Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...

 
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Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie

Umwelt und Geologie
Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7
2. überarbeitete Auflage

Die Weinbergsböden von Hessen
Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Umwelt und Geologie
Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7, 2. überarbeitete Ausgabe

Die Weinbergsböden von Hessen

Wiesbaden, 2022

Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Impressum

Umwelt und Geologie
Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7, 2. überarbeitete Auflage

ISSN 1610-5931
ISBN 978-3-89531-618-0

Die Weinbergsböden von Hessen

Bearbeiter: Dr. Peter Böhm
            Dr. Klaus Friedrich        Umweltamt Wiesbaden
            Katrin Lügger              HLNUG, Dez. G3
            Prof. Dr. Karl-Josef Sabel

Titelbild:   Weinberg an der Flörsheimer Warte
             (Foto: Nico Schuhmacher)

Herausgeber, © und Vertrieb:
Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie
Rheingaustraße 186
65203 Wiesbaden

Telefon: 0611/69 39-111
Telefax: 0611/69 39-113
E-Mail: vertrieb@hlnug.hessen.de

Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Herausgebers.
Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Vorwort
                               Böden sind wert-            Arbeit der Winzerin oder des Winzers beschreiben.
                               voll und lebens-            Von Bedeutung sind dabei neben der Kunst des Kel-
                               notwendig. Nicht            terns die Expertise im Winzerhandwerk, das Klima
                               allein, weil sie die        und vor allem die Böden und ihr Ausgangsgestein.
                               L eb en sg r u nd l a g e   Der Bedeutung des Bodens im Weinbau trug auch
                               für Flora und Fauna         das Kuratorium des “Boden des Jahres” Rechnung.
                               und den Menschen            Im Jahr 2014 wurde der Weinbergsboden als Boden
                               sind, weil wir auf          des Jahres gekürt.
                               ihnen unsere Nah-
                               rung produzieren,           Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt
                               sondern auch, weil          und Geologie (HLNUG) möchte mit dieser Broschüre
                               sie Schadstoffe spei-       Winzerinnen, Winzer und Weinbegeisterte in Hes-
                               chern und abbauen           sen anregen, sich die „Bodenwelt“ ihrer Weine zu
                               und so Sickerwasser         erschließen.
und Grundwasser schützen. Sie haben auch interes-
sante Geschichten zu erzählen, und sie können ei-          Mit der zweiten überarbeiteten Auflage wurde eine
ner Landschaft und ihren typischen Produkten, z. B.        Vielzahl von Aspekten aktualisiert. Ein Beispiel sei
dem Wein, einen unverwechselbaren Charakter ver-           der Weinbaustandortviewer, der mittlerweile in der
leihen.                                                    zweiten Auflage mit aktuellen Daten und erweiterter
                                                           Funk­t ionalität vorliegt.
Dieser unverwechselbare Charakter stellt ein Qua-
litätsmerkmal der Weine dar und wird gemäß eines
in Frankreich entstandenen Konzeptes als Terroir be-       Dr. Thomas Schmid
zeichnet.

Terroir kann sinngemäß als „Herkunft“ oder „Hei-
mat“ des Weines übersetzt werden und soll die Cha-
                                                           Präsident
rakteristika einzelner Weinbaugebiete, das Zusam-          des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und
menspiel der natürlichen Standortfaktoren mit der          Geologie

                                                                                                               3
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Inhalt

Vorwort  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .        3
Inhalt  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .   4
1 Boden und Wein, geowissenschaftliche Aspekte des Terroirs  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                                                               5
2 Entstehung der heutigen Weinbergsböden  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                                        7
3 Gesteine, Böden und Bodenzustand der Weinbaugebiete Hessens .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                                                                       9
  3.1         Oberer Rheingau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                        11
  3.2         Unterer Rheingau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                         13
  3.3         Hessische Bergstraße  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                         14
  3.4         Kleine Bergstraße (Odenwälder Weininsel)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                       15
  3.5         Überprägung der natürlichen Böden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                    15
		            3.5.1 Rigolen der Böden  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                            15
		            3.5.2 Bodenerosion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                         17
		            3.5.3 Stofflicher Bodenzustand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                               18
		            3.5.4 Flurneuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                            22
		            3.5.5 Maßnahmen bei der Neuanlage von Weinbergen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                 23
  3.6         Weinbergslage und Bodenheterogenität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                     24
4 Verfügbare Daten zu Standortfaktoren der hessischen Weinbaugebiete  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 28
  4.1         Weinbergsbodenkartierung und erste Bodenmanuskriptkarten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                     28
  4.2         Der Weinbaustandortatlas als mittelmaßstäbige Betrachtungsebene  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                    30
  4.3         Die großmaßstäbige Weinbaustandortkarte für die Weinbaupraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                                      31
  4.4         Weinbaustandortinformation 1: 5 000  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                    32
		            4.4.1 Das Kartenwerk BFD5W  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                   33
		            4.4.2 Der Weinbaustandortviewer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                    35
5 Schriftenverzeichnis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38

Abkürzungen
B(a)P    Benzo(a)pyren
BBodSchG Bundes-Bodenschutzgesetz
BBodSchV Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung
DDT      Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan
dl-PCB   dioxinähnliche Polychlorierte Biphenyle
HCB      Hexachlorbenzol
HCH      Hexachlorcyclohexan
HLNUG	Hessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie, bis 2016 Hessisches Landesamt für Umwelt
         und Geologie (HLUG)
nFK      nutzbare Feldkapazität
PAK      Polyzyklische Kohlenwasserstoffe
PCB      Polychlorierte Biphenyle
PCDD/F   Polychlorierte Dibenzodioxine und -furane
TM       Trockenmasse
TOC      gesamter organischer Kohlenstoff (total organic carbon)
WeinG    Deutsches Weingesetz
WHO-TEq Toxizitätsäquivalent nach WHO (2005)
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Die Weinbergsböden von Hessen

1 Boden und Wein, geowissenschaftliche Aspekte des Terroirs
Unter dem Begriff Terroir werden neben der Arbeit                            Reben nutzen den Boden nicht nur zur Verankerung,
der Winzerin und des Winzers die natürlichen Fak-                            sondern in erster Linie zur Wasser- und Nährstoff-
toren zusammengefasst, die einen Weinberg kenn-                              aufnahme. Die pflanzenphysiologisch relevanten
zeichnen und Einfluss auf die Qualität und den Ge-                           Eigenschaften des Bodensubstrates sind seine Mi-
schmack des Weines nehmen (Abb. 1). Die Kombina-                             neralogie, der Kalk- und Säuregehalt, aber auch die
tion der Faktoren verleiht jeder Lage ihr bestimmtes                         „Bodenart“ genannte Korngrößenzusammenset-
Terroir, das sich in ihren Weinen über die Jahre mehr                        zung, d. h. der Feinboden und der Steingehalt. Ge-
oder weniger einheitlich ausdrückt (Gladstones &                             rade die Bodenart gewinnt entscheidenden Einfluss
Smart 2003, Hoppmann et al. 2017). Unabhängig von                            auf den Wasser- und Lufthaushalt, z. B. auf die Men-
den Bewirtschaftungs­methoden und der Weinberei-                             ge an pflanzenverfügbarem Bodenwasser, das gegen
tung wird dem Boden, synonym dem Gestein, zuge-                              die Schwerkraft im Wurzelraum gespeichert werden
schrieben, den speziellen Charakter eines Weines zu                          kann und nicht versickert. Daneben spielen auch
prägen. Bodeneigenschaften bestimmen nicht allein                            Grund- und Stauwassereinflüsse eine Rolle. Gestein
das Wachstum der Reben, sondern beeinflussen auch                            und Boden beeinflussen auch das für Rebenwachs-
den Charakter der Trauben, die Mineralität ihres                             tum und Traubenreife bedeutende Mikroklima. So
Saftes und folglich auch den Geschmack des Weines.                           hängt z. B. die Erwärmbarkeit des Bodens eng mit

                                                              Natürliche
                                                            Gegebenheiten

                                                             Gestein, Boden,
                                                           Klima, Topographie

          Weinbauliche                                                                             Kellerwirtschaftliche
          Maßnahmen                                                                                    Maßnahmen
       Qualitätsstrategie,
     Anschnitt, Bodenpflege,
                                                          Terroir                                        Ausbauweise
     Düngung, Bewässerung

                                                         Regionaler Einfluss

                                                           Geschichte, Kultur,
                                                           Weinbaugemeinden

Abb. 1: Einflussaspekte der Terroir-Bewertung (nach: Königer et al. 2002).

