DIE BETRIEBLICHE KRANKENVERSICHERUNG - Verbreitung, Ausgestaltung, Finanzierung. Ergebnisse aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2016 ...

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REPORT
Nr. 59, September 2020

DIE BETRIEBLICHE
KRANKENVERSICHERUNG
Verbreitung, Ausgestaltung, Finanzierung.
Ergebnisse aus der WSI-Betriebsrätebefragung 2016
Florian Blank, Katharina Molitor, Helge Emmler

AUF EINEN BLICK
Betriebliche Krankenversicherungen sind eine bis-
her relativ seltene betriebliche Sozialleistung. Im   Angebot einer betrieblichen Krankenversicherung
vorliegenden Report werden Daten der WSI -Be-         Wird über den Arbeitgeber eine Krankenzusatzversicherung angeboten?
triebsrätebefragung 2016 zu Verbreitung und Ei-       Antworten der befragten Betriebsräte, in %
genschaften dieser Form der Krankenzusatzversi-
cherung dargestellt. Außerdem wird auf die Finan-
zierung und betriebliche Regulierung eingegangen.                                                      ja: 9,8 %
Unter den untersuchten Betrieben mit Betriebsrat
bieten rund 10 % eine betriebliche Krankenversi-
cherung an. Ähnlich wie bei anderen Sozialleis-
tungen gibt es in der Verbreitung Unterschiede
zwischen Betriebsgruppen, etwa mit Blick auf die
Branchenzugehörigkeit. In rund der Hälfte der Fäl-
le wird diese Sozialleistung von den Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern allein finanziert, bei
einem weiteren Viertel besteht eine gemeinsame
Finanzierung mit dem Arbeitgeber.
   Wie eine betriebliche Krankenversicherung zu
                                                                   nein: 90,2 %
bewerten ist, hängt vom konkreten Angebot, den
Bedürfnissen der Beschäftigten, aber auch vom         Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen

betrieblichen Kontext ab. Aus sozialpolitischer
Sicht droht die Gefahr, dass eine zunehmende
Verbreitung zu einer selektiven Absicherung von
Beschäftigten führt und Rückwirkungen auf die
Debatte um die Fortentwicklung der gesetzlichen
Krankenversicherung haben wird.
INHALT

                        1     Einleitung – 2                                          3.2   Verbreitung der bKV in Betrieben mit Betriebsrat – 6
                                                                                      3.3   Finanzierung der bKV – 7
                        2     Die betriebliche Kranken-                               3.4   Leistungen der bKV – 7
                              versicherung: Hintergründe – 2                          3.5   bKV: Regulierung und Bewertung durch die
                        2.1   Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall – 2                 Betriebsräte – 8
                        2.2   Charakteristika, Vor- und Nachteile der betrieblichen
                              Krankenversicherung – 3
                                                                                      4     Multivariate Analyse – 9
                        2.3   Regulierung der bKV – 4
                                                                                      4.1   Variablen – 9
                                                                                      4.2   Ergebnisse – 10
                        3     Betriebliche Krankenversicherung: Verbreitung
                              und Charakteristika – 5                                 5     Fazit und Handlungsempfehlungen – 12
                        3.1   Verbreitung der bKV: Zahlen der Versicherer – 5

                        1 EINLEITUNG                                                  Perspektive zu unterscheiden. Letztere fragt nach
                                                                                      Verteilungseffekten betrieblicher Sozialpolitik und
                        Betriebliche Krankenversicherungen (bKV) sind                 setzt die bKV (wie auch andere betriebliche Sozi-
                        eine bisher relativ wenig verbreitete Sozialleistung.         alleistungen) in Beziehung zu öffentlichen Siche-
                        Es handelt sich um Zusatzversicherungen, die vom              rungssystemen und auf diese bezogene politische
                        Arbeitgeber für die Beschäftigten abgeschlos-                 Handlungsmöglichkeiten.
                        sen werden und von Beschäftigten, Arbeitgebern                   Im Folgenden werden zunächst Hintergründe
                        oder gemeinsam finanziert werden. Die Leistun-                zur bKV dargestellt und mögliche Vor- und Nach-
                        gen dieser Versicherungen ähneln denen privater               teile einer Nutzung diskutiert (2). Danach stehen
                        Zusatzkrankenversicherungen.                                  Daten zur Verbreitung und Charakteristika der bKV
                            Über die Verbreitung und Ausgestaltung dieser             im Mittelpunkt, wobei vor allem auf die Daten der
                        Versicherungen ist bisher – im Unterschied zu an-             WSI-Betriebsrätebefragung eingegangen wird (3).
                        deren betrieblichen Sozialleistungen wie der be-              Diese Analyse wird in einer logistischen Regressi-
                        trieblichen Altersversorgung (bAV) – nur wenig be-            on weiter vertieft, bei der die Frage nach den Ein-
                        kannt. Daten der Versicherungsunternehmen zei-                flüssen auf die Verbreitung der bKV behandelt wird
                        gen, dass die Verbreitung zunimmt. Angesichts des             (4). Der Report schließt mit einem Fazit und Hand-
                        geringen Wissens über diese Sozialleistung wird in            lungsempfehlungen (5).
                        diesem WSI-Report der Frage nach der Verbreitung
                        und Eigenschaften der bKV vertieft nachgegangen.
                        Dabei werden auch Aspekte der Finanzierung und
                        Regulierung behandelt, also etwa nach der Einbe-
                        ziehung des Betriebsrats bei der Ausgestaltung ei- 2 DIE BETRIEBLICHE KRANKEN-
                        ner bKV gefragt.
                            Datengrundlage der Analyse ist die WSI-Be-
                                                                                VERSICHERUNG: HINTERGRÜNDE
                        triebsrätebefragung 2016, in der Betriebsräte in
                        Betrieben ab 20 sozialversicherungspflichtig Be-
                        schäftigten befragt wurden. Aufbauend auf einer 2.1 Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall
                        deskriptiven Analyse wird die Verbreitung der bKV
                        unter Einbeziehung von Variablen zur Beschäftig- Betriebliche Leistungen im Krankheitsfall ergänzen
                        tenstruktur und Betriebseigenschaften auch multi- – als freiwillige Arbeitgeberleistung, auf Grundla-
                        variat untersucht. Dabei wird geprüft, ob und wie ge von Betriebsvereinbarungen oder abgesichert
                        sehr sich die bKV von anderen betrieblichen Sozial- durch Tarifverträge – den Leistungskatalog der ge-
                        leistungen (hier: von der bAV) unterscheidet.         setzlichen Krankenversicherung (GKV). Gesetzliche,
                           Aus der Datenanalyse lässt sich keine abschlie- tarifliche und betriebliche Leistungen stehen in ei-
                        ßende Bewertung der bKV aus personal- und so- nem Wechselverhältnis: Prominentestes Beispiel
                        zialpolitischer Sicht ableiten, jedoch kann die ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die in
                        Analyse zu einer solchen Bewertung beitragen. der Vergangenheit Gegenstand erbitterter Tarifaus-
                        Dabei ist zwischen möglichen Vor- und Nachtei- einandersetzungen war und schließlich gesetzlich
                        len aus Beschäftigtensicht, aus Arbeitgebersicht geregelt wurde (Bispinck 2012: 201 – 205). Ein wei-
                        und darüber hinaus aus einer sozialpolitischen teres Beispiel sind Tarifverträge und Betriebsverein-

WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 2
Heil- /
                                                                       Stationäre         Ambulante                     Krankentagege Hilfsmittel
                                                                      Versorgung         Versorgung          Zahntarife ld            Sehhilfen
barungen, die die Aufstockung des Krankengeldes,                                                                                      Abbildung 1
                                         Ja ohne
das im Anschluss an die Lohnfortzahlung durch
die GKV geleistet wird, regeln (UllenboomDoppeltnennun
                                                2010: Direkte Zuschüsse des Arbeitsgebers zu Gesundheitsleistungen nach Art der Leistung
76 – 77).                                gen                           1,87%
                                                      Anteil der Betriebe                   2,13%
                                                                             mit den jeweiligen                 6,33%
                                                                                                Leistungen an allen Betrieben, in %10,28%                  39
   Arbeitgeberzuschüsse zu den durch Krankheit
entstehenden Kosten sind durchaus verbreitet, wie
sich anhand von Daten der WSI-Betriebsrätebefra-           Heil- / Hilfsmittel /
gung 2016 für Betriebe mit Betriebsrat und mindes-                                                                                       39,4%
                                                                     Sehhilfen
tens 20 Beschäftigten zeigen lässt (Abb. 1). Hierbei
                                              1

