Die Bedeutung der individuellen Resilienz im Hinblick auf die steigende psychische Belastung in der öffentlichen Verwaltung
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Die Bedeutung der individuellen Resilienz im Hinblick auf die steigende psychische Belastung in der öffentlichen Verwaltung Bachelorarbeit zur Erlangung des Grades eines Bachelor of Laws (LL.B.) im Studiengang gehobener Verwaltungsdienst – Allgemeine Finanzverwaltung vorgelegt von Kim Annabel Trübendörfer Studienjahr 2019/2020 Erstgutachter: Prof. Gerald Ludy Zweitgutachter: Prof. Günter Pfeifer
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .............................................................................. II Abkürzungsverzeichnis ................................................................... IV Abbildungsverzeichnis .................................................................... VI Verzeichnis der Anlagen ................................................................. VII 1. Einleitung .................................................................................. 1 2. Situationsanalyse ..................................................................... 3 2.1 Charakteristika der heutigen Arbeitswelt .................................... 3 2.2 Die VUCA-Welt in der öffentlichen Verwaltung .......................... 5 2.3 Auswirkungen auf die psychische Gesundheit ........................... 6 3. Die Individuelle Resilienz ...................................................... 10 3.1 Definition .................................................................................. 11 3.2 Resilienzforschung und maßgebliche Studien ......................... 13 3.2.1 Die Kauai-Studie ...................................................................... 13 3.2.2 Die Mannheimer Risikostudie und die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie ............................................................... 15 3.3 Erklärungsmodelle.................................................................... 16 3.3.1 Resilienz als spezifische persönliche Eigenschaft ................... 16 3.3.2 Resilienz als prozesshaftes Geschehen................................... 17 3.3.3 Resilienz als Gesamtheit spezifischer Resilienzen .................. 18 4. Risiko- und Schutzfaktoren ................................................... 19 4.1 Das Risikofaktorenkonzept....................................................... 20 4.1.1 Vulnerabilitätsfaktoren .............................................................. 21 4.1.2 Stressoren ................................................................................ 22 4.1.3 Strukturelle und variable Faktoren ........................................... 23 4.1.4 Weitere Einflüsse ..................................................................... 25 4.2 Das Schutzfaktorenkonzept ..................................................... 26 4.2.1 Personale Schutzfaktoren/Ressourcen .................................... 27 4.2.2 Umgebungsbezogene Ressourcen .......................................... 29 4.3 Wechselwirkung der Risiko- und Schutzfaktoren ..................... 30 5. Resilienz in der öffentlichen Verwaltung ............................. 32 II
Inhaltsverzeichnis 5.1 Einordnung im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)32 5.2 Heutiger Stand von Resilienz-Maßnahmen in der öffentlichen Verwaltung ............................................................................... 35 5.3 Instrumente der Resilienzförderung für den beruflichen Alltag . 38 5.3.1 Webbasierte Trainings ............................................................. 39 5.3.2 Präsenzbasierte Formate ......................................................... 42 5.3.3 Empfehlungen für eine erfolgreiche Implementierung von Resilienz-Maßnahmen in das BGM öffentlicher Verwaltungen 43 5.3.4 Kritische Hinterfragung ............................................................. 49 6. Resilienz messen: Neurobiologische und medizinische Grundlagen ............................................................................. 51 6.1 Die Herzratenvariabilität ........................................................... 52 7. Organisationale Resilienz: Vom Individuum zum Umfeld .. 54 8. Resilienz: Modebegriff oder Wegweiser? – Fazit und Ausblick .................................................................................. 58 Literaturverzeichnis ......................................................................... 61 Aus Gründen der Verständlichkeit und besseren Lesbarkeit verwendet die Verfasserin lediglich die jeweils männliche Form. Dies soll geschlechtsun- abhängig verstanden werden und keinesfalls eine Geschlechterdiskriminie- rung zum Ausdruck bringen. III
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis AGS Arbeits- und Gesundheitsschutz ANS Autonomes Nervensystem AOK Allgemeine Ortskrankenkasse ArbSchG Arbeitsschutzgesetz ArbStättV Arbeitsstättenverordnung ArbZG Arbeitszeitgesetz ASiG Arbeitssicherheitsgesetz BAUA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssi- cherheit BEM Betriebliches Eingliederungsmanagement BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BGF Betriebliche Gesundheitsförderung BGM Betriebliches Gesundheitsmanagement BKK Dachverband Dachverband der Betriebskrankenkassen BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BPersVG Bundespersonalvertretungsgesetz DAK Deutsche Angestellten-Krankenkasse DIN EN ISO DIN: Deutsches Institut für Normung EN: Europäische Norm ISO: International Organization for Standardiza tion DSGVO Datenschutzgrundverordnung E-Akte Elektronische Akte HRV Herzratenvariabilität IV
Abkürzungsverzeichnis LPVG BW Landespersonalvertretungsgesetz Baden-Würt- temberg PNS Peripheres Nervensystem SAP Akronym aus Systeme, Anwendungen, Pro- dukte SGB Sozialgesetzbuch SNS Somatisches Nervensystem UStG Umsatzsteuergesetz VNS Vegetatives Nervensystem VUCA Akronym aus Volatile, Uncertain, Complex und Ambiguous ZNS Zentrales Nervensystem V
Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Risikoerhöhende Merkmale ................................... Seite 24 Abbildung 2: Zusammenspiel der risikoerhöhenden und risikomildernden Bedingungen ............................... Seite 31 Abbildung 3: Verteilung der angeschriebenen Behörden und Rückläufe ........................................................ Seite 35 Abbildung 4: Behörden, die bereits Resilienz-Maßnahmen anbieten im Verhältnis zu den Rückläufen ............. Seite 36 Abbildung 5: Evaluationsergebnisse der webbasierten Trainings ............................................................................... Seite 41 Abbildung 6: Wechselwirkungen von Resilienz im Arbeitskontext einer Organisation .................................................. Seite 56 VI
