlmöglichkeit oder Wohltätigkeitsmaß- Schutz zu gewährleisten. nahme, sondern als Gebot der Menschen- rechte. Ich wünsche Ihnen eine sehr erfolgreiche Konferenz und freue mich auf Ihre wichtigen In der Tat sind Kinder maßgebliche Akteure Empfehlungen zur weiteren Stärkung der Kin- bei Entscheidungen, die ihr Leben beeinflus- derrechte in Deutschland. sen. Sie haben das Recht, ihre Meinung frei zu äußern und gebührend einbezogen zu werden; sie haben das Recht, von gut ausge- bildetem Personal geschützt und unterstützt 7
Impulsvorträge Bestandsaufnahme – Kindgerechte Justiz in Deutschland? Prof. Dr. Jörg Fegert | Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie, Universitätsklinik Ulm dabei auf empirische Studien in diesem Be- reich ein (u.a. FRA, 2015; Fegert et al., 2001) und benannte bestehende Probleme, wie bei- spielsweise die Belastung von Kindern in fa- miliengerichtlichen Verfahren durch Mehr- fachbefragungen oder durch die Rolle als Zeugin oder Zeuge. Weiterhin stellte Herr Prof. Fegert die Grundprinzipien einer kind- gerechten Justiz, angelehnt an die Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates für eine kindgerechte Justiz (2012) vor: Beteili- Prof. Dr. Jörg Fegert, Ärztlicher Direktor der gung, Kindeswohl, Würde und Schutz vor Dis- Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ kriminierung Psychotherapie an der Universitätsklinik Ulm, gab einen Überblick über den Stand der Der gesamte Vortrag von Herrn Prof. Dr. Jörg kindgerechten Justiz in Deutschland. Er ging Fegert kann hier als PDF heruntergeladen werden. Rückfragen und Antworten • Warum unterscheiden sich die Standards bei der Begleitung und Betreuung von Kindern im Verfahren zwi- schen Strafrecht und Familienrecht so stark? In einem Strafprozess liegt ein größerer Fokus auf der Aussage des Kindes. Das Kind sagt hier als eine Zeugin oder ein Zeuge aus. Auf diese Aussage ist die Staatsanwalt- schaft für den Prozess angewiesen ist. Das familiengerichtliche Verfahren birgt, was die Anhörung von Kin- dern angeht, sehr viel mehr Unklarheiten als das strafrechtliche Verfahren. • In Ihrem Vortrag haben Sie die Ergebnisse der FRA-Studie aufgezeigt. Dort haben Kinder kurze, strafrechtliche Prozesse als nicht so belastend empfunden. Familiengerichtliche Verfahren waren dagegen lang und mit meh- reren Anhörungen verbunden. Wie sind Aussagen zusammenzubringen? Es sind an sich keine sich widerspre- chenden Aussagen. Es zeigt, dass im Strafrecht mittlerweile ein guter Opferschutz gewährleistet werden kann. 8
Leitlinien des Europarates zu kindgerechter Justiz (Sofia-Strategie), Europäische Best-Practice-Beispiele Maren Lambrecht-Feigl | Europarat, Referat für Kinderrechte Kinderhilfswerk ist. Darüber hinaus wurde das Barnahus-Modell als ein europäisches „good practice“ Beispiel vorgestellt. Ab- schließend wurde über die Fortbildungsan- gebote des Europarates zu kindgerechter Jus- tiz, welche für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Anwältinnen und Anwälte als online-Kurse (HELP-Kurse) angeboten werden, vorgestellt. Der gesamte Vortrag von Frau Maren Lam- Frau Maren Lambrecht-Feigl, tätig im Referat brecht-Feigl kann hier als PDF heruntergela- für Kinderrechte des Europarates, stellte in den werden. ihrem Vortrag die Arbeit des Europarates und insbesondere die Leitlinien des Europarates Informationen zu dem HELP online-Kurs für eine kindgerechte Justiz vor. Im Fokus (Child-friendly Justice and Children’s Rights) stand hier vor allem die „Sofia-Strategie“ für können Sie hier als PDF herunterladen. die Rechte des Kindes (2016-2021), deren deutsche Koordinationsstelle das Deutsche Rückfragen und Antworten • Sie haben die „HELP Online Kurse“ des Europarats zu kindgerechter Justiz vorgestellt. Von welchen Ländern wird das HELP Programm genutzt? Das Programm ist noch relativ neu. Es wird derzeit am meisten von Mit- gliedsstaaten in Osteuropa genutzt, ist jedoch auch für deutsche Expertinnen und Experten relevant. • Werden Kinder an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beteiligt? Und wenn ja, wie werden sie beteiligt? Kinder werden bei Verfahren vor dem EGMR durch ihre Eltern, eine Anwältin oder einen Anwalt oder eine NGO vertreten. Sie sind also nicht direkt selbst an dem Verfahren beteiligt. Hier gibt es also noch Defizite. 9
