DISCUSSION PAPER - Das Progressive Zentrum
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DISCUSSION PAPER Februar 2018 von Fedor Ruhose Hundert-Tage-Update: Handlungsempfehlungen für den Umgang mit der AfD im Bundestag Mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) ist erstmals eine klar rechtspopulistische bis völkisch-rechtsextreme Fraktion im Bundestag vertreten. Dies stellt andere Fraktionen und Abgeordnete vor neue Herausforderungen im parlamentarischen Alltag. Nach 100 Tagen AfD im Bundestag und Präsenz in fast allen Landtagen zeichnen sich jedoch Verhaltensmuster ab, die eine kluge Reaktion und Konterchancen ermöglichen. Dieses Papier liefert daher 15 Hand- lungsempfehlungen für den Umgang mit der AfD im Bundestag. Einleitung Die Alternative für Deutschland (AfD) ist als dritt- Das sich stetig wandelnde Auftreten der AfD, die kal- stärkste Kraft in den Bundestag eingezogen. Damit kulierte Provokation ihres Personals und die regel- gibt es im Bundestag erstmals seit der Gründung der mäßige Selbstdarstellung als Opfer der „Altparteien“ Bundesrepublik eine rechtspopulistische Fraktion, erschweren eine Auseinandersetzung im Rahmen der deren Mitglieder und Anhänger zu einem beträcht- bisher praktizierten politischen Mechanismen. Nicht lichen Anteil aus Rechtsextremisten bestehen. Das zu unterschätzen ist auch die Unterstützung in den hohe Wahlergebnis von 12,6 % und die damit einher- sozialen Netzwerken sowie die Verunsicherung bei gehende Legitimation durch Wählerinnen und Wähler den etablierten Medien hinsichtlich des Umgangs mit bringen der AfD neben der bereits großen öffentlichen diesem relativ neuen politischen Akteur. Dies hatte Aufmerksamkeit nun auch finanzielle und personelle der AfD schon bis zur Wahl überproportionale Sicht- Ressourcen. Hundert Tage AfD-Bundestagsfraktion er- barkeit beschert. Jetzt ist die Bühne des Deutschen möglichen es, die erste Version dieses Papiers um Be- Bundestags hinzugekommen. obachtungen aus dem Bundesparlament zu ergänzen.
DISCUSSION PAPER Der Wahlerfolg der AfD speist aus verschiedenen Quellen: einem Gefühl der Verunsicherung in vielen Bevölkerungsteilen, dem Bedürfnis nach Protestwahl Inside AfD: Parteiflügel und und aus der Mobilisierung von Konservativen und Parteieinflüsse Rechten, die früher ihre Heimat in der Union und in Parteien rechts von ihr fanden. Die AfD fährt dafür zweigleisig: Sie ist Ventil für die über Jahre aufgestau- Die AfD hat sich seit der Bundestagswahl verändert. te Frustration zahlreicher Bürgerinnen und Bürger und Nicht immer freiwillig, auf jeden Fall nicht geplant. Der gleichzeitig Katalysator für fremdenfeindliche Res- neue Vorsitzende und Fraktionschef, Alexander Gau- sentiments: dies erklärt auch die Wählerwanderung land, bezeichnet seine Partei daher zu Recht als „gäri- (eine Millionen Stimmen von der Union, 500.000 von gen Haufen“. Die Versuche der ehemaligen Parteivor- der SPD und 400.000 von den Linken) sowie die große sitzenden, Frauke Petry, eine neue Partei zu gründen, Mobilisierung von Nichtwählern. sind bislang noch nicht erfolgreich. Zudem führte der Parteitag in Hannover Anfang Dezember 2017 nicht zu Die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und einem Aufbruchssignal nach der Bundestagswahl. Des- Fremdenhass ist nun im Plenarsaal angekommen. Die wegen geraten interne Konflikte nun deutlicher an die Sitzungen der ersten hundert Tage dieser Wahlperio- Öffentlichkeit – die Partei setzt sich selbst unter Druck. de zeigen: Parteien, Abgeordnete und Medienvertreter Unter anderem deshalb wird die AfD-Fraktion im März haben bereits erste Erfahrungen mit der AfD sammeln 2018 einen großen Teil ihrer Klausurtagung mit Hilfe ei- müssen. Daraus müssen jetzt Haltungen und ein Um- nes Mediators bewältigen müssen. gang mit der AfD im praktischen parlamentarischen Alltag entwickelt werden, die gewährleisten, dass die „Weidel und Gauland stehen daher mit Partei bei der nächsten Bundestagswahl nicht noch ihrer Rhetorik für eine stärkere Rechtsori- stärker abschneidet oder, idealerweise, es nicht er- neut ins Parlament schafft. Es geht aber auch darum, entierung der AfD.” dass progressive Fraktionen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen. Sie müssen ihre parlamenta- rische Arbeit unabhängig von der AfD strukturieren. Die neugewählte AfD-Fraktion im Bundestag besteht Diese Aufgabe ist an sich nicht einfach, wird aber aus mehreren Flügeln, die unterschiedliches Gewicht noch schwieriger, wenn die AfD durch die Bildung ei- in der neuen Organisation besitzen: Ein großer Teil ner erneuten Großen Koalition größte Oppositions- der Abgeordneten repräsentiert die konservative CDU fraktion wird. Daraus leiten sich nach parlamentari- der 80er Jahre, während der so genannte „Flügel“ als schem Brauch nämlich über die im Grundgesetz und Sammelbecken rechtsextremer Kräfte fungiert. Letz- der Bundestagsgeschäftsordnung hinausgehende terer hat durch den Hannoveraner Parteitag nach der