Die Vermessung der Wohngefühle - Survey Research ...

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Die Vermessung der Wohngefühle - Survey Research ...
Kapitel 5                                                                                                                                                               Zukunftsfühler

      Die Vermessung der
      Wohngefühle

                             Wohlbefinden beim Wohnen wird bislang mehr
                             behauptet als nachgewiesen. Die junge Housing-
                             Well-being-Forschung tritt mit der Intention an,
                             Wohngefühle in nachhaltig errichteten Gebäuden
                             wissenschaftlich zu quantifizieren. Und den
                             Planern Gewissheiten für eine zukunftsfähige
                                                                                Foto: VELUX
                             Wohnarchitektur an die Hand zu geben.

                                                                                                                   Monitoring in Aktion. Zwei Jahre lang wurde das Hamburger VELUX-Projekt
                                                                                                   „Model Home 2020“ neben anderen Experten auch von Sozialwissenschaftlern systematisch
                                                                                              begleitet. Wohnstil, Wohnverhalten oder Einrichtungsvorlieben sind längst bestens untersucht –
                                                                                              hier geht es darum, wie sich nachhaltiges Wohnen auf das Wohlbefinden einer Familie auswirkt,
                                                                                                                                                     welche Einstellungen sie dazu entwickelt.

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Die Vermessung der Wohngefühle - Survey Research ...
Kapitel 5                                                                                                                                                                                                                                           Zukunftsfühler

                                         Prof. em. Dr. Dr. h. c. Bernd Wegener (Jahrgang 1944) war
                                         von 1994 bis 2013 Leiter des Lehrbereichs für empirische                                                      « Die Architektur legt einfach fest, was
                                         Sozialforschung an der Humboldt-Universität Berlin. Seit
                                         seinem Ruhestand ist er dort als Senior Professor tätig.
                                                                                                                                                       für Nutzer behaglich ist. Diese normative
                                         Zuvor arbeitete er unter anderem am Institut für Soziologie
                                         der Universität Heidelberg, am Max-Planck-Institut für
                                                                                                                                                       Voreingenommenheit schlägt sich dann in
                                         Bildungsforschung, Berlin, und am Zentrum für Umfragen,
                                                                                                                                                       Baurichtlinien nieder. Das hat etwas von
                                                                                                                                                       selbsterfüllender Prophezeiung. »
                                         Methoden und Analysen in Mannheim. Gastprofessuren
       Foto: Bettina Keller

                                         führten ihn an die Uni­ver­sity of Wisconsin-Madison und
                                         an die Harvard University. Prof. Wegener engagiert sich im
                                         Beirat des AktivPlus e. V.
                                                                                                                                                                                                        Prof. Bernd Wegener