Perspektiven von Kindern und Jugendlichen gemäß den Ergebnissen der FRA-Studie zur kindgerechten Justiz Dr. Astrid Podsiadlowski | EU-Grundrechteagentur (FRA), Leiterin des Bereichs Kinder- rechte (2015), welche auf der Befragungen von Fachkräften und Kindern aus zehn EU-Mit- gliedsstaaten basiert, wurden zentrale Prob- lemfelder und Handlungsempfehlungen vor- gestellt. Der Fokus lag hierbei auf dem FRA- Report „Child-friendly justice – perspectives and experiences of children involved in judi- cial proceedings as victims, witnesses or par- ties in nine EU Member States“ (2017), wel- cher sich auf die Perspektiven von Kindern konzentriert. Vielversprechende Praktiken Frau Dr. Astrid Podsiadlowski, Leiterin des für die Verbesserung einer kindgerechten Bereichs Kinderrechte bei der EU-Grund- Justiz wurden ebenfalls vorgestellt. rechteagentur (FRA), stellte die Arbeit der Der gesamte Vortrag von Frau Dr. Astrid Po- Agentur der Europäischen Union für Grund- dsiadlowski kann hier als PDF heruntergela- rechte (FRA) vor und fasste die Ergebnisse der den werden. FRA Studie zu kindgerechter Justiz zusam- men. Anhand der Ergebnisse der FRA-Studie Rückfragen und Antworten • Können Sie noch etwas zur Bedeutung der Istanbul Konvention im Bereich kindgerechten Justiz sagen? In der Istanbul Konvention ("Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt") sind besondere Rechte von Kindern, die Zeuginnen oder Zeugen von häusli- cher Gewalt geworden sind, niedergeschrieben. Da es eine Konvention des Europarats ist, bin ich darauf in meinem Vortrag nicht eingegangen. • Was hat die Studie in Hinblick auf die Vernetzung von Justiz und Jugendämtern ergeben? Unsere Umfrage hat gezeigt, dass eine Vernetzung gewünscht ist. • Ergänzung durch Frau Maren Lambrecht-Feigl (Europarat): Die Parlamentarische Versammlung des Europa- rats hat in einem Bericht über die Inobhutnahme von Kindern auch die Sozialdienste befragt. Hier wurde die Sicht der Jugendämter wiedergegeben. (Resolution 2049 (2015), „Social services in Europe: legislation and practice of the removal of children from their families in Council of Europe member States“) 10
Workshops Workshop 1 Begleitung von Kindern in gerichtlichen Verfahren - Verfahrensbeistand und psychosoziale Prozessbegleitung Dr. Christoph Gebhardt | Vorsitzender Richter am OLG Frankfurt a.D. Anja Reisdorf | Verfahrensbeiständin und Psychosoziale Prozessbegleiterin Leitfragen • Wie werden und können Kinder an einem Gerichtsverfahren beteiligt werden? • Was sind Aufgabe und Rolle von Verfahrensbeiständinnen und –beiständen und psychosozialen Prozessbe- gleiterinnen und - begleitern? Wo besteht hier noch Verbesserungsbedarf? • Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der einzelnen beteiligten Akteurinnen und Akteure? Und wäre eine bessere Vernetzung sinnvoll? • Was braucht es, um Verfahrensbeistandschaft und psychosoziale Prozessbegleitungen einheitlicher umzu- setzen? Einführung Zu Beginn des Workshops wurden, angeleitet und moderiert durch Herrn Dr. Gebhardt und Frau Reisdorf, mit den Teilnehmenden Schwerpunktthemen für die Diskussion aus- • Regelungen für die Qualifikation von gewählt. Geeinigt wurde sich hierbei auf ins- Verfahrensbeiständinnen und -bei- gesamt sechs Schwerpunktthemen. Diese ständen waren: • Kindgerechte Beteiligung 11