Rechte ab, wie zum Beispiel der Vorsitz des wichtigen Bundestagswahl noch einmal Aufwind gewonnen und Haushaltsausschusses. macht schätzungsweise ein Drittel der Parteimitglieder aus. Die dritte und mittlerweile schwächste Strömung Um der AfD mit Haltung zu begegnen und ihr nicht in der Partei sind wirtschaftsliberale Anhänger von ungewollt in die Hände zu spielen, sollten Fraktionen Parteigründer Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel (der und Abgeordnete die neue Herausforderung mit Be- inzwischen ebenfalls ausgetreten ist). Dieser Flügel, dacht und Umsicht angehen. Dabei können sie auf Er- wird eigentlich von der Spitzenkandidatin Alice Weidel fahrungen aus den Landesparlamenten aufbauen, die repräsentiert und hat in der Parteibasis noch Rückhalt. sich bereits seit 2014 täglich mit der AfD konfrontiert Trotz der vergleichsweise gemäßigten Einstellung hat sehen. Weidel im Bundestagswahlkampf in geschickter Ar- beitsteilung mit dem zweiten Spitzenkandidaten Gau- land gezielt an einer Verschärfung des Tones der AfD mitgewirkt. Weidel und Gauland stehen daher mit ihrer Rhetorik für eine stärkere Rechtsorientierung der AfD www.progressives-zentrum.org 2
DISCUSSION PAPER In den neuen Bundesländern, wie z.B. in Sachsen-An- 1. Die AfD betreibt Dauerwahlkampf im Parlament. halt, gibt es durchaus Kräfte, die eine auf soziale The- men fokussierte Agenda befürworten. Diese Gruppe Die AfD-Bundestagsfraktion versucht in den Parla- der AfD, die linke Sozialpolitik und Wirtschaftsnatio- mentssitzung moderat aufzutreten. Sie folgt damit nalismus präferiert, ist aber noch keine eigenständige dem Gaulandschen Credo, dass man im Parlament an- Kraft innerhalb der AfD. Ihre Bundestagswahlkampag- ders reden muss als auf dem Marktplatz. Doch trotz ne basierte daher vor allem auf den bekannten Themen dieser Camouflage hat sich auch im Bundestag gezeigt: des neuen Markenkerns der Partei: Flüchtlinge, Einwan- Die gezielte Konfrontation ist das Kerngeschäft der AfD. derung, Islam, Familie, deutsche Kultur, Entfremdung Sitzungen werden dazu genutzt, Öffentlichkeitsarbeit und Kritik an linker Ideologie. in den sozialen Medien mit Gesprächsstoff und Eska- lationspotenzial anzureichern. In den Fachausschüssen Die 14 Landtagsfraktionen der AfD werden von außer- der Landesparlamente, die entweder unter Ausschluss parlamentarischen Kräften und Strömungen, beson- der Öffentlichkeit oder mit sehr geringer medialer Be- ders aus dem Kontext der „Neuen Rechten“, beeinflusst. achtung tagen, halten sich AfD-Abgeordnete hingegen Dies gilt nach aktuellen Umfragewerten bald auch für meist zurück oder bleiben den Sitzungen vollständig Bayern und Hessen, wo dieses Jahr Landtagswahlen an- fern. Zudem zeigen einige Abgeordnete offenes Desin- stehen. Die AfD wird Ende 2018 voraussichtlich in allen teresse an der fachlichen Arbeit des Parlaments. Bundesländern vertreten sein. „Doch trotz dieser Camouflage hat sich Die Denkfabriken der „Neuen Rechten“ fördern die auch im Bundestag gezeigt: Übernahme bekannter ideologischer Bausteine von der Die gezielte Konfrontation ist das Kern- „Umvolkung“ oder dem „Souveränitätsverlust“. Zudem drängen die Anhänger über die sozialen Medien auf ein geschäft der AfD.” radikales Auftreten der AfD in der politischen Ausein- andersetzung. Ein ähnlicher Einfluss auf die Bundes- Auch auf Bundesebene ist diese „Arbeitsteilung“ der tagsfraktion ist zu erwarten. AfD-Fraktion bereits zu beobachten. In den Gremien des Bundestags wird nicht mitgearbeitet. So wurde „Die AfD wird Ende 2018 voraussichtlich in dort beispielsweise keine Kritik gegen die Diätenanpas- allen Bundesländern vertreten sein.” sung geäußert oder eine Alternative vorgeschlagen. Die Kritik erfolgt dann in der öffentlichen Debatte und den sozialen Medien – inklusive scharfer Polemisierung. Eine angebliche Arbeitsverweigerung des Parlaments mittels nächtlichen „Hammelsprung“ offenzulegen, gehört ebenfalls dazu. Die AfD zog dieses Instrument Hundert Tage AfD-Fraktion: als „Revanche“, wie sich Gauland ausdrückte, für die Nicht-Wahl eines AfD-Kandidaten. Das Hauptinteresse Radikalisierung und scheint eher dem „Facebook-Sharepic“ hinterher, als der politischen Mitgestaltung während der Parlaments- Provokation debatte zu gelten. Auch eigene Fehler versucht sie zu instrumentalisieren. So trug die AfD die Resolution Die AfD nutzt ein Parlament anders als etablierte Kräf- aller Fraktionen zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrags te. Das lässt sich seit 2014 anschaulich in der politi- offiziell deswegen nicht mit, weil die Fraktion angeb- schen Arbeit der Landtage beobachten. Auch die Zeit lich nicht mit einbezogen geworden wäre. Tatsächlich seit der Konstituierung des Bundestags zeigt dies in war es wesentlich profaner: die entsprechenden Ände- Grundzügen: rungswünsche wurden von der AfD-Fraktion nicht ein- gebracht. www.progressives-zentrum.org 3
