DIE BETRIEBLICHE KRANKENVERSICHERUNG - Verbreitung, Ausgestaltung, Finanzierung. Ergebnisse aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2016 ...
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REPORT Nr. 59, September 2020 DIE BETRIEBLICHE KRANKENVERSICHERUNG Verbreitung, Ausgestaltung, Finanzierung. Ergebnisse aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2016 Florian Blank, Katharina Molitor, Helge Emmler AUF EINEN BLICK Betriebliche Krankenversicherungen sind eine bis- her relativ seltene betriebliche Sozialleistung. Im Angebot einer betrieblichen Krankenversicherung vorliegenden Report werden Daten der WSI -Be- Wird über den Arbeitgeber eine Krankenzusatzversicherung angeboten? triebsrätebefragung 2016 zu Verbreitung und Ei- Antworten der befragten Betriebsräte, in % genschaften dieser Form der Krankenzusatzversi- cherung dargestellt. Außerdem wird auf die Finan- zierung und betriebliche Regulierung eingegangen. ja: 9,8 % Unter den untersuchten Betrieben mit Betriebsrat bieten rund 10 % eine betriebliche Krankenversi- cherung an. Ähnlich wie bei anderen Sozialleis- tungen gibt es in der Verbreitung Unterschiede zwischen Betriebsgruppen, etwa mit Blick auf die Branchenzugehörigkeit. In rund der Hälfte der Fäl- le wird diese Sozialleistung von den Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern allein finanziert, bei einem weiteren Viertel besteht eine gemeinsame Finanzierung mit dem Arbeitgeber. Wie eine betriebliche Krankenversicherung zu nein: 90,2 % bewerten ist, hängt vom konkreten Angebot, den Bedürfnissen der Beschäftigten, aber auch vom Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen betrieblichen Kontext ab. Aus sozialpolitischer Sicht droht die Gefahr, dass eine zunehmende Verbreitung zu einer selektiven Absicherung von Beschäftigten führt und Rückwirkungen auf die Debatte um die Fortentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung haben wird.
INHALT 1 Einleitung – 2 3.2 Verbreitung der bKV in Betrieben mit Betriebsrat – 6 3.3 Finanzierung der bKV – 7 2 Die betriebliche Kranken- 3.4 Leistungen der bKV – 7 versicherung: Hintergründe – 2 3.5 bKV: Regulierung und Bewertung durch die 2.1 Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall – 2 Betriebsräte – 8 2.2 Charakteristika, Vor- und Nachteile der betrieblichen Krankenversicherung – 3 4 Multivariate Analyse – 9 2.3 Regulierung der bKV – 4 4.1 Variablen – 9 4.2 Ergebnisse – 10 3 Betriebliche Krankenversicherung: Verbreitung und Charakteristika – 5 5 Fazit und Handlungsempfehlungen – 12 3.1 Verbreitung der bKV: Zahlen der Versicherer – 5 1 EINLEITUNG Perspektive zu unterscheiden. Letztere fragt nach Verteilungseffekten betrieblicher Sozialpolitik und Betriebliche Krankenversicherungen (bKV) sind setzt die bKV (wie auch andere betriebliche Sozi- eine bisher relativ wenig verbreitete Sozialleistung. alleistungen) in Beziehung zu öffentlichen Siche- Es handelt sich um Zusatzversicherungen, die vom rungssystemen und auf diese bezogene politische Arbeitgeber für die Beschäftigten abgeschlos- Handlungsmöglichkeiten. sen werden und von Beschäftigten, Arbeitgebern Im Folgenden werden zunächst Hintergründe oder gemeinsam finanziert werden. Die Leistun- zur bKV dargestellt und mögliche Vor- und Nach- gen dieser Versicherungen ähneln denen privater teile einer Nutzung diskutiert (2). Danach stehen Zusatzkrankenversicherungen. Daten zur Verbreitung und Charakteristika der bKV Über die Verbreitung und Ausgestaltung dieser im Mittelpunkt, wobei vor allem auf die Daten der Versicherungen ist bisher – im Unterschied zu an- WSI-Betriebsrätebefragung eingegangen wird (3). deren betrieblichen Sozialleistungen wie der be- Diese Analyse wird in einer logistischen Regressi- trieblichen Altersversorgung (bAV) – nur wenig be- on weiter vertieft, bei der die Frage nach den Ein- kannt. Daten der Versicherungsunternehmen zei- flüssen auf die Verbreitung der bKV behandelt wird gen, dass die Verbreitung zunimmt. Angesichts des (4). Der Report schließt mit einem Fazit und Hand- geringen Wissens über diese Sozialleistung wird in lungsempfehlungen (5). diesem WSI-Report der Frage nach der Verbreitung und Eigenschaften der bKV vertieft nachgegangen. Dabei werden auch Aspekte der Finanzierung und Regulierung behandelt, also etwa nach der Einbe- ziehung des Betriebsrats bei der Ausgestaltung ei- 2 DIE BETRIEBLICHE KRANKEN- ner bKV gefragt. Datengrundlage der Analyse ist die WSI-Be- VERSICHERUNG: HINTERGRÜNDE triebsrätebefragung 2016, in der Betriebsräte in Betrieben ab 20 sozialversicherungspflichtig Be- schäftigten befragt wurden. Aufbauend auf einer 2.1 Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall deskriptiven Analyse wird die Verbreitung der bKV unter Einbeziehung von Variablen zur Beschäftig- Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall ergänzen tenstruktur und Betriebseigenschaften auch multi- – als freiwillige Arbeitgeberleistung, auf Grundla- variat untersucht. Dabei wird geprüft, ob und wie ge von Betriebsvereinbarungen oder abgesichert sehr sich die bKV von anderen betrieblichen Sozial- durch Tarifverträge – den Leistungskatalog der ge- leistungen (hier: von der bAV) unterscheidet. setzlichen Krankenversicherung (GKV). Gesetzliche, Aus der Datenanalyse lässt sich keine abschlie- tarifliche und betriebliche Leistungen stehen in ei- ßende Bewertung der bKV aus personal- und so- nem Wechselverhältnis: Prominentestes Beispiel zialpolitischer Sicht ableiten, jedoch kann die ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die in Analyse zu einer solchen Bewertung beitragen. der Vergangenheit Gegenstand erbitterter Tarifaus- Dabei ist zwischen möglichen Vor- und Nachtei- einandersetzungen war und schließlich gesetzlich len aus Beschäftigtensicht, aus Arbeitgebersicht geregelt wurde (Bispinck 2012: 201 – 205). Ein wei- und darüber hinaus aus einer sozialpolitischen teres Beispiel sind Tarifverträge und Betriebsverein- WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 2
