Das Ringen um das "Recht auf Homeoffice" - eine Einschätzung - Laborius

 
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Das Ringen um das "Recht auf Homeoffice" - eine Einschätzung - Laborius
Das Ringen um das „Recht auf Homeoffice“ – eine Einschätzung
Besteht ein Rechtsanspruch auf Homeoffice oder mobiles Arbeiten? Vor etwas mehr als einem
Jahr wäre diese Frage noch einfach zu beantworten gewesen: Nein, ein Recht auf Homeoffice
besteht nicht – sieht man einmal von besonderen Sachverhaltskonstellationen, beispielsweise
schwerbehinderter Menschen gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX ab (vgl. LAG Köln, 24.05.2016,
BeckRS 2016, 69901).
Es fehlt schlicht an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Die rechtliche Grundlage des
Arbeitsvertrages findet sich inzwischen in § 611a BGB, der seinerseits auf das in § 106 GewO
normierte Weisungsrecht des Arbeitgebers verweist. Diese Bestimmung räumt dem
Arbeitgeber das Recht ein, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher zu bestimmen. Der
Arbeitgeber kann von seinem Bestimmungsrecht Gebrauch machen, muss es aber nicht. Ein
Anspruch des Arbeitnehmers, den Arbeitsort selbst zu bestimmen, ist nicht vorgesehen. Dies
war und ist bis heute weiterhin der Status quo.
Neues Licht auf diese Frage werfen nunmehr die Gesetzesentwürfe eines „Mobile-Arbeit-
Gesetzes MAG-E“ sowie die gerade beschlossene SARS-CoV-2-Arbeitsverordnung (Corona-
ArbSchV).

  I.   Mobile-Arbeit-Gesetz „MAG“
Die Diskussion zur „Arbeit im Homeoffice“ hatte bereits längst vor der Pandemie Fahrt
aufgenommen. Die Covid-19-Pandemie wirkt hier insoweit lediglich als Verstärker, ein Recht
auf Homeoffice (wie es etwa aus dem europäischen Ausland, z.B. in den Niederlanden
durchaus bekannt ist) zu etablieren.
Bereits Ende April 2020 kündigte Arbeitsminister Heil an:

           „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice
           arbeiten können - auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist.“

Der im Oktober 2020 in die Ressortabstimmung eingebrachte erste Referentenentwurf des
Bundesarbeitsministeriums eines Gesetzes zur mobilen Arbeit sah noch vor, eine Regelung in
die Gewerbeordnung aufzunehmen (§ 111 GewO), die Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis
länger als sechs Monate bestanden hat, einen Anspruch auf mobile Arbeit an bis zu 24 Tagen
im Jahr (5-Tage-Woche) einräumen sollte, soweit sich die Art der Tätigkeit grundsätzlich für
mobile Arbeit eignet und der mobilen Arbeit nicht betriebliche Gründe entgegenstehen.
Eine Durchsetzung scheiterte am „Veto“ des Koalitionspartners. Denn im Koalitionsvertrag
2018 war zwar unter dem Stichwort „Gute digitale Arbeit“ vorgesehen, mobile Arbeit zu fördern,
zu erleichtern und dafür einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der auch einen
Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber umfasste. Ein
Rechtsanspruch auf Arbeit im Homeoffice oder mobile Arbeit war jedoch nicht Gegenstand
des Koalitionsvertrages.
Das Bundesarbeitsministerium brachte daraufhin am 26.11.2020 einen zweiten Entwurf eines
Gesetzes zur mobilen Arbeit (Mobile Arbeit-Gesetz – MAG-E) ein. Dieser sieht durch
Einführung einer neuen Bestimmung in der Gewerbeordnung (§ 111 GewO-E) zwar keinen

Veröffentlicht am 26. Januar 2021
© Laborius Schrader Siebert Thoms Klagges
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Rechtsanspruch mehr vor, jedoch einen Erörterungsanspruch des Arbeitnehmers
korrespondierend mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, eine ablehnende Entscheidung
form- und fristgerecht zu begründen. Anderenfalls soll eine gesetzliche Fiktion für die Dauer
von maximal sechs Monaten eintreten.
Die Regelung im vorgesehenen § 111 GewO-E orientiert sich offenkundig an der gesetzlichen
Regelung des nicht begrenzten Teilzeitverlangens gemäß § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz
(TzBfG).