DISCUSSION PAPER 2. Die AfD forciert ihren Markenkern. Abgeordnetenbüros in den Wahlkreisen unterhalten und nur wenige Veranstaltungen der Zivilgesellschaft Bei parlamentarischen Initiativen in den Landtagen besuchen. Diese Beobachtung trifft allerdings vor allem setzt die AfD auf Themen ihres Markenkerns: die Zu- auf die westlichen Bundesländer zu. In den östlichen wanderungs- und Asylpolitik. Auch wenn andere Abge- Bundesländern wird die AfD zunehmend in der Fläche ordnete davon unabhängige Themen setzen, wie etwa sichtbar, weil immer mehr Landtags- und Bundestags- Initiativen in der Familien- oder Wohnungsbaupolitik, abgeordneten Bürgerbüros eröffnen. verbindet die AfD diese durchweg mit Fragen der Ein- wanderung und Asylpolitik. Die Ankündigung der AfD, 5. Die AfD fokussiert sich auf alternative unmittelbar nach der Konstituierung des Bundestags Kommunikationswege. einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspoli- tik Angela Merkels einrichten zu wollen, zeugt davon, Soziale Medien, AfD-TV, Blogs/Nachrichtenportale, dass sie diesen Kurs der starken Themenfokussierung WhatsApp-Gruppen – die AfD bedient zahlreiche Kom- auch auf Bundesebene fortsetzt. Ein Beispiel dafür ist munikationskanäle jenseits der traditionellen Medien. der jüngste Bundestagsantrag der AfD zur Abschaffung Jüngstes „Instrument der Gegenmacht“, wie es die AfD des Familiennachzugs für eingeschränkt schutzbe- in ihrem Strategiepapier bezeichnet hat, ist die Einrich- rechtigte Flüchtlinge. Bei der Debatte des Bundestages tung eines eigenen Fernsehstudios der Partei und einer über steigenden Antisemitismus in Deutschland bezog regelmäßigen eigenen Berichterstattung aus dem Bun- die AfD-Rednerin dies vor allem auf steigende islami- destag. All das erzeugt eine beachtliche Reichweite. sche Einwanderung. 3. Die AfD pflegt ihre Oppositionsrolle. Die Fraktionen in den Landtagen nutzen klassische Op- Zwischenfazit positionsinstrumente wie Kleine Anfragen oder Frage- stunden an die Regierung sehr intensiv. Damit stärkt Vieles deutet darauf hin, dass die AfD im Bundestag die AfD ihre Selbstwahrnehmung als politische Kraft, nicht zu einer „normalen Partei” werden wird. Auch die angebliche Missstände „aufdeckt“ oder „entlarvt“. die mutmaßliche Strategie der Fraktionsführung, kann nicht davon ablenken, dass sich die Abgeordne- 4. Die AfD sieht sich als „Anwalt der Bürgerinnen ten in den Sitzungen des Bundestags nicht gesittet und Bürger“. verhalten. Die AfD ist sehr bemüht, eine Grenze zwischen sich „Vieles deutet darauf hin, dass die AfD im und anderen Parteien zu ziehen und positioniert sich Bundestag nicht zu einer ,normalen Par- mit ihren Fraktionen als vermeintlich einzige „Stimme der Bürger“. Zu ihren gängigen Behauptungen zählt, tei‘ werden wird.” dass nur in der AfD „normale“ Bürger Politik mach- ten, während andere Parteien primär aus Berufspoliti- Diejenigen Analysten, die von einer Normalisierung kern bestünden. Zudem ruft die AfD stets nach mehr ausgehen, verkennen, dass die AfD aufgrund ihrer Bürgerbeteiligung und forderte daher im Wahlkampf derzeitigen Struktur und ihrer Basis nur schwerlich auch Volksbefragungen auf Bundesebene. Nicht nur gemäßigter werden kann. Die AfD kann schlicht nicht aufgrund der Problematik geeignete Räume zu erhal- „normal“ werden im Sinne einer Angleichung an be- ten, setzt sie auf eigene kleinteilige Regionalveranstal- stehende Parteien. Wohl aber wird sie durch die Zu- tungen und unterstützt systematisch Demonstrati- gänge und die Ressourcen, die sie nun erhält, zuneh- onen von Wutbürgern im gesamten Bundesgebiet. In mend professioneller. hartem Kontrast zum Anspruch der Bürgernähe steht allerdings, dass AfD-Fraktionsmitglieder oftmals keine www.progressives-zentrum.org 4
DISCUSSION PAPER Vormals als gemäßigt geltende Politiker wie Georg um der AfD zu begegnen. Dies ist zum einen der Fall, Pazderski (mit seinem Tweet über angebliche krimi- weil diese Ansätze praktisch nur innerhalb der politi- nelle Ausländer bei G20-Auseinandersetzung) oder schen Blase wahrgenommen werden; zum anderen Uwe Junge (mit seiner zunehmend extremer wer- sind solche Mittel schlicht der demokratischen Debat- denden Wortwahl und der Bezeichnung der AfD als te unwürdig. Progressive Kräfte müssen vermeiden, der „militärische Miliz“) haben den Ton nach dem Han- AfD durch den Griff zu Verfahrenstricks die Gelegenhei- noveraner Parteitag entsprechend nach rechts „ange- ten zu geben, sich als verfolgte Opfer zu präsentieren. passt“. Es wird aufgrund der hier beschriebenen Logik Die formale Beteiligung der AfD am Parlamentarismus zunächst eine zunehmende (Eigen)Radikalisierung darf nicht verhindert werden! seitens der AfD zu erwarten sein. „Progressive Kräfte müssen vermeiden, der AfD durch den Griff zu Verfahren- stricks die Gelegenheiten zu geben, sich Strategie-Baukasten: als verfolgte Opfer zu präsentieren.” Handlungsempfehlungen zum Eines der besten Mittel gegen den Rechtspopulismus Umgang mit der AfD der AfD ist es, sie ihre Parolen erklären zu lassen. Gute