                                                                                                                               5
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Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

dem Bodenwasserhaushalt, der Luftzirkulation im                Bodeneigenschaften wie Sand-, Ton- und Kalkge-
Boden und der Bodenfarbe an der Oberfläche zu-                 halt bzw. Basenhaushalt beeinflussen Lebendigkeit,
sammen. Deswegen bevorzugen Pflanzen bestimmte                 Säureempfinden und Körper der ausgebauten Weiß-
Standorte, andere dagegen meiden sie.                          weine (hier Riesling), sofern in der Kellerwirtschaft
                                                               keine maßgebliche Überprägung im Ausbau her-
Die Winzerinnen und Winzer berücksichtigen die                 vorgerufen wird. Im Projekt Terroir Hessen (Böhm
heterogenen Boden­eigenschaften bei der Wahl des               et al. 2008) konnten darüber hinaus auch standort­
Edelreises oder der Unterlage, beim Anschnitt und              charakteristische Aromendiagramme herausgearbei-
der Pflege der Reben. Darüber hinaus verändern sie             tet werden.
durch tiefgründiges Umwenden und Durchmischen
(das Rigolen) den Boden, um einen einheitlichen,               Die Bewertung des Bodeneinflusses auf den Ge-
für die Rebe gut durchwurzelbaren Bodenraum zu                 schmack des Weines wird zwar hinsichtlich der
schaffen.                                                      ­Bedeutung des Klimas kontrovers diskutiert, doch
                                                                wird zunehmend die Authentizität des Standor-
Über den Einfluss auf die Menge und die Qualität                tes für die geschmackliche Ausrichtung des Weines
des Ertrags hinaus wird dem Boden auch zugeschrie-              hervorgehoben (Schenk zu Tautenburg 1999, Rhein­
ben, dass er die Geschmacksrichtung eines Weines               hessenwein e.V. 2005, Mosel-Saar-Ruwer Wein e.V.
prägt und ihm eine individuelle, persönliche Note              2007, Fischer et al. 2007). Grundsätzlich wird den
verleihen kann. Dieser Zusammenhang zwischen                    Standortfaktoren und damit auch dem Boden ein
Eigenschaften der Böden und der Geschmacksrich-                 Einfluss auf die Weintypizität eingeräumt. Der Bo-
tung bzw. der Grundtypizität eines Weines wurde                 den wird daher in Zukunft stärker in die Praxis der
von Sittler (1995) beschrieben. Abbildung 2 zeigt               Weinerzeugung einfließen, sei es durch neue La-
Bodeneigenschaften und Grundtypizitäten für unter-              genabgrenzungen zur Hervorhebung bestimmter
schiedliche Standorttypen des Rheingaus.                        Geschmacksbilder oder zur Erzeugung standort­
                                                                typischer Weine.

                gepufferte Säure
                     basenreich

                                          Tonmergel

                                                                 Löss

                                                  Ton

                                                                                  Quarzit

                    säurebetont
                      basenarm
                                   körperreich                                             körperarm
                                   feinkörnig (hohe nFK)                     grobkörnig (geringe nFK)
               Abb. 2: Grundtypizität von Riesling auf unterschiedlichen Standorttypen im Rheingau.

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Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Die Weinbergsböden von Hessen

2 Entstehung der heutigen Weinbergsböden
Weinbergsböden sind Archive der Landschaftsge-                           dungsphasen wie Entkalkung, Oxidation, Tonmine-
nese der Kalt- und Warmzeiten sowie Zeugen einer                         ral- und Humusbildung. In Wasser gelöste Kohlen-
maßgeblichen Überprägung durch den Menschen.                             säure (H2CO3) greift die Minerale an und bewirkt
Abgesehen von den wenigen Flächen in Auen­lage                           chemische Veränderungen. So führt z. B. Sickerwas-
(z. B. Mariannenaue), sind die meisten Substrate                         ser Calciumcarbonat (CaCO3) und andere Boden­
dieser Böden zunächst durch Frostprozesse im ober-                       inhaltsstoffe ab und eisenhaltige Minerale können
flächlich auftauenden Permafrost der letzten Eiszeit                     oxidiert werden, was den Böden in Mitteleuropa
entstanden. Frostsprengung und Verlagerung der                           die typische bräunliche, selten auch rötliche Farbe
oberflächennah auftauenden Bodenzone prägen die                          verleiht. Neben der chemischen und physikalischen
eiszeitlichen, fast vegetationsfreien Hänge. Aufbe-                      Verwitterung tragen die Aktivitäten von Pflanzen,
reitet wurde dabei das Untergrundgestein, das ein                        Tieren und Mikroorganismen, z. B. durch die Bil-
Festgestein sein kann, aber auch aus einem kaltzeit-                     dung von Huminsäuren, erheblich zur Entwicklung
lichen „Staubsediment“, dem sogenannten Löss, oder                       der Böden bei. In einem Gramm Boden können bis
tertiären Meeressedimenten bestehen kann (Abb. 3).                       zu einer Milliarde lebender Organismen (Pilzge-
                                                                         flechte, Mi­k ro­ben, Bakterien u. a.) enthalten sein.
Mit dem Einsetzen der jetzigen Warmzeit vor etwas                        Die Lebewesen zersetzen das organische Material,
mehr als 10 000 Jahren durchliefen die in der Eis-                       wie die jährlich anfallende Streu (Mineralisierung),
zeit gebildeten Substrate unterschiedliche Bodenbil-                     oder sie bilden organische Abbauprodukte (Humifi-

                                    Eintrag von Löss

                                                                                                in der Bodenmatrix „schwimmende“
           Per                                                                                  Steine und Grus hangaufwärts
               ig
           wa lazia                                                                             anstehender Gesteine
             sse les
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                     sät den
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                                                  st

     Abb. 3: Periglaziales Bodenfließen und die
     Einmischung von Stäuben (Löss) verändern
     das Ausgangsgestein der Bodenbildung.

                                                                                                                              7
Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

zierung). Aus den Produkten des Zersetzungsprozes-             nahmen und Drainage die ursprünglichen Bodenver-
ses abgestorbener pflanzlicher und auch tierischer             hältnisse z. T. erheblich verändert oder völlig über-
Organismen entsteht schließlich der Humus, der die             prägt wurden.
Bodenoberfläche, beispielsweise die Ackerkrume,
dunkel färbt.                                                  Die meisten Weinbergsböden werden daher in den
                                                               Bodenwissenschaften als sogenannte Treposole (ein-
Die Bodenbildung beinhaltet aber nicht nur Abbau-              maliges Umgraben mit gut erkennbarem originärem
und Verlagerungsprozesse, sondern auch den Aufbau              Bodengefüge) und Rigosole (mehrfaches Umgraben,
neuer Substanzen. Bedeutsame Neubildungen sind                 meist mit Beimengung von Fremdmaterial) typisiert
Tonminerale, Oxide, Hydroxide, Huminstoffe und                 und der Klasse der terrestrischen Kultosole (terres­
Ton-Humus-Komplexe. Letztere entstehen z. B. im                trische anthropogene Böden) zugeordnet (Ad-hoc-
Verdauungstrakt der Regenwürmer. Sie werden als               AG Boden 2005). Dabei wird ein Teil der originären
Wurmlosung ausgeschieden, verleihen dem Humus                  Bodenhorizontierung und das Bodengefüge zerstört
seine günstige, schwammartige Struktur und steigern           und alles miteinander vermischt. Erhalten bleiben
die Gefügestabilität des Bodens. Vor allem für den           dagegen die mineralische Matrix und teilweise auch
umgangssprachlich als „Mutterboden“ bezeichneten               Bruchstücke mit der originären Gefügestruktur, die
Oberboden spielen sie eine sehr wichtige Rolle.                ihre Eigenschaften und Merkmale weitgehend an
                                                               den Rigosol weitergeben. Je nach Mächtigkeit der
Die dargestellten bodenbildenden Prozesse verän-               Bodendecke ist der ursprüngliche Boden unter dem
dern das Ausgangsgestein in charakteristischer Wei-            Rigolhorizont noch erkennbar oder im Mischhori-
se und führen zur Entwicklung der Boden­horizonte,            zont diagnostizierbar. Bodentypologisch werden die
die durch bestimmte Merkmale (wie Gefüge, Bo-                 Rigosole dann meist als Übergangssubtyp in Kombi-
denart, Farbe, Fleckung u. a.) gekennzeichnet sind.            nation mit dem Ursprungstyp ausgedrückt: Der Para-
Als Ergebnis entsteht eine ganz individuelle Erschei-          braunerde-Rigosol ist beispielsweise ein Rigosol aus
nungsform - ein standortspezifischer Boden.                    dem Bodensubstrat einer Parabraunerde (Abb. 7).

