DIE EU-RICHTLINIE ZUM HINWEISGEBER-SCHUTZ - JKU ePUB

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                                        Bernhard Feytl

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                                        Institut für Europarecht

                                        Beurteiler / Beurteilerin
                                        Univ.-Prof. Dr. Franz
                                        Leidenmühler

DIE EU-RICHTLINIE                       April 2021

ZUM HINWEISGEBER-
SCHUTZ

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
                                        DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Krems an der Donau, 01.04.2021

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Inhaltsverzeichnis

I.    Einleitung ................................................................................................................. 4

II.   Whistleblowing im Allgemeinen ................................................................................ 5

      A. Begriffserklärung Whistleblowing ....................................................................... 5

      B. Formen des Whistleblowings ............................................................................. 7

         1.    Internes Whistleblowing .................................................................................. 7

         2.    Externes Whistleblowing................................................................................. 7

         3.    Anonymes und offenes Whistleblowing .......................................................... 8

      C. Motivation und Beweggründe des Whistleblowers ............................................. 9

      D. Negative Konsequenzen für Whistleblower ...................................................... 10

      E. Whistleblowing im Lichte des Art 10 EMRK ..................................................... 12

III. Der Weg der WBRL – Von der Entstehung bis zur Umsetzung in das nationale Recht
      ............................................................................................................................... 14

      A. Überblick: Whistleblowing in den USA ............................................................. 14

      B. Bisherige Rechtslage in der EU ....................................................................... 15

      C. Hinweisgebersysteme in Österreich ................................................................. 16

         1.    Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ............................. 16

         2.    Finanzmarktaufsicht (FMA) ........................................................................... 17

         3.    Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ............................................................. 17

      D. Entstehung der WBRL ..................................................................................... 17

         1.    Vorarbeiten ................................................................................................... 17

         2.    Ordentliches Gesetzgebungsverfahren......................................................... 18

      E. Umsetzung in nationales Recht........................................................................ 19

IV. Die WBRL............................................................................................................... 20

      A. Ziele der Richtlinie ........................................................................................... 20

      B. Anwendungsbereich ........................................................................................ 20

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1.    Sachlicher Anwendungsbereich.................................................................... 20

         2.    Persönlicher Anwendungsbereich ................................................................ 22

      C. Whistleblowing-Stellen ..................................................................................... 22

         1.    Interne Kanäle .............................................................................................. 23

         2.    Externe Kanäle ............................................................................................. 25

         3.    Gemeinsame Vorschriften für interne und externe Meldungen ..................... 26

         4.    Offenlegung .................................................................................................. 26

      D. Schutzmaßnahmen .......................................................................................... 27

         1.    Schutz für Hinweisgeber ............................................................................... 27

         2.    Schutz für betroffene Personen .................................................................... 30

         3.    Sanktionen ................................................................................................... 30

V. Offene Fragen und Herausforderungen .................................................................. 31

      A. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nationale Rechtsverstöße .............. 31

      B. Schaffung anonymer Meldekanäle ................................................................... 32

      C. Stärkung staatlicher Whistleblowing-Behörden ................................................ 33

      D. Finanzielle Unterstützung für Whistleblower..................................................... 34

VI. Fazit ....................................................................................................................... 35

Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 36

Materialienverzeichnis ................................................................................................... 39

Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische Ausdrücke
verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen sollen als geschlechtsunabhängig
verstanden werden.

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I. Einleitung

„I realised that I was part of something that was doing far more harm than good.” 1 Als
Edward Snowden im Sommer 2013 die NSA-Affäre auslöste, indem er das sogenannte
PRISM-Programm                   zur         weltweiten   Internetüberwachung     durch       den      US-
Militärgeheimdienst enthüllte, ahnte er vermutlich schon die Tragweite seines Falles. Er
flüchtete ins Exil nach Hongkong, ließ seine Familie sowie Hab und Gut in den Vereinigten
Staaten zurück.2 Snowden ist ein sogenannter Whistleblower 3 – eine Person, die einen
Missstand in einer Organisation aufzeigt. Durch die mediale Berichterstattung geriet er
schnell in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Solidarisierung und Ikonisierung
auf der einen Seite, Verachtung und Diffamierung auf der anderen.

Die Geschichte Snowdens ist sicherlich ein extremes Beispiel, jedoch bei weitem kein
Einzelfall. Jährlich wenden sich unzählige Personen an interne und öffentliche Stellen, um
auf fragwürdige oder rechtswidrige Praxen ihrer Arbeitgeber aufmerksam zu machen.

Bislang war der rechtliche Schutz von Whistleblowern in Europa, aber vor allem auch in
Österreich, durch eine starke Fragmentierung geprägt. Dies soll sich mit der EU-Richtlinie
zum Hinweisgeber-Schutz4 vom 23. Oktober 2019 (kurz: „Whistleblower-Richtlinie“ – in
der Folge „WBRL“ genannt) ändern. Alle Mitgliedstaaten sind verpflichtet, innerhalb der
Umsetzungsfrist bis 17.12.2021 adäquate nationale gesetzliche Regelungen zu schaffen.

Die vorliegende Diplomarbeit nähert sich zunächst dem Begriff des Whistleblowings an.
Weiters soll ein Einblick in die Motivation eines Whistleblowers gegeben werden und auch
aufgezeigt werden, welche Folgen Whistleblowing mit sich bringt. Nach einer Betrachtung
des Entstehungsprozesses der Richtlinie, werden die wichtigsten Regelungen darin näher
beleuchtet. Ziel ist es, auf dieser Grundlage, potenzielle Herausforderungen, welche die
Richtlinie mit sich bringt, zu identifizieren.

1  Greenwald/MacAskill/Poitras, Edward Snowden: the whistleblower behind the NSA surveillance revelations,
https://www.theguardian.com/world/2013/jun/09/edward-snowden-nsa-whistleblower-surveillance (abgefragt am
17. 2. 2021).
2 Vgl Beitzer/Klasen, Allein gegen die Supermacht, https://www.sueddeutsche.de/politik/whistleblower-edward-
snowden-allein-gegen-die-supermacht-1.1692537 (abgefragt am 17. 2. 2021).
3   Begriffserklärung siehe Kapitel II. A.
4Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von
Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABl 2019 L 305 2019.