Verzeichnis der Anlagen Verzeichnis der Anlagen Nachfolgend bezeichnete Anlagen können der beiliegenden CD entnom- men werden. Anlage 1: Die öffentliche Verwaltung als eine der drei Wirtschafts- gruppen mit den meisten psychisch bedingten AU-Tagen (BKK Gesundheitsreport 2019) .................................. Seite 1 Anlage 2: Überdurchschnittlich lange Krankheitsdauer bei psychischen Erkrankungen (BKK Gesundheitsreport 2019) ........... Seite 2 Anlage 3: Psychische Störungen als Ursache verminderter Erwerbsfä- higkeit (Deutsche Rentenversicherung)...................... Seite 3 Anlage 4: Altersaufbau der Bevölkerung 2018 (Statistisches Bundesamt) ................................................................................... Seite 6 Anlage 5: Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst (Deutsches Institut für Urbanistik) ............................................................. Seite 7 Anlage 6: Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung (FAZ) ................................................................................... Seite 8 Anlage 7: Beiträge zu Resilienz in der amerikanisch- wissenschaftlichen Datenbank „PsycNET“ ................. Seite 9 Anlage 8: Arbeitsbedingungen (Befragung der Bundesanstalt für Arbeits- schutz und Arbeitsmedizin) ........................................ Seite 11 Anlage 9: Charakteristika der modernen Arbeitswelt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) .............................................. Seite 12 Anlage 10: Wanderung zwischen Deutschland und dem Ausland (Statisti- sches Bundesamt) ...................................................... Seite 14 Anlage 11: Wertewandel in der Gesellschaft (Bundeszentrale für politi- sche Bildung).............................................................. Seite 15 Anlage 12: Verteilung der befragten Behörden (Zukunftspanel 2018) ................................................................................... Seite 16 VII
Verzeichnis der Anlagen Anlage 13: Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung (Zukunftspanel 2018).................................................. Seite 17 Anlage 14: Anzahl der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung (Sta- tistisches Bundesamt) ................................................ Seite 18 Anlage 15: Befristungen im öffentlichen Dienst (dbb) ................... Seite 20 Anlage 16: Befristungen in der öffentlichen Verwaltung (Statistisches Bun- desamt) ...................................................................... Seite 21 Anlage 17: Renteneintrittsalter bei psychischen Erkrankungen (Deutsche Rentenversicherung) .................................................. Seite 22 Anlage 18: Anzahl der psychisch bedingten Fehltage in der öffentlichen Verwaltung (DAK Psychoreport 2019) ........................ Seite 23 Anlage 19: Arbeitsunfähigkeiten in der öffentlichen Verwaltung (AOK) ................................................................................... Seite 24 Anlage 20: Weitere Ursachen für den verzeichneten Anstieg psychischer Erkrankungen (Bundespsychotherapeutenkammer) .. Seite 25 Anlage 21: Verbesserung der ärztlichen Diagnostik (bundesdeutsche Hausarztstudie) .......................................................... Seite 26 Anlage 22: Frühzeitige Diagnosen psychischer Leiden ............... Seite 27 Anlage 23: Begriffsklärung: „Psychische Belastungen“ (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) ............................. Seite 27 Anlage 24: Definition „Psychische Belastung“ (DIN EN ISO 10075-1 (1a)) ................................................................................... Seite 28 Anlage 25: Die VUCA-Welt als Krisen-Dauerzustand ................... Seite 28 Anlage 26: Definition „Pathogenese“ (Duden) .............................. Seite 29 Anlage 27: Ursprung des Wortes „Resilienz“ ................................ Seite 29 Anlage 28: Definition „Resilienz“ (Duden) ..................................... Seite 30 VIII
Verzeichnis der Anlagen Anlage 29: § 2b UStG................................................................... Seite 31 Anlage 30: Resilienz als Gesamtheit spezifischer Resilienzen (Müller/Pet- zold)............................................................................ Seite 32 Anlage 31: Verlängerte Lebensarbeitszeit infolge des demografischen Wandels (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) .................................................................................. Seite 34 Anlage 32: Definition Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) .............. Seite 35 Anlage 33: Inhalte des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (Bundes- anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)............. Seite 36 Anlage 34: Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung ................................................................................... Seite 37 Anlage 35: Definition und Beispiele Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) ... Seite 38 Anlage 36: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BKK Dachverband) ................................................................................... Seite 39 Anlage 37: § 5 ArbSchG ............................................................... Seite 40 Anlage 38: § 6 ArbSchG ............................................................... Seite 41 Anlage 39: § 87 BetrVG ................................................................ Seite 42 Anlage 40: § 89 BetrVG ................................................................ Seite 43 Anlage 41: § 75 BPersVG ............................................................ Seite 44 Anlage 42: § 76 BPersVG ............................................................ Seite 45 Anlage 43: § 81 BPersVG ............................................................ Seite 46 Anlage 44: § 74 LPVG BW ........................................................... Seite 47 Anlage 45: § 75 LPVG BW ........................................................... Seite 48 IX
