Die Stromversorgung in der Schweiz ist gewährleistet - La Vie ...
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STROMMARKTÖFFNUNG Die Stromversorgung in der Schweiz ist gewährleistet Um die Stromversorgungssicherheit der Schweiz ist es grundsätzlich gut bestellt. Extremereignisse wie Wasserknappheit im Frühling stellen jedoch Risikofaktoren dar. Matthias Janssen, Jens Perner, Sander van der Poel Abstract Der europäische Strommarkt befindet sich im Wandel: Der Aus- damit auch zukünftig Strom auch dann erzeugt bau erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarstrom wird vorangetrieben werden kann, wenn der Wind nicht weht und die und verdrängt thermische Kraftwerkstechnologien aus dem Markt. Ge- Sonne nicht scheint. nügt das bestehende Marktdesign, um weiterhin ein hohes Versorgungssi- Darüber hinaus ist die Verfügbarkeit der in cherheitsniveau zu garantieren, oder braucht es weiter gehende Massnah- der Schweiz vorherrschenden Wasserkraft in men wie sogenannte Kapazitätsmechanismen? In zwei Studien hat sich das Beratungsunternehmen Frontier Economics im Auftrag des Bundesamts hohem Masse saisonal: Die mögliche Strompro- für Energie (BFE) dieser Frage für den Schweizer Strommarkt gewidmet. duktion der Laufwasseranlagen ist im Sommer Wie sich zeigt, ist das aktuelle Marktdesign grundsätzlich geeignet, ein ef- doppelt so hoch wie im Winter (siehe Abbildung fizientes Mass an Versorgungssicherheit in der Schweiz zu gewährleisten. 1). Analog sind die Wasserspeicher zum Ende Ist ein höheres Versorgungssicherheitsniveau zur Absicherung gegen spe- des Sommers in der Regel reichlich gefüllt, wäh- zielle Risiken gewünscht, sollte jedoch die Einführung einer strategischen rend sie sich zum Ende des Winters – also kurz Reserve in der Schweiz erwogen werden. vor Eintreten der Schneeschmelze – regelmäs- sig deutlich leeren (siehe Abbildung 2). Entspre- D ie Schweiz verfügt über eine grosse Strom- erzeugungskapazität: Im Jahr 2016 be- trug diese knapp 20 800 Megawatt, was etwa chend ist die Schweiz traditionell im Sommer Stromnettoexporteur, während im Winter netto importiert wird. dem Doppelten der Jahreshöchstlast von knapp Genügt das bestehende Marktdesign, um 10 500 Megawatt entspricht. Etwa 70 Prozent der auch in Zukunft zu garantieren, dass eine aus- Erzeugungskapazität in der Schweiz bestehen reichende gesicherte Kraftwerksleistung und dabei aus Wasserkraft, welche Laufwasser-, Energie im In- und Ausland zur Versorgung des Wasserspeicher-, und Pumpspeicherkraftwerke Schweizer Strombedarfs zur Verfügung steht? umfasst. Diese Frage hat das Forschungs- und Beratungs- Aufgrund dieser hohen Kapazitäten ist die unternehmen Frontier Economics in zwei Stu- Stromversorgung in der Schweiz derzeit rela- dien im Auftrag des Bundesamtes für Energie tiv sicher. Allerdings bringt die zusehende Ver- (BFE) untersucht.1 schiebung von gesicherter Leistung aus Kern-, Kohle- und Gaskraftwerken hin zu wetterabhän- Nur Energie wird gehandelt giger Erzeugung aus erneuerbaren Energien Un- sicherheiten mit sich. Der Ausbau der Solar- und Das Strommarktdesign in der Schweiz basiert Windkraft in Europa hat in den letzten Jahren wie in vielen anderen europäischen Ländern zu einer deutlichen Reduktion der Grosshan- auf einem sogenannten Energy-only-Markt, auf delspreise für Strom geführt. Es stellt sich daher dem nur Strommengen gehandelt und expli- die Frage, inwieweit der bestehende Marktme- zit vergütet werden. Das reine Bereitstellen von chanismus in der Lage ist, bei anhaltend hohen Kraftwerksleistung oder Energie, um diese im Anteilen erneuerbarer Energien ausreichende Bedarfsfall einzusetzen, wird hingegen nicht ex- 1 Frontier Economics Anreize für (Re-)Investitionen in gesicherte Er- plizit vergütet. Die Strommengen werden dabei (2017) sowie Frontier Economics und Con- zeugungsleistung wie beispielsweise Gaskraft- hauptsächlich auf dem Grosshandelsmarkt ver- sentec (2018). werke oder Wasserkraftwerke zu generieren, kauft. 18 Die Volkswirtschaft 12 / 2018
