Die Kombination aus internetbasiertem Employer Branding und eAssessment bei Tchibo
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Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Die Kombination aus internetbasiertem Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Joachim Diercks 1 Zielsetzung Der vorliegende Beitrag beschreibt, wie Tchibo durch den kombinierten Einsatz eines virtuellen Unternehmensrundgangs und eines eAssessment Verfahrens einzigartige Einblicke in die Arbeitgebermarke Tchibo gewährt und somit sub- stanziell die Selbstauswahlfähigkeit potenzieller Bewerber erhöht und gleichzei- tig die Qualität und Effizienz der Vorauswahl im Bereich Führungsnachwuchs deutlich steigert. 2 Vorstellung des Unternehmens Tchibo Der Tchibo Konzern ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der maxingvest ag, zu der neben der Beteiligung an Tchibo noch eine Mehrheitsbeteiligung von 50,46% an der Beiersdorf AG (Beiersdorf, tesa etc.) gehört. Tchibo erzielte 2007 mit ca. 12.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 3,6 Mrd. Euro. Tchibo ist eine der stärksten Marken Deutschlands. So gewann Tchibo bspw. 2006 den Titel »stärkste Produktmarke« in der Studie »bestbrands«, die jährlich von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) durchgeführt wird. 2007 wurde hier ein starker dritter Platz erreicht. Außerdem belegte das Unterneh- men in dem branchenübergreifenden Ranking von 80 Handelsunternehmen der internationalen Top-Managementberatung BBDO Consulting den ersten Platz. Tchibo steht für ein einzigartiges Geschäftsmodell. Es verbindet höchste Röst- kaffeekompetenz, Kaffeegenuss im Gastro-Bereich und ein innovatives, wöchentlich wechselndes Sortiment an Gebrauchsartikeln sowie Dienstleistun- gen wie das »Angeboot«, Reisen und Mobilfunkangebote. Das Geschäftsmodell verbindet also in einem Dreiklang Handel, Markenartikel und Gastronomie. Tchibo bietet Hochschulabsolventen verschiedene 18- bis 20-monatige fachspe- zifische Traineeprogramme in den Bereichen Vertrieb & Marketing, Produktma- nagement Non Food, Unternehmenssteuerung, Personnel Services und Supply Chain Management sowie das International Corporate Trainee Programm an. 162
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo 3 Ausgangssituation Wie zahlreiche andere Unternehmen steht auch Tchibo bei der Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs unter dem Druck, die im Unternehmenssinne best- möglich passenden Kandidaten zu rekrutieren. Dabei stellt sich die Frage, was eigentlich eine Auswahlentscheidung »gut« macht. Was sind die Stellhebel, über die sich die Auswahlqualität im Recruiting positiv beeinflussen lässt? Vordergründig einleuchtend ist sicherlich, dass die Qualität der Auswahl steigt, je besser die zur Auswahl eingesetzten Auswahlinstrumente geeignet sind, den zukünftigen Berufserfolg zu prognostizieren. In der Selektionsdiagnostik wird in diesem Zusammenhang von prognostischer oder prädiktiver Validität gesprochen. Wie verschiedenste Untersuchungen nachgewiesen haben, lässt sich die prognostische Validität der Personalauswahl insgesamt erhöhen, wenn unterschiedliche Auswahlverfahren sinnvoll miteinander kombiniert und so unterschiedliche Bewerbermerkmale überprüft werden. Das Prinzip des Blended Assessment (Kupka 2007) sieht bei dieser Kombination explizit den Einsatz von Offline- und Onlineverfahren vor. Da sich Tchibo wie im Grunde jedes andere Unternehmen bei der Gestaltung des Auswahlprozesses für Führungsnachwuchs neben der Anforderung hoher prognostischer Validität auch einem starken Effizienzdruck gegenüber sieht – d.h. die Personalauswahl sollte nicht nur »gut«, sondern auch möglichst zeit- und kosteneffizient sein – wurde im Rahmen des hier vorgestellten Projekts ein sog. eAssessment Verfahren als Vorauswahlstufe eingeführt. Unter eAssessments sind internetgestützte