DIE WHISTLEBLOWER-RICHTLINIE - AUSWIRKUNGEN UND MÖGLICHE UMSETZUNG - JKU ePUB
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Eingereicht von Sabrina Siebenhandl Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler Jänner 2021 DIE WHISTLEBLOWER- RICHTLINIE AUSWIRKUNGEN UND MÖGLICHE UMSETZUNG Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Montpellier, 13.01.2021 Sabrina Siebenhandl 13. Jänner 2021 2/39
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ......................................................................................................5 A. Begriff Whistleblowing............................................................................5 B. Geschichte Whistleblowing ....................................................................6 II. Hintergrund für das Tätigwerden der EU-Kommission .................................8 III. Die Whistleblower Richtlinie .........................................................................9 A. Ziel und Inhalt der Richtlinie...................................................................9 B. Anwendungsbereich der Richtlinie ....................................................... 10 1. Sachlicher Anwendungsbereich .................................................... 10 2. Persönlicher Anwendungsbereich................................................. 11 C. Voraussetzungen für den Schutz der Hinweisgeber ............................ 12 D. Dreigliedriges Meldesystem – Verpflichtung zur Einrichtung interner und externer Meldekanäle ................................................................... 13 1. Interne und externe Meldungen .................................................... 13 a) Interne Meldekanäle .............................................................. 14 b) Externe Meldekanäle ............................................................. 16 2. Offenlegung .................................................................................. 18 E. Schutzregelungen ................................................................................ 18 1. Für Hinweisgeber .......................................................................... 19 a) Schutz vor Repressalien ........................................................ 20 b) Schutz vor Haftung ................................................................ 21 2. Für betroffene Personen ............................................................... 22 3. Sanktionen .................................................................................... 22 F. Schlussbestimmungen ......................................................................... 23 G. Kritikpunkte .......................................................................................... 23 IV. Überblick über die bisherige Rechtslage in Österreich ............................... 24 A. Fall Heinisch gegen Deutschland ........................................................ 24 B. Bestehende Hinweisgebersysteme ...................................................... 26 1. Hinweisgebersystem der BAK....................................................... 26 2. Hinweisgebersystem der WKStA .................................................. 27 3. Hinweisgebersystem der FMA ...................................................... 27 13. Jänner 2021 3/39
V. Mögliche Umsetzung der Richtlinie in Österreich ....................................... 28 A. Arbeitsrechtliche Aspekte .................................................................... 29 1. Unternehmen mit Betriebsrat ........................................................ 29 2. Unternehmen ohne Betriebsrat ..................................................... 31 3. Folgen unterlassener Betriebs- oder Einzelvereinbarungen ......... 31 4. Ausblick ........................................................................................ 31 B. Verhältnis zur DSGVO ......................................................................... 32 1. Spannungsfeld WBRL – Art 14 DSGVO ....................................... 33 2. Spannungsfeld WBRL – Art 15 DSGVO ....................................... 34 VI. Fazit ............................................................................................................ 36 VII. Literaturverzeichnis .................................................................................... 37 13. Jänner 2021 4/39
I. Einleitung Die vorliegende Diplomarbeit soll neben der Veranschaulichung der begrifflichen Herkunft und der Geschichte von Whistleblowing im Allgemeinen die neue EU- Richtlinie „Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“1 im Folgenden „Whistleblower-Richtlinie“ genannt, umfassend erläutern und anschließend einen Überblick über Auswirkungen auf das österreichische Rechtssystem sowie Umsetzungsmöglichkeiten geben. A. Begriff Whistleblowing Der aus den USA kommende Begriff „Whistleblowing“ stammt von der Redewendung „to blow the whistle“.2 Die wortwörtliche Übersetzung „die Pfeife blasen“ wird wie beim Fußball als Symbol für das unparteiische Eingreifen zur Anweisung der Einhaltung von Rechtsvorschriften gesehen und wird in der Gesellschaft positiv assoziiert.3 Sinngemäß wird der Begriff jedoch mit „jemanden verpfeifen“ übersetzt. Aufgrund der negativen Assoziation des Begriffes mit dem Wort „Verpfeifen“ wird im deutschen Sprachraum eher die Bezeichnung „Hinweisgeber“ verwendet.4 Ein Hinweisgeber hat im Zweifel aufklärende oder alarmierende Funktion und zieht selbst keine Vorteile aus der Informationsgebung. In der Whistleblower-Richtlinie findet der Begriff „Whistleblower“ auch in der englischen Fassung nur in den Erwägungsgründen Einzug, ansonsten wird von „reporting persons“ gesprochen.5 Der Begriff des Whistleblowings kann nach verschiedenen Arten differenziert werden. Die wohl wichtigste Unterscheidung ist bezüglich des Adressaten der Meldung. Hierbei wird zwischen internem und externem Whistleblowing unterschieden. Wird die Meldung innerhalb der eigenen Organisation 1 Richtlinie 2019/1937/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABl 2019 L 305, 17. Kurz: WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, 17. 2 Vgl Pollirer, Checkliste Whistleblowing, Dako 2020/23, 38. 3 Vgl Wiedmann/Seyfert, Richtlinienentwurf der EU-Kommission zum Whistleblowing, CCZ 2019/12, 13. 4 Vgl Pollirer, Dako 2020/23, 38. 5 Vgl Wiedmann/Seyfert, CCZ 2019/12, 13. 13. Jänner 2021 5/39