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II. Whistleblowing im Allgemeinen

A. Begriffserklärung Whistleblowing

Der Ursprung des Begriffs „Whistleblowing“ ist ungewiss. Eine gängige Herleitung ist die
Anlehnung an die Rolle eines Schiedsrichters. So kann dieser, etwa im Zuge eines
Fußballspiels, jederzeit seine Pfeife betätigen, um das Geschehen am Spielfeld zu
unterbrechen.5

In der Berufswelt ist der Terminus „Whistleblowing“ meist negativ behaftet. Versucht man
den Begriff in die deutsche Sprache zu übersetzen, landet man daher zwangsläufig bei
abschätzigen Bezeichnungen, wie etwa „petzen“. 6

Ein Blick in den angloamerikanischen Sprachraum zeigt, dass es dort ein klares
Verständnis über die zugeschriebene Bedeutung gibt. So versteht man unter einem
Whistleblower eine Person, die illegale oder unmoralische Handlungen Dritter zu Tage
bringt.7 Als Whistleblowing ist somit der Akt der Enthüllung anzusehen.8

Betrachtet man Whistleblowing als Prozess, sind diesem vier Elemente inhärent: (1) eine
Person, die zum Beobachter wird, (2) das Preisgeben der Beobachtung, (3) eine Person
bzw Stelle, der die Beobachtung zugetragen wird und (4) eine Institution, gegen die sich
die Enthüllung richtet.9

Zunächst muss die Person, welche eine Situation beobachtet, die Entscheidung treffen,
ob die wahrgenommene Handlung unrechtmäßig und damit unerlaubt, unmoralisch bzw
unzulässig ist. Der Beobachter wird die wahrgenommene Handlung eher als Verfehlung
einstufen, wenn diese mit seinen eigenen Werten bzw mit jenen, die das Unternehmen
vertritt, im Konflikt steht.10

Wichtig ist zu erwähnen, dass die Person, welche ein Fehlverhalten beobachtet, nicht
automatisch zum Whistleblower wird. Dies tritt erst ein, sobald sie sich einer Person

5Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle. The Organizational and Legal Implications for Companies and Employees (1992)
15.
6   Vgl Haasler, Compliance, in Abeln (Hrsg), Handbuch für Führungskräfte3 (2019) 157 (173).
7 Vgl Süßbrich, Compliance in der arbeitsrechtlichen Praxis, in Wecker/van Laak (Hrsg), Compliance in der
Unternehmerpraxis2 (2009) 221 (225).
8   Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle 16.
9   Vgl Near/Miceli, Organizational Dissidence: The Case of Whistle-Blowing, Journal of Business Ethics 1985, 1 (2).
10   Vgl Near/Miceli, Journal of Business Ethics 1985, 1 (4).

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anvertraut, die selbst Einfluss auf die Behebung der Missstände hat. Die Informationen
lediglich mit dem persönlichen sozialen Umfeld (zB Arbeitskollegen, Familie oder
Freunde) zu teilen, reicht nicht aus.11

Folglich muss es sich bei der Person, welcher die Beobachtung zugetragen wird,
beispielsweise           um     einen      Vorgesetzten,        einen    Verantwortlichen        innerhalb      des
Unternehmens oder eine zuständige Behörde handeln. 12

Zum Whistleblower wird man daher erst, wenn man einen Hinweis zu einer fragwürdigen
Handlung gibt.13 Die berichtende Person wird dadurch zum Hinweisgeber.14

Diese Herleitung ist dahingehend von Bedeutung, da sich die WBRL in ihrer deutschen
Fassung durchgängig dem Begriff des „Hinweisgebers“ („reporting person“) bedient:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚Hinweisgeber‘ eine
natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte
Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt;“15

Ergänzend sei erwähnt, dass der Impulsgeber für die Meldung eines Missstandes auch
die Institution selbst sein kann, indem sie ihre Mitarbeitenden dazu anhält, ein intern
beobachtetes Fehlverhalten aufzuzeigen.16

Whistleblowing sollte somit nicht bloß als eine isolierte Handlung einer Einzelperson
betrachtet werden. Vielmehr bietet es das Potenzial, als Hinweisgebersystem in die
Unternehmensstruktur einer Institution eingebettet zu werden. 17

11   Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle 15 f.
12Vgl Glaser/Komenda, Whistleblowing in Österreich - Gefahren, Probleme und Lösungsmöglichkeiten, Journal für
Rechtspolitik 2012, 207 (209).
13   Vgl Near/Miceli, Journal of Business Ethics 1985, 1 (4).
14   Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (209).
15   WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 5 Z 7.
16   Vgl Haasler in Abeln3 157 (173).
17   Vgl Hlavica/Klapproth/Hülsberg, Tax Fraud & Forensic Accounting. Umgang mit Wirtschaftskriminalität1 (2011) 387.

                                                                                                                    6
B. Formen des Whistleblowings

1. Internes Whistleblowing

Nach der Konkretisierung des Begriffs „Whistleblowing“, bedarf es einer näheren
Betrachtung der verschiedenen Ausformungen.

Zunächst muss zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden werden.
Entscheidend ist hierbei der Adressat, dem der Missstand gemeldet wird.18 Im Fall des
internen Whistleblowings, muss dieser grundsätzlich in dieselbe Organisation wie der
Hinweisgeber eingegliedert sein. 19 Interne Whistleblowing-Anlaufstellen können etwa (1)
ein Vorgesetzter, (2) die Geschäftsleitung, (3) der Betriebsrat, (4) der Aufsichtsrat oder
(5) der Compliance Officer sein.20 Die Meldung an einen unmittelbar Vorgesetzten wird
allerdings oft nicht als Whistleblowing gewertet,21 da dies als eine dem üblichen
Dienstweg folgende Interaktion betrachtet wird.22

Für das interne Whistleblowing spricht, dass etwa Geschäftsgeheimnisse nicht nach
außen getragen werden und der Organisation generell die Möglichkeit geboten wird, die
Missstände intern deeskalierend und diskret aufzuarbeiten und, im besten Fall, zu
beseitigen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Meldung des Hinweisgebers auf „taube
Ohren“ stößt, oder noch schlimmer, dass er folglich Repressionen durch Mitarbeiter oder
Vorgesetzte ausgesetzt wird.23

2. Externes Whistleblowing

Wendet sich der Hinweisgeber an außenstehende Stellen, wie etwa staatliche Behörden,
Staatsanwaltschaft oder Presse, so spricht man von externem Whistleblowing.24 Eine
weitere Möglichkeit stellen Ombudspersonen dar. Sie sind zwar nicht in die

18   Vgl Simonet, Notwendigkeit eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern? RdA 2013, 236 (236).
19   Vgl Thüsing/Forst, Whistleblowing, in Thüsing (Hrsg), Beschäftigtendatenschutz und Compliance2 (2014) § 6 (Rn 14).
20   Vgl Simonet, RdA 2013, 236 (236).
21   Vgl Hauser, Das Bild von Whistleblowing in der österreichischen Versicherungswirtschaft, ÖBA 2009, 497 (498).
22 Vgl Briegel, Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme1 (2009) 17zitiert nach
Vinten, Whistleblowing: Fact and Fiction. An Introductory Discussion, in: Vinten, Gerald (Hrsg.): Whistleblowing:
Subversion or Corporate Citizenship? Gateshead 1994.
23   Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15).
24   Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 14).

