Die Dublin Verordnung - Vorlesung im Rahmen der Refugee Law Clinic Berlin 5. Veranstaltung: Teil 1, 18.11.2014 Johanna Mantel
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Dublin Verordnung Vorlesung im Rahmen der Refugee Law Clinic Berlin 5. Veranstaltung: Teil 1, 18.11.2014 Johanna Mantel
Hintergrund und rechtliche Einordnung • Dublin VO ist Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) • Ziel: Einheitliche Asyl- und Flüchtlingspolitik in der EU zu verwirklichen • In Römischen Verträgen von 1957 (Gründung EWG) noch nicht vorgesehen • Entwicklung europäischer Binnenmarkt: nicht nur freier Warenverkehr auch Personenfreizügigkeit • Maastrichter Vertrag 1992: Asylpolitik = Angelegenheit von gemeinsamem Interesse • Amsterdamer Vertrag 1997: Asylpolitik in 1. Säule transferiert • Tampere-Programm: kollektives Asylsystem entwickeln • Haager Programm 2004: Asylpolitik harmonisieren in 2 Phasen SEITE 2
Die Dublin-III-VO • Geschichte / Vorherige Verordnungen: • Öffnung der Grenzen im Schengen-Raum (Schengener Abkommen 1985) • Schengener Durchführungsübereinkommen (Unterzeichnung 1990, in Kraft getreten 1995) • Dubliner Übereinkommen (Unterzeichnung 1990, in Kraft getreten 1997) • Dublin-II VO 2003 SEITE 3
Hintergrund und rechtliche Einordnung • Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) • Ziel: Errichtung eines gemeinsamen Systems von Normen und Verfahren zur Gewährung des Flüchtlings- und des subsidiären Schutzes • Art. 78 Abs. 1 S. 1 AEUV: „(1) Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll.“ SEITE 4
Hintergrund und rechtliche Einordnung • Rechtlich bindender Rahmen für GEAS: • GFK, EU GR-Charta, EMRK • Art. 78 Abs. 1 S. 2 AEUV: „Diese Politik muss mit (der GFK) sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen.“ • Art. 18 EU GR-Charta: „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe (der GFK) sowie gemäß dem (EGV) gewährleistet.“ • Art. 19 EU GR-Charta: Non-refoulement Gebot • Art. 6 Abs. 3 EUV: EMRK Teil des Unionsrechts SEITE 5
Hintergrund und rechtliche Einordnung • Das GEAS umfasst: • zwei Institutionen: 1) Europäisches Asylunterstützungsbüro (EASO) und 2) EU Grenzschutzagentur (FRONTEX) • zwei Verordnungen: 1) Dublin-Verordnung und 2) Eurodac-Verordnung • sowie fünf Richtlinien: 1) Qualifikationsrichtlinie • 2) Asylverfahrensrichtlinie • 3) Aufnahmerichtlinie • 4) Massenzustromsrichtlinie und • 5) Rückführungsrichtlinie SEITE 6
Hintergrund und rechtliche Einordnung • Geltung von Richtlinien und Verordnungen in Deutschland: • Richtlinien: erst durch Umsetzung geltendes Recht in den MS, z.B. UmsetzungsG zur QualifikationsRL v. 5.9.2013 (seit 6.9. bzw. 1.12.2013 in Kraft) • Verordnungen: unmittelbare Geltung in den MS, förmliche Umsetzung nicht erforderlich, nationale Gesetze müssen ggf. geändert werden, z.B. AsylVfG SEITE 7
Hintergrund und rechtliche Einordnung • EU Gesetzgebungskompetenz für die Dublin-VO aufgrund von Art. 78 Abs. 2 lit. e AEUV: • „(2) Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das Folgendes umfasst: ... e) Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf Asyl oder subsidiären Schutz zuständig ist …” SEITE 8
