Die Klimakrise als Krise der psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche - Allum
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Pädiatrische Allergologie » 03 / 2021 » Umweltmedizin 59 UMWELTMEDIZIN Die Klimakrise als Krise der psychischen Gesundheit für Kinder und Jugendliche Felix Peter, Halle (Saale) und Katharina van Bronswijk, Hamburg Die Klimakrise birgt für den Menschen viele Risiken. Noch viel zu selten werden dabei die psychischen Konsequenzen in den Blick genommen – weder die von akuten Umweltstressoren noch jene der kognitiven Auseinandersetzung mit der Bedrohung durch die menschengemachte Erd erhitzung. Wir wollen beides im folgenden Beitrag am Beispiel der Risikogruppe der Kinder und Jugendlichen anreißen und dabei exemplarisch auf die potenziellen psychischen Folgen von Pandemien, Luftverschmutzung und „Klimasorgen“ eingehen. Klimakrise: Globale Perspektive und Risikogruppen Die Klimakrise ist in Europa angekommen und auch in Deutschland längst präsent (vgl. [7, 25]). Sie betrifft uns nicht erst in ei- nigen Jahrzehnten, sondern jetzt. Weltweit sind im Jahr 2019 Millionen junger Men- schen auf die Straße gegangen, um jene Erwachsenen aufzurütteln, die über die Lebensbedingungen von morgen entschei- den. Und dies war und ist auch notwendig, denn die derzeitigen politischen Weichen- stellungen weisen trotz des Pariser Klima- abkommens in eine deutlich über 3°C hei- Neben regionalen Unterschieden gibt die Zukunft und das Wohlbefinden gan- ßere Zukunft zum Ende des Jahrhunderts es somit Risikogruppen, die besonders zer Generationen bedrohen [36]. (z. B. [37]). Dabei wurde als Ziel vereinbart, anfällig für die negativen Folgen der deutlich unter 2°C zu bleiben, um eine Ka- Erd erhitzung sind (vgl. [1, 10, 31, 42]): Schon lange ist klar, dass – global gese- tastrophe abwenden zu können. Menschen mit geringeren finanziellen hen – Menschen in Entwicklungsländern Ressourcen, ältere und somatisch oder und jüngere Kinder durch die Folgen der Nicht alle Menschen sind von der Kli- psychisch erkrankte Menschen, natur- Klimakrise überproportional betroffen makrise gleichermaßen betroffen. Die verbundene Gemeinschaften, oder Kin- sein werden [23]. Bereits 2008 hat die Auswirkungen werden regional sehr un- der und Jugendliche. Gerade letztere Entwicklungswissenschaftlerin Sheri- terschiedlich ausfallen. So wurden kürz- nehmen unter den Risikogruppen eine dan Bartlett umfassend dargestellt, wel- lich erst, zwischen September 2020 und herausgehobene Rolle ein, weil sie auf chen multiplen Risiken Kinder in Ländern Februar 2021, weltweit über 10 Millionen den Umgang mit Krisen und einschnei- mit mittleren und niedrigen Einkommen Menschen durch Erscheinungsformen denden Umweltveränderungen in vieler- ausgesetzt sind [4]: z. B. erhöhen Hitze- der Klimakrise wie Überflutungen oder lei Hinsicht nicht vorbereitet sind. Und wellen das Risiko für Hitzestress, Atem- Dürre vertrieben, 60 % davon allein im sie sind auch aufgrund ihrer Abhängig- wegserkrankungen, Zoonosen und Man- asiatischen Pazifikraum [16]. Jüngere keit von Erwachsenen besonders vulne- gelernährung; Starkniederschläge mit Kinder, Frauen und ältere Menschen sind rabel. Somit bergen Klima- und Umwelt- anschließenden Überflutungen setzen durch solche extremen Ereignisse am stressoren erhebliche Entwicklungs Kinder einer größeren Lebensgefahr aus, stärksten gefährdet [4]. risiken für junge Menschen und können erhöhen das Risiko für Mangelernährung