                                                                                                                      7
Unternehmensstruktur eingegliedert, gehören aber der Compliance-Struktur des
jeweiligen Unternehmens an. Ein Vorteil liegt darin, dass Unternehmen diesen Stellen
gegenüber weder Weisungen geben noch Kontrolle ausüben können.25

Beleuchtet man auch hier das Pro und Kontra, so spricht für externes Whistleblowing die
hohe Wirksamkeit, um auf einen Missstand in einer Organisation aufmerksam zu
machen.26 So zeigen etwa Dworkin und Baucus auf, dass der externe Weg des
Whistleblowings bei höhergradigen Missständen eher gewählt wird. Grund dafür ist die
Erwartung einer höheren Effektivität, das Unternehmen dazu zu bewegen, sich den
Missständen zu widmen. 27 Der Gang an die Öffentlichkeit wird meist nur als ultima ratio
angesehen,28             denn der Preis dafür kann hoch sein. So kommt es nicht selten zur
Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Hinweisgeber. Auch langwierige und
kostspielige Gerichtsverfahren können daraus resultieren.29 Generell birgt diese Form des
Whistleblowings             vor     allem     auch   für   ein    Unternehmen          die    Gefahr,      dass
Geschäftsgeheimnisse nach außen dringen können. Dementsprechend hoch ist das
Eskalationsrisiko.30

3. Anonymes und offenes Whistleblowing

Gibt der Hinweisgeber seine Identität nicht bekannt, so liegt anonymes Whistleblowing
vor. Eine Nichtbestimmbarkeit der Person liegt aber oft nur in der Theorie vor. Die Praxis
zeigt, dass häufig auf eine Person bzw einen einzugrenzenden Personenkreis
geschlossen werden kann. Um das Risiko der Enttarnung zu minimieren, können sich
Whistleblower an Stellen wenden, die zur Wahrung ihrer Identität angehalten sind. In
solchen Fällen liegt vertrauliches Whistleblowing vor. Von offenem Whistleblowing spricht

25 Vgl Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance. Handbuch der Haftungsvermeidung im Unternehmen 3
(2016) § 42 Rn 22.
26   Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15).
27Vgl Dworkin/Baucus, Internal vs. External Whistleblowers: A Comparison of Whistleblowering Processes, Journal of
Business Ethics 1998, 1281 (1295).
28Vgl Falter, Whistleblower (un)erwünscht? in Roters/Gräf/Wollmann (Hrsg), Zukunft denken und verantworten (2020)
353 (361).
29   siehe etwa Kapitel E. „Fall Heinisch“
30   Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15).

                                                                                                                 8
man nur, wenn sich der Hinweisgeber bewusst zu erkennen gibt. Diesen Schritt wagen
naturgemäß nur wenige.31

C. Motivation und Beweggründe des Whistleblowers

Einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt des gesamten Whistleblowing-Prozesses stellt
die innere Motivation des Hinweisgebers, einen Missstand zu melden, dar.

Wenn man bedenkt, dass ein Whistleblower in der Regel einer bei weitem finanziell
überlegenen Organisation gegenübersteht und im schlechtesten Fall gegen diese auch
noch vor Gericht durch die Instanzen prozessieren muss, sind die Beweggründe umso
mehr von Interesse.32

Einen ersten Überblick für eine Typisierung bieten Gobert und Punch. Besonders
hervorzuheben sind dabei: (1) Der besorgte Bürger – er stellt das in der Gesellschaft
postulierte Idealbild eines Whistleblowers dar, indem er ohne schädliche Hintergedanken
die Behebung von Missständen anstrebt. Seine Meldung unterliegt der Mutmaßung, dass
der Missstand der Organisation bis dato nicht bekannt war. (2) Der Idealist - seine
persönlichen Erwartungen betreffend das Verhalten anderer Mitarbeitenden und das
allfällig ausbleibende Ziehen von Konsequenzen seitens der Organisation, führen zu
Frustration. Ein Hinnehmen einer solchen Situation scheint für ihn nicht tragbar, wodurch
er sich zur Meldung verpflichtet sieht. (3) Rache – hier stehen Personen im Fokus, welche
die Organisation bereits verlassen haben. Diese streben nach persönlicher Genugtuung
in Folge eines unrühmlichen Ausscheidens aus der Organisation.33

Ergänzend zu dieser Einteilung können auch eigennützige Beweggründe für das Handeln
des Hinweisgebers impulsgebend sein. So ist hierbei die Erwartung eines finanziellen
Profits oder beruflichen Aufstiegs nicht selten zu beobachten.34 Andererseits kann es

31   Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 11).
32   Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (355).
33Vgl Gobert/Punch, Whistleblowers, the Public Interest, and the Public Interest Disclosure Act 1998, The Modern Law
Review Limited 2000 (31).
34 Vgl Müller-Petzner, Verlangt die Treuepflicht im Beschäftigungsverhältnis Missstände aufzudecken und
Rechtskonformität einzufordern? CCZ 2018, 162 (163).

                                                                                                                   9
auch darum gehen, dass sich der Whistleblower durch eine Meldung aufgrund von
Missständen in der Organisation selbst entlasten möchte. 35

In diesem Zusammenhang muss auch notwendigerweise betrachtet werden, welche
Motive dafür ausschlaggebend sein können, einen Missstand nicht zu melden. Nitsch et
al. sehen hier verschiedene Ursachen: zum einen Unsicherheit, da die Person nicht sicher
ist, ob es sich beim beobachteten Missstand tatsächlich um einen solchen handelt.
Andererseits kann auch die Sorge um eine soziale Ausgrenzung innerhalb der
Organisation soweit überwiegen, dass von einer Meldung gänzlich abgesehen wird. 36
Häufig lässt vor allem die Angst vor Repressalien einen möglichen Hinweisgeber von
einer Meldung absehen.37

Im Hinblick auf die WBRL spielt es jedoch keine Rolle, welche Beweggründe hinter einer
Meldung des Whistleblowers stecken. Sie knüpft hinsichtlich der Schutzwürdigkeit
lediglich an die Gutgläubigkeit des Hinweisgebers an. Absichtlich falsche und irreführende
Meldungen sind daher nicht umfasst.38 Somit wird der Informationsgehalt der Meldung
gegenüber der Motivation priorisiert.39

D. Negative Konsequenzen für Whistleblower

Wie in den bisherigen Ausführungen bereits erwähnt, ziehen Meldungen oft negative
Konsequenzen für den Hinweisgeber nach sich. Im Folgenden sollen die häufigsten
Formen zusammengefasst werden.

Innerhalb einer Organisation lassen sich folgende Varianten feststellen: (1) informelle
Vergeltung – so kann es etwa zu persönlicher Vergeltung und sozialer Ausgrenzung
kommen.40 Dies äußert sich vor allem in Mobbing durch das Kollegium oder Bossing (zB

35Vgl Jedynak, Interne Erhebungen in Wirtschaftsstrafsachen mit Auslandsbezug 21 (2019) 264zitiert nach: Mayer, Die
Auswirkungen des "Yates Memorandums" in den USA und die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht in
Deutschland, ZWH 2016, 301-304.
36 Vgl Nitsch/Baetz/Hughes, Why Code of Conduct Violations go Unreported: A Conceptual Framework to Guide
Intervention and Future Research, J Bus Ethics 2005, 327 (334).
37   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 1.
38   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 32.
39   Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (363).
40   Vgl Briegel, Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme1 153.

