DOLMETSCHEN FÜR LESBISCHE, SCHWULE, BISEXUELLE, TRANS* UND INTER* GEFLÜCHTETE - EINE HANDREICHUNG FÜR DOLMETSCHER*INNEN
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DOLMETSCHEN FÜR LESBISCHE, SCHWULE, BISEXUELLE, TRANS* UND INTER* GEFLÜCHTETE EINE HANDREICHUNG FÜR DOLMETSCHER*INNEN
INHALT Vorwort ....................................................................................................... 2 1. Einleitung ................................................................................................... 4 2. Geflüchtete LSBTI in Deutschland: Begriffe, Fluchtgründe und rechtliche Situation ....................................... 6 3. Tipps für die Dolmetschung mit geflüchteten LSBTI ............................... 12 4. Trauma und Psychohygiene ....................................................................... 18 5. LSBTI-Terminologie: Entwicklung und Verwendung – Ein Glossar für gute Dolmetschung mit LSBTI ......................................................................... 22 6. Checkliste für Dolmetscher*innen .......................................................... 44 7. Angebote und Beratungsstellen für geflüchtete LSBTI in Berlin ............ 46 berufes. Dolmetschen ist eine komplexe, durch zahlrei- bisch, Englisch, Farsi/Persisch, Französisch und Tür- che Einflussgrößen gekennzeichnete Handlung, die von kisch. Besonders freuen wir uns, dass Dolmetscher*in- 8. Weiterführende Links / Literatur ............................................................. 48 den Dolmetscher*innen höchste Konzentration und gute nen auch Möglichkeiten geboten werden, wie sie sich Vorbereitung erfordert. Eine professionelle, adäquate in Grenzfällen distanzieren und auf welche Werkzeuge 9. Landkarten zu LSBTI-Rechten / Diskriminierung weltweit .................... 50 Verdolmetschung fußt auf umfassendem Allgemeinwis- zum Selbstschutz sie zurückgreifen können. Durch die sen, weitreichenden Erfahrungen und zahlreichen Kom- klare Bestimmung ihrer Rolle wird ihnen ein Mittelweg petenzen, seien diese nun autodidaktisch oder auf akade- zwischen einer an der Kommunikation vollkommen un- mischem Wege erlangt. Auf dem Dolmetschmarkt findet beteiligten Position und einer emotionalen, persönlich sich eine Vielzahl von Akteur*innen mit verschiedenen zu starken Involviertheit aufgezeigt. Auch Auftragge- VORWORT Profilen und Qualifikationen – von professionellen Dol- ber*innen und andere Akteur*innen des Dolmetsch- metscher*innen mit entsprechender akademischer Aus- prozesses finden hier hilfreiche Informationen, anhand bildung bis hin zu ehrenamtlichen Unterstützer*innen. derer sie beispielsweise die Gesprächsführung besser und im Sinne aller Beteiligten steuern können. Dies gilt Wir freuen uns außerordentlich, dass in der vorliegen- sicherlich in besonderem Maße vor dem Hintergrund DES BUNDESVERBANDS DER DOLMETSCHER den Broschüre die Besonderheiten der Sprachmittlung der traumatischen Erfahrungen, die die am Gesprächs- UND ÜBERSETZER (BDÜ), für geflüchtete LSBTI aufgegriffen werden. Es ist eine prozess beteiligten Personen gemacht haben, aber auch LANDESVERBAND BERLIN-BRANDENBURG E. V. dringend notwendige Handreichung für dieses spezi- für die Arbeit in schwierigen Settings, wie zum Beispiel fische Themenfeld gelungen, die Dolmetscher*innen in im Asylverfahren oder in der Psychotherapie. ihrer wichtigen Arbeit unterstützt. Die Broschüre macht Die steigende Zahl der Menschen in Berlin ohne bzw. anderen beteiligten Akteur*innen hier eine besondere deutlich, wie entscheidend die richtige Wortwahl – allein Eine lohnenswerte und erhellende Lektüre für alle Ak- mit geringen Deutschkenntnissen führt zu einem wach- Verantwortung im Umgang mit ihnen zu. Nicht selten schon die Verwendung der von den Menschen selbst- teur*innen des Dolmetschprozesses! senden Mehrbedarf an Dolmetschleistungen in der werden in diesem Kontext die Grenzen zwischen der gewählten Bezeichnungen! – und das notwendige Hin- Stadt. Sprachliche Hilfe bei der Verständigung in zahl- beruflichen und der persönlichen Position der Dolmet- tergrundwissen für eine idiomatische Verdolmetschung Für den Vorstand reichen Lebensbereichen wird nötig – ob auf dem Amt, scher*innen überschritten. sind. Die richtige Einschätzung des Settings und eine bei Arzt/Ärztin, vor Gericht oder dem Standesamt. sensible, transparente Kommunikation bewirken einen Beim Dolmetschen im Gemeinwesen stehen demnach Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer großen Unterschied in dem gedolmetschten Gespräch. gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion im Mittelpunkt. (BDÜ) Landesverband Berlin-Brandenburg e. V., größ- Isabel Frey Christin Dallmann Da Geflüchtete überdies oftmals von gewaltvollen Er- ter Berufsverband in der Hauptstadt, engagiert sich für In der vorliegenden, vollständig überarbeiteten Bro- Referentin für Dolmetschen im Erste Vorsitzende Gemeinwesen fahrungen in den Heimatländern oder auf der Flucht hohe Qualitätsstandards und die Einhaltung fachlicher schüre finden Sie ein umfassendes, von Expert*innen erzählen müssen, kommt den Dolmetscher*innen und und ethischer Normen bei der Ausübung des Dolmetsch- erarbeitetes LSBTI-Glossar in sechs Sprachen: Ara- BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. 2 3