60 Pädiatrische Allergologie » 03 / 2021 » Umweltmedizin und Infektionskrankheiten; Entwick- Belastungen und Entwicklungsrisiken ebensowenig wie jene für Kinder, die nahe lungsrisiken werden durch ausbleiben- zur Folge haben. In diesem Sinne führt Angehörige verloren haben – für die USA den Schulbesuch, fehlende soziale Inter- uns die Pandemie vor Augen, inwieweit z. B. wird geschätzt, dass bislang rund aktionen, Obdachlosigkeit und Migration die komplexen Folgen von Umweltkri- 40.000 Kinder ein Elternteil infolge einer sowie familiäre Stressoren größer. sen nicht nur über direkte physikalische COVID-19-Erkrankung verloren haben [19]. Effekte, sondern auch über sekundäre In den epidemiologischen Modellrech- soziale Konsequenzen spürbar Wirkung International wird diskutiert, dass das nungen zu den gesundheitlichen Folgen entfalten können. Risiko für weitere Pandemien infolge der der Klimakrise kommen psychische Be- Erderhitzung zunehmen könnte [8]. Die lastungen sowie Entwicklungsrisiken, So zeigt die COPSY-Studie des Universi- exemplarischen Folgen von „nur“ einem die sich nicht zuletzt auch über mehrere tätsklinikums Hamburg-Eppendorf, dass Jahr Corona-Pandemie zeigen auf, wo- Generationen fortsetzen können, im Ge- über zwei Drittel der von den Forschenden rauf sich Gesellschaften und Institutio- gensatz zu körperlichen Erkrankungen befragten Kinder und Jugendlichen bereits nen künftig einstellen müssten, sollte der noch zu kurz [29]. Solche Risiken für die in der ersten Corona-Welle im Frühjahr aktuelle Pfad der fortschreitenden Erder- Gesundheit und Entwicklungsperspekti- 2020 eine hohe Belastung durch die Pan- hitzung nicht verlassen werden. ve von Kindern und Jugendlichen dürfen demie erlebt hatten; im gleichen Zeitraum jedoch nicht unterschätzt werden. sei die „Prävalenz für psychische Auffällig- Psychische Belastungen keiten von 17,6 % […] auf 30,4 %“ gestiegen durch Veränderungen Corona-Pandemie: [35]. In der zweiten Welle über den Jahres- der Luftqualität Beispiel für die psychischen wechsel 2020/21 habe die psychische Be- Folgen von Umweltkrisen lastung weiter zugenommen oder sich auf Eine weitere psychische Konsequenz hohem Niveau stabilisiert [34]. der Klimakrise hat mit der Luftqualität Die Klimakrise ist längst nicht die einzige zu tun. Mehrere wissenschaftliche Ar- ökologische Krise, die sich die Mensch- Schon in kurzer Zeit nahmen in der Co- beiten weisen auf den positiven Zusam- heit selbst geschaffen hat. Das Arten rona-Pandemie emotionale und Verhal- menhang zwischen höheren Temperatu- sterben oder die Zerstörung von Ökosys- tensprobleme sowie Einsamkeitserleben ren und einer schlechteren Luftqualität temen sind weitere. Doch ihre für den zu; dies muss im Zusammenhang mit aufgrund stärkerer Konzentrationen an konkreten Lebensalltag in Mitteleuropa den Veränderungen des Lebensalltags Luftschadstoffen hin [1, 9, 21, 39, 42]. Und bislang vergleichsweise wenig sicht- und durch die Eindämmungsmaßnahmen, wie eine schlechtere Luftqualität wird wie- spürbaren Auswirkungen machen es Schulschließungen und Abstandsrege- derum z. B. für die Zunahme von allergi- schwierig, hierzulande die sich aus der lungen, gesehen werden (vgl. [6, 20]). Auf schen Erkrankungen bei Kindern verant- schleichenden Entwicklung der Klima längere Sicht müssen für schulpflichtige wortlich gemacht [13, 18]. krise ergebenden Konsequenzen für die junge Menschen „erhebliche Konsequen- psychische Gesundheit wahrzunehmen zen für die Lebenszeitperspektive […] Doch nicht nur das: So verweisen die und einzuschätzen. Vor diesem Hinter- (z. B. ungünstige Schullaufbahnentwick- Psychiaterin Lise van Susteren und der grund lohnt sich ein Blick auf die Coro- lung, Bildungsabschlüsse mit geringeren Epidemiologe Wael Al-Delaimy [42] auf na-Pandemie als sehr akutes Beispiel Arbeitsmarktchancen, gesundheitliche den Zusammenhang zwischen Luftver- weltweiter Umweltkrisen. Beeinträchtigungen etc.)