                                                                                                                 10
Einteilung unzumutbarer Schichten)41 durch Vorgesetzte. Die negativen Konsequenzen
können sich dabei auch auf Angehörige des Whistleblowers erstrecken. Im schlimmsten
Fall sind Akte der Gewalt bzw kriminelle Handlungen nicht auszuschließen.42 (2) Formelle
Vergeltung – hier sticht vor allem die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den
Arbeitgeber hervor.43 Es werden dafür oft andere Gründe vorgeschoben, um dies zu
legitimieren.44 Im Zuge dessen kommt es mitunter zu jahrelangen Gerichtsverfahren,
welche die psychischen und finanziellen45 Ressourcen des Hinweisgebers erschöpfen.46

In Bezug auf beide Varianten ist die generelle Einstellung der Organisation zum
Whistleblowing richtungsweisend. Dementsprechend gestaltet sich die Intensität der
Vergeltung.47

Auch außerhalb der Organisation ist der Whistleblower nicht vor negativen Konsequenzen
gefeit. So kann ihm aufgrund von „blacklisting” ein erneutes Fußfassen in der jeweiligen
Branche erschwert bzw gar verwehrt werden. 48 Im Extremfall kann sich die soziale
Ausgrenzung so weit über die Organisationsgrenzen hinweg ausdehnen, dass der
Whistleblower als letzte Konsequenz das Land verlässt.49

41   Vgl Wiedmann/Seyfert, Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum Whistleblowing, CCZ 2019, 12 (13).
42   Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (221).
43 Vgl Eckel, Mehr Schutz für Whistleblower, https://www.wienerzeitung.at/themen/recht/recht/987595-Mehr-Schutz-
fuer-Whistleblower.html?em_cnt_page=2 (abgefragt am 4. 8. 2020).
44   Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (360).
45   Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (221).
46   Vgl Sixt, Whistleblowing im Spannungsfeld von Macht, Geheimnis und Information (2020) 54.
47   Vgl Sixt, Whistleblowing im Spannungsfeld von Macht, Geheimnis und Information 70.
48Vgl Rapp, Beyond Protection: Invigorating Incentives for Sarbanes-Oxley Corporate and Security Fraud
Whistleblowers, Boston University Law Review 2007, 91 (124).
49 Vgl Geißler, Was ist ein Whistleblower? https://www.manager-magazin.de/harvard/print/hm/d-44428778.html
(abgefragt am 10. 3. 2021).

                                                                                                              11
E. Whistleblowing im Lichte des Art 10 EMRK

Für internationales Aufsehen sorgte die Entscheidung Bsw 28274/0850 des Europäischen
Gerichtshofs          für    Menschenrechte          (EGMR)           vom    21.      Juli      2011     über          eine
Individualbeschwerde der deutschen Staatsbürgerin Brigitte Heinisch. Das Urteil war vor
allem für die Frage richtungsweisend, inwiefern Art 10 EMRK – das Recht auf freie
Meinungsäußerung – Whistleblowing schützt.

Die Beschwerdeführerin Heinisch war seit 2002 Altenpflegerin in einem Berliner
Pflegeheim der Vivantes GmbH. Sie wurde gekündigt, nachdem sie Strafanzeige wegen
schwerem Betrug gegen ihren Arbeitgeber erstattete. Diese begründete sie dadurch, dass
die       Vivantes       GmbH       versprochene         Pflegeleistungen             aufgrund         von     akutem
Personalmangel wissentlich nicht erbringen konnte. Mehrmaliges Hinweisen durch
Heinisch auf den Personalnotstand und den daraus resultierenden Pflegemangel
fruchtete bei der Heimleitung nicht. Besagte Mängel wurden auch durch den bereits
involvierten Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) festgestellt. Allerdings
wurde         das     Verfahren        durch      die     Staatsanwaltschaft            eingestellt          und        die
Beschwerdeführerin, unter dem Vorwand wiederholter Krankenstände, gekündigt. In
weiterer Folge verteilte sie Flugblätter, um auf die Missstände und ihre Kündigung
aufmerksam zu machen. Dies brachte ihr allerdings eine fristlose Kündigung –
gleichzusetzen mit der österreichischen Entlassung51 – ein. Nach Erschöpfung des
innerstaatlichen Instanzenzuges wandte sich Heinisch mit einer Individualbeschwerde
gemäß Art 34 EMRK an den EGMR. Mit der fristlosen Kündigung sei aufgrund der
erstatteten         Strafanzeige      ihr   in    Art    10    EMRK         verankertes         Recht        auf       freie
Meinungsäußerung verletzt worden.52

Der EGMR stellte fest, dass es sich bei der von Heinisch erstatteten Strafanzeige um
Whistleblowing handelte und diese somit in den Schutzbereich des Art 10 EMRK fällt.
Weiters        stellen      die   Kündigung       sowie       die      darauf    folgenden        innerstaatlichen
Gerichtsentscheidungen einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. 53

50   EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland.
51 Vgl Wennig, Whistleblower, in AIDP/Österreichischer              Juristenverband   (Hrsg),   Whistleblowing     -    das
Hinweisgebersystem im österreichischen Recht (2015) 50 (55).
52   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 6 ff.
53   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 43 ff.

                                                                                                                          12
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellte der EGMR das öffentliche Interesse
an der Offenlegung der Missstände einer möglichen Schädigung des Arbeitgebers
gegenüber. Aufgrund der aus dem Dienstverhältnis entspringenden Loyalitätspflicht sei
der Arbeitnehmer zunächst dazu angehalten, einen Missstand intern zu melden. Der
Gang an die Öffentlichkeit kommt nur als ultima ratio in Frage. Mitzuberücksichtigen seien
außerdem die Beweggründe des Whistleblowers. So rechtfertigen etwa Motive wie Rache
oder Eigennützigkeit kein hohes Schutzniveau. Der Hinweisgeber müsse im guten
Glauben handeln und dabei von der Authentizität der offengelegten Information überzeugt
sein. Zuletzt fließen auch die Schwere der Sanktionen gegen den Whistleblower und
deren Folgen in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit ein. 54

In seiner Entscheidung strich der EGMR das öffentliche Interesse an der Offenlegung
aufgrund         der    besonderen        Schutzbedürftigkeit          der   Patienten   hervor.   Da   die
Beschwerdeführerin die Missstände mehrmals bereits intern gemeldet hatte, darauf aber
nie reagiert wurde, sah der Gerichtshof die Offenlegung als letztes probates Mittel an. An
der Richtigkeit der Angaben hinsichtlich der Missstände konnte auch nicht gezweifelt
werden, da bereits der MDK einen akuten Pflegemangel feststellen konnte. Dass die
Beschwerdeführerin im guten Glauben gehandelt hat, sah der EGMR vor allem dadurch
untermauert, dass sie sich erst nach erfolglosen internen Meldungen an die
Staatsanwaltschaft gewandt hat.55

Schließlich kam der Gerichtshof zu dem Entschluss, dass ein öffentliches Interesse an
der Offenlegung gegenüber den Arbeitgeberinteressen – vor allem wirtschaftlicher Natur
sowie Reputation – überwiegt.56 Die fristlose Kündigung stelle eine unverhältnismäßig
schwere Sanktion dar und die Beschwerdeführerin wurde dadurch in ihrem Grundrecht
auf freie Meinungsäußerung verletzt.57

Somit hielt der EGMR erstmals fest, dass Whistleblowing unter Art 10 EMRK zu
subsumieren ist. Vor allem aus nationaler verfassungsrechtlicher Sicht ist diese
Entscheidung von großer Bedeutung, steht doch die EMRK in Österreich im
Verfassungsrang.

