Die Kunst der Sterndeuter - Spektrum der Wissenschaft
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psychologie ı Astrologie Die Kunst der Sterndeuter Astrologen sind nicht in der Lage, aus zwei Horoskopen das richtige für ihr Gegenüber herauszufinden. Warum nur sind dann so viele Menschen überzeugt davon, dass ihre Aussagen irgendwie doch stimmen? von edgar wunder Visum
P rägen die Sterne unseren Charakter? Ent- scheiden sie gar täglich über unser Schick- sal? Wer solche Fragen weit von sich weist, stellt sich vielleicht stattdessen diese: Wie kommt es, dass drei von vier Deutschen zumindest spora- disch ihr Horoskop in einer Zeitung oder Zeit- schrift lesen, 15 Prozent sogar regelmäßig? Rund jeder zweite davon hat sogar den Ein- druck, die Horoskope träfen wenigstens manch- mal zu, und immerhin mehr als jeder vierte richtet sich zuweilen nach den Tipps der Astro- logen – so die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie in Al- lensbach aus dem Jahr 2001. Klar: Die meisten Horoskope-Leser wollen eigentlich nur unterhalten werden, wie knapp 60 Prozent der G&G-Leser angeben, die in den vergangenen zwei Monaten an einer Internet- Umfrage teilnahmen. Aber selbst in dieser eher wissenschaftlich orientierten Klientel erhofft sich jeder zehnte der 464 Befragten Rat und Hilfe für sein Leben oder will mehr über sich selbst oder andere erfahren. Zwölf Prozent glauben nach eigenem Bekunden, dass die »Sternzeichen« etwas über Menschen aussa- gen; weitere 24 Prozent halten es zumindest für möglich. Das populäre Zeitungshoroskop beruht auf einem denkbar einfachen Schema: Alle Men- Die Sonne steht im »Löwen« schen werden gemäß ihrem Geburtsdatum Das Ziffernblatt der Uhr an der zwölf Tierkreiszeichen zugeordnet. Ein weit ver- »Zytglogge«, einem Glocken- breiteter Irrtum besagt, dass die landläufig als turm in Bern (Schweiz), bietet »Sternzeichen« bezeichneten Kategorien in ir- versierten Betrachtern astrono- gendeiner Weise mit den Sternbildern am Him- mische und astrologische mel zusammenhängen. Unter Fachleuten wird Informationen. der populäre Begriff aber vermieden, denn die Tierkreiszeichen entsprechen heute schlicht bestimmten Zeiträumen im Kalender und be- ruhen auf einer rein geometrischen Aufteilung des Himmels in zwölf Sektoren – völlig unab- 17
hängig von den Sternbildern am Firmament, keitspsychologe Martin Reuter von der Uni- deren Namen sie allein aus historischen Grün- versität Bonn und seine dänischen Kollegen den tragen. Peter Hartmann und Helmuth Nyborg von der Von einer bloßen Einteilung in zwölf Tier- Universität Århus 2005 in den Daten von 15 000 kreiszeichen, die vermeintlich zwölf Persön- Personen nach Zusammenhängen zwischen lichkeitstypen entsprechen, halten die meisten Tierkreiszeichen und Charakter – ohne Erfolg. Astrologen jedoch selbst wenig. Vielmehr er- Zahlreiche weitere empirische Studien kom- stellen sie individuelle Horoskope exakt für die men zu dem gleichen Ergebnis: Menschen mit Geburtsminute und den Geburtsort eines Men- verschiedenen »Sternzeichen« unterscheiden schen (siehe Kasten unten). Dennoch beziehen sich nicht systematisch in ihrer Persönlichkeit. sich die Erfahrungen der meisten Menschen zunächst einmal nur auf die populäre Zwölfer- Stütze für den Rationalismus? Typologie. Mittlerweile liegen zahlreiche Stu Warum glauben trotzdem viele an die populär- dien vor, die zeigen, wie Horoskope als Lebens- astrologische Typologie? Wissenschaftlich ori- hilfe und Sinnstifter »funktionieren« oder zu- entierten Menschen erscheint das in der Regel mindest den verblüffenden Eindruck hervor- irrational. Doch