1. Die meisten kommen aus Ländern, in denen ihnen die ken in der Arbeit mit geflüchteten LSBTI sowie Mög- Todesstrafe oder strafrechtliche Verfolgung und Krimi- lichkeiten zum eigenen Schutz durch Psychohygiene nalisierung drohen, sie Moralgesetzen oder Vorschriften werden in Kapitel 4 erläutert. Kapitel 5 wirft einen Blick ausgesetzt sind, welche die Rechte von LSBTI auf freie auf die Entstehung von Begriffen für und von LSBTI und Meinungsäußerung und Privatsphäre beschränken, oder bietet ein Glossar mit Erklärungen und Einordnungen EINLEITUNG wo sie Gewalt und Diskriminierung in der eigenen Fami- derer auf Deutsch, Englisch, Arabisch, Französisch, lie und Gesellschaft erleben. Farsi/Persisch und Russisch. Kapitel 6 umfasst eine Checkliste, in der das Wichtigste für die Arbeit mit ge- Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden geflüchtete flüchteten LSBTI auf einen Blick zusammengefasst ist. LSBTI mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Diese In Kapitel 7 befindet sich eine Übersicht von Beratungs- Probleme umfassen insbesondere: stellen in Berlin, die geflüchtete LSBTI mit Angeboten unterstützen. In den Kapiteln 8 und 9 finden Sie wei- LIEBE DOLMETSCHER*INNEN1 , terführende Links sowie Landkarten, die die menschen- wir begrüßen Sie herzlich und möchten Ihnen unse- die rechtlichen Beschränkungen durch das deut- rechtliche Situation von LSBTI in Europa und anderen re (2020 vollständig überarbeitete und aktualisierte) sche Asylrecht Weltregionen graphisch darstellen. Broschüre vorstellen, mit der wir eine gute und diskri- die häufig mangelhafte Qualifikation von Mit- minierungsarme Dolmetschung für lesbische, schwule, arbeiter*innen durch fehlende Fortbildungs- Die Schwulenberatung Berlin berät verstärkt seit 2015 bisexuelle, trans* und inter* (LSBTI) Geflüchtete er- möglichkeiten bei der Anerkennungspraxis von geflüchtete LSBTI und bietet seit 2016 Trainings für Men- Obwohl ich früher möglichen möchten - ob in einer Unterkunft für Ge- flüchtete, einer Beratungsstelle, dem Bundesamt für Verfolgung auf Grund der sexuellen Orientie- rung, der Geschlechtsidentität oder der körper- schen an, die in diesem Bereich arbeiten bzw. sich ehren- amtlich engagieren, u.a. für Dolmetscher*innen2. Diese sehr schlechte Erfah- Migration und Flucht, dem Landesamt für Flüchtlings- lichen Vielfalt Broschüre ist eine vollkommen überarbeitete Version der angelegenheiten (LAF), bei Ärzt*innen oder andernorts. Diskriminierung und Gewalt gegenüber LSBTI 2017 erstmalig erschienenen gleichnamigen Veröffentli- rungen mit Dolmet- in den Erst- und Gemeinschaftsunterkünften chung. Die vorliegende editierte Version basiert auf der scher*innen gemacht Personen mit unterschiedlichen Profilen und Qualifi- kationen - von professionellen Dolmetscher*innen mit sowie im öffentlichen Raum rassistische Diskriminierungen auf institutionel- Praxiserfahrung der Trainings von und Zusammenarbeit mit Dolmetscher*innen für LSBTI-Geflüchtete. Sie ist hatte, kann ich die entsprechender Ausbildung bis ehrenamtliche Unter- ler und gesellschaftlicher Ebene und zum Teil in Kooperation mit der Berliner Initiative für gutes Dol- stützer*innen, die mehrsprachig sind - dolmetschen auch in LSBTI-Zusammenhängen metschen3 entstanden, einem Zusammenschluss pro- Dolmetscherin in tagtäglich für geflüchtete LSBTI. Diese Broschüre rich- den erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt und fessioneller Dolmetscher*innen, die sich für das Recht meiner Asylanhörung tet sich an alle Dolmetscher*innen in ihrer Vorwissens- und Erfahrungsvielfalt und bietet sowohl Informationen zu medizinischen Leistungen. auf Partizipation im Zusammenhang mit mehrsprachiger Kommunikation engagieren. Sie unterstützt Einrichtun- nicht vergessen. Sie zur besonderen Situation von geflüchteten LSBTI als gen und Menschen, die auf Verdolmetschung angewiesen auch z. B. allgemeine Hinweise in Bezug auf die Rolle Wir zeigen in Kapitel 2 die unterschiedlichen Begriffe sind, und setzt sich für die Aus- und Weiterbildung von war professionell und der Dolmetscher*innen. und Fluchtgründe auf und gehen auf die rechtliche Si- Dolmetscher*innen im Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- hat bei verschiede- Im Kontakt mit Behörden, Unterkünften bzw. Bera- tuation von lesbischen, schwulen und bisexuellen sowie trans* und inter* Menschen in Deutschland ein. In Kapi- und Verwaltungswesen ein. nen Begriffen nach- tungsstellen sind viele Geflüchtete auf Dolmetschung tel 3 werden konkrete Tipps für die Dolmetschung mit Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre und viel gefragt. Sie hat sich angewiesen. Es braucht gut informierte und sensibili- LSBTI vorgestellt. Das Thema Trauma und dessen Risi- Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit! sierte Dolmetscher*innen, einerseits damit sie sich in entschuldigt, weil sie der Lage sehen, die oft gewaltvollen Erfahrungen in den Heimatländern und auf der Flucht überhaupt erzählen die Begriffe, die ich zu können, und