Um Böden hinsichtlich ihrer Eigenschaften beur-                Viele Standorte in den hessischen Weinbergslagen
teilen zu können, werden physikalische, chemische              sind aber deutlich stärker überprägt. Vor der Um-
und biologische Merkmale bewertet und als Kenn-                stellung des europäischen Weinbaues auf reblaus­
werte definiert. Zu den wesentlichen physikalischen            resistente Unterlagssorten im 20. Jahrhundert erfolg-
Merkmalen des Bodens zählen die Korngrößen-                    te das Rigolen im Zusammenhang mit Bodenbeauf-
zusammensetzung und die Lagerungsdichte. Zu-                   schlagungen in einem Turnus von 30 bis 80 Jahren,
sammen mit dem Humusgehalt lassen sich u. a. der               selten über 100 Jahre. Seither sind Neuanlagen so-
Wasser- und Lufthaushalt (Versorgung mit pflan-                gar alle 20 bis 40 Jahre durchgeführt worden. Da
zenverfügbarem Wasser, Staunässe, Erwärmung im                ein Teil der hessischen Weinbaufläche im Rheingau
Frühjahr) sowie die Erodierbarkeit (Neigung zum               schon zu karolingischer Zeit angelegt wurde, ist für
Bodenabtrag) eines Bodens beurteilen. Pflanzen-                diese Weinberge mindestens ein 15- bis 20-facher
baulich relevant ist auch seine Gründigkeit, die den          Rigolvorgang anzunehmen (vgl. hierzu Kap. 3.5).
Wurzelraum bemisst. Wichtige chemische Merk-
male sind auch der Kalkgehalt, die Basensättigung              Zur Bodenverbesserung waren darüber hinaus be-
sowie die Bodenreaktion (pH-Wert). Sie bestimmen               sonders vor der „Kunstdüngerzeit“ Überschieferung
den Nährstoffhaushalt und indirekt auch die biologi-           und Mergelung oder Lössüberdeckung üblich. Dabei
sche Aktivität des Bodens.                                     wurden z. T. wiederholt große Mengen Fremdmate-
                                                               rial aufgebracht. Sehr häufig sind auch Weinbergs-
Seit Beginn der Ackerkultur greift der Mensch in den           böden zu finden, bei denen der natürliche Boden
Naturraum ein, indem er die Bodeneigen­schaften                teilweise oder völlig erodiert ist. Über den Bodenaus-
und -merkmale zur Nutzbarmachung zu optimieren                 gangsgesteinen des Untergrundes wurde vielfach zur
versucht. Allgegenwärtig dokumentiert sich dies im             erneuten Bodenverbesserung standortfremdes Bo-
Umbruch der Ackerkrume und der Düngung. Solche                denmaterial zwischen 50 cm und mehreren Metern
Maßnahmen werden auch im Weinbau angewandt,                    Mächtigkeit aufgetragen.
wo durch Tiefumbruch, Substratauftrag, Düngemaß-

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Die Weinbergsböden von Hessen - Umwelt und Geologie Böden und Bodenschutz in Hessen, Heft 7 2. überarbeitete Auflage - Hessisches Landesamt ...
Die Weinbergsböden von Hessen

Auch heute wird noch Boden- und Gesteinsmate-                               Um dem Standortcharakter einer Lage im Hinblick
rial aus „Erdaushub“ in die Weinberge eingebracht,                          auf das Standort-Terroir treu zu bleiben, sollte bei der
vermischt mit Trester, Schlamm, Kompost u. a. Man                           Neuanlage von Weinparzellen unter dem Gesichts-
spricht dann von Böden aus Kippsubstraten, die                              punkt der „Bodenverbesserungsmaßnahmen“ in Zu-
meist als Rohböden (Regosole) bodengenetisch aus-                           kunft stärker standortgerechtes Material verwandt
geprägt sind. Dieses Einbringen von Fremdmateriali-                         und sachgerecht eingebaut werden, wie dies auch in
en hat auch Auswirkungen auf den Stoffbestand der                           der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung
Weinbergsböden (vgl. Kap. 3.5.3)                                            (BBodSchV) gefordert wird.

3 Gesteine, Böden und Bodenzustand der Weinbaugebiete Hessens
Mit ca. 3 199 ha bzw. ca. 462 ha bestockter Reb­                            Wicker, auch „Maingau“ genannt), Hessische Berg­
fläche (Regierungspräsidium Darmstadt 2021a, b)                             straße (Heppenheim–Zwingenberg) und die „Kleine
zählen der Rheingau und die Hessische Berg­straße                           Bergstraße“ (auch Odenwälder Weininsel genannt),
zu den kleineren deutschen Weinbauge­b ieten.                               den verstreut liegenden Weinbergen um Groß- und
Landschaftlich differenzieren sich die hessischen                           Klein-Umstadt (Abb. 4).
Weinbaugebiete in die Regionen Unterer Rheingau
(Rüdesheim–Lorchhausen, auch als Mittelrhein be-                            Zum Verständnis des Terroirs und speziell der hes-
zeichnet), Oberer Rheingau (Wies­baden–Rüdes-                               sischen Weinbergsböden ist es hilfreich, sich die
heim, Untermain bei Hochheim, Flörsheim und                                 Entstehung des Landschaftsraumes zu vergegenwär-

                                                                                                        Frankfurt
                                                                                            a
                                                                                         dd

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                                     Oberer          Wiesbaden
                                                                  e rb
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              Unterer               Rheingau
                                                                        h
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              Rheingau
     Rh
       ein                                                   Maingau
                                                                                                 h

                                                                                in
                                                                                                ac

                                                     Mainz                   Ma
                                                                                            rz b
                                                                                            a
                                                                                         hw
                                                                                       Sc

                                                                                                                                                        z
                                                                                                                                                    re n
                                                                                                                                                rs p
                                                                                                                                           Ge
                                                                                        HESSEN
                                                                                                                                  Kleine
                                                                                                                              Bergstraße
                                                                                                  Darmstadt
                                                                                                                      Modau

                                                                                                               Hessische
                                                                                                               Bergstraße
                                                                                                We s c h

              Weinbaugebiete                                 Worms
                                                                                                                                                            Mümling

              Siedlungsflächen
                                                                                                        nitz

 0      2,5    5       10 km

Abb. 4: Die hessischen Weinbaugebiete.

                                                                                                                                                                      9
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

tigen. Gerade die sehr unterschiedliche naturräum­                              hessischen Weinbaugebiete und der in Tabelle 1
liche Ausstattung des Oberen und Unteren Rhein­                                 skizzierten Bodengruppen umrissen. Umfangrei-
gaus sowie der Hessischen Bergstraße hat zur Aus-                               chere Ausführungen finden sich in Friedrich (2004),
prägung charakteristischer, regional differenzierter                            Friedrich & Sabel (2004), Sabel (2006a, b) und vor
Bodengesellschaften geführt.                                                    allem in den Weinbergs­bodenkarten des Hessischen
                                                                                Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie
Im Folgenden wird das Bodenmosaik der Wein-                                     (HLNUG).
baugebiete auf der Basis der Standortkartierung der

Tab. 1: Die Bodengruppen der Standortkartierung der hessischen Weinbaugebiete

Bodengruppe I                  vorwiegend flachgründige, sehr grobbodenreiche, trockene, meist kalkfreie Böden

                               mittel- und tiefgründige, grobbodenreiche, lehmige, trockene bis frische,
Bodengruppe II
                               meist kalkfreie ­Böden

Bodengruppe III tiefgründige, grobbodenarme, lehmige, frische, basenreiche, meist kalkfreie Böden

Bodengruppe IV lehmig-tonige, z. T. grobbodenführende, häufig staunasse, meist kalkfreie Böden

                               tiefgründige, nur vereinzelt grobbodenführende, schluffige, vereinzelt sandig-­
Bodengruppe V
                               lehmige, t­ rockene bis frische, meist kalkhaltige Böden

Bodengruppe Va tiefgründige, sandige bis sandig-schluf­fige, meist kalkhaltige Böden

                               tiefgründige, häufig grobbodenführende, tonig-lehmige, frische bis feuchte, ­
Bodengruppe VI
                               meist kalkhaltige Böden

Bodengruppe VII tonige, grobbodenarme, häufig stau­nasse, meist kalkhaltige Böden

                                                                                Frankfurt
                                                    u   s
                                            Ta   un
                                                                           Main

                                                  Mainz

                   r   ück
              ns
         Hu                                Mainzer
                                           Becken                   Darmstadt

                                                                                                        Tertiär und Quartär
                                    e
                               nk
                                                                                     Odenwald

                           e                                                                            Tertiär-Sedimente
                       e-S
                  ah
                                                                  Rh

            r-N
                                                                    ein

      Saa
                                                                                                        Trias und Jura

                                                                                                        Perm
                                                                                                        (vorwiegend Rotliegend)
                                                            Mannheim      Nec
                                                                                                        Devon des Rheinischen Schiefergebirges
                                                                            ka
                                                                               r

                                                                    Heidelberg                          Kristallines Grundgebirge

Abb. 5: Geologische Übersichtskarte der hessischen Weinbaugebiete.