      Prof. Wegener, ist Wohlbefinden die              verkünden: Bei Punkt x beginnt der Wohl-         dem Hintergrund einer Theorie erfolgen,        Könnten Sie sich vorstellen, dass es             Anspruchs­voller wäre der Versuch, überge-
      entscheidende Kategorie für die                  fühlbereich. Woher wissen die das? Die           nicht nur induktiv. Beschreibungen sind        am einen Ende der Skala fundamenta-              ordnete Denk­stile im Sinne der Cultural
      Vermessung der Wohngefühle?                      Architektur legt fest, was für die Nutzer be-    letztlich beliebig. Wir bedienen uns eines     lere, tiefer sitzende Wohlgefühle gibt           Theory zu definieren, zu operationalisieren
      Prof. Bernd Wegener: Well-being sagen wir        haglich ist. Basta. Diese normative Vor­­ein­    zweifachen theoretischen Schemas: dem          und am anderen Ende oberflächliche?              und daraus die vorgefundene Housing-
      Soziologen – als Sammelkategorie für Zu-         genommenheit schlägt sich dann beispiels-        Dreikomponentenmodell von affektiven,          Ich halte es für möglich, dass es sowohl dau­    Well-being-Struktur abzuleiten.
      friedenheit. Nicht, dass Sie denken, uns sei     weise in EU-Richtlinien für Tempe­­    ratur,    kognitiven, konativen Einstellungen und        erhafte primäre Einstellungen gibt als auch      Eine kulturtheoretische Perspektive, die
      kein deutsches Wort dafür eingefallen.           Licht, Luftqualität nieder. Das hat was von      der anthropologischen Cultural Theory. Die     stärker sekundäre, die sich mit den jeweili-     sich besonders gut auch für internationale
      Well-being ist der etablierte Fachbegriff.       selbsterfüllender Prophezeiung. Architek-        operiert mit vier Denkstilen – Individualis-   gen Randbedingungen ändern. Vergleich-           Vergleiche empfehlen würde.
      Die Well-being-Forschung orientiert sich         ten werden mit solchen Postulaten groß, sie      mus, Egalitarismus, Hierarchismus und Fa-      bar der Gerechtigkeits­wahrnehmung, wie
      stark an der Wohlfahrtsforschung. Die Mes-       kommen an der Stelle gar nicht auf die Idee      talismus. Die kommen in allen Kulturen         wir sie aus der Ideologienforschung kennen.      Wenn Sie den Blick mal auf den vor
      sung der Wohl­­fahrtsfunktionen lässt sich       zu fragen.                                       vor, sind aber spezifisch ausgeprägt.                                                           Ihnen liegenden Weg richten, dann …
      bis ins 18. Jahrhundert zu Jeremy Bentham,                                                                                                       Gibt es einen Kanon fürs Wohn-                   … würde mich nicht nur die einzelne Woh-
      dem Vordenker des modernen Wohlfahrts-           Aber Sie?                                        Wohlgefühle sind Gefühle, das Gegen-           Wohlgefühl? Wohnen im Grünen,                    nung, das einzelne Haus interessieren, son-
      staats, zurückverfolgen.                         Ja, das ist die notwendig neue Blickrichtung     teil von materiell Fassbarem.                  sozial eingebettetes Wohnen …                    dern das Quartier. Dass Leute künftig im
      Ihr Bestreben: kollektive Präferenzen abbil-     – die Betroffenenperspektive. Was denken,        Die Wohnumwelt, in der wir leben, existiert    Das untersuchen wir weniger, das ist eher        Quartier beispielsweise die von ihren Häu-
      den, um den Wohlfahrtsstaat danach auszu-        wie empfinden eigentlich die Nutzer?             nur als subjektiv wahrgenommenes Be­           etwas für die Housing-Preferences-For-           sern erzeugte Energie teilen, ist ein Aspekt
      richten. Das historische Problem dabei ist,                                                       wusst­seinsabbild. Welche Empfindungen         schung: nach welchen Kriterien die Leute         sozialen Austauschs. Sehr spannend.
      dass sich Nutzen nicht intersubjektiv ver-       Welchen Stellenwert hat gutes                    von der physikalischen Realität ausgelöst      sich ihre Wohnungen oder Häuser aussu-
      gleichen lässt. In der praktischen Einstel-      Wohnen in einer Wohlfühlmatrix?                  werden, bezogen auf die Reizintensitäten       chen, wie man marketingmäßig eine Kor­           Sie engagieren sich im Beirat des
      lungsforschung gibt es inzwischen Metho-         In Untersuchungen zur Zufriedenheitsfor-         verschiedener Modalitäten wie Licht, Akus-     res­pondenz zwischen Gebäude- und Käu-           Aktiv­Plus-Vereins. Soziologen sind in
      den, das Problem empirisch mittels latenter      schung stehen Gesundheit, Familie, Ein-          tik, Temperatur und Ähnliches untersucht       fertypen herstellt. Uns interessiert nicht,      solchen Gremien eher eine seltene
      Konstrukte zu überwinden, sodass man             kommen, Arbeit, Frei­     zeit obenan. Diese     die Psychophysik. Diese Disziplin wurde im     wel­che Wahl Leute treffen, son­dern die Re­     Spezies.