eingebracht, ohne die Kontrollsphäre dieser zu verlassen, spricht man von internem Whistleblowing. Hierzu wendet sich der Whistleblower entweder an ein abhilfefähiges Organ oder eigens eingerichtete Meldestellen wie eine Compliance-Abteilung. Um externes Whistleblowing handelt es sich, wenn die Meldung die eigene Organisation verlässt und sich der Hinweisgeber an Dritte wendet, beispielsweise an Strafverfolgungsbehörden. Differenziert wird hinsichtlich der Modalität, ob der Hinweisgeber seine Identität offenlegt – offenes Whistleblowing oder, ob diese vom Meldeadressaten gegenüber Dritten geschützt werden soll – vertrauliches Whistleblowing, oder ob er seine Identität zur Gänze geheim hält – anonymes Whistleblowing. Die Unterscheidung bezüglich der Regelungsinstrumente erfolgt in passiven Whistleblower-Schutz und aktiven-Whistleblower Förderung. Ein passiver Schutz wird meist durch entsprechende Maßnahmen im Arbeitsrecht zur Abwehr nachteiliger Folgen oder Repressalien, ua durch Kündigungsschutz und Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung, erreicht. Bei einer aktiven Whistleblower-Förderung sollen hingegen die Rahmenbedingungen bezüglich der Meldeentscheidung verbessert sowie die Whistleblower zur Meldung durch positive oder negative Anreize animiert werden.6 B. Geschichte Whistleblowing Die ersten Whistleblowing-Regelungen erließ 1863 der US-Präsident Lincoln im „US False Claims Act“. Die Regelung sah vor, dass Privatpersonen, die im Auftrag des Staates Klagen einbrachten, sogenannten „Whistleblower-Klagen“, einen Anspruch auf einen Anteil des Schadenersatzes hatten. Whistleblowing ist daher schon seit langer Zeit fest in der Gesellschaft implementiert und wird in den USA heute als bewährtes Mittel zur Korruptionsbekämpfung sowie zur Aufdeckung von Missständen im öffentlichen Bereich gezählt.7 Im Jahr 2001 erfuhr der Begriff Whistleblowing internationale Berühmtheit. Aufgrund von Bilanzfälschungen des Energiekonzerns ENRON fand der größte Unternehmensskandal in der amerikanischen Geschichte statt, welcher Auslöser 6 Vgl Gerdemann, Transatlantic Whistleblowing. Rechtliche Entwicklung, Funktionsweise und Status quo des Whistleblowings in den USA und seine Bedeutung für Deutschland1 (2018), Rz 5. 7 Vgl Fritz, 10 Trends ändern die Aufsichtsratswelt (Teil VII) Nr 10: Whistleblowing, Aufsichtsrataktuell 2016/1, 27. 13. Jänner 2021 6/39
für eine Energiekrise im Bundesstaat Kalifornien war, einen Börsenwert von 60 Mrd US-Dollar vernichtete und schlussendlich mit der Insolvenz des Konzerns sein Ende fand.8 Ähnliche unredliche Geschäftspraktiken wurden auch beim Konzern WorldCom angewandt. In beiden Fällen versuchte jeweils eine Mitarbeiterin die Missstände aufzudecken, jedoch ohne Erfolg.9 Um derartige Skandale zu verhindern wurde daraufhin im Jahr 2002 vom US-Kongress der Sarbanes-Oxley-Act (SOX)10 beschlossen.11 Alle US-notierten Unternehmen sowie deren Wirtschaftsprüfer müssen Unregelmäßigkeiten in Finanzangelegenheiten bei entsprechenden Whistleblowing-Hotlines anzeigen. Da die SOX-Bestimmungen für alle an der US-Börse notierten Unternehmen gelten und sie exterritoriale Wirkung besitzen, sind sie auch für an der amerikanischen Börse notierte europäische Unternehmen anzuwenden und verpflichtet diese gleichfalls zur Einhaltung der Regelungen.12 Whistleblower erhalten seit 2010 durch den Erlass des „Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act“13 zudem auch einen Anteil der Schadenssumme bei Einreichen von neuen Hinweisen und Informationen zu Verstößen gegen das amerikanische Wertpapiergesetz.14 Der ehemalige Mitarbeiter des US-Geheimdienstes Edward Snowden gab 2013 dem Begriff Whistleblower ein Gesicht. Er veröffentlichte anonym Geheimdokumente aus einem Überwachungsprogramm der National Security Agency (NSA) und erfuhr durch den dadurch ausgelösten Datenschutzskandal große Bekanntheit. Seine Identität gab er später selbst preis, da er sich aufgrund seiner Berühmtheit besseren Schutz vor Strafverfolgung erhoffte.15 Snowden floh daraufhin und landete in Russland, wo er Asyl bekam und seither lebt.16 Ihm 8 Vgl Pollirer, Dako 2020/23, 38. 9 Vgl Fritz, Aufsichtsrataktuell 2016/1, 27. 10 www.congress.gov/bill/107th-congress/house-bill/3763/text/enr 11 Vgl Fidler/Winner in Kalss/Oppitz/U. Torggler/Winner, BörseG/MAR § 124 BörseG. Jahresfinanzbericht (2019), Rz 41. 12 Vgl Pollirer, Dako 2020/23, 38. 13 www.congress.gov/bill/111th-congress/house-bill/4173 14 Vgl Fritz, Aufsichtsrataktuell 2016/1, 27. 15 Vgl Ehrbar, Whistleblowing - das Hinweisgebersystem im österreichischen Recht 16.10.2015, NetV 2016/1, 20. 16 Vgl Röhlig/Reuters in Der Spiegel, US-Whistleblower: Snowden erhält unbefristeten Aufenthalt in Russland (Stand 22. 10. 2020, https://www.spiegel.de/politik/ausland/edward- snowden-erhaelt-unbefristete-aufenthaltserlaubnis-in-russland-a-520a565a-201e-4b7f-94f2- 37a4345c5f04). 13. Jänner 2021 7/39
wurde für seine Enthüllung 2014 der „Right Livelihood Award“17 aufgrund „seines Mutes und seiner Kompetenz“ in Schweden verliehen, welchen er aufgrund einer drohenden Auslieferung an die USA jedoch nicht selbst entgegennehmen konnte.18 Auch jüngste Skandale wie LuxLeaks, Panama Papers und Cambridge Analytica wurden durch Hinweisgeber aufgedeckt, die im Sinne des öffentlichen Interesses gehandelt und dadurch oftmals nachteilige Folgen in Kauf genommen haben.19 II. Hintergrund für das Tätigwerden der EU-Kommission Das Europäische Parlament drängte 2017 die Europäische Kommission in zwei Entschließungen einen Richtlinienentwurf zum einheitlichen Schutze von Hinweisgebern zu erarbeiten. Das EU-Parlament sah eine einheitliche Regelung als geboten an, zumal ua im EU-Finanzmarktrecht in den letzten Jahren zunehmend Bestimmungen zum Schutz von Whistleblowern erlassen wurden. 20 Einer daraufhin von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie21 zufolge könnten durch einen umfangreichen Hinweisgeber-Schutz einzig im öffentlichen Auftragswesen auf EU-Ebene Ertragsausfälle von 5,8 bis 9,6 Mrd € pro Jahr verhindert werden.22 Derzeit bieten jedoch nur folgende zehn Mitgliedstaaten einen ausreichenden Schutz: Frankreich, Ungarn, Irland, Italien, Litauen, Malta, Niederlande, Slowakei, Schweden und Vereinigtes Königreich. Die restlichen Mitgliedstaaten haben nur teilweise Schutzvorkehrungen getroffen oder schützen nur bestimmte Gruppen.23 17 The Right Livelihood Foundation, Edward Snowden, https://www.rightlivelihoodaward.org/laureates/edward-snowden/ (abgefragt am 3. 1. 2021). 18 Vgl Teichmann/Falker, Die Förderung von Whistleblowing aus der Perspektive des Aufsichtsrats, Aufsichtsrataktuell 2019/6, 16. 19 Vgl European Commission, Factsheet - Häufig gestellte Fragen: Schutz von Hinweisgebern, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_18_3442 (Stand 23. 4. 2018). 20 Vgl Schmolke, Die neue Whistleblower-Richtlinie ist da! Und nun? Zur Umsetzung der EU- Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern in das deutsche Recht, NZG 2020/1, 5. 21Vgl European Commission. Directorate General for Internal Market, Industry, Entrepreneurship and SMEs./Milieu Ltd., Estimating the economic benefits of whistleblower protection in public procurement: final report (2017). 22 Vgl Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung 630/19, Mehr Schutz für Hinweisgeber: neue EU-Vorschriften ab 2021 (07.10.2019). 23 Vgl Peitsch, Whistleblowing-Hotlines spätestens 2021 verpflichtend. Bislang keine Pflicht zur Einrichtung von Whistleblowing-Hotlines, NetV 2020/2, 60. 13. Jänner 2021 8/39