10
Die Weinbergsböden von Hessen

3.1 Oberer Rheingau
Das Weinbaugebiet Oberer Rheingau umfasst das                  terschiedlichen Ablagerungen wie Schotter, Sande,
Gebiet zwischen Wiesbaden und Rüdesheim sowie                  ­Tone, Kalke und Mergel. Taunuswärts wechselt der
die weinbaulich genutzten Bereiche am Untermain                 Untergrund zu teilweise tiefgründig verwittertem
zwischen Mainz-Kostheim und Flörsheim am Main.                  Gestein des Rheinischen Schiefergebirges (Schiefer,
Durch die zusätzlich vorkommenden spezifischen                  Phyllit, Serizitgneis; vgl. Abb. 6) und vor allem nord-
Böden der Mainterrassen und Flugsande stellt das                westlich von Rüdesheim auch Quarzit und Sandstein
Maingebiet bodenkundlich eine Besonderheit dar                  des Naturraumes Taunuskamm. Als Ausgangssub­
und wird daher auch gerne als „Maingau“ unterglie-              strat der Bodenbildung ist aber insbesondere der geo­
dert. Weinbaulich gehört der „Maingau“ aber zum                 logisch sehr junge, eiszeitliche Löss oder Sandlöss
Oberen Rheingau. Die mit Abstand größte Anbau­                  hervorzuheben, der als Flugstaub fast überall hinge-
fläche erstreckt sich im Oberen Rheingau auf ca.                tragen wurde. Die Bodengesellschaft des Rheingaus
25 km zwischen Wiesbaden und Rüdesheim auf                      wird auf den Lössen von tief entwickelten, nähr-
einem 3–6 km breiten Streifen parallel zum Rhein.               stoffreichen Böden (Parabraunerden, vgl. Abb. 7)
Die sanft gewellte H­ ügellandschaft wird vom Verlauf           mit ausgeglichenem Wasserhaushalt dominiert. Der
des Rheins nach Rüdesheim hin zunehmend ver-                    schon Jahrtausende währende Ackerbau förderte in
engt, bis sie bei Ass­mannshausen vom Taunuskamm                Hanglagen den Bodenabtrag, sodass die in der der-
abgeschnürt wird. Die nach Süden exponierte Ab­                 zeitigen Warmzeit entwickelten Böden z. T. völlig ab-
dachung vom Fuße des Taunuskammes bis zum                      getragen wurden. Das erodierte Bodenmaterial füllte
Rhein wurde von den Seitenbächen in zahlreiche                 Dellen und Tiefenlinien und reicherte sich an den
lang gezogene Rücken und Riedel zertalt.                       Unterhängen an (Kolluvisol). Wo die Lössbedeckung
                                                               nur geringmächtig war, sind die Untergrundgestei-
Der größte Teil des Oberen Rheingaus zählt geo-                ne aufgearbeitet und übertrugen ihre Eigenschaf-
logisch zum Mainzer Becken (Abb. 5), einem im                  ten mehr oder minder stark auf die Böden. Daher
Tertiär entstandenen Senkungsgebiet mit sehr un-               sind Böden über Sanden trocken und nährstoffarm

Abb. 6: Weinbergsboden aus Lösslehm und zersetztem vor­        Abb. 7: Weinbergsboden aus Lösslehm über Löss (Parabraun-
devonischem Serizitgneis (Braunerde-Rigosol).                  erde-Rigosol).

                                                                                                                     11
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

     W                                                                    E  halten und das anstehende Gestein, viel-
 m ü. NN                                                                     fach Mergel, Tone sowie jüngere Flussab-
 165                                                                         lagerungen des Rheins (Terrassensande,
             Ackerbau          Wiese Weinbau                  Ackerbau
                                                                             Kies), treten an die Oberfläche und bilden
 145                                                      V                  meist als Gemisch das Ausgangsgestein
                                            Va                               der Bodenbildung. Trotz der verbreitet
                III                                                III
                                      VII         Terrasse                   ungünstigeren Böden (Bodengruppe Va:
 135
                                 VI                                          sandig, kalkhaltig und Bodengruppe VII:
        Löss
                                                  Mergel                     tonig, kalkhaltig) konzentriert sich hier
 125                                                                         wegen der Exposition und Hangneigung
Abb. 8: Verteilung der Bodengruppen und der Bodennutzung im Rheingau.        der Weinbau, während auf den flachen
                                                                            Rücken und Riedeln trotz der ertragsrei-
                                                                            cheren Böden aus Löss (Bodengruppe III:
(Braun­erden), über Tonen schwer und wasserabwei-               tiefgründig, basenreich und Bodengruppe V: kalk-
send und über Mergeln und Kalksteinen kalkhaltig                haltig) nur in Flussnähe noch Weinbau betrieben
(Pararendzina, Rendzina). Im Taunusanstieg sind auf             wird. Die mit mächtigem Löss verkleideten, sanft
ebenen Flächen vornehmlich tonig zersetzte Schiefer             ostexponierten Hangschleppen, sind dagegen der
und Phyllit anzutreffen. Diese Böden, aber auch die             ackerbaulichen Landwirtschaft, die Auen wegen der
tiefgründigen Löss­lehme der höher gelegenen Berei-             Kaltluftzüge und dem hoch anstehenden Grundwas-
che, neigen zur Staunässe. Die steileren Hänge wer-             ser (Bodengruppe VI) der Grünlandbewirtschaftung
den überwiegend von steinig-grusigen Fließ­erden                vorbehalten.
mit geringem bis mittlerem Wurzelraum und unaus-
geglichenem Wasserhaushalt eingenommen. In den                  Im weiteren Anstieg zum Taunus beschränkt sich
Tallagen sind in der Regel nährstoffreiche Böden mit            wegen der Klimaungunst der Weinbau nur noch auf
wechselndem Grundwasserstand verbreitet.                        die steilsten und optimal nach Südwesten ausgerich-
                                                                teten Hänge mit steinigen Braunerden aus lössarmer
Der Weinbau nutzt, wie im folgenden Beispiel dar-               Fließerde, während die Verebnungen mit den stau­
gestellt, ganz differenziert die Bodenlandschaft. Die           nassen Böden über tonigem Zersatz wegen ihres
Rücken und Riedel zwischen den Nebenbächen des                  mangelhaften Bodenluft- und Bodenwasserhaushal-
Rheins weisen im Querprofil eine ganz typische                  tes gemieden werden.
­Bodenverteilung und Landnutzung auf (Abb. 8). Die
 nach Westen exponierten Hangflanken sind im Ver-               Der Weinbau am Untermain beschränkt sich auf die
 gleich zum Gegenhang markant versteilt. Auf ihnen              steilen Uferhänge von Main und Wickerbach, selte-
 konnte sich der Löss nur in geringer Mächtigkeit er-           ner auf die oberhalb anschließenden flacheren Ver-
                                                                ebnungen, die mit mächtigem Löss bedeckt sind. Am
                                                                Untermain nehmen verbreitet Tone und Mergel die
                                                                weinbaulich genutzten Hänge zwischen Flörshei-
                                                                mer Warte und Massenheim sowie die Weinberge
                                                                unterhalb der Ortslage Hochheim ein (vgl. Abb. 9).
                                                                Entsprechend dominant sind die tonreichen, kalk-
                                                                haltigen Böden der Bodengruppe VII, die für die La-
                                                                gen „Stein“ und „Nonnberg“, aber auch „Domdecha-
                                                                ney“ sowie zum Teil „Hölle“ und „Kirchenstück“ in
                                                                Hochheim ganz typisch sind (Sabel 2006b). Daneben
                                                                kommen im Unterhang zum Gewerbegebiet Hoch-
                                                                heim-Süd noch Sande und Schotter junger Mainab-
                                                                lagerungen und Flugsande vor, auf denen die Boden-
                                                                gruppe Va überwiegt. Alle anderen Bodengruppen
                                                                sind gegenüber dem Rheingau unterrepräsentiert.
Abb. 9: Flörsheimer Warte bei Wicker.

