Digitalisierung in der Möbelbranche - Der Handel als Berater.

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Digitalisierung in der Möbelbranche - Der Handel als Berater.
Digitalisierung in der Möbelbranche.
           Der Handel als Berater.

           Wie können digitale Geschäftsmodelle die Branche in die Zukunft
           tragen? Ralf Schmid-Gundram, früher mal kauf­männischer Leiter
           in der Nolte-Gruppe, meint: Direktabsatz und zeitgemäßes
           Datenmanage­ment bieten neue Chancen für Handel als auch
           Hersteller.

           Von Ralf Schmid-Gundram, Key-Work Consulting GmbH
           Veröffentlicht in „INSIDE“ Magazin (Nr. 1102/04.12.2020)

Digitalisierung in der Möbelbranche. Der Handel als Berater.          Key-Work Consulting GmbH | Januar 2021   Seite 1
Digitalisierung in der Möbelbranche - Der Handel als Berater.
Digitalisierung in der Möbelbranche.
           Der Handel als Berater.
           Krisen wirken wie ein Brennglas. Aktuelle Entwick-
           lungen und bestehende Probleme treten stärker
           hervor, da sie nicht vom Tagesgeschäft und den in
           der Vergangenheit begründeten Er­folgen überdeckt
           werden. So ist es auch in der aktuellen Pan­demie.
           Die Tendenz, dass sich die Webshop-Umsätze
           zu einem signifikanten Faktor entwickeln und
           dem stationären Handel zunehmend Konkurrenz
           machen, explodiert im Handel gerade­zu. Während
           der Umsatz des stationären Handels aufgrund von
           zeitweise weltweiten Lockdowns zum Teil voll-
                                                                       Ralf Schmid-Gundram kennt die Branche
           ständig ausfällt oder durch Auflagen oder Teil-Lock-
                                                                       noch als Kauf­männischer Leiter bei der
           downs zumindest stark ein­geschränkt ist, rettet der
                                                                       Nolte-Gruppe. Von 2011 bis 2014 war er für
           Onlinehandel den Absatz.
                                                                       die Germersheimer tätig. Der 42-Jährige war
                                                                       seit 2017 bei der IT- und Marketing-Beratung
           Webshop als Retter in der Not
                                                                       Key-­Work Consulting GmbH in Karlsruhe und
           Die sechswöchige Komplettschließung aller lkea-Fi-
                                                                       dort Kaufmän­nischer Leiter. Zuvor war er auch
           lialen ab Ende März führte zu einem Ausfall von 95
                                                                       als selbstständiger Be­rater unterwegs und
           Prozent der statio­nären Umsätze von lkea. Da sich
                                                                       begleitete dabei unter anderem ein Trans-
           der Webshop-Umsatz – der zuvor nur ca. 10 bis 15
                                                                       aktionsprojekt (M&A) in der Küchenbranche.
           Prozent des Gesamtumsatzes ausmachte –
                                                                       Der MBA und Betriebswirt plädiert für
           jedoch vom einen auf den anderen Tag mehr als
                                                                       verstärkte Digitalisie­rungsanstrengungen
           verdreifachte, konnte lkea ungefähr 60 Prozent des
                                                                       im Möbelhandel und eine Wende im
           normalen Gesamtum­satzes retten.
                                                                       Verhältnis zwischen Handel und Herstellern.