Verzeichnis der Anlagen Anlage 46: Unterschiede der Gefährdungsbeurteilung und der BGF ................................................................................... Seite 49 Anlage 47: Fragebogen ................................................................ Seite 50 Anlage 48: Online Coaching im Rahmen des Verbundprojekts „Resilire“ ................................................................................... Seite 52 Anlage 49: Methoden im Präsenz-Coaching ................................ Seite 53 Anlage 50: Örtlichkeiten der Präsenz-Coachings ......................... Seite 53 Anlage 51: Aufbau des webbasierten Trainings im Rahmen des Verbund- projekts „Resilire“........................................................ Seite 54 Anlage 52: E-Mail von Herrn Dr. Roman Soucek (15.12.2019) .... Seite 54 Anlage 53: Präsenz-Coaching im Rahmen des Verbundprojekts „Resilire“ ................................................................................... Seite 57 Anlage 54: Fragebogen im Rahmen des Verbundprojekts „Resilire“ ................................................................................... Seite 57 Anlage 55: Dokumentation: Was die Seele stark macht (Planet Wissen) ................................................................................... Seite 58 Anlage 56: Resilienz aus medizinischer Sicht (Pharmazeutische Zeitung) ................................................................................... Seite 59 Anlage 57: Funktion und Aufbau des Nervensystems .................. Seite 60 Anlage 58: Die Herzratenvariabilität (HRV) .................................. Seite 61 Anlage 59: Wachsendes Interesse an der Herzratenvariabilität (HRV) ................................................................................... Seite 63 Anlage 60: Steigende Anzahl der Burnout-Fälle ........................... Seite 65 Anlage 61: Anwendung des Konzepts der Resilienz auf Teams, Organisa- tionen und Unternehmen ............................................ Seite 66 Anlage 62: Resilienz – nicht die Lösung aller Probleme ............... Seite 69 X
1. Einleitung 1. Einleitung „Wenn man heute Mitarbeiter zu den Hauptproblemen ihrer Arbeit befragt, erhält man häufig die Antwort, dass sie sich überfordert fühlen, weil sie mehr Arbeit in besserer Qualität und weniger Zeit mit weniger Leuten in neuen Prozessen bei geringeren Kosten erbringen sollen und sich dabei die ganze Zeit fragen, wie sicher ihr eigener Arbeitsplatz eigentlich ist.“1 Dass die menschliche Psyche dies häufig nicht unbeschadet übersteht, liegt gewissermaßen auf der Hand. Stattdessen beobachtet man mittlerweile in allen Branchen einen gleichmäßigen Anstieg der psychisch bedingten Fehl- zeiten. Die öffentliche Verwaltung stellt hierbei sogar eine der drei am stärksten betroffenen Wirtschaftsgruppen dar.2 Einen klaren Handlungsbedarf verdeutlichen zum Beispiel die durch psychi- sche Leiden hervorgerufenen überdurchschnittlich langen Arbeitsunfähig- keitszeiten3 sowie die steigende Anzahl an Renten wegen verminderter Er- werbsfähigkeit aufgrund psychischer Störungen4. Der hinzukommende de- mografische Wandel5 und der Fachkräftemangel6 erhöhen zugleich die Re- levanz, die derzeitigen Mitarbeiter zu binden und deren Leistungsfähigkeit langfristig zu erhalten. Es stellt sich demnach die Frage der Vereinbarkeit qualitativen und quantitativen Leistungsdrucks mit der Aufrechterhaltung dauerhafter Handlungsfähigkeit, sowohl des einzelnen Mitarbeiters als auch eines Betriebs in seiner Gesamtheit. 1 www.resilienz-beratung.de, Resilienzförderung bei Mitarbeitern, 2006 zitiert bei Nie- haus, Organisationale Resilienz in volatilen Strukturen, S. 14. 2 Vgl. Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport, S. 22, siehe Anlage 1, https://is.gd/fD0wl8 (30.01.2020). 3 Vgl. Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport, S. 334, siehe Anlage 2, https://is.gd/fD0wl8 (30.01.2020). 4 Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 98, 99, 105, siehe Anlage 3, https://is.gd/zWzUtj (30.01.2020). 5 Vgl. Statistisches Bundesamt, Altersaufbau der Bevölkerung 2018, siehe Anlage 4, https://is.gd/787v3t (01.02.2020). 6 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik, Experteninterview, siehe Anlage 5, https://is.gd/GB0vd1 (01.02.2020); Astheimer, Der Verwaltung geht das Personal aus, siehe Anlage 6, https://is.gd/PZvyLR (06.02.2020). 1
1. Einleitung Genau mit diesem Spannungsfeld befasst sich das Thema Resilienz, wel- ches als Folge aktueller Herausforderungen, auch im Personal- und Orga- nisationsmanagement öffentlicher Verwaltungen, immer populärer wird. Blickt man fünf Jahre zurück, sind die Beiträge im Internet in dieser Zeit nahezu explodiert. Allein in der amerikanisch-wissenschaftlichen Daten- bank „PsycNET“ befinden sich heutzutage knapp 30.000 Beiträge7 zum Thema Resilienz, von denen über 40 % in den letzten fünf Jahren hinzuka- men.8 Inzwischen wird das Phänomen der Resilienz multidisziplinär erforscht und findet beispielsweise in der Soziologie, der Psychologie, den Ingenieurwis- senschaften, der Risiko- und Katastrophenforschung oder der Wirtschafts- geographie immer mehr Aufmerksamkeit. Vor allem nach Katastrophener- eignissen und Terroranschlägen, wie dem Anschlag auf das World Trade Center im Jahr 2001 oder der Weltwirtschaftskrise 2008/2009, widmeten sich immer mehr Wissenschaftszweige dem Resilienzgedanken.9 Mittelpunkt der Untersuchungen ist hierbei die Frage, was eine Gesellschaft angesichts widriger Ereignisse tun kann, um eine dauerhafte Funktionsfä- higkeit der verschiedenen Systeme, Organisationen und der einzelnen In- dividuen zu erhalten. Als Resultat jahrelanger Resilienzforschung wird Resilienz heute als ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“10 betrachtet, welcher in Anlehnung an den Prozess der Evolution11 das psychische Überleben und die psychische Anpassung als Werkzeug, aktuellen Herausforderungen be- gegnen zu können, thematisiert. 7 Vgl. American Psychological Association, PsycNET, siehe Anlage 7, https://is.gd/BAi99C (01.02.2020). 8 Vgl. American Psychological Association, PsycNET, siehe Anlage 7, https://is.gd/sRLugc (01.02.2020). 9 Vgl. Wink, Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung, S. 13ff., 123ff., 151ff. 215ff., 263ff. 10 Vgl. Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz, S. 78. 11 Vgl. Niehaus, Organisationale Resilienz in volatilen Strukturen, S. 17. 2