Heil- / Stationäre Ambulante Krankentagege Hilfsmittel Versorgung Versorgung Zahntarife ld Sehhilfen barungen, die die Aufstockung des Krankengeldes, Abbildung 1 Ja ohne das im Anschluss an die Lohnfortzahlung durch die GKV geleistet wird, regeln (UllenboomDoppeltnennun 2010: Direkte Zuschüsse des Arbeitsgebers zu Gesundheitsleistungen nach Art der Leistung 76 – 77). gen 1,87% Anteil der Betriebe 2,13% mit den jeweiligen 6,33% Leistungen an allen Betrieben, in %10,28% 39 Arbeitgeberzuschüsse zu den durch Krankheit entstehenden Kosten sind durchaus verbreitet, wie sich anhand von Daten der WSI-Betriebsrätebefra- Heil- / Hilfsmittel / gung 2016 für Betriebe mit Betriebsrat und mindes- 39,4% Sehhilfen tens 20 Beschäftigten zeigen lässt (Abb. 1). Hierbei 1 übernimmt der Arbeitgeber eine vereinbarte Sum- Krankentagegeld 10,3% me oder einen vereinbarten Anteil der Kosten von Leistungen, die die gesetzliche Krankenkasse oder Zahntarife 6,3% private Versicherung nicht voll übernimmt. Am häufigsten werden Zuschüsse zu Heil-, Hilfs- und Ambulante Versorgung 2,1% Sehmitteln gewährt (rund 39 % der Betriebe). Zu- schüsse zu Zahntarifen (6,3 %) und Krankentage- Stationäre Versorgung 1,9% geld (10,3 %) werden in deutlich weniger Betrieben geleistet. Noch seltener sind Leistungen zu ambu- lanter und stationärer Versorgung, die von knapp 2 % der Arbeitgeber in den untersuchten Betrieben gewährt werden. Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen 2.2 Charakteristika, Vor- und Nachteile der bKV Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber, der mit dem privaten Versicherungsunternehmen einen Der Abschluss von privaten Zusatzkrankenversi- Gruppenvertrag abschließt. Voraussetzung ist oft cherungen hat in den letzten Jahren deutlich zu- eine Mindestanzahl versicherter Beschäftigter, die genommen, was möglicherweise eine Reaktion je nach Versicherungsunternehmen schwanken auf wiederholte Einschränkungen des Leistungs- kann. Der Vertrag kann für alle Beschäftigten oder katalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ist nur für Teile der Belegschaft abgeschlossen wer- (Grabka 2014: 302). Angeboten werden Zahnzusatz- den. Finanziert wird eine betriebliche Krankenver- versicherungen, Krankenhauszusatzversicherungen, sicherung entweder durch den Arbeitgeber, die Be- Krankenhaustagegeldversicherungen, Krankentage- schäftigten oder beide. Die Beitragshöhe einer be- geldversicherungen, Zusatzversicherungen zur am- trieblichen Krankenversicherung richtet sich nach bulanten ärztlichen Versorgung und zu Heil- und der Art der Leistung, der Anzahl der Beschäftigten Hilfsmitteln sowie Auslandsreisekrankenversiche- und deren Alter (Schulz/Blank 2016: 188). rungen. Vor Abschluss einer solchen Zusatzversi- Vom Verband der Privaten Krankenversicherung cherung ist in der Regel eine Gesundheitsprüfung (2019), aber auch in Beiträgen, wie etwa im „Perso- erforderlich, einzelne Zusatzleistungen können nalmagazin“, wird auf die Vorteile für den Arbeit- jedoch davon ausgenommen sein. Liegen Vor- geber hingewiesen: „Eine zielorientiert konzipierte erkrankungen vor, kann die Zusatzversicherung bKV kann und sollte auch ganz konkret dabei hel- abgelehnt werden oder die Versicherung erhebt fen, Personalkosten zu sparen, unter anderem auch Risikozuschläge. Bis Leistungen in Anspruch ge- durch die Senkung krankheitsbedingter Ausfallta- nommen werden können, gibt es eine Wartezeit, ge und Langzeiterkrankungen“ (Schmalley 2017). die im Normalfall drei Monate beträgt, bei einigen Diese Logik entspricht der anderer betrieblicher Leistungen jedoch auch länger ausfallen kann (Ver- Zusatzleistungen – wie etwa der bAV –, durch de- braucherzentrale 2019). ren Angebot der Arbeitgeber potenziell einen Wett- Alternativ zu einer individuellen Zusatzversiche- bewerbsvorteil erhält, indem er den Arbeitsplatz rung können vom Arbeitgeber betriebliche Zusatz- als attraktiv darstellt, sowie Produktivitätsgewinne, versicherungen für die Beschäftigten abgeschlos- erhöhte Leistungsbereitschaft, Reduktion der Fehl- sen werden. Die Leistungen, die durch eine bKV zeiten und allgemein einen Anstieg der Mitarbeiter- abgedeckt werden, entsprechen denen privater Zu- motivation und Arbeitszufriedenheit erzielen kann satzversicherungen. Auch hier können modular Ta- (Lutz 2005: 10, Specht/Waschinski 2020). In aktuel- rife abgeschlossen werden, durch die die Leistun- len Beiträgen zur bKV wird die Möglichkeit einer di- gen der GKV oder privaten Vollversicherung (PKV) rekten Bezuschussung von Gesundheitsleistungen ergänzt werden (Krankenkassen-Zentrale 2019). als Alternative jedoch völlig ausgeblendet. Für die Beschäftigten bietet die bKV gegenüber der privaten Zusatzversicherung auf den ersten 1 Weitere Informationen zur WSI-Betriebsrätebefragung Blick durchaus Vorteile. Die Gesundheitsprüfung finden sich in Abschnitt 3.2 und im Anhang. entfällt in einigen Fällen (beispielsweise, wenn WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 3
eine Mindestanzahl von versicherten Beschäftigten Gesundheitspolitik eingeschränkt, wenn private Al- erreicht wird), auch Vorerkrankungen sind dann ternativen zur Weiterentwicklung des öffentlichen mitversichert. Auch die bei privaten Zusatzversi- Systems gesucht werden – wenn also kein Druck cherungen üblichen Wartezeiten können bei einer zur Weiterentwicklung des Leistungskatalogs der bKV entfallen (Verband der Privaten Krankenversi- gesetzlichen Krankenversicherung besteht, weil cherung 2019). Finanziell kann die bKV gegenüber ein erheblicher Teil der Bürgerinnen und Bürger der privaten Zusatzversicherung vorteilhaft sein, da betrieblich oder privat abgesichert ist. Von diesem entweder der gesamte Beitrag oder ein Teil durch Problem wiederum sind Menschen in unterschied- den Arbeitgeber übernommen werden kann. Auch lichem Maße betroffen, da die Möglichkeit für zu- wenn dies nicht der Fall ist, ist für die Beschäftig- sätzliche Absicherung nicht zuletzt vom individuel- ten die Versicherung über einen Gruppentarif laut len Einkommen abhängt bzw. sich die uneinheitli- Aussagen des PKV-Verbands günstiger als der In- che Abdeckung der betrieblichen Sozialleistungen dividualtarif, der ihnen bei einer privaten Zusatz- auch in der bKV bestätigt (s. u.). Der betriebliche versicherung angeboten würde (Verband der Pri- „Umweg“ zum erweiterten Versicherungsschutz vaten Krankenversicherung 2019). Es besteht die kann nur von einem Teil der