Beispiele zeigen, dass wenn man Rechtspopulisten Es gibt gegen die AfD keine „One size fits all”-Strategie. zwingt, ihre Parolen zu erläutern, sie ihre Widersprüche Generell gilt, dass Progressive immer im Kontext der selbst offen legen. politischen Situationen, der handelnden Personen und der Strategie des Gegenübers (also der AfD) handeln 2. Setzt starke Akzente gegen den AfD-Debattenton! müssen. Dabei geht es vor allem darum, politisch selbst zu agieren statt lediglich zu reagieren. Betrachtet man Der bisherige Debattenstil im Bundestag hat sich be- die Arbeitsweise der AfD, ergeben sich verschiedene reits geändert. Schon Alexander Gaulands erste Äuße- Handlungsansätze, die Fraktionen, Parteien und Medi- rungen nach der Wahl („Wir werden Merkel jagen“) zei- en helfen können, der AfD mit Haltung zu begegnen, gen, dass der Ton rauer wird. Es geht in vielen Debatten ohne unfreiwillig ihre Strategie zu unterstützen. Die nicht mehr um die Frage des besseren Arguments. Dies Handlungsansätze können fortwährend im parlamen- zeigte sich beispielsweise in der Debatte um den AfD- tarischen Alltag angewandt werden. Antrag zur Verschärfung der Flüchtlingspolitik. Der Fraktionsvorsitzende sprach davon, dass Menschen „il- „Betrachtet man die Arbeitsweise der legal sein (können)“. Angesichts der oben attestierten weiteren Eigenradikalisierung liegt hier eine besondere AfD, ergeben sich verschiedene Hand- Aufgabe für die progressiven Kräfte im Parlament. lungsansätze, die Fraktionen, Parteien und Medien helfen können, der AfD mit Zwischenrufe, Ordnungsrufe, Proteste gegen die Sit- Haltung zu begegnen, ohne unfreiwillig zungsführung sowie Sondersitzungen des Ältestenrats ihre Strategie zu unterstützen.” werden zunehmen. All das hat in den Bundesländern schon stattgefunden. Fraktionen, deren Mitglieder in der bisherigen politischen Normalität Deutschlands 1. Führt die Auseinandersetzung scharf – groß geworden sind, müssen deshalb umdenken. Zu- aber ohne Tricks! dem ist zu erwarten, dass die AfD-Bundestagsfraktion – analog zu ihren Landeskollegen – ihre neuen parla- Die AfD sollte nicht mit parlamentarischen Geschäfts- mentarischen Ressourcen dafür einsetzen wird, In- ordnungstricks diskriminiert werden. Auch das Ändern formationen einzuholen, um Politik und Verwaltung parlamentarischer Gepflogenheiten, z.B. bei der Aus- auch im Detail zu kritisieren. Darauf müssen andere wahl von Alterspräsidenten, ist kein adäquates Mittel, Parteien auf zweierlei Art reagieren: Erstens müssen sie www.progressives-zentrum.org 5
DISCUSSION PAPER inhaltlich und kommunikativ auf Angriffe vorbereitet abgewogen erfolgen, besonders was ihren Zeitpunkt sein. Und zweitens sollten sie ihre Energie darauf rich- angeht. Andere Fraktionen sollten Rechtspopulisten ten, eigene Debattenakzente zu setzen, statt sich dem vielmehr im Parlament inhaltlich stellen und dort ver- Framing der AfD zu unterwerfen. suchen, die Kommunikationsmuster der AfD aufzude- cken. 3. Verwehrt nicht die Wahl von AfD-Kandidaten! „Im politischen Alltag sollten nicht alle In den Ländern ist es vorgekommen, dass die etablier- ten Fraktionen die Wahl von AfD-Kandidaten in Gre- Pressemitteilungen der AfD und ihre mienposten verhindert haben, die der Fraktion formell kommunikativen Vorstöße kommentiert zugestanden hätten, wie z.B. als Mitglied der PKK/ werden.” G10-Kommissionen oder als Mitglieder des Landtags- präsidiums. Dieses Vorgehen hat den Opfermythos der AfD gestärkt und damit ihre Möglichkeiten zum eige- Gauland und seine Gesinnungsgenossen versuchen, nen Framing der politischen Debatte verbessert. Allein völkischen Nationalismus und ethnische Homogenität deshalb dürfen parlamentarische Gepflogenheiten wieder zu Leitbildern unserer Gesellschaft zu machen. nicht den Rechtspopulisten geopfert werden, zumal Sie hängen dem „Phantasma eines ethnisch-kulturell die AfD sich bewusst dann außerhalb des parlamen- homogenen Deutschlands“ (Melanie Amann) an und tarischen Konsenses stellt, wenn ihr dies nutzt. Das weben diese Haltung kontinuierlich in thematische bedeutet aber nicht, dass es keine Grenzen gäbe oder Debatten ein. Das kann auch in der Pressearbeit unauf- dass jegliche KandidatInnen der AfD für andere Frak- geregt entlarvt werden. Es sollte außerdem nicht auf tionen wählbar wären. Wo aber die Grenze im Einzel- jede noch so abseitige Meinung mit moralischer Em- fall zu ziehen ist, muss sorgfältig erwogen werden. Die pörung reagiert werden. Einladung der FDP-Fraktion an Albrecht Glaser, sich in ihrer Sitzung vorzustellen, war ebenso richtig wie das 5. Betreibt kein Agenda Cutting! Schreiben der SPD-Fraktion an den AfD-Kandidaten für den Posten des Vize-Bundestagspräsidentens, in dem Nur weil Integrationsdefizite angesprochen oder Sor- die Fraktion bat, zu den von ihm getätigten Aussagen gen über Zuwanderung geäußert werden, sind nicht zum Islam und zur Religionsfreiheit Stellung zu neh- alle Wählerinnen und Wähler der AfD zwangsläufig men. Hier