übernimmt der Arbeitgeber eine vereinbarte Sum-              Krankentagegeld                      10,3%
me oder einen vereinbarten Anteil der Kosten von
Leistungen, die die gesetzliche Krankenkasse oder                   Zahntarife               6,3%
private Versicherung nicht voll übernimmt. Am
häufigsten werden Zuschüsse zu Heil-, Hilfs- und       Ambulante Versorgung            2,1%
Sehmitteln gewährt (rund 39 % der Betriebe). Zu-
schüsse zu Zahntarifen (6,3 %) und Krankentage-        Stationäre Versorgung          1,9%
geld (10,3 %) werden in deutlich weniger Betrieben
geleistet. Noch seltener sind Leistungen zu ambu-
lanter und stationärer Versorgung, die von knapp
2 % der Arbeitgeber in den untersuchten Betrieben
gewährt werden.                                       Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen

2.2 Charakteristika, Vor- und Nachteile
    der bKV                                                    Versicherungsnehmer ist der Arbeitgeber, der mit
                                                               dem privaten Versicherungsunternehmen einen
Der Abschluss von privaten Zusatzkrankenversi-                 Gruppenvertrag abschließt. Voraussetzung ist oft
cherungen hat in den letzten Jahren deutlich zu-               eine Mindestanzahl versicherter Beschäftigter, die
genommen, was möglicherweise eine Reaktion                     je nach Versicherungsunternehmen schwanken
auf wiederholte Einschränkungen des Leistungs-                 kann. Der Vertrag kann für alle Beschäftigten oder
katalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ist              nur für Teile der Belegschaft abgeschlossen wer-
(Grabka 2014: 302). Angeboten werden Zahnzusatz-               den. Finanziert wird eine betriebliche Krankenver-
versicherungen, Krankenhauszusatzversicherungen,               sicherung entweder durch den Arbeitgeber, die Be-
Krankenhaustagegeldversicherungen, Krankentage-                schäftigten oder beide. Die Beitragshöhe einer be-
geldversicherungen, Zusatzversicherungen zur am-               trieblichen Krankenversicherung richtet sich nach
bulanten ärztlichen Versorgung und zu Heil- und                der Art der Leistung, der Anzahl der Beschäftigten
Hilfsmitteln sowie Auslandsreisekrankenversiche-               und deren Alter (Schulz/Blank 2016: 188).
rungen. Vor Abschluss einer solchen Zusatzversi-                  Vom Verband der Privaten Krankenversicherung
cherung ist in der Regel eine Gesundheitsprüfung               (2019), aber auch in Beiträgen, wie etwa im „Perso-
erforderlich, einzelne Zusatzleistungen können                 nalmagazin“, wird auf die Vorteile für den Arbeit-
jedoch davon ausgenommen sein. Liegen Vor-                     geber hingewiesen: „Eine zielorientiert konzipierte
erkrankungen vor, kann die Zusatzversicherung                  bKV kann und sollte auch ganz konkret dabei hel-
abgelehnt werden oder die Versicherung erhebt                  fen, Personalkosten zu sparen, unter anderem auch
Risikozuschläge. Bis Leistungen in Anspruch ge-                durch die Senkung krankheitsbedingter Ausfallta-
nommen werden können, gibt es eine Wartezeit,                  ge und Langzeiterkrankungen“ (Schmalley 2017).
die im Normalfall drei Monate beträgt, bei einigen             Diese Logik entspricht der anderer betrieblicher
Leistungen jedoch auch länger ausfallen kann (Ver-             Zusatzleistungen – wie etwa der bAV –, durch de-
braucherzentrale 2019).                                        ren Angebot der Arbeitgeber potenziell einen Wett-
   Alternativ zu einer individuellen Zusatzversiche-           bewerbsvorteil erhält, indem er den Arbeitsplatz
rung können vom Arbeitgeber betriebliche Zusatz-               als attraktiv darstellt, sowie Produktivitätsgewinne,
versicherungen für die Beschäftigten abgeschlos-               erhöhte Leistungsbereitschaft, Reduktion der Fehl-
sen werden. Die Leistungen, die durch eine bKV                 zeiten und allgemein einen Anstieg der Mitarbeiter-
abgedeckt werden, entsprechen denen privater Zu-               motivation und Arbeitszufriedenheit erzielen kann
satzversicherungen. Auch hier können modular Ta-               (Lutz 2005: 10, Specht/Waschinski 2020). In aktuel-
rife abgeschlossen werden, durch die die Leistun-              len Beiträgen zur bKV wird die Möglichkeit einer di-
gen der GKV oder privaten Vollversicherung (PKV)               rekten Bezuschussung von Gesundheitsleistungen
ergänzt werden (Krankenkassen-Zentrale 2019).                  als Alternative jedoch völlig ausgeblendet.
                                                                   Für die Beschäftigten bietet die bKV gegenüber
                                                               der privaten Zusatzversicherung auf den ersten
1   Weitere Informationen zur WSI-Betriebsrätebefragung        Blick durchaus Vorteile. Die Gesundheitsprüfung
    finden sich in Abschnitt 3.2 und im Anhang.                entfällt in einigen Fällen (beispielsweise, wenn

                                                                                                             WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 3
eine Mindestanzahl von versicherten Beschäftigten               Gesundheitspolitik eingeschränkt, wenn private Al-
                        erreicht wird), auch Vorerkrankungen sind dann                  ternativen zur Weiterentwicklung des öffentlichen
                        mitversichert. Auch die bei privaten Zusatzversi-               Systems gesucht werden – wenn also kein Druck
                        cherungen üblichen Wartezeiten können bei einer                 zur Weiterentwicklung des Leistungskatalogs der
                        bKV entfallen (Verband der Privaten Krankenversi-               gesetzlichen Krankenversicherung besteht, weil
                        cherung 2019). Finanziell kann die bKV gegenüber                ein erheblicher Teil der Bürgerinnen und Bürger
                        der privaten Zusatzversicherung vorteilhaft sein, da            betrieblich oder privat abgesichert ist. Von diesem
                        entweder der gesamte Beitrag oder ein Teil durch                Problem wiederum sind Menschen in unterschied-
                        den Arbeitgeber übernommen werden kann. Auch                    lichem Maße betroffen, da die Möglichkeit für zu-
                        wenn dies nicht der Fall ist, ist für die Beschäftig-           sätzliche Absicherung nicht zuletzt vom individuel-
                        ten die Versicherung über einen Gruppentarif laut               len Einkommen abhängt bzw. sich die uneinheitli-
                        Aussagen des PKV-Verbands günstiger als der In-                 che Abdeckung der betrieblichen Sozialleistungen
                        dividualtarif, der ihnen bei einer privaten Zusatz-             auch in der bKV bestätigt (s. u.). Der betriebliche
                        versicherung angeboten würde (Verband der Pri-                 „Umweg“ zum erweiterten Versicherungsschutz
                        vaten Krankenversicherung 2019). Es besteht die                 kann nur von einem Teil der gesetzlich Versicherten
                        Möglichkeit, Familienmitglieder mitzuversichern.                genutzt werden können.
                        Für diese ist jedoch oft eine Gesundheitsprüfung
                        verpflichtend. Personen mit Vorerkrankungen, die
                        über eine betriebliche Krankenversicherung versi-              2.3 Regulierung der bKV
                        chert sind, bietet sich mit der bKV unter Umstän-
                        den die Möglichkeit einer Zusatzversicherung, die              Bei einer betrieblichen Krankenversicherung han-
                        auf privatem Wege abgelehnt würde (Schulz/Blank                delt es sich um eine freiwillige Sozialleistung des
                        2016: 190).                                                    Arbeitgebers, deren Einführung nicht vom Be-
                           Neben diesen möglichen Vorteilen ist im jewei-              triebsrat erzwungen werden kann. Entscheidet sich
                        ligen individuellen bzw. betrieblichen Kontext zu              der Arbeitgeber jedoch für die Einführung, ist der
                        prüfen, wie sich Nutzen und Kosten zueinander                  Betriebsrat bei der Ausgestaltung der bKV oder bei
                        verhalten. Das betrifft zunächst die Frage, ob die             Änderungen einzubeziehen (§ 87 BetrVG; vgl. Tech-
                        bKV anstelle anderer Leistungen oder Barlohnerhö-              niker Krankenkasse 2019).  4 Von diesem Recht muss
                        hungen eingeführt wird und welche Rolle der Ar-                der Betriebsrat jedoch keinen Gebrauch machen.
                        beitgeber bei der Finanzierung spielt. Hierbei muss               Aufgrund einer Entscheidung des Bundesfinanz-
                        berücksichtigt werden, dass vom Arbeitgeber fi-                hofs aus dem Jahr 2018 werden Zuschüsse des Ar-
                        nanzierte Leistungen eventuell steuerbegünstigt                beitgebers zur bKV als Sachlohn eingestuft, sofern
                        sind (s. u.). Es betrifft außerdem die Bewertung des           die Beschäftigten nicht alternativ eine Auszahlung
                        Versicherungsprodukts und der abgesicherten Risi-              des Betrags verlangen dürfen. Dieser Zuschuss
                        ken unter Berücksichtigung möglicherweise schon                ist bis zu 44 Euro / Monat steuerbegünstigt (Haufe
                        vorhandener privater Zusatzversicherungen und                  Online Redaktion 2019). Dabei steht der Zuschuss
                        des Leistungskatalogs der GKV, der in den meis-                zur bKV aber in Konkurrenz zu anderen Sozialleis-
                        ten Fällen als ausreichend gesehen werden muss.  2             tungen, die als Sachlohn gewertet werden (bspw.
                        Eine falsche Bewertung führt ggf. zu einer Überver-            Tankgutscheine, Zuschuss zum Vertrag für das
                        sicherung (also zum Abschluss von Versicherun-                 Fitnessstudio oder zum Jobticket). Durch diesen
                        gen, die nicht notwendig sind, auch weil das Risiko            Steuervorteil besteht ein Anreiz für Arbeitgeber, ei-
                        möglicherweise schon versichert ist) bzw. Überver-             nen Zuschuss anstelle von Barlohn-Erhöhungen zu
                        sorgung (also zu nicht notwendiger Leistungser-                gewähren.
                        bringung): Die Verbraucherzentralen etwa bezeich-
                        nen private Krankenhaustagegeldversicherungen
                        als unnötig (Verbraucherzentrale 2019).  3
                           Aus Beschäftigtensicht ist zudem die Frage auf-
                        zuwerfen, welche sozialpolitischen Konsequenzen
                        eine zunehmende Verbreitung betrieblicher Zu-
                        satzversicherungen hat. Diese Entwicklung kann
                        zu der öffentlichen Wahrnehmung beitragen, dass
                        das – bei allen Problemen im Detail – leistungsfä-
                        hige Gesundheitssystem als defizitär angesehen
                        wird. Zugleich werden aber die Spielräume der