      trotzdem Aggregationen bilden und Ver-           Ermittlungen sind methodisch nicht beson-        19. Jahrhundert von Gustav Fechner in          flexion, wie sie sich dann in ihrer Wohnwelt     Ich finde imponierend, wie enthusiastisch
      gleiche anstellen kann.                          ders ausgefeilt, es gibt geringe Varianzen, es   Deutschland begründet. Für f, die Transfor-    fühlen.                                          vor allem junge Experten in diesem Aktiv­
      Mit unserem eigenen Versuch – der sozial-        fehlt jede theoretische Betrachtung. Die         mationsfunktion, gibt es klare Gesetzmä-                                                        Plus-Verein nach ganzheitlichen Lösungen
      wissenschaftlichen Begleitung des VELUX-         Wohnverhältnisse nehmen in dieser Indi­          ßigkeiten in der Beziehung R = f(S). R steht   Theoretisch müssten in Südeuropa                 für nachhaltiges Bauen suchen. Wie sie
      Projekts „Model Home 2020“ in Hamburg            ka­torenforschung neuerdings den ersten          dabei für die subjektive Repräsentation, S     andere Wohlfühlraster gelten als in              Gren­zen zwischen praktischem Bauen und
      – stehen wir ganz am Anfang der Forschung.       Platz ein. Ostdeutschlands Werte haben           für die äußere Stimulation. Die Reizstärken    der norddeutschen Tiefebene.                     Wissenschaft interdisziplinär auflösen.
      Über die Fallstudienphase sind wir noch          sich mittlerweile den westdeutschen ange-        werden, wie man heute weiß, nach einer         Ist das so? Das müsste man empirisch un-         Nachhaltigkeit wird dort nicht auf Energie-
      nicht hinausgekommen. Wie sich nachhal-          passt. Ein Wohlstandsphänomen. Je höher          Potenzfunktion R = aSb abgebildet, wobei b     tersuchen.                                       effizienz beschränkt. Deshalb sind auch wir
      tiges Wohnen auf das Wohlbefinden der            der Wohlstand, umso wichtiger wird das           für jede Sinnesmodalität verschieden ist.                                                       Soziologen eingeladen mitzuwirken.
      Bewohner auswirkt, welche Einstellungen          Wohnen. Weil man aus solcher komfortab-          Man muss also mit der Psychophysik des         Hat das Wohlgefühl denn Strukturen,              End­lich.
      sie dazu entwickeln, wurde bislang über-         len Situation heraus erst tatsächlich unter      Wohnens beginnen, mit der Umsetzung der        Regeln?
      haupt nicht untersucht. Auch international       den Möglichkeiten wählen kann.                   physischen Realität ins Bewusstsein, um        Die Rekonstruktion der Mehrdimensiona-           Und alle erwarten gespannt Ihre
      herrscht da gähnende Leere.                                                                       Wohnbefindlichkeitsmaße zu erarbeiten.         lität ist die Struktur. Eine andere Frage ist,   Rückmeldungen an die Architektur?
                                                       Was ist Wohlgefühl für einen Soziolo-                                                           ob sich für das Housing-Well-being Regel-        Ein Messinstrument für Housing-Well-
      Ist der Kenntnisstand wirklich so                gen eigentlich?                                                                                 mäßigkeiten aus empirischen Generalisie-         being zu entwickeln, das dauert schrecklich
      jungfräulich? Man weiß doch bei­                 Ein Mix von Einstellungen, latente Kon-                                                         rungen formulieren lassen. Dafür sind zwei       lange. Die Diskrepanz zwischen den unge-
      spiels­weise, dass ein 21° temperierter          strukte. Die Zusammen­setzung ist eine em-                                                      Varianten denkbar. Man kann Housing-             duldigen Erwartungen der Praktiker einer-
      Raum allgemein als behaglich emp-                pirische Frage, abhängig von der Selektion,                                                     Well-being als abhängige Variable einerseits     seits, wissenschaftlicher Gründlichkeit und
      funden wird.                                     und Gegenstand vergleichender Forschung.                                                        bezüglich soziodemografischer Merkmale           Redlichkeit andererseits ist programmiert.
      Womit wir mitten im Dilemma stecken. Ich         Methodisch läuft das so, dass man zunächst                                                      – Bildung, Berufsstatus, Einkommen, Kin-
      wundere mich bei Konferenzen regelmäßig,         Dimensionen definiert, die für eine Opera-                                                      derzahl et cetera – und andererseits für Ge-
      wenn Leute vom Baufach Grafiken zu Tem-          tionalisierung tauglich scheinen. Sie wer-                                                      bäudeeigenschaften betrachten.
      peraturverläufen prä­­sentieren und forsch       den immer wieder validiert. Das sollte vor