54   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 65 ff.
55   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 71 ff.
56   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 88 ff.
57   Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 92.

                                                                                                         13
III. Der Weg der WBRL – Von der Entstehung bis zur Umsetzung in das
     nationale Recht

A. Überblick: Whistleblowing in den USA

Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Whistleblowing“ ist ein Blick in die
Vereinigten Staaten obligatorisch. Dort wurde seit Jahrzehnten ein umfassender
Whistleblower-Schutz kontinuierlich weiterentwickelt, der vor allem aus der Perspektive
Europas als Vorbild fungieren soll. Im Folgenden werden drei US-Bundesgesetze kurz
vorgestellt, die den US-amerikanischen Whistleblowing-Schutz geprägt haben.

Bereits 1863 wurde erstmals ein Schutz für Whistleblower im sogenannten Federal False
Claims Act („Lincoln Law“) bundesgesetzlich verankert. 58 Dieses Gesetz sollte vor allem
die US-Regierung vor Betrügereien durch Privatpersonen oder Organisationen zu Zeiten
des amerikanischen Bürgerkrieges schützen, indem Personen, welche eine solche
betrügerische Aktivität meldeten, Provisionszahlungen zugesprochen wurden.59

2002 wurde in Folge der Bilanzskandale (vor allem des Energiekonzerns Enron und der
Telefongesellschaft Worldcom) der sogenannte Sarbanes-Oxley Act (SOX) erlassen. 60
Dieser verpflichtet Unternehmen, welche an US-Börsen notiert sind, zur Einrichtung
unternehmensinterner                Whistleblowing-Hotlines.61              Demnach      werden    sämtliche
Repressalien dem hinweisenden Mitarbeiter gegenüber verboten, bei sonstiger
strafrechtlicher Verfolgung der Unternehmensführung. 62 Da der SOX auch für
ausländische Unternehmen gilt, deren Aktien an den US-Börsen gehandelt werden,
können davon auch österreichische Unternehmen betroffen sein. 63

Eine Konsequenz der Finanzmarktkrise von 2007 war die Schaffung des Dodd-Frank Act
von 2010. Mit ihm wurde ein Belohnungssystem für die Meldung von Verstößen gegen
den       US-Kapitalmarkt           eingeführt.64      Die     10   bis     30-prozentige   Beteiligung    des

58   Vgl Buxbaum/Cailteux, Konrad, L., Federal False Claims Act, ecolex 2010, 28 (28).
59   Vgl Schürrle/Fleck, „Whistleblowing Unlimited”, CCZ 2011, 218 (218).
60   Vgl Grützner/Jakob, Compliance von A-Z2 (2015).
61   Vgl Arnold, Whistleblower-Richtlinie und Gold Plating, GesRZ 2020 (153).
62   Vgl Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts4 (2016) § 79 (Rn 121).
63   Vgl Pollirer, Checkliste Whistleblowing, Dako 2020, 38 (38).
64Vgl Fleischer/Schmolke, Finanzielle Anreize für Whistleblower im Europäischen Kapitalmarktrecht? NZG 2012, 361
(368).

                                                                                                              14
Whistleblowers an der verhängten Geldstrafe erreicht dabei nicht selten den
siebenstelligen US-Dollarbereich.65

B. Bisherige Rechtslage in der EU

2020 verfügte etwa nur ein Drittel der EU-Staaten (darunter Frankreich, Italien,
Niederlande, Ungarn und Schweden) über einen umfassenden Hinweisgeber-Schutz. 66
Einen EU-weiten Whistleblowing-Schutz ließ das EU-Recht bis zuletzt vermissen.
Einzelne         Rechtsakte        beschränken          sich     vor   allem    auf     den      Bereich      der
Finanzmarktregulierung. Hervorzuheben sind hier etwa die Eigenkapitalrichtlinie67, die
Marktmissbrauchsverordnung68,                     die          Finanzmarktrichtlinie69,          sowie         die
Geldwäscherichtlinie70. Ihnen ist die Verpflichtung der nationalen Behörden zur
Einrichtung vertraulicher Meldekanäle gemeinsam.71

Speziell für die WBRL ist aber die Geschäftsgeheimnis-Richtlinie72 von Relevanz.
Demnach kann gemäß Art 3 Abs 2 unter anderem die Offenlegung eines
Geschäftsgeheimnisses rechtmäßig sein, wenn dies durch Unionsrecht oder nationales

65   Vgl Hlavica/Klapproth/Hülsberg, Tax Fraud & Forensic Accounting1 391.
66      Vgl   Whistleblower:     Neue      Vorschriften   für  EU-weiten      Schutz     von      Informanten,
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleblower-neue-vorschriften-fur-eu-
weiten-schutz-von-informanten (abgefragt am 24. 9. 2020).
67Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit
von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie
2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinie 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl 2013 L 176.
68 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über
Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl 2014
L 173.
69 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für
Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl 2014 L 173.
70Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der
Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der
Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie
2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl 2015 L
141.
71   Vgl Gerdemann, Whistleblower als Agenten des Europarechts, NZA-Beilage 2020, 43-49 (43f).
72Richtlinie 2016/943/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen
Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie
rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl 2016 L 157 2016.

                                                                                                                 15
Recht vorgesehen ist.73 Der Erwägungsgrund 98 der WBRL spricht dabei von einer
einander ergänzenden Betrachtung beider Richtlinien. 74

C. Hinweisgebersysteme in Österreich

Da aufgrund der starken Fragmentierung des Whistleblowing-Schutzes in Österreich eine
Betrachtung sämtlicher gesetzlicher Regelungen den Rahmen dieser Arbeit sprengen
würde, sollen in der Folge die drei wichtigsten derzeit bestehenden behördlichen
Hinweisgebersysteme überblicksartig vorgestellt werden.

1. Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA)

2013 richtete das Justizministerium, zunächst nur für einen zweijährigen Probebetrieb,
auf       Grundlage       des     §    2a     Abs       6   StAG75      ein    internetbasiertes           anonymes
Hinweisgebersystem bei der WKStA ein.76 Das seit 2016 nun im Regelbetrieb laufende
System bietet            Whistleblowern         die     Möglichkeit,     Hinweise zu Wirtschafts-               und
Korruptionsdelikten77 über einen elektronischen Postkasten anonym der WKStA zu
melden und mit dieser zu kommunizieren.78 Dem zuständigen Staatsanwalt obliegt es in
der Folge, anhand der eingelangten Meldung ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.79

73   Vgl Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943/EU, ABl 2016 L 157, Art 3 Abs 2.
74   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 98.
75Bundesgesetz vom 5. März 1986 über die staatsanwaltschaftlichen Behörden (Staatsanwaltschaftsgesetz – StAG),
BGBl 1986/164.
76   Vgl Goricnik/Grünanger/Leissler, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 (2018) Rn 8.22.
77   siehe die in § 20a Abs 1 StPO genannten Delikte.
78   Vgl Hinweisgebersystem (Hinweise zur Aufklärung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption),
https://www.justiz.gv.at/wksta/wirtschafts--und-
korruptionsstaatsanwaltschaft/hinweisgebersystem~2c9484853d643b33013d8860aa5a2e59.de.html (abgefragt am
25. 2. 2021).
79 Vgl Koenig, Hintergründe zur Einrichtung eines anonymen Hinweisgebersystems bei der WKStA, in
AIDP/Österreichischer Juristenverband (Hrsg), Whistleblowing - das Hinweisgebersystem im österreichischen Recht
(2015) 10.

                                                                                                                 16
2. Finanzmarktaufsicht (FMA)

Seit 2014 verfügt auch die FMA auf Grundlage des Art 71 Eigenkapital-RL80 iVm § 99g
BWG81 neben einer Hinweisgeber-Hotline über ein IT-gestütztes Meldesystem.82 So
können hier unter anderem Hinweise zu Banken, Versicherungen, unerlaubtem
Geschäftsbetrieb, Markt- und Börseaufsicht, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
gemeldet werden. Auch hierbei soll die Anonymität des Hinweisgebers gewährleistet
werden.83

3. Bundeswettbewerbsbehörde (BWB)

Mit Februar 2018 wurde auch bei der BWB ein internetbasiertes „Whistleblowing-
System“84 auf Grundlage des § 11b Abs 6 WettbG85 eingerichtet. Hinweisgeber können
hier      anonym        Wettbewerbsverletzungen               iSd    Kartellgesetzes         (zB     Kartelle   und
Marktmachtmissbrauch) melden.86

D. Entstehung der WBRL

1. Vorarbeiten

Im April 2010 wurde von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ein
Beschluss zum Schutz von Hinweisgebern87 verabschiedet. Grundgedanke dabei war,

80   Vgl Eigenkapital-RL, ABl 2013 L 176.
81   Bundesgesetz über das Bankwesen (Bankwesengesetz – BWG), BGBl 1993/532.
82   Vgl Informationen zu Whistleblowing, https://www.fma.gv.at/whistleblowing/ (abgefragt am 25. 2. 2021).
83 Vgl BKMS-System, https://www.bkms-system.net/bkwebanon/report/clientInfo?cin=11FMA61&c=-1&language=ger
(abgefragt am 25. 2. 2021).
84  Whistleblowing-System der Bundeswettbewerbsbehörde, https://report.whistleb.com/de/bwb (abgefragt am
25. 2. 2021).
85Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz – WettbG), BGBl
2002/62.
86          Vgl           Das          Whistleblowing-System          der           Bundeswettbewerbsbehörde,
https://www.bwb.gv.at/kartelle_marktmachtmissbrauch/whistleblower_werden/ (abgefragt am 25. 2. 2021).
87Parlamentarische Versammlung des Europarates, Protection of "whistle-blowers", Resolution 1729 (2010) vom
29.4.2010, http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17851 (abgefragt am 2. 3. 2021).

                                                                                                                 17
sämtliche EU-Mitgliedstaaten zu einer Überarbeitung der bestehenden Rechtsquellen
zum Hinweisgeber-Schutz zu bewegen.88

Weiters empfahl89 die Parlamentarische Versammlung noch am selben Tag dem
Ministerkomitee, eigene Grundsätze zum Schutz von Hinweisgebern zu schaffen. Dieser
Empfehlung kam das Ministerkomitee am 30.4.2014 mit seiner Recommendation
CM/Rec(2014)7 nach.90 So verweist etwa der Erwägungsgrund 31 der WBRL auf diese
Grundsätze.91

In seinen zwei Entschließungen (vom 14.2. und 24.10.2017) forderte das Europäische
Parlament die Kommission auf, einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, der
Hinweisgebern einen umfassenden Schutz gewährleisten soll.92

2. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

Dieser Forderung des Parlaments kam die Kommission am 23.4.2018 mit einem
„Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das
Unionsrecht melden“,93 nach. Im Zuge der Erarbeitung des RL-Vorschlags ergaben die
von       der     Kommission          initiierten    Studien      auf    EU-Ebene         jährlich   geschätzte
Einnahmenausfälle in der Höhe von 179 bis 256 Mrd Euro durch Korruption und Betrug. 94
Alleine im Bereich des öffentlichen Auftragswesens werden die Ertragsausfälle aufgrund
eines nicht ausreichenden Whistleblower-Schutzes jährlich auf 5,8 bis 9,6 Mrd Euro
geschätzt.95

Das Europäische Parlament bemängelte aber zunächst die Reichweite des Schutzes
durch den RL-Vorschlag. So forderte der Rechtsausschuss des Parlaments (JURI) etwa

88   Vgl Wennig in AIDP/Österreichischer Juristenverband 50 (56 f).
89   Parlamentarische Versammlung des Europarates, Protection of „whistle-blowers“, Recommendation 1916 (2010).
90   Vgl Goricnik/Grünanger/Leissler, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 Rn 8.32.
91   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 31.
92 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.2.2017 zur Rolle von Informanten beim Schutz der finanziellen
Interessen der EU, 2016/2055(INI) und vom 24.10.2017 zu legitimen Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern, die
aus Gründen des öffentlichen Interesses vertrauliche Informationen über Unternehmen und öffentliche Einrichtungen
offenlegen, 2016/2224 (INI).
93Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße
gegen das Unionsrecht melden, COM(2018) 218 final vom 23.4.2018.
94   Vgl COM(2018) 218 final, 11.
95   Vgl COM(2018) 218 final, 3.

