Die geopolitische Vereinnahmung des Digitalen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Geopolitische Konkurrenz Die geopolitische Vereinnahmung des Digitalen Amerika und China sehen digitale Technologien als strategische Ressource, die sie machtpolitisch nach Belieben nutzen können. Europa sollte lernen, damit umzugehen, ohne sich diese Sicht- weise zu eigen zu machen. Von Daniel Voelsen 20 | IP Special • 3 /2020
Die Vereinnahmung des Digitalen A ngefangen beim Buchdruck im 15. China in wachsendem Maße als ernstzu- Jahrhundert haben Staaten schon nehmende Konkurrenz betrachtet. Zwar immer versucht, Kommunikations- sind die USA in der Breite technologischer technologien für ihre Zwecke zu nutzen. Entwicklungen noch immer führend. Doch Dabei ging es nicht nur um die Sicherung in einigen Bereichen sind Unternehmen des Herrschaftsanspruchs gegenüber der aus China mittlerweile konkurrenzfähig, eigenen Bevölkerung: Die Kontrolle des In- wenn nicht gar punktuell überlegen. In formationsflusses war immer wieder auch der Netzwerktechnologie ist Huawei zu Instrument für internationale Ambitionen. einem der wichtigsten Unternehmen der Die Verlegung der ersten Unterseekabel im Welt aufgestiegen, bei bestimmten An- 19. Jahrhundert etwa erlaubte Großbritan- wendungsfeldern Künstlicher Intelligenz nien neue Möglichkeiten kolonialer Herr- sind chinesische Unternehmen führend, schaft und erschloss den aufstrebenden und mit TikTok gibt es nun erstmals eine USA neue Zugänge zum globalen Handel. chinesische soziale Plattform, die im Wes- Dass auch digitale Technologien von ei- ten äußerst erfolgreich ist. nigen Staaten als strategische Ressource Auch wenn die technologischen Erfol- verstanden werden, kann da nicht über- ge Chinas bisher auf solche Einzelfälle be- raschen. Besondere Aufmerksamkeit hat grenzt sind, ist der dahinterstehende poli- die geopolitische Auseinandersetzung um tische Anspruch eindeutig: Mit der „Made diese Technologien zuletzt erfahren, weil in China 2025“-Strategie hat die Regierung es immer häufiger zu öffentlich ausge- das Ziel ausgegeben, bei wichtigen Schlüs- tragenen Konfrontationen zwischen den seltechnologien schon bis 2025 global füh- Großmächten USA und China kam. rend zu sein. Die Einbindung dieser Am- bitionen in das weltumspannende „One Technologie und nationale Sicherheit Belt, One Road“-Investitionsprogramm Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und lässt erkennen, dass es Peking neben dem beginnenden Kalten Krieg rückte den unmittelbaren wirtschaftlichen Zie- Technologie in den USA ins Zentrum des len auch darum geht, Einfluss auf globale strategischen Denkens über nationale Si- Entwicklungen zu nehmen. cherheit. Während nationale Sicherheit in Letztlich sprechen die USA und China Europa oft militärisch verstanden wird, ist eine ähnliche Sprache, wenn es um die für die USA seither nationale Sicherheit strategische Bedeutung digitaler Techno- eng verwoben mit wirtschaftlichen Fra- logien geht. Entsprechend empfindlich gen. Technologische Überlegenheit gilt als reagieren die USA überall da, wo die Am- Grundlage für die militärische wie auch bitionen Chinas Früchte zu tragen schei- die wirtschaftliche Stärke der USA. Es ist nen. Das Vorgehen gegen Unternehmen nicht nur Rhetorik, wenn Washington die aus China – von Huawei bis TikTok – ist Auseinandersetzung um die Rolle des chi- der Versuch, den technologischen Auf- nesischen Unternehmens Huawei beim stieg Chinas aufzuhalten. Die Zuspitzung Dr. Daniel Voelsen ist Wissen- Aufbau westlicher 5G-Netze als Frage der der Konfrontation ist in der aktuellen Form schaftlicher nationalen Sicherheit beschreibt – ebenso wohl spezifisch für die Regierung Trump. Mitarbeiter in der wie den Streit um die Social-Media-Platt- Die zugrundeliegende Logik jedoch ist im Forschungsgruppe „Globale Fragen“ form TikTok. außenpolitischen Denken der USA tief der Stiftung Der scharfe Ton aus den USA erlaubt den verankert, und so trifft Trump an dieser Wissenschaft und Schluss, dass man dort das aufstrebende Stelle auch auf wenig grundsätzlichen Politik (SWP). IP Special • 3 /2020 | 21