so einfach ist es nicht. Die Psy- rufen, dass sie in irgendeiner Weise zutreffen. chologin Hannelore Seelmann-Holzmann fand Wissenschaftler sollten daher astrologische schon vor 20 Jahren in ihrer Doktorarbeit an Thesen – auch wenn sie unplausibel erscheinen der Universität Erlangen-Nürnberg heraus, dass mögen – nicht von vornherein ablehnen, son- die Astrologie für viele Menschen die Funktion dern kritisch prüfen. So suchten der Persönlich- eines »Subsinnsystems des Rationalismus« hat. Kleine Einführung in die Astrologie Ein Horoskop entsteht hang bestehen? Darüber sind sich selbst Astrologen nicht einig. Wie arbeiten Astrologen des 21. Jahrhunderts? Zunächst einmal Götter oder Dämonen brächten so ihren Willen zum Ausdruck, geben sie die Geburtsdaten einer Person in ein Computerpro lautete der historisch früheste Begründungsversuch. Doch als un gramm ein, das daraufhin eine komplexe Anordnung verschie sere Vorfahren circa 500 v. Chr. lernten, die Planetenbahnen auf dener mythologischer Symbole erstellt, das so genannte Horos viele Jahrhunderte hinaus zu berechnen, verlor dieser Ansatz an kop. Diese Anordnung beruht auf einer recht eigenwilligen Plausibilität. Stattdessen vermutete man nun kausale Einflüsse Projektion der Planetenpositionen am Firmament auf ein Blatt Pa der Gestirne. Aber auch diese Theorie erschien mit dem Erkennt pier. Die Himmelskörper an sich, ihre Kraftfelder oder Entfernung nisfortschritt der Naturwissenschaften immer unwahrschein sind dabei für Astrologen uninteressant. Die meisten von ihnen licher. Astrologen retteten sich in die Annahme, es bestünden B nicht in der Lage, auch nur die wichtigsten Sternbilder am sind zwar keine »Einflüsse« der Gestirne, wohl aber symbolische »Ana Nachthimmel zu identifizieren, denn die astrologische Symbol logien« – in dem Sinn, dass etwas lediglich analog sowohl »oben« welt hat fast überhaupt nichts mit dem von Astronomen er (am Firmament) als auch »unten« (auf der Erde) geschehe, weil forschten Universum zu tun. überall eine bestimmte »Qualität der Zeit« herrsche. Nachdem Das Metier der Astrologen ist das »Ausdeuten« des Horoskops: empirische Studien gezeigt hatten, dass solche analogen Zusam das Kombinieren des mythologischen Gehalts der Symbole, da menhänge nicht bestehen, beriefen sich Astrologen auf den »ar runter mindestens neun Planeten, zwölf Tierkreiszeichen, zwölf chetypischen« Gehalt des Symbolsystems als Produkt der mensch »Häuser« (symbolische Felder, eines davon der so genannte As lichen Kulturgeschichte. zendent), zahlreiche »Aspekte« (Winkelbeziehungen zwischen 2002 befragte Edgar Wunder 135 repräsentativ ausgewählte den Symboleinheiten), sodass sich daraus ein irgendwie sinnvoll deutsche Astrologen, welche Erklärung sie für ihre eigenen Evidenz erscheinendes Bild ergibt. Ein einheitliches, von allen Astrologen erlebnisse mit Horoskopen favorisieren. Unter ihnen nannten anerkanntes Deutungssystem gibt es nicht – es geht nach »Intui tion«. Jedenfalls kommen verschiedene Astrologen auf Grund der 43 Prozent Analogien, selben Geburtsdaten üblicherweise zu ganz unterschiedlichen, ja 18 Prozent Einflüsse der Gestirne, gegensätzlichen Aussagen. 12 Prozent psychologische Mechanismen, 11 Prozent archetypische Symbole, Weltanschauliche Grundlagen 10 Prozent hellseherische Fähigkeiten, Warum soll zwischen den Stellungen der Planeten und dem Cha 3 Prozent bloße Zufälle und rakter oder Schicksal von Menschen überhaupt ein Zusammen 2 Prozent das Wirken von Göttern und Dämonen. 18 G&G 3_2008
