DIE EU-RICHTLINIE ZUM HINWEISGEBER-SCHUTZ - JKU ePUB
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Eingereicht von Bernhard Feytl Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler DIE EU-RICHTLINIE April 2021 ZUM HINWEISGEBER- SCHUTZ Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Krems an der Donau, 01.04.2021 1
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ................................................................................................................. 4 II. Whistleblowing im Allgemeinen ................................................................................ 5 A. Begriffserklärung Whistleblowing ....................................................................... 5 B. Formen des Whistleblowings ............................................................................. 7 1. Internes Whistleblowing .................................................................................. 7 2. Externes Whistleblowing................................................................................. 7 3. Anonymes und offenes Whistleblowing .......................................................... 8 C. Motivation und Beweggründe des Whistleblowers ............................................. 9 D. Negative Konsequenzen für Whistleblower ...................................................... 10 E. Whistleblowing im Lichte des Art 10 EMRK ..................................................... 12 III. Der Weg der WBRL – Von der Entstehung bis zur Umsetzung in das nationale Recht ............................................................................................................................... 14 A. Überblick: Whistleblowing in den USA ............................................................. 14 B. Bisherige Rechtslage in der EU ....................................................................... 15 C. Hinweisgebersysteme in Österreich ................................................................. 16 1. Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ............................. 16 2. Finanzmarktaufsicht (FMA) ........................................................................... 17 3. Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ............................................................. 17 D. Entstehung der WBRL ..................................................................................... 17 1. Vorarbeiten ................................................................................................... 17 2. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren......................................................... 18 E. Umsetzung in nationales Recht........................................................................ 19 IV. Die WBRL............................................................................................................... 20 A. Ziele der Richtlinie ........................................................................................... 20 B. Anwendungsbereich ........................................................................................ 20 2
1. Sachlicher Anwendungsbereich.................................................................... 20 2. Persönlicher Anwendungsbereich ................................................................ 22 C. Whistleblowing-Stellen ..................................................................................... 22 1. Interne Kanäle .............................................................................................. 23 2. Externe Kanäle ............................................................................................. 25 3. Gemeinsame Vorschriften für interne und externe Meldungen ..................... 26 4. Offenlegung .................................................................................................. 26 D. Schutzmaßnahmen .......................................................................................... 27 1. Schutz für Hinweisgeber ............................................................................... 27 2. Schutz für betroffene Personen .................................................................... 30 3. Sanktionen ................................................................................................... 30 V. Offene Fragen und Herausforderungen .................................................................. 31 A. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nationale Rechtsverstöße .............. 31 B. Schaffung anonymer Meldekanäle ................................................................... 32 C. Stärkung staatlicher Whistleblowing-Behörden ................................................ 33 D. Finanzielle Unterstützung für Whistleblower..................................................... 34 VI. Fazit ....................................................................................................................... 35 Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 36 Materialienverzeichnis ................................................................................................... 39 Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifische Ausdrücke verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen sollen als geschlechtsunabhängig verstanden werden. 3
I. Einleitung „I realised that I was part of something that was doing far more harm than good.” 1 Als Edward Snowden im Sommer 2013 die NSA-Affäre auslöste, indem er das sogenannte PRISM-Programm zur weltweiten Internetüberwachung durch den US- Militärgeheimdienst enthüllte, ahnte er vermutlich schon die Tragweite seines Falles. Er flüchtete ins Exil nach Hongkong, ließ seine Familie sowie Hab und Gut in den Vereinigten Staaten zurück.2 Snowden ist ein sogenannter Whistleblower 3 – eine Person, die einen Missstand in einer Organisation aufzeigt. Durch die mediale Berichterstattung geriet er schnell in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Solidarisierung und Ikonisierung auf der einen Seite, Verachtung und Diffamierung auf der anderen. Die Geschichte Snowdens ist sicherlich ein extremes Beispiel, jedoch bei weitem kein Einzelfall. Jährlich wenden sich unzählige Personen an interne und öffentliche Stellen, um auf fragwürdige oder rechtswidrige Praxen ihrer Arbeitgeber aufmerksam zu machen. Bislang war der rechtliche Schutz von Whistleblowern in Europa, aber vor allem auch in Österreich, durch eine starke Fragmentierung geprägt. Dies soll sich mit der EU-Richtlinie zum Hinweisgeber-Schutz4 vom 23. Oktober 2019 (kurz: „Whistleblower-Richtlinie“ – in der Folge „WBRL“ genannt) ändern. Alle Mitgliedstaaten sind verpflichtet, innerhalb der Umsetzungsfrist bis 17.12.2021 adäquate nationale gesetzliche Regelungen zu schaffen. Die vorliegende Diplomarbeit nähert sich zunächst dem Begriff des Whistleblowings an. Weiters soll ein Einblick in die Motivation eines Whistleblowers gegeben werden und auch aufgezeigt werden, welche Folgen Whistleblowing mit sich bringt. Nach einer Betrachtung des Entstehungsprozesses der Richtlinie, werden die wichtigsten Regelungen darin näher beleuchtet. Ziel ist es, auf dieser Grundlage, potenzielle Herausforderungen, welche die Richtlinie mit sich bringt, zu identifizieren. 