2. Situationsanalyse Die folgende Ausarbeitung soll anhand einer Situationsanalyse zunächst auf die mit der heutigen Arbeitswelt einhergehende psychische Belastung, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, aufmerksam machen. Nach einem Überblick über das Forschungsgebiet der individuellen Resilienz folgt eine Auswertung, inwieweit Maßnahmen zur Resilienzförderung bereits Be- standteil des Personal- und Organisationsmanagements in der öffentlichen Verwaltung sind. Anschließend spricht die Verfasserin Empfehlungen für eine erfolgreiche Implementierung im betrieblichen Gesundheitsmanage- ment (BGM) aus. 2. Situationsanalyse 2.1 Charakteristika der heutigen Arbeitswelt Der stetige Wandel in der Gesellschaft und damit auch in der Arbeitswelt stellt nicht nur die Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung vor immer neue Herausforderungen. Dies gründet zu einem großen Teil darin, dass sich Veränderungsprozesse immer schneller vollziehen und dadurch zunehmend als Bedrohung emp- funden werden, was wiederum ihre Akzeptanz erschwert.12 Den Wandel hin zu neuen Arbeitsbedingungen prägen nach Auffassung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (BAUA) und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) folgende Besonderhei- ten: - Die neuen Kommunikationstechnologien sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil in der Arbeitswelt und auch in der öffentlichen Ver- waltung geworden. Dies bringt die Forderung nach einer zeitlich fle- xiblen, ortsunabhängigen und vor allem kurzfristigen Leistungser- bringung mit sich.13 Durch den entstehenden Termin- und 12 Vgl. Sommer/Kuhn/u.a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 14f. 13 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fortschrittsreport, S. 7, siehe Anlage 9, https://is.gd/B54RV8 (03.11.2019). 3
2. Situationsanalyse Leistungsdruck werden häufig mehrere Arbeitsabläufe zeitgleich und daher mit geteilter Aufmerksamkeit bearbeitet.14 Auch die aufgrund der Digitalisierung zunehmende Überwachung kann bei Mitarbeitern Stress verursachen.15 - Die Arbeit vieler unbesetzter Stellen und Langzeiterkrankter muss mitgetragen werden, wodurch das Arbeitspensum im Umfang erheb- lich steigt und ungewohnte Aufgaben mit übernommen werden müs- sen.16 Gleichzeitig nimmt die Komplexität der zu bewältigenden Auf- gaben in hohem Maße zu.17 Abgesehen davon wächst die Priorität neuer Steuerungsformen, welche häufig mit mehr Eigenverantwor- tung und Selbstorganisation einhergehen.18 - Ein weiterer Punkt ist, dass atypische Arbeitsverträge stark zuneh- men, was auf Seiten des Arbeitgebers zwar mehr Flexibilität gewähr- leistet, jedoch für Arbeitnehmer meist mehr Unsicherheit bedeutet.19 Die häufige Erfordernis von Tätigkeitswechseln und den damit oft einhergehenden Erprobungssituationen führt in den meisten Fällen zu einem Stabilitätsverlust und somit auch zu einer Verschlechterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Hinzu kommen zahlreiche weitere Herausforderungen, die sich auf unter- schiedliche Art und Weise in der heutigen Arbeitswelt bemerkbar machen. Zu nennen sind u. a. der demografische Wandel20, die Migration21 und ein 14 Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Zahlen – Daten – Fakten, S. 27, siehe Anlage 8, https://is.gd/SQkaLU (04.12.2019). 15 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fortschrittsreport, S. 7, siehe Anlage 9, https://is.gd/B54RV8 (03.11.2019). 16 Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Zahlen – Daten – Fakten, S. 27, siehe Anlage 8, https://is.gd/SQkaLU (04.12.2019). 17 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fortschrittsreport, S. 7, siehe Anlage 9, https://is.gd/B54RV8 (03.11.2019). 18 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fortschrittsreport, S. 7f., siehe Anlage 9, https://is.gd/B54RV8 (03.11.2019). 19 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fortschrittsreport, S. 8, siehe Anlage 9, https://is.gd/B54RV8 (03.11.2019). 20 Vgl. Statistisches Bundesamt, Altersaufbau der Bevölkerung 2018, siehe Anlage 4, https://is.gd/787v3t (01.02.2020). 21 Vgl. Statistisches Bundesamt, Wanderung zwischen Deutschland und dem Ausland, siehe Anlage 10, https://is.gd/zwFBqR (02.02.2020). 4
2. Situationsanalyse Wertewandel22 in der Gesellschaft. Viele dieser Herausforderungen wirken täglich auf die psychische Gesundheit ein. Um die veränderten Arbeitsbedingungen zu beschreiben, wird in der Litera- tur immer häufiger der Begriff der sog. „VUCA-Welt“ verwendet. Das Akro- nym steht hierbei für: Volatile = Volatilität (Sprunghaftigkeit, Flüchtigkeit), Uncertain = Unsicherheit (Ungewissheit), Complex = Komplexität (Sachverhalte sind verzweigt und vielschichtig) und Ambiguous = Ambiguität (Viel-, Doppel-, Mehrdeutigkeit, Unklarheit)23 2.2 Die VUCA-Welt in der öffentlichen Verwaltung Im Hinblick auf die Auswirkungen der VUCA-Welt in der öffentlichen Ver- waltung konnte im Rahmen einer deutschlandweiten Behördenbefragung auf allen Verwaltungsebenen (Bund, Länder, Landkreise, Städte/Gemein- den)24 konkreter Handlungsbedarf identifiziert werden. Danach sehen 79,6 % der befragten Behörden die größten Herausforde- rungen in der Weiterentwicklung des E-Governments und in Maßnahmen der Digitalisierung. An zweiter Stelle steht mit 48,5 % Zustimmung eine de- mografieorientierte Personalpolitik. An dritter und vierter Stelle nennen 38,3 % die Stärkung der IT-Sicherheit und 32,3 % die Attraktivität des Arbeitge- bers.25 Ein weiterer Handlungsbedarf wird deutlich, wenn man die folgenden Zah- len betrachtet: Laut des ddb (Beamtenbund und Tarifunion) hatten im Jahr 2017 8,3 % aller in Deutschland Beschäftigten einen befristeten Arbeitsvertrag. Der 22 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Wertewandel, siehe Anlage 11, https://is.gd/H8uuKA (02.02.2020). 23 Vgl. Amann, Resilienz, S.31. 24 Vgl. Hammerschmid/Lorenz, Ergebnisse des Zukunftspanels Staat & Verwaltung 2018, siehe Anlage 12, https://is.gd/55RSDn (24.10.2019). 25 Vgl. Hammerschmid/Lorenz, Ergebnisse des Zukunftspanels Staat & Verwaltung 2018, siehe Anlage 13, https://is.gd/55RSDn (24.10.2019). 5