• „Personalunion“ zwischen Verfah- Wechsels des Beistands oder der Bei- rensbeistandschaft und psychosozi- ständin durch das Kind (konnte aus aler Prozessbegleitung zeitlichen Gründen nicht mehr disku- • Netzwerke und Akteure und Akteurin- tiert werden) nen bei Gerichtsverfahren • Wahlrecht bei der Vormundin oder • Wahlrecht bei der Verfahrensbei- dem Vormund (konnte aus zeitlichen standschaft und die Möglichkeit des Gründen nicht mehr diskutiert wer- den) Diskussion Regelungen für die Qualifikation von Verfahrensbeiständinnen und -beiständen Unter den Teilnehmenden wurde die Auffas- den werden. Ob eine solche Qualifikation ge- sung geteilt, dass es eine Qualifikationsrege- setzlich geregelt sein sollte, wurde ebenfalls lung für Verfahrensbeiständinnen und nicht abschließend geklärt. Als Vorbild könn- -beistände braucht. Dies würde dabei helfen, ten aber die Standards der Bundesarbeitsge- die Rolle und Aufgaben der Verfahrensbei- meinschaft der Verfahrensbeistände (BVEB standschaft klarer festzulegen und zu ande- e.V.) dienen. Auch eine regelmäßige Supervi- ren Akteuren, wie beispielsweise dem Ju- sion für Verfahrensbeiständinnen und -bei- gendamt oder beteiligten Sachverständigen, stände sowie die Förderung von sozialpäda- abzugrenzen. Für die genaue Ausgestaltung gogischen/psychologischen Grundkenntnis- dieser Qualifikationsregelung konnte in der sen bei Juristinnen und Juristen wurde als Diskussion keine einheitliche Lösung gefun- notwendig empfunden. Vergütungssystem für Verfahrensbeiständinnen und -beistände Das bestehende System der Vergütung von weiteren Bezugspersonen des Kindes ge- Verfahrensbeiständinnen und -beiständen sprochen wird (vgl. § 158 Abs. 7 S. 1 und S. 2 wurde ebenfalls kritisch diskutiert. Derzeit FamFG). Zu diesem Vergütungssystem wurde wird der sogenannte „kleine Auftrag“, bei angemerkt, dass ein „großer Auftrag“ immer dem der Verfahrensbeistand oder die Verfah- sinnvoller ist, da der Fokus immer auch auf rensbeiständin nur mit dem Kind spricht, ge- das Beziehungsgefüge, in dem das Kind ringer vergütet als der sogenannte „große steht, gerichtet sein muss. Auftrag“, bei dem auch mit den Eltern und Kindgerechte Beteiligung Zu dem Themenaspekt „Kindgerechte Betei- setzungen für kindgerechte Beteiligung wur- ligung“ wurde festgehalten, dass dies zual- den Aufklärung und Information der Kinder lererst qualifizierte Erwachsene voraussetzt, sowie Betreuung und Nachsorge genannt. die über Kompetenzen zur Beteiligung verfü- Kindern solle auch vermittelt werden, dass gen. Die Verantwortung läge hier klar bei den sie keine Verantwortung für das Verfahren Erwachsenen und nicht beim Kind. Beson- tragen. Sie hätten immer auch die Wahl nicht ders müssten bei Beteiligungsprozessen auszusagen. Die Wahl der Kinder, keine Ent- auch die speziellen Bedürfnisse des einzel- scheidung zu treffen, müsse deshalb gleich- nen Kindes, beispielsweise bei Traumatisie- ermaßen respektiert sein. rung, beachtet werden. Als weitere Voraus- 12
„Personalunion“ zwischen Verfahrensbeistandsschaft und psychosozialer Prozessbe- gleitung In der Gruppe wurde die Idee einer „Personal- Zielsetzung). Als problematisch für eine „Per- union“ zwischen Verfahrensbeistandschaft sonalunion“ wurde zudem das sogenannte und psychosozialer Prozessbegleitung dis- Trennungsgebot (Trennung von Beratung und kutiert. Kinder müssten sich so weniger Per- Betreuung des Kindes) gesehen, da die der- sonen anvertrauen und ein wiederholtes Er- zeitigen Aufgaben und Zielsetzungen von zählen/Wiederaufleben der Erlebnisse (bei Verfahrensbeistandschaft und psychosozia- sexuellem Missbrauch: gleichzeitiges Straf- ler Prozessbegleitung nicht vereinbar seien. verfahren und familienrechtliches Verfahren) Eine Person könne nicht gleichzeitig Aufga- würde vermieden werden. Auch könnte durch ben der Beratung und der Betreuung wahr- eine solche „Personalunion“ Informations- nehmen. Als Lösung des Dilemmas wurde verlust verringert werden. Herausgestellt von den Teilnehmenden der Ausbau von Vi- wurde aber auch, dass Gemeinsamkeiten deovernehmungen angeführt. Österreich und Unterschiede von Strafprozessen und fa- könne hier als Vorbild fungieren. miliengerichtlichen Verfahren zu beachten seien (unterschiedlicher Ablauf, unterschied- liche Netzwerke und Akteurinnen und Akteure bei Gerichtsverfahren Das Thema wurde in der Gruppe nur noch weise die Informationswiedergabe