Jungfrau Waage 22./23. 8. – 22./23. 9. 22./23. 9. – 23. 10. Himmlische Buchmalerei Diese Miniatur des Tierkreises Löwe fertigte der italienische Karto- Skorpion 22./23. 7. – 22./23. 8. AKG Berlin 23. 10. – 22. 11. graf Giovanni Battista Agnese (um 1500 – 1564) etwa 1550 an. Die hier angegebenen, schwan- kenden Datumsgrenzen berück- sichtigen, dass ein Sonnenjahr Krebs nicht genau 365 Tage lang ist. 20./21. 6. – 22./23. 7. Schütze 22. 11.– 21./22. 12. Zwillinge Die Tricks 20. /21. 5. – der Profis 20. /21. 6. Steinbock 21. /22. 12. – 20. 1. Wie gelingt es Zeitungs astrologen, dass sich so viele Leser in ihren Kurz texten wiederfinden? Die Stier Wassermann Germanistin Katja Furth 19. /20. 4. – 20./21. 5. 20. 1. – 18./19. 2. mann identifizierte 2006 in ihrer Doktorarbeit sieben sprachliche Kunst Widder Fische griffe: 20. /21. 3. – 19./20. 4. 18./19. 2. – 20./21. 3. 1. erschöpfende Themen Das bedeutet: Astrologieanhänger sehen kei- Für die astrologische Praxis ist offenbar ent- präsentation, zum nen Widerspruch zu naturwissenschaftlich ori- scheidend, dass die Anhänger ihre Sicht der Beispiel indem Gegen entierten Sinn- und Weltdeutungssystemen, Dinge nicht als einen Glauben, sondern als sätze verbunden werden im Gegenteil: Zusätzliche astrologische Über- Erfahrungswert ansehen. Diese subjektive Er- 2. Gebrauch abstrakter zeugungen lassen ihnen eine ansonsten ratio- fahrung von Stimmigkeit, das so genannte Evi- Begriffe wie Chance, nale Sicht der Welt überhaupt erst plausibel er- denzerlebnis, kann sich auf das eigene Horos- Problem ... scheinen. kop oder das ihnen bekannter Personen bezie- 3. relative und mehrdeu Weil die Astrologie keine dogmatisch vorge- hen, auf Prognosen oder die Charakterisierung tige Formulierungen gebene Lehre darstellt, die von einer Institution einer Persönlichkeit, auf den Sinn des Lebens 4. Integration zeitloser wie etwa einer Kirche festgelegt würde, kann oder auch auf praktische Alltagsfragen. Darü- Wahrheiten der Einzelne sie individuell an seine Weltan- ber hinaus unterscheiden sich Evidenzerleb- 5. Anschaulichkeit durch schauung anpassen. Wie ich 2002 in einer Um- nisse darin, wie sie wahrgenommen und erlebt bildhafte Formulie frage unter 135 deutschen Astrologen herausge- werden. Während sie für manche Menschen ge- rungen funden habe, glauben selbst unter den »Profis« wöhnliche Alltagserfahrungen darstellen, schil- 6. astrologisches Fach nur noch 18 Prozent an einen Einfluss der Ster- dern ehemalige Astrologie-Skeptiker mitunter vokabular ne (siehe Kasten links). Einige Astrologen spre- dramatische »Bekehrungserlebnisse«. 7. Inszenierung von Nähe chen sogar offen von der Astrologie als einer Wie erklären sich Forscher solche Stimmig- und emotionaler Beteili »nützlichen Fiktion« für Beratungsgespräche. keitserfahrungen? Zunächst einmal sind sie gung Anstatt sich angesichts empirischer Befunde in kein Ausdruck von Leichtgläubigkeit oder gar Furthmann, K.: Die Sterne Ausreden zu flüchten – »Die Sterne machen ge- Einbildung. Seit Beginn der 1990er Jahre hat der lügen nicht. Göttingen: Vanden- hoeck & Ruprecht 2006. neigt, sie zwingen nicht« –, forderte der Münch- australische Psychologe Harvey Irwin von der ner Astrologe Christopher Weidner 2002 in der University of New England in Armidale anhand »Zeitschrift für Anomalistik« gar eine pragma- verschiedener Untersuchungen belegt, dass As- tische Neukonzeption der Astrologie: Sie müs- trologieanhänger genauso intelligent, kritisch se nicht objektiv »wahr« sein, um von ihren An- und psychisch »normal« sind wie andere Men- hängern als hilfreich erlebt zu werden. schen auch, im Durchschnitt aber etwas krea- www.gehirn-und-geist.de 19