2. Situationsanalyse öffentliche Dienst nahm dabei mit 9,5 % den Spitzenplatz ein. Im Gegensatz hierzu waren es in der Privatwirtschaft lediglich 7,1 %.26 Insgesamt waren im Jahr 2018 2,883 Mio. Erwerbstätige in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. Darunter 1,124 Mio. Beamten und 1,759 Mio. Tarif- beschäftigte.27 Dies ergibt ein Verhältnis von rund 39 % zu 61 %. Den privi- legierten Beamten, welche sich in der Regel nicht um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes sorgen müssen, stehen demnach ca. 2/3 Tarifbeschäftigte gegenüber, welche u. a. durch Befristungen belastet werden können. Betrachtet man die Auswertungen des Statistischen Bundesamtes, waren im Jahr 2018 355 Tsd.28 der insgesamt 1,759 Mio. Arbeitnehmer befristet beschäftigt, was einen Anteil von 20,18 % aller Tarifbeschäftigten bedeutet. Dies veranschaulicht, dass, entgegen vieler Erwartungen, gerade Arbeit- nehmer in der öffentlichen Verwaltung und auch generell im öffentlichen Dienst mit Unsicherheiten durch Befristungen zu kämpfen haben. 2.3 Auswirkungen auf die psychische Gesundheit Auf die Psyche des einzelnen Mitarbeiters können sich die o. g. Herausfor- derungen auf vielfältige Art und Weise belastend auswirken. Durch häufige Unterbrechungen bei der Arbeit und die Anforderung der ständigen Erreichbarkeit während der Arbeitszeit leidet die Konzentration. Es entstehen Zeitdruck, die Angst vor Leichtsinnsfehlern und Stress. Dies führt häufig zu einem Aufbau an Überstunden zu Lasten der erholsamen Zeit zwischen zwei Arbeitstagen.29 26 Vgl. dbb, Skandalöse Befristungsmiserie im öffentlichen Dienst beenden, siehe Anlage 15, https://is.gd/nOsUeD (02.02.2020). 27 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 28, siehe Anlage 14, https://is.gd/xLu2MM (25.10.2019). 28 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, S. 28, siehe Anlage 16, https://is.gd/xLu2MM (25.10.2019). 29 Vgl. Sommer/Kuhn/u. a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 9, 15f.; Vgl. Sochert/Schwippert, Die öffentliche Verwaltung – ein kranker Sektor?, S. 13f. 6
2. Situationsanalyse Auch bei konsequenter Arbeitsleistung und großem Arbeitseinsatz kann oft- mals, aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen, keine Beförderung ausgesprochen werden. Dadurch entsteht der Eindruck von fehlender An- erkennung und mangelnder Unterstützung. Hinzukommende Faktoren wie unklare Verantwortungsbereiche, Führungskräfte mit nicht ausreichender Führungskompetenz, sehr geringe Einflussmöglichkeiten auf das Arbeits- spektrum, die Arbeitsmethoden oder die Arbeitsorganisation sowie emotio- nale Belastungen, die mit gewissen Tätigkeiten einhergehen, können Frust- rationen hervorrufen.30 Als Indikator psychischer Belastungen wird an dieser Stelle die Frühverren- tung und der Krankenstand herangezogen. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund sind psychische Erkrankungen mit 42,7 % die mit Abstand häufigste Ursache für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. 1993 betraf dies lediglich 15,3 % al- ler Fälle.31 Dazu kommt, dass das Durchschnittsalter der Frühverrentungen psychischen Ursprungs bei ca. 49 Jahren liegt, was im Vergleich zu ande- ren Ursachen sehr früh ist.32 Im Hinblick auf die psychisch bedingten Krankheitstage konnten die priva- ten Krankenkassen, diverse Krankenkassenverbände und auch das BMAS und die BAUA keine Auskunft erteilen. Insofern müssen die Auswertungen derjenigen gesetzlichen Krankenkassen, die entsprechende Daten veröf- fentlichen, als Veranschaulichung genügen. Auch wenn in diesem Sinne nur die Daten der i. d. R. gesetzlich versicherten Tarifbeschäftigten dargestellt werden können, sind ähnliche Verhältnisse auch bei den anderen gesetzli- chen Krankenversicherungen und bei den Beamten anzunehmen. 30 Vgl. Sommer/Kuhn/u. a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 9, 15f.; Vgl. Sochert/Schwippert, Die öffentliche Verwaltung – ein kranker Sektor?, S. 13f. 31 Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund, Rentenversicherung in Zeitreihen, S. 105, siehe Anlage 3, https://is.gd/zWzUtj (30.01.2020). 32 Vgl. Roßbach/Weinbrenner/u. a., Die Bedeutung psychischer Erkrankungen aus der Perspektive der Deutschen Rentenversicherung, siehe Anlage 17, https://is.gd/7KeLHK (03.02.2020). 7
2. Situationsanalyse Unter anderem lieferte die DAK (Deutsche Angestellten-Krankenkasse) als eine der größten gesetzlichen Krankenversicherungen Deutschlands im „DAK - Psychoreport 2019“ eindeutige Zahlen. Beim DAK-Psychoreport handelt es sich um eine Langzeit-Analyse von 1997 bis 2018, bei der das IGES Institut Daten von ca. 2,5 Mio. erwerbstä- tigen Versicherten untersucht hat. Hierbei fiel vor allem auf, dass die öffent- liche Verwaltung im Wirtschaftsgruppenvergleich 2018 die meisten Fehl- tage aufgrund psychischer Erkrankungen aufwies. Konkret verursachten 100 Tarifbeschäftigte in der öffentlichen Verwaltung 358 Fehltage. Dies liegt deutlich über dem branchenübergreifenden Durchschnitt von etwa 236 Fehltagen.33 Auch der BKK Dachverband hob in seinem Gesundheitsreport 2019 hervor, dass die öffentliche Verwaltung eine der drei Wirtschaftsgruppen darstelle, die am stärksten von psychisch bedingten Fehltagen betroffen sei. Der Handlungsbedarf ergebe sich zudem auch aus der Krankheitsdauer. Diese sei bei psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeitsfällen mit 38,9 Tagen deut- lich höher als die durchschnittliche Falldauer von 13,2 Tagen.34 Die Auswertungen der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) können die deutlich längeren Falldauern sowie eine insgesamte Zunahme psychischer Erkrankungen bestätigen. Während es im Jahr 1995 pro 100 AOK-Mitglie- der noch 4,2 Fälle und insgesamt 168,1 Krankheitstage waren, stiegen die Zahlen im Jahr 2018 auf 14,9 Fällen mit insgesamt 428,5 gemeldeten Krankheitstagen.35 Diese Zahlen zeigen, dass die einzelnen Bewältigungsstrategien nicht mehr ausreichen, um die psychische Gesundheit zu erhalten und in dieser Hin- sicht großer Handlungs- und Unterstützungsbedarf besteht. 33 Vgl. DAK, DAK-Psychoreport, siehe Anlage 18, https://is.gd/SuCf1W (30.10.2019). 34 Vgl. Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport, S. 22, 334, siehe Anlage 1 und 2, https://www.bkk-dachverband.de/publikationen/bkk-gesundheitsreport.html (30.01.2020). 35 Vgl. Badura/Ducki/u. a., Fehlzeiten-Report 2019, S. 665, siehe Anlage 19. 8
2. Situationsanalyse Jedoch bedürfen auch solch alarmierende Zahlen einer näheren und viel- leicht auch kritischen Betrachtung. Viel wahrscheinlicher als die Herausfor- derungen der Arbeitswelt als alleinige Ursache ist nämlich das Zusammen- treffen mehrerer Parameter, deren gemeinsame Wirkung für den verzeich- neten Anstieg psychischer Erkrankungen verantwortlich ist. In diesem Sinn muss bspw. die zunehmende Enttabuisierung psychischer Probleme innerhalb der Gesellschaft berücksichtigt werden, welche vermut- lich Auswirkungen auf das Diagnoseverhalten der Ärzte mit sich bringt.36 Ebenso muss bei der zahlenmäßigen Auswertung berücksichtigt werden, dass sich die Erkennungsrate psychischer Störungen in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Dies konnten deutsche Studien bereits belegen.37 Wo früher häufig erst die körperlichen Spätfolgen diagnostiziert und behan- delt wurden, können psychische Leiden heute bereits im Entstehen diag- nostiziert werden.38 Die zunehmende Sensibilisierung in der Gesellschaft bzgl. psychischer Stö- rungen hat demnach zur Folge, dass diese heutzutage stärker wahr- und ernstgenommen werden. Im Umkehrschluss dazu könnte zumindest ein Teil des zahlenmäßigen Anstiegs psychischer Erkrankungen darauf zurückzu- führen sein, dass frühere Daten viele tatsächliche Fälle nicht abgebildet ha- ben. Somit ist anzunehmen, dass zumindest ein Teil des Anstiegs psychischer Erkrankungen durch eine verbesserte ärztliche Diagnostik sowie durch die Enttabuisierung dieses Themas begründet ist.39 36 Vgl. Bundespsychotherapeutenkammer, Komplexe Abhängigkeiten machen psychisch krank – BPtK-Studie zu psychischen Belastungen in der modernen Arbeitswelt, S. 13f, siehe Anlage 20, https://is.gd/B2M21C (27.01.2020). 