12
Die Weinbergsböden von Hessen

3.2 Unterer Rheingau
Während der steten Hebung des Schiefergebirges
schnitt sich der Rhein in den Untergrund ein und
bildete das heutige schmale Mittelrheintal (Abb. 10).
Als Gesteine treten Quarzit, Sandstein sowie Schiefer
auf. Auch im Unteren Rheingau wurde in den Kalt-
zeiten Löss verblasen, der in die steinigen Schuttde-
cken als entkalkter Lösslehm eingearbeitet ist. Tief-
gründiger Löss dagegen ist nur ganz untergeordnet
auf kleineren Flächen verbreitet. Infolgedessen ist im
Mittelrheintal eine ganz eigene Bodengesellschaft
anzutreffen. Charakteristisch sind die weit verbrei-
teten Felsausbisse, die sehr flachgründige trockene
                                                             Abb. 10: Blick auf den Rhein bei Burg Ehrenfels.
Böden (Felshumus­böden, Rohböden) tragen. Diese
Grenzertragsstand­orte (Bodengruppe I) sind heute
nicht mehr in Bewirtschaftung und die Terrassen              ­ ündungsbereich der Seitentäler und an Unterhän-
                                                             M
verfallen. Ansonsten überwiegen als Ausgangsge-              gen mächtigere und lössreichere Fließerden erhalten,
stein der Bodenbildung flachgründige Fließerden, die         in denen auch tiefgründigere Böden entwickelt sind.
sich in den exponierten Hangflanken aus Lösslehm
und Untergrundgestein zusammensetzen und stei-               Im Engtal des Rheines spielte die Sonneneinstrah-
nige, nährstoffarme, trockene Böden hervorbringen            lung für die Standortwahl eine große Rolle. Trotz
(Abb. 11, Abb. 12). Ihre Gründigkeit ist oft auf 0,5 m       schwieriger Arbeitsbedingungen wurde der Terras-
beschränkt. Dagegen konnten sich vor allem im                senanbau an den optimalen Hangpositionen bevor-

Abb. 11: Braunerde aus Quarzitschutt.                        Abb. 12: Braunerde aus Tonschieferschutt.

                                                                                                                13
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

zugt. Lediglich die steilsten Relieflagen mit Felshu-
musböden und Syrosemen wurden gemieden. Beim
Terrassenbau wurde angesichts der meist flachgrün-
digen Böden der Mangel an durchwurzelbarem Bo-
denraum durch Aufschüttungen ausgeglichen. Es
überwiegt die Bodengruppe II, die in der Großlage
„Steil“ über 50 % der Flächen einnimmt.

3.3 Hessische Bergstraße

Als Hessische Bergstraße bezeichnet man den öst­
lichen Rand des Oberrheingrabens zum Odenwald                      Abb. 13: Bergstraße – Blick auf die Heppenheimer Lage
(Abb. 13). Die Untergrundgesteine, ganz überwie-                   „Stemmler“. © Reinhard Antes.
gend Magmatite des kristallinen Odenwaldes, treten
aber nur in exponierten Oberhängen und Kuppen                      zung haben großflächig die ursprünglichen Böden
zutage. In Mittel- und Unterhangposition sind sie mit              (v. a. Parabraunerden) abgetragen, sodass der kalk-
Sandlöss und Löss verkleidet, die örtlich noch nähr-               haltige Löss bzw. Sandlöss diese Flächen einnimmt
stoffreiche, tiefgründige Böden mit ausgeglichenem                 (Abb. 14). Wie im Rheingau reichert sich das erodier-
Wasserhaushalt tragen (Parabraunerden). Die hohe                   te Bodenmaterial an den Unterhängen, in Hangdellen
Erosionsanfälligkeit des Sandlösses, die Reliefierung              und kleineren Tälern an. Die lössgeprägten Flächen
der Hänge und die lange landwirtschaftliche Nut-                   der Bodengruppe V zeigen vor ­allem in den Groß-

Abb. 14: Weinbergsboden aus Sandlöss (Pararendzina-Rigosol).       Abb. 15: Braunerde mit Sandsteinblöcken.

14
Die Weinbergsböden von Hessen

lagen „Rott“ und „Schlossberg“ mit weit über 60 %             sions­a nfälligen Bereichen abgetragen. Diese Böden
Flächenanteil die größte Verbreitung.                         sind durchweg als trocken einzustufen. Die Hänge
                                                              und Kuppen tragen Fließerden mit hohem Steinge-
Zur Bodengesellschaft zählen auch die der Steilstu-           halt, in denen trockene Braunerden vorherrschen
fe vorgelagerten Braunerden aus kalkhaltigen Flug­            (Abb. 15).
sanden. Durch den Nutzungseinfluss sind sie in ero­

3.4 Kleine Bergstraße (Odenwälder Weininsel)

Das sehr kleine, verstreute Weinbaugebiet bei Groß-
und Klein-Umstadt liegt in der Dieburger Bucht,
­einem Teilbereich des Mainzer Beckens, dem nörd-
 lichen Rande des Odenwaldes vorgelagert (Abb. 16).
 Es handelt sich um eine flachhügelige Landschaft,
 in der Gesteine des Odenwaldkristallins (z. B. Gra-
 nit, Grano­diorit, Diorit) mit mächtigem Löss verhüllt
 sind. Auch hier sind die ursprünglichen Parabraun-
 erden aus Löss großflächig erodiert. Die Böden der
 Bodengruppe V repräsentieren dabei ca. 40 % der
 Flächen­anteile des Weinbaugebietes.

Erst in den stärker reliefierten Randbereichen
durchragen vereinzelt die Festgesteine die Lössdecke.
Dort bildeten sich über dem Festgestein Fließerden
                                                              Abb. 16: Blick auf die Lage „Stachelberg“ bei Klein-Umstadt
mit Braunerden (Bodengruppe II) oder tiefergrün­dige
Parabraunerden (Bodengruppe III).

3.5 Überprägung der natürlichen Böden

Die lange weinbauliche Nutzung der hessischen                 3.5.1 Rigolen der Böden
Weinbaugebiete, vor allem das Tiefumgraben oder               Fast alle Weinberge werden vor der Neuanlage
„Rigolen“, führte zu einer starken Überprägung der            ­„rigolt“, so nennt man die Bodenvorbereitung durch
natürlichen Böden. Daneben haben erosive Boden-                tiefes Umgraben. Weinberge wurden und werden
verluste, aber auch Abgrabungen und Rutschungen                z. T. bereits seit dem 8. Jahrhundert im Abstand
die Böden verkürzt oder gar zerstört. Andererseits             mehrerer Jahrzehnte vor jeder Neubestockung tief-
wurden und werden im Rahmen der Neuanlage                      gründig rigolt, d. h. zwischen 40 cm und 100 cm tief
bzw. Wiederbestockung Fremdmaterialien in erheb-               umgegraben oder gepflügt.
lichen Mengen auf oder in die Weinbergsböden ein-
gebracht. Dies geschieht z. B. um Abtragungsverluste          Durch das Rigolen wird in die natürliche Boden­
auszugleichen, die Erosionsanfälligkeit herabzuset-           bildung eingegriffen und die ursprüngliche Schich-
zen oder um bearbeitungstechnische Verbesserun-               tung und Horizontierung verändert, indem das
gen zu erreichen. Massive Eingriffe können auch               umgegrabene Bodenmaterial homogenisiert wird.
durch die Maßnahmen der Flurbereinigung eingelei-             Dadurch entsteht ein einheitlicher, durch die Hu-
tet worden sein, die nicht selten zur großflächigen           musverteilung dunkel gefärbter, für die Rebe gut
Umgestaltung der Weinbaulandschaft und ihrer Bö-              durch­w urzelbarer Bodenhorizont. Vor allem auf
den geführt haben.                                            grobbodenreichen Standorten oder bei schweren,
                                                              tonhaltigen Böden kann dadurch die Wasser- und
                                                              Nährstoffversorgung für die Reben verbessert wer-
                                                              den. Abbildung 17 zeigt einen typischen Rigosol,

                                                                                                                       15
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

                                                                    dessen Eigenschaften und Merkmale ganz wesent-
                                                                    lich noch durch die Beimischung des in 55 cm unter
                                                                    Flur anstehenden unverwitterten Lockergesteins be-
                                                                    stimmt werden.