wurde ein Gesprächsangebot formuliert, die rechtsextrem oder fremdenfeindlich. Progressive soll- Entscheidung, dass man ihn nicht wählen kann, abge- ten sich deshalb trauen, gerade auch umstrittene The- wogen – und dann die Grenze gezogen Anders verhält men anzusprechen, in den Dialog zu treten und wie- es sich bei der Ablehnung des Kandidaten für das Par- der Alternativen zu formulieren. Man muss dabei auch lamentarische Kontrollgremium. Diese wurde nicht er- zugeben, wenn die AfD berechtigte Fragen gestellt hat klärt und war daher nicht nachvollziehbar. Es war daher – so vermeidet man Tabus, die sich die AfD zu Nutze richtig, dass man im Bundestag keinen der, durchaus machen würde. Anstatt „Agenda Cutting“ zu betrei- kritisierbaren, AfD-Kandidaten bei der Wahl der Aus- ben, müssen progressive Kräfte wieder den Kontakt zu schussvorsitzenden hat durchfallen lassen. Menschen herstellen, die nicht der gleichen Meinung sind wie sie. 4. Richtet Eure eigene Pressearbeit nicht an der AfD aus! 6. Lasst Provokationen im Parlament ins Leere laufen! Im politischen Alltag sollten nicht alle Pressemittei- Während der Parlamentsdebatte sollten progressive lungen der AfD und ihre kommunikativen Vorstöße Parlamentarier gezielte Provokationen der AfD ins Lee- kommentiert werden. Dies zu tun hieße, über jedes re laufen lassen. Dies gilt besonders dann, wenn es sich strategische Stöckchen der AfD zu springen. Mediale um Selbstinszenierungen als „Opfer“ der etablierten Reaktionen auf die Kommunikation der AfD sollten gut Parteien handelt, die meist die einzige Funktion haben, www.progressives-zentrum.org 6
DISCUSSION PAPER später auf Social Media-Kanälen als vermeintlich hel- durcheinander bringen lassen. Stattdessen sollten sie denhafter Widerstand gegen „das System“ präsentiert klarmachen: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der zu werden. In zahlreichen geschlossenen Facebook- AfD in inhaltlichen Fragen! Anträge sollten nicht durch Gruppen werden zu diesem Zweck die Timelines mit Alternativanträge aufgewertet werden und nicht jede Falschmeldungen und tendenziösen Berichten gefüllt. Initiative sollte durch Resonanz aller anderen Fraktio- Andere Fraktionen sollten diese populistische „Wei- nen im Parlament geadelt werden. Statt wie die CSU die terverwendung“ der parlamentarischen Debatte im Agenda und Denkfiguren der AfD kritiklos zu überneh- Hinterkopf behalten und abwägen, ob und wie sie auf men und sie so stark zu machen, müssen progressive Provokationen eingehen. Zur Strategie der AfD gehört Kräfte dieser Tendenz mit einer „Diskurs-Erhitzung“ auch, die Community-Regeln von Twitter oder Face- (Volker Weiß) entgegentreten, um so rechtsextreme book zu verletzen, um sich als Opfer neuer gesetzlicher Erzählungen aus der gesellschaftlichen Mitte zurück- Regelungen oder der angeblichen Meinungspolizei zu zudrängen. inszenieren. Dem muss entgegnet werden, dass Wider- spruch nicht Tabuisierung ist, sondern legitime demo- 9. Stellt die AfD in Alltagsfragen und gewährt ihr kratische Gegenrede. Dabei sollten Progressive immer keine neuen Politikfelder! auch auf ihren Ton achten. Entschieden in der Sache, aber gelassen im Ton ist die bessere Alternative. Der Bundestagswahlkampf hat es gezeigt und auch die Erfahrungen in den Landesparlamenten legen es nahe: 7. Zieht rote Linien! Die diskursive Ausgrenzung der AfD ist gescheitert. Die anderen Fraktionen müssen sich mit den Inhalten Bei allem Rat zu besonnenem Agieren muss zugleich und Personen auseinandersetzen, statt die Wählerin- sehr rasch klargemacht werden, welche Ideologien mit nen und Wähler der AfD anzufeinden. Frank Decker, Cas der AfD nun ihre bundespolitische parlamentarische Mudde und andere renommierte Populismusforscher Form gefunden haben. Die Zugehörigkeit der AfD-Mit- haben dargelegt, dass Populisten oft die durchaus rich- glieder des Deutschen Bundestags zu rechtsextremen tigen gesellschaftlichen Fragen aufwerfen. Progressive Seilschaften sollten offengelegt werden. Ebenso sollte Politik muss diese beantworten, die schlechten Ant- verhindert werden, dass Ausschussvorsitze in sensib- worten der AfD widerlegen und sich mit ihr im parla- len Politikbereichen mit Menschen besetzt werden, die mentarischen Alltag sachpolitisch auseinandersetzen. Kontakte zur organisierten Rechten hatten oder haben. Generell gilt, was Erhebungen des Allensbach-Instituts „Die diskursive Ausgrenzung der AfD ist deutlich zeigen: Politik und Gesellschaft sind heute gescheitert. Die anderen Fraktionen müs- kräftiger und demokratischer als noch vor einem Vier- teljahrhundert. Allerdings gilt auch: Nur mit klaren ro- sen sich mit den Inhalten und Personen ten Linien lassen sich die rechtsextremen Kräfte wieder auseinandersetzen, statt die Wählerinnen aus der Mitte der Gesellschaft verdrängen. und Wähler der AfD anzufeinden.” „Nur mit klaren roten Linien lassen sich die rechtsextremen Kräfte wieder aus der Progressive sind dann erfolgreich, wenn sie gute eigene Antworten geben und so die Nachfrage der Wählerin- Mitte der Gesellschaft verdrängen.” nen und Wähler nach populistischer Politik klein hal- ten. Eng damit verknüpft ist, dass man der AfD keine neuen Profilierungsfelder einräumen darf. In den Lan- 8. Keine gemeinsamen Initiativen! desparlamenten ist zu beobachten, dass die AfD genau dies anstrebt. Gezielt werden kritische regionale oder Es wird in den Bundestagsdebatten dazu kommen, Landesthemen aufgenommen und in der Plenarsitzung dass die AfD Initiativen unterstützt oder in der Diskus- genutzt, um die AfD von einer anderen Seite zu zeigen. sion applaudiert. Abgeordnete sollten sich davon nicht www.progressives-zentrum.org 7