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Die Vermessung der Wohngefühle - Survey Research ...
Kapitel 5                                                                                                                                                                                                                                                 Zukunftsfühler

                    Die Feldstudie                                                                                                        Dimensionen und Indikatoren
                                                                                                                                          von Wohn-Wohlbefinden

                                                                                                                                          Das bisher nicht Mögliche
                                                                                                                                                                                                                                  STIMULI
                                                                                                                                                                                                                             (LichtAktiv Haus)

                                                                                                                                          möglich machen: Diese Dimen­
                                                                                                                                          sionen und Indikatoren hat das
                                                                                                                                          Soziologenteam aus diversen                                                        EINSTELLUNG
                                                                                                                                          Vorbefragungen herausgefiltert.                                                 „Wohn-Wohlbefinden“

                                                                                                                                          Solide Basics, um subjektives
                                                                                                                                          Wohlbefinden erfassen
                                                                                                                                          zu können.
                                           In einem zweijährigen Monitoring hat das Berliner
                                                                                                                                                                                     affektiv                                    kognitiv                                   konativ
                                           Soziologenteam um Prof. Wegener untersucht: Wie gut tut das                                                                              (Fühlen)                                    (Denken)                                   (Handeln)

                                           nachhaltig sanierte Hamburger VELUX-„Model Home 2020“
                                                                                                                                                                            Wahrnehmung (Sinne):                          Bewertung:                                 Techniksteuerung:
                                           seinen Bewohnern? Antwortgeber waren nicht Planer, nicht                                                                             thermische
                                                                                                                                                                                hygienische
                                                                                                                                                                                                                              Sinneseindrücke
                                                                                                                                                                                                                              Ästhetik
                                                                                                                                                                                                                                                                         Monitor
                                                                                                                                                                                                                                                                         Fensteröffnung
                                                                                                                                                                                akustische                                    Funktionalität                             Verschattung
                                           involvierte Wissenschaftler, sondern: die Testfamilie selbst.                                                                        visuelle                                      Architektur

                                           Für die Architektur ein Perspektivwechsel.                                                                                       Assoziationen                                 Einstellungen zu Umwelt
                                                                                                                                                                                                                                                                     Verbrauchsverhalten

                                                                                                                                                                                                                          und Energieverbrauch
                                                                                                                                                                                                                                                                     Raum-/Gartennutzung
                                                                                                                                                                            Sicherheitsempfinden
                                                                                                                                                                                                                          Kostenbewertung

                                                                                                                                                                                                                                                                     Interaktion:
                                                                                                                                                                            Stress-/Entspannungsgefühle                                                                   Familie
                                                                                                                                                                                                                          Wohnpräferenzen                                 Nachbarschaft
                                                                                                                                                                                                                                                                          Freunde
                                                                                                                                                                            Identifikation