gesetzlich Versicherten Möglichkeit, Familienmitglieder mitzuversichern. genutzt werden können. Für diese ist jedoch oft eine Gesundheitsprüfung verpflichtend. Personen mit Vorerkrankungen, die über eine betriebliche Krankenversicherung versi- 2.3 Regulierung der bKV chert sind, bietet sich mit der bKV unter Umstän- den die Möglichkeit einer Zusatzversicherung, die Bei einer betrieblichen Krankenversicherung han- auf privatem Wege abgelehnt würde (Schulz/Blank delt es sich um eine freiwillige Sozialleistung des 2016: 190). Arbeitgebers, deren Einführung nicht vom Be- Neben diesen möglichen Vorteilen ist im jewei- triebsrat erzwungen werden kann. Entscheidet sich ligen individuellen bzw. betrieblichen Kontext zu der Arbeitgeber jedoch für die Einführung, ist der prüfen, wie sich Nutzen und Kosten zueinander Betriebsrat bei der Ausgestaltung der bKV oder bei verhalten. Das betrifft zunächst die Frage, ob die Änderungen einzubeziehen (§ 87 BetrVG; vgl. Tech- bKV anstelle anderer Leistungen oder Barlohnerhö- niker Krankenkasse 2019). 4 Von diesem Recht muss hungen eingeführt wird und welche Rolle der Ar- der Betriebsrat jedoch keinen Gebrauch machen. beitgeber bei der Finanzierung spielt. Hierbei muss Aufgrund einer Entscheidung des Bundesfinanz- berücksichtigt werden, dass vom Arbeitgeber fi- hofs aus dem Jahr 2018 werden Zuschüsse des Ar- nanzierte Leistungen eventuell steuerbegünstigt beitgebers zur bKV als Sachlohn eingestuft, sofern sind (s. u.). Es betrifft außerdem die Bewertung des die Beschäftigten nicht alternativ eine Auszahlung Versicherungsprodukts und der abgesicherten Risi- des Betrags verlangen dürfen. Dieser Zuschuss ken unter Berücksichtigung möglicherweise schon ist bis zu 44 Euro / Monat steuerbegünstigt (Haufe vorhandener privater Zusatzversicherungen und Online Redaktion 2019). Dabei steht der Zuschuss des Leistungskatalogs der GKV, der in den meis- zur bKV aber in Konkurrenz zu anderen Sozialleis- ten Fällen als ausreichend gesehen werden muss. 2 tungen, die als Sachlohn gewertet werden (bspw. Eine falsche Bewertung führt ggf. zu einer Überver- Tankgutscheine, Zuschuss zum Vertrag für das sicherung (also zum Abschluss von Versicherun- Fitnessstudio oder zum Jobticket). Durch diesen gen, die nicht notwendig sind, auch weil das Risiko Steuervorteil besteht ein Anreiz für Arbeitgeber, ei- möglicherweise schon versichert ist) bzw. Überver- nen Zuschuss anstelle von Barlohn-Erhöhungen zu sorgung (also zu nicht notwendiger Leistungser- gewähren. bringung): Die Verbraucherzentralen etwa bezeich- nen private Krankenhaustagegeldversicherungen als unnötig (Verbraucherzentrale 2019). 3 Aus Beschäftigtensicht ist zudem die Frage auf- zuwerfen, welche sozialpolitischen Konsequenzen eine zunehmende Verbreitung betrieblicher Zu- satzversicherungen hat. Diese Entwicklung kann zu der öffentlichen Wahrnehmung beitragen, dass das – bei allen Problemen im Detail – leistungsfä- hige Gesundheitssystem als defizitär angesehen wird. Zugleich werden aber die Spielräume der 2 Rosenbrock und Gerlinger zufolge „[…] zeichnet sich die GKV – auch im internationalen Vergleich – auch ge- genwärtig noch durch einen umfassenden Katalog aus“ (2014: 129). 3 Zur Kritik an privaten Zusatzversicherungen s. auch Win- 4 Beispiele für Regulierungstatbestände in Betriebsverein- kel (2016). barungen finden sich bei Schulz / Blank (2016: 190). WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 4
Im Gegensatz zur privaten Vollversicherung, die 3 BETRIEBLICHE KRANKENVER- abnehmende Versicherungszahlen zu verzeichnen hat, erleben modulare Ergänzungstarife, vor allem SICHERUNG: VERBREITUNG UND im betrieblichen Kontext, zurzeit also einen star- CHARAKTERISTIKA ken Anstieg. 6 Die Anzahl der privat Vollversicher- ten nahm bis 2011 zu, seitdem sinkt er geringfügig, aber stetig; die jährlichen Schwankungen bewegen sich gegenüber den privaten Zusatzversicherun- 3.1 Verbreitung der bKV: Zahlen der gen jedoch in einem recht kleinen Rahmen. Tabelle 1 Versicherer verdeutlicht die Relationen zwischen den verschie- denen Versicherungsprodukten. Sie zeigt, dass die Der Verband der privaten Krankenversicherung Anzahl der Versicherten in der bKV, trotz des star- weist beginnend mit dem Jahr 2015 jährlich Zahlen ken Zuwachses im Vergleich zu den anderen Ge- zur Entwicklung der bKV aus. Von 2015 auf 2018 schäftsfeldern der PKV, noch relativ gering ist. 7 lässt sich ein deutlicher Anstieg im Angebot von Diese Daten geben keinen Aufschluss darü- betrieblichen Krankenversicherungen feststellen. 5 ber, wo und in welchem Umfang bzw. in welcher Die Anzahl der Versicherungsnehmer (also der Ausprägung die bKV genutzt wird. Auch die Frage Arbeitgeber, die eine Zusatzversicherung für ihre nach der Finanzierung wird nicht beantwortet. Beschäftigten abgeschlossen haben) hat sich im Zeitraum 2015 – 2018 von 3.848 auf 7.700 verdop- pelt. Die Zahl der dadurch versicherten Arbeitneh- 3.2 Verbreitung der bKV in Betrieben mit mer hat sich im selben Zeitraum von 575.000 auf Betriebsrat 757.500 und somit um 31,7 % erhöht (Verband der Privaten Krankenversicherung 2019: 31; vgl. Tab. Die WSI-Betriebsrätebefragung erfasst sowohl Ver- 1). Dieser disproportionale Anstieg könnte darin breitung als auch Charakteristika der Nutzung der begründet sein, dass vor allem für kleinere Unter- bKV. Es handelt sich um eine repräsentative Erhe- nehmen betriebliche Krankenversicherungen abge- bung unter Betriebsräten in privatwirtschaftlichen schlossen wurden oder sich die Versicherungsleis- Betrieben mit mindestens 20 sozialversicherungs- tung nur auf einen Teil der Belegschaft beschränkt. Vorwort (bei Bedarf löschen) Tabelle 1 Entwicklung der Versicherungsnehmer 2015-2018 Versicherungsform 2015 2016 2017 2018 Absolut Absolut Veränderung Absolut Veränderung Absolut Veränderung zum Vorjahr zum Vorjahr zum Vorjahr bKV (Versicherungsnehmer 3.848 4.894 27,2% 6.059 23,8% 7.700 27,1% (Arbeitgeber)) bKV (versicherte Arbeitnehmer) 575.000 606.800 5,5% 672.500 10,8% 757.500 12,6% Private Krankenzusatzversicherung 24.770.100 25.083.900 1,3% 25.519.900 1,7% 26.030.200 2,0% (abgeschlossene Verträge inkl. bKV) Private Krankenvollversicherung 8.787.300 8.772.700 -0,2% 8.753.400 -0,2% 8.736.300 -0,2% (vollversicherte Personen) Quelle: Verband der Privaten Krankenversicherung 2017, 2018, 2019 6 In der Statistik wird die Anzahl an privaten Zusatzversi- Literatur cherungsverträgen gezählt, nicht die Anzahl der Versiche- rungsnehmer privater Zusatzversicherungen. Eine Person kann mehrere Zusatzversicherungen abgeschlossen haben; diese werden dann jedes Mal als einzelne Zusatz- 5 Vor 2015 wurden die Werte für die bKV nicht separat, Nachname, Vorname. sondern in Summe 2013:Krankenzusatzversi- mit den privaten Titel des Buches versicherung gezählt. cherungen ausgewiesen. Auch nach 2015 sind die Werte 7 Das Handelsblatt berichtet für das Jahr 2019, dass in der bKV weiterhin in den Daten zur privaten Krankenzu- 10.200 Betrieben eine bKV angeboten wurde und 820.00 Nachname, Vorname und Nachname 2, Vorname satzversicherung enthalten. 