Die Dublin-III-Verordnung • Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 „zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist“ (Neufassung) • in Kraft seit 19. Juli 2013 • anzuwenden seit 1. Januar 2014 • Übergangsvorschriften • aber bereits davor: UmsetzungsG zur Qualifikations-RL, Änderung AsylVfG • Ergänzungen zur Dublin-VO: • DurchführungsVO (erstmalig 2003) • EURODAC VO (erstmalig 2000) SEITE 9
Die Dublin-III-VO • Mitgliedsstaaten: • derzeit 28 EU-MS • + Norwegen, Island, Lichtenstein und Schweiz SEITE 10
Die Dublin-III-VO • Regelungsabsicht: • Regelung der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens in der EU bei Anträgen auf internationalen Schutz • Internationaler Schutz = Flüchtlingsschutz + subsidärer Schutz • Die Dublin-III-VO enthält verschiedene Zuständigkeitskriterien (Art. 7 – 15, 3 Dublin-III), die in einer festen Reihenfolge geprüft werden SEITE 11
„Dublin“ im deutschen Asylverfahren Ablauf des Dublin-Verfahrens in Deutschland SEITE 12
Ablauf im Rahmen des Asylverfahrens: Meldung als Asylsuchender / Asylantrag Prüfung der Zuständigkeit = „Dublin-Verfahren“ wenn (-) Feststellung der Unzuständigkeit wenn keine Ausnahmen Übernahmeersuchen an den als zuständig bestimmten MS Wenn „positive“ Antwort auf Ersuchen: Bescheid wenn Eilrechtsschutz (-): Überstellung In jedem Verfahrensstadium gelten bestimmte Fristen, die zu beachten sind! SEITE 13
Wer ist zuständig ? • Bei jeder Asylantragstellung wird zunächst geprüft, ob Deutschland für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist (= „Dublin-Verfahren“) • Erst nach Feststellung der Zuständigkeit erfolgt die Anhörung zu den Fluchtgründen und die inhaltliche Prüfung des Asylantrags. § 27a AsylVfG: „Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.“ Hinweis: Das Dublin-Verfahren gilt für Asyl- und „Aufgriffsfälle“ = Aufgriff illegal aufhältiger Personen, die in Dt. (noch) keinen Asylantrag gestellt haben. SEITE 14
Wer ist zuständig ? Hinweise auf die Zuständigkeit eines anderen Staates können sich ergeben aus: • Überprüfung der Identität (§ 16 AsylVfG) • Abgleich mit der Eurodac-Datenbank (= zentrales, automatisiertes, europäisches Fingerabdruckidentifizierungssystem) • Abgleich mit dem Europäischen Visa- Informationssystem (VIS) • Unterlagen, die gem. § 15 Abs. 2 und 3 AsylVfG vorgelegt werden müssen (Fahrkarten, Pässe, Tickets) • Angaben im persönlichen Gespräch („Dublinanhörung“) SEITE 15
Wer ist zuständig ? Wenn Hinweise auf Zuständigkeit eines anderen MS gegeben sind: • Prüfung aller Zuständigkeitskriterien nach der Dublin-III-VO • Ggf. Übernahmeersuchen an den anderen MS Je nach Fall: Aufnahmeersuchen (= im ersuchten Staat wurde noch kein Asylantrag gestellt) oder Wiederaufnahmeersuchen (= im ersuchten Staat wurde bereits ein Asylantrag gestellt) Das Ersuchen und die Antwort auf das Ersuchen müssen innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen Folge bei Fristablauf: MS, der die Frist versäumt, wird für das Verfahren zuständig • So lange ein Dublin-Verfahren läuft, trifft das BAMF keine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag SEITE 16