tiver. Nahezu jeder, der Horoskope halbwegs von 0 (trifft gar nicht zu) bis 5 (trifft genau zu) unvoreingenommen studiert, kann demnach bewerten. Erstaunlicherweise lag der Durch- eine solche Übereinstimmung zwischen Horo schnitt bei 4,2 – auch als Forer und nach ihm skop und eigener Erfahrung erleben. Wie ich viele andere Forscher den Test noch einmal ökonomische in einer 2002 veröffentlichten Studie mit 1700 mit neuen Versuchspersonen wiederholte. Die aSpekte Versuchspersonen nachgewiesen habe, ist fast höchste Zustimmung erhielten vage, allgemein allen, die Astrologie ablehnen, gemeinsam, gehaltene oder mehrdeutige Aussagen, wie »Sie Deutsche Astrologen dass sie sich niemals näher mit der Materie neigen zu Selbstkritik« oder »Manchmal haben verdienen insgesamt knapp beschäftigt haben. Bei denjenigen aber, die Sie ernste Zweifel, ob Sie die richtige Entschei- 30 Millionen Euro im Jahr. schon einmal tiefer hineingeschnuppert haben, dung getroffen haben«. Solchen »Auswertun- Das lässt sich aus Erhe liegt meist ein auf Erfahrungen begründeter gen« stimmten 97 Prozent der Probanden zu! bungen des Deutschen Glaube vor. Nach Forer zeigten auch andere Wissen- Astrologen-Verbands aus schaftler, dass Menschen so genannten Bar- dem Jahr 2000 hochrech Wie im Zirkus: für jeden etwas num-Aussagen umso stärker zustimmen, je nen – aktuellere Daten gibt Viele Evidenzerlebnisse lassen sich jedoch mehr sie an Astrologie glauben, je positiver die es nicht. Die etwa 5000 leicht erklären. Der australische Astrologie gelesenen Beschreibungen sind und je genauer deutschen Astrologen forscher Geoffrey Dean führt in einer Über- sie zuvor ihr Geburtsdatum angeben mussten – erwirtschaften im Durch sichtsarbeit von 1998 gut drei Dutzend psy übrigens auch dann, wenn ihnen bewusst ist, schnitt nur etwa ein Sechs chologische Mechanismen auf, deren Wirkung dass die Aussagen sehr allgemein formuliert tel ihrer Einkünfte durch bei Horoskopen belegt ist. Das in diesem Zu- sind. Der Wiener Psychologe Andreas Hergovich astrologische Tätigkeiten sammenhang am häufigsten diskutierte Phä- schlussfolgerte aus solchen Experimenten, dass und gehen meist einem nomen ist der Barnum-Effekt. Er erhielt seinen wir Barnum-Aussagen auf beliebige konkrete anderen Hauptberuf nach. Namen von dem US-amerikanischen Zirkus Eigenschaften oder Ereignisse beziehen und Wunder, E.: Religion direktor Phineas T. Barnum (1810 – 1891), der dabei sogar widersprüchliche Aussagen mitei in der postkonfessionellen Gesellschaft. Stuttgart: sich gerühmt haben soll, mit seinem Programm nander in Einklang bringen können. Somit wäre Franz Steiner Verlag 2005. »ein bisschen für jeden« zu bieten. es unserer Spezies auch möglich, jedes belie- Der kalifornische Psychologe Bertram R. bige Horoskop als irgendwie persönlich zutref- Forer hat diesen Effekt 1948 das erste Mal un- fend wahrzunehmen. tersucht. Er ließ seine Studenten einen Persön- Ein weiterer Mechanismus, der Evidenzer- lichkeitstest beantworten, aber an Stelle der an- lebnisse hervorruft, ist die so genannte Pseudo- gekündigten individuellen Auswertung gab er individualisierung. Der US-amerikanische Psy- allen denselben Text, den er aus Zeitungshoros- chologe Rick Snyder von der University of Kan- kopen zusammengesetzt hatte. Die Studenten sas in Lawrence gab bereits 1973 drei Gruppen sollten ihre »Gutachten« nun auf einer Skala von Versuchspersonen identische astrologische Astrologie heute Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geratene In Ostdeutschland existiert Astrologie fast ausschließlich in Beschäftigung mit Horoskopen erlebte seit Anfang der 1980er Form von Zeitungshoroskopen