Instrumente zur Beurteilung und Vorhersage beruflich relevanter biografischer und psychologischer Variablen zur Abschätzung der Eignung zu verstehen (Konradt & Sarges 2003). Das Tchibo eAssessment wird weiter unten detailliert beschrieben. Neben der Verfahrensvalidität drängt jedoch ein zweiter, mindestens ebenso wichtiger Stellhebel zur positiven Beeinflussung der Auswahlqualität zunehmend ins Bewusstsein: Die Verbesserung der Selbstauswahl. Die Macht dieses Auswahlinstruments wird schnell deutlich, wenn man sich einen einfachen Sachverhalte vor Augen hält: Gelänge es einem Unternehmen bspw. ausschließlich »passende« Bewerber anzulocken, bedürfte es im Grunde keines weiteren Auswahlverfahrens mehr. Wenn man so will, zöge selbst ein auf Zufall basierendes Losverfahren immer einen richtigen Kandidaten aus dem Lostopf. Umgekehrt jedoch gilt dieses Beispiel natürlich auch; einem Unternehmen, das keinen einzigen »passenden« Bewerber erreicht, hilft auch das beste – i.S. der Selektionsdiagnostik »valideste« – Auswahlverfahren nicht. Wo kein geeigneter Kandidat ist, kann ihn auch kein noch so gutes Verfahren aufspüren. Nun, in der Realität beträgt die Grundquote, also der prozentuale Anteil »passender« Kandidaten in der Grundgesamtheit aller Bewerber, selten 100 und wohl ebenso selten Null, jedoch zeigt sich, dass bereits graduelle Verbesserungen der 163
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Grundquote z.T. deutlich erhöhte Trefferquoten zur Folge haben (Taylor & Russell 1939). Einfluss darauf zu nehmen, wer sich bei einem bewirbt, ist also in keiner Weise bloßes »Window-Dressing«, sondern überlebenswichtig im Wettbewerb um gute Mitarbeiter. Die längerfristige Positionierung als Arbeitgebermarke hilft dabei, sich als Unternehmen im sog. »Relevant Set« bei der Wunschzielgruppe zu verankern. Das Relevant (oder Evoked-) Set beschreibt dabei den von der Zielgruppe als mögliche Arbeitgeber in Betracht gezogene Kreis an Unternehmen. Diese Positionierungsstrategie wird heute vielfach als Employer Branding bezeichnet. Auch dieser Aspekt spielte bei dem im Rahmen dieser Fallstudie beschriebenem Projekt bei Tchibo eine wesentliche Rolle. Jean M. Phillips von der Rutgers University in New Jersey hat in ihrer Meta- Analyse »Effects of Realistic Job Previews on Multiple Organizational Outcomes: A Meta-Analysis« (Phillips 1998) nachgewiesen, dass der Einsatz sogenannter »Realistic Job Previews«, also der möglichst realistischen Darstellung der Begebenheiten eines Jobs oder Berufsbildes bevor ein Kandidat diesen antritt, generell positive Auswirkungen auf verschiedene organisatorische Ziele hat. Neben eher übergeordneten Zielen wie »allgemeiner Performance« waren hierunter auch sehr spezifisch auf den Recruitingkontext bezogene Ziele. Beispielsweise steigt die »Klarheit der ursprünglichen Erwartungen« (Accuracy of initial expectations) oder die Gefahr des vorzeitigen bewerberseitigen »Rückzugs aus dem Recruitingprozess« (attrition from the recruitment process) wird gesenkt. Zahlreiche aktuelle Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass der derzeitig vielfach beschriebene Mangel an Fach- und Führungskräften lediglich ein Vor- geschmack auf die kommenden Zustände ist. Während der konjunkturellen Delle nach dem Zusammenbruch der New Economy herrschte im »War for Talent« in der ersten Hälfte des laufenden Jahrzehnt allenfalls eine Art Waffen- stillstand. Nicht erst die wieder in Schwung gekommene Konjunktur, sondern zunehmend auch langfristigere Faktoren wie etwa der demografische Wandel oder der in Deutschland chronisch vergleichsweise geringe Anteil an Hoch- schulabsolventen, setzen Unternehmen zunehmend unter Handlungsdruck. Parallel ist das Internet zum Informationsmedium Nummer 1 geworden, wenn es um Berufsorientierung geht, d.h. wenn Unternehmen handeln wollen, so müssen sie es dort tun. eRecruiting – also die Rekrutierung im oder unterstützt durch das Internet – bietet verschiedene Anknüpfungspunkte. In sinnlogischer Reihenfolge könnte die Wertschöpfungskette internetgestützter Recruitingmaßnahmen dabei wie folgt aussehen: a) Employer Branding, also die Positionierung der Arbeitgebermarke durch Instrumente des Online Marketing, b) Bewerbermanagement, also die digitale Bewerbung (per E-Mail oder über Bewerbungsformulare) inkl. des nachfolgenden Workflows und 164