                        2   Rosenbrock und Gerlinger zufolge „[…] zeichnet sich
                            die GKV – auch im internationalen Vergleich – auch ge-
                            genwärtig noch durch einen umfassenden Katalog aus“
                            (2014: 129).
                        3   Zur Kritik an privaten Zusatzversicherungen s. auch Win-   4   Beispiele für Regulierungstatbestände in Betriebsverein-
                            kel (2016).                                                    barungen finden sich bei Schulz / Blank (2016: 190).

WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 4
Im Gegensatz zur privaten Vollversicherung, die
3 BETRIEBLICHE KRANKENVER-                                                      abnehmende Versicherungszahlen zu verzeichnen
                                                                                hat, erleben modulare Ergänzungstarife, vor allem
  SICHERUNG: VERBREITUNG UND                                                    im betrieblichen Kontext, zurzeit also einen star-
  CHARAKTERISTIKA                                                               ken Anstieg.  6 Die Anzahl der privat Vollversicher-
                                                                                ten nahm bis 2011 zu, seitdem sinkt er geringfügig,
                                                                                aber stetig; die jährlichen Schwankungen bewegen
                                                                                sich gegenüber den privaten Zusatzversicherun-
3.1      Verbreitung der bKV: Zahlen der                                        gen jedoch in einem recht kleinen Rahmen. Tabelle 1
         Versicherer                                                            verdeutlicht die Relationen zwischen den verschie-
                                                                                denen Versicherungsprodukten. Sie zeigt, dass die
Der Verband der privaten Krankenversicherung                                    Anzahl der Versicherten in der bKV, trotz des star-
weist beginnend mit dem Jahr 2015 jährlich Zahlen                               ken Zuwachses im Vergleich zu den anderen Ge-
zur Entwicklung der bKV aus. Von 2015 auf 2018                                  schäftsfeldern der PKV, noch relativ gering ist.  7
lässt sich ein deutlicher Anstieg im Angebot von                                   Diese Daten geben keinen Aufschluss darü-
betrieblichen Krankenversicherungen feststellen.  5                             ber, wo und in welchem Umfang bzw. in welcher
Die Anzahl der Versicherungsnehmer (also der                                    Ausprägung die bKV genutzt wird. Auch die Frage
Arbeitgeber, die eine Zusatzversicherung für ihre                               nach der Finanzierung wird nicht beantwortet.
Beschäftigten abgeschlossen haben) hat sich im
Zeitraum 2015 – 2018 von 3.848 auf 7.700 verdop-
pelt. Die Zahl der dadurch versicherten Arbeitneh-                              3.2 Verbreitung der bKV in Betrieben mit
mer hat sich im selben Zeitraum von 575.000 auf                                     Betriebsrat
757.500 und somit um 31,7 % erhöht (Verband der
Privaten Krankenversicherung 2019: 31; vgl. Tab.                                Die WSI-Betriebsrätebefragung erfasst sowohl Ver-
1). Dieser disproportionale Anstieg könnte darin                                breitung als auch Charakteristika der Nutzung der
begründet sein, dass vor allem für kleinere Unter-                              bKV. Es handelt sich um eine repräsentative Erhe-
nehmen betriebliche Krankenversicherungen abge-                                 bung unter Betriebsräten in privatwirtschaftlichen
schlossen wurden oder sich die Versicherungsleis-                               Betrieben mit mindestens 20 sozialversicherungs-
tung nur auf einen Teil der Belegschaft beschränkt.

Vorwort (bei Bedarf löschen)                                                                                                            Tabelle 1‌

Entwicklung der Versicherungsnehmer 2015-2018

    Versicherungsform                               2015                 2016                         2017                      2018

                                                 Absolut            Absolut Veränderung         Absolut Veränderung       Absolut Veränderung
                                                                             zum Vorjahr                 zum Vorjahr               zum Vorjahr
    bKV (Versicherungsnehmer
                                                   3.848             4.894          27,2%         6.059      23,8%         7.700       27,1%
    (Arbeitgeber))
    bKV (versicherte Arbeitnehmer)               575.000        606.800             5,5%       672.500       10,8%       757.500       12,6%
    Private Krankenzusatzversicherung
                                             24.770.100      25.083.900             1,3%     25.519.900      1,7%      26.030.200       2,0%
    (abgeschlossene Verträge inkl. bKV)
    Private Krankenvollversicherung
                                               8.787.300       8.772.700            -0,2%     8.753.400      -0,2%      8.736.300      -0,2%
    (vollversicherte Personen)

Quelle: Verband der Privaten Krankenversicherung 2017, 2018, 2019

                                                                                6    In der Statistik wird die Anzahl an privaten Zusatzversi-
Literatur                                                                            cherungsverträgen gezählt, nicht die Anzahl der Versiche-
                                                                                     rungsnehmer privater Zusatzversicherungen. Eine Person
                                                                                     kann mehrere Zusatzversicherungen abgeschlossen
                                                                                     haben; diese werden dann jedes Mal als einzelne Zusatz-
5    Vor 2015 wurden die Werte für die bKV nicht separat,
Nachname,     Vorname.
 sondern in Summe           2013:Krankenzusatzversi-
                  mit den privaten Titel des Buches                                  versicherung gezählt.
 cherungen ausgewiesen. Auch nach 2015 sind die Werte   7 Das Handelsblatt berichtet für das Jahr 2019, dass in
 der bKV weiterhin in den Daten zur privaten Krankenzu-   10.200 Betrieben eine bKV angeboten wurde und 820.00
Nachname,      Vorname und Nachname 2, Vorname
 satzversicherung enthalten.
                                                                 2. 2013:
                                                          Beschäftigte        Titel
                                                                       versichert    desSpecht/Waschinski
                                                                                  waren;   Bu-              2020.
ches
                                                                                                                                WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 5
Nachname, Vorname, Nachname 2, Vorname 2 und Nachname 3, Vor-
tzversicheru                                                                             Produzierendes Dienstleistungen Lagerei /
                                                                                                             Gewerbe ohne Erziehung /        Gastgewerbe
                    Arbeitgeber                                                                              Baugewerbe     Gesundheit

                                                  9,8%              8,6%         Angebot
                                                                                     9,4%einer      9,7%           10,5%               9,9%           11,6%
                                                                                 Krankenzusatzversicherun
                                                                                 g über den Arbeitgeber
                                                                                    Abbildung 2                              4,7%              6,4%    Abbildung 3 6,5%

                        Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach                 Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach
                        Betriebsgröße, in % der befragten Betriebe                             Branchen, in % der befragten Betriebe

                                                                                11,6%                         Finanz- und
                                                                                                                                                              56,2%
                                                              10,5% 9,9%                        Versicherungsdienstleister
                            9,8%               9,4%    9,7%
                                      8,6%
                                                                                                                   Handel              13,1%

                                                                                                          Information und
                                                                                                                                      11,3%
                                                                                                           Kommunikation

                                                                                                                   gesamt            9,8%
                            Gesamt     20        50     100     200     500     1.000                 Unternehmensnahe
                                     bis 49    bis 99 bis 199 bis 499 bis 999    und                                                8,5%
                                                                                                        Dienstleistungen
                                                                                mehr
                                                                                                              Baugewerbe            8,1%
                        Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen
                                                                                                        sonstige Branchen           7,4%