DISCUSSION PAPER Auch die Bestrebungen der AfD durch eine kleine Ge- 11. Bietet progressive Alternativen und echte werkschaft in den Betrieben Fuß zu fassen, muss be- Differenz statt künstlicher Debatte an! obachtet werden. In der Zeit bis 2021 muss es den progressiven Kräften ge- Damit wollen die Rechtspopulisten ihren Markenkern lingen, den Fokus der politischen Auseinandersetzung ergänzen. Seid achtsam! Erledigt die Dinge und küm- wieder auf eigenes Terrain, also auf eigene Themen und mert Euch um die Anliegen der Bürgerinnen und Bür- vor allem gesellschaftliche Visionen zu verschieben. ger! Dazu gehören die deutliche Thematisierung sozialer Missstände und ihre Verbesserung. Progressive stehen, 10. Entzaubert das Demokratieverständnis der AfD! wie es Hajo Funke und Walid Nakschbandi bezeichnen, für die Raison d’être der Gesellschaft nach dem Natio- Die AfD betont ihre Bürgernähe und die Stärkung der nalsozialismus: Sie müssen in Zeiten wie diesen wieder direkten Demokratie. In Wirklichkeit hat sie basis- dafür kämpfen, dass Politik nicht Angst schürt, nicht demokratische Elemente bisher nur simuliert oder Ressentiments entfesselt und nicht innere oder äußere deren Ergebnisse nicht berücksichtigt, z.B. bei der Feinde beschwört. Progressive Politik muss wieder laut Befragung zum Wahlprogramm. Progressive müssen und deutlich werden. Sie muss der Verrohung der po- die Falschbehauptung der rechtspopulistischen und litischen Kultur durch Normalisierung teils rechtsext- rechtsextremen Akteure, sie würden „das Volk“ reprä- remer Inhalte entgegenwirken. Alle anderen Fraktionen sentieren, entlarven und sich zugleich selbstbewusst sollten sich für eine tolerante und weltoffene Gesell- für die repräsentative Demokratie stark machen. Die schaft, für soziale Sicherheit, Aufstiegschancen und Widersprüchlichkeit und Verlogenheit der AfD-Positio- eine sichere ökonomische Existenz für alle Menschen nierung zu thematisieren, ist zielführender, als die AfD einsetzen und dafür greifbare Vorschläge liefern. Damit immer nur als „Nazipartei“ zu bezeichnen. setzen sie sozialer Ungerechtigkeit und dem von vielen Menschen empfundenen Kontrollverlust etwas entge- Die etablierten Fraktionen sollten über richtige Zeit- gen und schwächen letztlich den Rechtspopulismus punkte für schwierige Entscheidungen im Politikbe- der AfD. trieb nachdenken. So ist die Entscheidung über die Diäten der Abgeordneten immer schwierig und für Für den Umgang mit der AfD bedeutet das: Anstatt Populisten immer leicht zu polemisieren. Dass die Ent- AfD-Politiker und Politikerinnen lediglich in ihrer Rolle scheidung allerdings vor Bildung einer neuen Regie- als Populisten anzugreifen, müssen sie im parlamenta- rung, ja sogar in einer Zeit schwieriger Sondierungen rischen Alltag in der Sache gestellt werden. Zudem dür- getroffen wird, trägt nicht zur Stärkung des Vertrauens fen progressive Kräfte nicht selbst populistisch agieren, in die repräsentative Demokratie bei. sondern müssen deutlich machen, dass autoritäre Vor- schläge und Politikmodelle keine wirklichen Lösungen Wie sehr die AfD selbst auf dem Weg ist, die Vorteile bieten. Progressive Kräfte müssen wieder Alternativen des bestehenden politischen System für sich zu nut- für unsere Gesellschaft entwickeln und entschlossen zen, muss viel stärker in den Mittelpunkt politischer für eine andere, solidarische Gesellschaft eintreten. Kommunikation progressiver Fraktionen rücken. Denn durch ihr eigenes Handeln schädigt sich die AfD und ihr 12. Zeigt mehr Präsenz! Selbstbild, nach dem sie anders sei als die Anderen. So zeigt sich, dass sie mutmaßlich maßlos Steuergeld für Die AfD-Bundestagsfraktion hat in den ersten Sit- die Verpflegung ihrer Bundestagsfraktionsmitglieder zungen eine enorme Präsenz an den Tag gelegt. Dies ausgibt. Seltsam ist auch das Verständnis von inner- wird sie zwar schwer durchhalten können, wenn der parteilicher Demokratie einiger Landesvorsitzender in Bundestag nach einer Regierungsbildung seine Arbeit der Männerpartei AfD, wie die bitteren Abrechnungen wirklich aufnimmt. Wenn der Abgeordnete Pohl die der ehemaligen stellvertretenden Landesvorsitzenden leeren Bänke der anderen Bundestagsfraktionen foto- in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz über grafiert, führt er diese vor und suggeriert, nur die AfD ihre Partei gezeigt haben. www.progressives-zentrum.org 8