                                                                                                                  18
eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs auch auf Personen, die den
Hinweisgeber bei der Meldung unterstützen (sogenannte „Mittler“). Außerdem verlangte
man auch einen Schutz für anonym meldende Hinweisgeber. Insbesondere forcierte man
aber den Verzicht auf den Vorrang interner Meldungen. Als Gründe dafür wurden die
potenziellen Risiken der Hinweisgeber in Bezug auf das Arbeitsverhältnis sowie ein
öffentliches Interesse an etwaigen Missständen angegeben.96

Mitte März 2019 konnten sich der Rat und das Parlament vorläufig politisch über die neue
Richtlinie einigen.97 Im April desselben Jahres gab das Parlament seine Zustimmung, 98
im Oktober folgte die des Rates. 99

Nach der Unterzeichnung der Richtlinie am 23.10.2019 folgte am 26.11.2019 die
Veröffentlichung im Amtsblatt der EU. Die WBRL trat mit 16.12.2019 in Kraft. 100

E. Umsetzung in nationales Recht

Es obliegt nun den jeweiligen Gesetzgebern der Mitgliedstaaten, eine Umsetzung der
WBRL in nationales Recht bis 17.12.2021 zu realisieren. Indessen haben juristische
Personen mit einer Arbeitnehmerzahl zwischen 50 und 249 bis 17.12.2023 Zeit, interne
Meldekanäle101 einzurichten.102

Neben der Berichterstattung an die Kommission zur nationalen Umsetzung der Richtlinie,
trifft die Mitgliedstaaten weiters die Pflicht zur jährlichen Übermittlung jener Statistiken, in
denen die Anzahl der eingegangenen Meldungen,                                    der    Untersuchungen und
Gerichtsverfahren sowie der geschätzte finanzielle Schaden ersichtlich sind.103

96   Vgl Schmolke, Der Vorschlag für eine europäische Whistleblower-Richtlinie, AG 2018, 769 (777 f).
97 Vgl Whistleblower: Erstmals EU-weiter Schutz für Hinweisgeber, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-
room/20190311IPR31055/whistleblower-erstmals-eu-weiter-schutz-fur-hinweisgeber (abgefragt am 3. 3. 2021).
98      Vgl   Whistleblower:     Neue      Vorschriften  für   EU-weiten      Schutz     von      Informanten,
https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleblower-neue-vorschriften-fur-eu-
weiten-schutz-von-informanten (abgefragt am 3. 3. 2021).
99       Vgl       Interinstitutionelles Dossier      des      Rates,       13039/19        vom         11.10.2019,
https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13039-2019-INIT/de/pdf (abgefragt am 3. 3. 2021).
100   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305.
101   siehe Kapitel IV.C.1.
102   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 26.
103   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 27.

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IV. Die WBRL

Nach einer allgemeinen Einführung über das Thema „Whistleblowing“ sowie einem
Überblick über die Rechtslage vor der WBRL und ihrem Entstehungsprozess, sollen nun
die wichtigsten Bereiche der Richtlinie beleuchtet werden.

A. Ziele der Richtlinie

In erster Linie zielt die WBRL auf eine verbesserte Durchsetzung des Unionsrechts ab.
Mit ihr soll ein höheres Schutzniveau für Hinweisgeber durch eine Vereinheitlichung und
Schaffung gemeinsamer Mindeststandards gewährleistet werden.104 Dadurch sollen vor
allem Beschäftigte             öffentlicher oder privater Organisationen motiviert                werden,
Gesetzesverstöße, die im öffentlichen Interesse liegen, zu melden, indem sie künftig vor
Repressalien geschützt werden.105 Schließlich dient dies auch dem Schutz des
finanziellen Interesses der EU sowie der positiven Entwicklung und dem Funktionieren
des Binnenmarktes.106

B. Anwendungsbereich

1. Sachlicher Anwendungsbereich

Gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung107 umfasst der sachliche
Anwendungsbereich nur Verstöße gegen das Unionsrecht.108 Art 2 Abs 1 der WBRL listet
die betreffenden Rechtsbereiche enumerativ auf. Dazu zählen etwa das öffentliche
Auftragswesen,             Finanzdienstleistungen,           Geldwäsche,          Terrorismusfinanzierung,
Verkehrssicherheit,            Umweltschutz,          Produktsicherheit,        Verbraucherschutz     und
Datenschutz. Ein Verstoß gegen einen in lit a genannten Rechtsbereich, muss zusätzlich

104   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 1.
105   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 1.
106   Vgl Altenbach/Dierkes, EU-Whistleblowing-Richtlinie und DSGVO, CCZ 2020, 126 (126).
107   siehe Art 5 Abs 2 EUV.
108   Vgl Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126 (126).

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in      einen     im    Anhang         der   WBRL        aufgeführten       Unions-Rechtsakt         fallen     (zB
Verbraucherrechte-RL).109

Was unter einem Verstoß zu verstehen ist, kann der Legaldefinition des Art 5 Z 1 WBRL
entnommen werden.                 Umfasst       sind demnach           rechtswidrige Handlungen               sowie
Unterlassungen, die im Zusammenhang mit den Unions-Rechtsakten und den im
sachlichen Anwendungsbereich geregelten Rechtsbereichen stehen. Weiters fallen auch
Handlungen und Unterlassungen darunter, die zwar an sich nicht rechtswidrig sind, jedoch
dem Ziel und Zweck dieses Unions-Rechtsaktes oder Rechtsbereiches zuwiderlaufen.110
Nicht umfasst ist aber etwa unethisches bzw ein dem öffentlichen Interesse
widerstrebendes Verhalten.111

Den Mitgliedsstaaten steht es gemäß Art 2 Abs 2 WBRL allerdings frei, den
Anwendungsbereich bei der Umsetzung auch auf Verletzungen nationaler Rechtsakte
und Rechtsbereiche auszudehnen.112

Gemäß Art 3 Abs 2-4 WBRL werden einzelne Rechtsbereiche explizit vom sachlichen
Anwendungsbereich ausgenommen. So werden etwa Angelegenheiten der nationalen
Sicherheit oder der Schutz von Verschlusssachen und der anwaltlichen und ärztlichen
Verschwiegenheitspflicht nicht durch die Richtlinie berührt.

Fälle wie Edward Snowden werden daher nicht vom Anwendungsbereich der WBRL
umfasst.113 Weiters sind Rechtsanwälte und Ärzte nicht geschützt, wenn sie einen
Verstoß melden, der ihnen durch den Mandanten oder Patienten zugetragen wird. 114

109   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 2.
110   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 5 Z 1.
111   Vgl Schmolke, Die neue Whistleblower-Richtlinie ist da! Und nun? NZG 2020, 5 (6).
112        Vgl        Anderl/Ciarnau        Alexandra,        Whistleblowing         als        Herausforderung,
https://www.derstandard.at/story/2000119836972/whistleblowing-als-herausforderung (abgefragt am 21. 9. 2020).
113   Vgl Schmolke, NZG 2020, 5 (8).
114 Vgl FAQ Whistleblowing-Richtlinie, https://www.whistleblower-net.de/eu-richtlinie/faq-whistleblowing-richtlinie/
(abgefragt am 3. 3. 2021).