37 Vgl. Jacobi/Höfler/u. a.,Prävalenz, Erkennens und Verschreibungsverhalten bei de- pressiven Syndromen, S. 73, 651–658, siehe Anlage 21, https://is.gd/aWjiK8 (03.02.2020). 38 Vgl. Safety Xperts, Psychische Belastung am Arbeitsplatz, siehe Anlage 22, https://is.gd/Xk73ME (30.01.2020). 39 Vgl. Bundespsychotherapeutenkammer, Komplexe Abhängigkeiten machen psychisch krank – BPtK-Studie zu psychischen Belastungen in der modernen Arbeitswelt, S. 13f, siehe Anlage 20, https://is.gd/B2M21C (27.01.2020). 9
3. Die Individuelle Resilienz Die nun schon häufiger erwähnten psychischen Erkrankungen sind jedoch nicht mit den sog. psychischen Belastungen gleichzusetzen, auf deren Fo- kus diese Arbeit liegt. Psychische Belastungen sind nach der DIN EN ISO 10075-1 (1a) „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“40 Im Ge- gensatz zu den die Gesundheit beeinträchtigenden psychischen Erkrankun- gen sind die sog. psychischen Belastungen somit zunächst als neutral zu bewerten.41 So wie die vielfältigen Herausforderungen in der VUCA-Welt sind auch psy- chische Belastungen in verschiedenster Art und Weise allgegenwärtig. In- sofern kann bei der Auseinandersetzung mit psychischen Belastungen nicht deren Abschaffung oder Beseitigung angestrebt werden; es gilt vielmehr die positiven Bewältigungsstrategien und Beanspruchungsfolgen zu untersu- chen, welche sogar die Gesundheit, das Wohlbefinden und die berufliche Weiterentwicklung fördern können. In der folgenden Arbeit wird daher die Resilienz-Eigenschaft mit dem Ziel, auch in Zeiten der VUCA-Welt leis- tungsfähig und psychisch gesund zu bleiben, betrachtet. 3. Die Individuelle Resilienz Durch den deutlich verzeichneten Anstieg an psychischen Erkrankungen rückt das Thema der psychischen Gesundheit zunehmend in den Vorder- grund. Somit gewann im Hinblick auf die Personalforschung auch das Thema „Resilienz“ immer mehr Beachtung. Gemeint ist hiermit die Fähigkeit Risiken und Krisen für die persönliche Entwicklung zu nutzen.42 40 Vgl. Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, Definition nach DIN EN ISO 10075-1 (1a), siehe Anlage 24, https://is.gd/TJugh2 (03.02.2020). 41 Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Zum Begriffsverständnis psy- chischer Belastung, siehe Anlage 23, https://is.gd/tcyzcc (19.10.2019). 42 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 257. 10
3. Die Individuelle Resilienz Vor allem in Zeiten der VUCA-Welt, die eine Art Krisen-Dauerzustand43 be- schreibt, wächst das Interesse an der Resilienz-Eigenschaft. Darüber hinaus werden im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen und dem akuten Handlungsbedarf Maßnahmen zur Resilienzförderung zu- nehmend als strategische Notwendigkeit im Personal- und Organisations- management anerkannt.44 Charakteristisch für das Konzept der Resilienz ist der Perspektivenwechsel von der ursprünglichen Betrachtungsweise der Pathogenese (=“Entstehung und Entwicklung einer Krankheit“45) hin zu einer Betrachtung möglicher Schutzmechanismen und Bewältigungskompetenzen.46 Beim Thema der Resilienz geht es somit nicht um die Abschaffung oder Bekämpfung der sog. Risikofaktoren, sondern vielmehr darum, ein Verständnis für die Be- deutung der protektiven Schutzfaktoren zu erlangen, um aktiv die individu- ellen Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten zu erhöhen.47 3.1 Definition In der Literatur findet sich keine einheitliche Definition von Resilienz. Dies liegt an den zahlreichen Fachdisziplinen, die das Resilienz-Konzept aus ih- ren eigenen unterschiedlichen methodischen Perspektiven heraus betrach- ten. Forschungsgebiete, die sich stark mit dem Resilienz-Thema auseinan- dersetzen, sind in erster Linie die klinische Entwicklungspsychologie, die frühkindliche Pädagogik und die Entwicklungspsychopathologie. Aus die- sem Grund stammen auch die gängigen Definitionen aus der pädagogi- schen bzw. der entwicklungspsychologischen Forschung, welche sich ver- stärkt mit der frühkindlichen Entwicklung beschäftigen.48 Resilienz be- schreibt hiernach die innere Kraft von Kindern und Jugendlichen, die trotz 43 Vgl. Verwaltung der Zukunft, Organisationelle Resilienz in der Verwaltung, siehe An- lage 25, https://is.gd/3w1On0 (06.11.2019). 44 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 257. 45 Duden, Pathogenese, siehe Anlage 26, https://is.gd/kAtve1 (06.11.2019). 46 Vgl. Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Bose, Resilienz, S. 7. 47 Vgl. Schumacher/Leppert/u. a.: Die Resilienzskala, S. 16ff. 48 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 259. 11
3. Die Individuelle Resilienz schwieriger Lebensumstände eine gute Entwicklung nehmen konnten.49 Um die Resilienz eines Menschen beurteilen zu können, muss dieser demzu- folge zunächst mit gewissen Lebenssituationen, Herausforderungen oder Krisen konfrontiert worden sein. Je nach individuellem Bewältigungserfolg kann dann von Resilienz gesprochen werden. Eine Beurteilung kann somit lediglich aus der Retrospektive stattfinden.50 Das Wort „Resilienz“ kommt ursprünglich aus dem Lateinischen („resilire“ = abprallen, zurückspringen)51 und beschreibt eigentlich die Beschaffenheit eines Gegenstandes, welcher nach jeder möglichen Einwirkung wieder in seinen Ursprungszustand zurückfindet.52 In Bezug auf Menschen be- schreibt Resilienz die individuelle psychische Widerstandskraft und die je- weilige Belastbarkeit.53 Der Duden definiert Resilienz als „psychische Widerstandskraft [und als die] Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen“.54 Im Hinblick auf das Modell differenzieller Resilienzen (siehe Punkt 3.3.3) empfindet die Verfasserin jedoch folgende Definition als noch zutreffender: „Unter Resilienz wird die [angeborene und erlernte] Fähigkeit von Men- schen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwick- lung zu nutzen.“55 Als Synonyme zu Resilienz werden häufig Begriffe wie „Stressresistenz“, „Widerstandsfähigkeit“, „Belastbarkeit“, „Flexibilität“, „Robustheit“ etc. ver- wendet.56 49 Vgl. Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz, S. 21. 50 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 260. 51 Duden, Resilienz, siehe Anlage 27, https://is.gd/HPUmY7 (04.02.2020). 52 Vgl. Kuhn, Resilienz am Arbeitsplatz (2019), S. 12. 53 Vgl. ebd. 54 Duden, Resilienz, siehe Anlage 28, https://is.gd/HPUmY7 (12.12.2019). 55 Welter-Enderlin, Resilienz aus der Sicht von Beratung und Therapie, S. 13. 56 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 260; Vgl. Niehaus, Organisationale Resilienz in volatilen Strukturen, S. 21. 12