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo c) datenbankgestützte Vorselektion, z.B. mittels des Einsatzes von eAssessment Verfahren. Der aktuellen Studie »Recruiting Trends 2008« der Universitäten Frankfurt/Main und Bamberg zufolge ist der Grad an IT-Unterstützung im Bereich des Bewer- bermanagements bereits am weitesten fortgeschritten, wenngleich auch hier immer noch eine große Lücke zwischen dem Ist- und dem Wunschzustand klafft. Diese Lücke ist jedoch am größten bei den beiden Teilprozessen Employer Branding und Vorselektion. Da dies auch die beiden Teilprozesse der Personal- beschaffung sind, mit denen die befragten Personaler vergleichsweise am unzu- friedensten sind, deutet sich an, dass eine Erhöhung des Grads an IT-Unterstüt- zung speziell in diesen beiden Teilprozessen aus Sicht der befragten Personaler zu einer Verbesserung der Ergebnisse führen kann. Zurück zu der Studie von J. M. Phillips: Ein weiteres Ergebnis der Meta-Analyse war, dass die positiven Effekte von Realistic Job Previews auf Recruitingziele bei videobasierter Darbietung stärker waren als bei textbasierter. D.h. je realistischer die Darstellung desto höher die Orientierungs- und letztlich Lenkungswirkung der Maßnahme. Nun ist das Internet nicht nur Informationsmedium Nr. 1 im Bereich der Berufsorientierung geworden, sondern verfügt inzwischen auch über hervorragende gestalterische Darstellungsmöglichkeiten. Neben Text, Gra- fiken, Animationen oder Bildern können mittlerweile auch audio- und videoba- sierte Inhalte transportiert werden – eine Entwicklung, die 1998 bei Erscheinen der Meta-Analyse von Phillips so noch nicht absehbar, geschweige denn reali- siert war. Kurzum: Gepaart mit den Vorzügen der ständigen On Demand Ver- fügbarkeit der Inhalte und der Rückkanalfähigkeit ist das Internet das ideale Medium für Realistic Job Previews. Der im Wesentlichen videobasierte virtuelle Unternehmensrundgang bildete vor diesem Hintergrund neben dem eAssess- ment Verfahren die zweite Säule des hier vorgestellten Projekts bei Tchibo. 4 Fallstudie: Kombination aus virtuellem Unternehmens- rundgang und eAssessment bei Tchibo 4.1 Der virtuelle Tchibo Unternehmensrundgang Tchibo hat in Deutschland eine Markenbekanntheit von nahezu 100%. Das ein- gangs beschriebene einzigartige Geschäftsmodell stellt das Personalmarketing im Bereich der Nachwuchsgewinnung bei Tchibo allerdings vor eine schwierige Aufgabe. Das in vielen Belangen besondere Geschäftsmodell muss auf den Kon- text »Berufsbild« herunter gebrochen werden, um potenziellen Kandidaten ein klareres Bild davon zu geben, welche Tätigkeiten sich hinter der Arbeitgeber- marke Tchibo verbergen. Der große Wettbewerbsvorteil starker Endverbrau- chermarken wird beim Employer Branding zur großen Herausforderung ver- kehrt, weil teilweise auch gegen bestehende Stereotypen und Vorurteile gearbei- 165