                                                                                                         Investitionsgüter          6,5%
                        pflichtig Beschäftigen in Deutschland.  8 In der die-
                        ser Auswertung zugrunde liegenden zweiten Welle             Verkehr und Lagerei /
                                                                                                                 6,5%
                                                                                            Gastgewerbe
                        des Betriebsrätepanels wurden insgesamt 2.606
                        auswertbare Interviews erhoben (computergestütz- Öffentliche Dienstleistungen             6,4%
                                                                                  Erziehung / Gesundheit
                        te Telefoninterviews, CATI; Häring et al. 2016). Wei-
                                                                               Bergbau / Produzierendes
                        tere Informationen zur Befragung finden sich im Gewerbe ohne Baugewerbe                 4,7%
                        Anhang.
                            In den untersuchten Betrieben wurde von knapp
                        10 % der Betriebsräte angegeben, dass in ihrem Be-
                        trieb eine bKV angeboten wird. Gegenüber der bAV,
                        einer anderen, schon länger etablierten betriebli-
                                                                              Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen
                        chen Sozialleistung, ist die bKV nicht weit verbrei-
                        tet. So wurde in derselben Stichprobe in knapp
                        80 % der Betriebe eine bAV angeboten.
                            In knapp zwei Drittel (63,4 %) der Betriebe mit tungen. Aber auch Handelsbetriebe weisen über-
                        einer bKV wurden alle Beschäftigten abgesichert. durchschnittlich häufig eine bKV auf (Abb. 3). Be-
                        Ausgenommen vom Versicherungsschutz sind am triebe mit Tarifbindung bieten gegenüber Betrieben
                        häufigsten befristet oder geringfügig Beschäftig- ohne Tarifbindung überdurchschnittlich häufig eine
                        te. Mitarbeiter unterer Qualifikationsstufen werden bKV an (Abb. 4).
                        hingegen nur selten von einer bKV ausgeschlossen.
                        Die Gesundheitsprüfung vor Aufnahme in die be-
                        triebliche Krankenversicherung entfällt in drei Vier- 3.3 Finanzierung der bKV
                        teln der untersuchten Betriebe. Dadurch wird auch
                        chronisch Kranken und Älteren in einem großen Finanziert wird eine betriebliche Krankenversiche-
                        Teil der Betriebe Zugang zu einer Zusatzversiche- rung in gut 48 % der untersuchten Betriebe allein
                        rung ermöglicht.                                      von den Beschäftigten, wobei die Versicherung in
                            Die Verbreitung der bKV nach Betriebsgröße einer bKV bei alleiniger bzw. teilweiser Finanzie-
                        streut leicht um das Mittel von 9,8 %. Ein leichter rung durch die Beschäftigten in knapp 99 % der
                        Trend hin zu einer stärkeren Nutzung in Großbetrie- Fälle freiwillig ist. Die alleinige Finanzierung durch
                        ben ist zu erkennen (Abb. 2).                         den Arbeitgeber bzw. eine Beteiligung des Arbeit-
                            Bei der Verteilung nach Branchen ist das Bild gebers findet sich jeweils in rund einem Viertel der
                        deutlicher. Die bKV findet sich überproportional befragten Betriebe (Abb. 5).
                        häufig in den Finanz- und Versicherungsdienstleis-

                                                                                               3.4 Leistungen der bKV

                        8    Dies traf 2016 (also zum Zeitpunkt der Befragung) auf
                             27 % der deutschen Betriebe zu. Der Anteil der durch              Werden vom Arbeitgeber betriebliche Kranken-
                             einen Betriebsrat repräsentierten Beschäftigten unter-            versicherungen abgeschlossen, so werden häufig
                             scheidet sich zwischen West- und Ostdeutschland. In               Verträge mit mehreren Modulen gewählt. In den
                             Westdeutschland liegt der Wert in Betrieben über 20
                             Beschäftigten bei 56 %, in Ostdeutschland bei 47 % (Ell-          untersuchten Betrieben wurden sechs Zusatzver-
                             guth / Kohaut 2017: 283).                                         sicherungsleistungen abgefragt. Nur vier Betriebe,

WSI Report Nr. 59, September 2020    Seite 6
Finanzierung bKV durch:
nzusatzv                                 Arbeitgeber             24,4%
 rung über                               Arbeitnehmer            48,4%
beitgeber                                Beide                   27,2%
                    9,8%                   11,0%                7,3%

                                                                       Abbildung 4                                                            Abbildung 5

             Verbreitung der betrieblichen Krankenversicherung nach                  Finanzierung der betrieblichen Krankenversicherung, in % der
             Tarifbindung, in % der befragten Betriebe                               Betriebe mit bKV

                                                                                                                                      24,4%
                                            11,0%                                          27,2%
                          9,8%                                                       Arbeitgeber                                      nur Arbeitgeber
                                                                                     und Arbeit-
                                                         7,3%
                                                                                     nehmer

                                                                                          Anzahl
                                                                                          abgeschloss
                                                                                          ener
                        gesamt             mit            ohne                            Krankenzusa
                                      Tarifbindung Tarifbindung                           tzversicheru                  48,4% nur Arbeitnehmer
                                                                                          ngsmodule                                        Heil- / Hilfsmittel
                                    Auslandsversich
             Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung             ambulante
                                                2016, eigene Berechnungen                        stationäre
                                                                                    Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung
                                                                                                         1                                 /
                                                                                                                      2016, eigene Berechnungen
                                                                                                                   14,0%
                                                                                                               Arbeitgeber
                                    erung                  Versorgung         Krankentagegeld VersorgungArbeitnehmer  Zahntarife             Sehhilfen
                                                                                                         2         14,5%
              Krankenzusatzversicherungen       41,9%                53,7%             59,2%                 70,9%
                                                                                                               Beide              74,7%                76,8%
                                                                                                         3         15,5%
                                                                                                         4         12,6%
                                                                       Abbildung 6
                                                                                                         5         23,2%                      Abbildung 7

                                                                                                         6         20,9%
             Leistungen, die Bestandteil der betrieblichen Krankenver-               Anzahl der Leistungen, die Bestandteil der GKV sind,
             sicherung sind, in % der Betriebe mit bKV                               in % der Betriebe mit bKV

                 Heil- / Hilfsmittel /                                                   ein Modul1
                                                                             76,8%                                            14,0%
                           Sehhilfen

                          Zahntarife                                        74,7%     zwei Module2                             14,5%

               stationäre Versorgung                                       70,9%       drei Module3                             15,5%

                                                                                       vier Module4                         12,6%
                   Krankentagegeld                                 59,2%

                                                                                      fünf Module5                                            23,2%
              ambulante Versorgung                               53,7%

                                                                                     sechs Module6                                       20,9%
              Auslandsversicherung                         41,9%

             Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen             Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen

             die eine betriebliche Krankenversicherung anbieten,                     oben) ein deutlich anderes Bild. Eine Erklärung für
             gaben an, keine der abgefragten Versicherungsleis-                      diese Unterschiede liegt darin, dass bei Versiche-
             tungen anzubieten.                                                      rungen möglicherweise eher ein „Komplettpaket“
                Am häufigsten werden Zusatzmodule zu Zahnta-                         verschiedener Module gewählt wird und nicht über
             rifen, Heil- / Hilfs- und Sehmitteln sowie stationärer                  einzelne Arbeitgeberleistungen entschieden wird.
             Versorgung angeboten. Jeweils über 70 % der Be-                         Es zeigt sich, dass in Betrieben, die eine betrieb-
             triebe mit betrieblicher Krankenversicherung bieten                     liche Krankenversicherung anbieten, die Versiche-
             diese Leistungen an. Aber auch ambulante Versor-                        rung häufig fünf oder sechs Leistungen umfasst.
             gung und Krankentagegeld werden in mehr als der                         Dies trifft auf ca. 44 % der Betriebe zu. Nur eine
             Hälfte der Betriebe angeboten. Auslandskranken-                         oder zwei Leistungen werden in gut 29 % der Be-
             versicherungen sind am seltensten Teil einer be-                        triebe angeboten (Abb. 7).
             trieblichen Krankenversicherung (Abb. 6).                                   Bei der Interpretation dieser Werte zu den Zu-
                 Mit Blick auf die Module der bKV zeigt sich da-                     satzversicherungen ist jedoch zu beachten, dass
             mit im Vergleich zu den direkten Zuschüssen (Abb. 1,                    von Seiten der befragten Betriebsräte offensichtlich