andererseits, damit diese Erfahrungen Gleich zu Anfang zwei Anmerkungen zum Sprachgebrauch und zur Schreibweise: Übersetzung bedeutet die schriftliche Übertragung von 1 benutzt habe, nicht ins Deutsche richtig übertragen werden. In dieser Bro- schüre werden die Besonderheiten in Bezug auf Dol- Texten von einer Sprache in eine andere. Beim Dolmetschen werden gesprochene oder schriftlich fixierte Texte mündlich von einer Sprache in eine andere übertragen. Sprachmittlung ist der Oberbegriff für beide Tätigkeiten. In der Alltagssprache werden die Bezeichnungen kannte. Es war erfri- metschung für geflüchtete LSBTI dargestellt, die sich aus deren Situation ergeben. Dolmetschen, Übersetzen und Sprachmittlung oft verwechselt bzw. falsch verwendet (s. a. https://berliner-initiative.org/dolmetschen/). In dieser Broschüre geht es um das Dolmetschen mit/für geflüchtete LSBTI, sodass wir den Begriff „Dolmetscher*innen“ verwenden. Zudem schend und beruhi- verwenden wir in dieser Broschüre die Schreibweise mit dem Asterisk* (z. B. Dolmetscher*innen), um das Spektrum geschlechtlicher Vielfalt auch in der Sprache deutlich zu machen. Dies zeigt und erkennt an, dass nicht nur die Pole ‚‚weiblich“ und ‚‚männlich“ existieren, sondern gend für mich.“ Es ist vorsichtig geschätzt davon auszugehen, dass min- destens 5% der knapp 80 Millionen Menschen, die ein ganzes Kontinuum von Geschlecht und Geschlechtsidentitäten. weltweit auf der Flucht sind, lesbische, schwule, bise- 2 https://schwulenberatungberlin.de/angebote/fortbildung (M., 40, schwuler Mann) xuelle sowie trans* und inter* (LSBTI) Personen sind. 3 https://berliner-initiative.org 4 5
len. Andererseits wird die sexuelle Orientierung von bi- sexuellen Menschen im Asylverfahren oft angezweifelt, da davon ausgegangen wird, sie seien heterosexuell. LESBISCHE FRAUEN Ich wurde aufgrund leiden häufig unter mehrfacher Diskriminierung auf- grund ihres Geschlechts, ihres oft niedrigeren sozialen von sozialen Tradi- oder wirtschaftlichen Status, ihrer sexuellen Orientie- rung und ihres Geschlechtsausdrucks. Sie sind nicht tionen gezwungen, selten Opfer von Gewalt durch nicht-staatliche Ak- eine Frau zu heiraten. teur*innen, darunter sogenannte „korrigierende Verge- waltigungen“, Vergeltungsmaßnahmen durch ehemali- Meine Frau hat mich und meine Kinder in 2. ge Partner oder Ehemänner, Zwangsverheiratung und „Ehrenmorde“ durch Angehörige. Darüber hinaus kann es lesbischen Müttern passieren, dass ihnen auf Grund Syrien verlassen. Ich homofeindlicher Gesetzgebung ihre Kinder weggenom- men werden. hatte große Angst, meine Situation zu GEFLÜCHTETE LSBTI „Ich war eine LSBTI- und Frauenrechtsaktivistin. Als die Regierung damit begann, Bür- erklären, weil der Dolmetscher sehr religiös war. Als die IN DEUTSCHLAND: gerrechtsaktivist*innen zu inhaf- tieren, musste ich fliehen, denn als lesbische Frau hätte ich die LSBTI-Organisation dem Sozialarbei- BEGRIFFE, FLUCHTGRÜNDE UND RECHTLICHE SITUATION Gefängnisse in Ägypten nicht ter meine Situation überlebt.“ schilderte, war der Die Einwanderungsgründe von Asylsuchenden und Ge- Menschen, d. h. lesbische Frauen und schwule Männer, (S., 25, lesbische Frau) Dolmetscher freund- flüchteten sowie ihre Wege nach Deutschland sind sehr gehen Beziehungen mit Personen des gleichen Ge- licher als ich gedacht unterschiedlich. Ihre Erfahrungen variieren stark und schlechts ein. Bisexuelle Menschen fühlen sich sowohl sind von ihrem politischen, sozialen, familiären, religiö- zu Frauen als auch zu Männern hingezogen. Im Jahr 2017 wurde das „Gesetz zur Einführung des hätte. Das hat mir sen und wirtschaftlichen Umfeld geprägt. Diese Hinter- gründe können die Art und Weise beeinflussen, wie sie GESCHLECHTSIDENTITÄT Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Ge- schlechts“ (EheöffnungsG) verabschiedet. Seit Okto- sehr geholfen, beson- ihre sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsiden- meint das gefühlte und individuelle Erleben einer Per- ber 2017 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. ders als ich in Trä- tität ausdrücken oder erklären, warum sie offen queer4 son von ihrem Geschlecht, z. B. als Frau, als Mann, so- Jedoch ist die sogenannte „Ehe für alle“ rechtlich noch oder eben nicht als LSBTI leben. Auch können die ein- wohl-als-auch, weder-noch oder etwas anderem. Dies nicht vollständig der heterosexuellen Ehe gleichgestellt. nen ausbrach, als ich zelnen unter dem Akronym LSBTI zusammengefassten Menschen völlig unterschiedliche Arten von Verfolgung kann, muss aber nicht mit normierenden gesellschaft- lichen Erwartungen an das Geschlecht übereinstimmen, So muss bei der Geburt eines Kindes in eine homosexu- elle Ehe der nicht-leibliche Elternteil eine sogenannte anfing, über meine und Diskriminierung erleben. das bei der Geburt festgelegt und eingetragen wird („Es „Stiefkindadoption“ durchführen. Bei heterosexuellen Kinder zu erzählen.“ ist ein Mädchen!“ / „Es ist ein Junge!“). Paaren hingegen wird der Ehemann automatisch als Va- SEXUELLE ORIENTIERUNG ter eingetragen, selbst wenn dieser nicht der leibliche (M., 40, schwuler Mann) beschreibt, zu wem ein Mensch sich romantisch und/ BISEXUELLE MENSCHEN Vater ist.5 oder sexuell hingezogen fühlt. In unserer Gesellschaft Die Verfolgung bzw. Diskriminierung bisexueller Men- wird von einer heterosexuellen Norm ausgegangen, bei schen kann auf der Annahme beruhen, der Mensch sei Im Asylverfahren laufen geflüchtete Lesben und bise- der erwartet wird, dass Frauen und Männer sich gegen- schwul oder lesbisch, obwohl bisexuelle Menschen sich xuelle Frauen, die nicht in das westlich-normative Bild seitig begehren, also heterosexuell sind. Homosexuelle sowohl zu Frauen als auch zu Männern hingezogen füh- einer lesbischen oder bisexuellen Frau passen, Gefahr, 6 7