1 Greenwald/MacAskill/Poitras, Edward Snowden: the whistleblower behind the NSA surveillance revelations, https://www.theguardian.com/world/2013/jun/09/edward-snowden-nsa-whistleblower-surveillance (abgefragt am 17. 2. 2021). 2 Vgl Beitzer/Klasen, Allein gegen die Supermacht, https://www.sueddeutsche.de/politik/whistleblower-edward- snowden-allein-gegen-die-supermacht-1.1692537 (abgefragt am 17. 2. 2021). 3 Begriffserklärung siehe Kapitel II. A. 4Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABl 2019 L 305 2019. 4
II. Whistleblowing im Allgemeinen A. Begriffserklärung Whistleblowing Der Ursprung des Begriffs „Whistleblowing“ ist ungewiss. Eine gängige Herleitung ist die Anlehnung an die Rolle eines Schiedsrichters. So kann dieser, etwa im Zuge eines Fußballspiels, jederzeit seine Pfeife betätigen, um das Geschehen am Spielfeld zu unterbrechen.5 In der Berufswelt ist der Terminus „Whistleblowing“ meist negativ behaftet. Versucht man den Begriff in die deutsche Sprache zu übersetzen, landet man daher zwangsläufig bei abschätzigen Bezeichnungen, wie etwa „petzen“. 6 Ein Blick in den angloamerikanischen Sprachraum zeigt, dass es dort ein klares Verständnis über die zugeschriebene Bedeutung gibt. So versteht man unter einem Whistleblower eine Person, die illegale oder unmoralische Handlungen Dritter zu Tage bringt.7 Als Whistleblowing ist somit der Akt der Enthüllung anzusehen.8 Betrachtet man Whistleblowing als Prozess, sind diesem vier Elemente inhärent: (1) eine Person, die zum Beobachter wird, (2) das Preisgeben der Beobachtung, (3) eine Person bzw Stelle, der die Beobachtung zugetragen wird und (4) eine Institution, gegen die sich die Enthüllung richtet.9 Zunächst muss die Person, welche eine Situation beobachtet, die Entscheidung treffen, ob die wahrgenommene Handlung unrechtmäßig und damit unerlaubt, unmoralisch bzw unzulässig ist. Der Beobachter wird die wahrgenommene Handlung eher als Verfehlung einstufen, wenn diese mit seinen eigenen Werten bzw mit jenen, die das Unternehmen vertritt, im Konflikt steht.10 Wichtig ist zu erwähnen, dass die Person, welche ein Fehlverhalten beobachtet, nicht automatisch zum Whistleblower wird. Dies tritt erst ein, sobald sie sich einer Person 5Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle. The Organizational and Legal Implications for Companies and Employees (1992) 15. 6 Vgl Haasler, Compliance, in Abeln (Hrsg), Handbuch für Führungskräfte3 (2019) 157 (173). 7 Vgl Süßbrich, Compliance in der arbeitsrechtlichen Praxis, in Wecker/van Laak (Hrsg), Compliance in der Unternehmerpraxis2 (2009) 221 (225). 8 Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle 16. 9 Vgl Near/Miceli, Organizational Dissidence: The Case of Whistle-Blowing, Journal of Business Ethics 1985, 1 (2). 10 Vgl Near/Miceli, Journal of Business Ethics 1985, 1 (4). 5
anvertraut, die selbst Einfluss auf die Behebung der Missstände hat. Die Informationen lediglich mit dem persönlichen sozialen Umfeld (zB Arbeitskollegen, Familie oder Freunde) zu teilen, reicht nicht aus.11 Folglich muss es sich bei der Person, welcher die Beobachtung zugetragen wird, beispielsweise um einen Vorgesetzten, einen Verantwortlichen innerhalb des Unternehmens oder eine zuständige Behörde handeln. 12 Zum Whistleblower wird man daher erst, wenn man einen Hinweis zu einer fragwürdigen Handlung gibt.13 Die berichtende Person wird dadurch zum Hinweisgeber.14 Diese Herleitung ist dahingehend von Bedeutung, da sich die WBRL in ihrer deutschen Fassung durchgängig dem Begriff des „Hinweisgebers“ („reporting person“) bedient: „Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚Hinweisgeber‘ eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt;“15 Ergänzend sei erwähnt, dass der Impulsgeber für die Meldung eines Missstandes auch die Institution selbst sein kann, indem sie ihre Mitarbeitenden dazu anhält, ein intern beobachtetes Fehlverhalten aufzuzeigen.16 Whistleblowing sollte somit nicht bloß als eine isolierte Handlung einer Einzelperson betrachtet werden. Vielmehr bietet es das Potenzial, als Hinweisgebersystem in die Unternehmensstruktur einer Institution eingebettet zu werden. 17 11 Vgl Miceli/Near, Blowing the Whistle 15 f. 12Vgl Glaser/Komenda, Whistleblowing in Österreich - Gefahren, Probleme und Lösungsmöglichkeiten, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (209). 13 Vgl Near/Miceli, Journal of Business Ethics 1985, 1 (4). 14 Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (209). 15 WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 5 Z 7. 16 Vgl Haasler in Abeln3 157 (173). 17 Vgl Hlavica/Klapproth/Hülsberg, Tax Fraud & Forensic Accounting. Umgang mit Wirtschaftskriminalität1 (2011) 387. 6