Geopolitische Konkurrenz Widerstand seitens der Demokraten. Zu- dest bei digitalen Technologien kann im gleich scheint es, dass Xi Jinping mehr als Verhältnis zwischen den USA und der EU seine Vorgänger gewillt ist, sich auf eine kaum von Interdependenz die Rede sein; Konfrontation mit den USA einzulassen. deutlich zeigen sich hier vielmehr die Mög- lichkeiten, einseitige Abhängigkeiten po- Umfassende Überwachung litisch auszunutzen. Auch in Europa trifft die Konfrontation Hinzu kam in den vergangenen Jah- zwischen den USA und China einen Nerv. ren ein wachsendes Unbehagen der Eu- Die weitreichende Abhängigkeit von den ropäer gegenüber der Macht der großen USA bei digitalen Technologien wurde in US-Tech-Konzerne. Anlass hierfür boten Europa, vielleicht mit Ausnahme Frank- die Datenskandale von Facebook ebenso reichs, lange nicht als Problem wahrge- wie die scheinbar uneinholbare Dominanz nommen. Zwar gab es immer wieder den von Amazon im Online-Handel oder der Ruf nach einem „europäischen Google“; robuste Umgang der Firma Uber mit eu- in der Zwischenzeit jedoch erschien es für ropäischem Arbeitsschutzrecht. Staat, Wirtschaft und Bürger als weithin Das offensive, diplomatisch oft plumpe unproblematisch, digitale Produkte und Auftreten der USA gegenüber den Europä- Dienstleistungen aus den USA zu nutzen ern beim Versuch, sie in der Auseinander- – zumal diese funktional wie ästhetisch setzung mit China auf ihre Seite zu ziehen, den europäischen Alternativen bis heute lässt sich als weitere Eskalationsstufe ver- oft überlegen sind. stehen. So drohen die USA unverhohlen Einen wesentlichen Moment der Ent- allen Staaten, die in Betracht zu ziehen zauberung erlebte das Verhältnis zu ame- wagen, ihre 5G-Mobilfunknetze mit Tech- rikanischer Digitaltechnologie mit den nik aus China aufzubauen, mit politischen Enthüllungen Edward Snowdens zum wie wirtschaftlichen Konsequenzen. Un- digitalen Abhörprogramm der National verkennbar ist die Erwartung gegenüber Security Agency (NSA) im Jahr 2013. Diese europäischen Unternehmen, die den Zu- Enthüllungen zeigten, dass die öffentliche gang zum US-Markt bewahren wollen, den Freiheitsrhetorik der USA begleitet wurde Exportbeschränkungen gegenüber chine- von einer Politik der massiven Überwa- sischen Unternehmen Folge zu leisten. chung und von Grundrechtsverletzungen Für die Europäer hat sich in der Debatte im globalen Maßstab. Auch enge Verbün- gezeigt, dass sie sich nicht mehr darauf dete der USA wie Deutschland mussten verlassen können, dass Amerika ihre In- erkennen, dass die USA keinerlei Skrupel teressen im Technologiebereich quasi au- haben, die weltweite Verbreitung amerika- tomatisch mitberücksichtigt. Neben allen nischer Digitaltechnologien für Zwecke der öffentlichen Bekenntnissen zum beson- umfassenden Überwachung zu nutzen. deren Verhältnis Europas zu den USA vor Die US-Politikwissenschaftler Henry allem in der Sicherheitspolitik erscheint es Farrell und Abraham Newman sprechen so nun zulässig, sich öffentlich Gedanken in diesem Kontext von „weaponized in- über ein gewisses Maß an strategischer terdependence“ – der einseitigen und Autonomie zu machen. schädlichen Ausnutzung einstmals ge- Das Denken in Kategorien von „digi- wünschter wechselseitiger Abhängig- taler Souveränität“ und „strategischer keiten. Tatsächlich scheint aber ein noch Autonomie“ bietet auch eine begriffliche schärferer Befund gerechtfertigt: Zumin- Folie für den Umgang mit China. Zum Teil 22 | IP Special • 3 /2020
Die Vereinnahmung des Digitalen inspiriert durch die USA, durchaus aber fast ebenso unverhohlene Drohungen auch geprägt durch die eigenen Erfah- ausstößt wie Amerika, wird in außen- rungen Europas, kommt es seit einigen politischen Zirkeln sehr bewusst wahr Jahren auch im Verhältnis zu China zu genommen. einem Umdenken. Neben die stark wirt- schaftlich geprägte Sicht tritt ein politi- Alternativlose Dienste scher Blick. Im Zentrum steht noch immer Dabei zeigt sich deutlich, dass sowohl die Kritik an den Beschränkungen beim Washington als auch Peking in Kategorien von Einflusssphären denken. Dieser Blick auf die Welt ist geprägt von den Denkstruk- turen klassischer Geopolitik. Erkennbar ist der Versuch, digitale