FOKUS Wasser für den Notfall? Der Bundesrat schlägt im Stromversorgungsgesetz eine strategische Stromreserve vor. Gelmersee im Berner Oberland. KEYSTONE
STROMMARKTÖFFNUNG Für den Fall, dass Knappheiten am Markt den Strombezug zu zahlen ist – «bestraft». Ein auftreten, setzt das bestehende Marktdesign relativ hoher Preis setzt hier einen Anreiz für vor allem auf die Vorsorge der Marktakteure Marktakteure, gesicherte Leistung und Energie selbst. So müssen die Lieferanten sicherstel- für den Knappheitsfall zurückzubehalten. len, dass sie auch dann ihre Kunden beliefern, Auch beim Aufbewahren von Wasser in Spei- wenn nur wenig Strom am Markt verfügbar ist cherkraftwerken für die Zeit vor der Schnee- und die Preise extrem hoch werden können. schmelze im Frühjahr gilt das Prinzip der Eigen- Entsprechend müssen sie sich bei den Strom- verantwortung. Die Marktakteure schätzen die erzeugern absichern oder selbst bei Bedarf die Risiken von Versorgungsengpässen gegen Ende Erzeugung sicherstellen. Eine weitere Option des Winters selbst ein und halten entsprechen- ist es, den Stromverbrauch der Verbraucher fle- de Reserven bereit, um selbst bei ausbleibender xibel zu gestalten, indem beispielsweise ener- Schneeschmelze noch Kunden mit Strom belie- gieintensive Geräte zu Spitzenzeiten abge- fern zu können. Dies gilt auch dann, wenn zum schaltet werden. Beispiel im Januar oder Februar Strom zu ho- Bei den Kunden der Elektrizitätswerke sieht hen Preisen in das europäische Ausland verkauft es ähnlich aus: Diese dürfen nur so viel Strom werden könnte, da dort zu diesen Zeiten Strom- verbrauchen, wie sie vertraglich beziehen dür- knappheiten auftreten. fen. Werden die Marktakteure diesen Bedin- Zusammengefasst lässt sich sagen: Grund- gungen nicht gerecht, werden sie über hohe sätzlich gewährleistet das Marktdesign in der Zahlungen – im Rahmen des Ausgleichsenergie- Schweiz ein ökonomisch effizientes Mass an preises, der dem Systembetreiber Swissgrid für Versorgungssicherheit. Dennoch gibt es Mög- lichkeiten, das Marktdesign weiter zu stärken, Abb. 1: Erzeugungsprofil der Schweizer Laufwasserkraftwerke falls dies politisch verlangt wird. Beispielsweise BFE-ELEKTRIZITÄTSSTATISTIK 2016, BERECHNUNG FRONTIER ECONO- 100 in Gigawattstunden können bei den erwähnten Ausgleichszahlun- gen an Swissgrid Anpassungen gemacht werden. 75 Es wäre zum Beispiel denkbar, die im Falle einer Knappheit von Marktakteuren zu bezahlenden 50 Ausgleichsenergiepreise künstlich zu erhöhen, MICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT um zusätzliche Anreize für eine Absicherung zu 25 schaffen. Weiter könnte der kurzfristige Handel in der Schweiz gestärkt werden, indem die Liqui- 0 dität der Kurzfristmärkte erhöht wird. Letzteres 1 4 7 10 13 46 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 ist insbesondere durch eine verstärkte Integra- Mittwoch je Kalenderwoche 2014 2015 2016 tion des Schweizer Strommarktes in die Markt- Stromerzeugung der Laufwasserkraftwerke am Mittwoch jeder Woche. struktur der Nachbarländer möglich. Abb. 2: Entwicklung des Füllstands der Schweizer Speicherseen Kapazitätsmechanismen als Option BFE-FÜLLUNGSGRAD DER SPEICHERSEEN 2011 BIS 2016, BERECHNUNG 100 in % Ein sinnvoll gestaltetes Energy-only-Marktde- sign sichert auf Basis von Marktsignalen ein FRONTIER ECONOMICS / DIE VOLKSWIRTSCHAFT 75 ökonomisch effizientes Versorgungssicherheits- niveau. Um die Versorgungssicherheit über die- 50 ses Niveau hinaus zu garantieren, wird in vielen Ländern über die Einführung von sogenann- 25 ten Kapazitätsmechanismen nachgedacht. Das heisst: Zusätzlich zur Stromerzeugung würde 0 auch das Bereitstellen von Kraftwerksleistung 1 4 7 10 13 46 19 22 25 28 31 34 37 40 43 46 49 52 Mittwoch je Kalenderwoche und die Flexibilität der Konsumenten bei der 2014 2015 2016 Stromnachfrage vergütet werden. Damit würden Speicherstände gemessen am Mittwoch jeder Woche. finanzielle Anreize gesetzt, neue Kapazitäten zu 20 Die Volkswirtschaft 12 / 2018