                                                                    Bereits den Römern waren die Effekte des Rigolens
                                                                    bekannt. In karolingischer Zeit (8.–9. Jahrhundert),
                                                                    als man die Mehrzahl der deutschen Reblagen erst-
                                                                    mals mit Reben bepflanzte, wurde über 100 cm tief
                                                                    „gerodet“. Gründe für das Rigolen finden sich sehr
                                                                    drastisch beschrieben im Weinbaulehrbuch des
                                                                    Cannstatter Feldmessers Johann Michael Sommer
                                                                    aus dem Jahr 1791. Dieser erklärte den schlechten
                                                                    Wuchs abgängiger Rebflächen dadurch, dass „die
                                                                    Schuld bloß daran liege dass der Weinberg nicht tief
                                                                    genug umgeritten worden, dass also die zarten Wur-
                                                                    zeln, wie es doch die Vernunft hätte lehren sollen,
                                                                    in einem so starken Boden nicht tief genug einge-
                                                                    schlagen worden, wodurch sie bey kaltem Wetter
                                                                    erfrohren, und bey dürrem Sommer verdorret sind“
                                                                    (Sommer 1791).

Abb. 17: Rigosol mit verändertem Oberboden durch Tiefum-
bruch (Rigosol mit grobbodenreichem aufgefülltem Bodenma-
terial bis 1 m unter Flur über tertiärem Meeressand).

Abb. 18: Rigolpflug im Einsatz.                                     Abb. 19: Spatenmaschine. © Bernd Ziegler

16
Die Weinbergsböden von Hessen

Aus dem 17. Jahrhundert sind Rigolarbeiten überlie-          im Mittelrheintal und an der Bergstraße betroffen
fert, bei denen bis zu 3 m tiefe Rigolgräben ausgeho-        (Emde 2005).
ben wurden. Rigolen war harte Arbeit. Quer zum
Hang wurde zunächst ein Rigolgraben ausgehoben               Neben dem Bodenverlust durch das abspülende
und der Aushub mit der Erdenbutte nach oben ge-              Oberflächenwasser ist auch immer wieder Massen-
schafft. Anschließend wurde die hang­aufwärtige              versatz zu beklagen, wenn Bergstürze, Rutschun-
Grabenwand unterhöhlt, so dass die Erde kopfüber             gen oder murenartiges Bodenfließen die Weinberge
in den Graben stürzte. Dieser Vorgang des Grabens            zerstören. Während bei der Bodenerosion fast aus­
und Unterminierens wurde so lange wiederholt, bis            schließlich Bestandteile des humosen Feinbodens
man am oberen Teil der Rigolfläche angekommen                abgespült werden, erfasst der Massenversatz den
war und man den letzten halb gefüllten Rigolgraben           ganzen Bodenkörper samt Reben und alle Korngrö-
mit dem zu Beginn gewonnenen Mate­rial einebnen              ßen bis zum groben Gesteinsschutt.
konnte.
                                                             Großen Einfluss auf das Ausmaß des Bodenabtrags
Hat man traditionell den Boden noch bis vor weni-            haben die Art der Bodennutzung und die Techniken
gen Jahrzehnten fast ausschließlich mühevoll von             der Bewirtschaftung. So zeigen Weinberge mit Gras­
Hand umgesetzt, nutzt man heute überwiegend                  einsaat in den Rebenzeilen auch bei stärkerer Hang-
­R igolpflüge mit einer Arbeitstiefe zwischen 40 und         neigung keine Erosionsschäden. Dagegen führen
 80 cm (Abb. 18) oder Spatenmaschinen (Abb. 19), die         schon geringere Niederschlagsmengen und -intensi-
 diesen Arbeitsprozess ganz wesentlich erleichtern.          täten auf intensiv bewirtschafteten, offen gehaltenen
 Nicht zuletzt deswegen hat sich die Nutzungsdauer           Weinbergsarealen zu erheblichem Oberflächenab-
 eines Wingerts heute auf 20 bis 40 Jahre verkürzt.          fluss und Bodenerosion. Durch die heute übliche ma-
                                                             schinelle Bodenbearbeitung entstehen Fahrspuren
                                                             mit typischer Bodenverdichtung und Pflugsohlen,
3.5.2 Bodenerosion                                           die das Versickern der Niederschläge behindern und
Aufgrund der ökologischen Ansprüche der Reben be-            den Oberflächenabfluss konzentrieren und lenken.
vorzugt der Weinbau Hang- und Steillagen. Die ver-
breitete Ausrichtung der Rebzeilen in Gefällerichtung,
die entsprechend angepasste Anlage der Weinbaupar-
zellen und des Wegenetzes und die erosionsfördern-
de Wirkung der Bodenbearbeitung durch Fräsen und
Grubbern in offen gehaltenen Zeilen führen in der
Sonderkultur Wein sehr viel häufiger zu Abschwem-
mungen als im Ackerbau. Der ero­sive Verlust an Bo-
denmaterial mit z. T. verheerenden Folgen ist ein tra-
ditionelles Thema im Weinbau.

Wenn in hängigem Gelände die Niederschlagsin-
tensität oder das Schmelzwasser die Infiltrationsrate
des Bodens übersteigen, fließt das Wasser oberfläch-
lich ab und nimmt dabei Bodenpartikel auf. Außer
den extremen Starkregen können auch die zahl-
reichen kleinen und mittleren Erosionsereignisse
über die Jahre hinweg in der Summe ähnlich große
­Bodenverluste verursachen. Neben dem Einfluss der
 Neigung spielen die Hanglänge und vor allem die
 Bodenart eine gewichtige Rolle. Besonders abtrags-
 gefährdet sind die leicht abschwemmbaren B    ­ öden
 aus Löss (Abb. 20). Daher sind auf diesem Ausgangs-
 substrat kaum noch natürliche Böden erhalten. Von
 der Erosion sind in besonderem Maße die Steillagen          Abb. 20: Abgeschwemmtes Oberbodenmaterial auf Löss­flächen.