Laut der Europäischen Kommission kann sich ein nicht hinreichender Schutz von Whistleblowern in einem Mitgliedstaat negativ auf andere Mitgliedstaaten als auch auf die gesamte Union auswirken. Zudem kann ein ungleicher Schutz auf EU-Ebene das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen und Hinweisgeber könnten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ihren Schutz verlieren.24 III. Die Whistleblower Richtlinie Am 23.04.2018 wurde der Vorschlag25 der Europäischen Kommission zur Regelung des Schutzes für Whistleblower veröffentlicht. Genau anderthalb Jahre später wurde nach langem Meinungskampf zwischen Rat und Parlament am 23.10.2019 die Richtlinie „Richtlinie (EU) 2019/1937 des europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“26 unterzeichnet.27 A. Ziel und Inhalt der Richtlinie Als Ziel der Richtlinie wird gem Art 1 eine Stärkung des Schutzes für Hinweisgeber, die Verstöße in bestimmten Bereichen melden, durch Etablierung von Mindeststandards angestrebt. Die Richtlinie regelt die Errichtung von Meldekanälen in Unternehmen und Verwaltungen und legt eine empfohlene Hierarchie von Meldungen fest. Ein breiter Anwendungsbereich als auch die Erfassung von zahlreichen Personengruppen sollen für einen umfangreichen Hinweisgeberschutz sorgen.28 Durch den umfassenden Schutz vor Repressalien und der Bereitstellung rechtlicher Beratung und Unterstützung sollen Hinweisgeber zur Meldungserstattung ermutigt werden, vorausgesetzt wird hierbei stets 24 Vgl European Commission, Factsheet - Häufig gestellte Fragen: Schutz von Hinweisgebern, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/MEMO_18_3442 (Stand 23. 4. 2018). 25 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, COM(2018) 218 final, 23.4.2018, online: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A52018PC0218 26 WBRL 2019/1937/EU, ABl 2019 L 305, 17 27 Vgl Schmolke, NZG 2020/1, 5. 28 Vgl Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung 630/19, Mehr Schutz für Hinweisgeber: neue EU-Vorschriften ab 2021. 13. Jänner 2021 9/39
Redlichkeit.29 Die Richtlinie beinhaltet Maßnahmen zum passiven Schutz als auch zur aktiven Förderung von Whistleblowern. B. Anwendungsbereich der Richtlinie 1. Sachlicher Anwendungsbereich Eine Vollharmonisierung der Problematik des Whistleblowings wurde nicht angestrebt, der Anwendungsbereich erstreckt sich in der enumerativen Aufzählung von Verstößen, welche in den Anwendungsbereich der im Anhang angeführten Rechtsakte der EU fallen und zugleich die in Art 2 Abs 1 erwähnten Rechtsgebiete betreffen, darunter ua das öffentliche Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Geldwäsche sowie Terrorismusfinanzierung, Umweltschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucher- und Datenschutz. Bereits bestehende sektorspezifische Regelungen bezüglich der Meldung von Verstößen in den Rechtsakten des Anhangs II gehen dieser Richtlinie gem Art 3 vor.30 Gem Art 5 Nr 1 wird der Begriff „Verstöße“ legaldefiniert. Umfasst sind davon rechtswidrige Handlungen und Unterlassungen gegen die in Art 2 aufgezählten Rechtsgebiete sowie Unternehmungen, die dem Ziel oder Zweck dieser unionsrechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Demnach wird der Begriff „Verstoß“ ausgedehnt und die Anwendung missbräuchlicher Praktiken iSd der EuGH-Rechtsprechung miteinbezogen.31 Ein rein „unethisches“ Verhalten wird nicht als Verstoß verstanden und bietet daher keinen Schutz nach dieser Richtlinie.32 Verstöße gegen Vorschriften der Körperschaftssteuer sowie Vereinbarungen, die auf einen Steuervorteil oder einer Umgehung rechtlicher Obliegenheiten bedacht sind und dem Ziel oder Zweck des Körperschaftssteuerrechts widersprechen, werden in Art 2 Abs 1 lit c angeführt. Das Körperschaftssteuerrecht wurde ohne jegliche Harmonisierung von Steuerangelegenheiten aufgrund möglicher 29 Vgl Menhofer, Ein Pfeifen im Walde? Aufsichtsrataktuell 2020/5, 1. 30 Vgl Schmolke, NZG 2020/1, 5. 31 Vgl Erwägungsgrund 42 WBRL. 32 Vgl Garden/Hiéramente, Die neue Whistleblowing-Richtlinie der EU – Handlungsbedarf für Unternehmen und Gesetzgeber, BB 2019/18, 963. 13. Jänner 2021 10/39
Beeinflussung des Funktionierens des Binnenmarktes durch derartige Handlungen miteinbezogen.33 Bezweckt wird die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen durch unlauteren Wettbewerb sowie Steuereinbußen durch deren Hinterziehung.34 Eine Ausdehnung des Schutzes auf weitere Rechtsgebiete und Rechtsakte bleibt auf nationaler Ebene den Mitgliedstaaten nach Abs 2 des Art 2 frei. Ausdrücklich aus dem Regelungsbereich ausgenommen ist gem Art 3 Abs 2 die nationale Sicherheit, welche die Mitgliedstaaten weiterhin eigenverantwortlich Regeln sollen.35 Zudem wird die Anwendung der Richtlinie laut Abs 3 und 4 ua für die ärztliche und anwaltliche Verschwiegenheitspflicht sowie für nationale Vorschriften über die Inanspruchnahme von Rechten der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertreter. 2. Persönlicher Anwendungsbereich Der personale Anwendungsbereich ist sehr weit ausgelegt, um möglichst viele Personengruppen zu erfassen und so den Schutzbedarf aller Personen, wenn sie auch nur im weiteren Sinne mit der Organisation in Beziehung stehen, zu decken.36 Umfasst sind gem Art 4 Abs 1 Hinweisgeber im privaten und öffentlichen Sektor, welche in ihrer beruflichen Tätigkeit entsprechende Hinweise auf Verstöße erlangt haben wie ua Arbeitnehmer, Beamte, Aktionäre und Aufsichtsorgane. Zudem werden auch Lieferanten und Berater, die oft einen direkten Zugang zu Informationen haben und aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit häufig Repressalien in Form von Kündigung von Dienstleistungsverträgen, Einschüchterung oder Boykott erfahren, geschützt.37 Aber auch Personengruppen, die nicht wirtschaftlich auf ihre Tätigkeit angewiesen sind wie bezahlte oder unbezahlte Praktikanten, sind vom Anwendungsbereich erfasst.38 33 Vgl Novacek, EU-RL zum Schutz der Hinweisgeber auf Verstöße gegen Unionsrecht ("Whistleblower"), FJ 2019/4, 222. 34 Vgl Erwägungsgrund 18 WBRL. 35 Vgl Erwägungsgrund 24 WBRL. 36 Vgl Erwägungsgrund 37 WBRL. 37 Vgl Erwägungsgrund 39 WBRL. 38 Vgl Erwägungsgrund 40 WBRL. 13. Jänner 2021 11/39