verbes- kurz angesprochen. Es wurde festgehalten, sern könne. Gemeinsame Fortbildungen der dass sich interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedenen beteiligten Akteurinnen und positiv auf das Kind auswirke und beispiels- Akteure könnte hier angedacht werden. Die Begleitung von Kindern in gerichtlichen Verfahren Ziel: Optimierung der Begleitung von Kindern Handlungsempfehlungen: (1) Es ist notwendig, die Qualifikation von Verfahrensbeiständinnen und -beiständen förmlich zu regeln. (2) Es müssen bundesweite lokale Netzwerke der verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Gerichtsverfahren (Verfahrensbeistandschaft, psychosoziale Prozessbegleitung, …) gebildet werden. (3) Der Einsatz der vernehmungsersetzenden Video-Aufzeichnung (§§ 58a, 225a StPO) ist konsequent voranzu- treiben. 13
Workshop 2 Rechte von Kindern in familiengerichtlichen Verfahren Dr. Rainer Balloff | Gesellschafter des Instituts für Gericht und Familie Berlin Dr. Gabriele Bindel-Kögel | Sozialforscherin an der OTH Regensburg Leitfragen • Wie kann eine kindgerechte Anhörungspraxis aussehen? Und wie können hier zum Beispiel jüngere, entwick- lungsverzögerte Kinder angehört werden? • Gibt es Fälle, bei denen eine persönliche Anhörung unterlassen werden sollte? Welche Alternativen bestehen hier? • Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der einzelnen institutionellen Akteurinnen und Akteure? Bedarf es ei- ner weiteren Vernetzung? • Wo besteht noch Bedarf an Qualifikation und Weiterbildung dieser Akteurinnen und Akteure? Einführung nach der VN-KRK sowie im deutschen Fami- lienrecht. Eingegangen wurde auch auf die verschiedenen Akteurinnen und Akteure im familiengerichtlichen Verfahren. In einem zweiten kurzen Input wurde die Anhörung des Kindes aus entwicklungspsychologi- scher Sicht vorgestellt. Die Präsentation von Herrn Dr. Rainer Balloff kann hier als PDF heruntergeladen werden. Weitere Workshopmaterialien von Herrn Dr. Herr Dr. Rainer Balloff gab zunächst eine Rainer Balloff können Sie hier als PDF herun- kurze Übersicht über die Rechte des Kindes terladen. 14
rungen benannt. Erstens sei die Beziehungs- arbeit für die Umsetzung der Rechte von Kin- dern im Verfahren ein wichtiger Gelingens- faktor. Zweitens würde die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern trotz recht- licher Verankerung in den Jugendämtern und Familiengerichten in sehr unterschiedlicher Intensität, teils auch nicht ausreichend prak- tiziert. Drittens würden die Verfahrensab- läufe und Handlungsweisen im familienge- richtlichen Verfahren von Kindern und Ju- gendlichen häufig als intransparent und un- Frau Dr. Gabriele Bindel-Kögel stellte die ak- verständlich wahrgenommen. tuellen Forschungsergebnisse des For- Die Präsentation von Frau Dr. Gabriele Bin- schungsprojekts „Kindeswohl zwischen Ju- del-Kögel kann hier als PDF heruntergeladen gendhilfe und Justiz“ (2017) vor. Die in der werden. Studie ermittelte Sichtweise der Kinder auf die Gestaltung und das Erleben der Anhörung Weitere Workshopmaterialien von Frau Dr. wurde hierbei vorgestellt. Basierend auf der Gabriele Bindel-Kögel können Sie hier als Studie wurden von Frau Dr. Bindel-Kögel ab- PDF herunterladen. schließend drei grundlegende Herausforde- Diskussion Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Stellen (insbesondere Jugendamt, Schule, Sachverständige) Unter den Teilnehmenden wurde größtenteils dass Aufgabe der Jugendämter nicht nur sei, die Einschätzung geteilt, dass sich eine koor- eine fachspezifische Sichtweise zu geben, dinierte Zusammenarbeit zwischen den rele- sondern beispielsweise durch Hausbesuche vanten Akteurinnen und Akteuren oft schwie- die Situation eines Kindes umfassend zu er- rig gestaltet. Zuständigkeits- und Koordinati- mitteln. Sie sind also maßgeblich für die Klä- onsprobleme bestünden dabei insbesondere rung der Lage, in der sich das Kind befindet. zwischen dem Schulamt und dem Jugend- amt. In der Diskussion wurde angemerkt, Problembereiche im Jugendamt Unter den Teilnehmenden wurde der Umgang Intervention des Jugendamtes statt. Bei we- mit Fällen der Kindeswohlgefährdung disku- niger schweren Fällen, die noch nicht nach § tiert. Es wurde angemerkt, dass sobald ein 8a SGB VIII behandelt werden, fehle es aber Fall als eine Kindeswohlgefährdung nach § an vorgegebenen Abläufen und Standards. 