vorauszusetzen, dass alle die Polizei oder unter dem Vorwand von Sexarbeit in der Regel ohne vollumfassend informierte Zustim- schwulen Männer ihre sexuel- oder Drogenhandel verhaftet werden. mung der Person bzw. deren Eltern und oft schon im le Orientierung offen leben frühen Kindesalter statt. oder „feminin“ seien. Außer- Die rechtliche Lage für trans* Menschen wird seit 1981 dem identifizieren sich nicht in Deutschland im Transsexuellengesetz (TSG) ge- Manche inter* Menschen identifizieren sich mit dem alle Männer, die Sex mit Män- regelt. Das TSG wird angewendet, wenn der Wunsch ihnen zugewiesenen Geschlecht, andere nicht. Man- nern haben, als schwul. Indem vorhanden ist, den Vornamen und/oder den Personen- che nehmen selbstbestimmte geschlechtsangleichende sie Rollen und Eigenschaften, stand offiziell zu ändern. Es steht seit Jahren in der Kri- Maßnahmen vor, andere nicht. die als „weiblich“ gelten, ein- tik von Trans*- und Menschenrechtsexpert*innen, da nehmen, können schwule es geschlechtliche Selbstbestimmung rechtlich massiv PERSONENSTANDSGESETZ (PSTG) Männer als „Verräter“ ange- erschwert, u. a. weil Vornamens- und Personenstands- Am 13. Dezember 2018 hat der Deutsche Bundestag sehen werden, egal ob sie „fe- änderungen nur mittels zweier „Begutachtungen“ ein neues Personenstandsgesetz („Gesetz zur Änderung minin“ sind oder nicht. der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“) verabschiedet, mit dem neben „weiblich“ und „männ- Schwule können besonders beim Militär, im Gefängnis „Ich habe mich immer als Frau lich“ sowie dem Offenlassen des Geschlechtseintrags als weitere positive Bezeichnung „divers“ gewählt wer- und in traditionell männlich gefühlt, aber dies auszudrücken den kann. dominierten Zusammenhän- hätte zu meiner Hinrichtung ge- als unglaubwürdig bewertet zu werden. Allein die An- gen gefährdet sein. Schwule Männer können aufgrund des gesellschaftlichen Dru- führt. Ich bin nach Deutschland Wenn ein Kind bei der Geburt „weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden“ nahme, sexuelle Orientierung folge stets einer linearen ckes auch heterosexuelle Partnerschaften/Ehen füh- gekommen, um die Frau zu sein, kann, können dessen Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind Entwicklung, an deren Ende ein „Coming-Out“ und ren und/oder Kinder haben.7 als weiblich, männlich, divers oder ohne Geschlechtsan- eine klare Trennung von Hetero- und Homosexuali- die ich bin.“ gabe eintragen lassen möchten. tät sowie der Wunsch nach öffentlich ausgedrückter TRANS* MENSCHEN Homosexualität steht, beruht auf einem westlichen Bei trans* Menschen stimmt die Geschlechtsidentität (K., 23, trans* Frau) Für eine Änderung des Geschlechtseintrags im Ju- Modell von Sexualität. Gleiches gilt für die Vorstellung, nicht oder nicht vollständig mit dem Geschlecht überein, gend- oder Erwachsenenalter müssen Personen lesbische oder bisexuelle Frauen könnten nicht zuvor in das bei der Geburt festgelegt und eingetragen wurde. Es eine ärztliche Bescheinigung („Varianten der Ge- heterosexuellen Partnerschaften oder Ehen gewesen gibt eine große Vielfalt an möglichen Trans*-Identitä- durch vom Amtsgericht bestellte Gutachter*innen schlechtsentwicklung“) vorlegen oder eine eides- sein oder Kinder haben und müssten direkt nach der ten. Selbstbezeichnungen sind u. a. transgender, trans- möglich sind, sowie wegen der Dauer und Kosten des stattliche Erklärung abgeben. Bei Kindern und Ankunft in Deutschland mit der Suche nach einer Part- ident, transsexuell, transgeschlechtlich, Crossdresser, Verfahrens.8 Jugendlichen bis 14 Jahre können nur die Erzie- ner*in beginnen.6 Drag Kings und Queens, Transvestiten. Manche trans* hungsberechtigten die Erklärung abgeben. Nach Personen möchten eine Geschlechtsangleichung (Tran- INTER* MENSCHEN Vollendung des 14. Lebensjahres geben die Jugend- SCHWULE MÄNNER sition) machen, d. h. ihr Geschlecht medizinisch und/ Inter* oder Intergeschlechtlichkeit ist ein Sammelbe- lichen selbst die Erklärung ab und ihre Erziehungs- sind in vielen Gesellschaften oft sichtbarer in der oder rechtlich verändern. griff für Menschen mit unterschiedlichsten, gesunden berechtigten müssen zustimmen. Öffentlichkeit und können im Fokus von politischen Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale, Hetzkampagnen stehen. Es ist jedoch wichtig, nicht Trans* Personen werden in manchen Ländern krimi- Geschlechtsorgane, Geschlechtschromosomen und/ Auch in Deutschland lebende Asylberechtigte, Ge- nalisiert, wenn