2. 2013: Beschäftigte Titel versichert desSpecht/Waschinski waren; Bu- 2020. ches WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 5 Nachname, Vorname, Nachname 2, Vorname 2 und Nachname 3, Vor-
tzversicheru Produzierendes Dienstleistungen Lagerei / Gewerbe ohne Erziehung / Gastgewerbe Arbeitgeber Baugewerbe Gesundheit 9,8% 8,6% Angebot 9,4%einer 9,7% 10,5% 9,9% 11,6% Krankenzusatzversicherun g über den Arbeitgeber Abbildung 2 4,7% 6,4% Abbildung 3 6,5% Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach Betriebsgröße, in % der befragten Betriebe Branchen, in % der befragten Betriebe 11,6% Finanz- und 56,2% 10,5% 9,9% Versicherungsdienstleister 9,8% 9,4% 9,7% 8,6% Handel 13,1% Information und 11,3% Kommunikation gesamt 9,8% Gesamt 20 50 100 200 500 1.000 Unternehmensnahe bis 49 bis 99 bis 199 bis 499 bis 999 und 8,5% Dienstleistungen mehr Baugewerbe 8,1% Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen sonstige Branchen 7,4% Investitionsgüter 6,5% pflichtig Beschäftigen in Deutschland. 8 In der die- ser Auswertung zugrunde liegenden zweiten Welle Verkehr und Lagerei / 6,5% Gastgewerbe des Betriebsrätepanels wurden insgesamt 2.606 auswertbare Interviews erhoben (computergestütz- Öffentliche Dienstleistungen 6,4% Erziehung / Gesundheit te Telefoninterviews, CATI; Häring et al. 2016). Wei- Bergbau / Produzierendes tere Informationen zur Befragung finden sich im Gewerbe ohne Baugewerbe 4,7% Anhang. In den untersuchten Betrieben wurde von knapp 10 % der Betriebsräte angegeben, dass in ihrem Be- trieb eine bKV angeboten wird. Gegenüber der bAV, einer anderen, schon länger etablierten betriebli- Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen chen Sozialleistung, ist die bKV nicht weit verbrei- tet. So wurde in derselben Stichprobe in knapp 80 % der Betriebe eine bAV angeboten. In knapp zwei Drittel (63,4 %) der Betriebe mit tungen. Aber auch Handelsbetriebe weisen über- einer bKV wurden alle Beschäftigten abgesichert. durchschnittlich häufig eine bKV auf (Abb. 3). Be- Ausgenommen vom Versicherungsschutz sind am triebe mit Tarifbindung bieten gegenüber Betrieben häufigsten befristet oder geringfügig Beschäftig- ohne Tarifbindung überdurchschnittlich häufig eine te. Mitarbeiter unterer Qualifikationsstufen werden bKV an (Abb. 4). hingegen nur selten von einer bKV ausgeschlossen. Die Gesundheitsprüfung vor Aufnahme in die be- triebliche Krankenversicherung entfällt in drei Vier- 3.3 Finanzierung der bKV teln der untersuchten Betriebe. Dadurch wird auch chronisch Kranken und Älteren in einem großen Finanziert wird eine betriebliche Krankenversiche- Teil der Betriebe Zugang zu einer Zusatzversiche- rung in gut 48 % der untersuchten Betriebe allein rung ermöglicht. von den Beschäftigten, wobei die Versicherung in Die Verbreitung der bKV nach Betriebsgröße einer bKV bei alleiniger bzw. teilweiser Finanzie- streut leicht um das Mittel von 9,8 %. Ein leichter rung durch die Beschäftigten in knapp 99 % der Trend hin zu einer stärkeren Nutzung in Großbetrie- Fälle freiwillig ist. Die alleinige Finanzierung durch ben ist zu erkennen (Abb. 2). den Arbeitgeber bzw. eine Beteiligung des Arbeit- Bei der Verteilung nach Branchen ist das Bild gebers findet sich jeweils in rund einem Viertel der deutlicher. Die bKV findet sich überproportional befragten Betriebe (Abb. 5). häufig in den Finanz- und Versicherungsdienstleis- 3.4 Leistungen der bKV 8 Dies traf 2016 (also zum Zeitpunkt der Befragung) auf 27 % der deutschen Betriebe zu. Der Anteil der durch Werden vom Arbeitgeber betriebliche Kranken- einen Betriebsrat repräsentierten Beschäftigten unter- versicherungen abgeschlossen, so werden häufig scheidet sich zwischen West- und Ostdeutschland. In Verträge mit mehreren Modulen gewählt. In den Westdeutschland liegt der Wert in Betrieben über 20 Beschäftigten bei 56 %, in Ostdeutschland bei 47 % (Ell- untersuchten Betrieben wurden sechs Zusatzver- guth / Kohaut 2017: 283). sicherungsleistungen abgefragt. Nur vier Betriebe, WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 6
Finanzierung bKV durch: nzusatzv Arbeitgeber 24,4% rung über Arbeitnehmer 48,4% beitgeber Beide 27,2% 9,8% 11,0% 7,3% Abbildung 4 Abbildung 5 Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach Finanzierung der betrieblichen Krankenversicherung, in % der Tarifbindung, in % der befragten Betriebe Betriebe mit bKV 24,4% 11,0% 27,2% 9,8% Arbeitgeber nur Arbeitgeber und Arbeit- 7,3% nehmer Anzahl abgeschloss ener gesamt mit ohne Krankenzusa Tarifbindung Tarifbindung tzversicheru 48,4% nur Arbeitnehmer ngsmodule Heil- / Hilfsmittel Auslandsversich Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung ambulante 2016, eigene Berechnungen stationäre Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 1 / 2016, eigene Berechnungen 14,0% Arbeitgeber erung Versorgung Krankentagegeld VersorgungArbeitnehmer Zahntarife Sehhilfen 2 14,5% Krankenzusatzversicherungen 41,9% 53,7% 59,2% 70,9% Beide 74,7% 76,8% 3 15,5% 4 12,6% Abbildung 6 5 23,2% Abbildung 7 6 20,9% Leistungen, die Bestandteil der betrieblichen Krankenver- Anzahl der Leistungen, die Bestandteil der GKV sind, sicherung sind, in % der Betriebe mit bKV in % der Betriebe mit bKV Heil- / Hilfsmittel / ein Modul1 76,8% 14,0% Sehhilfen Zahntarife 74,7% zwei Module2 14,5% stationäre Versorgung 70,9% drei Module3 15,5% vier Module4 12,6% Krankentagegeld 