  II.   SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV)
Zu dieser schon nicht übersichtlichen Ausgangslage tritt nun pandemiebedingt die am
20.01.2021 beschlossene SARS-CoV-2-Arbeitsschutz-Verordnung (Corona-ArbSchV) hinzu.
Die Verordnung soll nach § 4 Corona-ArbSchV am fünften Tag nach der Verkündung in Kraft
treten; derzeit ist vorgesehen, dass sie am 15.03.2021 wieder außer Kraft tritt.

§ 2 Abs. 4 Corona-ArbSchV regelt zur Frage des Homeoffice oder mobilen Arbeitens
folgendes:

           „Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder
           vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung
           auszuführen,    wenn     keine   zwingenden     betriebsbedingten  Gründe
           entgegenstehen.“

    1. Was sind zwingende betriebsbedingte Gründe?
In den FAQs des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) heißt es dazu:

           „Klar ist, dass viele Tätigkeiten in Produktion, Dienstleistung, Handel, Logistik etc.
           nicht im Homeoffice ausgeführt werden können. Angesprochen sind hier daher vor
           Allem solche Tätigkeiten, die sich grundsätzlich für die Ausführung im Homeoffice
           eignen, die aber aus belegbaren und nachvollziehbaren betriebstechnischen
           Gründen nicht dorthin verlagert werden können, insbesondere, weil ansonsten der
           übrige Betrieb nur eingeschränkt oder gar nicht aufrechterhalten werden kann.
           Dies umfasst insbesondere mit der Büro(-Tätigkeit) verbundene Nebentätigkeiten
           wie die Bearbeitung und Verteilung der eingehenden Post, die Bearbeitung des
           Warenein- und Ausgangs, Schalterdienste bei weiterhin erforderlichen Kunden-
           und Mitarbeiterkontakten, Materialausgabe, Reparatur- und Wartungsaufgaben
           (z.B. IT-Service), Hausmeisterdienste und Notdienste zur Aufrechterhaltung des
           Betriebes, u.U. auch die Sicherstellung der Ersten Hilfe.

           Technische oder organisatorische Gründe und Versäumnisse, wie z.B. die
           Nichtverfügbarkeit benötigter IT-Ausstattung, notwendige Veränderung der
           Arbeitsorganisation oder unzureichende Qualifizierung der betroffenen

Veröffentlicht am 26. Januar 2021
© Laborius Schrader Siebert Thoms Klagges
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Beschäftigten können i.d.R. allenfalls befristet bis zur umgehenden Beseitigung
           des Verhinderungsgrunds geltend gemacht werden. …“

Ob die Angaben in den FAQs des BMAS auch den entscheidenden Maßstab für die
Entscheidungen in zu erwartenden gerichtlichen Verfahren bilden, darf indes bezweifelt
werden.
Das Anknüpfen von Rechtsfolgen an das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Gründen
unterschiedlichster Rechtsqualität findet sich an vielen Stellen im Arbeitsrecht:

       ▪   So besteht etwa der Anspruch auf Zustimmung zur zeitlich begrenzten
           Verringerung der Arbeitszeit nach § 8 TzBfG, soweit nicht „betriebliche Gründe“
           entgegenstehen. Bereits hier sind die Maßstäbe der Gerichte, wie aus der Praxis
           bekannt ist, streng.
       ▪   Weiter geht § 15 Abs. 4 BEEG, der für den Fall der Inanspruchnahme von Teilzeit
           innerhalb der Elternzeit, die Ablehnung des Arbeitgebers an das Vorliegen
           dringender betrieblicher Gründe knüpft. Hier liegt der Maßstab bereits besonders
           hoch.
       ▪   Dringende betriebliche Erfordernisse (Gründe) sind aus § 1 KSchG als Maßstab für
           die soziale Rechtfertigung einer das Arbeitsverhältnis beendenden! Kündigung
           hinlänglich bekannt.
       ▪   Zwingende betriebliche Gründe finden sich - soweit ersichtlich - im Arbeitsrecht
           außerhalb von § 113 BetrVG kaum. §113 BetrVG regelt bekanntermaßen die
           Berechtigung des Unternehmers von einem mit dem Betriebsrat über eine geplante
           Betriebsänderung geschlossenen Interessenausgleich abweichen zu dürfen. Tut
           der Arbeitgeber dies ohne zwingenden Grund, können Arbeitnehmer Ansprüche
           auf Nachteilsausgleich geltend machen.