B. Formen des Whistleblowings 1. Internes Whistleblowing Nach der Konkretisierung des Begriffs „Whistleblowing“, bedarf es einer näheren Betrachtung der verschiedenen Ausformungen. Zunächst muss zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden werden. Entscheidend ist hierbei der Adressat, dem der Missstand gemeldet wird.18 Im Fall des internen Whistleblowings, muss dieser grundsätzlich in dieselbe Organisation wie der Hinweisgeber eingegliedert sein. 19 Interne Whistleblowing-Anlaufstellen können etwa (1) ein Vorgesetzter, (2) die Geschäftsleitung, (3) der Betriebsrat, (4) der Aufsichtsrat oder (5) der Compliance Officer sein.20 Die Meldung an einen unmittelbar Vorgesetzten wird allerdings oft nicht als Whistleblowing gewertet,21 da dies als eine dem üblichen Dienstweg folgende Interaktion betrachtet wird.22 Für das interne Whistleblowing spricht, dass etwa Geschäftsgeheimnisse nicht nach außen getragen werden und der Organisation generell die Möglichkeit geboten wird, die Missstände intern deeskalierend und diskret aufzuarbeiten und, im besten Fall, zu beseitigen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Meldung des Hinweisgebers auf „taube Ohren“ stößt, oder noch schlimmer, dass er folglich Repressionen durch Mitarbeiter oder Vorgesetzte ausgesetzt wird.23 2. Externes Whistleblowing Wendet sich der Hinweisgeber an außenstehende Stellen, wie etwa staatliche Behörden, Staatsanwaltschaft oder Presse, so spricht man von externem Whistleblowing.24 Eine weitere Möglichkeit stellen Ombudspersonen dar. Sie sind zwar nicht in die 18 Vgl Simonet, Notwendigkeit eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern? RdA 2013, 236 (236). 19 Vgl Thüsing/Forst, Whistleblowing, in Thüsing (Hrsg), Beschäftigtendatenschutz und Compliance2 (2014) § 6 (Rn 14). 20 Vgl Simonet, RdA 2013, 236 (236). 21 Vgl Hauser, Das Bild von Whistleblowing in der österreichischen Versicherungswirtschaft, ÖBA 2009, 497 (498). 22 Vgl Briegel, Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme1 (2009) 17zitiert nach Vinten, Whistleblowing: Fact and Fiction. An Introductory Discussion, in: Vinten, Gerald (Hrsg.): Whistleblowing: Subversion or Corporate Citizenship? Gateshead 1994. 23 Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15). 24 Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 14). 7
Unternehmensstruktur eingegliedert, gehören aber der Compliance-Struktur des jeweiligen Unternehmens an. Ein Vorteil liegt darin, dass Unternehmen diesen Stellen gegenüber weder Weisungen geben noch Kontrolle ausüben können.25 Beleuchtet man auch hier das Pro und Kontra, so spricht für externes Whistleblowing die hohe Wirksamkeit, um auf einen Missstand in einer Organisation aufmerksam zu machen.26 So zeigen etwa Dworkin und Baucus auf, dass der externe Weg des Whistleblowings bei höhergradigen Missständen eher gewählt wird. Grund dafür ist die Erwartung einer höheren Effektivität, das Unternehmen dazu zu bewegen, sich den Missständen zu widmen. 27 Der Gang an die Öffentlichkeit wird meist nur als ultima ratio angesehen,28 denn der Preis dafür kann hoch sein. So kommt es nicht selten zur Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Hinweisgeber. Auch langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren können daraus resultieren.29 Generell birgt diese Form des Whistleblowings vor allem auch für ein Unternehmen die Gefahr, dass Geschäftsgeheimnisse nach außen dringen können. Dementsprechend hoch ist das Eskalationsrisiko.30 3. Anonymes und offenes Whistleblowing Gibt der Hinweisgeber seine Identität nicht bekannt, so liegt anonymes Whistleblowing vor. Eine Nichtbestimmbarkeit der Person liegt aber oft nur in der Theorie vor. Die Praxis zeigt, dass häufig auf eine Person bzw einen einzugrenzenden Personenkreis geschlossen werden kann. Um das Risiko der Enttarnung zu minimieren, können sich Whistleblower an Stellen wenden, die zur Wahrung ihrer Identität angehalten sind. In solchen Fällen liegt vertrauliches Whistleblowing vor. Von offenem Whistleblowing spricht 25 Vgl Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance. Handbuch der Haftungsvermeidung im Unternehmen 3 (2016) § 42 Rn 22. 26 Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15). 27Vgl Dworkin/Baucus, Internal vs. External Whistleblowers: A Comparison of Whistleblowering Processes, Journal of Business Ethics 1998, 1281 (1295). 28Vgl Falter, Whistleblower (un)erwünscht? in Roters/Gräf/Wollmann (Hrsg), Zukunft denken und verantworten (2020) 353 (361). 29 siehe etwa Kapitel E. „Fall Heinisch“ 30 Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 15). 8
man nur, wenn sich der Hinweisgeber bewusst zu erkennen gibt. Diesen Schritt wagen naturgemäß nur wenige.31 C. Motivation und Beweggründe des Whistleblowers Einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt des gesamten Whistleblowing-Prozesses stellt die innere Motivation des Hinweisgebers, einen Missstand zu melden, dar. Wenn man bedenkt, dass ein Whistleblower in der Regel einer bei weitem finanziell überlegenen Organisation gegenübersteht und im schlechtesten Fall gegen diese auch noch vor Gericht durch die Instanzen prozessieren muss, sind die Beweggründe umso mehr von Interesse.32 Einen ersten Überblick für eine Typisierung bieten Gobert und Punch. Besonders hervorzuheben sind dabei: (1) Der besorgte Bürger – er stellt das in der Gesellschaft postulierte Idealbild eines Whistleblowers dar, indem er ohne schädliche Hintergedanken die Behebung von Missständen anstrebt. Seine Meldung unterliegt der Mutmaßung, dass der Missstand der Organisation bis dato nicht bekannt war. (2) Der Idealist - seine persönlichen Erwartungen betreffend das Verhalten anderer Mitarbeitenden und das allfällig ausbleibende Ziehen von Konsequenzen seitens der Organisation, führen zu Frustration. Ein Hinnehmen einer solchen Situation scheint für ihn nicht tragbar, wodurch er sich zur Meldung verpflichtet sieht. (3) Rache – hier stehen Personen im Fokus, welche die Organisation bereits verlassen haben. Diese streben nach persönlicher Genugtuung in Folge eines unrühmlichen Ausscheidens aus der Organisation.33 Ergänzend zu dieser Einteilung können auch eigennützige Beweggründe für das Handeln des Hinweisgebers impulsgebend sein. So ist hierbei die Erwartung eines finanziellen Profits oder beruflichen Aufstiegs nicht selten zu beobachten.34 Andererseits kann es 31 Vgl Thüsing/Forst in Thüsing2 § 6 (Rn 11). 32 Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (355). 33Vgl Gobert/Punch, Whistleblowers, the Public Interest, and the Public Interest Disclosure Act 1998, The Modern Law Review Limited 2000 (31). 34 Vgl Müller-Petzner, Verlangt die Treuepflicht im Beschäftigungsverhältnis Missstände aufzudecken und Rechtskonformität einzufordern? CCZ 2018, 162 (163). 9