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo tet werden muss – so auch bei Tchibo. Man könnte etwas salopp sagen, dass wohl nahezu jeder eine Vorstellung davon hat, was man bei Tchibo eigentlich macht. Nur könnte es sein, dass diese Vorstellung eher von der Verkaufskraft in der Tchibo-Filiale, der Kaffeeplantage aus dem TV-Spot oder der neuesten Phase Küchenaccessoires im letzten Tchibo Katalog bildlich assoziativ domi- niert wird und sich weniger an den realen Gegebenheiten und Berufsrealitäten orientiert. Um hier potenziellen Bewerbern eine realistischere Einschätzung zu ermögli- chen, setzt die Personalmarketing-Strategie von Tchibo deshalb auf »subjektive Blickwinkel«, aus denen das Unternehmen so gezeigt wird, wie es sich in der Arbeitsrealität darstellt. In den Imageanzeigen etwa werden Szenen, die die Berufsrealität bei Tchibo jeweils etwas überraschend zeigen mit Statements realer Mitarbeiter kombiniert, wie folgende Abbildung verdeutlicht: Abb. 1: Imageanzeige zur Bewerbung des Tchibo Traineeprogramms Ein anderes Instrument der Nachwuchsgewinnung ist der im zweijährigen Tur- nus hausintern durchgeführte Ideen-Workshop Tchibo Think Tank. Hier erar- beiten handverlesene Studenten innovative Ideen, die zum Tchibo-Geschäfts- modell passen und teilweise sogar realisiert werden. 166
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Abb. 2: Werbung für den Ideen-Workshop Tchibo Think Tank So sinnvoll und unverzichtbar beide exemplarisch genannten Aktivitäten sind, reichen diese heute allein nicht mehr aus, um sich als Unternehmen im »War for Talent« zu behaupten. Imageanzeigen können immer nur einen sehr kleinen Ausschnitt zeigen und müssen sich oftmals auf eine oder wenige Aussagen beschränken. Zudem erlaubt dieses Medium keinerlei Multimedialität und sieht keine Interaktion vor. Events wie der Think Tank sind ein hervorragendes Instrument des Employer Brandings, weil ein intensiver zweitägiger Kontakt zu Top-Kandidaten aufgebaut wird. Allerdings lassen sich solche Events aufgrund des hohen logistischen Aufwands nicht häufig durchführen und verursachen sehr hohe Kosten. Vor diesem Hintergrund und der oben geschilderten Idee der Realistic Job Pre- views folgend begannen Tchibo und CYQUEST im Juni 2007 mit der Umset- zung eines virtuellen Unternehmensrundgangs. Zielsetzung war es hierbei, mit- tels innovativer Darstellungsmöglichkeiten einen im Wesentlichen videobasier- ten subjektiven Einblick in die Arbeitsrealitäten bei Tchibo zu geben. Als fester Bestandteil des Karriereauftritts von Tchibo im Internet sollte sich der virtuelle Unternehmensrundgang primär an die Zielgruppe Studierende und Hochschul- absolventen richten. Nach knapp fünfmonatiger Umsetzungszeit wurde der vir- tuelle Unternehmensrundgang Ende Oktober 2007 fertig gestellt. Im Rahmen des virtuellen Unternehmensrundgangs kommen reale Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens in Videos zu Wort und stel- len ihre Arbeitswelten vor. Der Betrachter erhält so einen ausgiebigen Einblick in Unternehmensbereiche wie Logistik, Marketing, Qualitätssicherung, Ver- trieb, Personnel Services oder Controlling. Die gezeigten Mitarbeiter berichten dabei über ihre beruflichen Herausforderungen, geben dem Betrachter aber auch Informationen über ihre eigenen Werdegänge und wie sie zu Tchibo gekommen sind. Der virtuelle Unternehmensrundgang stellt sich in Summe 167
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo somit als eine Art umgekehrter Vorstellungstermin, nämlich des Unternehmens Tchibo beim Besucher, dar. Abb. 3: Vorstellung des Unternehmensbereichs Logistik durch eine Tchibo Mitarbeiterin Bei Start der Applikation kann der Besucher die Sprache auswählen, in der er den Rundgang durchlaufen möchte. Die gesprochenen Beiträge sind dabei immer in deutscher Sprache verfasst, d.h. die Sprachwahloption bezieht sich auf die Sprache der angebotenen Untertitel. Die jederzeit an- und ausschaltbaren Untertitel sind eine wichtige Funktion, da nicht zwingend vorausgesetzt werden kann, dass ein Nutzer über Lautsprecher und Soundkarte verfügt oder am Ort der Nutzung Ton anschalten kann (z.B. im Internetcafé). Der Nutzer kann am Anfang der Applikation auswählen, ob er den gesamten Unternehmensrundgang durchlaufen möchte oder ob er sich nur einzelne Bereichsvorstellungen ansehen möchte. Es wird dem Nutzer zwar nahegelegt, sich den Rundgang in Gänze anzuschauen, was eine Netto-Nutzungszeit von etwa 30 Minuten verlangt, jedoch kann es natürlich sein, dass ein User den Rundgang bereits einmal durchlaufen hat und sich nun nur noch einmal gezielt einzelne Bereiche zur Vertiefung oder Wiederholung ansehen möchte oder dass die verfügbare Zeit zunächst nur für das Ansehen einzelner Bereiche ausreicht. 168