59,2% fünf Module5 23,2% ambulante Versorgung 53,7% sechs Module6 20,9% Auslandsversicherung 41,9% Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen die eine betriebliche Krankenversicherung anbieten, oben) ein deutlich anderes Bild. Eine Erklärung für gaben an, keine der abgefragten Versicherungsleis- diese Unterschiede liegt darin, dass bei Versiche- tungen anzubieten. rungen möglicherweise eher ein „Komplettpaket“ Am häufigsten werden Zusatzmodule zu Zahnta- verschiedener Module gewählt wird und nicht über rifen, Heil- / Hilfs- und Sehmitteln sowie stationärer einzelne Arbeitgeberleistungen entschieden wird. Versorgung angeboten. Jeweils über 70 % der Be- Es zeigt sich, dass in Betrieben, die eine betrieb- triebe mit betrieblicher Krankenversicherung bieten liche Krankenversicherung anbieten, die Versiche- diese Leistungen an. Aber auch ambulante Versor- rung häufig fünf oder sechs Leistungen umfasst. gung und Krankentagegeld werden in mehr als der Dies trifft auf ca. 44 % der Betriebe zu. Nur eine Hälfte der Betriebe angeboten. Auslandskranken- oder zwei Leistungen werden in gut 29 % der Be- versicherungen sind am seltensten Teil einer be- triebe angeboten (Abb. 7). trieblichen Krankenversicherung (Abb. 6). Bei der Interpretation dieser Werte zu den Zu- Mit Blick auf die Module der bKV zeigt sich da- satzversicherungen ist jedoch zu beachten, dass mit im Vergleich zu den direkten Zuschüssen (Abb. 1, von Seiten der befragten Betriebsräte offensichtlich WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 7
sinnvoll 0,0% Mitgestaltung der bKV durch Betriebsrat Betriebe ohne bKV Mitgestaltung ohne Betriebe mit bKV Betriebsvereinbarung 18,8% Mitgestaltung mit Abbildung 8 Abbildung 9 Betriebsvereinbarung 24,1% keine Mitgestaltung 57,1% Mitgestaltungder betrieblichen Krankenversicherung durch Wie sinnvoll ist eine betriebliche Krankenversicherung? den Betriebsrat, in % der Betriebe mit bKV Einschätzungen der Betriebsräte, in % 12,4% 7,2% keine Mitgestaltung 57,1% Betriebe 17,2% 23,0% 33,9% ohne bKV Mitgestaltung durch Betriebsvereinbarung 24,1% 6,2% 2,4% Mitgestaltung ohne 18,8% Betriebe Betriebsvereinbarung 26,5% 37,4% 24,5% mit bKV 9,2% 0,0% Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen 1 2 3 4 5 6 Datenreihe6 sehr sinnvoll Datenreihe5 überhaupt nicht sinnvoll Datenreihe4 Datenreihe3 große Unsicherheit über die Art der angebotenen Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen Leistungen und deren Rahmen besteht. So gab es Datenreihe2 Datenreihe1 einen recht hohen Anteil von Betriebsräten, die auf die Fragen zu den Leistungsbestandteilen der be- trieblichen Krankenversicherung bei den verschie- denen Items mit „weiß nicht“ geantwortet haben. Eine betriebliche Krankenversicherung hat also Dieser Anteil bewegt sich je nach Item zwischen in einem großen Teil der Betriebe die Unterstützung 7,5 und 9,9 % (siehe Tabelle A1 im Anhang). 9 der Betriebsräte. Ob die positive Einschätzung der bKV in den untersuchten Betrieben auch schon vor deren Einführung vorlag, kann mit den vorlie- 3.5 bKV: Regulierung und Bewertung durch genden Daten jedoch nicht untersucht werden. die Betriebsräte Dementsprechend kann auch nicht selektiert wer- den, ob hier eventuell Gewöhnungseffekte zu eher Eine Betriebsvereinbarung zur bKV liegt in knapp positiven Einschätzungen geführt haben, oder ob einem Viertel der untersuchten Betriebe mit bKV die Betriebsräte die bKV sogar selber vorgeschla- vor, dagegen haben gut 57 % der Betriebsräte in gen haben. Um den Einfluss der Bereitstellung auf Betrieben mit bKV diese überhaupt nicht mitgestal- die Einschätzung näher zu erörtern, wären weitere tet (Abb. 8). Analysen notwendig. Angesichts dessen, dass über die Hälfte der Be- triebsräte die bKV nicht mitgestaltet hat, stellt sich die Frage, wie eine bKV von den Betriebsräten be- wertet wird. Betrachtet man alle Betriebe, zeigt sich eine weitgehend positive Einschätzung der bKV. 4 MULTIVARIATE ANALYSE Rund drei Viertel aller Betriebsräte schätzen eine bKV als sinnvoll ein. In Betrieben, die bereits eine bKV haben, liegt dieser Anteil mit knapp 90 % noch deutlich über diesem Wert. Angaben, die eine bKV 4.1 Variablen als eher nicht sinnvoll oder überhaupt nicht sinnvoll einschätzten, lagen in Betrieben mit bKV deutlich Die folgende Analyse des Angebots einer bKV ver- unter den Angaben aus Betrieben ohne bKV. Kein folgt drei Ziele: Es geht erstens darum, die Ergeb- Betriebsrat eines Betriebs mit bKV schätzte eine nisse der deskriptiven Statistik zu überprüfen, zwei- solche als überhaupt nicht sinnvoll ein (Abb. 9).9 tens die bisher untersuchten Zusammenhänge zu Eine bKV wird auch positiver eingeschätzt, wenn ergänzen und drittens zu prüfen, ob die Verbreitung der Betriebsrat sie mitgestaltet hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eine Betriebsvereinbarung gibt, oder ob ohne Betriebsvereinbarung mitgestaltet 10 Die Durchführung einer einfachen linearen Regression wurde.10 des Angebots einer bKV (Dummyvariable, ja=1) auf die Einschätzung der bKV (Skala von 1 (sehr sinnvoll) bis 6 (überhaupt nicht sinnvoll)) bestätigt das Bild, dass mit Vorliegen einer betrieblichen Krankenversicherung die 9 Es handelt sich um eine homogene Gruppe, die in vielen Einschätzung einer solchen signifikant positiver wird. Fällen mit „weiß nicht“ geantwortet hat. So verteilen sich Coef.: -0,65***; eigene Berechnungen. 131 fehlende Werte (Missings) auf nur 42 Betriebe. 12 11 Lineare Regression der Mitbestimmung bei der bKV auf Betriebe haben bei jedem Item mit „weiß nicht“ geant- die Einschätzung einer bKV, Coef.: Betriebsvereinbarung: wortet, somit entfallen 72 Missings auf 12 Betriebe, die -0.52***; Mitbestimmung ohne Betriebsvereinbarung: restlichen 59 verteilen sich auf 30 Betriebe. -0,54***. WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 8