auch darum gehen, dass sich der Whistleblower durch eine Meldung aufgrund von Missständen in der Organisation selbst entlasten möchte. 35 In diesem Zusammenhang muss auch notwendigerweise betrachtet werden, welche Motive dafür ausschlaggebend sein können, einen Missstand nicht zu melden. Nitsch et al. sehen hier verschiedene Ursachen: zum einen Unsicherheit, da die Person nicht sicher ist, ob es sich beim beobachteten Missstand tatsächlich um einen solchen handelt. Andererseits kann auch die Sorge um eine soziale Ausgrenzung innerhalb der Organisation soweit überwiegen, dass von einer Meldung gänzlich abgesehen wird. 36 Häufig lässt vor allem die Angst vor Repressalien einen möglichen Hinweisgeber von einer Meldung absehen.37 Im Hinblick auf die WBRL spielt es jedoch keine Rolle, welche Beweggründe hinter einer Meldung des Whistleblowers stecken. Sie knüpft hinsichtlich der Schutzwürdigkeit lediglich an die Gutgläubigkeit des Hinweisgebers an. Absichtlich falsche und irreführende Meldungen sind daher nicht umfasst.38 Somit wird der Informationsgehalt der Meldung gegenüber der Motivation priorisiert.39 D. Negative Konsequenzen für Whistleblower Wie in den bisherigen Ausführungen bereits erwähnt, ziehen Meldungen oft negative Konsequenzen für den Hinweisgeber nach sich. Im Folgenden sollen die häufigsten Formen zusammengefasst werden. Innerhalb einer Organisation lassen sich folgende Varianten feststellen: (1) informelle Vergeltung – so kann es etwa zu persönlicher Vergeltung und sozialer Ausgrenzung kommen.40 Dies äußert sich vor allem in Mobbing durch das Kollegium oder Bossing (zB 35Vgl Jedynak, Interne Erhebungen in Wirtschaftsstrafsachen mit Auslandsbezug 21 (2019) 264zitiert nach: Mayer, Die Auswirkungen des "Yates Memorandums" in den USA und die Diskussion um ein Unternehmensstrafrecht in Deutschland, ZWH 2016, 301-304. 36 Vgl Nitsch/Baetz/Hughes, Why Code of Conduct Violations go Unreported: A Conceptual Framework to Guide Intervention and Future Research, J Bus Ethics 2005, 327 (334). 37 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 1. 38 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 32. 39 Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (363). 40 Vgl Briegel, Einrichtung und Ausgestaltung unternehmensinterner Whistleblowing-Systeme1 153. 10
Einteilung unzumutbarer Schichten)41 durch Vorgesetzte. Die negativen Konsequenzen können sich dabei auch auf Angehörige des Whistleblowers erstrecken. Im schlimmsten Fall sind Akte der Gewalt bzw kriminelle Handlungen nicht auszuschließen.42 (2) Formelle Vergeltung – hier sticht vor allem die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Arbeitgeber hervor.43 Es werden dafür oft andere Gründe vorgeschoben, um dies zu legitimieren.44 Im Zuge dessen kommt es mitunter zu jahrelangen Gerichtsverfahren, welche die psychischen und finanziellen45 Ressourcen des Hinweisgebers erschöpfen.46 In Bezug auf beide Varianten ist die generelle Einstellung der Organisation zum Whistleblowing richtungsweisend. Dementsprechend gestaltet sich die Intensität der Vergeltung.47 Auch außerhalb der Organisation ist der Whistleblower nicht vor negativen Konsequenzen gefeit. So kann ihm aufgrund von „blacklisting” ein erneutes Fußfassen in der jeweiligen Branche erschwert bzw gar verwehrt werden. 48 Im Extremfall kann sich die soziale Ausgrenzung so weit über die Organisationsgrenzen hinweg ausdehnen, dass der Whistleblower als letzte Konsequenz das Land verlässt.49 41 Vgl Wiedmann/Seyfert, Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum Whistleblowing, CCZ 2019, 12 (13). 42 Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (221). 43 Vgl Eckel, Mehr Schutz für Whistleblower, https://www.wienerzeitung.at/themen/recht/recht/987595-Mehr-Schutz- fuer-Whistleblower.html?em_cnt_page=2 (abgefragt am 4. 8. 2020). 44 Vgl Falter in Roters/Gräf/Wollmann 353 (360). 45 Vgl Glaser/Komenda, Journal für Rechtspolitik 2012, 207 (221). 46 Vgl Sixt, Whistleblowing im Spannungsfeld von Macht, Geheimnis und Information (2020) 54. 47 Vgl Sixt, Whistleblowing im Spannungsfeld von Macht, Geheimnis und Information 70. 48Vgl Rapp, Beyond Protection: Invigorating Incentives for Sarbanes-Oxley Corporate and Security Fraud Whistleblowers, Boston University Law Review 2007, 91 (124). 49 Vgl Geißler, Was ist ein Whistleblower? https://www.manager-magazin.de/harvard/print/hm/d-44428778.html (abgefragt am 10. 3. 2021). 11
E. Whistleblowing im Lichte des Art 10 EMRK Für internationales Aufsehen sorgte die Entscheidung Bsw 28274/0850 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Juli 2011 über eine Individualbeschwerde der deutschen Staatsbürgerin Brigitte Heinisch. Das Urteil war vor allem für die Frage richtungsweisend, inwiefern Art 10 EMRK – das Recht auf freie Meinungsäußerung – Whistleblowing schützt. Die Beschwerdeführerin Heinisch war seit 2002 Altenpflegerin in einem Berliner Pflegeheim der Vivantes GmbH. Sie wurde gekündigt, nachdem sie Strafanzeige wegen schwerem Betrug gegen ihren Arbeitgeber erstattete. Diese begründete sie dadurch, dass die Vivantes GmbH versprochene Pflegeleistungen aufgrund von akutem Personalmangel wissentlich nicht erbringen konnte. Mehrmaliges Hinweisen durch Heinisch auf den Personalnotstand und den daraus resultierenden Pflegemangel fruchtete bei der Heimleitung nicht. Besagte Mängel wurden auch durch den bereits involvierten Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) festgestellt. Allerdings wurde das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt und die Beschwerdeführerin, unter dem Vorwand wiederholter Krankenstände, gekündigt. In weiterer Folge verteilte sie Flugblätter, um auf die Missstände und ihre Kündigung aufmerksam zu machen. Dies brachte ihr allerdings eine fristlose Kündigung – gleichzusetzen mit der österreichischen Entlassung51 – ein. Nach Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges wandte sich Heinisch mit einer Individualbeschwerde gemäß Art 34 EMRK an den EGMR. Mit der fristlosen Kündigung sei aufgrund der erstatteten Strafanzeige ihr in Art 10 EMRK verankertes Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden.52 Der EGMR stellte fest, dass es sich bei der von Heinisch erstatteten Strafanzeige um Whistleblowing handelte und diese somit in den Schutzbereich des Art 10 EMRK fällt. Weiters stellen die Kündigung sowie die darauf folgenden innerstaatlichen Gerichtsentscheidungen einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar. 53 50 EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland. 51 Vgl Wennig, Whistleblower, in AIDP/Österreichischer Juristenverband (Hrsg), Whistleblowing - das Hinweisgebersystem im österreichischen Recht (2015) 50 (55). 52 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 6 ff. 53 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 43 ff. 12