Der persönliche Anwendungsbereich zielt somit, wenn auch untypisch für Arbeitnehmerschutzregelungen, eher auf den möglichen Zugriff organisationsinterner Informationen als auf die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Unternehmen ab.39 Die Anwendung der Richtlinie erfolgt laut Art 4 Abs 2 und 3 auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Meldung bereits beendet wurde oder noch nicht begonnen hat wie im Falle von Bewerbern. Die Schutzmaßnahmen gem Kapitel VI der Richtlinie gelten zudem nach Abs 4 für Mittler oder Dritte, die durch die Offenlegung Repressalien in ihrem Beruf erwarten könnten wie Verwandte oder Arbeitskollegen. Auch juristische Personen, die im Eigentum des Hinweisgebers oder mit ihm in beruflichen Kontext stehen, werden geschützt. C. Voraussetzungen für den Schutz der Hinweisgeber Ein Anspruch auf Schutz besteht gem Art 6 nur, wenn der Hinweisgeber hinreichende Gründe zur Annahme der Wahrhaftigkeit der von ihm gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt der Meldung hatte. Zudem muss der Hinweis auch in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, oder der Hinweisgeber darf zumindest von der Miteinbeziehung ausgehen. Böswillige oder missbräuchliche Meldungen sollen dadurch verhindert sowie Meldungen, welche im guten Glauben erstattet werden, geschützt werden.40 Der Schutz besteht zudem bei begründeten Bedenken bzw Verdacht, nicht jedoch bei Gerüchten oder Spekulationen.41 Eine Kennzeichnung, dass es sich lediglich um eine Vermutung handelt, dürfte hier verlangt werden. Die Frage, welchen Sorgfaltsmaßstab der Hinweisgeber anwenden muss, bleibt offen.42 39 Vgl Garden/Hiéramente, BB 2019/18, 963. 40 Vgl Erwägungsgrund 32 WBRL. 41 Vgl Erwägungsgrund 43 WBRL. 42 Vgl Garden/Hiéramente, BB 2019/18, 963. 13. Jänner 2021 12/39
Das Motiv der Meldung eines Verstoßes sollte die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit nicht beeinflussen.43 Um den Schutz zu erlangen, müssen Missstände lt Art 6 Abs 1 lit b nach dieser Richtlinie intern oder extern gemeldet oder offengelegt werden. Über die Handhabung anonymer Meldungen entscheiden die Mitgliedstaaten nach Art 6 Abs 2 unbeschadet bestehender unionsrechtlicher Vorgaben. Wird jedoch die Identität im Nachhinein bekannt, und der Hinweisgeber erfüllt die rechtlichen Anforderungen dieser Richtlinie, genießt er laut Abs 3 bei Repressalien auch deren Schutz. D. Dreigliedriges Meldesystem – Verpflichtung zur Einrichtung interner und externer Meldekanäle Die Richtlinie sieht ein dreigliedriges Meldesystem mit internen und externen Meldekanälen sowie der Möglichkeit der Offenlegung vor. 1. Interne und externe Meldungen Interne Meldekanäle sind gem Art 7 Abs 2 gegenüber externen zu bevorzugen, soweit hierdurch Abhilfe erwartet werden kann und mit keinen Repressalien zu rechnen ist. Bei beiden Kanälen greift das Vertraulichkeitsgebot gem Art 16. Die Meldekanäle müssen vor allem die Identität des Hinweisgebers und Dritter vertraulich behandeln und unbefugten Mitarbeitern den Zugang zu diesen Daten verwehren. Eine Ausnahme gibt es in Abs 2, soweit es unionsrechtlich oder nationalrechtlich eine „notwendige und verhältnismäßige Pflicht im Rahmen der Untersuchungen durch nationale Behörden oder von Gerichtsverfahren darstellt“44. Dann dürfen Identität und alle weiteren vom Vertraulichkeitsgebot geschützte Daten offengelegt werden. Dies gilt auch für das Verteidigungsrecht des Betroffenen.45 Der Hinweisgeber muss jedoch zuvor nach Abs 3 über die Offenlegung seiner 43 Vgl Erwägungsgrund 32 WBRL. 44 Art 16 Abs 2 WBRL. 45 Vgl Novacek, FJ 2019/4, 222. 13. Jänner 2021 13/39
Identität informiert werden, solange dies die Untersuchungen nicht gefährdet. Es ist ihm eine schriftliche Begründung vorzulegen. Die Meldekanäle müssen mündliche oder schriftliche Meldungen und bei Bedarf auch Meldungen durch persönliche Treffen ermöglichen.46 Eine Eingangsbestätigung sowie eine Rückmeldung über geplante oder ergriffene Folgemaßnahmen samt Begründung47 sind nach bestimmter Frist zu gewährleisten.48 Zu den Folgemaßnahmen gehören gem Art 5 Z 12 zunächst die Schlüssigkeitsprüfung der Hinweise und sodann ua die Einleitung weiterer Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen oder der Abschluss des Verfahrens. Eine angemessene Dokumentation der Meldungen ist nach Art 18 unter Beachtung der Vertraulichkeitspflichten von den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Sie sind für die Abrufbarkeit und für die Verwendbarkeit von Informationen als Beweismittel verantwortlich49. Die Beweisführung kann jedoch nur Zulasten des Hinweisgebers in Verfahren nach Art 23 Ab 2 dieser Richtlinie erfolgen, da diese Regelung ansonsten dem Befragungsrecht von Angeklagten an Belastungszeugen nach den Art 47 und 48 GRC samt deren Ausführungen entgegenstehen würde.50 a) Interne Meldekanäle Die Mitgliedstaaten sind für die Errichtung interner Meldekanäle und -verfahren, welche Meldungen innerhalb der Organisation sowie anschließende Maßnahmen gewährleisten, juristischer Personen des privaten sowie des öffentlichen Sektors gem Art 8 Abs 1 verantwortlich. Dies, soweit das nationale Recht darüber bestimmt, im Einklang mit den Sozialpartnern. Die Pflicht zur Einrichtung eines internen Meldekanals besteht für juristische Personen der Privatwirtschaft bei 50 oder mehr Dienstnehmern, jedoch 46 Vgl Art 9 Abs 2, Art 12 Abs 2 WBRL. 47 Vgl Art 5 Z 13 WBRL. 48 Vgl Art 9 Abs 1 lit b, Art 11 Abs 2 lit b WBRL. 49 Vgl Erwägungsgrund 86 WBRL. 50 Vgl Novacek, FJ 2019/4, 222. 13. Jänner 2021 14/39