8a SGB VIII eingestuft werde, es auch klar Für diese Fälle, die noch nicht die Schwelle vorgegebene Abläufe gebe. Bis auf Ausnah- des § 8a SGB VIII erreicht haben, gebe es kei- men fände hier eine schnelle und koordi- nen einheitlichen Umgang. In den verschie- nierte 15
denen Ländern wurden von unterschiedli- über den Ablauf bei minder schweren Fällen chen Stellen verschiedene Leitlinien zum der Kindeswohlgefährdung. Hier sollten Umgang mit diesen Fällen herausgegeben. In Standards darüber festgelegt werden, was der Diskussion wurde daraufhin die folgende bei verschiedenen Arten und unterschiedli- Handlungsempfehlung formuliert: Die Erstel- cher Schwere einer Kindeswohlgefährdung lung eines einheitlichen Katalogs passieren muss. Die Bestellung einer Verfahrensbeiständin oder eines Verfahrensbeistandes Es wurde diskutiert, wie die gesetzliche Re- Auf die Frage, ob die Bestellung einer Verfah- gelung zu Bestellung einer Verfahrensbei- rensbeiständin oder eines Verfahrensbei- ständin oder eines Verfahrensbeistands in stands immer zwingend sein sollte, wurde er- Familiensachen/Angelegenheiten der freien widert, dass die Fälle, in denen die Bestel- Gerichtsbarkeit (§ 158 II FamFG) zu bewerten lung nicht notwendig sei, immer noch Be- sei. Es wurde in der Diskussion betont, dass rücksichtigung finden müssten. Als Beispiel die Ausnahmen für die Bestellung sehr eng wurden hier das Kind betreffende Vermö- gesteckt seien. Die Regelung böte also be- gensangelegenheiten genannt. Insgesamt wusst nur einen geringen Ermessenspiel- wurde die Ansicht geteilt, dass es praktikabel raum. In den Fällen der §§ 1666 und 1666a sei, dass in bestimmten Fällen kein Verfah- BGB (Kindeswohlgefährdung) ist die Bestel- rensbeistand bestellt wird. lung dabei immer zwingend (siehe § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG). Die Anhörung des Kindes in familiengerichtlichen Verfahren Es wurde zunächst über die Altersgrenze in entsprechende Art vermitteln und kommuni- der Anhörungsregelung (§ 159 Abs. 1 FamFG) zieren. gesprochen. Für Kinder über 14 Jahren ist die Anschließend wurde sich über die Praxis der persönliche Anhörung zwingend (außer in Anhörung bei jüngeren Kindern ausge- Verfahren, die ausschließlich das Vermögen tauscht. Die Teilnehmenden teilten die An- des Kindes betreffen). Kinder unter 14 Jahren sicht, dass „Anhörung“ bei jüngeren Kindern werden nur angehört, wenn „die Neigungen, nicht immer im Sinne von „Befragung“ ver- Bindungen oder der Wille des Kindes für die standen werden sollte. Es könne auch eine Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn bloße Inaugenscheinnahme sinnvoll sein. eine persönliche Anhörung aus sonstigen Auch diese helfe dabei, sich ein besseres Gründen angezeigt ist“ (§ 159 II FamFG). Die Bild von der Lage des Kindes zu machen. Es Frage, inwieweit aber gerade bei jüngeren sollte also in der Richterschaft stärker verin- Kindern eine Anhörung angezeigt sei, stand nerlicht werden, dass die Anhörung bei Kin- im Mittelpunkt der Diskussion. Es wurde ar- dern nicht mit einer Befragung gleichzuset- gumentiert, dass es gerade bei jüngeren Kin- zen sei. Es gehe oft eher um ein Kennenler- dern gewichtige Gründe gebe, sie anzuhören. nen und einen Kontakt mit dem Kind. Für ein So seien sie von der Entscheidung für einen solches Kennenlernen sei dann eigentlich längeren Zeitraum und auch in Bezug auf ihre auch kein Kind „zu jung“. Entwicklungspsychologie stärker betroffen. Es wurde hervorgehoben, dass unter den re- Besprochen wurde auch ein oft unbeachteter levanten Akteurinnen und Akteuren weitrei- Faktor bei der Anhörung. Einige Teilneh- chend darüber aufgeklärt werden müsse, mende haben die Erfahrung gemacht, dass dass auch sehr junge Kinder einen eigenen Kinder in ihrer Aussage davon beeinflusst Willen haben und diesen auf eine dem Kind sind, welcher Elternteil sie zur Anhörung ge- 16
