Die Corona-Krise aus volkswirtschaftlicher Sicht - Professor Dr. Peter Bofinger Julius-Maximilians-Universität Würzburg - Universität ...
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Die Corona-Krise aus volkswirtschaftlicher Sicht Professor Dr. Peter Bofinger Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Organisation: Europäische Geldpolitik • Vorlesung: Montag 10:15-11:45 Uhr im wöchentlichen Live-Webinar über Zoom • Übung (Starttermin voraussichtlich 30.04.) Donnerstag 18:15-19:45 Uhr im wöchentlichen Live-Webinar über Zoom • Unterrichtssprache ist Deutsch • Sprechstunde nach vorheriger Anmeldung möglich 2
Klausur Europäische Geldpolitik Klausur besteht aus 3 Aufgaben, von denen 2 Aufgaben zu bearbeiten sind. Bitte Fristen zur Klausuranmeldung über Wuestudy beachten Wird standardmäßig nur auf Deutsch angeboten, aber nach vorheriger Absprache Erstellung der Angabe und Bearbeitung einer Klausur auch auf Englisch möglich. Erasmus-Studierende bitte michaela.briglmeir@uni-wuerzburg.de für die Klausuranmeldung kontaktieren 3
Die Corona-Krise aus volkswirtschaftlicher Sicht Professor Dr. Peter Bofinger Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Internationaler Währungsfonds, World Economic Outlook (April 2020) Gita Gopinath Chef-Volkswirtin des IWF Quelle: https://twitter.com/gitagopinath 5
Wirtschaftseinbruch deutlich stärker als in der Finanzkrise 2009 Veränderung des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr (in %) 2009 2020 4 2 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12 Quelle: Internationaler Währungsfonds, WEO 2020 6
Corona-Krise: Angebotsschock und Nachfrageschock • Angebotsschock: • Globale Wertschöpfungsketten werden unterbrochen. Es fehlen Vorprodukte, die im Ausland produziert werden (z.B. bei Automobilindustrie aus Norditalien) • Arbeitnehmer können wegen Kinderbetreuung nicht zur Arbeit kommen • Im Produktionsbereich müssen gesundheitsbedingt größere Abstände zwischen Mitarbeitern eingehalten werden • Nachfrageschock • Schließung von Gaststätten, Hotels, Jahrmärkten, Einzelhandel, Messen („Sozialer Konsum“), Reiseverbote und geschlossene Grenzen • Geringere Einkommen wegen Kurzarbeit, fehlender Nachfrage bei Selbständigen • Unsicherheit über weitere Entwicklung reduziert Konsum- und Investitionsbereitschaft • Einbruch des privaten Verbrauchs um 5,3 % in 2020. Im Jahr 2009 war der Rückgang nur 0,1 % 7
Corona-Tsunami generiert eine Schuldenwelle - Einnahmen brechen weg bei festen Zahlungsverpflichtungen Realwirtschaft (Dienstleistungen, Immobiliensektor Finanzsystem Industrie, Selbständige) Einnahmen aus Konsum- und Einnahmen aus Zins- und Tilgungszahlungen Investitionsgütern brechen Vermietung und brechen ein. Verluste aus ein. Weiterhin feste Verpachtung brechen notleidenden Krediten. Zahlungen für Löhne, ein. Weiterhin feste Weiterhin feste Mieten, Pachten, Zinsen und Zahlungen für Zinsen Verpflichtungen für Tilgung und Tilgung bestehende Einlagen Mittlerer Verschuldungsgrad Höherer Verschuldungsgrad Hoher Verschuldungsgrad 8
Kurzarbeit reduziert die laufenden Kosten • Kurzarbeitergeld ist für jeden Betrieb • Seit Ausbruch der 725.000 Anträge möglich, auch für Beschäftigte in • Von Februar 2008 bis Februar 2020 Zeitarbeit. insgesamt nur 350.000 Anträge • Sind mindestens 10 Prozent der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen, kann der Betrieb Kurzarbeit beantragen. • Das Kurzarbeitergeld beträgt 60 Prozent des fehlenden Nettoentgelts – für Eltern 67 Prozent. • Beiträge für die Sozialversicherungen werden bei Kurzarbeit von der Bundesagentur für Arbeit vollständig erstattet. Quelle: imago images / Jürgen Heinrich 10
Die „Bazooka“ von Altmaier und Scholz: Umfangreiche staatliche Liquiditätshilfen • Steuerstundungen • Staatliche Garantien durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau für Kredite in Höhe von 100% • Liquiditätshilfen • erhalten die Zahlungsströme solventer Unternehmen, • ohne den Anstieg der Verschuldung zu stoppen. • Im Fall der Insolvenz sind sie wirkungslos. Quelle: dpa/ Kay Nietfeld 11