Wer ist zuständig ? Die Zuständigkeitsprüfung im Einzelnen: 1. Welcher Mitgliedstaat ist nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO zuständig? (Art. 7 – 15 Dublin-III) 2. Greift eine Ausnahmeregelung? (Art. 16, 17 Dublin-III) 3. Abschiebung wegen systemischer Mängel im Asylverfahren ausgeschlossen? (Art. 3 (2) Dublin-III) 4. Fristen eingehalten? (Art. 20 ff., bes. Art. 21-23, 29 Dublin-III) SEITE 17
1. Zuständigkeitskriterien Die Zuständigkeitskriterien werden in fester Reihenfolge geprüft (Art.7 Abs. 1): 1. Unbegleitete Minderjährige (Art. 8) 2. Familiäre Bindungen und Antrag in zeitlicher Nähe (Art. 8 bis 11) 3. Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa (Art. 12) 4. Einreise und/oder Aufenthalt (Art. 13) 5. Visafreie Einreise (Art. 14) 6. Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens (Art. 15) 7. Ort des Asylantrags (Art. 3) SEITE 18
2. Ausnahmeregelungen Abhängige Personen (Art. 16) und Ermessensklausel (Art. 17) Art. 16 Abs. 1: Zusammenführung bzw. Nicht-Trennung von unterstützungsbedürftigen Personen (u.a. bei Krankheit, Schwangerschaft) zu / von Kindern, Geschwistern oder Elternteilen als Regelfall – „soll“ Art. 17 Abs. 1: (=Selbsteintrittsrecht) • Mitgliedstaaten können Asylanträge abweichend von den Zuständigkeitskriterien selbst prüfen • Beachte: Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aufgrund „systemischer Mängel“: kein Fall des Selbsteintritts, sondern Fortführung der Prüfungshierarchie (Art. 3 (2) Dublin-III) Art. 17 Abs. 2: Allg. humanitäre (insbes. familiäre oder kulturelle) Gründe – Ermessen der Mitgliedstaaten - „kann“ • Art. 3 Abs. 3: „Opt-Out Klausel“ Mitgliedstaaten dürfen stets in sichere Drittstaaten abschieben SEITE 19
3. „Systemische Mängel“ in einem MS • EGMR, Urteil vom 21.01.2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland • EuGH, Urteil vom 21.12.2011, N.S. v Secretary of State for the Home Department • Keine Überstellung in anderen MS bei „systemischen Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen und begründeter Annahme, dass der Antragsteller dort tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden. • Praxis des BAMF: • Seit 2011: Keine Überstellungen nach Griechenland • Keine Überstellung besonders Schutzbedürftiger nach Malta • Seit Dublin-III: Fortsetzung der Zuständigkeitsprüfung - Art. 3 (2) • Umstritten zwischen den Gerichten: u. a. Italien, Bulgarien, Ungarn • BVerfG zur Abschiebung besonders Schutzbedürftiger nach Italien (2 BvR 1795/14 und 2 BvR 939/14) – sowohl i.R.v. Dublin als auch bei Anerkannten! • EGMR, Urteil vom 4.11.2014, Tarakhel v. Switzerland – Zusicherung für altersgerechte Aufnahme von Kindern von Italien SEITE 20
4. Fristen im Dublin-Verfahren a) Aufnahmeverfahren (noch kein Antrag auf int. Schutz in ersuchtem MS) • Aufnahmeersuchen: 2 Monate bei Eurodac-Treffer (ab Treffermeldung), sonst 3 Monate (ab Antragstellung in Dt.) Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig • Antwort auf Ersuchen: 2 Monate (bei Dringlichkeit max. 1 Monat) Folge bei Fristüberschreitung: ersuchter MS wird zuständig • Überstellung: 6 Monate (bei Straf-/U-Haft: 12 Monate, bei Untertauchen: 18 Monate) Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig SEITE 21