FOKUS bauen beziehungsweise bestehende Kapazitäten spiel, ob das primäre Ziel die Energieverfügbar- länger in Betrieb zu halten. keit zum Ende des Winters ist oder zusätzliche Welche Kapazitätsmechanismen könnten in Stromerzeugungskapazität. der Schweiz eingesetzt werden? Eine Möglichkeit wäre, eine strategische Reserve für den Notfall EU-Recht als Knackpunkt bereitzustellen. Alternativ könnten umfassen- de Kapazitätsmechanismen wie eine dezentrale Will man sich gegen extrem seltene Ereignisse und eine zentrale Leistungsverpflichtung sowie wie etwa leere Wasserspeicherstände am Ende zwei in der Branche entwickelte Mechanismen, des Winters absichern, so ist eine Reserve, die auf das Modell der Contracts for Differences (CfD) Speicherkraftwerken basiert, grundsätzlich gut für Wasserkraftanlagen und das Versorgungssi- geeignet, eine temporäre Eigenversorgung sicher- cherheits- und Klimamarktmodell (VKMM), auf- zustellen. Aufgrund der Technologiespezifität der gegleist werden. Reserve ist die Kompatibilität mit dem EU-Recht, Unsere Analyse zeigt: Unter Einbeziehung die im Zuge eines angestrebten bilateralen Strom- von Kriterien wie Effizienz, Komplexität, Regu- abkommens zwischen der EU und der Schweiz er- lierungsrisiken sowie Kompatibilität der Mecha- forderlich wäre, jedoch herausfordernd. nismen mit dem EU-Recht stellt die strategische Demgegenüber sind Reserven, die auf den Reserve die kostengünstigste Zusatzabsiche- Neubau thermischer Kraftwerke setzen, vor- rung dar. Gleichzeitig ist der Markteingriff ver- aussichtlich mit dem EU-Recht kompatibel und gleichsweise gering. Demgegenüber erlauben erlauben auch die Abdeckung sehr unspezifi- die umfassenden Kapazitätsmechanismen zwar scher Versorgungssicherheitsrisiken aufgrund mehr Steuerung, sie sind jedoch teurer, komplex von temporärem Marktversagen. Allerdings sind und schwer zu revidieren, wenn sie einmal ein- gegenüber einer Speicherreserve deutlich hö- geführt worden sind. Die beiden von der Branche here Kosten zu erwarten, die letztendlich vom vorgeschlagenen Modelle zeichnen sich schliess- Verbraucher zu zahlen sind. Eine technologie- lich durch mehrfache Zielstellungen aus, wo- neutrale Reserve, welche thermische Kraft- durch sie letztendlich nicht in der Lage sind, das werksneubauten, Wasserkraftwerke und Nach- Versorgungssicherheitsniveau in der Schweiz ef- frageflexibilität gleichermassen einschliesst, hat fizient zu erhöhen. zwar aufgrund des Technologiewettbewerbs die Sofern politisch eine grössere Versorgungs- Möglichkeit, deutlich günstiger zu sein. Die da- sicherheit gewünscht wird, bietet sich somit für mit verbundene Notwendigkeit, verschiedene die Schweiz in erste Linie die Einführung einer Technologien und Anwendungen hinsichtlich strategischen Reserve an. In der Praxis könn- ihres Beitrags zur Versorgungssicherheit mitei- te dies folgendermassen aussehen: Eine zentra- nander vergleichbar zu machen, erhöht jedoch le Instanz sichert sich vertraglich Kraftwerks- ihre Komplexität deutlich. kapazitäten (beziehungsweise Stromerzeugung wie Speicherwasser), die nur und ausschliess- lich in physischen Knappheitssituationen in der Schweiz eingesetzt werden. Dabei gilt es zahlrei- che Ausgestaltungsparameter zu spezifizieren. Zum Beispiel muss definiert werden, welches Produkt vorzuhalten ist (zum Beispiel Kraft- werksleistung und/oder Speicherwasser), welche Mahias Janssen Jens Perner Sander van der Poel Technologien an der Reserve teilnehmen dürfen, Manager, Frontier Associate Director, Consultant, Frontier nach welchen Regeln die Reserve abgerufen wird Economics, Köln Frontier Economics, Köln Economics, Köln und welche Strafen drohen, wenn ein Teil der Reserve im Notfall nicht geliefert werden kann. Literatur Für die optimale Ausgestaltung der Reserve wäre Frontier Economics (2017). Eckpfeiler eines Frontier Economics und Consentec (2018). allerdings zunächst zu klären, gegen welches Ri- Schweizerischen Strommarktdesigns nach Ausgestaltung einer strategischen Reserve für 2020, Studie im Auftrag des BFE, Köln. den Strommarkt Schweiz, Studie im Auftrag siko man sich absichern möchte – also zum Bei- des BFE, Köln. Die Volkswirtschaft 12 / 2018 21
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