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Abb. 4: Station des Rundgangs, einmal mit aktivierten Untertiteln (englisch), einmal ohne Untertitel Abb. 5: Auswahl des Nutzungsmodus im »Tchibo Universum« Bei den im Rahmen des Rundgangs bzw. innerhalb der einzelnen Bereichsvor- stellungen gezeigten Personen handelt es sich ausschließlich um reale Mitarbei- ter, die auch alle in dem jeweils durch sie vorgestellten Unternehmensbereich tätig sind. Die gezeigten Personen – die sich jeweils auch namentlich vorstellen – sind dabei alle der Gruppe Führungsnachwuchs zuzuordnen, d.h. ihr Einstieg bei Tchibo ist i.d.R. erst wenige Jahre her. Dieser Aspekt ist überaus wichtig, weil die damit zum Ausdruck gebrachte Authentizität sehr viel Glaubwürdigkeit transportiert und die Personen so sehr gut als Projektionsflächen für den jewei- ligen Betrachter fungieren. Die Nutzer, die wie gesagt vorrangig aus der Ziel- gruppe Studierende und Hochschulabsolventen stammen und somit selber für Tchibo potenziellen Führungsnachwuchs bedeuten, sollen sich bei Betrachtung der gezeigten Personen und den Schilderungen der Aufgabenbereiche und indi- viduellen Werdegänge regelmäßig Fragen stellen wie: »Könnte ich das sein?«, 169
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo »Würde mir das auch Spaß machen?«, »Könnte ich das auch?«. Sie können somit besser ihre Befähigungen und Neigung mit den vom Unternehmen gestellten Anforderungen vergleichen – vor einer möglicherweise erfolgenden Bewerbung! Diese Form der Authentizität wäre beim Einsatz von Schauspielern nicht erreichbar gewesen. Die Begrüßung der Besucher zu Beginn und Verabschiedung am Ende des Rundgangs übernimmt die Leiterin des Bereichs Personalmarketing und Nachwuchsprogramme Frau Elisabeth Engel. Da Frau Engel im Regelfall auch bei den letztlich für die Traineeauswahl entscheidenden Assessment Centern persönlich anwesend ist, stellt das »virtuelle Kennenlernen« im Rahmen des Rundgangs bereits einen ersten Kontakt her. Bewerber, die am Ende zum Assessment Center eingeladen werden, haben so das Gefühl, »dass man sich ja bereits kennen gelernt hat«, was als sympathisch und stressreduzierend empfunden wird (Heuke 2005). Abb. 6: Begrüßung der Besucher durch die Leiterin Personalmarketing und Nachwuchsprogramme Sämtliche im Rahmen des Rundgangs und der Bereichsvorstellungen gezeigten Szenerien sind real im Unternehmen existierende Settings. Der Besucher erhält hierbei beispielsweise Einblicke in Europas größtes Hochregallager in Bremen, eine Schattenwaldkaffee-Plantage in Kolumbien oder die Kaffeerösterei im Unternehmensbereich Tchibo Manufacturing. Auch diese Art der Darstellung soll den hohen Grad an Transparenz und Kommunikations-Ehrlichkeit unter- streichen. 170
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Abb. 7: Kaffeerösterei/Tchibo Manufacturing Mit einer aufwändigen Produktionstechnik wurden die im Verlauf des Rund- gangs gezeigten Personen im Greenbox-Verfahren gefilmt und anschließend in die realen Unternehmenssettings eingefügt. Dieses Vorgehen ermöglicht ein hohes Maß an Dynamik bei gleichzeitig verhältnismäßig kleinen Dateigrößen. Auch können so Charaktere oder Settings sehr leicht ausgetauscht werden, etwa in dem Fall, dass eine der gezeigten Personen das Unternehmen verlässt. An verschiedenen Stellen sind in den Rundgang anklickbare Hotspots gelegt worden. Über diese können durch Überfahren mit der Mouse jeweils vertie- fende Information zu den gezeigten Bereichen aufgerufen werden. Der an Details interessierte Nutzer kann so noch weiter in die Tiefe einsteigen und erfährt dabei z.B., dass Tchibo der viertgrößte Kaffeeproduzent weltweit ist oder wie das einzigartige Vertriebskonzept von Tchibo aussieht. Insgesamt kombiniert der virtuelle Unternehmensrundgang als Web 2.0 Appli- kation die Aspekte Employer Branding und Bewerberdialog. Somit wird letzt- lich eine Verbesserung der Selbstauswahl-Fähigkeit erreicht. 