bracht hat. Kinder würden über den Eltern- der Ausgestaltung der Anhörung berücksich- teil, der sie zur Anhörung gebracht hat, meist tigen? Wie kann der Wille des Kindes trotz positiver reden. Dies hat folgende Fragen auf- solcher Loyalitätskonflikte ermittelt werden? geworfen: Wie kann man diesen Faktor bei Fortbildungspflicht für Familienrichterinnen und Familienrichter Die Frage, ob es eine Fortbildungspflicht für tern. Gegen eine Fortbildungspflicht wurde Familienrichter/innen geben sollte, um sie eingewandt, dass die Fortbildungszeit zuerst besser auf die Anhörung von Kindern vorzu- mit in die Pensen der Richterinnen und Rich- bereiten, wurde unterschiedlich beantwor- ter eingerechnet werden müsse. Anstatt eine tet. Für eine Fortbildungspflicht wurde argu- „Pflicht“ einzuführen, sollten eher positive mentiert, dass, obwohl die Durchführung der Anreize für Richterinnen und Richter geschaf- Anhörung gerade im Familienrecht eine Kern- fen werden. Außerdem müssten zuerst viel- aufgabe der Richterinnen und Richter ist, die fältigere Fortbildungsmöglichkeiten für Rich- juristische Ausbildung darauf nicht vorberei- terinnen und Richter geschaffen werden. Die ten würde. Fortbildungen könnten Richterin- Angebote der Richterakademie (Trier/ nen und Richter auf ihre Arbeit vorbereiten Wustrau) seien oft nicht familienfreundlich. und eine Überforderung verhindern. Eine So sind sie oft weit weg und dauern viele Fortbildungspflicht begründe auch Ansprü- Tage an einem Stück. Es müssten also auch che gegen den Arbeitgebern (Übernahme der interdisziplinäre Angebote von anderen Stel- Fahrtkosten, Unterkunft). len als gleichwertig anerkannt werden. So könnten Fortbildungen auch in der eigenen Außerdem sei in anderen Berufen eine Fort- Stadt und zu Abendterminen absolviert wer- bildungspflicht selbstverständlich, bei- den. spielsweise bei Gutachterinnen und Gutach- Rechte von Kindern in familiengerichtlichen Verfahren Ziel: Kindgerecht(er)e Gestaltung der Anhörung. Handlungsempfehlungen: (1) Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist ein „Kennenlernen“ des Kindes. (2) Fortbildungspflicht (?) (wichtig: Pensenregelung) (3) Bessere Nachbereitung der Anhörung für das Kind mit Hilfe der Verfahrensbeiständin oder des Verfahrens- beistands 17
Workshop 3 Rechte von Kindern in Verwaltungs-/öffentlich-rechtlichen Verfahren Workshop 3 A: Rechte von Kindern im Verwaltungshandeln Annette Huber | Leiterin Hauptamt Stadt Weil am Rhein Nathalie Schulze-Oben | Innenministerium Nordrhein Westfalen und Vorstandsmitglied des Deutschen Kinderhilfswerkes Leitfragen • Welche Vorgaben ergeben sich aus dem Kindeswohlvorrang (Artikel 3 VN-KRK) für die Verwaltungspraxis? Wie kann eine Kindeswohlbegutachtung (best interest assessment) vollzogen werden? • Welche Verfahren können in der städtischen Verwaltung eingesetzt werden, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen ausreichend zu berücksichtigen? • Welche gesetzlichen Pflichten zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Verwaltungshandeln von Kommunen gibt es? Wie wird das Beteiligungsrecht umgesetzt? Einführung 3 VN-KRK stellt eine sogenannte „self-execu- ting-Norm“ dar und bedarf zur Anwendung keiner weiteren Umsetzung durch nationales Gesetz. So ist die Norm bei allen verwal- tungsbehördlichen Entscheidungen und Maßnahmen zu beachten. Es wurde aber auch das Problem aufgezeigt, dass diese Gel- tung der Norm weitestgehend unbekannt sei und ihre Umsetzung nicht überwacht werde. Behördliche Entscheidungen seien aber an- greifbar, wenn der Kindeswohlvorrang (best- Frau Nathalie Schulze-Oben gab zunächst interests-of-the-child) nicht geprüft wurde. eine allgemeine Einführung zur VN-KRK und Dies wurde am Beispiel eines Prozesses in insbesondere zur Anwendung des Art. 3 Abs. Düsseldorf um den Bau einer Kita in der Ein- 1 VN-KRK (Kindeswohlvorrang) in der Verwal- flugschneise eines Flughafens verdeutlicht. tungspraxis. Die unmittelbare Anwendbar- Die Präsentation von Frau Nathalie Schulze- keit des Art. 3 VN-KRK wurde vorgestellt: Art. Oben kann hier als PDF heruntergeladen werden. 18