                                                                                                                      17
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

Der Verlust von Bodenmaterial durch Abschwem-                   in tiefere Schichten eingemischt werden bzw. durch
mung kann erhebliche Ausmaße erreichen und zu                   Bodenbeaufschlagungen dort enthalten sein.
einer spürbaren Minderung der Nutzungsfähigkeit
der Böden führen. Die Winzerinnen und Winzer                    Bezüglich Pflanzenschutzmitteln ist an erster Stelle
versuchen deshalb häufig, Schäden durch Rück-                   Kupfersulfat zu nennen (früher als Kupfervitriol be-
führung des Mate­rials auszugleichen. Meist geht                zeichnet), das bereits seit 1885 erfolgreich als Fun-
der humose, nährstoffreiche Feinboden aber ver-                 gizid zur Bekämpfung des falschen Mehltaus (Plas-
loren und muss durch ortsfremdes Material ersetzt               mopara viticola) eingesetzt wird. Der französische
werden. Die ursprünglichen Standortbedingungen                  Botaniker Pierre-Marie Alexis Millardet entwickelte
können so im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhun-                  damals die sogenannte „Bordeauxbrühe“ aus Kupfer-
derte immer stärker verändert werden. Es finden                 sulfat und gebranntem Kalk (Abb. 21). In den ersten
sich daher Böden, die bis zu mehreren Metern mit                Jahrzehnten der Anwendung wurden sehr hohe Kup-
anderem Bodenmaterial überdeckt wurden. Aber                    fermengen verwendet, in Deutschland durchschnitt-
auch als Vorsorgemaß­nahme können ortsfremde Ge-                lich 20–30 kg/ha, teilweise sogar 80 kg/ha im Jahr
steine und Böden sowie anthropogene Substrate wie               und mehr (Kühne et al. 2009). Seitdem hoch wirk-
Schlacken, Schutt, Trester oder Kompost aufgetragen             same chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel
werden, um den Oberboden ­gegen Erosion zu sta-                 zur Verfügung stehen, gingen die Anwendungs-
bilisieren. Damit ist leider auch ein unkontrollierter          mengen kupferhaltiger Pflanzenschutzmittel in den
Eintrag unerwünschter Stoffe verbunden.                         letzten Jahrzehnten stark zurück. In Deutschland ist
                                                                heute nur noch eine maximale Ausbringungsmenge
Um die Standortcharakteristik, das Terroir, und da-             von 3 kg Reinkupfer pro Hektar und Jahr erlaubt, in
mit die Qualität der Weinbergsböden langfristig zu              bestimmten Ausnahmefällen (z. B. bei Schwarzfäu-
erhalten, ist daher darauf zu achten, lokal typische            le) 4 kg pro Hektar und Jahr (Regierungspräsidium
Substrate für den Fremdmaterialauftrag zu verwen-               Darmstadt 2020). Allerdings kann auf kupferhaltige
den. Das Bodenmaterial sollte schonend, also nicht              Pflanzenschutzmittel bisher nicht vollständig ver-
zu tiefgründig eingearbeitet werden, um besonders               zichtet werden. Vor allem im ökologischen Weinbau
den standorttypischen Unterboden in seiner natürli-             gibt es keine Alternativen zur Bekämpfung von Pilz-
chen Ausprägung zu belassen.                                    und Bakterienkrankheiten. Und auch bei konven­
                                                                tio­neller Bewirtschaftung werden Kupferpräparate
                                                                in geringen Mengen weiterhin eingesetzt, beispiels-
3.5.3 Stofflicher Bodenzustand                                  weise um durch einen Wirkstoffwechsel Resistenzen
Böden mit einer langjährigen weinbaulichen Nut-                 vorzubeugen. Aktuell gilt die Zulassung von Kupfer
zung waren bereits historisch diversen Stoffeinträgen           als Pflanzenschutzmittel in den EU-Staaten bis Ende
ausgesetzt und sind es auch heute noch. Neben der               2025.
Einbringung von standortfremden Substraten wird
oft organisches Material zugeführt, beispielsweise
weinbau- und kellerwirtschaftliche Rückstände wie
Trester und andere Gärreste, organisches Mulchma-
terial, Komposte oder Aschen, um die Humusversor-
gung zu gewährleisten und die Bodenfruchtbarkeit
zu erhalten. Auch mineralische Düngemittel werden
zu diesem Zweck eingebracht. Weiterhin geht der
Weinbau mit einem intensiven Einsatz von Pflanzen-
schutzmitteln einher, um Schädlinge oder Pflanzen-
krankheiten zu bekämpfen. Die vielfältigen Eintrags-
quellen führen dazu, dass in Weinbergsböden häufig
erhöhte Gehalte an anorganischen und organischen
Spurenstoffen zu finden sind, wobei die heute mess-
baren Gehalte oft auf Einträge aus der Vergangenheit
zurückgeführt werden können. Durch das Rigolen                  Abb. 21: Kupferhaltiges Pflanzenschutzmittel auf einem
können dabei auch oberflächlich eingetragene Stoffe             Weinblatt

18
Die Weinbergsböden von Hessen

Kupfer ist ein Schwermetall, welches im Boden nicht         dere aufgrund von Vergiftungserscheinungen bei
abgebaut wird, sondern sich infolge langjähriger An-        Winzern („Kaiserstuhl-Krankheit“) wurde ihre An-
wendung kupferhaltiger Pflanzenschutzmittel anrei-          wendung im Weinbau aber bereits 1942 gesetzlich
chern kann. Es kann schädigend auf viele Arten von          verboten. Eine weitere mögliche Eintragsquelle, bei-
Bodenorganismen wirken, insbesondere auf Regen-             spielsweise für Blei und Cadmium, ist die Verwen-
würmer. Aufgrund artspezifisch differierender Emp-          dung von Müllkomposten und Klärschlämmen, die
findlichkeiten gegenüber Kupfer kann es zu einer            verstärkt nach 1945 als kostengünstige Alternative
Veränderung der Artenzusammensetzung und einer              zur Humusversorgung sowie zum Schutz vor Ero­
Abnahme der Biodiversität kommen (UBA 2009). Bei            sion in Steillagen eingesetzt wurden (Mohr 1985).
Untersuchungen in den deutschen Qualitätsweinan-
baugebieten wurde festgestellt, dass die Kupferbelas-       Neben erhöhten Gehalten anorganischer Spurenstof-
tungen der verschiedenen Anbaugebiete und Lagen             fe sind in Böden unter langjähriger weinbaulicher
sich erheblich unterscheiden und in erster Linie von        Nutzung örtlich auch einige organische Schadstof-
der Bewirtschaftungsdauer in Verbindung mit den             fe mit erhöhten Gehalten zu messen. Besonders die
hohen Aufwandsmengen früherer Jahre abhängen                Gehalte des jahrzehntelang weltweit am häufigsten
(Strumpf et al. 2011). Das konnte auch bei Untersu-         eingesetzten Insektizids DDT (Dichlor-Diphenyl-Tri­
chungen repräsentativer Standorte der hessischen            chlorethan) sind in Weinbergsböden durchschnitt-
Weinbauregionen bestätigt werden: Insgesamt streu-          lich deutlich höher als in Böden unter Ackernutzung
en die gemessenen Kupfer-Gehalte je nach Örtlich-           (Abb. 23). ­
keit in einem weiten Bereich. Im Mittel zeigen die
untersuchten Oberböden im Rheingau aber höhere
Kupfergehalte im Vergleich zur hessischen Bergstra-         [cm]
                                                               0
ße. Das kann vermutlich damit erklärt werden, dass
im Gebiet der Hessischen Bergstraße die Rebflächen
erst seit 40–60 Jahren bestockt sind (Strumpf et al.         10
2011).
                                                             20
Abbildung 22 zeigt beispielhaft die Tiefenverteilung                                                         eR-Ap
der Kupfer-Gehalte im Boden eines beprobten Profils
im Rheingau: Die maximalen Gehalte mit mehr als              30
150 mg/kg TM sind in den oberen 10 cm anzutref-
fen; erhöhte Gehalte oberhalb des Vorsorgewertes             40
der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung
(BBodSchV) sind aber auch im Rigolhorizont bis in
eine Tiefe von 60 cm messbar.                                50
                                                                                                                 II R
Abgesehen von Kupfer gibt es noch weitere Schwer-            60
metalle, für die in Weinbergsböden oft erhöhte Ge-
halte gemessen werden können. So wurden in den
                                                             70
untersuchten hessischen Böden z. B. punktuell ho-
he Zinkgehalte analysiert. Mögliche Eintragsquelle
für diese Belastungen sind vor allem die verzinkten          80
Spalierpfähle und Verdrahtungen, die inzwischen                                                               II ilCv
regelhaft die ehemals verwendeten Holzpfähle ablö-           90
sen (Müller 2003). Auch Quecksilbergehalte sind an                 0      50        100       150        200 [mg/kg TM]
einigen Standorten erhöht. Hauenstein & Bor (2015)
                                                                                 Kupfer
benennen ehemals verwendete quecksilberhaltige
Fungizide und mit Quecksilberchlorid imprägnierte          Abb. 22: Untersuchtes Bodenprofil im Rheingau mit Angabe
Holzpfähle als potenzielle Eintragsquellen in Wein-        der Horizontierung und den in den entsprechenden Entnahme­
                                                           tiefen gemessenen Kupfer-Gehalten (Königswasser-Ex­  t rakt).
bergsböden. Einige Jahre wurden im Weinbau auch            Gestrichelte Linie gibt die Höhe des Vorsorgewertes der
arsenhaltige Insektizide verwendet, in erster Linie        ­BBodSchV für Ton wieder.
zur Bekämpfung des Traubenwicklers. Insbeson-