“ angenommen schmutzung und neurologischen Entzün- werden [28]. dungen, die wiederum für verschiedene Wie unter einem Brennglas zeigt die psychische Erkrankungen verantwort- Pandemie in nur einem Jahr auf, wie Gerade gesellschaftlich benachteiligte lich gemacht werden. Luftschadstoffe tiefgreifend ein Impuls aus einer sich Kinder und Jugendliche werden signifi- können die neurologische Entwicklung verändernden Umwelt menschliche Le- kant stärker von solchen Belastungen beeinträchtigen [21] und schon geringe bensbedingungen beeinflussen kann betroffen sein (vgl. [34, 35]). Die psychi- Verschmutzungsgrade in der Luft der und dabei neben Belastungen für die kör- schen und biografischen Konsequen- Wohnumgebung können bei Kindern und perliche Gesundheit auch soziale Verän- zen, die allein den pandemiebedingten Jugendlichen mit einem erhöhten Risiko derungen auslöst, die wiederum für viele Schulschließungen zugerechnet werden für psychische Erkrankungen einhergehen Menschen ganz konkrete psychische müssen, sind noch gar nicht absehbar; [26]. Bereits eine stärkere pränatale Expo-
Pädiatrische Allergologie » 03 / 2021 » Umweltmedizin 61 sition gegenüber bestimmten Luftschad- stoffen – in diesem Fall polyzyklische aro- matische Kohlenwasserstoffe, die sich un- ter anderem an verkehrsreichen Straßen anreichern können – kann zu psychischen Problemen wie Aufmerksamkeitsdefiziten oder Symptomen einer Angsterkrankung oder Depression im Grundschulalter füh- ren [27]. Dies geschieht also zu Beginn einer Entwicklungsphase, in der emotio- nal-soziale Schwierigkeiten einen großen Risikofaktor für soziales und schulisches Lernen darstellen (für einen Überblick zur physiologischen Wirkung von Luftschad- stoffen vgl. [22]). die Klimakrise kann auf Dauer und ohne Ein relativ neuer Begriff, der eng mit wirksame Ventile zu signifikanten psy- Desillusionierung verbunden ist, ist je- Aber auch somatische Erkrankungen, chischen Beeinträchtigungen führen. ner der Solastalgie, eine Wortneuschöp- wie durch eine geringere Luftqualität in- fung, die Nostalgie, Trostlosigkeit und folge der Klimakrise begünstigte Allergi- In der 18. Shell-Jugendstudie benann- Sehnsucht nach Trost vereinen soll – en oder allergisches Asthma, sind nicht ten junge Menschen zwischen 12 und eine besondere Form von ökologischem nur in ihren physischen Folgen zu be- 25 Jahren die Umweltverschmutzung Kummer [32]. Dieses stressauslösende trachten, sondern bergen ebenso Risiken als ihre Hauptsorge – und 65 % machten Gefühl des unwiederbringlichen Verlusts für das psychische Wohlbefinden, nicht sich Sorgen wegen der Erderhitzung [2]. von etwas, das mitunter noch (in Teilen) zuletzt durch den damit verbundenen Umwelt- und Klimaschutz gehört für jun- da oder zumindest noch nicht so lange Verlust an Lebensqualität [14]. ge Menschen zu den wichtigsten Proble- verloren ist, betrifft v. a. umweltverbun- men unserer Zeit [5]. dene Menschen und Gemeinschaften. Ständige Sorge ums Klima Dies ist vielleicht ein Grund dafür, warum kann psychische Folgen haben Eine sorgenvoll-ängstliche Reaktion kann dieser Begriff sich hierzulande im öffent- mit Blick auf das Ausmaß der Klimakrise lichen Diskurs noch nicht ebenso stark Und es gibt noch weitaus mehr Möglich- durchaus als adaptiv angesehen wer- durchgesetzt hat, wie jener der „Klima- keiten, wie