4. Fristen im Dublin-Verfahren b) Wiederaufnahmeverfahren (int. Schutz in ersuchtem MS bereits beantragt) • Wiederaufnahmeersuchen: 2 Monate bei Eurodac-Treffer, sonst 3 Monate Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig • Antwort auf Wiederaufnahmeersuchen: 2 Wochen bei Eurodac-Treffer, sonst 1 Monat Folge bei Fristüberschreitung: ersuchter MS wird zuständig • Überstellung: 6 Monate (bei Straf-/U-Haft: 12 Monate, bei Untertauchen: 18 Monate) Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig SEITE 22
4. Fristen im Dublin-Verfahren b) Besonderheiten bei Abschiebehaft • (Wieder-) Aufnahmeersuchen: 1 Monat Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig • Antwort auf (Wieder-) Aufnahmeersuchen: 2 Wochen Folge bei Fristüberschreitung: ersuchter MS wird zuständig • Überstellung: 6 Monate, allerdings nach 6 Wochen zwingend aus der Haft zu entlassen Folge bei Fristüberschreitung: ersuchender MS wird zuständig SEITE 23
Entscheidung und Rechtsfolgen • Ist die Zuständigkeit eines anderen MS geklärt, erlässt das BAMF einen Bescheid (Wortlaut: „Der Asylantrag ist unzulässig“) • Gleichzeitig wird eine Abschiebungsanordnung gem. § 34a AsylVfG erlassen • Eine freiwillige Ausreise ist nicht vorgesehen • Der Bescheid wird mit der Akte an die zuständige ABH als Vollzugsbehörde für die Abschiebung weitergeleitet • Der Bescheid wird dem / der Betroffenen zugestellt (auch bei Vertretung durch RAin!) • Sofern Bescheid vollziehbar wird: Überstellung SEITE 24 ,
Die Dublin Verordnung Vorlesung im Rahmen der Refugee Law Clinic Berlin 6. Veranstaltung: Teil 2, 25.11.2014 Johanna Mantel
Rechtsschutz im Dublin-Verfahren Vorgehen gegen Bescheid: • Klage gegen VA: Unzulässigkeit des Asylantrags • Klage gegen Zwangsmittel: Abschiebungsanordnung • 80 V gegen Abschiebungsanordnung SEITE 26
Rechtsschutz nach der Dublin-III-VO • Art. 26: Zustellung der Überstellungsentscheidung mit Rechtsmittelbelehrung • Art. 27 I: Recht auf wirksames Rechtsmittel gegen einen Überstellungsbescheid • Art. 27 II: Angemessene Frist auf Wahrnehmung dieses Rechts • Art. 27 III: Suspensiveffekt in drei Varianten möglich SEITE 27
Rechtsschutz in Deutschland • Klage innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung des Bescheides (an den Betroffenen) bei zuständigem Verwaltungsgericht (siehe Rechtsmittelbelehrung) • Achtung: Klage hat keine aufschiebende Wirkung! Bescheid ist vollziehbar und die Überstellung kann erfolgen! • Aber: Eilrechtsschutz nach § 80 (5) VwGO innerhalb einer Woche möglich (siehe § 34a (2) AsylVfG – in Kraft seit dem 6.9.2013) • Deutschland hat sich damit für die „schwächste“ Rechtsschutz-Variante entschieden SEITE 28
Rechtsschutz in Deutschland Wirkung des Eilantrags: • Vor einer gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren ist eine Überstellung nicht zulässig (§ 34a (2) AsylVfG)! • Die 6-monatige Überstellungsfrist wird während des Eilverfahrens sowie bei positiver Entscheidung über den Eilantrag gehemmt, kann also nicht ablaufen • Achtung: Nach BAMF und einigen Verwaltungsgerichten beginnt die Überstellungsfrist nach einer negativen Entscheidung über den Eilantrag erneut von Anfang an (danach läuft nicht lediglich „Rest“ der Frist weiter!) • Bei positiver Entscheidung über den Eilantrag, aber negativer Hauptsacheentscheidung (=über die Klage) beginnt die Frist erneut von Anfang an zu laufen (so Art. 29 (1) Dublin-III-VO und überwiegende Rspr.) SEITE 29