Solvenzhilfen für Unternehmen Maßnahmen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis • Soforthilfe für sehr kleine Unternehmen: Zuschüsse für Selbstständige und Unternehmen mit bis zu 5 (10) Beschäftigten bis zu 9.000 (15.000) Euro • Erleichterter Zugang für Selbstständige zur Grundsicherung • Für mittelgroße und große Unternehmen (ab 250 Beschäftigte): Eigenkapitalzuführung u.a. durch den Erwerb von Anteilen oder stillen Beteiligungen • Es fehlen Maßnahmen für die 360.000 Unternehmen kleinen und mittleren Unternehmen mit zehn und mehr Beschäftigen und rund 41 Prozent aller Beschäftigten Quelle: Bundesfinanzministerium 12
Wie kann man den Unternehmen steuerlich helfen? • Verlustrücktrag: Verluste im Jahr 2020 können mit Gewinnen aus dem Jahr 2019 verrechnet werden • Begrenzt auf 1 Million Euro • Gewinne aus dem Jahr 2018 können nicht verrechnet werden • Negative Steuern: Unternehmen bekommen einen Teil der für 2019 geleisteten Vorauszahlungen für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer (z.B. 50%) vom Finanzamt ausgezahlt. Wenn sich bei der Steuererklärung 2020 ergibt, dass das Unternehmen keine signifikante Gewinneinbuße erlitten hat, muss es die negative Steuer zurückerstatten. 13
Der fundamentale Unterschied zwischen Finanzkrise und Corona-Krise • Bei der Finanzkrise waren die Verluste der Banken durch Management- Fehler entstanden. Staatliche Hilfen konnten so nur mit Auflagen und Gegenleistungen (Beteiligungen) erteilt werden • Bei der Corona-Krise entstehen Verluste dadurch, dass der Staat zum Schutz der Allgemeinheit Beschränkungen für das Geschäftsleben erlässt. Staatliche Hilfen sind somit primär als Entschädigung anzusehen, die ohne Gegenleistung gewährt werden kann. Quelle: Arne Dedert/DPA 14
KÖNNEN DIE STAATEN DAS ALLES FINANZIEREN? 15
Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft (in % des BIP) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 South Africa India Mexico Saudi Arabia Russia Turkey Argentina China Indonesia Brazil Korea Canada Spain United States Australia France United Kingdom Japan Italy Germany Revenue and expenditure measures Below-the-line measures (loans and equity injection and guarantees) Quelle: Internationaler Währungsfonds 16
Weltweit steigen die Staatsdefizite stark an Budgetsalden in % des Bruttoinlandsprodukts 2019 2020 4,0 2,0 0,0 -2,0 -4,0 -6,0 -8,0 -10,0 -12,0 -14,0 -16,0 -18,0 USA Canada China World Spain Brazil France Italy United Euro Area India Japan Germany Mexico Kingdom Quelle: Internationaler Währungsfonds, WEO 2020 17
Schuldenstandsquoten steigen: Japan erreicht einen Wert von über 250 %, Italien bei 156 % Staatschuldenquote (in % des BIP) 2019 2020 300 250 200 150 100 50 00 Quelle: Internationaler Währungsfonds, WEO 2020 18
Wo ist die Verschuldungsgrenze von Staaten? • Vertrag von Maastricht: Schuldenstandsquote von 60 %. Abgeleitet aus Durchschnitt der EU-Länder im Jahr 1990 • Reinhart und Rogoff: 90 %, aber leider mit unkorrekter Herleitung Growth in Time of Debt, American Economic Review: Papers & Proceedings 100 (May 2010): 573– 578, https://scholar.harvard.edu/files/rogoff/files/growth_in_time_debt_aer.pdf • Japan kann mit 240 % gut leben • Problem der Verschuldung in fremder Währung oder in Euro Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart Quelle: Wall Street Journal 19
Wo ist die Finanzierungsgrenze für Staaten? • Modern Monetary Theory: • Große Staaten, die in der eigenen Währung verschuldet sind, haben keine Finanzierungsrestriktion. Sie können sich immer über die nationale Notenbank finanzieren. • Allerdings besteht immer eine Restriktion durch die real verfügbaren Güter, die beachtet werden muss, wenn man Inflation vermeiden will. • In der Corona-Krise werden durch Staatsverschuldung nur die Löcher in den privaten Bilanzen gestopft. Es wird damit eine schwerwiegende Deflation vermieden. • Ausführlicher dazu meine Kolumne for Social Europe: https://www.socialeurope.eu/coronavirus-crisis-now-is-the-hour-of-modern- monetary-theory • Für Italien stellt sich das Problem, dass es nicht in der eigenen Währung verschuldet ist und sich nicht über die eigene Notenbank finanzieren kann. 20
Beispiel für MMT: Verschuldung in den USA und im Vereinigten Königreich in den Kriegen Schuldenstandsquote (in % des BIP) United States United Kingdom 300 250 200 150 100 50 00 1900 1904 1908 1912 1916 1920 1924 1928 1932 1936 1940 1944 1948 1952 1956 1960 1964 1968 1972 1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000 21 Quelle: Congressional Budget Office, BoE