3. Die Individuelle Resilienz 3.2 Resilienzforschung und maßgebliche Studien Viele Jahrzehnte wurde Gesundheit ausschließlich im Rahmen der Patho- logie und der Pathogenese erforscht. Die Ergebnisse dieser Forschungen geben Aufschluss darüber, wie sich Krankheiten äußern und wie sie sich entwickeln. Somit wurden zahlreiche Modelle und Theorien zur Krankheits- entstehung aufgestellt, wobei eine Berücksichtigung der Tatsache, dass viele Menschen in vergleichbaren Lebensumständen trotz allem gesund ge- blieben waren, in der Gänze fehlte.57 3.2.1 Die Kauai-Studie Erst durch die Studien von Emmy Werner Ende der 1970er Jahre begann eine Betrachtung über die pathologiezentrierte Perspektive hinaus.58 Emmy Werner, eine Entwicklungspsychologin, erforschte damals erstmalig sog. Resilienzfaktoren, weshalb ihre Studie bis heute als Pionierstudie an- gesehen wird und die wohl bekannteste der gesamten Resilienzforschung darstellt. 59 Emmy Werner begleitete im Rahmen ihrer Längsschnittstudie 40 Jahre lang 698 Kinder, die im Jahr 1955 auf der Insel Kauai geboren waren. 30% der Kinder wuchsen unter schwierigen Bedingungen wie Armut, Ge- walt und Missbrauch sowie Vernachlässigung heran. Zwei Drittel von ihnen zeigten, wie erwartet, Auffälligkeiten, z. B. in Form von Lern- und/oder Ver- haltensproblemen. Viele wurden früher oder später sogar straffällig. 60 Jedoch waren es nicht diese Kinder, die Emmy Werner so faszinierten. Die Psychologin interessierte sich vielmehr für das eine Drittel der Kinder, die es schafften, sich trotz der widrigen Lebensumstände auf gesunde Art und Weise zu entwickeln. Sie wuchsen zu leistungsfähigen, rücksichtsvollen und beziehungsfähigen Individuen heran, welche einer Erwerbstätigkeit nachgehen und stabile Ehen führen konnten. Mit den Ergebnissen ihrer 57 Vgl. Hoffmann, Organisationale Resilienz, S. 3. 58 Vgl. Hoffmann, Organisationale Resilienz, S. 3f. 59 Vgl. Fröhlich-Gildoff/Rönnau-Böse, Resilienz, S. 15; Vgl. Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz, S. 22; Vgl. Sommer/Kuhn/u. a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 17f. 60 Vgl. Werner/Smith, Journeys from Childhood to Midlife, S. 3, 35ff., 56f; Vgl. Werner, Protective factors and individual resilience, S. 115ff. 13
3. Die Individuelle Resilienz Studie konnte Emmy Werner die damalige Auffassung widerlegen, ein Auf- wachsen unter derart widrigen Bedingungen würde zwangsläufig zu einer schlechten Entwicklung der Kinder führen.61 Erklärt wurden diese Kompetenzen mit gewissen Umständen und Eigen- schaften der heranwachsenden Kinder, welche in ihrer Gesamtheit eine Art Schutz boten. Die langjährige Beobachtung der Kinder zeigte, dass dieser Schutz einen wesentlich größeren Einfluss auf die Entwicklung ausüben musste als die sog. Risikofaktoren.62 Die sog. schützenden Faktoren unterteilte Emmy Werner in drei Kategorien: Zum einen nannte sie personeninterne Merkmale und Kompetenzen. Zum anderen Familienmerkmale und außerfamiliäre Faktoren. Als Entwicklungs- psychologin konkretisierte Werner diese Faktoren in Bezug auf die Kinder ihrer Studie.63 Zu den schützenden personeninternen Faktoren zählte sie Eigenschaften und Verhaltensweisen, die positive Reaktionen bei Erwachenden auslösen, eine ausgeprägte Selbstständigkeit sowie eine hohe Problemlösefähig- keit.64 Bei den schützenden Familienmerkmalen sei es von erheblicher Bedeutung gewesen, dass die Kinder auf mindestens eine stabile und fürsorgliche Be- zugsperson zurückgreifen konnten. Abgesehen davon spiele auch die Schulbildung der Mutter, ein Abstand von mehr als zwei Jahren zu Ge- schwistern und religiöse Überzeugungen eine Rolle.65 Ergänzend seien schützende außerfamiliäre Faktoren wie z. B. der positive Kontakt zu Gleichaltrigen, zu Nachbarn und/oder zu Lehrern von Vorteil. 61 Vgl. Werner/Smith, Journeys from Childhood to Midlife, S. 3, 35ff., 56f; Vgl. Werner, Protective factors and individual resilience, S. 115ff. 62 Vgl. Sommer/Kuhn/u. a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 18. 63 Vgl Werner/Smith, Overcoming the Odds, S. 13, 208f. 64 Vgl Werner/Smith, Overcoming the Odds, S. 13f. 65 Vgl Werner/Smith, Overcoming the Odds, S. 138f, 141f, 208f. 14
3. Die Individuelle Resilienz Auch die Betrachtung der Schule als ein zweites Zuhause stellte sich als schützender Faktor heraus.66 Mittlerweile konnten die Ergebnisse Emmy Werners durch zahlreiche Längsschnittstudien bestätigt werden.67 3.2.2 Die Mannheimer Risikostudie und die Bielefelder Invulnerabilitätsstu- die Ende der 1980er Jahre wurde die systematische Resilienzforschung auch in Deutschland zu einem wichtigen Bestandteil der Forschung. Die zwei be- kanntesten Studien sind dabei die Mannheimer Risikostudie und die Biele- felder Invulnerabilitätsstudie.68 Auch diese Studien waren Längsschnittstu- dien und erstreckten sich somit über einen längeren Zeitraum, damit ver- schiedene Entwicklungsstadien erfasst werden konnten.69 Im Zuge der Mannheimer Risikostudie wurden 362 Kinder begleitet, die zwi- schen 1986 und 1988 auf die Welt kamen. Diese Kinder waren vergleich- baren Risikofaktoren ausgesetzt und wurden im Rahmen der Studie von Geburt an über einen Zeitraum von zehn Jahren in regelmäßigen Zeitab- ständen untersucht. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag hier jedoch auf den Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren70, weshalb erst die Bielefelder Invul- nerabilitätsstudie, welche rund zehn Jahre später durchgeführt wurde, als die erste deutsche Resilienzstudie angesehen wird. Bei ihr lag der Fokus auf den Schutzfaktoren. Beobachtet wurden von 1995-2006 insgesamt 146 Jugendliche im Alter von 14-17 Jahren, die in einer Heimbetreuung auf- wuchsen, da es Ziel dieser Studie war, außerfamiliäre Schutzfaktoren her- auszuarbeiten. Folgende im Umfeld zu beobachtenden Charakteristika 66 Vgl Werner/Smith, Overcoming the Odds, S. 13, S. 141. 67 Vgl. z. B. Elder, Children oft he Great Depression; Masten/Coatsworth/u. a., The struc- ture and coherence of competence from childhood through adolescence, S. 66, 1635-1659; Rutter, Resilience reconsidered: Conceptual considerations, empirical findings, and policy implications. 68 Vgl. Sommer/Kuhn/u. a., Resilienz am Arbeitsplatz (2014), S. 17; Vgl. Fröhlich-Gil- doff/Rönnau-Böse, Resilienz, S. 17. 69 Vgl. Fröhlich-Gildoff/Rönnau-Böse, Resilienz, S. 16. 70 Vgl. Laucht/Esser/u. a.: Was wird aus Risikokindern? Ergebnisse der Mannheimer Längsschnittstudie im Überblick, S. 71ff. 15