                                                                                                                                                                                                                                 Technik-
                                                                                                                                                                                                                                anpassung
                                                                                                                                          Wohn-Wohlbefinden als                                           Kommunikation
                                                                                                                                                                                                                                                       Preis-
                                                                                                                                          dynamischer Prozess                                                                                       entwicklung

                                                                                          Moritz L. Fedkenheuer (Mitte) bei der                                                          Gewöhnung /
                                                                                                                                                                                                                                                                  Lebensphasen
                                                                                                                                          Die Einstellungen, was als                      Lerneffekt
                                                                                          Arbeit. Zwei Jahre lang hat er das VELUX-                                                                                               STIMULI
                                                                                          Projekt „Model Home 2020” in Hamburg            Wohl­gefühl empfunden wird,                                                        (LichtAktiv-Haus)

                                                                                          sozialwissenschaftlich begleitet.               verändern sich. Wodurch?
      Foto: VELUX

                                                                                                                                                                                                                                                                           Sonstiges
                                                                                                                                                                                  Jahreszeiten
                                                                                          Hier bei einem der regelmäßigen Gruppen­        Die Systema­tisierung ist der                                                                                               (z. B. Elektroauto)

                                                                                          interviews mit der Familie Oldendorf.           Anfang von allem.

                                                                                                                                                                                                                             EINSTELLUNG
                                                                                                                                                                                                                          „Wohn-Wohlbefinden“
                                           Das Forschungsprojekt
                                                                                          Für den Testzeitraum von zwei Jahren zog
                                           „Model Home 2020“ ist ein europaweites         eine Familie ein, Irina und Christian Ol-
                                           Großprojekt der VELUX-Gruppe, neues            dendorf mit ihren beiden Söhnen Lasse (8)
                                           Denken für zukunftsfähiges Bauen zu            und Finn (5), die dort ganz normal lebte,                                                  affektiv                                    kognitiv                                   konativ
                                           etablieren: höchste Energieeffizienz, aber     sich aber natürlich eifrig an diversen Daten-                                             (Fühlen)                                    (Denken)                                   (Handeln)
                                           ohne Kompromisse bei der Wohnqualität.         sammlungen für die Monitoren beteiligte.
                                           Idealtypisch gilt deshalb beispielsweise in    Für das wissenschaftlich begleitete Wohn­

                                                                                                                                                                                                                                                                                               Grafiken: Moritz L. Fedkenheuer & Percy Scheller, Y. Thron
                                                                                                                                                                            Wahrnehmung (Sinne):                          Bewertung:                                Techniksteuerung:
                                           den Konzepthäusern – auch im wohlver-          experiment hatte VELUX auch das Berliner                                              thermische                                    Sinneseindrücke                           Monitor
                                           standenen Interesse des weltweit größten       Soziologenteam um Prof. Wegener zur Mit-                                              hygienische                                   Ästhetik                                  Fensteröffnung
                                                                                                                                                                                akustische                                    Funktionalität                            Verschattung
                                           Herstellers mo­derner Dachfenstersysteme       arbeit eingeladen. Das legte mittlerweile                                             visuelle                                      Architektur
                                           – Naturlicht vor Kunstlicht, natürliche Lüf-   eine Studienbeschreibung und erste Ergeb-
                                                                                                                                                                                                                                                                    Verbrauchsverhalten
                                           tung vor technischer Lüftungsanlage.           nisse vor. „Die Interaktion Wohnraum –                                            Assoziationen                                 Einstellungen zu Umwelt
                                           Das Hamburger „Model Home 2020“ ist            Mensch liegt in einem Bermudadreieck                                                                                            und Energieverbrauch
                                           kein Neubau, sondern ein umfänglich mo-        zwischen den drei Disziplinen Architektur,                                                                                                                                Raum-/Gartennutzung
                                                                                                                                                                            Sicherheitsempfinden
                                           dernisiertes Siedlungshaus aus den 60er-       Psychologie und Soziologie“, macht Sozio-                                                                                       Kostenbewertung
                                           Jahren.                                        loge Moritz Fedkenheuer das mehrdimen-                                                                                                                                    Interaktion:
                                                                                          sionale Problem eines solchen sozialwissen-                                       Stress-/Entspannungsgefühle
                                                                                                                                                                                                                          Wohnpräferenzen
                                                                                                                                                                                                                                                                         Familie
                                                                                                                                                                                                                                                                         Nachbarschaft
                                                                                          schaftlichen Monitorings deutlich.                                                                                                                                             Freunde
                                                                                                                                                                            Identifikation