Einblick in das Konzept der "Kinderfreundli- chen Kommunen". Weil am Rhein ist seit 2012 am Vorhaben "Kinderfreundliche Kom- munen" beteiligt. Konkret wurde der Verwal- tungsleitfaden Kinder- und Jugendbeteili- gung der Stadt Weil am Rhein vorgestellt. Hu- ber merkte an, dass es interessant wäre auch außerhalb der "klassischen" Bereiche, wie Spielorte und Stadtplanung, Angebote für Kinder in Bezug auf den Kindeswohlvorrang zu prüfen, etwa im Bereich Gesundheit. Die Frau Annette Huber stellte in ihrem Input das Erfahrung aus Weil am Rhein zeige aber, dass Recht auf Beteiligung (Art. 12 VN-KRK) und es bisher schwierig sei, die breitere Verwal- insbesondere dessen Umsetzung im Verwal- tung zu erreichen. tungsverfahren vor. Als Leiterin des Haupt- Die Präsentation von Frau Annette Huber amts Weil am Rhein gab Frau Huber einen kann hier als PDF heruntergeladen werden. Diskussion Kindeswohlvorrang (Art. 3 VN-KRK) Die Teilnehmenden diskutierten die Bedeu- Diskutiert wurde hier auch die Frage, ob man tung des Art. 3 VN-KRK im Verwaltungshan- dies einen relativen Anwendungsvorrang, deln. Es wurde hervorgehoben, dass die Gel- wie im Umweltschutz oder Planungsrecht, tung der VN-KRK in der Verwaltung oft unbe- nennen könnte. Es wurde argumentiert, dass kannt sei. Im deutschen Kontext bestehe vor ein relativer Anwendungsvorrang schwierig allem die Schwierigkeit, dass der Begriff Kin- sei, da sich dieser nur im Einzelfall durch- deswohl häufig mit dem Begriff Kindeswohl- setze und kein genereller Vorrang sei (z.B. gefährdung gleichgesetzt werde. Um die An- kein Vorrang, wenn dem nichts Gleichwerti- wendung des Art. 3 VN-KRK durchzusetzen, ges entgegensteht). Die Diskussion über den müsste zum Beispiel in Prozessen ermittelt Begriff Kindeswohlvorrang sei deshalb auch werden, ob bei einer behördlichen Entschei- in Hessen geführt worden (Verankerung ei- dung der Kindeswohlvorrang geprüft wurde nes Kindergrundrechts in der LV). Dort wurde (Grundsatzentscheidung). Auch seien Leitli- der Begriff "wesentlicher Gesichtspunkt“ als nien für die Prüfung des Kindeswohlvorrangs treffender eingeschätzt. durch Sachbearbeiterinnen und Sachbear- Als weitere zentrale Frage wurde diskutiert, beiter notwendig. Diese könnten beispiels- wann genau das Kindeswohl bei einer Ent- weise an die Umweltverträglichkeitsprüfung scheidung als betroffen angesehen werden angelehnt sein (Kinderverträglichkeitsprü- muss und wann demnach der Vorrang ge- fung = Auslegungs-, Abwägungs-, Ermes- prüft werden müsse. Es kam auch die Frage sensleitlinien). So müsste konsequent be- auf, ob man Kinder in Bezug auf Entscheidun- gründet werden, warum das Kindeswohl zu- gen der Verwaltung als Drittbetroffene anse- rücksteht. hen könne. Dazu wurde angemerkt, dass die 19
bestehenden Parameter, welche üblicher- vorrangs auf einfachgesetzlicher Ebene dis- weise für die Feststellung der Drittbetroffen- kutiert. Hier wurde gefragt, ob es immer und heit herangezogen werden, nicht ausreich- überall explizit verankert werden müsse, ten. Parameter wie etwa Grenzwerte bei Luft- dass Kinder zu beteiligen sind und dass das verschmutzung oder beim Planungsrecht Kindeswohl Vorrang hat. Nach Meinung der seien nicht für Kinder ausgelegt. Es sei aber Teilnehmenden sei dies nicht zwingend, zu diskutieren, ob Fachgesetze ggf. entspre- denn die VN-KRK durchziehe die gesamte chend ergänzt werden müssen. Es wurde Rechtsordnung und stehe höher als einfa- auch über die Umsetzung des Kindeswohl- ches Recht. Beteiligung (Art. 12 VN-KRK) Es wurde diskutiert, wie die Dokumentation vorgelagert vor dem Verwaltungsprozess des Beteiligungs- und Abwägungsprozesses stattfinden, die Abwägung der Interessen bei Verwaltungsentscheidung