Jedenfalls für § 113 BetrVG wird insoweit die Auffassung vertreten, dass ein zwingender
Grund mehr sei als ein wichtiger Grund!

       ▪   vgl. Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Auflage 2018, § 113 BetrVG, Rn. 13–

Überträgt man diesen Maßstab, dürften kaum noch Sachverhalte denkbar sein, die es
rechtfertigen, Arbeitnehmern länger als für einen allenfalls sehr kurzen Zeitraum zur
organisatorischen Einrichtung eines Arbeitsplatzes die Arbeit aus dem Homeoffice zu
verweigern.

   2. (Zwar) Kein subjektives Klagerecht, aber Sanktionen
Die Verordnungsbegründung stellt klar, dass Arbeitnehmern ein subjektives Klagerecht, wie
es im Arbeitsschutzrecht üblich ist, durch die Corona-ArbSchV nicht gewährt wird. Vielmehr ist
es Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden sowie des Unfallversicherungsträgers, die Einhaltung

Veröffentlicht am 26. Januar 2021
© Laborius Schrader Siebert Thoms Klagges
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der rechtlichen Vorgaben der Verordnung zu kontrollieren und zu sanktionieren, etwa die
Durchsetzung der Maßnahme im Wege der Anordnung, Verhängung von Bußgeldern etc.

   3. Aber: „§ 618 BGB Pflicht zu Schutzmaßnahmen“
Der Umstand, dass ein subjektiv klagbares Recht nicht besteht, sollte jedoch nicht darüber
hinwegtäuschen, dass gleichwohl auch individualarbeitsrechtliche Konsequenzen denkbar
sind. Es gilt weiterhin § 618 BGB, der den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz privatrechtlich
als Ausprägung der allgemeinen Fürsorgepflicht flankiert.

       ▪   vgl. Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 5. Auflage 2021, § 34
           Nebenpflichten des Arbeitgebers, Rn. 3 -

Auch wenn in der Begründung des Verordnungsentwurfes vorgesehen ist, dass ein subjektives
Klagerecht des Beschäftigten nicht gegeben ist, bleibt offen, ob sich dies lediglich auf den
Anspruch auf Einrichtung eines Heim- oder mobilen Arbeitsplatzes bezieht oder ob auch
andere etwaige, im Kontext einer Unterlassung mitzudenkende Handlungsmöglichkeiten eines
Arbeitnehmers damit abgeschnitten sein sollen. Denkbar wäre hier etwa, dass ein
Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitskraft gemäß § 273 Abs. 1 BGB
geltend macht, bis der Arbeitgeber die ihm aus § 618 Abs. 1, 2 BGB obliegende Schutzpflicht
erfüllt hat, indem er einen arbeitsschutzkonformen Zustand durch Ermöglichung mobilen
Arbeitens herstellt.

  III. Zwischenfazit: Corona-ArbSchV
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass während der Geltungsdauer der Corona-ArbSchV
jedenfalls faktisch bis auf wenige Ausnahmefälle ein „Recht auf Homeoffice“ bestehen dürfte.
Dabei bleibt zu beachten, dass eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, im Homeoffice zu
arbeiten, nicht gegeben ist (und auch in Anbetracht des Grundrechtes auf Unverletzlichkeit der
Wohnung sowie rein praktischer Gegebenheiten im Einzelfall auch nicht generell gegeben sein
kann!).

