Die Rache des Donnergottes - Mit Illustrationen von Constanze Spengler Aus dem Englischen von Frank Böhmert

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Die Rache des Donnergottes

                         Mit Illustrationen von Constanze Spengler
                           Aus dem Englischen von Frank Böhmert

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Für meine Freundin Carol Sheriff und ihre Kinder
                               Anna und Benjamin Daileader Sheriff,
                           die sich alle drei bestens aufs Lesen verstehen

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KAPITEL 1
                             Ein Geheimtreffen

             »Was war das?«
                Die Stimme der Bibliothekarin drang schneidend
             durch die kühle Abendluft und Simon gab Henry mit
             einem kurzen Seitenblick zu verstehen, jetzt bloß leise
             zu sein.
                Sie kauerten zusammen mit Delilah und Jack im Ge-
             büsch unter einem offenen Fenster und pressten sich an
             die raue Betonwand der Bücherei. Zweige und Blätter
             schrammten an ihren Gesichtern und ständig drückte
             irgendwo ein Knie oder ein Ellbogen. Wie immer, wenn
             Henry unbedingt total leise sein wollte, störte ihn alles
             Mögliche. Plötzlich musste er aufs Klo, seine Beine juck-
             ten und er hatte das Gefühl, jeden Moment niesen zu
             müssen. Je mehr er daran dachte, wie schrecklich es wäre,
             jetzt zu niesen, desto mehr kitzelte es in seiner Nase.

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Es war Simons Idee gewesen, die August-Sitzung der
                Historischen Gesellschaft von Superstition zu belau-
                schen, um aus erster Hand zu erfahren, was die Schatz-
                jäger vorhatten. Drinnen war die Sitzung eben zu
                Ende gegangen und die Bibliothekarin Julia Thomas,
                Präsidentin der Historischen Gesellschaft, hatte die
                Vorstandsmitglieder gebeten, noch zu bleiben. Soweit
                Henry sagen konnte, waren seit dem Stühlescharren
                und dem Gemurmel sich entfernender Stimmen nur
                noch drei Leute im Raum: die gruselige Bibliothekarin,
                Officer Myers – der große, grimmige Polizist, der die
                Jungen als Erster ermahnt hatte, sich vom Berg fernzu-
                halten – und ein Mann, bei dem es sich um Richard
                Delgado handeln musste, den Friedhofswächter, der
                außerdem Schriftführer der Historischen Gesellschaft
                war und dessen psychisch kranke Tochter Sara den le-
                benden Beweis für die unheimliche Macht des Berges
                darstellte. Ein Jahr zuvor war sie in verwirrtem Zustand
                aus seinen wilden Schluchten zurückgekehrt, wirres
                Zeug stammelnd und voller Angst. Henry kam es so
                vor, als wäre ihre geistige Gesundheit irgendwo in den
                Höhlen und Canyons des Berges zurückgeblieben …

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bei den Knochen derjenigen, die dort auf der Suche
             nach der geheimen Goldmine des Holländers gestorben
             und deren Leichen nie gefunden worden waren.
                Die Goldmine! Selbst hier im Schutz des Gebüschs
             und eingezwängt zwischen seinen schwitzenden Freun-
             den sah Henry das Gold noch vor sich. Er erinnerte sich
             noch gut an das atemberaubende Glitzern in der dunk-
             len Mine, an das Funkeln der schimmernden Goldadern
             im Schein der Taschenlampen. Dieses Geheimnis hatten
             die vier den ganzen Sommer lang niemandem verraten:
             dass sie die geheime Holländermine gefunden hatten!
             Den Schatz, nach dem seit über einem Jahrhundert un-
             zählige Abenteurer gesucht hatten.
                Seit der Felssturz den Mineneingang unter sich be-
             graben hatte, war natürlich völlig unklar, ob je wieder
             eine Menschenseele das Gold zu Gesicht bekäme. Die
             Barker Boys waren ganz knapp entkommen, und auch
             nur, weil Delilah sie gewarnt hatte. Aber kurz bevor die
             Kaskade von Felsbrocken die Steilwand hinuntergedon-
             nert war, hatte Jack eine Handvoll glitzernder goldener
             Flocken eingesammelt … und die stellten den einzigen
             Beweis für die Entdeckung dar, die sie gemacht hatten.