gewährleistet wäre dann erst der zweite Schritt. werden kann. Diese Frage stelle sich beson- In Bezug auf Leitfäden wurde diskutiert, wer ders bei freiwilligen Aufgaben der Verwal- entscheiden sollte, ob Kinder betroffen seien tung, also solchen, die nicht in einem recht- und beteiligt werden müssten. Als Grund- lich bindenden Verwaltungsakt enden. Inte- frage wurde formuliert: Wie können Kinder ressant sei es die Beteiligung auch außer- rechtssicher am Verwaltungsverfahren teil- halb der "klassischen" Bereiche wie der Pla- nehmen? Hierzu bräuchte es auf jeden Fall nung von Spielorten oder der Stadtplanung Begleitung und Vertretung von Kindern. Und zu prüfen, etwa im Bereich Gesundheit. Dort dies nicht nur im gerichtlichen, sondern auch sei es aber bisher schwierig, die breitere Ver- im nicht-gerichtlichen Verfahren (ggf. durch waltung zu erreichen. eine Ombudsperson?). Leitfäden für die Ver- waltung müsste es auch auf Landes- und In Bezug auf Methoden der Beteiligung Bundesebene, nicht nur auf kommunaler wurde besprochen, dass bei Methoden zur Ebene geben. Außerdem wurde festgehalten, allgemeinen Bürgerbeteiligung besondere dass Empfehlungen für die mittlere Verwal- Methoden für Kinder und Jugendliche enthal- tungsebene notwendig seien und diese do- ten sein müssten. Diese Beteiligung müsse kumentiert werden müssten. Rechte von Kindern im Verwaltungshandeln Ziel: Konsequente Implementierung der VN-KRK im Verwaltungshandeln und -verfahren. Handlungsempfehlungen: (1) Herstellung von Bewusstsein über die rechtliche Geltung der VN-KRK (z.B. in Aus-und Fortbildung) (2) Schaffung und Einhaltung von systematischen Strukturen im Verwaltungsverfahren zur Umsetzung des Vor- rangs des „best-interrest-of-the-child“ und der Beteiligung (3) Durchsetzung der geschaffenen Strukturen (z.B. durch Rechts-und Fachaufsicht, Klagemöglichkeiten, Anlauf- stellen für Kinder, Fehlerfolgenklärung) 20
Workshop 3 B: Rechte von Kindern in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren Uta Rieger | UNHCR-Zweigstelle Nürnberg Dr. Claudia Appelius | Entscheiderin und Sonderbeauftragte für Unbegleitete Minderjäh- rige im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Leitfragen • Welche Maßnahmen wurden vom BAMF schon ergriffen, um ein kindgerechtes Asylverfahren zu gewährleisten (bezüglich unbegleiteter Minderjähriger und Kinder, die Familienangehörige in Deutschland haben) und wo gibt es eventuell noch Möglichkeiten, das Verfahren zu verbessern? Wie wirkt sich die allgemeine Beschleu- nigung der Asylverfahren auf Verfahren aus, in denen Kinder betroffen sind? • Welche Maßnahmen müssten von Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten ergriffen werden, damit asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren kindgerecht ausgestaltet sind? Gibt es hier eventuell schon gute Beispiele, auf die zurückgegriffen werden könnte? • Welche Anforderungen müssen an die Vertretung von unbegleiteten Minderjährigen gestellt werden, um ein kindgerechtes Verfahren zu gewährleisten (einschließlich bei Alterseinschätzungsverfahren)? Einführung Anhörung. Die Entscheidungen, die dort ge- troffen werden, hätten eine enorme Auswir- kung auf das Kind und basierten in großen Teilen auf den Aussagen des Kindes über seine Fluchtgründe und seinen familiären Hintergrund. Frau Rieger ging besonders auf die Probleme bei der Bestellung und Qualifi- zierung des Vormunds oder der Vormundin ein. Angesprochen wurde auch das Problem, dass eine qualifizierte rechtsanwaltliche Be- gleitung für unbegleitete minderjährige Frau Uta Rieger eröffnete den Workshop mit Flüchtlinge nur bei eigenständiger Finanzie- einem Kurzimpuls zu den Anforderungen an rung der Anwältin/des Anwalts möglich sei. die Vertretung von unbegleiteten minderjäh- Ein Handout zur der Einführung von Frau Rie- rigen Flüchtlingen. Betont wurde dabei die ger kann hier als PDF heruntergeladen wer- tragende Bedeutung der Vorbereitung auf die den. 21
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