der bKV der Verbreitung anderer Sozialleistungen Tabelle 2 folgt. Aufgrund des dritten Aspekts werden Be- Vorwort (bei Bedarf löschen) triebe mit dem Angebot einer bAV als Vergleichs- gruppe herangezogen. 12 Zur Erreichung dieser Zie- Aufteilung der abhängigen Variablen le wird eine multinomiale logistische Regression durchgeführt. Die abhängige Variable unterschei- Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 det Betriebe mit betrieblicher Krankenversicherung Betriebe bieten Betriebe bieten nur Betriebe bieten Betriebe bieten und betrieblicher Altersvorsorge von Betrieben mit weder bAV eine bAV an sowohl eine bAV nur eine bKV an ausschließlich betrieblicher Altersvorsorge und von noch bKV an als auch eine Betrieben, die keine dieser beiden Leistungen an- bKV an bieten (siehe Tabelle 2). Zwar wäre es wünschens- wert, eine separate Kategorie von Betrieben zu untersuchen, die ausschließlich eine bKV anbieten. Jedoch gibt es in der Stichprobe lediglich 25 sol- Quelle: Berechnungen des WSI 2018, © WSI 2018 cher Betriebe. Die restlichen 228 Betriebe mit bKV stellen auch eine bAV bereit. Daher wurden beide Kategorien zusammengefasst. 13 Insgesamt gingen schäftigtenmerkmalen, ist es wahrscheinlich, dass in die Analyse 2.143 Fälle ein. es sich tatsächlich um branchenspezifische Merk- Die Effektstärken der multinomialen logistischen male handelt. Regression werden als average marginal effects Eine steigende Betriebsgröße wirkt sich so- (AME-Koeffizienten) ausgewiesen. Das bringt zum wohl positiv auf das Bereitstellen betrieblicher Zu- einen den Vorteil mit sich, dass die in Tabelle 3 satzleistungen im Allgemeinen als auch auf das ausgewiesenen Koeffizienten intuitiv als Wahr- Bereitstellen einer bAV im Speziellen aus (Schna- scheinlichkeiten interpretiert werden können. Zum bel / Wagner 1999: 80; Bellmann / Frick 1999: 103; anderen sind alle Koeffizienten im Gesamtmodell Lutz 2005: 24). Als Erklärung wird unter anderem vergleichbar. So liegt beispielsweise die Wahr- ein höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad scheinlichkeit, dass ein Betrieb in Westdeutschland angeführt, welcher eine größere Verhandlungs- eine bKV und eine bAV anbietet, um 4 % höher als macht und Durchsetzungskraft der Mitarbeiter mit in Ostdeutschland. sich bringt. Bisherige Forschung hat gezeigt, dass Als unabhängige Variablen wurden über die Be- sich die Tarifbindung des Betriebs weitgehend po- triebsmerkmale (wie Branche und Unternehmens- sitiv auf verschiedene Zusatzleistungen auswirkt größe) hinaus Angaben zu den Beschäftigten und (Lutz 2005: 31; Blank / Wiecek 2012: 8). zur „Mitarbeiterfreundlichkeit“ aufgenommen. Zu Neben den Betriebsmerkmalen wurden Merk- den hier untersuchten Betriebsmerkmalen zählen male der Beschäftigten in die Analyse aufgenom- Unternehmensstandort (West- oder Ostdeutsch- men. Es werden Effekte des Anteils hochqualifi- land), Branchenzugehörigkeit, Unternehmens- zierter, befristeter oder in Teilzeit arbeitender Be- größe 14, Einbettung des Betriebs in ein Unterneh- schäftigter sowie des Frauenanteils untersucht. men und Tarifbindung. Bereits in der deskriptiven Qualifizierte Mitarbeiter sollen durch betriebliche Analyse wurden zum Teil deutliche Unterschiede Zusatzleistungen gewonnen und gehalten werden sichtbar. Hinter branchenspezifischen Unterschie- – ein hoher Anteil an Hochqualifizierten sollte also den beim Angebot von Sozialleistungen können mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit freiwilliger sich verschiedene Beschäftigtenmerkmale und Be- Zusatzleistungen einhergehen (vgl. Bellmann und triebsmerkmale verbergen, aber auch Traditionen Frick 1999: 103). Bisherige Forschungen weisen branchentypischer Regelungen. Zeigen sich mög- darauf hin, dass ein hoher Anteil an Frauen sowie liche Brancheneffekte auch unter Kontrolle von Be- befristet Beschäftigter einen negativen Einfluss auf das Vorhandensein von betrieblichen Zusatz- leistungen hat (Schnabel & Wagner 1999: 81; Lutz 2005: 31). 15 Folgt man dem Argumentationsstrang 12 Zur Verbreitung der bAV und den Einflussfaktoren eines Angebots liegt bereits einige Forschung vor. der Mitarbeiterbindung, sollte sich ein hoher An- S. Blank / Wiecek 2012, Blank 2015. teil junger Mitarbeiter positiv auf die Bereitstellung 13 Im Folgenden wird (1.) von Betrieben mit bKV und bAV, betrieblicher Zusatzleistungen auswirken. Für das (2.) von Betrieben mit bAV und (3.) von Betrieben ohne Unternehmen sollte es von Interesse sein, junge bAV und bKV die Rede sein. Das ist insofern eine sprach- liche Vereinfachung, als dass die erste Gruppe auch Be- Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, da hier triebe umfasst, die allein über eine bKV, nicht aber über potenziell noch eine längere Betriebszugehörigkeit eine bAV verfügen. erwartet werden kann, als dies bei älteren Beschäf- 14 Die Unternehmensgröße berücksichtigt eher als die Betriebsgröße organisatorische Strukturen, die Großun- ternehmen haben, beispielsweise eine eigene Personal- abteilung, die eigene Mitarbeiter / -innen für Belange wie betriebliche Zusatzleistungen hat. Diese ist dann oft auch 15 Begründet wird dieser Umstand dadurch, dass die Be- für die einzelnen Betriebe zuständig. Für die Betriebe, die triebsbindung von Frauen und befristet Beschäftigten rela- nicht in ein Unternehmen eingebettet sind, wurde die tiv gering ist, was dem Argument der Mitarbeiterbindung Betriebsgröße anstelle der Unternehmensgröße genutzt. durch Sozialleistungen entgegensteht (Lutz 2005: 15). WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 9 Nr. 000 · Monat Jahr · Hans-Böckler-Stiftung
tigten der Fall ist. Zudem sind die Abschlusskosten Diese Sonderstellung der Finanz- und Versiche- einer bKV bei jungen Beschäftigten geringer, da Al- rungsdienstleister bei betrieblichen Sozialleis- terszuschläge erhoben werden. tungen zeigt sich in empirischen Studien immer Schließlich wurden Items in die Analyse einbe- wieder. 18 zogen, die die „Mitarbeiterfreundlichkeit“ eines Die Unternehmensgröße hat keinen signifikan- Betriebs abbilden. Dazu gehören die Fragen, ob ten Einfluss auf die Bereitstellung von Sozialleis- der Betrieb eine betriebliche Gesundheitsförderung tungen. 