unabhängig der Mitarbeiteranzahl lt Abs 4 auch für Klein- und Kleinstunternehmen51, die den Unionsrechtsakten des Anhangs Teil I B und Teil II unterliegen, und somit die Bereiche der Finanzdienstleistungen, -produkte und -märkte, Unterbindung von Geldwäsche sowie der Finanzierung von Terrorismus, den Bereich der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes betreffen.52 Nach einer erfolgten Risikobewertung mit Fokus auf die jeweilige Tätigkeit sowie des davon ausgehenden Risikos können gem. Abs 7 auch Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern zur Implementierung von internen Hinweisgeberkanälen und -verfahren verpflichtet werden. Eine derartige Entscheidung ist der Kommission lt Abs 8 mitzuteilen. Um Ressourcen zu sparen, können sich gem Abs 6 juristische Personen mit 50 bis 249 Beschäftigten Hinweisgebersysteme mit anderen Unternehmen teilen. Gem Art 8 Abs 5 kann als Meldekanal, entsprechend der Struktur des Unternehmens, sowohl eine hierfür bestellte Person oder Abteilung in der Organisation als auch ein Dritter, der sich um die Bereitstellung eines Meldekanals kümmert, dienen. Interessenskonflikte müssen ausgeklammert werden sowie deren Unabhängigkeit zugesichert sein.53 Für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt die Pflicht zur Errichtung lt Art 8 Abs 9 zudem auch für staatlich beherrschte Stellen. Ausgenommen werden können Gemeinden, die weniger als 10 000 Einwohner oder 50 Arbeitnehmer aufweisen, sowie staatliche Stellen mit weniger als 50 Beschäftigten. Soweit eine strikte Trennung von externen Meldekanälen gewährleistet werden kann, ist eine gemeinsame Führung des Meldekanals von Gemeinden möglich. Der Hinweisgeber muss gem Art 9 Abs 1 lit g über das externe Meldeverfahren und über die Möglichkeit der Meldung an andere entsprechende Meldestellen aufgeklärt werden. 51 Vgl Erwägungsgrund 50 WBRL. 52 Vgl. Novacek, FJ 2019/4, 222. 53 Vgl Erwägungsgrund 56 WBRL. 13. Jänner 2021 15/39
Internes Meldeverfahren: Der Eingang der Meldung muss gem Art 9 Abs 1 binnen sieben Tagen bescheinigt werden. Die für Folgemaßnahmen ernannte unparteiische Person oder Abteilung bleibt mit dem Hinweisgeber in Kontakt, ergreift ordnungsgemäße Folgemaßnahmen, allenfalls auch nationalrechtliche Maßnahmen nach anonymen Meldungen, und gibt innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von maximal drei Monaten ab Eingangsbestätigung eine Rückmeldung. Stehen die Folgemaßnahmen noch nicht fest, soll der Hinweisgeber darüber informiert und zudem darüber unterrichtet werden, welche Rückmeldungen er fortan noch zu erwarten hat.54 b) Externe Meldekanäle Eine Meldung an externe Meldekanäle kann gem Art 10 sowohl nach bereits erstatteter als auch ohne vorhergegangene interne Meldung erfolgen. Die Mitgliedstaaten sind lt Art 11 Abs 1 und Abs 2 lit a verpflichtet unabhängige und autonom handelnde Behörden einzurichten, die als externe Meldekanäle Hinweise entgegennehmen und die weitere Behandlung der Meldung unter Gewährleistung der „Vollständigkeit, Integrität und Vertraulichkeit der Informationen“55 vornehmen. Unbefugten Mitarbeitern ist die Einsichtnahme zu verwehren.56 Als entsprechende Behörde könnten ua Justiz- oder Strafverfolgungsbehörden, Regulierungs- und Aufsichtsstellen, jegliche Stellen zur Korruptionsbekämpfung oder Ombudspersonen in Betracht gezogen werden.57 Die Behörden können nach Art 11 Abs 3 von den Mitgliedstaaten mit der Befugnis ausgestattet werden, das Verfahren bei eindeutig geringfügigen Verstößen nach eingehender Prüfung des Sachverhalts abzuschließen. Gleiches gilt nach Abs 4 im Falle wiederholter Meldungen von bereits abgeschlossenen Verfahren, wenn keine neuen geeigneten Informationen vorgebracht werden können. Der Hinweisgeber ist in beiden Fällen vom Abschluss mit entsprechender Begründung zu verständigen. 54 Vgl Erwägungsgrund 58 WBRL. 55 Art 12 Abs 1 lit a WBRL. 56 Vgl Art 12 Abs 1 lit a WBRL. 57 Vgl Erwägungsgrund 64 WBRL. 13. Jänner 2021 16/39
Laut Abs 5 kann die vorrangige Abhandlung von schwerwiegenden oder nach dieser Richtlinie wesentlichen Verstößen der Behörde vorgesehen werden. Wurde an eine nicht zuständige Behörde Meldung erstattet, soll eine Weiterleitung an die zuständige Behörde samt Inkenntnissetzung des Hinweisgebers nach Abs 6 garantiert werden. Besonders geschulte Mitarbeiter übernehmen gem Art 12 Abs 4 und 5 die Entgegennahme der Meldung sowie die Einleitung der Folgemaßnahmen. Sie gewährleisten die intakte Kommunikation mit dem Hinweisgeber, geben Rückmeldung und halten Rücksprache bezüglich benötigter Informationen. Erhalten die Mitarbeiter Meldungen auf anderen Wegen als über die eingerichteten Behörden, ist ihnen gem Abs 3 untersagt, Informationen, durch die die Geheimhaltung der Identität gefährdet werden könnte, offenzulegen. Für eine unverzügliche Weiterleitung bei Unzuständigkeit des annehmenden Mitarbeiters an befugte Mitarbeiter soll gesorgt werden. Zuständige Behörden sind lt Art 13 in der Pflicht, auf Ihrer Website in verständlicher und leicht zugänglicher Weise ua Kontaktdaten und Einzelheiten über das Meldeverfahren, die Voraussetzungen für den Schutz nach dieser Richtlinie und Abhilfemaßnahmen zu informieren. Der potentielle Hinweisgeber soll sich dadurch für oder gegen eine Meldungserstattung samt ihren Modalitäten entscheiden können.58 Externes Meldeverfahren: Gem Art 11 Abs 2 ist eine Eingangsbestätigung binnen sieben Tagen nach erfolgter Meldung auszustellen. Hiervon kann jedoch abgesehen werden, wenn dies der Hinweisgeber ausdrücklich wünscht oder die Behörde die Beeinträchtigung des Identitätsschutzes befürchtet. Daraufhin sollen entsprechende Folgemaßnahmen ergriffen und dem Hinweisgeber binnen drei Monaten, bzw sechs Monaten in komplexeren Fällen, Rückmeldung erstattet werden. Dem Hinweisgeber ist das abschließende Ergebnis der Untersuchungen nach nationalem Recht bekannt zu geben. Die gemeldeten Hinweise müssen, soweit es hierfür unionsrechtliche oder nationalrechtliche Regelungen gibt, rechtzeitig an befugte Organe oder Stellen der Union weitergegeben werden. 58 Vgl Erwägungsgrund 59 WBRL. 13. Jänner 2021 17/39