Rechtsschutz in Deutschland Klageantrag: • 1. Alternative: Aufhebung des Bescheides + Verpflichtung zur Durchführung des Verfahrens in Deutschland und/oder Antrag auf inhaltliche Entscheidung über Asylantrag (= Verpflichtungsklage) • 2. Alternative: Nur Aufhebung des Bescheides beantragen (=Anfechtungsklage) Argumente für die 2. Alternative: – Bei Aufhebung des ursprünglichen „Dublin-Bescheides“ ist gem. § 31 Abs. 2 AsylVfG von Amts wegen zu prüfen, ob für den Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird. – Gegen eine negative Entscheidung im Rahmen dieser Prüfung könnte der Betroffene abermals klagen (= weitere Tatsacheninstanz) SEITE 30
Rechtsschutz in Deutschland • Eilantrag: Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage • Eilantrag begründet, wenn bei summarischer Prüfung das private Aussetzungsinteresse gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt – dies richtet sich nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache (= Klage) • Begründungsfrist: § 34a (2) AsylVfG sieht keine Frist für die Begründung vor, da es sich aber um ein „Eilverfahren“ handelt, sollte Begründung möglichst mit dem Antrag oder zeitnah erfolgen (dann ankündigen!) • Bei Ablehnung des Eilantrages evtl. noch möglich: Änderungsantrag nach § 80 (7) VwGO SEITE 31
Rechtsschutz in Deutschland Wichtig für die Beratung: • Datum der Zustellung (gelber Umschlag!) • Informationen in der Rechtsmittelbelehrung (Klage und Eilantragsfrist + zuständiges VG) • Informationen aus der Akte, insb. zum Lauf der Überstellungsfrist • Zusammentragen aller Informationen für Klage- und Eilantragsbegründung (Atteste, Dokumente/Nachweise zu familiären Beziehungen etc.) SEITE 32
Was ist sonst neu seit „Dublin-III“ ? • Weitere für die Praxis wichtige Neuregelungen: • Allgemeine Schutz- und Verfahrensgarantien • Familienbegriff • Minderjährigenschutz • Regelungen zur Möglichkeit der Inhaftierung SEITE 33
Allgemeine Schutz- und Verfahrensgarantien • Recht auf Information (Art. 4): Unterrichtung über Ziele der VO, Zuständigkeitskriterien und ihrer Rangfolge, Verfahren und dessen Dauer, pers. Gespräch, Rechtsbehelf, Aussetzungsantrag, Datenschutz schriftlich, Merkblatt in verständlicher Sprache; ggf. mündlich • Persönliches Gespräch (Art. 5): zeitnah, jedenfalls vor Überstellungsentscheidung verständliche Sprache, ggf. Dolmetscher Vertraulichkeit, qualifizierte Person Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2: flüchtig oder bereits sachdienliche Angaben gemacht SEITE 34
Familienbegriff • Art. 2 lit. g: “Familienangehörige” Ehegatte, dauerhafte Beziehung mj. unverheiratete Kinder Vater, Mutter oder anderer Erwachsener, der für Mj. verantwortlich ist (Dublin II nur Vormund) • Art. 2 lit. h: “Verwandter” (keine Rolle in Dublin II) volljähriger Onkel, Tante Großelternteil • Geschwister (keine Rolle in Dublin II) SEITE 35