19 Wie erwartet, wirkt sich die Tarifbindung anbietet und ob die Geschäftsführung die Betriebs- eines Betriebs positiv auf das Anbieten von Zusatz- ratsarbeit behindert. Eine gute Beziehung zwischen leistungen aus, jedoch nur auf die Bereitstellung ei- Beschäftigten, Betriebsrat und Geschäftsleitung ner bAV auch signifikant. Mit vorhandener Tarifbin- kann sich positiv auf freiwillige betriebliche Sozial- dung sinkt die Wahrscheinlichkeit, keine Leistung leistungen auswirken. Beschäftigte und Betriebsrat anzubieten. haben zwar keine direkte Mitsprache bei der Ein- Unterdurchschnittlich viele befristet Beschäftig- führung solcher Leistungen, besteht aber eine gute te führen zu einer signifikant höheren Wahrschein- Beziehung, wird vermutet, dass die Geschäftsfüh- lichkeit, eine bKV und bAV anzubieten. 20 Auch rung eher bereit ist, auf die Wünsche der Beschäf- erhöht ein sehr hoher Anteil an Beschäftigten mit tigten einzugehen (Schnabel / Wagner 1999: 80). 16 Hochschulabschluss die Wahrscheinlichkeit auf das Anbieten beider Leistungen. 21 Sowohl ein sehr hoher als auch ein sehr niedriger gewerkschaftli- 4.2 Ergebnisse cher Organisationsgrad haben einen negativen Einfluss auf das Angebot von bKV und bAV. Eine Die Ergebnisse der Analyse bestätigen bisherige mögliche Erklärung wäre, dass den nicht organi- Forschungen und Beobachtungen. Befindet sich sierten Beschäftigten die Durchsetzungskraft fehlt. ein Betrieb in Westdeutschland, hat er eine signifi- Allerdings führt auch ein steigender gewerkschaft- kant höhere Wahrscheinlichkeit, eine bAV und eine licher Organisationsgrad nicht zwingend zu mehr bKV anzubieten, als ein Betrieb in Ostdeutschland. betrieblichen Sozialleistungen. Der Frauenanteil Die Wahrscheinlichkeit, keine der Leistungen an- eines Betriebs schließlich hat keinen signifikanten zubieten, liegt bei Betrieben im Westen signifikant Effekt auf die Bereitstellung von Zusatzleistungen. niedriger als im Osten. Es ist möglich, dass dies auf Betriebe mit betrieblicher Gesundheitsförderung Lohneffekte gründet, da im Westen immer noch haben, unabhängig davon, wie diese gestaltet ist, ein höheres Lohnniveau als im Osten herrscht. 17 signifikant häufiger Zusatzleistungen. Bietet ein Be- Brancheneffekte zeigen sich besonders bei den trieb eine betriebliche Gesundheitsförderung an, so Finanz- und Versicherungsdienstleistern. Gegen- lässt sich vermuten, dass er sich mit den Themen über der Referenzkategorie „Bergbau und Produ- Gesundheit und betriebliche Mitarbeiterförderung zierendes Gewerbe“ weist diese Branche eine um auseinandergesetzt hat. Als weiterer Indikator der 16 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit Mitarbeiterfreundlichkeit wurde untersucht, in- auf, keine Leistung anzubieten. Auch die Wahr- wieweit der Arbeitgeber die Betriebsratsarbeit zu scheinlichkeit, nur eine bAV anzubieten, ist mit 29 behindern versucht. In Betrieben, in denen häufig Prozentpunkten deutlich geringer. Betriebe die- solche Versuche unternommen wurden, ist die ser Branche weisen jedoch um 45 Prozentpunkte Chance deutlich höher, keine Leistungen anzubie- wahrscheinlicher beide Leistungen auf als Betriebe ten (Tabelle 3). der Referenzbranche. 18 So ist das Kredit- und Versicherungsgewerbe in der Ana- lyse von Lutz (2005: 20) Spitzenreiter in der Bereitstel- 16 Ursprünglich wurde ein stufenweises Modell berechnet, lung betrieblicher Zusatzleistungen jeder Art. Auch bei in dem die unabhängigen Variablen nach und nach in Blank / Wiecek (2012: 8) in einer Untersuchung zur bAV den oben vorgestellten Blöcken (Betriebsmerkmale, Be- ist diese Branche eine der am stärksten vertretenen. schäftigtenmerkmale und Mitarbeiterfreundlichkeit) in die Berechnungen aufgenommen wurden. So ließ sich 19 Ohne Kontrolle für Beschäftigtenmerkmale und Mitar- beispielsweise untersuchen, ob die Kontrolle für die Zu- beiterfreundlichkeit hat die Unternehmensgröße einen sammensetzung der Beschäftigten Effekte von Betriebs- signifikanten Effekt. Der positive Einfluss der Unterneh- charakteristika überlagern. Die Ergebnisse dieser Berech- mensgröße auf das Angebot einer bKV verliert unter Hin- nungen sind auf Anfrage bei den Autoren/der Autorin er- zunahme weiterer Kontrollvariablen an Signifikanz, was hältlich. Im Folgenden ist ausschließlich das vollständige darauf schließen lässt, dass Beschäftigtenstruktur und Modell mit allen unabhängigen Variablen dargestellt. Betriebsklima mit der Unternehmensgröße korrelieren. 17 Da ein hohes Lohnniveau im Betrieb positiv mit der Be- 20 Der Mittelwert der Variable des nicht kategorisierten An- reitstellung betrieblicher Sozialleistungen korreliert (Lutz teils befristet Beschäftigter liegt bei 9,13 %. 2005: 24), geht der Effekt in die erwartete Richtung. Für 21 Der Mittelwert der Variable des nicht kategorisierten Lohneffekte kann jedoch aufgrund der Datenlage nicht Anteils Beschäftigter mit Hochschulabschluss liegt bei direkt kontrolliert werden. 19,85 %. WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 10
Tabelle 3 Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression Keine BAV Beide oder BKV Betriebsstandort Westdeutschland -0,07*** 0,03 0,04* Branche Bergbau / Prod. Gewerbe ohne Bau Ref. Ref. Ref. Investitionsgüter 0,04 -0,05 0,01 Baugewerbe 0,08 -0,12** 0,04 Handel -0,02 -0,05 0,07** Verkehr und Lagerei / Gastgewerbe 0,06 -0,07 0,01 Information und Kommunikation 0,01 -0,07 0,05 Finanz- und Versicherungsdienstleister -0,16*** -0,29*** 0,45*** Unternehmensnahe Dienstleistungen 0,02 -0,03 0,01 Öffentliche DL / Erziehung / Gesundheit -0,05 0,03 0,02 Sonstige Branchen -0,06 0,02 0,04 Unternehmensgröße ln(Unternehmensgröße) -0,02*** 0,01* 0,01 Betrieb ist Teil eines Unternehmens 0,02 -0,04 0,02 Tarifbindung vorhanden -0,09*** 0,06** 0,03 Anteil befristet Beschäftigter Bis 5 % -0,01 0,02 0,03* Bis 10 % Ref. Ref. Ref. Bis 20 % 0,02 -0,05 0,03 Über 20 % 0,03 -0,01 -0,02 Gewerkschaftlicher Organisationsgrad 0 % 0,06 0,02 -0,07** Organisationsgrad Organisationsgrad bis 10 % Ref. Ref. Ref. Organisationsgrad bis 30 % -0,01 0,04 -0,03 Organisationsgrad über 30 % 0,01 0,03 -0,04* Frauenanteil Bis 20 % -0,00 0,01 -0,01 Bis 40 % Ref. Ref. Ref. Bis 60 % 0,04 -0,01 -0,03 Über 60 % 0,03 -0,01 -0,01 Anteil Beschäftigte mit 0% 0,03 -0,01 -0,01 Hochschulabschluss Bis 20 % Ref. Ref. Ref. Bis 40 % -0,03 0,03 -0,01 Über 40 % -0,05 -0,01 0,05* Anteil unter 30-Jähriger Bis 10 % 0,03 0,01 -0,04* Bis 20 % Ref. Ref. Ref. Bis 30 % 0,00 -0,00 0,00 Über 30 % 0,02 -0,02 -0,00 Betr. Gesundheitsförderung vorhanden -0,10*** 0,07** 0,04** Behinderung der Betriebsratsarbeit Ja, häufig 0,08** -0,03 -0,05* durch Geschäftsführung Ja, manchmal Ref. Ref. Ref. Nein, nie 0,01 0,00 -0,01 N 2.143 R2 (Nagelkerke) 0,231 * wenn α < 5%; ** wenn α < 1%; *** wenn α < 0,1 % Alle Koeffizienten werden ausgewiesen als average marginal effects (AMEs). Lesebeispiel: Im Regressionsmodell ist die Wahrscheinlichkeit, dass westdeut- sche Betriebe eine bKV oder beide Sozialleistungen anbieten, im Durchschnitt um 4 % höher als in einem ostdeutschen Betrieb. Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 11