und anderen Formen medialer bis in die späten 1990er Jahre einen kometenhaften Wiederauf Unterhaltung; anders als im Westen gibt es dort kaum praktizie stieg. In nur 15 Jahren verzehnfachte sich die Zahl der in West rende Astrologen. In einer repräsentativen Erhebung im Rahmen deutschland tätigen professionellen Astrologen auf rund 5000. des International Social Survey Programme, einem länderüber Seitdem ist sie wieder leicht rückläufig – zugenommen hat je greifenden akademischen Umfrageprogramm, stimmen 1998 doch die Vermarktung der Astrologie im Privatfernsehen. rund 41 Prozent der West-, aber nur 24 Prozent der Ostdeutschen In den kommenden Jahren wird die Zahl der Astrologiean der Aussage zu, »das Sternzeichen bzw. das Geburtsdatum eines hänger voraussichtlich weiter sinken, denn der Boom der Astro Menschen [habe] einen Einfluss auf den Verlauf seines Lebens«. logie beruhte weniger auf einem Einstellungswandel als auf Dieses West-Ost-Gefälle könnte darauf beruhen, dass Ost einem Generationswechsel: Ende der 1970er Jahre standen ihr deutsche auch weniger religiös sind – ein Erbe der DDR-Zeit –, die Älteren skeptischer gegenüber als die Jüngeren. Inzwischen und religiöse Menschen eher an Astrologie glauben. Deshalb hat sich dieser altersstrukturelle Effekt umgekehrt, weil die heu kann die Astrologie auch nicht, wie häufig geschehen, als Ersatz tigen Jugendlichen die Astrologie häufiger ablehnen als ihre religion bezeichnet werden, denn empirisch gesehen ergänzt sie Großeltern. den religiösen Glauben. 20 G&G 3_2008
UMFRAGE: Was G&G-Leser von Horoskopen halten Glauben Sie, Ferdinand Reindl (55), St. Pantaleon, Österreich: Astrologie ist für dass Sternzeichen etwas über Menschen aussagen? mich reiner Aberglaube, kann jedoch bei Menschen, die an sie glauben (wie jeder Glaube), einen Placeboeffekt hervorrufen. weiß nicht nein 4,5 % (21) 58,8 % (273 Stimmen) keine Angabe Richard Pragner (55), Neumarkt/Oberpfalz: An einen (direkten) Ein 1,3 % (6) fluss von Himmelskörpern glaube ich überhaupt nicht. Jedoch ver mute ich einen Einfluss über die Jahreszeit, in der man geboren wird. Da das erste Lebensjahr sehr prägend ist, vermute ich hier auch einen Einfluss auf den Charakter. Dann müssten allerdings »Nord- und Südhalbkugel-Horoskope« um ein halbes Jahr gegen einander verschoben sein. Dazu antwortet G&G-Autor Edgar Wunder: Es gibt bereits Hunderte von Studien, die nicht nur sorgfältig nach einem Zusammenhang von Persönlichkeitsunterschieden mit ja Tierkreiszeichen, sondern auch mit den Jahreszeiten gesucht ha 11,9 % (55) vielleicht/ein wenig ben. Aber keiner ist es gelungen, eine solche Beziehung statistisch 23,5 % (109) nachzuweisen. Die Jahreszeiten-Hypothese mag also für sich ge nommen oder auch als Argument für die Bedeutung der Tierkreis Mehr Ergebnisse: www.gehirn-und-geist.de/lesermeinung zeichen plausibel klingen – sie ist empirisch gesehen trotzdem falsch. Einzelstimmen Nachgewiesen ist dagegen, dass zwischen der Jahreszeit der Wolfgang Heidrich (67), Darmstadt: Für mich ist Astrologie Realität, Geburt und dem Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, ein Zu so wie eine Uhr oder ein Kalender. Aus ihnen kann man das zu er sammenhang besteht: Wer auf der Nordhalbkugel zwischen Feb wartende Tageslicht oder die zu erwartenden jahreszeitlichen Qua ruar und April zur Welt kam, ist offenbar häufiger betroffen. In der litäten ablesen. Ein Horoskop ist da nicht anders. Es gibt Hinweise südlichen Hemisphäre fällt dieser Zusammenhang – übertragen auf bestimmte energetische Konstellationen zu einem bestimmten auf die dortigen Jahreszeiten – anscheinend deutlich schwächer Zeitpunkt. In nächster Zukunft werden wir in der Lage sein, diese aus. Weitere Befunde deuten darauf hin, dass Frühjahrsgeborene energetischen Konstellationen und Einflüsse auf die Natur und auf häufiger Suizid begehen und Herbstgeborene häufiger an Panik den Menschen zu messen und zu bewerten. Wissenschaftlich! attacken leiden als der Bevölkerungsdurchschnitt. Texte, die vermeintlich ihren Charakter be- ter ein Horoskop präsentiert wird, desto höher schrieben. Der ersten Gruppe erläuterte er zu- das Stimmigkeitsempfinden. Reine vor, es handle sich um eine allgemeine Persön- Ein drittes Phänomen, das Horoskope für Frauensache? lichkeitsbeschreibung, die auf jeden zutreffen Leser überzeugend erscheinen lässt, ist der könnte. Einer zweiten Gruppe berichtete er, der fundamentale Attributionsfehler. Darunter 87 Prozent der deutschen Text basiere auf einer astrologischen Deutung verstehen Psychologen die Tendenz, die Ursa- Frauen lesen manchmal ein ihres Geburtsjahrs und Geburtsmonats, und chen für ein Verhalten eher in stabilen Eigen- Horoskop in der Presse – aber den Teilnehmern der dritten Gruppe, dies sei schaften einer Person als in veränderlichen nur 66 Prozent der Männer. ein individuell für jeden erstelltes Horoskop zu Umweltbedingungen zu suchen. Auf die Astro- Unter den Leserinnen seinem exakten Geburtsdatum. Obwohl alle logie übertragen bedeutet das: In bestimmten orientieren sich 37 Prozent Teilnehmer den gleichen Text erhielten, unter- Situationen verhält sich jeder Mensch zurück- auch im Alltag manchmal an schieden sie sich deutlich in ihren Urteilen: haltend, beharrlich oder gefühlsreich – bezie- den Tipps, während das nur Gruppe 1 schätzte ihn im Mittel als weder son- hungsweise wie ein im Tierkreiszeichen »Fisch«, 22 Prozent der männlichen derlich zutreffend noch unzutreffend ein; »Stier« oder »Krebs« Geborener. Wenn sich Leser zugeben. Gruppe 2 lag dazwischen. Gruppe 3 fand diesel- aber ein »Stier« situationsbedingt beharrlich Institut für Demoskopie in ben Aussagen jedoch gut bis sehr gut zutref- zeigt, wird ein Anhänger der Astrologie das Allensbach, 2001 fend. Das bedeutet: Je (pseudo-)individualisier- gern mit dem »Sternzeichen« begründen – www.gehirn-und-geist.de 21
Geschichte der Astrologie 2. Jahrtausend 5. Jahrhundert um Christi um 1000 1453 16. Jahrhundert v. Chr. v. Chr. Geburt Griechisch-ara Mit der Erfindung Das neue helio Babylonische Der Himmelskreis Astrologie ist im bische Sterndeu des Buchdrucks zentrische Weltbild Priester notieren wird nach zwölf Römischen Reich tung dringt ins verbreiten sich kann die Astrologie Bewegungen der Fixsternbildern groß in Mode. christliche Abend auch astrologische nicht erschüttern; Sterne auf Keil in zwölf Teile land vor. Schriften rasant. Pestarzt Nostrada schrifttafeln und geteilt, die Tier mus verfasst seine deuten ihre Stel kreiszeichen. berühmten Prophe lungen als gött zeiungen. liche Zeichen, zum Beispiel für Ernte oder Krieg. ohne zu bedenken, dass viele andere Menschen Freiheitsliebe und Idealismus und nicht etwa in der gleichen Situation ähnlich gehandelt nach typischen Eigenschaften eines Steinbocks hätten. wie zum Beispiel Pflichtbewusstsein und Ge- Cold reading Wenn wir eine Behauptung überprüfen, ten- duld. Dabei wären wir in diesem Fall mit hoher (»kaltes Lesen«) dieren wir außerdem meist dazu, nach einer Wahrscheinlichkeit ebenfalls fündig geworden! Bestätigung zu suchen. Nur selten bemühen Hinzu kommt, dass wir dazu neigen, entspre- Mit dieser Technik wird ein wir uns darum, eine These zu widerlegen. Das chend unseren Erwartungen oder