DISCUSSION PAPER würde „für das Volk“ arbeiten. Auch wenn diese Akti- eigene Social Media-Community muss in größerem on nach hinten losging, da er das Foto vor Beginn der Maße als bislang aktiviert werden – als Gegenentwurf Sitzung veröffentlichte, zeigt sich hier die Strategie der zu den Personen, die bei der AfD besonders aktiv sind. AfD. Sie sieht das Plenum als Hauptaktionsfeld und Die Erfahrungen mit den Social Bots der AfD aus dem negiert, dass Deutschland ein Arbeitsparlament hat, Bundestagswahlkampf zeigen, dass hier eine ernste dessen Ausschüsse oftmals gleichzeitig zu Plenarsit- Gefahr für den demokratischen Austausch im Internet zungen stattfinden. besteht. Die Parteien sollten ihre Kommunikationsan- strengungen im Internet nach den nun durchgeführten „Präsenz vor Ort ist für die etablierten Bundestagskampagnen keineswegs reduzieren, son- dern stärken. Parteien und ihre Fraktionen ein wesent- licher Bestandteil im Umgang mit dem 14. Beobachtet rechte Netzwerke genau! Rechtspopulismus.“ Derzeit professionalisiert sich die AfD-Fraktion insbe- Präsenz vor Ort ist für die etablierten Parteien und ihre sondere durch den Wechsel erfahrener Mitarbeiterin- Fraktionen ein wesentlicher Bestandteil im Umgang nen und Mitarbeiter aus der Bundestagsverwaltung mit dem Rechtspopulismus. Damit das Vertrauen der oder anderer Fraktionen. Diese Ebene zu beobachten Bevölkerung durch Präsenz zurückgewonnen werden ist genauso wichtig, wie die Abgeordneten. Das rechte kann, muss über andere Formen der Wahlkreisarbeit Netzwerk wird auch hier mittels wissenschaftlicher Re- nachgedacht werden. Angelehnt an der Quartiersar- ferentinnen und Referenten versuchen, neue Zugänge beit sollten dort neue Initiativen ausprobiert werden, in den Bundestag zu erlangen. Deswegen: Beobachtet wo politische und gesellschaftliche Beteiligung nied- das gesamte rechte Umfeld. rig und die sozioökonomischen Strukturen schwach sind. Progressive Abgeordnete und Fraktionen sollten „Das rechte Netzwerk wird auch mittels ihre lokalen Büros als physische Zeichen gegen die wissenschaftlicher Referentinnen und Re- gefühlte Repräsentationslücke begreifen. Wenn sich ferenten versuchen, neue Zugänge in den Bundestagsabgeordnete und ihre Büros wieder als Andockstelle für zivilgesellschaftliches Engagement Bundestag zu erlangen.” verstehen und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort in gesellschaftliches Zusammenleben einbinden, kann verlorenes Vertrauen durch konkrete Aktion zurückge- 15. Treibt die europäische Vernetzung voran! wonnen werden. Dafür müssen Abgeordnete aber erst einmal wieder in den betroffenen Regionen vertreten Viele europäische Länder haben bereits Erfahrungen sein. Die teilweise erschütternden Wahlergebnisse und mit populistischen Parteien im Parlament gemacht. die niedrige Zahl von Parteimitgliedern in diesen Regi- Darum sollte Deutschland den europäischen onen zeigen, wie schwer dieser Weg sein wird. Deswe- Austausch suchen, in neuen Formaten Erfahrungen gen bedarf es neuer Bündnisse und auch Änderungen austauschen und Kooperationen vertiefen. Auch das der Parteistrukturen, um diese Aufgabe zu bewältigen. trägt zur Zurückdrängung rechter Kräfte bei, die sich wiederum selbst international vernetzen. Progressive 13. Seid selbstbewusst im Netz! sollten ihre bestehenden Formen der Vernetzung und wissenschaftlichen Beratung stärken und sich Auf die Stärke der AfD in den sozialen Medien muss bemühen, in ihre Debatten breite soziale Milieus eine Antwort gefunden werden. Die etablierten Partei- einzuschließen. Ebenso sollte das Lernen aus der en haben diese lange Zeit nicht ernst genug genom- Landespolitik, zu dem dieses Papier einen Anstoß men. Nicht nur in ihren Offline-Aktivitäten, sondern gibt, in Konferenzen, Workshops und kontinuierlichen verstärkt auch online müssen sich Progressive daher Netzwerken verstetigt werden. mit dem Rechtspopulismus auseinandersetzen. Die www.progressives-zentrum.org 9
DISCUSSION PAPER politische Angebote formulieren und sich auf der an- Wie mit der AfD als stärkste deren Seite gegen die AfD stark abgrenzen. Konkret Oppositionspartei umgehen? heißt das: sozialen Ausgleich stärken und Lösungen für die Integrationspolitik anbieten. Damit unterbrei- tet ein solches Zweckbündnis jenen WählerInnen ein Durch die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/ ehrliches Angebot, die die AfD aus Enttäuschung und CSU und SPD wird es wahrscheinlicher, dass die AfD- Protest wählen. Gleichzeitig muss der progressive Fraktion – kaum hundert Tage alt – die Opposition in Partner klare rote Linien von der konservativen Re- der neuen Wahlperiode anführen wird. Aus der außer- gierungspartei einfordern und dafür sorgen, dass die parlamentarischen Opposition zur Oppositionsführe- Abgrenzung der demokratischen Kräfte zur AfD auf- rin – diese Entwicklung wird die AfD zu einer weiteren