290                 masterplan haus 2050                                                                                                                                                                                                                                 www.haus-2050.de                                                                   291
Kapitel 5                                                                                                                                                                                                                                           Zukunftsfühler

      « Die Interaktion Wohnraum –
      Mensch liegt in einem Bermudadreieck
      zwischen den drei Disziplinen Archi­
      tektur, Psychologie und Soziologie. »
      Moritz Fedkenheuer

      Nachhaltigkeit aus                              Zehn Dimensionen des                           Untersuchung war interessant, wie sich die       nik hinreichend, sie fühlen sich ihr nicht      Ich spekuliere jetzt mal: Für eine Familie mit
      Soziologensicht                                 Wohlbefindens                                  Standardfloskel von lichtdurchfluteten           ausgeliefert.“                                  Kleinkindern könnte Nachbarschaft bei-
                                                                                                     Räu­men in jeder beliebigen Wohnungsan-                                                          spielsweise wesentlicher sein, als wenn die
      Moritz Fedkenheuer: „Für uns bedeutet           Die zehn Dimensionen sind ein vorläufiges      zeige auflöste in das manifestierte Erlebnis     Faktor 7: Energieverbrauch (Kosten)             Kinder aus dem Haus sind. Für ältere Leute
      nachhaltig: Jemand wohnt gern in einem          Ergebnis, was bedeutet: Sie werden bei         der Familie: „Licht tut uns gut. Wir würden      Der sparsame Energieverbrauch des Hauses        könnte das Thema Licht nebensächlicher
      Haus, weil es seiner Gesundheit, seinem         nächs­ten Forschungsvorhaben überprüft         nicht mehr darauf verzichten wollen.“ Die        beglückte die Bewohner sehr. Und spornte        werden. Daneben gibt es intervenierende
      Wohlbefinden, seiner Zufriedenheit för­         und validiert. Wichtig: Ihre Reihenfolge ist   Hausbesitzerin in einem der Interviews mit       sie zu immer besseren Energiebilanzen an.       Aspekte fürs Wohlbefinden. Die Jahreszei-
      derlich ist. Der Umwelt muss es natürlich       kein Ranking.                                  den Soziologen: „Von uns war, anders als         Die Soziologen konstatierten: kein Rebound­     ten: Im Frühjahr ist jeder Sonnenstrahl ein
      auch gut tun, aber wir sollten aufhören, alle                                                  früher, anderthalb Jahre lang keiner richtig     effekt. Der Spar­erfolg verleitet nicht dazu,   Ereignis, im Sommer verändert sich die
      Anstrengungen bei Sanierung oder Neubau         Faktor 1: emotionale Verbundenheit             krank.“                                          die ökologische Sorgsamkeit an irgendeiner      thermisch-visuelle Wahrnehmung, da em­
      auf Energieeffizienz zu beschränken und         Passt meine Wohnung zu mir? Kann ich                                                            Stelle wieder aufzuweichen. Christian Ol-       pfindet man Sonne auf den Fensterscheiben
      so etwas Essenzielles wie Wohlgefühl zu         mich mit ihr identifizieren? Moritz Fedken-    Faktor 5: Nachbarschaft                          dendorf: „Es ist ein Traum zu wissen, dass      plötzlich als heiß und stickig.“
      ignorieren.“                                    heuer: „Das lässt sich schwer an etwas Kon-    Dieses „Model Home 2020“ steht in einer          das Haus alles selbst trägt!“
                                                      kretem festmachen, es ist eher eine vage,      architektonisch unaufregenden Siedlung.                                                          Die nächsten Forscher-