Überzeu- Gegenüber anhand von liegt in der Natur des Menschen und macht gungen selektiv wahrzunehmen. Astrologie Mimik, Gestik, Kleidung und Wissenschaft zu etwas Besonderem. Wenn nun anhänger registrieren daher häufiger korrekte Verhalten eingeschätzt der fundamentale Attribuierungsfehler und als falsche Aussagen und erinnern sich später (»gelesen«), ohne dass es diese Verifizierungsfalle zusammenwirken, auch besser an sie. irgendetwas sagen muss. So kommt es beim Lesen eines Horoskops fast können Astrologen anhand zwangsläufig zu einem Evidenzerleben – und Sind wir alle ein bisschen Mörder? von feinen Reaktionen ihrer das nicht nur, wenn man ohnehin schon daran 1997 begleitete ich als wissenschaftlicher Be Klienten zu relativ konkreten glaubt. Wenn uns eine astrologische Charakter- rater ein von mir vorgeschlagenes Experiment Aussagen gelangen und deutung vorliegt, suchen wir nach entspre- des WDR-Fernsehmagazins »Quarks & Co«: falsche Vermutungen noch chenden Verhaltensweisen – und meinen diese Über eine Zeitungsannonce warben wir mehr schnell relativieren. auch zu finden, obwohl sich Menschen anderer als 200 Versuchspersonen für ein »astrolo- Tierkreiszeichen in einer ähnlichen Lage viel- gisches Forschungsprojekt« an. Alle Teilneh- leicht ebenso verhalten hätten. Wissen wir bei- mer erhielten dasselbe Horoskop, mit der In spielsweise, dass ein Kollege im Zeichen des formation, es sei persönlich für sie angefertigt Wassermanns geboren ist, suchen wir bei ihm worden. Drei Viertel von ihnen fühlten sich nach wassermanntypischen Eigenschaften wie durch das Horoskop gut beschrieben – dabei war es doch für den 1879 geborenen 24-fachen Mörder Friedrich Haarmann erstellt worden! Ein vergleichbares Experiment hatte schon der Franzose Michel Gauquelin in den 1950er Jahren mit dem Horoskop eines französi- schen Massenmörders und einem ähnlichen Ergebnis durchgeführt. Experimente dieses Typs widerlegen aller- dings nicht die Annahmen der Astrologie, denn dazu wäre zu prüfen, ob Horoskope zu den kor- rekten Geburtsdaten der Probanden nicht zu noch intensiveren Evidenzerlebnissen geführt hätten. Immerhin: Die Untersuchungen bele- gen eindrücklich, dass Evidenzerlebnisse nicht ausreichen, um astrologische Thesen zu bele- gen, denn sie können auch sehr leicht durch falsche Horoskope erzeugt werden. 22 G&G 3_2008
18. Jahrhundert 1824 1930 20. Jahrhundert 1996 Im Zuge der Aufklärung Mit »The Straggling Im Londoner »Sunday Die moderne Astrologie Der Freiburger Psycho verliert die Astrologie Astrologer« (etwa: »Der Express« erscheint das erlebt eine »Psychologi loge und Astrologe an Bedeutung. umherstreifende erste individuelle sierung«: weg von Peter Niehenke begrün Astrologe«) erscheint in Zeitungshoroskop. Ereignisprognosen, hin det eine Tradition England die erste zu so genannten halbjährlich stattfin astrologische Wochen Charakterdeutungen. dender »Forschungs zeitschrift. symposien«, bei denen Astrologen und Kritiker Frédéric Droués / Fotolia wissenschaftliche Studien zur Astrologie diskutieren. Die Wahrscheinlichkeit, mit der gewisse Aus- den vorher alles fragen konnten, was sie woll- sagen ohnehin zutreffen, wird zudem meist ten – mit Ausnahme des Geburtstags. Umge- unterschätzt. Als ich Anfang der 1990er Jahre kehrt gelang es auch den Versuchspersonen in Nürnberg an einer Podiumsdiskussion teil- nicht zu bestimmen, welche von zwei astrolo- nahm, meinte eine Astrologin zu mir, sie »spü- gischen Deutungen für ihr eigenes Geburtsda- re« in meinem (ihr unbekannten) Horoskop tum erstellt worden war. »eine besondere Merkur-Betonung«. Auf die Das bestätigen