Der Beitrag der EZB: Pandemic Emergency Purchase Programmme (PEPP) • Temporäres Ankaufprogramm in Höhe von 750 Mrd. EUR für Anleihen öffentlicher und privater Schuldner • PEPP Ankäufe erfolgen in dem Maß, in dem sie notwendig und verhältnismäßig sind. Vorgesehen ist die temporäre Maßnahme solange, bis der EZB-Rat die kritische COVID-19 Phase als abgeschlossen einschätzt, allerdings mindestens bis Ende des Jahres 2020. • Ankäufe werden auf flexible Art und Weise erfolgen, um der außerordentlichen Lage in Folge der COVID-19 Verbreitung gerecht zu werden. Dies kann dazu führen, dass die Verteilung von Ankaufvolumen über die Zeit und Anleiheklassen hinweg, sowie zwischen Jurisdiktionen schwanken wird, um funktionsfähige Marktmechanismen zu unterstützen und eine reibungslose geldpolitische Transmission zu gewährleisten. 22
Kompromiss der Eurogruppe (Finanzminister der EWU-Mitgliedstaaten) vom 9. April • Zusätzliche Kreditmöglichkeiten für Mitgliedstaaten durch: • Erleichterter Zugang zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM): 200 Mrd. Euro • Zusätzliche Garantien durch die Europäische Investitionsbank: 200 Mrd. Euro sollen durch Mitteleinsatz von 25 Mrd. Euro gehebelt werden • SURE Programm der EU-Kommission (Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency): 100 Mrd. Euro • Da es sich nur um Kredite handelt, ändert sich nichts am Anstieg der Schuldenquote Italiens, der zur Instabilität in der Währungsunion führen kann • Bei Verwendung der ESM-Mittel für Corona sind im Fall einer Eurokrise kaum noch Mittel im ESM verfügbar • ESM hat schlechtes Image, weil die Mittel mit Konditionalität und Überwachung vergeben werden 23
Italien hat 2020 einen Brutto-Finanzierungsbedarf von rund 28 % des Bruttoinlandsprodukts Brutto-Finanzierungsbedarf im Jahr 2020 (in % des Bruttoinlandsprodukts) Maturing debt Budget deficit 50,00 45,00 40,00 35,00 30,00 25,00 20,00 15,00 10,00 5,00 0,00 JPN USA ITA ESP CAN BEL FRA PRT GBR FIN AUT IRL AUS NLD ISL DEU DNK SWE SVK CZE NZL CHE KOR Quelle: Internationaler Währungsfonds, WEO 2020 24
Corona-Bonds als Lösung • Mitgliedstaaten errichten gemeinsamen Fonds über völkerrechtlichen Vertrag • Fonds begibt Anleihen mit ewiger Laufzeit. Die Rückzahlung entfällt somit • Mitgliedstaaten übernehmen gemeinsame Haftung für die laufenden Zinszahlungen • Fonds vergibt direkte Transfers an die Mitgliedstaaten • Verschuldung des Fonds wird nach Maastricht-Kriterien nicht der nationalen Verschuldung zugerechnet • Mitgliedstaaten bestimmen gemeinsam wofür die Mittel ausgegeben werden 25
Wie geht es weiter? • „New Normal“: Einschränkungen des öffentlichen Lebens und „Distancing“ werden uns weiter begleiten • Unsicherheit (im Sinne von Knight und Keynes), d.h. es gibt keine Wahrscheinlichkeitsverteilung, die man aus der Vergangenheit ableiten könnte, was wirtschaftliche Entscheidungen belastet • Investitionsbereitschaft wird gering sein, auch wegen verschlechterter Kapitalausstattung • Konsumbereitschaft wird gering sein, auch wegen Einkommens- und Vermögensverlusten (Aktien) 26
Wie kann die Politik den Neustart fördern? • Geringere Mehrwertsteuer für Bereiche, die von Krise besonders betroffen wurden (z.B. Restaurants) • Neustart mit ökologischer Transformation verbinden: • Abschreibungserleichterungen oder Zulagen für Investitionen, die zu ökologischer Transformation beitragen • Großzügigere Prämien für Elektromobilität • Schuldenbremse (Artikel 115 GG) als Hemmschuh: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.“ 27
Ministerpräsident Kretschmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (19. April 2020) Quelle: Sebastian Gollnow/ dpa 28
Zusammenfassung • Corona-Krise ist die größte volkswirtschaftliche Herausforderung seit der Weltwirtschaftskrise 1929/33 • Staaten reagieren schnell, aber überwiegend mit Liquiditätshilfen. • Gefahr, dass Schuldenwelle in der Realwirtschaft auf Immobiliensektor und Finanzsystem übergreift • Die durch die Krise unvermeidlich entstehende Verschuldung kann am besten bei der Notenbank abgeladen werden • Italien und andere hoch verschuldete EWU-Mitgliedstaaten haben Probleme sich ausreichend zu verschulden. Deshalb wären Corona-Bonds wichtig. • Schuldenbremse kann kraftvollen Neustart verhindern 29
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