geschlechtsspezifische Regeln über- oder Geschlechtshormone. Diese können sich vor flüchtete sowie nicht-deutsche Staatsangehörige, in schritten werden. Sie können auch erheblichen Dis- bzw. bei der Geburt, in der Kindheit, während der deren Herkunftsland keine vergleichbare Regelung „Ich wurde in meiner Nachbar- kriminierungen in der Familie, auf dem Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen ausgesetzt sein. In man- Pubertät oder zu einem späteren Zeitpunkt im Leben zeigen oder auch unentdeckt bleiben. existiert, können diese Möglichkeit nutzen. schaft geoutet. Mein Cousin hat chen Ländern gibt es keine sozialen, medizinischen GEFLÜCHTETE LSBTI UND DISKRI- mich mit einem Messer atta- und rechtlichen Möglichkeiten zur Geschlechtsan- In vielen Ländern inkl. Deutschland werden Opera- MINIERUNG BZW. GEWALT gleichung. Trans* Personen werden häufig margina- tionen und andere medizinische Maßnahmen wie z. B. LSBTI im Allgemeinen sind nicht selten mit Diskrimi- ckiert und mich fast getötet. lisiert – zum Teil auch in LSBTI-Zusammenhängen Hormongaben an Inter*-Körpern vorgenommen, um nierungen, feindlichen Einstellungen bzw. verschie- Daraufhin hat meine Mutter – und können körperliche, psychische und sexuelle diese an stereotyp normierende Vorstellungen von denen Arten von Gewalt konfrontiert. Dies trifft in Gewalt erleben. Wenn der Vorname und Personen- „weiblichen“ oder „männlichen“ Körpern „anzupassen“. noch höherem Maße auf geflüchtete LSBTI zu, bei meine Flucht arrangiert.“ stand in amtlichen Dokumenten mit der Geschlechts- Unter gesellschaftlichem bzw. medizinischem Druck den oftmals mehrere Diskriminierungsformen zu- identität der Person nicht übereinstimmt, sind trans* willigen Betroffene oder deren Eltern ein, an gesunden sammenkommen und sich gegenseitig verstärken (S., 23, schwuler Mann) Menschen besonders gefährdet. Sie können z. B. von Genitalien zu operieren bzw. gesunde (z. B. hormonpro- können. nicht-staatlichen Akteur*innen belästigt oder durch duzierende) Organe zu entfernen. Die Eingriffe finden 8 9
HOMOFEINDLICHKEIT BZW. HOMOPHOBIE Geflüchtete LSBTI sind als besonders schutzbedürfti- rende und Flüchtlinge“10 vom 11. August 2015 anerkannt bezeichnet die negative Einstellung gegenüber homo- ge Gruppe zu begreifen, da sie nicht nur in ihren Her- und dies im Masterplan für Integration und Sicherheit11 sexuellen Menschen bzw. solchen, die als homosexuell kunftsländern, sondern auch in Deutschland Homo-, bekräftigt. Dadurch haben geflüchtete LSBTI Anspruch wahrgenommen werden. Ausdruck dessen können sein: Trans*- und Inter*feindlichkeit ausgesetzt sind. Diskrimi- auf besondere Leistungen, wie zum Beispiel eine sichere nierungs- und Gewalterfahrungen machen sie darüber Unterkunft oder Hormonbehandlung bei trans* Geflüch- psychische und/oder körperliche Gewalt hinaus insbesondere auf der Flucht, wo sie im erhöhten teten. Beschimpfungen Maße von sexualisierter Gewalt und Ausgrenzung betrof- rechtliche Benachteiligungen bzw. institutionelle fen sind. In Deutschland angekommen, sind geflüchtete 7-PUNKTE-PLAN DES LANDES Diskriminierungen (vgl. „Ehe für alle“) LSBTI in Gemeinschaftsunterkünften oftmals mit den BERLIN12 gleichen homo-, trans*- bzw. inter*feindlich agierenden Um geflüchtete LSBTI umfassend unterstützen zu kön- TRANS*/INTER*FEINDLICHKEIT BZW. TRANS*/ Menschen konfrontiert, vor denen sie geflohen sind. nen, wurde das „Berliner Modell für die Unterstützung INTER*PHOBIE Diese Diskriminierungserfahrungen werden noch durch von LSBTI-Geflüchteten“ entwickelt, dessen 7-Punk- meint die negative Einstellung gegenüber trans* und in- Homo-, Trans*- und Inter*feindlichkeit in der deutschen te-Plan umfasst: ter* Menschen bzw. solchen, die als Trans*/Inter* wahr- Gesellschaft verschärft, die nicht selten mit Rassismus genommen werden. Dies kann sich u. a. zeigen als: gegenüber Geflüchteten verwoben ist. gesonderte Unterbringung schnelle Erstregistrierung und Vermittlung psychische und körperliche Gewalt Darüber hinaus haben geflüchtete LSBTI einen besonde- erweiterte Qualitäts- und Unterbringungsstandards Beschimpfungen ren Bedarf an Gesundheitsversorgung. Dazu zählen die Gewaltschutzprogramme Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechts Prävention und Behandlung von sexuell übertragbaren Stärkung der Beratungs- und Hilfestrukturen identität (falsche Anrede bzw. Pronomen) Infektionen oder trans*- und inter*spezifische medizi- Handlungskompetenzen stärken nische Maßnahmen, wie z. B. geschlechtsangleichende Informationsmaterialien MEHRFACHDISKRIMINIERUNG Operationen von trans* Menschen. Eine Mehrfachdiskriminierung liegt vor, sobald Perso- Im Land Berlin gibt es mittlerweile eine Reihe von spezi- nen gleichzeitig mehreren benachteiligten Gruppen Das Land Berlin hat als erstes Bundesland die besondere fischen Hilfsangeboten für geflüchtete LSBTI. Bereit- angehören und in Situationen geraten, in denen sie aus Schutzbedürftigkeit von geflüchteten LSBTI in seinem gestellt werden diese von unterschiedlichen Trägern und mehr als einem Grund diskriminiert werden. Dies um- „Versorgungs- und Integrationskonzept für Asylbegeh- Institutionen, die