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellte der EGMR das öffentliche Interesse an der Offenlegung der Missstände einer möglichen Schädigung des Arbeitgebers gegenüber. Aufgrund der aus dem Dienstverhältnis entspringenden Loyalitätspflicht sei der Arbeitnehmer zunächst dazu angehalten, einen Missstand intern zu melden. Der Gang an die Öffentlichkeit kommt nur als ultima ratio in Frage. Mitzuberücksichtigen seien außerdem die Beweggründe des Whistleblowers. So rechtfertigen etwa Motive wie Rache oder Eigennützigkeit kein hohes Schutzniveau. Der Hinweisgeber müsse im guten Glauben handeln und dabei von der Authentizität der offengelegten Information überzeugt sein. Zuletzt fließen auch die Schwere der Sanktionen gegen den Whistleblower und deren Folgen in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit ein. 54 In seiner Entscheidung strich der EGMR das öffentliche Interesse an der Offenlegung aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Patienten hervor. Da die Beschwerdeführerin die Missstände mehrmals bereits intern gemeldet hatte, darauf aber nie reagiert wurde, sah der Gerichtshof die Offenlegung als letztes probates Mittel an. An der Richtigkeit der Angaben hinsichtlich der Missstände konnte auch nicht gezweifelt werden, da bereits der MDK einen akuten Pflegemangel feststellen konnte. Dass die Beschwerdeführerin im guten Glauben gehandelt hat, sah der EGMR vor allem dadurch untermauert, dass sie sich erst nach erfolglosen internen Meldungen an die Staatsanwaltschaft gewandt hat.55 Schließlich kam der Gerichtshof zu dem Entschluss, dass ein öffentliches Interesse an der Offenlegung gegenüber den Arbeitgeberinteressen – vor allem wirtschaftlicher Natur sowie Reputation – überwiegt.56 Die fristlose Kündigung stelle eine unverhältnismäßig schwere Sanktion dar und die Beschwerdeführerin wurde dadurch in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verletzt.57 Somit hielt der EGMR erstmals fest, dass Whistleblowing unter Art 10 EMRK zu subsumieren ist. Vor allem aus nationaler verfassungsrechtlicher Sicht ist diese Entscheidung von großer Bedeutung, steht doch die EMRK in Österreich im Verfassungsrang. 54 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 65 ff. 55 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 71 ff. 56 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 88 ff. 57 Vgl EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch/Deutschland, Rn 92. 13
III. Der Weg der WBRL – Von der Entstehung bis zur Umsetzung in das nationale Recht A. Überblick: Whistleblowing in den USA Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Whistleblowing“ ist ein Blick in die Vereinigten Staaten obligatorisch. Dort wurde seit Jahrzehnten ein umfassender Whistleblower-Schutz kontinuierlich weiterentwickelt, der vor allem aus der Perspektive Europas als Vorbild fungieren soll. Im Folgenden werden drei US-Bundesgesetze kurz vorgestellt, die den US-amerikanischen Whistleblowing-Schutz geprägt haben. Bereits 1863 wurde erstmals ein Schutz für Whistleblower im sogenannten Federal False Claims Act („Lincoln Law“) bundesgesetzlich verankert. 58 Dieses Gesetz sollte vor allem die US-Regierung vor Betrügereien durch Privatpersonen oder Organisationen zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges schützen, indem Personen, welche eine solche betrügerische Aktivität meldeten, Provisionszahlungen zugesprochen wurden.59 2002 wurde in Folge der Bilanzskandale (vor allem des Energiekonzerns Enron und der Telefongesellschaft Worldcom) der sogenannte Sarbanes-Oxley Act (SOX) erlassen. 60 Dieser verpflichtet Unternehmen, welche an US-Börsen notiert sind, zur Einrichtung unternehmensinterner Whistleblowing-Hotlines.61 Demnach werden sämtliche Repressalien dem hinweisenden Mitarbeiter gegenüber verboten, bei sonstiger strafrechtlicher Verfolgung der Unternehmensführung. 62 Da der SOX auch für ausländische Unternehmen gilt, deren Aktien an den US-Börsen gehandelt werden, können davon auch österreichische Unternehmen betroffen sein. 63 Eine Konsequenz der Finanzmarktkrise von 2007 war die Schaffung des Dodd-Frank Act von 2010. Mit ihm wurde ein Belohnungssystem für die Meldung von Verstößen gegen den US-Kapitalmarkt eingeführt.64 Die 10 bis 30-prozentige Beteiligung des 58 Vgl Buxbaum/Cailteux, Konrad, L., Federal False Claims Act, ecolex 2010, 28 (28). 59 Vgl Schürrle/Fleck, „Whistleblowing Unlimited”, CCZ 2011, 218 (218). 60 Vgl Grützner/Jakob, Compliance von A-Z2 (2015). 61 Vgl Arnold, Whistleblower-Richtlinie und Gold Plating, GesRZ 2020 (153). 62 Vgl Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts4 (2016) § 79 (Rn 121). 63 Vgl Pollirer, Checkliste Whistleblowing, Dako 2020, 38 (38). 64Vgl Fleischer/Schmolke, Finanzielle Anreize für Whistleblower im Europäischen Kapitalmarktrecht? NZG 2012, 361 (368). 14
Whistleblowers an der verhängten Geldstrafe erreicht dabei nicht selten den siebenstelligen US-Dollarbereich.65 B. Bisherige Rechtslage in der EU 2020 verfügte etwa nur ein Drittel der EU-Staaten (darunter Frankreich, Italien, Niederlande, Ungarn und Schweden) über einen umfassenden Hinweisgeber-Schutz. 66 Einen EU-weiten Whistleblowing-Schutz ließ das EU-Recht bis zuletzt vermissen. Einzelne Rechtsakte beschränken sich vor allem auf den Bereich der Finanzmarktregulierung. Hervorzuheben sind hier etwa die Eigenkapitalrichtlinie67, die Marktmissbrauchsverordnung68, die Finanzmarktrichtlinie69, sowie die Geldwäscherichtlinie70. Ihnen ist die Verpflichtung der nationalen Behörden zur Einrichtung vertraulicher Meldekanäle gemeinsam.71 Speziell für die WBRL ist aber die Geschäftsgeheimnis-Richtlinie72 von Relevanz. Demnach kann gemäß Art 3 Abs 2 unter anderem die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses rechtmäßig sein, wenn dies durch Unionsrecht oder nationales 65 Vgl Hlavica/Klapproth/Hülsberg, Tax Fraud & Forensic Accounting1 391. 66 Vgl Whistleblower: Neue Vorschriften für EU-weiten Schutz von Informanten, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleblower-neue-vorschriften-fur-eu- weiten-schutz-von-informanten (abgefragt am 24. 9. 2020). 67Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinie 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl 2013 L 176. 68 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl 2014 L 173. 69 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl 2014 L 173. 70Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl 2015 L 141. 71 Vgl Gerdemann, Whistleblower als Agenten des Europarechts, NZA-Beilage 2020, 43-49 (43f). 72Richtlinie 2016/943/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl 2016 L 157 2016. 15