5 FAZIT UND damit fachliche Beratung und die inhaltliche Bewertung von bKV-Angeboten und Hand- HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN lungsalternativen zentral, auch um eine Über- Die bKV ist im Gegensatz zur bAV nicht sehr weit versicherung zu vermeiden. Wenn ein Arbeitge- verbreitet. Aufgrund der vorliegenden Analyse las- berzuschuss gezahlt wird, sind möglicherweise sen sich erste Schlüsse auf die Einflussfaktoren eine Steigerung des Barlohns oder andere Sach- ihrer Verbreitung in Betrieben mit Betriebsrat zie- leistungen attraktiver. Für Beschäftigte stellt hen. Die Verbreitung der bKV nimmt tendenziell mit sich also die Frage nach Kosten und Nutzen der Betriebsgröße zu, zudem zeigen sich deutliche einer bKV auch in Konkurrenz zu anderen Sozi- Unterschiede nach Branche und Tarifbindung. Die alleistungen. Ebenso ist zu prüfen, wie sich das multivariate Analyse hat herausgearbeitet, dass vor Angebot zu gegebenenfalls schon bestehenden allem folgende Betriebscharakteristika mit der Ver- Gesundheitsleistungen des Arbeitgebers, aber breitung einer bKV in Zusammenhang stehen: auch zum Leistungskatalog der GKV verhält. – Die Verbreitung im Finanz- und Versiche- – Insbesondere Finanz- und Versicherungsdienst- rungsgewerbe, der signifikante Einfluss von leister haben häufiger eine bKV, Beschäftigten mit Hochschulabschluss auf das – ein hoher Anteil an Beschäftigten mit Hoch- Vorhandensein einer bKV aber auch der Zusam- schulabschluss wirkt sich positiv aus, menhang mit der betrieblichen Gesundheitsför- – ebenso das Vorliegen von Maßnahmen betrieb- derung legen nahe, dass aus Arbeitgebersicht licher Gesundheitsförderung; Kosten- und Nutzenrelationen mit Blick auf die – hinderlich hingegen ist ein schlechtes Verhältnis Sozialleistungen ausschlaggebend sind: Für zwischen Belegschaft und Geschäftsführung, einige Arbeitgeber(gruppen) lohnen sich diese gemessen an einer häufigen Behinderung der Angebote offensichtlich. Betriebsratsarbeit durch die Geschäftsführung. Aus sozialpolitischer Sicht sind neben der positi- Damit zeigen sich ähnliche Einflussfaktoren wie in ven Bewertung durch die Betriebsräte zwei Punkte anderen empirischen Untersuchungen zur Verbrei- zentral: Es muss – erstens – davon ausgegangen tung betrieblicher Sozialleistungen. werden, dass selbst bei zunehmender Verbreitung Die deskriptive Analyse hat darüber hinaus er- weiterhin Lücken bestehen werden, und zwar in geben, dass die bKV häufig im Gesamtpaket eine den Bereichen, die in der Tendenz durch kleinere Reihe von Risiken absichert, wobei sich ein zent- Betriebe, wenig qualifizierte und / oder atypische raler Unterschied zu klassischen Arbeitgeberzu- Beschäftigung und grundsätzlich wenig vorhande- schüssen zu Gesundheitsleistungen zeigt. Die Fi- ne betriebliche Sozialleistungen geprägt sind. Die nanzierung wird in der überwiegenden Mehrheit Analyse der bKV deutet auf das bekannte Muster der Fälle durch die Beschäftigten (mit) übernom- der Verbreitung bei betrieblichen Sozialleistungen men, nur in rund der Hälfte der Fälle beteiligen sich hin, von denen nur einige profitieren. Diese Vertei- die Arbeitgeber oder übernehmen die Kosten ganz. lung trägt zu einer stratifizierten Gesundheitsver- Betriebsräte schätzen die bKV überwiegend als po- sorgung bei. sitive Leistung ein; sie haben zugleich in über der Aus sozialpolitischer Sicht sind – zweitens – Hälfte der Betriebe mit bKV diese Leistung nicht Rückwirkungen der bKV (und des Trommelns für mitgestaltet. Diese Befunde müssen immer vor ihre Verbreitung) auf das weitere Krankenversiche- dem Hintergrund betrachtet werden, dass in den rungssystem zu befürchten. Die bKV kann dazu Befragungsdaten ausschließlich Betriebe mit Be- beitragen, dass das legitime Verlangen nach einem triebsräten enthalten sind. Die Ergebnisse sind also guten Versicherungsschutz nicht in eine politische nur beschränkt auf eine darüber hinausgehende Forderung übersetzt wird, sondern sich auf dem Grundgesamtheit übertragbar. Versicherungsmarkt niederschlägt. 22 Nicht nur ak- Wie eingangs gesagt, ist eine abschließende tuelle, sondern sogar erst noch kommende Versor- Bewertung der bKV aus Beschäftigten- und Arbeit- gungslücken im öffentlichen Gesundheitssystem gebersicht nicht möglich. Die Analyse gibt aber an erscheinen in Berichten über die bKV als Naturge- mehreren Stellen Hinweise: setzmäßigkeit, gegen die vorgesorgt werden muss (Müller 2017; Nobis / Goedeckemeyer 2018: 89). Tat- – Die Daten der Betriebsrätebefragung zeigen, sächlich ist es in der Vergangenheit immer wieder dass Beschäftigte die bKV in erheblichem Maße zu Kürzungen im Leistungskatalog der GKV ge- selbst (mit)finanzieren. Aus Beschäftigtensicht kommen. Private und betriebliche Ergänzungen zur und auch aus Sicht von Betriebsräten sind öffentlichen Sozialversicherung bergen die Gefahr, 22 In personal- oder versicherungswirtschaftlichen Zeit- schriften wurde allerdings Enttäuschung über die ge- bremste Entwicklung der Verbreitung der bKV formuliert (Nobis / Goedeckemeyer 2018, Brockmann 2017). WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 12
politische Lösungen für dieses Problem vergessen zu machen und – je mehr Personen tatsächlich ab- gesichert sind – auch unnötig erscheinen zu lassen. Wenn die Klage über eine Zwei-Klassen-Medizin in private und betriebliche Lösungen mündet, wird ein geteiltes Gesundheitssystem erst geschaffen und verfestigt, denn Ungleichbehandlung im deut- schen Gesundheitssystem wird nicht dadurch be- hoben, die Gruppe der Privilegierten auszuweiten und die andere Gruppe, die sich keine Zusatzleis- tungen leisten kann, abzuhängen. WSI Report Nr. 59, September 2020 Seite 13
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