wir in Kapitel 7 aufgelistet haben. fasst eine Kombination aus verschiedenen Arten von Diskriminierung, z. B. aufgrund von: Sexismus/Frauenfeindlichkeit Rassismus Homo-/Trans*/Inter*feindlichkeit Armut Beeinträchtigung/Behinderung Queer wird hier als Überbegriff für lesbische, schwule, bisexuelle sowie trans* und inter* Personen gebraucht, d. h. LSBTI und queer 4 werden synonym verwendet. Eine genauere Begriffsdefinition von „queer“ befindet sich im Glossar (Kapitel 5). Diese Arten der Diskriminierung werden miteinander ver- Zum Redaktionsschluss (Sep. 2020) hatte der Deutsche Bundestag noch nicht über das sogenannte “Adoptionshilfegesetz“ 5 bunden und verstärken sich gegenseitig. So sind z.B. die häu- entschieden, das lesbische Mütter ebenfalls zu diskriminieren droht, mehr dazu hier: https://www.lsvd.de/de/ct/2857-bundesrat- figsten Opfer von (physischer) Gewalt Schwarze oder PoC verhindert-verschaerfung-der-diskriminierung-von-lesbischen-muettern (People of Colour) trans* Frauen und Sexarbeiter*innen. Vgl. die Stellungnahme zur Situation lesbischer und bisexueller Frauen im Asylverfahren der Fachstelle für LSBTI Geflüchtete der 6 Schwulenberatung Berlin: https://tinyurl.com/y6dbr3j9 LSBTI ALS BESONDERS SCHUTZBE- Im Kapitel 9 unter den LSBTI-relevanten Landkarten befindet sich der Rainbow Europe Country Index der International Lesbian, Gay, 7 DÜRFTIGE PERSONENGRUPPE Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA Europe), der u. a. die Gleichstellung von homosexuellen gegenüber heterosexuellen „Geflüchtete LSBTI haben [...] nicht nur in ihrem Hei- Personen in Deutschland misst. matland Repressalien, Diskriminierungen und Gewalt er- Zur Kritik am TSG siehe u. a. hier: http://www.transinterqueer.org/allgemein/selbstbestimmter-geschlechtseintrag-fuer-alle-menschen 8 lebt, sondern häufig auch während der Flucht und sind -und-verbot-von-geschlechtsveraendernden-operationen-an-kindern-jetzt/ dadurch oft zusätzlich traumatisiert. [...] Viele von ihnen 9 http://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/gefluechtete/lsbti-gefluechtete/ (31.08.17) möchten sich aus nachvollziehbaren Gründen jedoch 10 www.berlin.de/rbmskzl/_assets/dokumentation/versorgungs-_und_integrationskonzept_fur_fluchtlinge.pdf nicht outen und leben nach wie vor versteckt. Ob sicht- bar oder nicht, LSBTI-Geflüchtete benötigen gezielte 11 http://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/politik-aktuell/2016/meldung.480539.php Unterstützung und Schutz.“9 12 https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/gefluechtete/lsbti-gefluechtete/ 10 11
Die Frage des Vertrauens stellt dementsprechend in der Zusammenarbeit mit geflüchteten LSBTI einen zentra- 3. len Punkt dar. Darüber hinaus entstehen hierbei weitere Herausforderungen für Dolmetscher*innen, die wir im Folgenden stichpunktartig skizzieren. In den anschlie- ßenden Absätzen „Vertrauen schaffen und Respekt zeigen“, „Bewusstsein für die eigene Rolle entwickeln“, „Dolmetschung ohne stereotype Vorstellungen von TIPPS FÜR DIE LSBTI“ wird aufgezeigt, wie diesen verschiedenen He- rausforderungen begegnet werden kann. Ich als trans* Mann hatte keine ge- DOLMETSCHUNG schlechtsangleichen- den Operationen MIT WELCHE FAKTOREN KÖNNEN DIE DOLMETSCHUNG FÜR ASYLSUCHENDE UND GE- im Iran. Als ich dem Dolmetscher erklär- GEFLÜCHTETEN FLÜCHTETE LSBTI ERSCHWE- REN? te, dass ich das Bade- zimmer nicht mit cis LSBTI psychische und körperliche Gewalt Die geflüchtete Person vertraut der*dem Männern benutzen Dolmetscher*in nicht. Die*der Dolmetscher*in ist mit der beson- kann, hat er mich mit deren Lebenssituation von geflüchteten vielen persönlichen Fragen bombardiert. LSBTI in ihren Herkunftsländern und in Deutschland nicht vertraut. Die meisten asylsuchenden und geflüchteten LSBTI in Deutschland sind aus Ländern geflohen, in denen sie Die*der Dolmetscher*in hat Vorurteile gegenüber LSBTI bzw. stereotype Aus diesem Grund lebensbedrohlichen Zuständen aufgrund ihrer sexuellen Vorstellungen von ihnen. entschied ich, lieber Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität bzw. ihres Ge- schlechtsausdrucks in der eigenen Familie und der Ge- Die*der Dolmetscher*in beherrscht die LSBTI-Terminologie in einer oder in beiden mit dem Risiko in sellschaft ausgeliefert waren. Infolgedessen haben viele Angst, offen mit Themen wie Homosexualität, Trans- Sprachen nicht, ist mit den regionalen Varianten nicht vertraut und kennt keine meiner Unterkunft oder Intergeschlechtlichkeit umzugehen. Dies gilt auch respektvolle Bezeichnung für LSBTI. weiterzuleben, als für ihren Kontakt mit Dolmetscher*innen, da diese häu- fig aus den gleichen Herkunftsländern stammen und Die*der Dolmetscher*in hat ein falsches Verständnis von ihrer*seiner Rolle. seine Fragen zu be- damit in ihren Augen eine potenzielle „Gefahr“ bzw. Die*der Dolmetscher*in verwendet das falsche Pronomen (z. B. „er“ statt „sie“), antworten.“ Quelle von Diskriminierung darstellen können. Darü- ber hinaus fürchten geflüchtete LSBTI zum Teil, in ihren die falsche Ansprache (z. B. „Frau X“ statt Herkunftsländern oder vor anderen Asylsuchenden vor „Herr X“) und den falschen Namen (z. B. (A., 32, trans* Mann) Beendigung ihres Asylverfahrens geoutet zu werden. den offiziellen Geburtsnamen und nicht den Wenn geflüchtete LSBTI sich nicht in der Lage sehen, von der geflüchteten Person ihre sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidenti- selbstgewählten Namen). tät offen zu thematisieren, birgt dies wiederum das Ri- Die*der Dolmetscher*in hält sich nicht an siko, dass sie kein angemessenes Verfahren bzw. keine die Regel der Vertraulichkeit. adäquate Beratung erhalten. 12 13