Recht vorgesehen ist.73 Der Erwägungsgrund 98 der WBRL spricht dabei von einer einander ergänzenden Betrachtung beider Richtlinien. 74 C. Hinweisgebersysteme in Österreich Da aufgrund der starken Fragmentierung des Whistleblowing-Schutzes in Österreich eine Betrachtung sämtlicher gesetzlicher Regelungen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sollen in der Folge die drei wichtigsten derzeit bestehenden behördlichen Hinweisgebersysteme überblicksartig vorgestellt werden. 1. Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) 2013 richtete das Justizministerium, zunächst nur für einen zweijährigen Probebetrieb, auf Grundlage des § 2a Abs 6 StAG75 ein internetbasiertes anonymes Hinweisgebersystem bei der WKStA ein.76 Das seit 2016 nun im Regelbetrieb laufende System bietet Whistleblowern die Möglichkeit, Hinweise zu Wirtschafts- und Korruptionsdelikten77 über einen elektronischen Postkasten anonym der WKStA zu melden und mit dieser zu kommunizieren.78 Dem zuständigen Staatsanwalt obliegt es in der Folge, anhand der eingelangten Meldung ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.79 73 Vgl Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943/EU, ABl 2016 L 157, Art 3 Abs 2. 74 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 98. 75Bundesgesetz vom 5. März 1986 über die staatsanwaltschaftlichen Behörden (Staatsanwaltschaftsgesetz – StAG), BGBl 1986/164. 76 Vgl Goricnik/Grünanger/Leissler, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 (2018) Rn 8.22. 77 siehe die in § 20a Abs 1 StPO genannten Delikte. 78 Vgl Hinweisgebersystem (Hinweise zur Aufklärung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption), https://www.justiz.gv.at/wksta/wirtschafts--und- korruptionsstaatsanwaltschaft/hinweisgebersystem~2c9484853d643b33013d8860aa5a2e59.de.html (abgefragt am 25. 2. 2021). 79 Vgl Koenig, Hintergründe zur Einrichtung eines anonymen Hinweisgebersystems bei der WKStA, in AIDP/Österreichischer Juristenverband (Hrsg), Whistleblowing - das Hinweisgebersystem im österreichischen Recht (2015) 10. 16
2. Finanzmarktaufsicht (FMA) Seit 2014 verfügt auch die FMA auf Grundlage des Art 71 Eigenkapital-RL80 iVm § 99g BWG81 neben einer Hinweisgeber-Hotline über ein IT-gestütztes Meldesystem.82 So können hier unter anderem Hinweise zu Banken, Versicherungen, unerlaubtem Geschäftsbetrieb, Markt- und Börseaufsicht, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gemeldet werden. Auch hierbei soll die Anonymität des Hinweisgebers gewährleistet werden.83 3. Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Mit Februar 2018 wurde auch bei der BWB ein internetbasiertes „Whistleblowing- System“84 auf Grundlage des § 11b Abs 6 WettbG85 eingerichtet. Hinweisgeber können hier anonym Wettbewerbsverletzungen iSd Kartellgesetzes (zB Kartelle und Marktmachtmissbrauch) melden.86 D. Entstehung der WBRL 1. Vorarbeiten Im April 2010 wurde von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ein Beschluss zum Schutz von Hinweisgebern87 verabschiedet. Grundgedanke dabei war, 80 Vgl Eigenkapital-RL, ABl 2013 L 176. 81 Bundesgesetz über das Bankwesen (Bankwesengesetz – BWG), BGBl 1993/532. 82 Vgl Informationen zu Whistleblowing, https://www.fma.gv.at/whistleblowing/ (abgefragt am 25. 2. 2021). 83 Vgl BKMS-System, https://www.bkms-system.net/bkwebanon/report/clientInfo?cin=11FMA61&c=-1&language=ger (abgefragt am 25. 2. 2021). 84 Whistleblowing-System der Bundeswettbewerbsbehörde, https://report.whistleb.com/de/bwb (abgefragt am 25. 2. 2021). 85Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz – WettbG), BGBl 2002/62. 86 Vgl Das Whistleblowing-System der Bundeswettbewerbsbehörde, https://www.bwb.gv.at/kartelle_marktmachtmissbrauch/whistleblower_werden/ (abgefragt am 25. 2. 2021). 87Parlamentarische Versammlung des Europarates, Protection of "whistle-blowers", Resolution 1729 (2010) vom 29.4.2010, http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17851 (abgefragt am 2. 3. 2021). 17
sämtliche EU-Mitgliedstaaten zu einer Überarbeitung der bestehenden Rechtsquellen zum Hinweisgeber-Schutz zu bewegen.88 Weiters empfahl89 die Parlamentarische Versammlung noch am selben Tag dem Ministerkomitee, eigene Grundsätze zum Schutz von Hinweisgebern zu schaffen. Dieser Empfehlung kam das Ministerkomitee am 30.4.2014 mit seiner Recommendation CM/Rec(2014)7 nach.90 So verweist etwa der Erwägungsgrund 31 der WBRL auf diese Grundsätze.91 In seinen zwei Entschließungen (vom 14.2. und 24.10.2017) forderte das Europäische Parlament die Kommission auf, einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, der Hinweisgebern einen umfassenden Schutz gewährleisten soll.92 2. Ordentliches Gesetzgebungsverfahren Dieser Forderung des Parlaments kam die Kommission am 23.4.2018 mit einem „Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“,93 nach. Im Zuge der Erarbeitung des RL-Vorschlags ergaben die von der Kommission initiierten Studien auf EU-Ebene jährlich geschätzte Einnahmenausfälle in der Höhe von 179 bis 256 Mrd Euro durch Korruption und Betrug. 94 Alleine im Bereich des öffentlichen Auftragswesens werden die Ertragsausfälle aufgrund eines nicht ausreichenden Whistleblower-Schutzes jährlich auf 5,8 bis 9,6 Mrd Euro geschätzt.95 Das Europäische Parlament bemängelte aber zunächst die Reichweite des Schutzes durch den RL-Vorschlag. So forderte der Rechtsausschuss des Parlaments (JURI) etwa 88 Vgl Wennig in AIDP/Österreichischer Juristenverband 50 (56 f). 89 Parlamentarische Versammlung des Europarates, Protection of „whistle-blowers“, Recommendation 1916 (2010). 90 Vgl Goricnik/Grünanger/Leissler, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle2 Rn 8.32. 91 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 31. 92 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.2.2017 zur Rolle von Informanten beim Schutz der finanziellen Interessen der EU, 2016/2055(INI) und vom 24.10.2017 zu legitimen Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern, die aus Gründen des öffentlichen Interesses vertrauliche Informationen über Unternehmen und öffentliche Einrichtungen offenlegen, 2016/2224 (INI). 93Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, COM(2018) 218 final vom 23.4.2018. 94 Vgl COM(2018) 218 final, 11. 95 Vgl COM(2018) 218 final, 3. 18
eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs auch auf Personen, die den Hinweisgeber bei der Meldung unterstützen (sogenannte „Mittler“). Außerdem verlangte man auch einen Schutz für anonym meldende Hinweisgeber. Insbesondere forcierte man aber den Verzicht auf den Vorrang interner Meldungen. Als Gründe dafür wurden die potenziellen Risiken der Hinweisgeber in Bezug auf das Arbeitsverhältnis sowie ein öffentliches Interesse an etwaigen Missständen angegeben.96 Mitte März 2019 konnten sich der Rat und das Parlament vorläufig politisch über die neue Richtlinie einigen.97 Im April desselben Jahres gab das Parlament seine Zustimmung, 98 im Oktober folgte die des Rates. 99 Nach der Unterzeichnung der Richtlinie am 23.10.2019 folgte am 26.11.2019 die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU. Die WBRL trat mit 16.12.2019 in Kraft. 100 E. Umsetzung in nationales Recht Es obliegt nun den jeweiligen Gesetzgebern der Mitgliedstaaten, eine Umsetzung der WBRL in nationales Recht bis 17.12.2021 zu realisieren. Indessen haben juristische Personen mit einer Arbeitnehmerzahl zwischen 50 und 249 bis 17.12.2023 Zeit, interne Meldekanäle101 einzurichten.102 Neben der Berichterstattung an die Kommission zur nationalen Umsetzung der Richtlinie, trifft die Mitgliedstaaten weiters die Pflicht zur jährlichen Übermittlung jener Statistiken, in denen die Anzahl der eingegangenen Meldungen, der Untersuchungen und Gerichtsverfahren sowie der geschätzte finanzielle Schaden ersichtlich sind.103 96 Vgl Schmolke, Der Vorschlag für eine europäische Whistleblower-Richtlinie, AG 2018, 769 (777 f). 97 Vgl Whistleblower: Erstmals EU-weiter Schutz für Hinweisgeber, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press- room/20190311IPR31055/whistleblower-erstmals-eu-weiter-schutz-fur-hinweisgeber (abgefragt am 3. 3. 2021). 98 Vgl Whistleblower: Neue Vorschriften für EU-weiten Schutz von Informanten, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20190410IPR37529/whistleblower-neue-vorschriften-fur-eu- weiten-schutz-von-informanten (abgefragt am 3. 3. 2021). 99 Vgl Interinstitutionelles Dossier des Rates, 13039/19 vom 11.10.2019, https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13039-2019-INIT/de/pdf (abgefragt am 3. 3. 2021). 100 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305. 101 siehe Kapitel IV.C.1. 102 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 26. 103 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 27. 19
IV. Die WBRL Nach einer allgemeinen Einführung über das Thema „Whistleblowing“ sowie einem Überblick über die Rechtslage vor der WBRL und ihrem Entstehungsprozess, sollen nun die wichtigsten Bereiche der Richtlinie beleuchtet werden. A. Ziele der Richtlinie In erster Linie zielt die WBRL auf eine verbesserte Durchsetzung des Unionsrechts ab. Mit ihr soll ein höheres Schutzniveau für Hinweisgeber durch eine Vereinheitlichung und Schaffung gemeinsamer Mindeststandards gewährleistet werden.104 Dadurch sollen vor allem Beschäftigte öffentlicher oder privater Organisationen motiviert werden, Gesetzesverstöße, die im öffentlichen Interesse liegen, zu melden, indem sie künftig vor Repressalien geschützt werden.105 Schließlich dient dies auch dem Schutz des finanziellen Interesses der EU sowie der positiven Entwicklung und dem Funktionieren des Binnenmarktes.106 B. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich Gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung107 umfasst der sachliche Anwendungsbereich nur Verstöße gegen das Unionsrecht.108 Art 2 Abs 1 der WBRL listet die betreffenden Rechtsbereiche enumerativ auf. Dazu zählen etwa das öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Produktsicherheit, Verbraucherschutz und Datenschutz. Ein Verstoß gegen einen in lit a genannten Rechtsbereich, muss zusätzlich 104 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 1. 105 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 1. 106 Vgl Altenbach/Dierkes, EU-Whistleblowing-Richtlinie und DSGVO, CCZ 2020, 126 (126). 107 siehe Art 5 Abs 2 EUV. 108 Vgl Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126 (126). 20
in einen im Anhang der WBRL aufgeführten Unions-Rechtsakt fallen (zB Verbraucherrechte-RL).109 Was unter einem Verstoß zu verstehen ist, kann der Legaldefinition des Art 5 Z 1 WBRL entnommen werden. Umfasst sind demnach rechtswidrige Handlungen sowie Unterlassungen, die im Zusammenhang mit den Unions-Rechtsakten und den im sachlichen Anwendungsbereich geregelten Rechtsbereichen stehen. Weiters fallen auch Handlungen und Unterlassungen darunter, die zwar an sich nicht rechtswidrig sind, jedoch dem Ziel und Zweck dieses Unions-Rechtsaktes oder Rechtsbereiches zuwiderlaufen.110 Nicht umfasst ist aber etwa unethisches bzw ein dem öffentlichen Interesse widerstrebendes Verhalten.111 Den Mitgliedsstaaten steht es gemäß Art 2 Abs 2 WBRL allerdings frei, den Anwendungsbereich bei der Umsetzung auch auf Verletzungen nationaler Rechtsakte und Rechtsbereiche auszudehnen.112 Gemäß Art 3 Abs 2-4 WBRL werden einzelne Rechtsbereiche explizit vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen. So werden etwa Angelegenheiten der nationalen Sicherheit oder der Schutz von Verschlusssachen und der anwaltlichen und ärztlichen Verschwiegenheitspflicht nicht durch die Richtlinie berührt. Fälle wie Edward Snowden werden daher nicht vom Anwendungsbereich der WBRL umfasst.113 Weiters sind Rechtsanwälte und Ärzte nicht geschützt, wenn sie einen Verstoß melden, der ihnen durch den Mandanten oder Patienten zugetragen wird. 114 109 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 2. 110 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 5 Z 1. 111 Vgl Schmolke, Die neue Whistleblower-Richtlinie ist da! Und nun? NZG 2020, 5 (6). 112 Vgl Anderl/Ciarnau Alexandra, Whistleblowing als Herausforderung, https://www.derstandard.at/story/2000119836972/whistleblowing-als-herausforderung (abgefragt am 21. 9. 2020). 113 Vgl Schmolke, NZG 2020, 5 (8). 114 Vgl FAQ Whistleblowing-Richtlinie, https://www.whistleblower-net.de/eu-richtlinie/faq-whistleblowing-richtlinie/ (abgefragt am 3. 3. 2021). 21