die Klimakrise sich auf die den, da sie zu entschlossenerem Klima- angst“. psychische Gesundheit niederschlagen schutzverhalten motivieren kann [30]. kann: Direkt erlebte Extremwettereig- Insbesondere Empörung bzw. Wut über Psychische Überlastung nisse können z. B. zu posttraumatischen mangelnden Klimaschutz können hier die versus Selbstwirksamkeit Belastungssymptomen, Suizidalität oder Brücke zur Handlung schlagen (vgl. [38]). Aggressionen führen; und psychische In der Auseinandersetzung mit der schier Die Klimakrise wird in Form verschie- Beeinträchtigungen können auch indi- unfassbaren Größe des Problems und dener, seriell oder parallel auftretender rekte Folge von Erscheinungsformen mit der Notwendigkeit eines weitgehen- „kleinerer“ Krisen – z. B. in Form von Pan- der Klimakrise, z. B. durch Mangelernäh- den und tiefgreifenden Wandels ökono- demien, Naturkatastrophen, Verlust von rung, häusliche Konflikte, anhaltende mischer und sozialer Beziehungsweisen Lebensräumen etc. – immer stärker zu- Unsicherheit, chronischen Stress, Migra- kann es jedoch auch zu Enttäuschung tage treten. Emotionale Reaktionen wie tionserfahrungen, Verlust von Angehöri- und Frustration kommen. In einer Studie Ängste und Sorgen werden deshalb auch gen etc. sein [36]. Und diese sekundäre der FU Berlin mit über 2500 deutschen in Mitteleuropa eine zunehmende Rolle psychische Belastung kann sich wieder- Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielen. Noch ungeklärt und im Verlauf um längerfristig auf die Entwicklung und gaben 50 % der Befragten an, dass ihnen der nächsten Jahrzehnte zu beantwor- psychische Gesundheit auswirken (vgl. Nachhaltigkeit zwar wichtig ist, sie je- ten ist die Frage, welche Auswirkungen [9, 42]). Und selbst die alleinige kognitive doch gleichzeitig desillusioniert und pes- die kognitive Beschäftigung mit einer Beschäftigung mit der Bedrohung durch simistisch auf die Zukunft schauen [14]. solchen chronischen, endlos erscheinen-
62 Pädiatrische Allergologie » 03 / 2021 » Umweltmedizin den und die Kräfte einzelner Menschen Im psychotherapeutischen Setting gungskompetenzen) und soziale Risi- deutlich übersteigenden Krise und einer nimmt die Klimakrise in Deutschland kofaktoren (z. B. Lebensverhältnisse, chronisch pessimistischen Zukunfts- nach eigenen Erfahrungen noch wenig sozioökonomischer Status) sowie deren vorstellung auf die Psyche und Persön- Raum ein: Das Thema „Klimasorgen“ Interaktion zu beachten. Kontextuelle lichkeitsentwicklung heranwachsender ist dabei eines unter vielen Themen, mit Belastungsfaktoren können solche Risi- Menschen haben wird. denen sich ängstliche oder depressive kofaktoren sowohl physisch (z. B. Verlet- Patientinnen und Patienten auseinander- zung durch Unfälle, materielle Schäden Von vergangenen und gegenwärtigen setzen. Mit Blick auf Erfahrungen aus an- durch Unwetter, Virusinfektion) als auch Krisen ist bekannt, dass diese mit hö- deren Ländern (vgl. z. B. [43]) und zuneh- psychosozial (z. B. Trauma nach Unwet- heren Prävalenzen für Depressionen, mend spürbaren Klimafolgen in Deutsch- ter, emotionaler Stress durch Verlust von Angststörungen und Suizidalität einher- land ist jedoch von einer Zunahme kli- Angehörigen, Entwicklungsrisiken durch gehen können (z. B. Corona-Pandemie: maassoziierter psychischer Belastungen Schulausfall) verstärken. [34, 35] oder Wirtschaftskrisen: z. B. in den nächsten Jahren und einem damit [40]). Darüber hinaus ist in Krisenzei- einhergehenden Anstieg therapeutischer Menschen, die Krisen und deren konkrete ten im Zuge stressauslösender Gefühle Anfragen