                                                      intuitive Gefühlslage. Die Hamburger Test-     Alles solide, hier sieht es aus, wie es schon    Faktor 8: Feuchtigkeit
      Die Verfahrensweise                                                                                                                                                                             schritte
                                                      familie mochte das Haus nach den zwei          immer ausgesehen hat. Und dann diese             Wer in einem Mietshaus wohnt, hat bei den
      Die zwei wesentlichen Ziele der soziologi-      Jahren so sehr, dass sie nicht mehr auszie-    Ausreißersanierung mit quer gestelltem           üblichen Dämmsünden unweigerlich das            Die Untersuchung eines einzelnen Hauses
      schen Begleituntersuchung: das sozialpsy-       hen wollte – und es kaufte.“                   Glasanbau und einem fensterdurchlöcher-          Thema Schimmelbefall im Hinterkopf.             reicht für generalisierende Verallgemeine-
      chologische Monitoring des Hauses und die                                                      tem Dach.                                        Moritz Fedkenheuer: „Für die Oldendorfs         rungen natürlich nicht aus.
      Entwicklung eines Messinstruments für           Faktor 2: Größe                                Moritz Fedkenheuer: „Die Nachbarschaft           hatten sich mit ihrem Umzug in das sanier-      Nach dem qualitativen Monitoring des
      Housing-Well-being. So wie physikalische        Da die Testfamilie ihre vorherige Dreizim-     schaute anfänglich skeptisch, Familie Ol-        te Siedlungshaus mit der automatisierten        Hamburger VELUX-Projekts „Model Ho-
      Kennzahlen von Gebäuden verfügbar sind,         merwohnung als ziemlich beengt empfand,        dendorf fühlte sich, nun ja, verunsichert. Sie   Lüftung sämtliche Befürchtungen ultimativ       me 2020“ steht nun ein standardisierter
      etwa zur Energieeffizienz, sollen auch Koef-    antwortete sie auf die Soziologenfrage,        kurbelte ihre Interaktion mit den Nachbarn       erledigt.“                                      Fragebogen für repräsentative Umfragen
      fizienten für Well-being-Faktoren für die       worauf sie sich im neuen Haus besonders        an, lud sie ein, feierte mit ihnen – und                                                         auf der To-do-Liste der Soziologen, um
      Planer obligat werden.                          freue, erwartungsgemäß: auf den Platz und      schöpfte auch aus der zunehmenden Ak-            Faktor 9: Schlafbedingungen                     Wohn­befindlichkeits­parameter quantifi-
      Moritz Fedkenheuer: „Bei einem derart           den Garten.                                    zeptanz für ihr Haus selbst neues Wohlge-        Christian Oldendorf: „Ich habe das Gefühl,      zieren zu können.
      neuen Thema ist es üblich, mit einer Ex-                                                       fühl.“                                           ich brauche zwei, drei Stunden weniger          Mit der TU Darmstadt ist geplant, das
      plorationsstudie zu starten. In einem ersten    Faktor 3: Modernität                                                                            Schlaf. Wir brauchen alle viel weniger          CUBITY, das innovative Haus-in-Haus-
      Schritt wurden also alle Aspekte, Umstände,     Im Fokus steht hier nicht die Ästhetik, son-   Faktor 6: Temperaturregulierung                  Schlaf.“                                        Modell studentischen Wohnens (siehe Sei-
      Assoziationen, die für das Wohngefühl in        dern die Gebäudetechnik, der Zustand von       Wie gut und schnell funktioniert die Hei-                                                        ten 294–307), ebenfalls in einem Monito-