VERTRAUEN SCHAFFEN UND RES- merken, dass die geflüchtete Person misstrauisch oder werden, die nicht aus dem gleichen Land kommt wie einflussen. Dabei ist dies schier unmöglich. Allein die PEKT ZEIGEN ängstlich wird, kann ein Satz wie „Ich bin hier, um für Sie sie. Es ist gut, sich dessen bewusst zu werden, um klar Präsenz einer dritten Person im Raum verändert die Wie am Anfang dieses Kapitels erläutert, spielt die Fra- unabhängig von Ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Ori- zu haben, dass es nichts mit Ihnen als Person oder mit Kommunikationssituation. Wenn Sie sich zu stark aus ge des Vertrauens eine besondere Rolle in der Zusam- entierung oder Geschlechtsidentität zu dolmetschen“ Ihren sprachlichen oder Kommunikationsfähigkeiten dem Geschehen zurücknehmen und so tun, als wären menarbeit mit geflüchteten LSBTI. Wenn Sie auf einige das Vertrauen fördern. zu tun hat, wenn ein*e LSBTI-Geflüchtete*r von vorn- Sie nicht da, kann dies sich sogar negativ auf die Kom- Punkte achten, können Sie der geflüchteten Person herein nicht mit Ihnen arbeiten möchte. Sollten Sie als munikation auswirken. Mittlerweile findet der Begriff leicht das Gefühl vermitteln, dass sie sich bei Ihnen si- Als Dolmetscher*in unterliegen Sie in allen Situationen Dolmetscher*in abgelehnt werden, akzeptieren Sie es, der “Allparteilichkeit“ immer öfter Verwendung, um cher fühlen kann. Ein respektvoller Umgang bildet die der Schweigepflicht. Diese spielt in der Zusammen- ohne zu versuchen, die geflüchtete Person zu einer Zu- die Rolle der Dolmetscher*innen adäquat zu beschrei- Grundlage dafür. Folgendes Zitat beleuchtet, dass eine arbeit mit geflüchteten LSBTI eine noch brisante- sammenarbeit mit Ihnen zu überreden. ben. Damit ist gemeint, dass der*die Dolmetscher*in korrekte Ansprache dabei eine zentrale Rolle spielt: re Rolle als sonst. Geflüchtete LSBTI sind womöglich ein ausgewogenes Nähe-Distanz-Verhältnis zu den ver- nicht überall geoutet und ein ungewolltes Outing kann LSBTI müssen sich leider oft für ihre Geschlechts- schiedenen Beteiligten aufrechterhält und für alle mit schwerwiegende Konsequenzen für sie haben. Achten identität und/oder sexuelle Orientierung rechtfertigen gleichem Engagement dolmetscht. auch Sie darauf, die Vertraulichkeit des Gesprächs zu oder diese erklären. Verzichten Sie also darauf, ihnen „Während meiner Asylanhörung gewährleisten. eigene Fragen zu diesen sehr intimen Themen zu stel- Alles was im Raum gesagt wird, wird gedolmetscht. benutzte die Dolmetscherin len. Zur Erweiterung des eigenen Wissens können Sie Wenn Sie Verständnisfragen stellen oder etwas mit während der gesamten An- Machen Sie sich mit der Terminologie und den Lebens- realitäten von geflüchteten LSBTI in Deutschland und sich an LSBTI-Organisationen wenden, die Ihre Fragen beantworten werden. Im Internet findet sich ebenfalls einer*m Beteiligten klären, sollten Sie dies auch für die andere Partei dolmetschen. Indem Sie Ihr eigenes hörung das falsche Pronomen, in ihren Herkunftsländern vertraut. So kann die ge- umfangreiches Aufklärungsmaterial (s. weiterführende Handeln transparent machen, fördern Sie das Vertrau- weil mein Name in offiziellen flüchtete Person den Eindruck gewinnen, dass sie und Links). en aller Beteiligten Ihnen gegenüber. So bekommt z. B. ihre Aussagen von Ihnen verstanden und respektvoll keine*r den Eindruck, es wird über sie*ihn gesprochen, Dokumenten noch männlich ist. übertragen werden. Sie können ebenfalls Vertrauen Schließlich ist eine Selbstreflexion der eigenen (potenzi- ohne dass sie*er davon erfährt. Sie benutzte auch in der Kom- schaffen, indem Sie Ihre Unsicherheiten allgemein und ellen) Vorurteile und normativen Vorstellungen wichtig, munikation mit mir die falsche insbesondere in Bezug auf Terminologie offenlegen. In vielen Ländern erfinden LSBTI-Communities ihre eige- um die eigene Offenheit im Umgang mit geflüchteten LSBTI zu garantieren: Bin ich voreingenommen? Habe Die Aufgabe der Gesprächsführung (Strukturierung des Gesprächs, Bestimmung der angesprochenen Inhalte, Ansprache, und nach einer Weile nen Sprachen und Begriffe, um sich gegenseitig zu er- ich eine stereotype Vorstellung von LSBTI Menschen? Worterteilung usw.) liegt bei der*dem Berater*in bzw. gab ich auf, sie fortlaufend zu kennen, ohne sich in Gefahr zu bringen. Wenn Ihnen ein Wenn Sie feststellen, dass Sie sich in der Zusammen- der*dem Anhörer*in und nicht bei Ihnen. Es ist nicht Wort nicht geläufig ist, fragen Sie nach Rücksprache arbeit mit geflüchteten LSBTI befangen fühlen, sollten Ihre Aufgabe, ins Gespräch zu intervenieren, indem Sie korrigieren. Dies führte dazu, mit der*dem Berater*in bzw. der*dem Anhörer*in die Sie sich in dem Bereich weiter sensibilisieren . z. B. eigene Fragen stellen, Nebenkonversationen mit dass ich im Interviewprotokoll geflüchtete Person, was damit genau gemeint ist und Klient*innen beginnen und/oder diese auffordern, auf als männlich aufgeführt wurde.