                                                                                                                                         WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 7
sinnvoll       0,0%

                     Mitgestaltung der bKV
                     durch Betriebsrat                                                              Betriebe ohne bKV
                     Mitgestaltung ohne                                                             Betriebe mit bKV
                     Betriebsvereinbarung                  18,8%
                     Mitgestaltung mit                                      Abbildung 8                                                                         Abbildung 9
                     Betriebsvereinbarung                  24,1%
                     keine
                        Mitgestaltung                      57,1%
                           Mitgestaltungder betrieblichen Krankenversicherung durch              Wie sinnvoll ist eine betriebliche Krankenversicherung?
                        den Betriebsrat, in % der Betriebe mit bKV                               Einschätzungen der Betriebsräte, in %
                                                                                                                                                     12,4%        7,2%

                            keine Mitgestaltung                            57,1%                  Betriebe
                                                                                                             17,2%      23,0%           33,9%
                                                                                                 ohne bKV
                         Mitgestaltung durch
                        Betriebsvereinbarung
                                                          24,1%                                                                                             6,2%
                                                                                                                                                                2,4%
                         Mitgestaltung ohne
                                                        18,8%                                    Betriebe
                        Betriebsvereinbarung
                                                                                                                26,5%           37,4%               24,5%
                                                                                                 mit bKV
                                                                                                                                                                9,2%
                                                                                                                                                                              0,0%
                        Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen                             1        2        3             4           5             6
                                                                                                             Datenreihe6
                                                                                                       sehr sinnvoll
                                                                                                                                         Datenreihe5
                                                                                                                                                  überhaupt nicht
                                                                                                                                                                       sinnvoll
                                                                                                             Datenreihe4                 Datenreihe3
                        große Unsicherheit über die Art der angebotenen Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen
                        Leistungen und deren Rahmen besteht. So gab es                  Datenreihe2              Datenreihe1
                        einen recht hohen Anteil von Betriebsräten, die auf
                        die Fragen zu den Leistungsbestandteilen der be-
                        trieblichen Krankenversicherung bei den verschie-
                        denen Items mit „weiß nicht“ geantwortet haben.           Eine betriebliche Krankenversicherung hat also
                        Dieser Anteil bewegt sich je nach Item zwischen in einem großen Teil der Betriebe die Unterstützung
                        7,5 und 9,9 % (siehe Tabelle A1 im Anhang).  9         der Betriebsräte. Ob die positive Einschätzung der
                                                                               bKV in den untersuchten Betrieben auch schon
                                                                               vor deren Einführung vorlag, kann mit den vorlie-
                        3.5 bKV: Regulierung und Bewertung durch               genden Daten jedoch nicht untersucht werden.
                               die Betriebsräte                                Dementsprechend kann auch nicht selektiert wer-
                                                                               den, ob hier eventuell Gewöhnungseffekte zu eher
                        Eine Betriebsvereinbarung zur bKV liegt in knapp positiven Einschätzungen geführt haben, oder ob
                        einem Viertel der untersuchten Betriebe mit bKV die Betriebsräte die bKV sogar selber vorgeschla-
                        vor, dagegen haben gut 57 % der Betriebsräte in gen haben. Um den Einfluss der Bereitstellung auf
                        Betrieben mit bKV diese überhaupt nicht mitgestal- die Einschätzung näher zu erörtern, wären weitere
                        tet (Abb. 8).                                          Analysen notwendig.
                           Angesichts dessen, dass über die Hälfte der Be-
                        triebsräte die bKV nicht mitgestaltet hat, stellt sich
                        die Frage, wie eine bKV von den Betriebsräten be-
                        wertet wird. Betrachtet man alle Betriebe, zeigt sich
                        eine weitgehend positive Einschätzung der bKV. 4 MULTIVARIATE ANALYSE
                        Rund drei Viertel aller Betriebsräte schätzen eine
                        bKV als sinnvoll ein. In Betrieben, die bereits eine
                        bKV haben, liegt dieser Anteil mit knapp 90 % noch
                        deutlich über diesem Wert. Angaben, die eine bKV 4.1 Variablen
                        als eher nicht sinnvoll oder überhaupt nicht sinnvoll
                        einschätzten, lagen in Betrieben mit bKV deutlich Die folgende Analyse des Angebots einer bKV ver-
                        unter den Angaben aus Betrieben ohne bKV. Kein folgt drei Ziele: Es geht erstens darum, die Ergeb-
                        Betriebsrat eines Betriebs mit bKV schätzte eine nisse der deskriptiven Statistik zu überprüfen, zwei-
                        solche als überhaupt nicht sinnvoll ein (Abb. 9).9     tens die bisher untersuchten Zusammenhänge zu
                            Eine bKV wird auch positiver eingeschätzt, wenn ergänzen und drittens zu prüfen, ob die Verbreitung
                        der Betriebsrat sie mitgestaltet hat. Dabei spielt es
                        keine Rolle, ob es eine Betriebsvereinbarung gibt,
                        oder ob ohne Betriebsvereinbarung mitgestaltet 10 Die Durchführung einer einfachen linearen Regression
                        wurde.10                                                  des Angebots einer bKV (Dummyvariable, ja=1) auf die
                                                                                                    Einschätzung der bKV (Skala von 1 (sehr sinnvoll) bis 6
                                                                                                    (überhaupt nicht sinnvoll)) bestätigt das Bild, dass mit
                                                                                                    Vorliegen einer betrieblichen Krankenversicherung die
                        9     Es handelt sich um eine homogene Gruppe, die in vielen                Einschätzung einer solchen signifikant positiver wird.
                              Fällen mit „weiß nicht“ geantwortet hat. So verteilen sich            Coef.: -0,65***; eigene Berechnungen.
                              131 fehlende Werte (Missings) auf nur 42 Betriebe. 12              11 Lineare Regression der Mitbestimmung bei der bKV auf
                              Betriebe haben bei jedem Item mit „weiß nicht“ geant-                  die Einschätzung einer bKV, Coef.: Betriebsvereinbarung:
                              wortet, somit entfallen 72 Missings auf 12 Betriebe, die              -0.52***; Mitbestimmung ohne Betriebsvereinbarung:
                              restlichen 59 verteilen sich auf 30 Betriebe.                         -0,54***.