           So wie bei lkea läuft es derzeit bei vielen Handels-
           größen, die ihren Erfolg in den letzten Jahrzehnten
           auf dem stationären Handel aufgebaut haben: Bis-       verspätet treffen – aber es wird sie treffen. Ein
           her war der Webshop ein kleines Standbein – mit        Blick auf andere Branchen wirkt hierbei geradezu
           Zukunftsaussichten, aber letztendlich doch noch        wie der Blick in die Kristallkugel: Der Modehandel,
           eine Rand­notiz. Viele Webshop-Leiter wurden von       der frühzei­tig – bereits in den 2000er Jahren – von
           ihren namhaften Kollegen – oft Schwergewichte          massiven Umsatzver­lagerungen zum Onlinehandel
           im Vor­stand – angesichts ihrer überschaubaren         betroffen war, hat den Wandel nahezu vollständig
           Umsatzverantwortung und ihrer andauernden Bud-         vollzogen. Sämtliche Markenhersteller bieten seit
           getkämpfe belächelt. Das hat sich geändert. Der        fünf bis acht Jahren ihre komplette Kollektion
           Webshop ist Retter in der Not und hat nachhaltig       exklusiv ver­packt und versandkostenfrei über den
           an Gewicht gewonnen. Zwar sind die Lockdown-be-        eigenen Onlinehop an. Unternehmen, die diese
           dingten Um­satzvervielfachungen eine Momentauf-        Entwicklung verschlafen haben, wurden gnadenlos
           nahme, aber Umsatzver­lagerungen von 10 bis 20         bestraft und mussten in den letzten drei Jahren
           Prozent des Gesamtumsatzes in den Onlinehandel         aufwändig nachziehen – Beispiel Gerry Weber oder
           werden bleiben.                                        Bree – oder gänzlich aufgeben – Beispiel René
                                                                  Lezard. Persönlich habe ich die Entwicklungen
           Digitalisierung wartet nicht auf Erlaubnis             dabei mit Verwunderung begleitet: Vor zehn Jahren
           Die Frage der Digitalisierung des Handels ist daher    erschien es mir „ein Ding der Unmöglichkeit“, dass
           nur eine Fra­ge des „Wie“ und nicht des „Ob“. Dies     Mar­kenhersteller ihre Händler/Franchisenehmer,
           mag Möbelhersteller und Möbelhandel etwas              die weltweit in den Toplagen der Metropolen

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Spitzenmieten zahlen müssen, da­von überzeugen          mehr, etwa künstliche Pflanzen) umfasst, hat Euro-
           könnten, ihnen als Hersteller einen Webshop und         pas mitglie­derstärkstes Kundenbindungsprogramm
           somit einen Direktabsatz zu erlauben. Als dies z. B.    (lkea Family) und ist dabei – aktuell noch mit etwas
           Hugo Boss doch gelang, fragte ich eine Freundin,        Problemen – auch hybride Ver­kaufsstrukturen
           die in der Branche arbeitete, vor fünf Jahren:          (lkea-Click-and-Collect-Stores) sowie Augmen­ted-
           Wie haben die das hinbekommen? Die Antwort              Reality-Apps z. B. für die Online-Küchenbestellung
           war brutal und wandelte meine Verwunderung in           aufzubauen. lkea ist dabei, stationären und
           Bewunderung. „Die hatten keine andere Wahl. Und         nicht-stationären Handel eng zu verzahnen – in
           haben da­her auch ihren Händlern keine andere           allen Dimensionen: Warenpräsentation, Bestellung,
           Wahl gelassen: Entweder sie akzeptieren die Web-        Abholung/Lieferung, Kundeninteraktion.
           shop-Klausel oder ihre Verträge werden gekündigt.“
                                                                   Think direct, act digital!
           Das Gleiche hat in den letzten drei Jahren in der       Was bedeutet dies also konkret für den Möbelhan-
           Automobilbran­che stattgefunden. Mercedes Benz          del? Capge­mini, die lkea global beraten, sprechen
           hat mir am Ende einer per­fekten, personalisierten      in ihrer Studie „Möbel­handel 2.0“ von „Smart Digital
           Direktmarketingkampagne für das neue Elektro-           Furniture Shops“ und malen eine ,,beispielhafte
           SUV EQC per E-Mail angeboten, dieses direkt             Customer Journey“ mit 29 – überwiegend digita­
           und über­führungskostenfrei von Mercedes Benz           len – Schritten auf. Das „Beratersprech“ und die
                                                                   futuristischen Beschreibungen des Möbelabsatzes
                                                                   an Digital Natives treffen sich nicht unbedingt mit
                                                                   meinen Erfahrungen einer Branche, die europaweit
                                                                   von Eigentümerfamilien geprägt wird – sowohl in
                                                                   Bezug auf Möbelhersteller als auch in Bezug auf
                                                                   Möbelhändler.