4.2 Tchibo eAssessment – webgestützte Eignungsdiagnostik zur Vorauswahl von Führungsnachwuchs Kandidaten, die sich – möglicherweise angeregt durch den virtuellen Rundgang – bei Tchibo auf eines der Traineeprogramme bewerben und die erste Vorselek- tion auf Basis der Lebenslaufdaten überstehen, werden anschließend zum Tchibo eAssessment eingeladen. 171
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Abb. 8: Hotspots mit Detailinformationen Das eAssessment ist ein elementarer Bestandteil der Vorauswahl von Führungsnachwuchs. Der Zielsetzung nach ist das eAssessment ein Instrument der Negativselektion, d.h. die zugrunde liegende Eignungsdiagnostik folgt der Zielsetzung, diejenigen Kandidaten schnell und effizient zu identifizieren, die nicht für eine Traineestelle in Betracht kommen und folglich möglichst frühzeitig aus dem Bewerbungsprozess heraus genommen werden sollen. Das eAssessment ersetzt folglich in keiner Weise die persönliche Auswahl durch die Personalabteilung. Vielmehr ermöglicht eAssessment es dieser, sich verstärkt auf die Positivauswahl zu konzentrieren, da effizient ein Großteil der nicht in Betracht kommenden Bewerber bereits im Rahmen der Vorselektion aussortiert werden kann. Im Rahmen der eignungsdiagnostischen Überprüfung der Kandidaten innerhalb des eAssessments geht es folglich darum, über bis dahin dem Unternehmen relativ unbekannte Personen einen möglichst hohen Aufklärungsbeitrag hinsichtlich ihres späteren Berufserfolgs zu erlangen. Verschiedene Meta-Analysen (u.a. Schmidt/Hunter 1998 oder Bertua/ Anderson/Salgado 2005) kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass insb. Arbeitsproben und die Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit jeweils für sich betrachtet die höchsten prädiktiven Validitäten aufweisen. Speziell in einem Stadium der Vorauswahl, bei der es vorrangig um die Identifikation derjenigen geht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im weiteren Auswahlprozess keine großen Chancen hätten, bietet sich also der Einsatz speziell dieser Testinstrumente an. Die im Tchibo eAssessment enthaltenen Testmodule haben demgemäß ihren Schwerpunkt in der Überprüfung der allgemeinen berufsbezogenen kognitiven 172
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Leistungsfähigkeit der Kandidaten. Die Operationalisierung der Testinhalte folgt dabei dem Berliner Intelligenzstruktur Modell (Jäger/Süß; Beauducel 1997), d.h. es wird eine Überprüfung der Intelligenzfacetten zahlengebundene, sprachgebundene und figural-bildhafte Denkfähigkeit vorgenommen. Die eAssessment-Aufgaben stammen dabei aus erprobten und validierten Standardverfahren von CYQUEST, die im Rahmen eines mehrstufigen Prozesses unternehmensspezifisch auf Tchibo angepasst und normiert wurden. Diese Verfahren sind berufsbezogen formuliert und in situative Kontexte eingebettet, wie sie sich typischerweise im Berufsalltag darstellen – beispielsweise dem Analysieren von Tabellen, Vorbereiten von Präsentationen, Überprüfen und Gegenlesen von Texten oder der Bearbeitung von Diagrammen. Folgende Abbildungen zeigt exemplarisch einen verwendete Aufgabentyp. Abb. 9: Itemtyp zur Überprüfung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Rahmen des Tchibo eAssessments (Beispiel) Neben der kognitiven Leistungstestung wird mittels einer simulativ zu bearbei- tenden Arbeitsprobe die allgemeine Planungsfähigkeit und Problemlösekompe- tenz der Kandidaten überprüft. Hierbei ermöglichen die hervorragenden Dar- stellungsmöglichkeiten des Internets einen im Rahmen von Pen&Paper-Tests nicht erreichbaren Grad an Simulation und Interaktion. Bspw. wird die Bearbei- tung der zu lösenden Aufgabe immer wieder von modellierten Störeinflüssen wie eingehenden Telefonanrufen etc. unterbrochen. 173