Technologien im Die Sorge vor klassischen Sinne als Machtressource für geopolitische Ambitionen zu nutzen. Zugleich jedoch entziehen sich digita- neuen digi- le Technologien zu einem gewissen Grad der Vereinnahmung für geopolitische Pro- jekte. Viele digitale Kommunikationstech- talen Formen nologien wie auch viele Technologien zur Verarbeitung großer Datenmengen sind von einer Netzwerklogik geprägt. autoritärer Entscheidend ist hier, wem es gelingt, zentrale Knotenpunkte zu besetzen. Wenn große Teile der Weltbevölkerung amerika- Herrschaft nische Kommunikationsdienste nutzen, nehmen diese eine zentrale Stellung in den weltweiten Kommunikationsnetzen ein. wächst Für die US-Regierung ergeben sich daraus die durch Snowden beschriebenen um- fassenden Kontroll- und Überwachungs- möglichkeiten; die entsprechenden Un- ternehmen profitieren davon, dass ihre Dienste für viele Menschen alternativlos Zugang europäischer Unternehmen zum erscheinen. chinesischen Markt; doch auch die Erfolge Hinzu kommt, dass digitale Techno- Chinas bei digitalen Technologien werden logien immer aus einer vielschichtigen immer aufmerksamer beobachtet. Teils Kombination von Hard- und Software wird China als Vorbild zitiert für ein Eu- bestehen. Entsprechend komplex sind ropa, das sich durch ein vergleichsweise die Beziehungen zwischen den Akteu- hohes Datenschutzniveau selbst bremse. ren: Auf Ebene der Betriebssysteme etwa Zugleich wächst die Sorge vor neuen digi- sind die USA noch immer unangefoch- talen Formen autoritärer Herrschaft und ten führend. Auf der darunterliegenden einem wachsenden globalen Machtan- Ebene der Netzwerktechnologie dagegen spruch Chinas. Dass China im Streit um holt China massiv auf. Technopolitische Huawei gegenüber europäischen Staaten Einflusssphären sind somit komplexer, als IP Special • 3 /2020 | 23
Geopolitische Konkurrenz der Rückgriff auf klassische Denkmuster der Geopolitik suggeriert. In ihrem Buch „The Chessboard and the „Digital sou- Web“ schlägt Anne-Marie Slaughter vor, die internationale Politik durch zwei Bril- len zu betrachten: Das Schachbrett steht verän“ will für die Welt der klassischen zwischen- staatlichen Politik, für die Geopolitik, aber auch für die etablierten Formen multilate- Europa sein raler Kooperation. So wichtig diese Welt ist und auf absehbare Zeit bleiben wird, so steht sie doch neben einer Welt von mehr – das wird oder weniger formalisierten Netzwerken staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure. Dieser zweifache Blick auf die Welt hilft, nicht ganz die Konflikte um technopolitische Ein- flusssphären zu verstehen – und auch die Friktionen, die sich dabei auftun. einfach Handlungsfähig bleiben Die geopolitische Vereinnahmung digi- die Grundlagen der eigenen Wirtschaft ge- taler Technologien ist der Versuch, diese stalten zu können. Technologien in das Raster des klassi- Eine nüchterne Analyse zeigt allerdings schen Schachbretts einzupassen. Das auch, wie beschränkt die Möglichkeiten wird natürlich in Europa wahrgenommen: Europas hier sind. Bei allen Bemühungen Wenn etwa die deutsche Bundesregierung ist zumindest kurz- bis mittelfristig nicht den Begriff digitaler Souveränität zu ei- damit zu rechnen, dass es Europa gelingen nem der Leitthemen ihrerer EU-Ratsprä- wird, den technologischen Vorsprung der sidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 USA in der Breite wettzumachen. In der erklärt, so ist dies der erkennbare Versuch Logik klassischen geopolitischen Denkens einer Abwehrreaktion. Auch die Ankün- ist zudem nicht davon auszugehen, dass digung Ursula von der Leyens, eine „geo- ein in sich zerstrittenes Europa oder gar politische Kommission“ leiten zu wollen, einzelne Staaten in der Lage sein werden, ist eine Antwort auf die Wiederkehr und die Schwäche in diesem Bereich durch die Zuspitzung geopolitischer Konflikte. wirtschaftliche oder militärische Macht- In der Rede von der digitalen Souverä- ressourcen auszugleichen. nität klingt der Anspruch durch, in rele- So berechtigt der Anspruch bleibt, sich vanten Hinsichten unabhängig zu sein, allzu dreisten geopolitischen Einfluss- um auf demokratischer Basis wesentliche nahmen entgegenzustellen – der Hand- gesellschaftliche Entwicklungen nach ei- lungsspielraum Europas ist hier begrenzt. genen Vorstellungen prägen zu können. Gerade deshalb scheint es attraktiv, sich Im Kern geht es darum, das für die De- im Sinne der zwei Brillen von Anne-Marie mokratie notwendige Maß an staatlicher Slaughter verstärkt der Welt der Netzwerke Handlungsfähigkeit zu bewahren. Das zuzuwenden – und damit auch der Brü- beinhaltet allerdings auch den Anspruch, che, die zwischen dieser Welt und der Welt 24 | IP Special • 3 /2020