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2. Persönlicher Anwendungsbereich

Während der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie relativ eingegrenzt ist, wird der
geschützte Personenkreis umso weiter gezogen. 115 So richtet sich die WBRL an sämtliche
Hinweisgeber des privaten und öffentlichen Sektors, die aufgrund eines beruflichen
Zusammenhangs an Hinweise über Verstöße gelangt sind. Geschützt sind insbesondere
(1) Arbeitnehmer – unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis aufrecht ist, bereits beendet
wurde oder noch gar nicht begonnen hat, (2) Beamte und Vertragsbedienstete, (3)
Selbstständige, (4) Anteilseigner und Mitglieder von Verwaltungs-, Leitungs- oder
Aufsichtsorganen eines Unternehmens, (5) Praktikanten und (6) Lieferanten. Außerdem
gelten die Schutzmaßnahmen auch für sogenannte Mittler. Dabei handelt es sich um
Personen, die dem Whistleblower im Meldeverfahren unterstützend zur Seite stehen.
Dritte, die mit dem Hinweisgeber in einem Kollegen- oder Verwandtschaftsverhältnis
stehen und dadurch berufliche Repressalien erleiden könnten, werden ebenso explizit
geschützt, wie juristische Personen, welche im Eigentum des Whistleblowers stehen oder
für die dieser beruflich tätig wird. 116

Nicht umfasst sind etwa investigative Journalisten, die Informationen über Verstöße von
Hinweisgebern erhalten.117 Wie beim sachlichen Anwendungsbereich steht es auch hier
den Mitgliedstaaten aufgrund der nicht taxativen Auflistung des Art 4 frei, den Schutz auf
weitere Personengruppen zu erweitern. 118

C. Whistleblowing-Stellen

Die Ausgestaltung und Hierarchie der Meldestellen war sicherlich einer der größten
Streitpunkte bei der Entstehung der WBRL. War zunächst von einem „dreistufigen
System“ (erst intern – dann extern – dann Öffentlichkeit) die Rede, so entschied man sich
schlussendlich für die zweistufige Variante. Dementsprechend hat der Hinweisgeber das
Wahlrecht, ob er sich zunächst einer unternehmensinternen Meldestelle oder der

115   Vgl Schmolke, NZG 2020, 5 (6).
116   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 4.
117 Vgl Winter/Mitschka, Die Whistleblower-Richtlinie der EU – Was Sie wissen sollten, https://cms.law/de/aut/news-
information/die-whistleblower-richtlinie-der-eu-was-sie-wissen-sollten (abgefragt am 4. 8. 2020).
118   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 4.

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jeweiligen externen Behörde anvertraut. Erst danach steht ihm der Weg an die
Öffentlichkeit durch eine Offenlegung frei.119

Art 7 Abs 2 WBRL macht aber deutlich, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung
der Richtlinie für eine Bevorzugung der internen Meldekanäle einsetzen sollen, wenn dies
eine höhere Effektivität bei der Aufarbeitung des Verstoßes erwarten lässt und der
Whistleblower weiters keine Vergeltungsmaßnahmen befürchten muss. 120

1. Interne Kanäle

Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art 8 Abs 1 WBRL dafür zu sorgen, dass sowohl
juristische Personen des privaten als auch des öffentlichen Sektors interne Kanäle und
Verfahren für interne Meldungen sowie für Folgemaßnahmen etablieren. Unter
Umständen hat dies in Abstimmung mit den Sozialpartnern zu geschehen, sofern es das
nationale Recht verlangt. 121

Zunächst besteht diese Pflicht zur Einrichtung für private Unternehmen ab 50
Arbeitnehmern. Ungeachtet dieses Schwellenwertes gilt die Pflicht dennoch für alle
Organisationen, auf welche die in den Teilen I.B und II des Anhangs aufgelisteten
Unionsrechtsakte Anwendung finden. Dabei handelt es sich insbesondere um Akte des
Finanzsektors, der Verhinderung von Geldwäsche und Bekämpfung von Terrorismus, der
Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes.122

Ist es aufgrund der Art der Tätigkeit eines Unternehmens erforderlich, so können die
Mitgliedstaaten auch privaten Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern eine
Einrichtungspflicht, nach einer vorangegangenen Risikobewertung, auferlegen. Dabei
werden die entsprechenden Unternehmen auf ein etwaiges Risiko für Umwelt oder
öffentliche Gesundheit geprüft und haben daher vor allem für juristische Personen aus

119Vgl Reppelmund, Vorläufige Einigung zwischen Europäischem Parlament und den Mitgliedstaaten, EuZW 2019, 307
(307).
120     Vgl    KPMG     Deutschland,   Umsetzung      der     Hinweisgeberrichtlinie     durch     Unternehmen,
https://home.kpmg/de/de/home/themen/2019/05/eu-hinweisgeber-richtlinie.html (abgefragt am 10. 3. 2021).
121   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 8 Abs 1.
122Vgl Novacek, EU-RL zum Schutz der Hinweisgeber auf Verstöße gegen Unionsrecht ("Whistleblower") -
Auswirkungen im Steuerrecht, FJ 2019, 222 (223).

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den Sektoren der Lebensmittelindustrie, Pharmazie, Chemie sowie dem Baugewerbe
Relevanz.123

Die Pflicht zur Einrichtung von internen Kanälen trifft auch juristische Personen des
öffentlichen Sektors. Dazu zählen neben Hoheitsträgern auch Stellen, welche im
Eigentum bzw unter Kontrolle einer solchen juristischen Person sind. Einen
Schwellenwert, wie es Art 8 Abs 3 WBRL für private Unternehmen vorsieht, gibt es im
öffentlichen Sektor nicht. Gemeinden unter 10.000 Einwohnern, bzw die weniger als 50
Arbeitnehmer beschäftigen, können, genauso wie sonstige öffentliche Stellen mit weniger
als 50 Arbeitnehmern, von der Einrichtungspflicht ausgenommen werden. 124

Welche Art von Meldekanal installiert wird, entscheidet die jeweilige juristische Person.
Konkret nennt der EG 53 der WBRL etwa Beschwerde-Briefkästen, Online-Plattformen
oder Telefon-Hotlines als interne Meldekanäle.

Dabei muss sichergestellt werden, dass der Zugriff auf die Identität des Whistleblowers
bzw Dritter, die im Zusammenhang mit der Meldung stehen, unbefugten Personen
verwehrt bleibt. Dem Hinweisgeber ist jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Meldung
eine Bestätigung über deren Eingang bei der Stelle zu übermitteln. Für die Ergreifung von
Folgemaßnahmen ist eine unparteiische Person oder Abteilung zu benennen. Diese hat
gemäß Art 5 Z 12 WBRL die Stichhaltigkeit der gemeldeten Behauptung zu überprüfen
und hat gegebenenfalls Nachforschungen oder Ermittlungen zu tätigen. Sofern es das
nationale Recht vorsieht, sind auch entsprechende Folgemaßnahmen bei anonymen
Meldungen zu ergreifen. Weiters ist dem Whistleblower binnen drei Monaten nach Erhalt
der Empfangsbestätigung Rückmeldung über den Statuts der Folgemaßnahmen zu
geben. Stehen noch keine Folgemaßnahmen fest, so ist der Whistleblower auch darüber
zu informieren.125

Ein Betreiben der Meldestellen kann auch durch Dritte erfolgen. Die WBRL nennt hier
beispielsweise externe Berater, Prüfer oder Anbieter von Meldeplattformen sowie
Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsvertreter.126

123
  Vgl Kröll/Stumpf, Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern - Handlungsbedarf für Unternehmen, RdW 2020,
161 (162).
124   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 8 Abs 9.
125   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 9.
126   Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 54.

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