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Die für die Absolvierung der insgesamt sieben enthaltenen Testmodule des eAs- sessments benötigte Netto-Gesamtzeit liegt bei etwa 70 Minuten. Jedes einzelne Testmodul kann dabei nur genau einmal bearbeitet werden. Hierbei ist es aller- dings möglich, die Bearbeitung zwischen zwei Testmodulen jeweils zu unterbre- chen. Etwa für den Fall, dass ein Kandidat während der Bearbeitung des eAssess- ments gestört wird oder sich müde fühlt, kann er sich zwischen zwei Testmodu- len ausloggen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder einloggen. Die Applika- tion erkennt automatisch, an welche Stelle der Kandidat dann gesetzt werden muss. Innerhalb der einzelnen Testmodule jedoch ist eine Unterbrechung nicht möglich, da die für die Bearbeitung verfügbare Zeit bei einem einmal gestarteten Test automatisch (serverseitig) abläuft. In der Praxis liegt der Anteil der Kandi- daten, die das eAssessment in einem Durchgang durchlaufen, bei ca. 80%, wei- tere knapp 20% bearbeiten es in zwei Etappen, d.h. die Nutzung der Start- where-you-stopped-Funktion ist gar nicht sonderlich hoch. Gleichwohl hat die Möglichkeit zur Unterbrechung eine stark stressmindernde Wirkung. Die einzelnen Testmodule sind in den Kontext einer übergeordneten Rahmenhandlung eingebettet und nicht wie man es von herkömmlichen Pen&Paper-Verfahren kennt eine bloße Aneinanderreihung verschiedener Tests. Hierbei lehnt sich die kreative Gestaltung des eAssessments sehr nah an den virtuellen Unternehmensrundgang an. Die verwendeten Bilder und die in Erscheinung tretenden Charaktere sind identisch zu denen, die im Rundgang in Erscheinung treten. Neben den Entwicklungssynergien beim Erstellen des Tools liegt der Hauptvorteil dieser Kombination darin, dass auch das eAssessment für sich allein betrachtet die wichtigen Personalmarketingbotschaften des Rundgangs transportiert. Schließlich kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass jeder eAssessment-Teilnehmer auch vorher den virtuellen Rundgang durchlaufen hat. Insofern ist das eAssessment nach dem Prinzip der »wechselseitigen Kommunikation« konstruiert, d.h. es geht nicht nur um die Testung des Kandidaten, sondern auch um dessen Information. Zusätzlich zu der kommunikativen (Employer Branding-)Wirkung dieses Ansatzes steckt hinter diesem Vorgehen auch die Erkenntnis, dass die unternehmens- individuelle Gesamtgestaltung des eAssessments und der einzelnen Testmodule einen augenscheinlich deutlich höheren Anforderungsbezug hat und somit beim Testkandidaten auf eine erheblich höhere Akzeptanz bei der Bearbeitung der Aufgaben stößt. Insbesondere dieser Aspekt konnte von CYQUEST im Rahmen des unternehmensindividuell erstellten eAssessments »unique.st« des Unilever-Konzerns nachgewiesen werden (Heuke 2005). Das von CYQUEST realisierte eAssessment ist bei Tchibo direkt an das Bewer- bermanagement-System SAP angebunden. D.h. die Freischaltung der für die Teilnahme ausgewählten Kandidaten und die spätere Sichtung und Filterung der 174