rechterhalten bleibt. Professionalisierung treiben. Zusätzlich kommt die AfD in den Genuss zahlreicher weiterer Privilegien. Sie antwortet als erste auf die Regierungserklärungen der Kanzlerin und erhält damit erhebliche mediale Präsenz. Zudem stellt sie den Vorsitzenden im Haus- Fazit haltsausschuss. Hier werden über das „Königsrecht“ des Parlaments gewacht und wichtige Entscheidun- Seit 2014 sind im Umgang mit den Fraktionen der AfD gen in der Euro-Politik getroffen. in den Landtagen verschiedene Strategien ausprobiert worden. Auch auf der Bundesebene wird es viel „Trial and Error“ geben, wie die ersten hundert Tage im Umgang „Aus der außerparlamentarischen Op- mit der AfD-Bundestagsfraktion gezeigt haben. Politi- position zur Oppositionsführerin - diese sche Akteure im Bundestag tun gut daran, das Phäno- Entwicklung wird die AfD zu einer weite- men AfD nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und ren Professionalisierung treiben.“ als etwas von alleine Vorübergehendes zu behandeln. Der offene und aktive Austausch zum Umgang mit der AfD unter progressiven Kräften und besonders unter Es ist nicht hilfreich wenn das Gefühl entsteht, dass Abgeordneten sowie ihren Mitarbeitern und Mitarbei- Auseinandersetzungen zwischen etablierten Partei- terinnen wird in den nächsten Jahren enorm wichtig en inszeniert sind. In der breiten politischen Debatte dafür sein, die AfD wirksam zurückzudrängen. Dieses muss es wieder um echte Alternativen gehen. Dafür Papier gibt erste Handlungsempfehlungen und ist ein wird es wichtig sein, dass SPD und CDU in der Großen Plädoyer dafür, voneinander zu lernen. Niemand weiß, Koalition Konflikt und Konsens zusammendenken ob die AfD aus dem Bundestag perspektivisch wieder und entsprechende Räume dafür schaffen. verschwindet. Umso wichtiger ist es, konzentriert für dieses Ziel und die Stärkung der Demokratie zu arbei- Befürchtungen, dass die AfD durch diese neue Rolle ten. gestärkt wird, mögen berechtigt sein. Es gibt aber auch die Erfahrung, insbesondere im Osten Deutsch- lands, dass sich progressive Oppositionsfraktionen eher schwer tun, der Alarm-Opposition der AfD wirk- sam zu begegnen. Daher gilt – vermeintlich einfach –, dass die demokratiekompetenten Kräfte des Bundes- tags noch wachsamer sein müssen. Will die Große Koalition eine Anti-Populismus- Strategie verfolgen, so muss sie auf der einen Seite www.progressives-zentrum.org 10
DISCUSSION PAPER Autor Das Progressive Zentrum Das Progressive Zentrum ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank mit Sitz in Berlin. Ziel der Organisation ist, neue Netzwerke progressiver Akteure unterschiedlicher Herkunft zu stiften und eine tatkräf- tige Politik für den ökonomischen und gesellschaft- lichen Fortschritt mehrheitsfähig zu machen. Dabei bezieht Das Progressive Zentrum besonders junge VordenkerInnen und EntscheidungsträgerInnen aus Deutschland und Europa in progressive Debatten ein. Die Discussion Papers von Das Progressive Zentrum richten sich vor allem an politische Entscheidungsträ- gerInnen und EntscheidungsvorbereiterInnen in Minis- terien, Parlamenten und Parteien, aber auch an Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Ziel ist es, neue Entwicklungen aufzuzeigen, Rechtspopu- lismus zu begegnen und mit Denkanstößen für eine fortschrittliche und gerechte Politik progressive Debat- ten in Deutschland und Europa anzutreiben. Impressum Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten des Progressiven Zentrums auch in Auszügen ist nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. Fedor Ruhose ist Policy Fellow bei Das Progressive Ze- ntrum und beschäftigt sich dort schwerpunktmäßig © Das Progressive Zentrum e.V., 2018 mit der Zukunft der Demokratie und Bund-Länder Ausgabe: Februar 2018 Beziehungen. V.i.S.d.P.: Dominic Schwickert c/o Das Progressive Zentrum e.V. Institutionelles Format dafür ist der Bund-Länder Werftstraße 3, 10577 Berlin Gesprächskreis, eine vertrauliche Runde progressiver Vertreterinnen und Vertretern von Bundes- und Lande- Vorstand: Dr. Tobias Dürr, Michael Miebach, Katarina sministerien sowie Bundestags- und Landtagsfrak- Niewiedzial tionen. Sein Ziel ist es, die Vernetzung von Progres- Geschäftsführer: Dominic Schwickert siven der Landes- und Bundesebene zu fördern, um voneinander zu lernen und gemeinsame Strategien für www.progressives-zentrum.org ebenenübergreifende Herausforderungen zu identifi- mail@progressives-zentrum.org zieren. www.facebook.com/dasprogressivezentrum twitter: @DPZ_Berlin Hauptberuflich ist Fedor Ruhose Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz. Davor Gestaltung: 4S und Collet Concepts war der Diplom-Volkswirt in unterschiedlichen Funk- Layout: somethingcreative.agency tionen im Leitungsstab der Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie für So- ziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz tätig. www.progressives-zentrum.org 11
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