auch andere Untersuchun- Literaturtipps Nachfrage, wie dies in meinem Horoskop zum gen, darunter solche, die Astrologen selbst kon- Hergovich, A.: Die Psycholo- Ausdruck kommen könnte, erhielt ich die Ant- zipiert und durchgeführt haben. Der Australier gie der Astrologie. Bern: Hu- wort: Sonne, Aszendent oder Mond könnten im Geoffrey Dean, der auf Grund ernüchternder ber 2005. Zwilling oder in der Jungfrau stehen, die ja bei- Befunde seine astrologische Tätigkeit aufgab, Kritik der Astrologie aus natur de vom Merkur beherrscht werden. Oder der analysierte bis heute mehr als 50 vergleichbare wissenschaftlicher und empi Merkur selbst stehe in diesen Zeichen, am As- Zuordnungsstudien. Sein Fazit: Seine Exkolle- rischer Sicht zendenten oder am Medium Coeli, der Him- gen können ein Horoskop, das anhand exakter Koch, D.: Kritik der astrolo- melsmitte, oder bilde einen wichtigen Aspekt Geburtsdaten erstellt wurde, einem Persönlich- gischen Vernunft. Frankfurt/ mit einem anderen Planeten (siehe Kasten auf keitsprofil oder einer Fallgeschichte nicht bes- Main: Verlag der Häretischen S. 18). Der Astrologin war vermutlich nicht klar, ser zuordnen als ein Zufallsgenerator. Blätter 2003. dass die Wahrscheinlichkeit für irgendeine die- Dabei hatten sich Astrologen in der Hoff- Eine Antwort der Astrologen ser vielen Möglichkeiten in einem Horoskop nung auf wissenschaftliche Anerkennung lan- auf ihre Kritiker beliebigen Datums schon bei weit über 80 Pro- ge auf einen Ausspruch berufen, der dem Wunder, E. (Hg.): Thesen und zent liegt. Die Zahl der Deutungselemente in Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung Argumente zur Astrologie. einem komplexen Horoskop ist derart groß, (1875 – 1961) zugeschrieben wird: »Die moderne Gesellschaft für Anomalistik, dass sich letztlich aus jedem Horoskop jeder Astrologie nähert sich mehr und mehr der Psy- Sandhausen, 2007. Charakterzug herauslesen lässt. chologie und klopft bereits vernehmlich an die 18 Astrologen und ihre Kritiker Aber lassen sich wirklich alle astrologischen Tore der Universitäten!« Tatsächlich scheint es unternehmen den Versuch Evidenzerlebnisse restlos auf psychologische umgekehrt zu sein: Die akademische Psycholo- eines konstruktiven Dialogs. Mechanismen zurückführen? Um dies zu über- gie klopft an die Tore der Astrologie – wenn prüfen, haben Forscher Horoskope mit rich- auch in einem ganz anderen Sinn, als sich die Weblinks tigen und falschen Geburtsdaten systematisch Astrologen dies erhofft hatten. Ÿ www.anomalistik.de/abg_ verglichen. Führen beide zu gleichermaßen in- astrologie.shtml tensiven und häufigen Evidenzerlebnissen, Edgar Wunder ist Dozent für Sozialgeografie an der Arbeitskreis Astrologie der dann kann deren Auftreten nichts mit dem Ge- Universität Heidelberg. In seiner Dissertation »Reli Gesellschaft für Anomalistik burtsdatum und dem Stand der Gestirne zu gion in der postkonfessionellen Gesellschaft« hat er www.astrology-and-science. tun haben. Genau das ergaben zahlreiche Un- unter anderem die Astrologie aus sozialwissenschaft com tersuchungen, darunter eine von 2003, zu der licher Perspektive untersucht. Wissenschaftliche Studien ich 26 Astrologen und 1700 Versuchspersonen zur Astrologie eingeladen hatte. Die Astrologen waren nicht in www.gehirn-und-geist.de/audio www.dav-astrologie.de der Lage herauszufinden, welches von zwei Deutscher Astrologen-Ver- möglichen Geburtsdaten das richtige für eine MEHR ZUM THEMA PARAPSYCHOLOGIE band bestimmte Person war, obwohl sie die Proban- G&G 3/2007, S. 30 www.gehirn-und-geist.de 23
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