Familienbegriff Art. 8: Zusammenführung von unbegleiteten Mj. mit Familienangehörigen oder Geschwister (Abs. 1), Verwandten (Abs. 2) Art. 9: Zuständigkeit des MS in dem sich schutzberechtigter Familienangehöriger aufhält Art. 10: Zuständigkeit des MS in dem sich Familienangehöriger aufhält, der Schutz beantragt hat Art. 11: Familienverfahren für Familienangehörige, unverheiratete mj. Geschwister (größter Teil der Familie oder ältester) Art. 16 Abs. 1: i.d.R. Zusammenführung abhängiger Personen zu Kindern, Geschwistern, Elternteil Art. 17 Abs. 2: Zusammenführung Personen “jeder verwandtschaftlichen Beziehung” aus humanitären Gründen (familiäre und kulturelle) Art. 20 Abs. 3: miteinreisende und nachgeborene Kinder verbunden mit Antragsteller SEITE 36
Minderjährigenschutz • Art. 6 Abs. 1: Kindeswohl als vorrangige Erwägung • Art. 6 Abs. 2: Vertretung unbegleiteter Mj. mit erforderlichen Qualifikationen und Fachkenntnissen • Art. 6 Abs. 3 und 4: Familienzusammenführung: Kooperation der MS und Recherchen (Ermittlung verwandter Personen) • Art. 8 Abs. 4: Anträge des unbegleiteten Mj. in mehreren MS EuGH, MA u.a., 6.6.2013: Staat des gegenwärtigen Aufenthalts zuständig Kommissionsvorschlag zur Änderung der Dublin-III-VO SEITE 37
Regelungen zur Möglichkeit der Inhaftierung • Art. 28 Abs. 1: nicht allein aufgrund Dublin-Verfahren zulässig BGH Beschluss vom 26. Juni 2014, V ZB 31/14 • Haft nur zulässig zur Sicherung der Überstellung, wenn: Einzelfallprüfung, erhebliche Fluchtgefahr, verhältnismäßig, kein milderes Mittel • Verkürzung der Dublin-Fristen (Übernahmeersuchen: 1 Monat, Antwort: 2 Wochen, Überstellung: 6 Wochen, sonst Entlassung) • Haftbedingungen etc.: Art. 9-11 AufnahmeRL anzuwenden Keine Unterbringung in der Strafhaft zulässig: EuGH Urt. v. 17.7.2014, Rs. C-473/13 u. C-514/13 SEITE 38
Die Dublin-III-VO Wichtige Änderungen gegenüber Dublin-II: • Gleichstellung Asylantrag – Antrag auf internationalen Schutz • Stärkung des Minderjährigen-Schutzes (Art. 8) • Rechtsschutzmöglichkeit (Art. 27 III -> § 34a AsylVfG) • Einschränkung der Möglichkeit der Inhaftierung (Art. 28) • Frühwarnmechanismus (Art. 33) SEITE 39
Umgang mit „Dublin“-Fällen im Rahmen der Asylberatung „Dublin“-Checkliste für die Beratung Fallbeispiele Wichtige Hinweise und Adressen SEITE 40
„Dublin“- Checkliste für die Beratung • Handelt es sich um einen „Dublin“-Fall (Reiseweg, Abgrenzung zu Anerkannten) • Verfahrensstand in Deutschland – Einhaltung der Verfahrensgarantien • Kontrolle der Fristen (Zeitstrahl: Einreise, Asylantragstellung, evtl. Zustellung des Bescheids (gelber Umschlag!), Ablauf Rechtsmittelfrist, Ablauf Überstellungsfrist) • Aktuelle Anschrift notieren (BAMF informieren) • BAMF Bescheid – Rechtsmittelbelehrung / Möglichkeit eines Eilrechtschutzantrags (§ 80 V VwGO) • Zusammentragen der Gründe, die aus Sicht der Antragstellerin / des Antragstellers gegen eine Überstellung sprechen (Minderjährigkeit, Familienmitglieder in Dt., Reiseunfähigkeit, Bedingungen im anderen MS) + Zusammenstellung möglicher Nachweise • Zuständigkeit / Selbsteintritt Deutschlands / Asylverfahren/Aufnahmebedingungen im Dublin-MS („systemische Mängel“) – Länderinformationen • Verstreichen der Überstellungsfrist bei Reiseunfähigkeit, Kirchenasyl (Problem: „Untertauchen“) SEITE 41 • Einschaltung eines Rechtsanwaltes / einer Rechtsanwältin - Finanzierung