WSI Report Nr. 59, September 2020     Seite 8
der bKV der Verbreitung anderer Sozialleistungen                                                                                                   Tabelle 2‌
folgt. Aufgrund des dritten Aspekts werden Be-                   Vorwort (bei Bedarf löschen)
triebe mit dem Angebot einer bAV als Vergleichs-
gruppe herangezogen.  12 Zur Erreichung dieser Zie-              Aufteilung der abhängigen Variablen
le wird eine multinomiale logistische Regression
durchgeführt. Die abhängige Variable unterschei-                         Gruppe 1                 Gruppe 2                       Gruppe 3
det Betriebe mit betrieblicher Krankenversicherung                 Betriebe bieten           Betriebe bieten nur   Betriebe bieten      Betriebe bieten
und betrieblicher Altersvorsorge von Betrieben mit                 weder bAV                 eine bAV an           sowohl eine bAV      nur eine bKV an
ausschließlich betrieblicher Altersvorsorge und von                noch bKV an                                     als auch eine
Betrieben, die keine dieser beiden Leistungen an-                                                                  bKV an
bieten (siehe Tabelle 2). Zwar wäre es wünschens-
wert, eine separate Kategorie von Betrieben zu
untersuchen, die ausschließlich eine bKV anbieten.
Jedoch gibt es in der Stichprobe lediglich 25 sol-               Quelle: Berechnungen des WSI 2018, © WSI 2018
cher Betriebe. Die restlichen 228 Betriebe mit bKV
stellen auch eine bAV bereit. Daher wurden beide
Kategorien zusammengefasst.  13 Insgesamt gingen                 schäftigtenmerkmalen, ist es wahrscheinlich, dass
in die Analyse 2.143 Fälle ein.                                  es sich tatsächlich um branchenspezifische Merk-
    Die Effektstärken der multinomialen logistischen             male handelt.
Regression werden als average marginal effects                       Eine steigende Betriebsgröße wirkt sich so-
(AME-Koeffizienten) ausgewiesen. Das bringt zum                  wohl positiv auf das Bereitstellen betrieblicher Zu-
einen den Vorteil mit sich, dass die in Tabelle 3                satzleistungen im Allgemeinen als auch auf das
ausgewiesenen Koeffizienten intuitiv als Wahr-                   Bereitstellen einer bAV im Speziellen aus (Schna-
scheinlichkeiten interpretiert werden können. Zum                bel / Wagner 1999: 80; Bellmann / Frick 1999: 103;
anderen sind alle Koeffizienten im Gesamtmodell                  Lutz 2005: 24). Als Erklärung wird unter anderem
vergleichbar. So liegt beispielsweise die Wahr-                  ein höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad
scheinlichkeit, dass ein Betrieb in Westdeutschland              angeführt, welcher eine größere Verhandlungs-
eine bKV und eine bAV anbietet, um 4 % höher als                 macht und Durchsetzungskraft der Mitarbeiter mit
in Ostdeutschland.                                               sich bringt. Bisherige Forschung hat gezeigt, dass
   Als unabhängige Variablen wurden über die Be-                 sich die Tarifbindung des Betriebs weitgehend po-
triebsmerkmale (wie Branche und Unternehmens-                    sitiv auf verschiedene Zusatzleistungen auswirkt
größe) hinaus Angaben zu den Beschäftigten und                   (Lutz 2005: 31; Blank / Wiecek 2012: 8).
zur „Mitarbeiterfreundlichkeit“ aufgenommen. Zu                      Neben den Betriebsmerkmalen wurden Merk-
den hier untersuchten Betriebsmerkmalen zählen                   male der Beschäftigten in die Analyse aufgenom-
Unternehmensstandort (West- oder Ostdeutsch-                     men. Es werden Effekte des Anteils hochqualifi-
land),     Branchenzugehörigkeit,    Unternehmens-               zierter, befristeter oder in Teilzeit arbeitender Be-
größe  14, Einbettung des Betriebs in ein Unterneh-              schäftigter sowie des Frauenanteils untersucht.
men und Tarifbindung. Bereits in der deskriptiven                Qualifizierte Mitarbeiter sollen durch betriebliche
Analyse wurden zum Teil deutliche Unterschiede                   Zusatzleistungen gewonnen und gehalten werden
sichtbar. Hinter branchenspezifischen Unterschie-                – ein hoher Anteil an Hochqualifizierten sollte also
den beim Angebot von Sozialleistungen können                     mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit freiwilliger
sich verschiedene Beschäftigtenmerkmale und Be-                  Zusatzleistungen einhergehen (vgl. Bellmann und
triebsmerkmale verbergen, aber auch Traditionen                  Frick 1999: 103). Bisherige Forschungen weisen
branchentypischer Regelungen. Zeigen sich mög-                   darauf hin, dass ein hoher Anteil an Frauen sowie
liche Brancheneffekte auch unter Kontrolle von Be-               befristet Beschäftigter einen negativen Einfluss
                                                                 auf das Vorhandensein von betrieblichen Zusatz-
                                                                 leistungen hat (Schnabel & Wagner 1999: 81; Lutz
                                                                 2005: 31).  15 Folgt man dem Argumentationsstrang
12 Zur Verbreitung der bAV und den Einflussfaktoren
   eines Angebots liegt bereits einige Forschung vor.            der Mitarbeiterbindung, sollte sich ein hoher An-
   S. Blank / Wiecek 2012, Blank 2015.                           teil junger Mitarbeiter positiv auf die Bereitstellung
13 Im Folgenden wird (1.) von Betrieben mit bKV und bAV,         betrieblicher Zusatzleistungen auswirken. Für das
   (2.) von Betrieben mit bAV und (3.) von Betrieben ohne        Unternehmen sollte es von Interesse sein, junge
   bAV und bKV die Rede sein. Das ist insofern eine sprach-
   liche Vereinfachung, als dass die erste Gruppe auch Be-       Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, da hier
   triebe umfasst, die allein über eine bKV, nicht aber über     potenziell noch eine längere Betriebszugehörigkeit
   eine bAV verfügen.                                            erwartet werden kann, als dies bei älteren Beschäf-
14 Die Unternehmensgröße berücksichtigt eher als die
   Betriebsgröße organisatorische Strukturen, die Großun-
   ternehmen haben, beispielsweise eine eigene Personal-
   abteilung, die eigene Mitarbeiter / -innen für Belange wie
   betriebliche Zusatzleistungen hat. Diese ist dann oft auch    15 Begründet wird dieser Umstand dadurch, dass die Be-
   für die einzelnen Betriebe zuständig. Für die Betriebe, die      triebsbindung von Frauen und befristet Beschäftigten rela-
   nicht in ein Unternehmen eingebettet sind, wurde die             tiv gering ist, was dem Argument der Mitarbeiterbindung
   Betriebsgröße anstelle der Unternehmensgröße genutzt.            durch Sozialleistungen entgegensteht (Lutz 2005: 15).

                                                                                                                   WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 9
                                                                 Nr. 000 · Monat Jahr · Hans-Böckler-Stiftung
tigten der Fall ist. Zudem sind die Abschlusskosten               Diese Sonderstellung der Finanz- und Versiche-
                        einer bKV bei jungen Beschäftigten geringer, da Al-               rungsdienstleister bei betrieblichen Sozialleis-
                        terszuschläge erhoben werden.                                     tungen zeigt sich in empirischen Studien immer
                           Schließlich wurden Items in die Analyse einbe-                 wieder.  18
                        zogen, die die „Mitarbeiterfreundlichkeit“ eines                      Die Unternehmensgröße hat keinen signifikan-
                        Betriebs abbilden. Dazu gehören die Fragen, ob                    ten Einfluss auf die Bereitstellung von Sozialleis-
                        der Betrieb eine betriebliche Gesundheitsförderung                tungen.  19 Wie erwartet, wirkt sich die Tarifbindung
                        anbietet und ob die Geschäftsführung die Betriebs-                eines Betriebs positiv auf das Anbieten von Zusatz-
                        ratsarbeit behindert. Eine gute Beziehung zwischen                leistungen aus, jedoch nur auf die Bereitstellung ei-
                        Beschäftigten, Betriebsrat und Geschäftsleitung                   ner bAV auch signifikant. Mit vorhandener Tarifbin-
                        kann sich positiv auf freiwillige betriebliche Sozial-            dung sinkt die Wahrscheinlichkeit, keine Leistung
                        leistungen auswirken. Beschäftigte und Betriebsrat                anzubieten.
                        haben zwar keine direkte Mitsprache bei der Ein-                      Unterdurchschnittlich viele befristet Beschäftig-
                        führung solcher Leistungen, besteht aber eine gute                te führen zu einer signifikant höheren Wahrschein-
                        Beziehung, wird vermutet, dass die Geschäftsfüh-                  lichkeit, eine bKV und bAV anzubieten.  20 Auch
                        rung eher bereit ist, auf die Wünsche der Beschäf-                erhöht ein sehr hoher Anteil an Beschäftigten mit
                        tigten einzugehen (Schnabel / Wagner 1999: 80).  16               Hochschulabschluss die Wahrscheinlichkeit auf
                                                                                          das Anbieten beider Leistungen.  21 Sowohl ein sehr
                                                                                          hoher als auch ein sehr niedriger gewerkschaftli-
                        4.2 Ergebnisse                                                    cher Organisationsgrad haben einen negativen
                                                                                          Einfluss auf das Angebot von bKV und bAV. Eine
                        Die Ergebnisse der Analyse bestätigen bisherige                   mögliche Erklärung wäre, dass den nicht organi-
                        Forschungen und Beobachtungen. Befindet sich                      sierten Beschäftigten die Durchsetzungskraft fehlt.
                        ein Betrieb in Westdeutschland, hat er eine signifi-              Allerdings führt auch ein steigender gewerkschaft-
                        kant höhere Wahrscheinlichkeit, eine bAV und eine                 licher Organisationsgrad nicht zwingend zu mehr
                        bKV anzubieten, als ein Betrieb in Ostdeutschland.                betrieblichen Sozialleistungen. Der Frauenanteil
                        Die Wahrscheinlichkeit, keine der Leistungen an-                  eines Betriebs schließlich hat keinen signifikanten
                        zubieten, liegt bei Betrieben im Westen signifikant               Effekt auf die Bereitstellung von Zusatzleistungen.
                        niedriger als im Osten. Es ist möglich, dass dies auf                 Betriebe mit betrieblicher Gesundheitsförderung
                        Lohneffekte gründet, da im Westen immer noch                      haben, unabhängig davon, wie diese gestaltet ist,
                        ein höheres Lohnniveau als im Osten herrscht.  17                 signifikant häufiger Zusatzleistungen. Bietet ein Be-
                           Brancheneffekte zeigen sich besonders bei den                  trieb eine betriebliche Gesundheitsförderung an, so
                        Finanz- und Versicherungsdienstleistern. Gegen-                   lässt sich vermuten, dass er sich mit den Themen
                        über der Referenzkategorie „Bergbau und Produ-                    Gesundheit und betriebliche Mitarbeiterförderung
                        zierendes Gewerbe“ weist diese Branche eine um                    auseinandergesetzt hat. Als weiterer Indikator der
                        16 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit                     Mitarbeiterfreundlichkeit wurde untersucht, in-
                        auf, keine Leistung anzubieten. Auch die Wahr-                    wieweit der Arbeitgeber die Betriebsratsarbeit zu
                        scheinlichkeit, nur eine bAV anzubieten, ist mit 29               behindern versucht. In Betrieben, in denen häufig
                        Prozentpunkten deutlich geringer. Betriebe die-                   solche Versuche unternommen wurden, ist die
                        ser Branche weisen jedoch um 45 Prozentpunkte                     Chance deutlich höher, keine Leistungen anzubie-
                        wahrscheinlicher beide Leistungen auf als Betriebe                ten (Tabelle 3).
                        der Referenzbranche.