Das einwandfreie Funktionieren des Verfahrens und entsprechende Folgemaßnahmen sind gem Art 14 mindestens alle drei Jahre von den Behörden zu überprüfen. 2. Offenlegung Die Offenlegung, sprich die öffentliche Zugänglichmachung von Informationen lt Legaldefinition in Art 5 Z 6, als drittes Glied des Meldesystems dieser Richtlinie, ist dem Hinweisgeber gem Art 15 nur in zwei alternativen Fällen gestattet um den Anspruch auf Schutz trotz Bekanntmachung der Missstände an die Presse oder an andere Stellen zu erlangen. Die erste Alternative liegt gem Abs 1 lit a vor, wenn die Meldungserstattung bereits intern und extern oder direkt extern, jedoch ohne Einleitung geeigneter Folgemaßnahmen, erfolgte. Welche Folgemaßnahmen jeweils angemessen sind, wird unter Berücksichtigung mehrerer fallspezifischer Faktoren sowie durch die Art der Vorschrift, gegen die verstoßen wird, bestimmt.59 Der zweite Fall, welcher eine Offenlegung nach dieser Richtlinie rechtfertigt, ist gem lit b gegeben, wenn der Hinweisgeber hinreichenden Grund zur Annahme des Vorliegens einer konkreten Gefahrensituation hat. Diese kann öffentliche Interessen oder irreparable Schäden wie etwa Schäden an der körperlichen Integrität betreffen. Zudem ist die Offenlegung auch legitim, wenn bei externer Meldung Repressalien zu befürchten sind, die Gefahr der Beweismittelunterdrückung oder -vernichtung besteht oder die Behörde selbst in den Verstoß involviert sein könnte. E. Schutzregelungen Die Richtlinie legt sowohl Schutzregelungen für Hinweisgeber als auch für betroffene Personen fest. Zudem werden Sanktionen vorgeschrieben, um einerseits die Wirksamkeit der Schutzregelungen zu gewährleisten und andererseits um eine abschreckende Wirkung gegen böswillige Meldungen sowie die Ausübung von Repressalien zu erzielen.60 59 Vgl Erwägungsgrund 79 WBRL. 60 Vgl Erwägungsgrund 102 WBRL. 13. Jänner 2021 18/39
1. Für Hinweisgeber Die Mitgliedstaaten stehen gem Art 19 in der Pflicht, jegliche Form von Repressalien, welche von dieser Richtlinie geschützte Personen erleiden könnten sowie deren bloße Androhung oder deren Versuch, zu verbieten. Genannt werden als Repressalien ua die Kündigung oder Versetzung, Disziplinarmaßnahmen, negative Beurteilungen, Rufschädigung, Lizenzentzug, Nötigung, Mobbing, Diskriminierung bis hin zu psychiatrischen oder ärztlichen Überweisungen. In Art 5 Z 11 wird der Begriff der Repressalie legaldefiniert. Darunter zu verstehen sind somit ungerechtfertigt nachteilige Handlungen und Unterlassungen, ob direkt oder indirekt, welche nach einer Meldung oder Offenlegung gemäß dieser Richtlinie erfolgen. Der Begriff wird weit gefasst61, die Repressalien können vom Arbeitgeber als auch ua von Kunden oder Kollegen ausgehen62, es ist auf eine berufliche Konnexität abzustellen. Den Hinweisgebern sind den Umständen entsprechend unterstützende Maßnahmen gem Art 20 anzubieten. Angeführt werden hier in nicht abschließender Weise ua nach Abs 1 lit a die unabhängige, kostenlose und öffentlich zugängliche Beratung bezüglich zustehender Rechte sowie das Aufzeigen von Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien und entsprechender Verfahren. Als Beratungsstelle kann ein Informationszentrum als auch eine unabhängige Verwaltungsbehörde dienen. Führen zivilgesellschaftliche Organisationen die Beratungen, so sollen die Mitgliedstaaten auch deren Schutz vor Repressalien gewährleisten.63 Die zuständigen Behörden sollen zudem gem lit b die Hinweisgeber beim Kontakt mit anderen Behörden, die zum Schutze vor Repressalien involviert sind, effektiv unterstützen. Soweit national geregelt, kann eine Bestätigung über die Erfüllung der Erfordernisse für den Schutz nach dieser Richtlinie ausgestellt werden. 61 Vgl Erwägungsgrund 44 WBRL. 62 Vgl Erwägungsgrund 87 WBRL. 63 Vgl Erwägungsgrund 89 WBRL. 13. Jänner 2021 19/39
Eine Prozesskostenhilfe ist gem lit c zur Verfügung zu stellen, da Prozesskosten eine große finanzielle Belastung für Hinweisgeber darstellen können und die wirtschaftliche Situation eine Vorstreckung dieser oft nicht erlaubt.64 Den Mitgliedstaaten bleibt es nach Art 20 Abs 2 überlassen, die Inanspruchnahme von Finanzhilfen im Rahmen von Gerichtsverfahren sowie zusätzliche Maßnahmen wie ua eine psychologische Betreuung anzubieten. a) Schutz vor Repressalien Gem Art 21 Abs 1 werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien gegen gutgläubig handelnde Hinweisgeber65 zu treffen. Macht der Hinweisgeber erlittene Benachteiligungen, welche im Zusammenhang mit seiner Meldung oder Offenlegung stehen gerichtlich oder in Verfahren vor einer Behörde geltend, so gilt nach Art 21 Abs 5 die Vermutung, dass diese benachteiligende Maßnahme eine Repressalie darstellt. Es obliegt der Person, welche die Maßnahme ergriffen hat, diese ausreichend zu rechtfertigen und den Beweis darüber zu führen, dass die Maßnahme nicht mit der Meldung oder Offenlegung in Verbindung stand.66 Dem Hinweisgeber sind geeignete Maßnahmen zur Abwehr von Repressalien samt vorläufigen Rechtsschutz für die Dauer von laufenden und oft langwierigen Gerichtsverfahren nach Art 21 Abs 6 zu gewährleisten. Die Maßnahmen sollten Repressalien wie Drohung oder Mobbing sowie Kündigung, welche den Hinweisgeber oft wirtschaftlich stark schwächt, verhindern können.67 Die Mitgliedstaaten müssen gem Art 21 Abs 8 zudem auf nationalrechtlicher Ebene die Möglichkeit der Ergreifung von entsprechenden Rechtsbehelfen sowie eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens, welcher ua 64 Vgl Erwägungsgrund 99 WBRL. 65 Vgl Dilling, Der Schutz von Hinweisgebern und betroffenen Personen nach der EU- Whistleblower-Richtlinie, CCZ 2019/5, 214. 66 Vgl Dilling, CCZ 2019/5, 214. 67 Vgl Erwägungsgrund 96 WBRL. 13. Jänner 2021 20/39
Rechtsschutzkosten und Schmerzensgeld bei immateriellen Schäden beinhaltet, garantieren.68 b) Schutz vor Haftung In Art 21 Abs 2 findet sich ein Haftbarkeitsausschluss bei Verletzung einer Offenlegungsbeschränkung nach dem Leitsatz „Schutz vor Haftung“69. Offenlegungsbeschränkungen können rechtlicher oder vertraglicher Natur sein wie beispielsweise Geheimhaltungsvereinbarungen oder entsprechende Klauseln in Verträgen.70 Gleiches gilt nach Abs 7 für Gerichtsverfahren wegen ua Verleumdung, Urheberrechtsverletzung und Verletzung von datenschutzrechtlichen Vorgaben sowie für die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, wobei eine dieser Richtlinie entsprechende Meldung oder Offenlegung, welche Geschäftsgeheimnisse beinhaltet, als rechtmäßig gem Art 3 Abs 2 der Geschäftsgeheimnis-Richtline gilt.71 Der Ausschluss der Haftbarkeit gilt jedoch nur insofern, als nach dieser Richtlinie Meldung erstattet oder Hinweise offengelegt wurden und der Hinweisgeber von deren Notwendigkeit ausgehen durfte, um den Verstoß enthüllen zu können. Hatte er hinreichenden Grund zu dieser Annahme, kann er nach Abs 7 einen Antrag auf Klageabweisung mit Verweis auf die Meldung oder Offenlegung stellen, jedoch obliegt ihm die Beweisführung. Zu Beweiszwecken kann eine Bescheinigung nach Art 20 Abs 1 lit b dienen.72 Gem Abs 3 des Art 21 können Hinweisgeber „nicht für die Beschaffung der oder den Zugriff auf Informationen, die gemeldet oder offengelegt wurden, haftbar gemacht werden“73. Es sei denn, dieser Akt stellt eine eigenständige Straftat dar wie beispielsweise der Zugriff durch Hacking74, welche in diesem Falle den strafrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates unterliegt. 68 Vgl Erwägungsgrund 94 WBRL. 69 Vgl Erwägungsgrund 91 WBRL. 70 Vgl Erwägungsgrund 91 WBRL. 71 Vgl Erwägungsgrund 98 WBRL. 72 Vgl Dilling, CCZ 2019/5, 214. 73 Art 21 Abs 3 WBRL. 74 Vgl Erwägungsgrund 92 WBRL. 13. Jänner 2021 21/39