                                                                   Die Möbelmarken stehen vor der Herausforderung,
                                                                   ein Direkt­absatzkonzept überhaupt aufzubauen. Die
                                                                   Hersteller müssen schnellstmöglich den Wett-
                                                                   bewerbsnachteil bei der Digitalisie­rung überwinden,
                                                                   der daraus resultiert, dass der Absatz über den zwi-
                                                                   schengeschalteten Handel und nicht wie bei lkea
                                                                   über eigene Möbelhäuser erfolgt. Hierfür müssen
                                                                   sie eine in die be­stehende Software-Landschaft
                                                                   der Händler (z. B. Carat) inte­grierte Plattform zur
                                                                   Auftragsabwicklung zur Verfügung stellen, sodass
                                                                   ein direkter Endkundenkontakt für die Hersteller
           (Corporate) zu bestel­len. Der Mercedes-Benz-Händ-      möglich wird. Dies im Handel durchzusetzen,
           ler in meiner Region wurde nicht einmal erwähnt. Er     erfordert den Mut, sich – genau wie ehemals Hugo
           kam lediglich ins Spiel, als es um eine Probe­fahrt     Boss – notfalls von aktuellen Verkaufs­wegen zu
           ging. Die Corporate-EQC-Karawane hielt für ein          lösen und parallel neue Absatzwege aufzubauen.
           Wochen­ende auch bei ihm, und ich war aufgrund
           meines Interesses von Corporate für eine Probe-         Der direkte Endkundenkontakt kann dann vom
           fahrt eingetragen gewesen. Eigene Fahrzeuge für         Hersteller für Kundenbindung, Verkaufsimpulse
           Probefahrten hatte der Händler nicht – zumindest        (trigger-based Marketing) und Direktvertrieb
           zu diesem Zeitpunkt noch nicht.                         genutzt werden. Direktvertrieb bedeutet dabei ja
                                                                   nicht, dass nur noch Flat-Pack-Produkte vertrieben
           Genauso wird es auch im Möbelhandel laufen.             werden. Ganz im Gegenteil: An den Auslieferungs-
           lkea geht vor – und zwar (mittlerweile) mit Sieben-     abläufen muss sich ja gar nichts ändern. Auch dies
           meilenstiefeln – und der Rest muss folgen. Grow         ist eine Möglichkeit, wie der Fach­handel zukünftig
           digitally or go! lkea hat einen Online­shop, der fast   Geld verdienen kann. Der Kauf erfolgt online beim
           das gesamte stationäre Sortiment (teilweise auch        Hersteller, aber Auslieferung und Aufbau erfolgen

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wie heute über die großen Möbelhäuser oder den         Händler, z. B. für eigene Handelsware des Händlers.
           Fachhändler in der Region. Die Direktbestellung        Entscheidend ist, dass ein Umden­ken im Ge-
           vom Kunden beim Hersteller kann aber auch bei der      schäftsmodell stattfindet: Das Möbelhaus verkauft
           Vermeidung von Bestellfehlern helfen und reduziert     keine Hülsta-Möbel mehr, sondern es präsentiert
           teure Retouren. Zusätzlich – und das ist ja, worum     sie. Verkauft wird eigene Handelsware, die die Mar-
           es geht – haben die Hersteller eben auch die Mög-      kenpräsentation ergänzt (​ z. B. Dekoration, Decken,
           lichkeit zum Direktabsatz und können ihr Sortiment     Teppiche) oder Produktgruppen, die nur geringfügig
           entsprechend auswei­ten: das Produktprogramm           markengebunden sind (z. B. Gartenmöbel, Sau­na).
           ergänzende Flat-Pack-Möbel, wie etwa ein Wand-         Die Sortimentspolitik muss also grundlegend neu
           regal, oder Accessoires, wie z. B. Kunstpflanzen,      gedacht werden.
           Dekoration, Kochtöpfe mit Hersteller-Signet etc.