3. Die Individuelle Resilienz konnten dabei als Schutzfaktoren identifiziert werden: eine realistische Zu- kunftsvorstellung, hohe Leistungsmotivation und ein positives Selbstwert- gefühl. Von großer Bedeutung war auch hier das Vorhandensein mindes- tens einer festen Bezugsperson. Dies stärkte die soziale Kompetenz in vie- lerlei Hinsicht und wirkte sich auf die gesamte Entwicklung deutlich positiv aus.71 3.3 Erklärungsmodelle In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Erklärungsmodelle entwi- ckelt, um die Wirkung und das Entstehen von Resilienz verständlich zu ma- chen. 3.3.1 Resilienz als spezifische persönliche Eigenschaft Bevor Emmy Werner ihre Studien veröffentlichte (siehe Punkt 3.2.1), galt die ausschließliche Annahme, Resilienz sei ein individuelles, angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. Als Beispiel ließe sich eine erhöhte Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gegenüber bedrohlichen Lebensumständen nen- nen. Einfacher gesagt: eine dicke Haut. Die Tatsache, ob und inwiefern ein Mensch resilient ist, wurde somit zu einem Großteil den genetischen Vo- raussetzungen zugesprochen.72 Die Erkenntnisse durch Emmy Werner ver- stärkten jedoch die Forschungsbemühungen bzgl. einer Entwicklung von Resilienz. Heute geht man davon aus, dass sich ein Großteil entscheidender positiver Bewältigungskompetenzen in den ersten Lebensjahren bildet.73 Nach Joachim Galuska, der Resilienz als eine balancierte Selbststeuerung ver- steht,74 trägt jeder Mensch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte 71 Vgl. Lösel/Bliesener/u. a., Psychische Gesundheit trotz Risikobelastung in der Kindheit, S. 103ff. 72 Vgl. Anthony, Children at High Risk for Psychosis Growing Up Successfully, S. 148. 73 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 259. 74 Vgl. Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz, S. 78. 16
3. Die Individuelle Resilienz Veranlagung zu resilientem Verhalten in sich. Worauf es ankommt, ist, resi- lientes Verhalten tatsächlich zu aktivieren und zu fördern.75 3.3.2 Resilienz als prozesshaftes Geschehen Es herrscht also weitgehende Übereinstimmung darüber, dass Resilienz im- mer in erster Linie ein prozesshaftes Entwicklungsgeschehen bezeichnet. Damit wird deutlich, dass es für den Ausbau von Resilienz zunächst gewis- ser Herausforderungen bedarf. Resilienz ist somit als Ergebnis einzelner Lernprozesse zu verstehen und kann durch Bewältigungs- und Lernerfah- rung ausgebaut werden.76 Mit anderen Worten: Menschen, die nicht nur langanhaltende Belastungen bewältigen, sondern es darüber hinaus auch schaffen, aus diesen gestärkt hervor zu gehen, werden als „resilient“ bezeichnet.77 Sie befinden sich in einem „dynamischen Anpassungs- und Entwicklungsprozess“78. Nach dem heutigen Erkenntnisstand wird Resilienz daher hauptsächlich als erwerbbare Kompetenz, d. h. als „Fertigkeit“ eingestuft. Dies verdeutlicht auch, dass Resilienz „keine stabile Einheit [darstellt], die immerwährende Unverwundbarkeit (Invulnerabilität) verspricht“79, sondern eine von der ak- tuellen Situation und der jeweiligen psychischen wie auch physischen Ver- fassung abhängige Kompetenz bedeutet.80 Assoziiert wird die Resilienz-Eigenschaft häufig mit dem sog. Stehaufmänn- chen, welchem es möglich ist, sich aus jeder beliebigen Position und Lage wieder aufzurichten und seine ursprüngliche Balance erneut zu finden.81 „Resilient ist [damit] kein statischer Zustand, sondern ein Prozess, der von Dynamik und Wechselwirkungen geprägt ist. Stehaufmännchen haben 75 Vgl. Kéré Wellensiek/Galuska, Resilienz, S. 21. 76 Vgl. Rutter, Resilience concepts and findings, S. 119-144. 77 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 260. 78 Vgl. Wustmann Seiler/Fthenakis, Resilienz, S. 28. 79 Vgl. Fröhlich-Gildoff/Rönnau-Böse, Resilienz, S. 10. 80 Vgl. Hill, Verwaltungsmodernisierung, S. 260f. 81 Vgl. Amann, Resilienz, S.8. 17
3. Die Individuelle Resilienz gelernt, diesen Prozess an entscheidenden Stellen konstruktiv zu beeinflus- sen.“82 3.3.3 Resilienz als Gesamtheit spezifischer Resilienzen Noch einen Schritt weiter geht das Modell der differenziellen Resilienzen. Ausgangspunkt hierbei ist die Frage, wie es möglich sein kann, dass Men- schen, die gut mit Belastungen zurechtgekommen und sich somit als resili- ent erwiesen haben, an einem bestimmten Punkt doch in eine Krise geraten und die entstehenden Herausforderungen nicht mehr bewältigen können.83 Dieses Geschehen legt nahe, dass nicht von einer bzw. der Resilienz, son- dern von Resilienz in bestimmten Situationen gesprochen werden sollte. Verhaltensmuster, die sich in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen ha- ben, prägen sich ein. In ähnlichen Situationen greift der Mensch dann auf diese Erfahrung zurück. Jeder entwickelt auf diese Art und Weise seine ei- genen, individuellen Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien), um auf Stress und Herausforderungen zu reagieren. Manche Menschen bevorzu- gen es, alleine und in Ruhe eine Situation zu reflektieren; andere gehen aktiv auf ihre Mitmenschen zu, bitten um Hilfe und suchen die Kommunika- tion; wieder andere betreiben Sport, um sich abzulenken, überschüssige Energie abzubauen und einen ‚klaren Kopf‘ zu bekommen.84 Da nicht jedes Problem auf dieselbe Art und Weise angegangen werden kann, bedarf es im Grunde mehrerer Coping-Strategien, um situations- und belastungsadäquat handeln zu können. Je vielfältiger und umfangreicher ein solches Repertoire ist und abgerufen werden kann, desto flexibler kann mit unterschiedlichen Belastungen umgegangen werden. Das Repertoire selbst könnte man als einen der schützenden Faktoren ansehen. Aus die- sem Blickwinkel ergibt sich Resilienz also aus der Gesamtheit einzelner, spezifischer Resilienzen.85 82 Siegrist/Luitjens, 30 Minuten Resilienz, S. 39. 83 Vgl. Rutter, Resilience in the face of adversity, S. 600. 84 Vgl. ebd. 85 Vgl. ebd. 18
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