auszugehen. Insbesondere im Stressoren erfolgreich meistern, werden wie Ängsten und Unsicherheit mit einer Klimaschutz engagierte Menschen sind als resilient bezeichnet. Resilienzförder- Zunahme an Prozessen der Realitäts- hier sensibilisiert und vulnerabel, dies liche Ressourcen finden sich wiederum verweigerung zu rechnen – wie z. B. der zeigt sich z. B. in der Resonanz für das auf der biologischen, sozialen und psy- Glaube an Verschwörungserzählungen, Beratungsangebot der Psychologists/ chischen Ebene. Dabei ist zwischen rela- die einer schwer fassbaren Lage eine Psychotherapists for Future [33, 44]. tiv stabilen Schutzfaktoren (z. B. Famili- nachvollziehbare Bedeutung geben und enkonstellation, genetische Disposition) die wahrgenommene Kontrolle erhöhen Ausblick: Klimaresilienz und dynamischeren Resilienzmechanis- können [41]. men zu unterscheiden [17]. In der Arbeit Die vielen systemischen Verschachte- mit jungen Menschen sind v. a. solche Generell sind Kontrollerleben und Selbst- lungen und Wirkungspfade lassen es gar psychosozialen Resilienzmechanismen wirksamkeit wichtige individuelle Res- nicht zu, alle gesundheitlichen Folgen von Interesse, die durch Lernen veränder- sourcen in Krisen. Sie geben uns das der Klimakrise im Detail abzuschätzen, bar sind [29]; die es ermöglichen, dass Gefühl, nicht nur Spielball äußerer Um- weder die körperlichen noch die psychi- Krisen nicht nur negative Auswirkungen stände zu sein und etwas (wirksam) tun schen – und am ungenauesten wird sich mit sich bringen, sondern auch Entwick- zu können. Doch selbst bei jenen jungen in Modellen wohl die Lebenszeitperspek- lungschancen. Menschen, die ein hohes Maß an Selbst- tive abbilden lassen. Nichtsdestotrotz wirksamkeit in der Klimakrise an den Tag muss ein Umgang damit gefunden wer- Mit Blick auf die historische Dimension legen, die sich z. B. bei den Fridays for Fu- den. Deshalb sollten künftig noch stärker der Klimakrise unterscheiden wir eine ture engagieren, sind mit der Zeit psychi- jene Ressourcen in den Blick genommen adaptive und eine transformative Di- sche Überlastungserscheinungen oder werden, die es Menschen ermöglichen, mension von Resilienz, sowohl auf der Demotivation zu befürchten bzw. zu be- Krisen gesund zu bewältigen. individuellen Ebene als auch auf der Ebe- obachten, insbesondere dann, wenn die ne von Gruppen und Systemen ([30; vgl. politischen Erfolge auszubleiben schei- Ein bewährtes Konzept ist jenes der Abb. 1). Denn das Anthropozän mit sei- nen (vgl. z. B. [44]). Umso wichtiger ist Resilienz, das einen dynamischen An- nen menschengemachten Umweltkrisen die Partizipation in Gruppen, da sie zum passungs- und Entwicklungsprozess erfordert eine doppelte Resilienzanstren- einen die (wahrgenommene) Wirksam- in Interaktion zwischen Individuum gung: keit durch kollektives Handeln erhöht und kontextuellen Belastungsfaktoren ❙ erstens, angesichts der bereits auftre- (vgl. [11]); zum anderen ist der Anschluss beschreibt [12]. Nach dem biopsycho- tenden Krisen gesund zu bleiben (ad- an eine Gruppe eine wichtige soziale Res- sozialen Modell menschlicher Gesund- aptive Resilienz), und, source, um drohender Überforderung mit heit sind dabei aufseiten des Indivi- ❙ zweitens, sich an gesellschaftlichen den emotionalen Konsequenzen der Be- duums biologische (z. B. genetische Transformationsprozessen zu betei- drohung durch die Klimakrise psychisch Disposition, Körperfunktionen), psychi- ligen und diese bewältigen zu können adaptiv begegnen zu können [30]. sche (z. B. Verhaltensmuster, Bewälti- (transformative Resilienz).