           Stationär ist tot – es lebe die Erlebniswelt
           Segmüller, Zurbrüggen, Dodenhof & Co. stehen
           hingegen an­gesichts der kommenden Direktabsatz-
           konzepte der Hersteller vor der Herausforderung
           – genau wie derzeit der Automobilhan­del -, ihre
           Geschäftsmodelle grundlegend neu überdenken
           zu müssen. Der Handel hat in den letzten zwei
           Jahrzehnten – zu­mindest die großen, regional stark
           aufgestellten Möbelhäuser – ohnehin schon den
           Wandel zur Erlebniswelt mit Weihnachts­markt,
           Schlittschuhlaufen etc. sowie einer starken Webprä­
           senz mit Direktmarketingansätzen vollzogen. Das
           ist gut, aber die Geschäftsmodelle konzentrieren
           sich immer noch auf den Möbelverkauf. Der Handel
           wird jedoch zunehmend eine Be­ratungs- und Ver-
           marktungsfunktion für die Hersteller über­nehmen
           müssen. D. h., dass Dienstleistungen rund um das
           Möbelerlebnis mit gleicher Gewichtung wie der Ver-     Neben dem Mut zur Veränderung brauchen Herstel-
           kauf in die Geschäftsmodelle einfließen müssen.        ler und Händ­ler vor allem auch den Mut, sofort zu
           Ob Möbelpräsentation in Kojen, Shop-in-Shop-           starten. Der Wandel geht rasend schnell und wurde
           Markenbereiche, Themenwelten (wie z.B. zu dem          in anderen Branchen innerhalb von zwei bis drei
           aktuellen Megatrend des Zusammenwachsens               Jahren abgeschlossen. Wer also gestalten möchte,
           von Bad- und Wellness-Bereich) oder Kundenbin-         um nicht abgehängt zu werden, muss unverzüglich
           dungsevents wie Kochkurse, Möbel-Restaurations-        starten. Die gute Nachricht ist: Es braucht keine
           workshops oder Event-Gast­ronomie: Dem Handel          Investitionen in Millionenhö­he in Beratung für ein
           kommt beim Erlebnis von Einrichtungs­trends und        neues Geschäftsmodell und in Software. Die
           Möbeln bei der Beratung und der Kundenbindung          Möbelbranche muss das Rad ja nicht neu erfinden.
           eine wichtige Funktion zu, die von den Herstellern     Die Ge­schäftsmodelle und das Vorgehen kann man
           incentiviert werden muss. Das Möbelhaus oder der       sich von anderen Branchen abschauen. Als erster
           Küchenfachhändler richtet das Kochevent dann           Schritt müssen die Hersteller sicherlich ihre
           halt nicht mehr selbst (auf eigener Kostenbasis)       Vertragsgrundlagen mit dem Handel klären und
           für seine Kunden aus, sondern richtet drei oder vier   erneuern. Darüber hinaus gilt es für die Händler,
           herstellerspezifische Kochevents als Dienstleistung    einen vollum­fänglichen Onlineshop aufzubauen,
           für die von den Herstellern eingeladenen Kunden        eine Schnittstelle bzw. Platt­form zur Bestellsoft-
           aus – mit entsprechen­den Stundensätzen.               ware des (Fach-)Handels einzuführen, eine eigene
                                                                  Data-Plattform zu entwickeln und letztendlich ein
           Neben der Kundenbindung für den Direkt­absatz-         au­tomatisiertes Direktmarketing zu betreiben.
           Küchenhersteller entsteht dadurch trotzdem ja          Hierzu können die Hersteller auf diverse Webshop-
           auch ein potenzieller Neukundenkontakt für den         und Marketingautomationssys­teme zurückgreifen,

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die einfach von heute auf morgen genutzt werden        In Bezug auf den Auf­bau eines personalisierten
           können und deren Kosten eher im unteren                Direktmarketings kann dann zudem klein angefan-
           sechsstel­ligen Jahresaufwand liegen. Letztendlich     gen werden und dieses dann – bei zunehmendem
           verbleiben somit nur ein paar Anpassungen in           Direktabsatz – immer weiter ausgebaut werden.
           Bezug auf die Händleranbindung und den Aufbau          Für zwei bis drei Tausend Euro pro Monat kommt
           einer eigenen Data-Plattform. Das ist sicherlich ein   man schon ein Stück weit, d. h. man bekommt ein
           unterer bis mittlerer sechsstelliger Einmaiaufwand     paar Kampagnen aufgesetzt und ausgespielt. Wenn
           und vielleicht ein fünfstelliger Jahresbetriebsauf-    das läuft, kann man tiefer in die Datenanalyse und
           wand. Demgegenüber steht eine abnehmende               die Per­sona-Bildung eintauchen und auch lang-
           Händlermarge und eine Umstrukturierung der             fristig angelegte Kunden­bindungskampagnen
           Marketing- und Vertriebsbudgets.                       aufsetzen.

           Autor: Ralf Schmid-Gundram | Key-Work Consulting GmbH | aus „INSIDE“ Magazin (Nr. 1102/04.12.2020)

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Digitalisierung in der Möbelbranche. Der Handel als Berater.                         Key-Work Consulting GmbH | Januar 2021   Seite 5
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