Die Vereinnahmung des Digitalen des Schachbretts bestehen. Dabei rückt innerhalb des bestehenden Netzwerks Al- die Frage in den Blick, wie sich Netzwerke ternativen zu entwickeln. Europa könnte nutzen oder so gestalten lassen, dass eine sich zum Beispiel dafür einsetzen, für problematische Konzentration von Macht Messaging-Dienste einen einheitlichen verhindert werden kann. und offenen Standard ähnlich dem für E-Mails einzuführen. Auch ist zu prüfen, Netzwerk-Logiken nutzen wie sich die Ideen des Kartellrechts auf Eine wichtige Rolle dabei können private die Logik von Machtbeziehungen in Netz- Unternehmen spielen. Gerade die großen, werken übertragen lassen. global operierenden Tech-Unternehmen Schließlich laden Netzwerke dazu ein, sind in ihrer Organisations- und Eigentü- Politik jenseits etablierter räumlicher merstruktur und in den Beziehungen nach Strukturen zu betreiben. Für die Nutzung außen oft stark von einer Netzwerk-Logik und Entwicklung digitaler Technologien geprägt. Der Versuch der Staaten, diese ist räumliche Nähe ohnehin selten ent- Unternehmen in das Raster staatlicher Po- scheidend. Daraus ergibt sich die Gele- litik einzupassen, mag im Einzelfall gelin- genheit für Europa, neue Formen der Zu- gen, schafft aber auch Brüche. Für global sammenarbeit und des Austauschs mit operierende Unternehmen ist es weder weit entfernten Weltregionen einzugehen. selbstverständlich noch wirtschaftlich Viele Staaten und Regionen von Asien attraktiv, ihr Handeln an den politischen bis Afrika befinden sich mit Blick auf die Zielen ihres Heimatstaats auszurichten. So geopolitischen Ambitionen der Großmäch- sind es etwa gerade solche Unternehmen, te in einer ähnlich unkomfortablen Lage die sich öffentlich gegen die Entkopp- wie Europa. Im Sinne der Netzwerk-Logik lungspolitik der US-Regierung stellen. bietet es sich an, unterhalb oder parallel Für Europa bietet sich hier die Möglich- zu den klassisch-zwischenstaatlichen Be- keit, über Regulierung, aber vielleicht ziehungen das Entstehen neuer Netzwerke auch verstärkt über positive Anreize, diese auch zwischen nichtstaatlichen Akteuren Brüche im Sinne der eigenen Interessen zu aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilge- nutzen. Je mehr die Unternehmen in ihren sellschaft noch gezielter zu fördern. Heimatstaaten unter Druck geraten, umso Es ist zu befürchten, dass die Konfronta- attraktiver könnte eine stärkere Orientie- tion zwischen den USA und China die inter- rung an Europa werden. nationale Politik auf absehbare Zeit prägen Zudem haben Netzwerke ihre ganz eige- wird. Gleichzeitig wird die Bedeutung di- nen Logiken, nach denen die Anhäufung gitaler Technologien weiter zunehmen. Es und der Ausbau von Macht funktionieren. wird für Europa daher wichtig bleiben, sich Wenn nun bestimmte Akteure ihre zent- die geopolitische Vereinnahmung digitaler rale Stellung im Netzwerk ausnutzen, um Technologien bewusst zu machen. Punk- das Entstehen weiterer zentraler Knoten, tuell wird es nötig sein, dass auch Europa also eine Diversifizierung von Macht, zu sich auf das Spielfeld der Geopolitik begibt. verhindern, dann könnte man hier aktiv Im Lichte der begrenzten geopolitischen entgegenwirken. Etwa, indem man an of- Konfliktfähigkeit Europas erscheint es je- fenen Standards und Protokollen festhält. doch ebenso wichtig, zugleich auf einem Diese verhindern nicht das Entstehen von zweiten Spielfeld zu agieren, nämlich sich zentralen Knotenpunkten, erlauben es die Logik der Netzwerke außenpolitisch aber immer wieder auch neuen Akteuren, zunutze zu machen. IP Special • 3 /2020 | 25
Sie können auch lesen