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo Abb. 10: Unternehmensindividuelle Gestaltung des Tchibo eAssessments Testergebnisse erfolgt im führenden Bewerbermanagement-System SAP. Inso- fern erweitert das eAssessment den Umfang der für eine Vorauswahl heranzieh- baren Merkmale über die normalerweise nur verfügbaren biografischen (Lebenslauf-) Daten hinaus auf Leistungs- und Verhaltensmerkmale. Hierdurch wird insg. eine nach diagnostischen Kriterien sehr gute Vorauswahl ermöglicht, wodurch sich die zumeist erheblich teureren nachfolgenden Auswahlschritte – bei Tchibo das Präsenz-Assessment-Center – vollständig der Identifikation der geeignetsten Kandidaten widmen kann (»Positivselektion«). 5 Abschluss Ein zentrales Ergebnis der Studie »Recruiting Trends 2008« ist, dass die Bedeu- tung des Internet als zentrales Medium der Berufsorientierung, des Employer Brandings und der Rekrutierung in Zukunft noch weiter zunehmen wird. Hier- bei sind es aus Sicht der befragten Personaler insb. die beiden Teilprozesse Employer Branding und Vorauswahl, denen speziell durch einen höheren Grad an IT-Unterstützung noch erhebliches Verbesserungspotenzial bescheinigt wird. Das im Rahmen dieses Artikels beschriebene Vorgehen bei Tchibo kombiniert in mustergültiger Weise genau diese beiden Teilprozesse, indem erstens inner- halb eines video- und echtbildbasierten virtuellen Unternehmensrundgangs 175
Internetbasiertes Employer Branding und eAssessment bei Tchibo authentische Einblicke in die Arbeitswelten bei Tchibo gegeben werden und zweitens Bewerber mit Hilfe eines eAssessment-Verfahrens schnell und kosten- günstig auf wichtige Eigenschafts- und Verhaltensmerkmale überprüft werden können, wodurch die Qualität der Vorauswahl deutlich gesteigert wird. Das beschriebene Fallbeispiel zeigt, dass Recrutainment-Konzepte Unterneh- men dabei helfen können, nachhaltig attraktive Arbeitgeberimages aufzubauen, wodurch es ihnen zukünftig tendenziell leichter fällt, geeignete Mitarbeiter zu finden. Gleichzeitig leisten Recrutainment-Formate wichtige Dienste bei der Vorauswahl von Bewerbern, indem sie vorteilhaft auf die Fähigkeit zur Selbstse- lektion wirken und über eAssessment-Techniken auswahlrelevante Bewerber- merkmale messen können. Literatur Bertua, C./Anderson, N./Salgado, J.F. (2005): The predictive Validity of Cognit- ive Ability Tests: A UK-Meta-Analysis, in: Journal of Occupational and Orga- nizational Psychology, Volume 78, Number 3, September 2005. Diercks, J./Jägeler, T./Kupka, K. (2007): Das internetbasierte SelfAssessment- Verfahren »Die Karrierejagd durchs Netz«, in: v. Rosenstiel, L./Erpenbeck, J. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmessung, 2. Auflage, 2007. Heuke, S. (2005): Das Auswahlverfahren für das Traineeprogramm »UniTrain« bei der Unilever Deutschland GmbH unter besonderer Berücksichtigung des eAssessments »unique.st« – Eine Untersuchung zur sozialen Validität. Unver- öffentlichte Diplomarbeit. Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Jäger, A.O./Süß, H.M./Beauducel, A. (1997): Berliner Intelligenzstruktur-Test, Form 4. Konradt, U./Sarges, W. (2003): Suche, Auswahl und Förderung von Personal mit dem Intra- und Internet: Strategien, Zielrichtungen und Entwicklungspfade, in: Konradt, U./Sarges, W. (Hrsg.): E-Recruitment und E-Assessment. Kupka, K. (2008): E-Assessment. Entwicklung und Güteprüfung von zwei inter- netgestützten Simulationsverfahren zur Messung der Planungs- und Pro- blemlöseleistung von zukünftigen (pädagogischen) Führungskräften. Kupka, K./Diercks, J. (2007): CyPRESS – die Kombination von Self- und eAs- sessment bei Gruner+Jahr, in: Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2007. Kupka, K./Diercks, J./Kopping, N. (2004): Webbasierte Personalauswahl durch E-Assessment bei Unilever Deutschland, in: Wirtschaftspsychologie aktuell 3/2004. Kopping, N./Diercks, J./Kupka, K. (2007): E-Assessments bei Unilever, in: John, M./Maier, G. (Hrsg.): Eignungsdiagnostik in der Personalarbeit: Grundla- gen, Methoden, Erfahrungen. Schmidt, F.L./Hunter, J.E. (1998): Messbare Personmerkmale: Stabilität, Variabi- lität und Validität zur Vorhersage zukünftiger Berufsleistungen und berufs- bezogenen Lernens, in: Kleinmann, M./Strauß, B. (Hrsg.): Potentialfeststel- lung und Personalentwicklung. 176
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