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Den vergangenen Monat lang hatte er sie sicher in einer
                kleinen Bonbondose unter seiner Kommode aufbewahrt
                und manchmal, wenn die Jungs in seinem Zimmer ein
                Brettspiel spielten, holte er die Dose hervor und hielt
                sie seinen Brüdern angeberisch vors Gesicht, um sie da-
                ran zu erinnern, dass er der Einzige war, der richtiges,
                echtes Gold aus der geheimen Holländermine besaß.
                Dann zeigte Simon immer den Nugget aus den alten
                spanischen Satteltaschen, die Henry und Delilah im
                Canyon gefunden hatten, und es entspann sich eine hit-
                zige Debatte darüber, was wertvoller war, der einzelne
                Nugget oder die Sammlung goldener Flocken.
                   Es war gut, dass sie diese Goldstücke hatten, fand
                Henry. Die ganzen heißen Sommerferien lang – wäh-
                rend Delilahs gebrochenes Bein heilte und die Jungen
                ihre Tage mit Spielen oder Radfahren verbrachten oder
                Josie im Auge behielten, die selbst für eine Katze sehr
                eigensinnig war – hätten sie sonst vielleicht glatt verges-
                sen, dass es das Gold wirklich gab. Die Goldmine war
                ein Geheimnis; niemand durfte davon erfahren. Im Ge-
                gensatz zu ihrem Alltag in dem Städtchen Superstition
                war sie für die Barber-Boys eine völlig andere Welt, sie

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stand sogar im krassen Gegensatz zu ihrem Leben in
             dem Haus, das die Barkers vor ein paar Monaten von
             Mr Barkers draufgängerischem Onkel Henry »Hank«
             Cormody geerbt hatten, einem Cowboy und Pokerspie-
             ler, der mit über achtzig Jahren nach einem langen, er-
             eignisreichen Leben gestorben war. Onkel Hank hatte
             einmal als Kundschafter für die Kavallerie gearbeitet
             und nach ihm war Henry benannt worden – was ihm
             manchmal wie ein gehässiger Witz vorkam, der dazu
             gedacht war, ihm schmerzlich vor Augen zu führen,
             dass er selber ganz und gar nicht mutig, beeindruckend
             oder draufgängerisch war.
                 Mr Barker jedoch hatte seinen Onkel vergöttert und
             erzählte gern Geschichten über ihn, und ihre ganze
             Kindheit hindurch hatte ihr Großonkel einen beson-
             deren Platz im Herzen der Jungen eingenommen, ob-
             wohl sie ihm nur ein paarmal begegnet waren und ihn
             kaum kannten. Er schickte ihnen verrückte Geburtstags-
             karten und unpassende Geschenke (zum Beispiel hatte
             Henry einmal eine silberglänzende Spielzeugpistole mit
             Knallplättchen bekommen, die Mrs Barker sofort ein-
             kassiert hatte), und selten einmal platzte er an Thanksgi-

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ving oder für ein Urlaubswochenende bei ihnen herein,
                randvoll mit Witzen und Geschichten über sein Leben
                im Westen. Manchmal hatte Henry das Gefühl, dass er
                Onkel Hank weniger kannte, als dass er Dinge über ihn
                wusste. Trotzdem hatte er einen sehr lebhaften Eindruck
                von wallenden weißen Haaren behalten, von einer dröh-
                nenden Stimme und Händen, die mit interessanten
                Schwielen und Narben gemustert waren.
                   Die Barkers waren im Juni nach Superstition in Onkel
                Hanks braunes, schindelgedecktes Haus gezogen, gleich
                nach Jacks Kindergartenzeit, Henrys vierter Klasse und
                Simons fünfter. Kurz darauf hatten sie Delilah kennen-
                gelernt, die genauso alt wie Henry war. Henry konnte
                kaum glauben, was sie seitdem alles erlebt hatten, ein-
                fach nur in den Sommerferien, im Schatten des großen,
                unheimlichen Berges, dessen eigentliches Rätsel sie erst
                noch herausfinden mussten.
                   Und genau aus diesem Grunde kauerten sie jetzt alle
                reglos unter dem Blätterdach der Büsche vor dem Bü-
                chereifenster und lauschten, so leise sie konnten. Henry
                kam sich vor wie die Hauptfigur eines seiner Lieblings-
                bücher, Harriet: Spionage aller Art. Am liebsten hätte er

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