                                                                                          18 So ist das Kredit- und Versicherungsgewerbe in der Ana-
                                                                                             lyse von Lutz (2005: 20) Spitzenreiter in der Bereitstel-
                        16 Ursprünglich wurde ein stufenweises Modell berechnet,             lung betrieblicher Zusatzleistungen jeder Art. Auch bei
                           in dem die unabhängigen Variablen nach und nach in                Blank / Wiecek (2012: 8) in einer Untersuchung zur bAV
                           den oben vorgestellten Blöcken (Betriebsmerkmale, Be-             ist diese Branche eine der am stärksten vertretenen.
                           schäftigtenmerkmale und Mitarbeiterfreundlichkeit) in
                           die Berechnungen aufgenommen wurden. So ließ sich              19 Ohne Kontrolle für Beschäftigtenmerkmale und Mitar-
                           beispielsweise untersuchen, ob die Kontrolle für die Zu-          beiterfreundlichkeit hat die Unternehmensgröße einen
                           sammensetzung der Beschäftigten Effekte von Betriebs-             signifikanten Effekt. Der positive Einfluss der Unterneh-
                           charakteristika überlagern. Die Ergebnisse dieser Berech-         mensgröße auf das Angebot einer bKV verliert unter Hin-
                           nungen sind auf Anfrage bei den Autoren/der Autorin er-           zunahme weiterer Kontrollvariablen an Signifikanz, was
                           hältlich. Im Folgenden ist ausschließlich das vollständige        darauf schließen lässt, dass Beschäftigtenstruktur und
                           Modell mit allen unabhängigen Variablen dargestellt.              Betriebsklima mit der Unternehmensgröße korrelieren.
                        17 Da ein hohes Lohnniveau im Betrieb positiv mit der Be-         20 Der Mittelwert der Variable des nicht kategorisierten An-
                           reitstellung betrieblicher Sozialleistungen korreliert (Lutz      teils befristet Beschäftigter liegt bei 9,13 %.
                           2005: 24), geht der Effekt in die erwartete Richtung. Für      21 Der Mittelwert der Variable des nicht kategorisierten
                           Lohneffekte kann jedoch aufgrund der Datenlage nicht              Anteils Beschäftigter mit Hochschulabschluss liegt bei
                           direkt kontrolliert werden.                                       19,85 %.

WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 10
Tabelle 3‌

Ergebnisse der multinomialen logistischen Regression

                                                                                                Keine                  BAV             Beide oder BKV
 Betriebsstandort                           Westdeutschland                                    -0,07***               0,03                  0,04*
 Branche                                    Bergbau / Prod. Gewerbe ohne Bau                     Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Investitionsgüter                                   0,04                  -0,05                 0,01
                                            Baugewerbe                                          0,08                  -0,12**               0,04
                                            Handel                                             -0,02                  -0,05                 0,07**
                                            Verkehr und Lagerei / Gastgewerbe                   0,06                  -0,07                 0,01
                                            Information und Kommunikation                       0,01                  -0,07                 0,05
                                            Finanz- und Versicherungsdienstleister             -0,16***               -0,29***              0,45***
                                            Unternehmensnahe Dienstleistungen                   0,02                  -0,03                 0,01
                                            Öffentliche DL / Erziehung / Gesundheit            -0,05                  0,03                  0,02
                                            Sonstige Branchen                                  -0,06                  0,02                  0,04
 Unternehmensgröße                          ln(Unternehmensgröße)                              -0,02***               0,01*                 0,01
 Betrieb ist Teil eines Unternehmens                                                            0,02                  -0,04                 0,02
 Tarifbindung vorhanden                                                                        -0,09***               0,06**                0,03
 Anteil befristet Beschäftigter             Bis 5 %                                            -0,01                  0,02                  0,03*
                                            Bis 10 %                                             Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Bis 20 %                                            0,02                  -0,05                 0,03
                                            Über 20 %                                           0,03                  -0,01                 -0,02
 Gewerkschaftlicher                         Organisationsgrad 0 %                               0,06                  0,02                  -0,07**
 Organisationsgrad                          Organisationsgrad bis 10 %                           Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Organisationsgrad bis 30 %                         -0,01                  0,04                  -0,03
                                            Organisationsgrad über 30 %                         0,01                  0,03                  -0,04*
 Frauenanteil                               Bis 20 %                                           -0,00                  0,01                  -0,01
                                            Bis 40 %                                             Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Bis 60 %                                            0,04                  -0,01                 -0,03
                                            Über 60 %                                           0,03                  -0,01                 -0,01
 Anteil Beschäftigte mit                    0%                                                  0,03                  -0,01                 -0,01
 Hochschulabschluss                         Bis 20 %                                             Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Bis 40 %                                           -0,03                  0,03                  -0,01
                                            Über 40 %                                          -0,05                  -0,01                 0,05*
 Anteil unter 30-Jähriger                   Bis 10 %                                            0,03                  0,01                  -0,04*
                                            Bis 20 %                                             Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Bis 30 %                                            0,00                  -0,00                 0,00
                                            Über 30 %                                           0,02                  -0,02                 -0,00
 Betr. Gesundheitsförderung vorhanden                                                          -0,10***               0,07**                0,04**
 Behinderung der Betriebsratsarbeit         Ja, häufig                                          0,08**                -0,03                 -0,05*
 durch Geschäftsführung                     Ja, manchmal                                         Ref.                  Ref.                  Ref.
                                            Nein, nie                                           0,01                  0,00                  -0,01
                                            N                                                   2.143
                                            R2 (Nagelkerke)                                     0,231

* wenn α < 5%; ** wenn α < 1%; *** wenn α < 0,1 %
Alle Koeffizienten werden ausgewiesen als average marginal effects (AMEs). Lesebeispiel: Im Regressionsmodell ist die Wahrscheinlichkeit, dass westdeut-
sche Betriebe eine bKV oder beide Sozialleistungen anbieten, im Durchschnitt um 4 % höher als in einem ostdeutschen Betrieb.

Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2016, eigene Berechnungen

                                                                                                                                        WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 11
5 FAZIT UND                                             damit fachliche Beratung und die inhaltliche
                                                                                Bewertung von bKV-Angeboten und Hand-
                          HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN                                 lungsalternativen zentral, auch um eine Über-
                        Die bKV ist im Gegensatz zur bAV nicht sehr weit        versicherung zu vermeiden. Wenn ein Arbeitge-
                        verbreitet. Aufgrund der vorliegenden Analyse las-      berzuschuss gezahlt wird, sind möglicherweise
                        sen sich erste Schlüsse auf die Einflussfaktoren        eine Steigerung des Barlohns oder andere Sach-
                        ihrer Verbreitung in Betrieben mit Betriebsrat zie-     leistungen attraktiver. Für Beschäftigte stellt
                        hen. Die Verbreitung der bKV nimmt tendenziell mit      sich also die Frage nach Kosten und Nutzen
                        der Betriebsgröße zu, zudem zeigen sich deutliche       einer bKV auch in Konkurrenz zu anderen Sozi-
                        Unterschiede nach Branche und Tarifbindung. Die         alleistungen. Ebenso ist zu prüfen, wie sich das
                        multivariate Analyse hat herausgearbeitet, dass vor     Angebot zu gegebenenfalls schon bestehenden
                        allem folgende Betriebscharakteristika mit der Ver-     Gesundheitsleistungen des Arbeitgebers, aber
                        breitung einer bKV in Zusammenhang stehen:              auch zum Leistungskatalog der GKV verhält.
                                                                              – Die Verbreitung im Finanz- und Versiche-
                        – Insbesondere Finanz- und Versicherungsdienst-         rungsgewerbe, der signifikante Einfluss von
                          leister haben häufiger eine bKV,                      Beschäftigten mit Hochschulabschluss auf das
                        – ein hoher Anteil an Beschäftigten mit Hoch-           Vorhandensein einer bKV aber auch der Zusam-
                          schulabschluss wirkt sich positiv aus,                menhang mit der betrieblichen Gesundheitsför-
                        – ebenso das Vorliegen von Maßnahmen betrieb-           derung legen nahe, dass aus Arbeitgebersicht
                          licher Gesundheitsförderung;                          Kosten- und Nutzenrelationen mit Blick auf die
                        – hinderlich hingegen ist ein schlechtes Verhältnis     Sozialleistungen ausschlaggebend sind: Für
                          zwischen Belegschaft und Geschäftsführung,            einige Arbeitgeber(gruppen) lohnen sich diese
                          gemessen an einer häufigen Behinderung der            Angebote offensichtlich.
                          Betriebsratsarbeit durch die Geschäftsführung.
                                                                              Aus sozialpolitischer Sicht sind neben der positi-
                        Damit zeigen sich ähnliche Einflussfaktoren wie in ven Bewertung durch die Betriebsräte zwei Punkte
                        anderen empirischen Untersuchungen zur Verbrei- zentral: Es muss – erstens – davon ausgegangen
                        tung betrieblicher Sozialleistungen.                  werden, dass selbst bei zunehmender Verbreitung
                            Die deskriptive Analyse hat darüber hinaus er- weiterhin Lücken bestehen werden, und zwar in
                        geben, dass die bKV häufig im Gesamtpaket eine den Bereichen, die in der Tendenz durch kleinere
                        Reihe von Risiken absichert, wobei sich ein zent- Betriebe, wenig qualifizierte und / oder atypische
                        raler Unterschied zu klassischen Arbeitgeberzu- Beschäftigung und grundsätzlich wenig vorhande-
                        schüssen zu Gesundheitsleistungen zeigt. Die Fi- ne betriebliche Sozialleistungen geprägt sind. Die
                        nanzierung wird in der überwiegenden Mehrheit Analyse der bKV deutet auf das bekannte Muster
                        der Fälle durch die Beschäftigten (mit) übernom- der Verbreitung bei betrieblichen Sozialleistungen
                        men, nur in rund der Hälfte der Fälle beteiligen sich hin, von denen nur einige profitieren. Diese Vertei-
                        die Arbeitgeber oder übernehmen die Kosten ganz. lung trägt zu einer stratifizierten Gesundheitsver-
                        Betriebsräte schätzen die bKV überwiegend als po- sorgung bei.
                        sitive Leistung ein; sie haben zugleich in über der      Aus sozialpolitischer Sicht sind – zweitens –
                        Hälfte der Betriebe mit bKV diese Leistung nicht Rückwirkungen der bKV (und des Trommelns für
                        mitgestaltet. Diese Befunde müssen immer vor ihre Verbreitung) auf das weitere Krankenversiche-
                        dem Hintergrund betrachtet werden, dass in den rungssystem zu befürchten. Die bKV kann dazu
                        Befragungsdaten ausschließlich Betriebe mit Be- beitragen, dass das legitime Verlangen nach einem
                        triebsräten enthalten sind. Die Ergebnisse sind also guten Versicherungsschutz nicht in eine politische
                        nur beschränkt auf eine darüber hinausgehende Forderung übersetzt wird, sondern sich auf dem
                        Grundgesamtheit übertragbar.                          Versicherungsmarkt niederschlägt.  22 Nicht nur ak-
                            Wie eingangs gesagt, ist eine abschließende tuelle, sondern sogar erst noch kommende Versor-
                        Bewertung der bKV aus Beschäftigten- und Arbeit- gungslücken im öffentlichen Gesundheitssystem
                        gebersicht nicht möglich. Die Analyse gibt aber an erscheinen in Berichten über die bKV als Naturge-
                        mehreren Stellen Hinweise:                            setzmäßigkeit, gegen die vorgesorgt werden muss
                                                                              (Müller 2017; Nobis / Goedeckemeyer 2018: 89). Tat-
                        – Die Daten der Betriebsrätebefragung zeigen,         sächlich ist es in der Vergangenheit immer wieder
                            dass Beschäftigte die bKV in erheblichem Maße zu Kürzungen im Leistungskatalog der GKV ge-
                            selbst (mit)finanzieren. Aus Beschäftigtensicht   kommen. Private und betriebliche Ergänzungen zur
                            und auch aus Sicht von Betriebsräten sind         öffentlichen Sozialversicherung bergen die Gefahr,

                                                                              22 In personal- oder versicherungswirtschaftlichen Zeit-
                                                                                 schriften wurde allerdings Enttäuschung über die ge-
                                                                                 bremste Entwicklung der Verbreitung der bKV formuliert
                                                                                 (Nobis / Goedeckemeyer 2018, Brockmann 2017).

WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 12
politische Lösungen für dieses Problem vergessen
zu machen und – je mehr Personen tatsächlich ab-
gesichert sind – auch unnötig erscheinen zu lassen.
Wenn die Klage über eine Zwei-Klassen-Medizin in
private und betriebliche Lösungen mündet, wird
ein geteiltes Gesundheitssystem erst geschaffen
und verfestigt, denn Ungleichbehandlung im deut-
schen Gesundheitssystem wird nicht dadurch be-
hoben, die Gruppe der Privilegierten auszuweiten
und die andere Gruppe, die sich keine Zusatzleis-
tungen leisten kann, abzuhängen.

                                                      WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 13
LITERATUR

                        Baumann, H. (2015): Die WSI-Betriebs-            Krankenkassen-Zentrale (2019): Betriebli-        Ullenboom, D. (2010): Freiwillige betrieb-
                        rätebefragung 2015, in: WSI Mittei-              che Krankenversicherung (bKV) - In-              liche Sozialleistungen, Betriebs- und
                        lungen 68 (8), S. 630 – 638.                     vestition in die Zukunft und aktuelle            Dienstvereinbarungen, Analyse und
                                                                         Vorteile für Arbeitgeber. URL: https://          Handlungsempfehlungen, Frankfurt
                        Bellmann, L. / Frick, B. (1999): Umfang,         www.krankenkassenzentrale.de/wiki/               a. M.
                        Bestimmungsgründe und wirtschaft-                betriebliche-krankenversicherung#
                        liche Folgen betrieblicher Zusatz-               [04.10.2019].                                    Verband der Privaten Krankenversicherung
                        und Sozialleistungen, in: Frick, B. /                                                             2019. BKV: Wirtschaftliche Bedeutung
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                                                                                                                          bedeutung-und-politischer-hand-
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                        Tarifvertrag, in Bispinck R. / Bosch             12.04.2017, Nr. 16, S. 70-75.                    Verband der Privaten Krankenversicherung
                        G. / Hofemann K. / Nagele G. (Hrsg.):                                                             (2017): Zahlenbericht der Privaten
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                        Sozialpolitik – Stand der Dinge und              sundheitspolitik, Eine systematische             (2018): Zahlenbericht der Privaten
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                                                                         Schmalley, D. (2017): Fakten, Trends             und-fakten/archiv-pkv-zahlenbericht/
                        Blank, F. / Wiecek, S. (2012): Die betriebli-    und Lösungen, in: Personalmagazin                zahlenbericht-2017.pdf [23.10.2019].
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                        Verbreitung, Durchführungswege                                                                    Verband der Privaten Krankenversicherung
                        und Finanzierung, WSI-Diskussions-               Schnabel, C. / Wagner, J. (1999): Betrieb-       (2019): Zahlenbericht 2018. URL:
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                                                                         Bestimmungsgründe und Auswirkun-                 und-fakten/archiv-pkv-zahlenbericht/
                        Ellguth, P. / Kohaut, S. (2017): Tarifbindung    gen auf die Personalfluktuation, in:             zahlenbericht-2018.pdf [28.01.2020].
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                                                                                                                          verbraucherzentrale.de/wissen/ge-
                        Grabka, M. M. (2014): Private Zusatz-            Specht, F./Waschinksi, G. (2020): Chef-          sundheit-pflege/krankenversicherung/
                        krankenversicherungen: Zahl privater             arztbehandlung für Fachkräfte.                   zusatzversicherungen-zur-gesetz-
                        Zusatzkrankenversicherungen hat                  Immer mehr Unternehmen ködern                    lichen-krankenversicherung-10425
                        sich verdoppelt, in: DIW Wochenbe-               Mitarbeiter mit gesundheitlichen Zu-             [Stand 2019-10-04].
                        richt 81 (14), S. 302 – 307.                     satzleistungen, in: Handelsblatt vom
                                                                         09.01.2020, S. 8.                                Versicherungsjournal.de (2017): Die neue
                        Häring, A. / Schiel, S. / Kleudgen, M. (2016):                                                    bKV ist eine Investition in die Zukunft,
                        Methodenbericht: WSI Betriebsräte-               Schulz, S. E. / Blank, F. (2016): Die betrieb-   VersicherungsJournal.de, Ausgabe
                        befragung 2016, Bonn.                            liche Krankenversicherung: Eine sinn-            vom 26.09.2017
                                                                         volle betriebliche Sozialleistung? In:
                        Haufe Online Redaktion (2019): Doch keine        Soziale Sicherheit 65 (5), S. 188 – 191.         Winkel, R. (2016): Private Zusatzversi-
                        Einschränkungen bei Sachbezügen                                                                   cherungen und Krankenhauswahl:
                        und der 44-EUR-Grenze https://www.               Techniker Krankenkasse (2019): TK Lex,           Mogelpackungen dominieren den
                        haufe.de/personal/entgelt/keine-ein-             Stichwort Betriebliche Krankenversi-             Markt, in: Soziale Sicherheit 65 (5),
                        schraenkungen-bei-sachbezuegen-                  cherung (Arbeitsrecht), https://www.             S. 182 – 186.
                        und-44-eur-grenze_78_496542.html                 tk-lex.tk.de/ [10.04.2019].
                        [04.10.2019].

WSI Report Nr. 59, September 2020   Seite 14
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