2. Persönlicher Anwendungsbereich Während der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie relativ eingegrenzt ist, wird der geschützte Personenkreis umso weiter gezogen. 115 So richtet sich die WBRL an sämtliche Hinweisgeber des privaten und öffentlichen Sektors, die aufgrund eines beruflichen Zusammenhangs an Hinweise über Verstöße gelangt sind. Geschützt sind insbesondere (1) Arbeitnehmer – unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis aufrecht ist, bereits beendet wurde oder noch gar nicht begonnen hat, (2) Beamte und Vertragsbedienstete, (3) Selbstständige, (4) Anteilseigner und Mitglieder von Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen eines Unternehmens, (5) Praktikanten und (6) Lieferanten. Außerdem gelten die Schutzmaßnahmen auch für sogenannte Mittler. Dabei handelt es sich um Personen, die dem Whistleblower im Meldeverfahren unterstützend zur Seite stehen. Dritte, die mit dem Hinweisgeber in einem Kollegen- oder Verwandtschaftsverhältnis stehen und dadurch berufliche Repressalien erleiden könnten, werden ebenso explizit geschützt, wie juristische Personen, welche im Eigentum des Whistleblowers stehen oder für die dieser beruflich tätig wird. 116 Nicht umfasst sind etwa investigative Journalisten, die Informationen über Verstöße von Hinweisgebern erhalten.117 Wie beim sachlichen Anwendungsbereich steht es auch hier den Mitgliedstaaten aufgrund der nicht taxativen Auflistung des Art 4 frei, den Schutz auf weitere Personengruppen zu erweitern. 118 C. Whistleblowing-Stellen Die Ausgestaltung und Hierarchie der Meldestellen war sicherlich einer der größten Streitpunkte bei der Entstehung der WBRL. War zunächst von einem „dreistufigen System“ (erst intern – dann extern – dann Öffentlichkeit) die Rede, so entschied man sich schlussendlich für die zweistufige Variante. Dementsprechend hat der Hinweisgeber das Wahlrecht, ob er sich zunächst einer unternehmensinternen Meldestelle oder der 115 Vgl Schmolke, NZG 2020, 5 (6). 116 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 4. 117 Vgl Winter/Mitschka, Die Whistleblower-Richtlinie der EU – Was Sie wissen sollten, https://cms.law/de/aut/news- information/die-whistleblower-richtlinie-der-eu-was-sie-wissen-sollten (abgefragt am 4. 8. 2020). 118 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 4. 22
jeweiligen externen Behörde anvertraut. Erst danach steht ihm der Weg an die Öffentlichkeit durch eine Offenlegung frei.119 Art 7 Abs 2 WBRL macht aber deutlich, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie für eine Bevorzugung der internen Meldekanäle einsetzen sollen, wenn dies eine höhere Effektivität bei der Aufarbeitung des Verstoßes erwarten lässt und der Whistleblower weiters keine Vergeltungsmaßnahmen befürchten muss. 120 1. Interne Kanäle Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art 8 Abs 1 WBRL dafür zu sorgen, dass sowohl juristische Personen des privaten als auch des öffentlichen Sektors interne Kanäle und Verfahren für interne Meldungen sowie für Folgemaßnahmen etablieren. Unter Umständen hat dies in Abstimmung mit den Sozialpartnern zu geschehen, sofern es das nationale Recht verlangt. 121 Zunächst besteht diese Pflicht zur Einrichtung für private Unternehmen ab 50 Arbeitnehmern. Ungeachtet dieses Schwellenwertes gilt die Pflicht dennoch für alle Organisationen, auf welche die in den Teilen I.B und II des Anhangs aufgelisteten Unionsrechtsakte Anwendung finden. Dabei handelt es sich insbesondere um Akte des Finanzsektors, der Verhinderung von Geldwäsche und Bekämpfung von Terrorismus, der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes.122 Ist es aufgrund der Art der Tätigkeit eines Unternehmens erforderlich, so können die Mitgliedstaaten auch privaten Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern eine Einrichtungspflicht, nach einer vorangegangenen Risikobewertung, auferlegen. Dabei werden die entsprechenden Unternehmen auf ein etwaiges Risiko für Umwelt oder öffentliche Gesundheit geprüft und haben daher vor allem für juristische Personen aus 119Vgl Reppelmund, Vorläufige Einigung zwischen Europäischem Parlament und den Mitgliedstaaten, EuZW 2019, 307 (307). 120 Vgl KPMG Deutschland, Umsetzung der Hinweisgeberrichtlinie durch Unternehmen, https://home.kpmg/de/de/home/themen/2019/05/eu-hinweisgeber-richtlinie.html (abgefragt am 10. 3. 2021). 121 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 8 Abs 1. 122Vgl Novacek, EU-RL zum Schutz der Hinweisgeber auf Verstöße gegen Unionsrecht ("Whistleblower") - Auswirkungen im Steuerrecht, FJ 2019, 222 (223). 23
den Sektoren der Lebensmittelindustrie, Pharmazie, Chemie sowie dem Baugewerbe Relevanz.123 Die Pflicht zur Einrichtung von internen Kanälen trifft auch juristische Personen des öffentlichen Sektors. Dazu zählen neben Hoheitsträgern auch Stellen, welche im Eigentum bzw unter Kontrolle einer solchen juristischen Person sind. Einen Schwellenwert, wie es Art 8 Abs 3 WBRL für private Unternehmen vorsieht, gibt es im öffentlichen Sektor nicht. Gemeinden unter 10.000 Einwohnern, bzw die weniger als 50 Arbeitnehmer beschäftigen, können, genauso wie sonstige öffentliche Stellen mit weniger als 50 Arbeitnehmern, von der Einrichtungspflicht ausgenommen werden. 124 Welche Art von Meldekanal installiert wird, entscheidet die jeweilige juristische Person. Konkret nennt der EG 53 der WBRL etwa Beschwerde-Briefkästen, Online-Plattformen oder Telefon-Hotlines als interne Meldekanäle. Dabei muss sichergestellt werden, dass der Zugriff auf die Identität des Whistleblowers bzw Dritter, die im Zusammenhang mit der Meldung stehen, unbefugten Personen verwehrt bleibt. Dem Hinweisgeber ist jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Meldung eine Bestätigung über deren Eingang bei der Stelle zu übermitteln. Für die Ergreifung von Folgemaßnahmen ist eine unparteiische Person oder Abteilung zu benennen. Diese hat gemäß Art 5 Z 12 WBRL die Stichhaltigkeit der gemeldeten Behauptung zu überprüfen und hat gegebenenfalls Nachforschungen oder Ermittlungen zu tätigen. Sofern es das nationale Recht vorsieht, sind auch entsprechende Folgemaßnahmen bei anonymen Meldungen zu ergreifen. Weiters ist dem Whistleblower binnen drei Monaten nach Erhalt der Empfangsbestätigung Rückmeldung über den Statuts der Folgemaßnahmen zu geben. Stehen noch keine Folgemaßnahmen fest, so ist der Whistleblower auch darüber zu informieren.125 Ein Betreiben der Meldestellen kann auch durch Dritte erfolgen. Die WBRL nennt hier beispielsweise externe Berater, Prüfer oder Anbieter von Meldeplattformen sowie Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsvertreter.126 123 Vgl Kröll/Stumpf, Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern - Handlungsbedarf für Unternehmen, RdW 2020, 161 (162). 124 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 8 Abs 9. 125 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, Art 9. 126 Vgl WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, EG 54. 24
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