      diesem Haus belangvoll sein könnten, ge-        Fenstern, Dach et cetera.                      zung? Moritz Fedkenheuer: „Irina und             Faktor 10: Ventilation (Belüftungs­             ring sozialwissenschaftlich zu begleiten.
      meinsam mit der Familie zusammengetra-                                                         Christian Oldendorf näherten sich der            möglichkeiten)                                  Der Vorschlag der Berliner Soziologen stieß
      gen. Unterm Strich eine Liste mit 270 Aus-      Faktor 4: Helligkeit                           Haustechnik mit leichter Scheu, wir waren        Christian Oldendorf: „Wenn wir wieder zu-       in Vorgesprächen auf begeisterte Reso-­
      sagen. Die legten wir in einer Vorstudie        Moritz Fedkenheuer: „Während anfänglich        dann aber erstaunt, wie schnell sie die Tech-    rückgehen müssten in unsere alte Woh-           nanz: Das unkonventionelle Raumpro-
      50 Testpersonen vor, die sie auf einer Wer-     die großzügigen 140 Quadratmeter der Fa-       nik adaptierten. Beispiel: Die Familie kann      nung, würde ich vermissen, was wir hier am      gramm mit dem zentralen, üppig dimensio-
      tigkeitsskala von 1 bis 7 beantworteten. Mit-   milie ganz bedeutsam für ihr gutes Wohn­       gut damit leben, dass beim morgendlichen         meisten genießen: diese Helligkeit und          nierten „Marktplatz“ für die Mitbewohner,
      tels multivariater Analyseverfahren redu-       gefühl schienen, rückte zu ihrer eigenen       Aufstehen die Frischluft das Haus leicht         diese Frischluft.“                              um den sich private Wohnboxen von gerade
      zierten wir das Frageportfolio dann auf         Überraschung schon nach wenigen Wo-            her­unterkühlt – der Frischekick fürs Wach-      Die Annahmen der Soziologen, der Zuge-          einmal 7,5 Quadratmetern gruppieren, lädt
      30 Items. Aus diesen 30 Fragen haben wir        chen das üppige Tageslichtangebot auf ihre     werden. Abends stellt sie die Automatik          winn an Licht, Luft und Platz würde bei der     ge­radezu ein, Bewegungsprofile der Bewoh-
      wiederum 10 verschiedene Dimensionen            Präferenzliste.“                               öfter mal ab. Dass das CO2-Level den Soll-       Familie in ihrem Wohlfühlranking ganz           ner zu erstellen, aus denen man Rück­
      extrahiert, die zentral sind für das Erfassen   Eine Allerweltsentdeckung, weil der posi­      wert über­ schreiten könnte und müde             oben rangieren, bestätigte sich.                schlüsse auf das Alltags- und Sozialver­hal­
      subjektiver Wohn­zufriedenheit.“                tive Einfluss von Tageslicht auf körperliche   macht? Egal. Man will ja eh ins Bett und         Moritz Fedkenheuer: „Der Einfluss der           ten ziehen kann.
                                                      Energie, Gesundheit, soziales Miteinander      wünscht es lieber kuschlig warm auf dem          zehn Faktoren ist nicht bei jedem gleich, sie   Im Zeitalter von Smart­phone und Apps kein
                                                      Allerweltswissen ist? Für die soziologische    Sofa als sauerstoffreich kühl. Fazit: Die        sind generell dynamisch, abhängig vom           Problem, da lassen sich Wege bis zu 20 Zen-
                                                                                                     Oldendorfs beherrschen die Gebäudetech-          Alter, von Lebenserfahrungen, vom Ge-           timeter exakt aufzeichnen.
                                                                                                                                                      schlecht.                                       Doris Neumann

292   masterplan haus 2050                                                                                                                                                                                                                             www.haus-2050.de    293
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