                                                                                                                        19
Peter Böhm, Klaus Friedrich, Katrin Lügger & Karl-Josef Sabel

 DDT und seine Abbauprodukte sind sehr langlebig                                  Hintergrundwerte
 und können sich in der Nahrungskette anreichern.                                 Im Rahmen von Boden-Untersuchungen und Be-
 Diese Eigenschaften führten bereits 1972 zu einem                                probungen repräsentativer Standorte der hessischen
 Anwendungsverbot in der damaligen Bundesrepu­                                    Weinbauregionen konnten weinbauspezifische Hin-
 blik Deutschland. Aufgrund der hohen Beständigkeit                               tergrundwerte für Hessen abgeleitet werden. Als
 sind DDT oder seine Abbauprodukte aber vor al-                                   Hintergrundwerte werden repräsentative, statistisch
 lem auf Standorten mit ehemals intensiver Anwen-                                 abgeleitete Werte für allgemein verbreitete Hinter-
 dung auch heute noch in den Böden nachweisbar.                                   grundgehalte eines Stoffes oder einer Stoffgruppe
 Im Normalfall verbleibt DDT vor allem im humosen                                 in Böden bezeichnet (LABO 2017). Der spezifische
 Oberboden, da es stark an der organischen Substanz                               Hintergrundgehalt resultiert dabei aus dem geo-
 gebunden wird und sich deshalb kaum verlagert.                                   genen Grundgehalt eines Bodens und den diffu-
 Durch das Rigolen, Bodenbeaufschlagungen oder                                    sen Einträgen in den Boden. Diffus sind Einträge,
 Bodenverlagerungen durch Bodenerosion ist es aller-                              die großräumig und über längere Zeiträume erfolgt
 dings in Weinbergsböden manchmal auch in Unter-                                  sind. Da für Böden unter langjähriger weinbaulicher
 böden zu finden, wie das Beispiel in Abbildung 24                                Nutzung die erläuterten nutzungsspezifischen Ein-
 zeigt. An diesem Standort sind in dem mächtigen                                  träge zu erwarten sind, können nach LABO (2017)
 Rigolhorizont „eR“ die höchsten DDT-Gehalte mit                                  neben den Hauptnutzungsarten Acker, Grünland
 über 0,5 mg/kg TM in einer Tiefe von 10–30 cm an-                                und Wald auch regionale Hintergrundwerte für die
 zutreffen; aber auch in der darunterliegenden Probe                              Nutzung Weinbau abgeleitet werden. Dabei zeigt die
 von 30–60 cm sind noch DDT-Gehalte von knapp                                     Belastungsstruktur von Weinbergsböden zwar ein
 0,2 mg/kg TM messbar.                                                            charakteristisches Spektrum mit erhöhten Gehal-

                        n = 22        24       38        80         38            [cm]
                 0,4
                                                                                     0
                                                                                                                                   Ah

                                                                                    10

                 0,3

                                                                                    20
DDT [mg/kg TM]

                                                                                    30
                 0,2
                                                                                                                                   eR

                                                                                    40

                 0,1
                                                                                    50

                                                                                    60
                                                                                         0,0   0,1   0,2   0,3   0,4   0,5   0,6
                  0
                                                                                                     DDT [mg/kg TM]
                            ge

                                         en

                                                      en

                                                      en

                                                      en
                       Au ld

                                   erb d

                                                erb r

                                                erb d

                                                erb u
                                              Ob Acke
                                 Ob Wal

                                              Ob nlan

                                              Ob inba
                         Wa
                         fla

                                                                                                                                   II ilCcv
                                      od

                                                   od

                                                   od

                                                   od
                                               Grü

                                               We

 Abb. 23: Box-Whisker-Plot der DDT-Gehalte (DDT = Summe                           Abb. 24: Untersuchtes Bodenprofil im Rheingau mit Angabe
 aus 6 Isomeren) in hessischen Oberböden verschiedener Nut-                       der Horizontierung und den in den entsprechenden Entnah-
 zungen sowie der Humusauflage unter Wald.                                        metiefen gemessenen DDT-Gehalten (Summe aus 6 Isomeren).

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Die Weinbergsböden von Hessen

Tab. 2: Substratübergreifende Hintergrundwerte anorganischer Spurenstoffe in Oberböden unter weinbaulicher Nutzung in Hessen
(HLUG 2011) und Vorsorgewerte der BBodSchV für die Bodenart Lehm/Schluff. Angegeben werden die Gehalte im Königswasser-­
Extrakt.

                                 As             Cd        Cr          Cu             Hg          Ni            Pb           Sb         V            Zn
                                                                                     [mg/kg TM]
    Anzahl                       31             33        34           36            16          36            35           22        24            36
    50. Perzentil                10         0,18          34           58           0,10         23            35          0,94       46            115
    90. Perzentil                39         0,30          58           98           0,20         43            92          2,68       98            195
    Vorsorgewerte                             1                                                   50            70                                  150
                                 20                       60           40            0,3                                        -       -
    Lehm/Schluff                            (0,4)                                                (15)          (40)                                 (60)
Kursiv               = geringerer Stichprobenumfang von 10 ≤ n < 20; diese Werte haben nur einen orientierenden Charakter und eignen sich nicht zur Abgren-
                       zung des Hintergrundwertebereichs.
Fettdruck            = Hintergrundwerte, die die Vorsorgewerte für die Bodenart Lehm/Schluff überschreiten.
Werte in Klammern = gelten bei einem pH-Wert von < 6 (für Pb < 5).

ten bestimmter Stoffe und Stoffgruppen, allerdings                                  In Tabelle 3 werden die berechneten Hintergrund-
können einzelne Flächen, je nach Dauer und Art der                                  werte organischer Spurenstoffe in hessischen Ober-
Bewirtschaftung und der in diesem Zusammenhang                                      böden unter weinbaulicher Nutzung dargestellt
durchgeführten Maßnahmen, sehr heterogen belas-                                     ­(HLNUG 2017). Die in der BBodSchV für organische
tet sein. Potenziell können also auch benachbarte                                    Stoffe enthaltenen Vorsorgewerte werden von diesen
Flächen sehr unterschiedliche Spurenstoff-Gehalte                                    nicht erreicht. Allerdings liegen neben den bereits
aufweisen. Selbst auf dem gleichen Flurstück kann                                    erwähnten deutlich erhöhten Hintergrundwerten
die Schadstoffverteilung sehr inhomogen sein.                                        für DDT (Abb. 23) auch die Hintergrundwerte für
                                                                                     Benzo(a)pyren, Polyzyklische Aromatische Kohlen-
In Tabelle 2 werden die für Hessen berechneten sub-                                  wasserstoffe (PAK), Polychlorierte Biphenyle (PCB),
stratübergreifenden Hintergrundwerte anorganischer                                   dioxinähnliche PCB (dl-PCB) sowie Polychlorierte
Spurenstoffe in Oberböden unter weinbaulicher Nut-                                   Dibenzodioxine und -furane (PCDD/F) oberhalb der
zung wiedergegeben (HLUG 2011). Erhöhte Gehalte                                      hessischen Hintergrundwerte für ackerbauliche Nut-
sind erwartungsgemäß vor allem für Kupfer festzu-                                    zung (HLNUG 2017).
stellen, ein überwiegender Anteil der untersuch-
ten Standorte überschreitet die Vorsorgewerte der                                   Insgesamt ist die Spannweite der Spurenstoff-Ge-
­BBod­SchV. Auch für Blei und Zink liegen die berech-                               halte in hessischen Weinbergsböden groß, zum Teil
 neten 90. Perzentile oberhalb der Vorsorgewerte.                                   sind erhöhte Belastungen festzustellen. Dabei liegen

Tab. 3: Hintergrundwerte organischer Spurenstoffe in Oberböden unter weinbaulicher Nutzung in Hessen (HLNUG 2017) und Vor­
sorge­werte (BBodSchV).

                             B(a)P        PAK16          DDX          γ-HCH             HCB           PCB6           PCDD/F        dl-PCB
                                                                                                                    WHO-TEq 1 WHO-TEq 1
                                                            [µg/kg TM]                                                  [ng TEq/kg TM]
    Anzahl                     39               39         39             39               36           36                 38                 36
    50. Perzentil              31           318           35,5         < BG 2          < BG 2       < BG 2                 1,3               0,33
    90. Perzentil             122          1277          231,9         < BG 2          < BG 2           3,4                3,2               0,78
    Vorsorgewerte 3           300          3 000             -              -              -            50 4                -                   -
1                                                                               3
    Toxizitätsäquivalent WHO-TEq 2005, exklusive Bestimmungsgrenze (lower           Vorsorgewerte bei TOC-Gehalten ≤ 4 %
    bound)                                                                      4
                                                                                    Vorsorgewert bezieht sich abweichend auf die Summe aus PCB6 und PCB-118
2
    unterhalb der Bestimmungsgrenze (1 µg/kg)

                                                                                                                                                           21
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