Pädiatrische Allergologie » 03 / 2021 » Umweltmedizin 63 Abbildung. Vier-Felder-Modell zur Klimaresilienz (Beispiel Schule) Adaptive Resilienz Transformative Resilienz (Kapazität, sich an die Folgen (Kapazität, an transformativen Prozessen der Erderhitzung anzupassen: zur Eindämmung der Klimakrise „gesund und handlungsfähig bleiben“) teilzuhaben und diese zu bewältigen) Individuelle Ebene Kompetenzen entwickeln, Kompetenzen (Resilienz Stresssituationen zu reflektieren zur Problemlösung entwickeln als psychosoziale Ressource und angemessen auf sie zu reagieren und erproben; zur Bewältigung (z. B. Selbstregulation, schulische Angebote mitgestalten von Belastungsfaktoren) Stressbewältigung) (p Selbstwirksamkeit) Kollektive Ebene Unterrichtsformen und -inhalte, Lokale Behörden (Resilienz als Ressource die bei der Entwicklung ermöglichen Schulprojekte von Gruppen, Institutionen adaptiver Resilienzmechanismen für nachhaltigen öko-sozialen und sozialen Systemen unterstützen Wandel in der Gemeinde zur Krisenbewältigung) (z. B. Umgang mit Gefühlen) (p kollektive Wirksamkeit) Vier-Felder-Modell zur Klimaresilienz am Beispiel von Klimabildung und Resilienzentwicklung in der Schule (nach Peter et al., im Druck). Das Modell ist als praxis- orientiertes Hilfsmodell zur Gestaltung von Resilienzplänen für verschiedene Ebenen der Gesellschaft und verschiedene Bereiche des Zusammenlebens zu ver- stehen. Für jedes der Felder können Ansätze zur Stärkung psychosozialer Resilienzmechanismen entwickelt werden. Die einzelnen Felder sind eng miteinander verbunden und sollten immer in Bezug zueinander gesehen werden. Copyright: Psychologists for Future (Lizenz: CC BY-SA) Neben individuellen Resilienzmechanis- sein, dass sie auch in Krisenzeiten ihren Dr. Felix Peter … men, wie z. B. emotionalen und sozialen Aufgaben nachkommen können. Gleich- Kompetenzen sowie Selbstwirksam- zeitig sollten sie sich stärker zu Orten … ist Dipl.-Psych. und arbeitet als Schul keitsüberzeugungen, werden kollektive entwickeln, an denen psychosoziale Re- psychologe in Sachsen-Anhalt. Er ist Mitglied Resilienzfaktoren, wie etwa eine verbes- silienzmechanismen gezielt gestärkt im Presse-Team der Psy4F (Psychologists for Future) sowie in der Arbeitsgruppe „Psycho serte (gesundheitliche) Versorgungs werden (vgl. [30], Abb.) und transforma- logie & Klima“ im Berufsverband Deutscher infra struktur (z. B. [25]) und Möglich- tives Lernen stattfindet [15]; sei es z. B. Psychologinnen und Psychologen (BDP). keiten zu Partizipation und politischer durch die Förderung von Reflexionsfä- Teilhabe, wichtige Bausteine zur Gesund higkeiten und Handlungskompetenzen Katharina van Bronswijk … erhaltung der Bevölkerung sein (vgl. z. B. oder durch konkrete Partizipationsange- [10]). Wie entscheidend solche Faktoren bote, die individuelle und kollektive Wirk- … ist Psychologin, als Psychologische Psy- auf der Systemebene sind, zeigen die samkeitserfahrungen ermöglichen. Ge- chotherapeutin in der Lüneburger Heide Auswirkungen der Corona-Pandemie lingt zudem der Transfer aus dem schu- niedergelassen und als Dozentin tätig. Seit April 2019 ist sie Sprecherin der Psy4F, pub- sehr deutlich, z. B. auf die Gesundheits- lischen in den gesamtgesellschaftlichen liziert und hält Vorträge zur Psychologie der versorgung oder das Bildungssystem. Kontext, können Bildungseinrichtungen Klimakrise. zu entscheidenden Institutionen zur Ein- Für Kinder und Jugendliche ist v. a. ein dämmung der Klimakrise und anderer Für Rückfragen: resilientes und resilienzförderndes Bil- ökologischer Krisen sowie zur Unterstüt- dungssystem essenziell: So sollten zung erforderlicher gesellschaftlicher presse@psychologistsforfuture.org Schulen so ausgestattet und konzipiert Transformationsprozesse werden.
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