Sämtliche Handlungen oder Unterlassungen, welche nicht mit einer Meldung oder Offenlegung verbunden oder nach dieser Richtlinie nicht gefordert sind, unterliegen weiterhin lt Abs 4 nationaler oder unionsrechtlichen Vorschriften. 2. Für betroffene Personen Der Schutz der Rechte betroffener Personen findet ebenso Eingang in dieser Richtlinie um Rufschädigung und andere negative Folgen zu vermeiden.75 So ist von den Mitgliedstaaten gem Art 22 Abs 1 sicherzustellen, dass betroffene Personen Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen haben und der Fair-Trial- Grundsatz eingehalten wird. Die Unschuldsvermutung ist hierbei stets zu wahren, Verteidigungsrechte samt dem Recht auf Anhörung und Akteneinsicht sind vollumgänglich zu gewährleisten. Die Identität betroffener Personen ist nach Abs 2 für die Dauer der Untersuchung zu schützen. 3. Sanktionen In Art 23 findet sich die Vorschreibung „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“76 festzulegen, welche gegen natürliche sowie juristische Personen als auch gegen Hinweisgeber zu richten sind. Gem Abs 1 lit a bis d sind diese Sanktionen gegen Personen zu richten, die Meldungen behindern oder dies auch nur versuchen, Repressalien gegen schutzwürdige Personen nach dieser Regelung ergreifen, mutwillig Verfahren vor Gericht anstreben oder die gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz des Art 16 verstoßen. Nach Abs 2 ist ebenfalls eine entsprechende Sanktionierung von Hinweisgebern, die nachweislich wissentlich unrichtige Informationen gemeldet oder offengelegt haben, vorzusehen. Maßnahmen bezüglich der Wiedergutmachung hierdurch entstandener Schäden sollen von den jeweiligen Mitgliedstaaten im nationalen Recht bestimmt werden. 75 Vgl Erwägungsgrund 100 WBRL. 76 Art 23 Abs 1, 2 WBRL. 13. Jänner 2021 22/39
F. Schlussbestimmungen Den Mitgliedstaaten steht es nach Art 25 Abs 1 frei, günstigere Bestimmungen zum Schutze von Hinweisgebern vorzusehen. Ausgenommen sind hierbei jedoch die Schutzmaßnahmen für betroffene Personen nach Art 22 sowie die Pflicht zur Erlassung von Sanktionen für Hinweisgeber nach Art 23 Abs 2. Keinesfalls soll es lt Art 25 Abs 2 aufgrund dieser Richtlinie zu einer Absenkung von bereits garantiertem Schutz kommen. Die Richtlinie ist bis 17. Dezember 2021 nach einem Umsetzungszeitraum von zwei Jahren gem Art 26 Abs 1 umzusetzen. Eine Ausnahme findet sich in Abs 2 für juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern. Diese stehen in der Pflicht interne Meldekanäle nach Art 8 Abs 3 bis zum 17. Dezember 2023 einzurichten. G. Kritikpunkte Die Whistleblower-Richtlinie gibt in einigen Punkten Anlass zu Kritik. So wird ua von der Bundesrechtsanwaltskammer in Deutschland der nicht definierte Sorgfaltsmaßstab in Art 6 WBRL kritisiert. Die Bundesrechtsanwaltskammer mahnt, dass ein leichtfertiger Hinweis, welcher ohne gehörige Sorgfalt gemeldet wurde, nicht zu einem Schutz führen darf, denn „Mangelnde Anstrengung oder das Risiko einer Fehleinschätzung“77 müssen stets zu Lasten des Hinweisgebers gehen.78 Einen weiteren Kritikpunkt stellt nach Dilling die Beweislastumkehr des Art 21 Abs 5 WBRL dar, die den Whistleblower nur bedingt schütze. Bei Ergreifen einer nachteiligen Maßnahme wird hier eine Repressalie vermutet und der Maßnahmen-Ergreifer ist in der Pflicht Gegenteiliges zu beweisen. Aber gerade bei großer zeitlicher Diskrepanz zwischen Maßnahme und Meldung oder Offenlegung kann hier eine Repressalie leichter dementiert werden, wobei in diesem Falle dem Hinweisgeber die Tragung der Gerichtskosten droht. Zudem 77 Bundesrechtsanwaltskammer Deutschland, Stellungnahme Nr. 26/2018. Zum Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (COM[2018] 218 final vom 23. April 2018), 4. 78 Vgl Bundesrechtsanwaltskammer Deutschland, Stellungnahme Nr. 26/2018, 4. 13. Jänner 2021 23/39
macht sich hier auch die unterschiedliche Machtposition von Unternehmen gegenüber Privatpersonen deutlich. Unternehmen können es sich oft erlauben Rechtsstreitigkeiten, obgleich chancenlos, in die Länge zu ziehen mit dem Ziel den Hinweisgeber „mürbe zu machen“79 und zum Aufgeben antreiben, obwohl dieser im Recht ist.80 Auch die Prozesskostenhilfe gem Art 20 Abs 1 lit c WBRL führt laut Dilling zu keiner wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts81, da auch in Erwägungsgrund 93 der Richtlinie selbst auf die ungleiche Ressourcensituation der Personen die Repressalien ergreifen, welche in der Lage sind gleich mehrere Anwälte anzustellen, gegenüber Hinweisgebern, die durch die Prozesskostenhilfe Anspruch auf einen einzigen Rechtsanwalt haben, hingedeutet wird. Auch muss erst ein Anwalt gefunden werden, der auf Basis gesetzlicher Gebühren eine umfangreiche Auseinandersetzung von schwer zu erörternden Fragestellungen wie der Feststellung der Handlung im guten Glauben des Hinweisgebers vornimmt. Um hier ansatzweise eine prozessuale Waffengleichheit zu erlangen, müssten Kosten für einen geeigneten Anwalt nach Wahl bei Abrechnung eines angemessenen Stundensatzes über die finanzielle Hilfe des Art 20 Abs 2 erstattet werden, da ansonsten ein Schutz gegen Repressalien nicht effektiv vorhanden sei.82 IV. Überblick über die bisherige Rechtslage in Österreich Derzeit kennt die österreichische Rechtslage keine allgemeinen Regelungen zum Hinweisgeberschutz. Einige Behörden haben jedoch bereits Meldestellen eingerichtet. A. Fall Heinisch gegen Deutschland Zu erwähnen ist in Hinblick auf das Thema Whistleblowing und dem österreichischem Recht der Fall Heinisch gegen Deutschland. 79 Dilling, CCZ 2019/5, 214, 219. 80 Vgl Dilling, CCZ 2019/5, 214. 81 Vgl Erwägungsgrund 37 WBRL. 82 Vgl Dilling, CCZ 2019/5, 214. 13. Jänner 2021 24/39