Veröffentlicht am 26. Januar 2021
© Laborius Schrader Siebert Thoms Klagges
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IV. Ausblick und Fazit
Wie eingangs erwähnt, besteht auf Grundlage der gegenwärtigen Gesetzeslage kein
grundsätzliches „Recht auf Homeoffice“. Daran ändert auch die Corona-ArbSchV nichts, die
begrenzt auf den gegenwärtigen Fall einer besonderen Krisensituation die notwendigen und
erforderlichen Maßnahmen ergreift, um einer weiteren Ausbreitung der Pandemie
entgegenzuwirken. Das heißt aber keineswegs, dass zu erwarten ist, dass nach Auslaufen der
Corona-ArbSchV wieder zum Ursprungszustand zurückgekehrt wird. Schon vor der Pandemie
bestand ein erhebliches Bedürfnis daran, die Fragen mobiler Arbeit interessengerecht für
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln. Die rasant fortschreitende Digitalisierung hat längst
dazu geführt, dass es häufig nicht mehr entscheidend ist, wo die Arbeitsleistung erbracht wird.
Fest steht, dass mobile Arbeit (wie auch immer sie ausgeführt wird) fester Bestandteil des
Arbeitslebens geworden ist und der Anteil mobiler Arbeit auch nach dem Ende der Pandemie
sicherlich weit größer sein wird als
zuvor. Bereits jetzt ist erkennbar, dass
etwa Desksharing-Lösungen schon                                INFO
längst in vielen Firmen in der             Weitere Informationen rund um dieses
Umsetzung sind.                            komplexe Thema finden Sie auch in unserem
Ob sich der Gesetzgeber entscheidet,         Webinar mit dem Unternehmensnetzwerk
ein Recht auf Homeoffice oder mobile         „Erfolgsfaktor Familie“:
Arbeit zu statuieren, etwa orientiert an     Mobiles Arbeiten und rechtliche Fragen:
§ 8 TzBfG, oder ob er lediglich              was es zu beachten gilt
Erörterungs-      und     Begründungs-
pflichten verpflichtend festlegt, ist eine                >> Hier klicken
ÜBER DEN AUTOR

                                    Jens Siebert ist Partner der Kanzlei Laborius - Die Fachanwälte
                                    für Arbeitsrecht. Siebert ist ein ebenso erfahrener wie
                                    durchsetzungsstarker Verhandler, der nach einschlägigen
                                    Rankings als Arbeitsrechtler ausdrücklich empfohlen wird.
                                    Seine erfolgreiche Verhandlungs- und Prozessführung beruht auf
                                    drei einfachen Grundlagen: Exzellente Fachkenntnisse,
                                    akribische Vorbereitung und ausgeprägtes Verhandlungs-
                                    geschick. Getreu der Maxime: Wenn Du im Recht bist, kannst Du
                                    Dir leisten, die Ruhe zu bewahren, und wenn Du im Unrecht bist,
                                    kannst Du Dir nicht leisten, sie zu verlieren.
                                    Zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit zählt die Beratung in allen
                                    Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechtes, u. a. bei
                                    Kündigungen, Re-/Umstrukturierungen, (Inhouse-)Outsourcing
                                    und Arbeitnehmerüberlassung. Organvertreter und Führungs-
                                    kräfte begleitet und berät er arbeitsrechtlich in Fragen der
                                    Vertragsgestaltung sowie des Trennungsmanagements.

 ÜBER LABORIUS

                                             Laborius steht für das, was wir mit Leidenschaft und aus
                                             Überzeugung betreiben, das Arbeitsrecht. Der Name
                                             setzt sich zusammen aus dem lateinischen Wort „labor“
                                             für Arbeit und „ius“ für Recht, bedeutet also nichts
                                             anderes als Arbeitsrecht.
 Unser Name ist uns Verpflichtung. Fachliche Kompetenz, Effizienz, Ziel- und Serviceorientierung sind
 für uns selbstverständlich. Wir sind Ihnen persönlicher Ansprechpartner, Berater und Begleiter in der
 kompletten Breite des Arbeitsrechtes. Schnelle, unverzügliche Bearbeitung, jederzeitige
 Erreichbarkeit, aber auch eine große Schlagkraft, indem wir uns fallbezogen zu spezialisierten Teams
 zusammenschließen, ermöglichen uns eine extrem leistungsfähige Bearbeitung der uns anvertrauten
 Mandate.
 Wir bieten eine interdisziplinäre Beratung, die neben dem Arbeitsrecht auch betriebswirtschaftliche
 Fragestellungen des Human Resources Managements umfasst.

 KONTAKT

 Laborius Schrader Siebert Thoms Klagges
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 Podbielskistraße 33
 30163 Hannover
 Telefon: +49 (0) 511 215 5563-33
 Fax: +49 (0) 511 215 5563-43
 E-Mail: kanzlei@laborius.eu
 Internet www.laborius.eu

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