Beispielsfälle Fall 1: • Ein syrischer Mann reist nach Deutschland ein, ihm kann kein Aufenthalt in anderem Dublin-MS nachgewiesen werden. Asylverfahren in Deutschland wurde eröffnet. • Seine Ehefrau und zwei Kinder befinden sich in Frankreich (Eurodac-Treffer, kein Asylantrag). • Welches Land ist zuständig? SEITE 42
Beispielsfälle Fall 2: • Eine erwachsene Frau aus Somalia reist über Bulgarien (Eurodac-Treffer, kein Asylantrag) in die EU ein, nach 2 Monaten weiter nach Österreich (Aufenthalt dort 3 Monate) und dann weiter nach Deutschland, wo sie sofort einen Asylantrag stellt. • Welches Land ist zuständig? • Abwandlung 1: Der Eurodac-Treffer weist auf eine illegale Einreise nach Bulgarien vor 14 Monaten hin. Die Frau hielt sich zwischenzeitlich 6 Monate in Österreich auf. In Deutschland ist sie seit 3 Monaten. • Abwandlung 2: Es handelt sich um eine Minderjährige, die keine Angehörige in einem Dublin-MS hat. SEITE 43
Beispielsfälle Fall 3: • Ein Mann tschetschenischer Herkunft reiste im Dezember 2012 nach Deutschland ein und stellte im April 2013 einen Asylantrag. Vorher hielt er sich 4 Tage lang in Polen auf (Eurodac-Treffer, Asylantrag). Er galt Anfang 2013 als „untergetaucht“, die Überstellungsfrist wurde auf 18 Monate verlängert, bis zum 7.8.2014. Am 24.6.2014 sollte die Überstellung stattfinden, er wurde nicht angetroffen. • Welches Land ist am 9.8.2014 zuständig? SEITE 44
Beispielsfälle Fall 4: • Eine Frau mit ihrem 2jährigen Kind aus Eritrea ist über Malta (Eurodac-Treffer, Asylantrag) nach Deutschland eingereist. • Welches Land ist zuständig? • Abwandlung: Es handelt sich um einen alleinstehenden Mann. SEITE 45
Beispielsfälle Fall 5: • Eine dreiköpfige Familie aus Afghanistan ist über Ungarn nach Deutschland eingereist. In Ungarn hat die Familie subsidiären Schutz erhalten. • Welches Land ist zuständig? SEITE 46
Wichtige Hinweise und Adressen • Informationen zum konkreten Dublin-Verfahren : • Direkt beim BAMF (in der Regel durch Akteneinsich „Aktenstammblatt“, Eurodactreffer, Interview-Protokoll, Datum Übernahmeersuchen, Datum Antwort MS, Verfristungsschreiben, Aktenvermerke, Bescheid mit Rechtsbehelfsbelehrung • Konkrete Informationen zum Vollzug der Überstellung: ABH • Allgemeine Verfahrens- und Länderinformationen: • www.bamf.de • AI Jahresberichte / www.amnesty.de/Laenderberichte (z.B. aktueller Bericht zur Situation in Bulgarien) / www.amnesty.eu / www.amnesty.org • www.unhcr.de / www.unhcr.org / www.refworld.org (z.B. UNHCR zu Italien, Bulgarien, Ungarn) • www.refworld.org / www.ecoi.net • www.fluechtlingshilfe.ch für Berichte der Schweizer Flüchtlingshilfe • www.asyl.net (auch wichtige Rechtsprechungsdatenbank) • www.migrationsrecht.net • www.proasyl.de • Polnishe NGO SIPhttp://interwencjaprawna.pl/cic/information-centre-for-foreigners/ • Email: biuro@interwencjaprawna.pl • Literaturhinweise: Asylmagazin (insb. Beilage zum Asylmagazin 7-8/2013 und SEITE 47 Asylmagazin 11/2013)
VIELEN DANK! Kontakt: mantel@aufenthaltsrecht.net
Sie können auch lesen