Im Jahre 2011 entschied der EGMR mit Urteil Bsw 28274/0883 über eine fristlose Kündigung nach erfolgtem Whistleblowing. Eine Altenpflegerin, Frau Heinisch, deutete intern wiederholt auf bestehende Mängel in dem Altenpflegeheim ihres Arbeitgebers welches im Haupteigentum des Landes Berlin stand hin. Bei Kontrollen der zuständigen Krankenkassen wurden diese Mängel auch tatsächlich entdeckt, zu einer Behebung kam es jedoch nicht. Frau Heinisch erstattete letztendlich Strafanzeige wegen schweren Betrugs ua da ihr Arbeitgeber wissentlich die angepriesene Pflege unterlasse und es somit zu einer Patientengefährdung kommt. Die Ermittlungen wurden eingestellt, die Pflegerin gekündigt. Kündigungsmotiv seien die wiederholten Krankenstände von Frau Heinisch gewesen. Nach Verteilung von Flugblättern in denen Frau Heinisch ihre Kündigung als „politische Disziplinierungsmaßnahme“84 betitelte und sie auf den Betrug ihres Arbeitgebers und die erstattete Strafanzeige hinwies folgte eine fristlose Kündigung.85 Die Altenpflegerin reichte nach Durchlauf der innerstaatlichen Instanzen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Verletzung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung gem Art 10 EMRK ein.86 Da Art 10 EMRK neben Meinungskundgaben auch Tatsachenaussagen und Mitteilungen schützt87 fallen auch Strafanzeigen gegen seinen Arbeitgeber in den Schutzbereich. Der EGMR führte aus, dass vor der Offenlegung eine interne Meldung über die Missstände eingebracht werden muss und die Öffentlichkeit ohne vorhergegangene Meldung nur informiert werden darf falls diese nicht dienlich wäre. Auch wird berücksichtigt, ob der Arbeitnehmer andere wirksame Mittel zur Auswahl hat wobei kein gelinderes Mittel verfügbar sein darf, somit die Offenlegung ultima ratio ist.88 Ein Handeln in gutem Glauben sowie ein Ausgehen von der Richtigkeit der gemeldeten Hinweise sind weitere Voraussetzungen für ein zulässiges Whistleblowing.89 83 EGMR 21. 7. 2011, 28274/08, Heinisch gegen Deutschland, EuGRZ 2011, 555 84 Naderhirn, Whistleblowing im Arbeitsrecht - Ausgewählte Aspekte 2014/1, 14. 85 Vgl Naderhirn 2014/1, 14. 86 Vgl Aschauer, EGMR nimmt zur fristlosen Kündigung einer Whistleblowerin Stellung Viel Lärm um nichts, ASoK 2011/11, 425. 87 Vgl Walter/Meyer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 (2007), Rz 1457 88 Vgl Naderhirn 2014/1, 14. 89 EGMR 21. 7. 2011, Nr 28274/08m, Heinisch gegen Deutschland, EuGRZ 2011, 555 13. Jänner 2021 25/39
Der EGMR wog die Loyalitätspflicht der Pflegerin mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ab und führte aus, dass das öffentliche Interesse an der Kenntnisnahme der Missstände den Interessen des Arbeitgebers überwiege und erkannte, dass eine fristlose Kündigung eine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundsatzes der freien Meinungsäußerung darstelle. Frau Heinisch handelte zudem im guten Glauben und hat mehrmalig innerbetrieblich auf die Missstände hingewiesen. Ihr wurde nebst Kostenersatz ein immaterieller Schadenersatz zugesprochen.90 Urteile des EGMR sind für alle Staaten, die der EMRK beigetreten sind, bindend. Somit gilt diese Entscheidung auch für andere Staaten, mitunter Österreich, seither für Whistleblower-Fälle als Orientierung.91 B. Bestehende Hinweisgebersysteme 1. Hinweisgebersystem der BAK Das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) wurde 2006 in Folge der Ratifikation des Übereinkommens der Vereinigten Nationen gegen Korruption (UNCAC)92 eingerichtet und arbeitet eng mit der WKStA zusammen.93 Meldungen können bei Verdacht auf eine in den Zuständigkeitsbereich fallende strafbare Handlung wie ua Missbrauch der Amtsgewalt, Bestechung oder Vorteilsannahme94, an die Meldestelle „Korruption und Amtsdelikte“ als „Single Point of Contact“ gerichtet werden und telefonisch, schriftlich, per Mail oder Fax angebracht werden. Auch können Meldungen anonym erfolgen, zur Angabe von Kontaktdaten wird jedoch für weitere Informationen bei Ermittlungen gebeten.95 90 Vgl Aschauer, ASoK 2011/11, 425. 91 Vgl Naderhirn 2014/1, 14. 92 United Nations Convention against Corruption – UNCAC; A/RES/58/4, angenommen durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 31. Oktober 2003; BGBl III 2006/47. 93 Vgl Vogl, Das neue Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung, SIAK- Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis 2012/4, 29. 94 Vgl Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung - BAK, Aufgaben des BAK, https://www.bak.gv.at/102/Rechtliche_Grundlagen.aspx (abgefragt am 5. 1. 2021). 95 Vgl Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung - BAK, Meldestelle Korruption und Amtsdelikte (SPOC), https://www.bak.gv.at/601/ (abgefragt am 4. 1. 2021). 13. Jänner 2021 26/39
2. Hinweisgebersystem der WKStA Im Jahre 2013 führte die WKStA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft) ein internetbasiertes Hinweisgebersystem ein. Für eine Probezeit von 2 Jahren hatte man die Möglichkeit Hinweise bezüglich Wirtschafts- und Korruptionsdelikte anonym zu melden. Über einen Postkasten konnte mit den Whistleblowern kommuniziert werden, Nachfragen als auch die Zusicherung der Anonymität konnten dadurch gestattet werden. Die Meldungen wurden auch als Ermittlungsansätze herangezogen, um Strafverfahren zu eröffnen. Während dieser Testphase gingen laut WKStA 3 512 Meldungen ein, wobei aufgrund der gemeldeten Hinweise 401 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Nach zweijähriger Probezeit nahm die WKStA 2016 offiziell ihre Whistleblower-Homepage in den Regelbetrieb auf.96 Ende 2018 konnten bereits 7 710 Meldungen und 638 eingeleitete Ermittlungsverfahren verzeichnet werden, wobei in 5 243 Fällen Whistleblower die zur Verfügung gestellte Postkasten-Funktion für Rückfragen genutzt hatten.97 3. Hinweisgebersystem der FMA Die FMA (Finanzmarktaufsicht) führte am 1. Jänner 2014 ein Hinweisgebersystem zur Umsetzung des Art 71 CRD (Capital Requirements Directive 2013/36/EU – Richtlinie über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der RL 2002/87/EG und zur Aufhebung der RL 2006/48/EG und 2006/49/EG) iVm § 99 g Abs 3 BWG (Bankwesengesetz) ein. Hierdurch wurde der Verpflichtung einen Mechanismus einzurichten, um Meldungen über Verstöße, wenn diese auch nur drohen, wirksam und verlässlich entgegennehmen zu können und potentielle Hinweisgeber zur Meldungserstattung zu ermutigen, nachgegangen.98 Eine Neuerung im europäischen Finanzmarktaufsichtsrecht stellte die Verpflichtung zur Implementierung eines Hinweisgebersystem einerseits für die der Aufsichtsbehörde als auch andererseits für „Institute“99 96 Vgl Grünanger/Goricnik/Leissler, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle. Handbuch2 (2018), Rz 8.24. 97 Vgl Schneid, EU nimmt Whistleblowern die Angst, Die Presse 2019. 98 Art 71 Abs 2 lit a-d CRD. 99 Art 4 Abs 1 Z 3 CRR. 13. Jänner 2021 27/39
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