“ wie das Wort verwendet wird. Seien Sie auch offen für BEWUSSTSEIN FÜR DIE EIGENE eine bestimmte Weise zu sprechen, sich zu verhalten Kritik, falls die geflüchtete Person sich mit den von Ih- ROLLE ENTWICKELN oder gar zu sitzen. Ein Eingreifen in das Gespräch ist nen verwendeten Begriffen nicht wohlfühlt. In diesem Dolmetscher*innen kommt in der Begleitung von ge- nur denkbar, wenn Sie den Eindruck haben, ein Miss- (K., 24, trans* Frau) Fall sollten Sie sich entschuldigen, um Vertrauen und flüchteten LSBTI eine wichtige Rolle und Verantwor- verständnis liegt vor oder es fehlt der*dem Berater*in Respekt wiederherzustellen. Diese Unterhaltung zwi- tung zu, da sie die Kommunikation zwischen Berater*in, bzw. der*dem Anhörer*in oder der geflüchteten Person schen der*dem Klient*in und der Dolmetscher*in muss Ärzt*in, Sozialarbeiter*in oder Anhörer*in und der ge- an wichtigen Hintergrundinformationen, wodurch das In diesem Fall wurde offensichtlich die Antragstellerin ebenfalls für die*den Berater*in bzw. Anhörer*in über- flüchteten Person ermöglichen. Dies tun die meisten Verständnis erschwert wird. sowohl von der Dolmetscherin als auch von der anhö- setzt werden. nach bestem Wissen und Gewissen – nicht selten auch renden Person falsch angesprochen. Achten Sie selbst unentgeltlich. Dabei verfügen viele über keine entspre- Sowohl im Kontext von Beratung als auch beim Asyl- darauf, dass Sie stets das Pronomen („sie“, „er“ oder Die meisten geflüchteten LSBTI kommen aus Ländern, chende Ausbildung und haben somit kein klares Bild von verfahren leisten Sie nicht nur eine zwischensprachliche auch kein Pronomen) und die Anrede (Frau X, Herr X in denen keine nicht-medizinischen bzw. positiven Be- ihrer Rolle, ihren Aufgaben bzw. deren Grenzen. Dies Übertragung, sondern vermitteln auch wenn nötig In- oder Vor- und Nachname) anwenden, welche die ge- griffe für ihre Lebensrealitäten existieren. So verwen- führt nicht selten zu Missverständnissen und Schwierig- formationen und Erklärungen über den jeweiligen Kon- flüchtete Person selbst verwendet, um über sich zu den sie ggf. englische Bezeichnungen für ihre sexuel- keiten zwischen den Beteiligten und kann mitunter gra- text. Damit geflüchteten LSBTI ein angemessenes Asyl- sprechen. Verwenden Sie ebenfalls den Vornamen, den le Orientierung bzw. Geschlechtsidentität bzw. ihren vierende Folgen für die geflüchtete Person haben. verfahren und effektive Beratung zuteilwerden, sollten die Person selbst im Gespräch benutzt und nicht auto- Geschlechtsausdruck. Infolgedessen ist es ratsam, sich Sie in der Lage sein, die Lebenswelt der geflüchteten matisch den Vornamen, der in offiziellen Papieren an- ebenfalls die englischsprachige LSBTI-Terminologie an- Als Dolmetscher*in sind Sie für das Funktionieren der Personen in unterschiedlichen Bereichen interpretieren gegeben ist. Sollte die*der andere Gesprächspartner*in zueignen (s. Glossar). Kommunikation zuständig – mehr nicht (das reicht ja zu können, z. B. soziale Themen, Arbeit, Alltag, Religion, die geflüchtete Person falsch ansprechen, ist es ratsam, auch!). Oft wird betont, dass Dolmetscher*innen sich eigene Biographie und Gesundheit. Sie sollten sich also ihn*sie darauf aufmerksam zu machen (um die Trans- Aufgrund ihrer vorangegangenen Erfahrungen möchten neutral zu verhalten haben. Der Begriff der Neutralität über die rechtliche Situation, die gesellschaftliche Posi- parenz zu gewährleisten, dolmetschen Sie Ihre Anmer- manche geflüchtete LSBTI nicht in ihrer Erstsprache kann den Eindruck entstehen lassen, Dolmetscher*in- tion und die Lebensrealitäten von LSBTI in Deutschland kung für die geflüchtete Person). Wenn Sie allgemein sprechen oder möchten von einer Person gedolmetscht nen würden den Verlauf des Gesprächs keineswegs be- und in den Herkunftsländern informieren. 14 15
Druck zu entkommen, was jedoch nicht ihre sexuelle Orientierung in Frage stellt. Ein trans* Mann, der noch kein Testosteron zu sich nimmt, hat vielleicht ein Kind geboren oder eine trans* Frau Kinder gezeugt. Trotzdem haben sie möglicherwei- se Gewalt im Heimatland und auf der Flucht erlebt, weil ihr geschlechtlicher Ausdruck nicht den klischeehaften Geschlechterbildern entspricht. Wenn einem schwulen Mann, der eine heterosexuelle Ehe im Heimatland eingehen musste, um vor Verfol- gung geschützt zu sein oder einer trans* Frau, die Kinder gezeugt hat, in der Anhörung nicht geglaubt wird, dass sie schwul oder trans* sind, erschwert das die Glaubhaft- machung des Asylantrags. Schlimmstenfalls verunmög- licht es ihn. Umso wichtiger ist eine klischeefreie Dol- metschung, die etwaige nur scheinbare „Widersprüche“ in der Biografie nicht zu Ungunsten der geflüchteten Person dolmetscht, sondern genauso wiedergibt, wie der schwule Mann, die trans* Frau oder ein*e andere*r ge- flüchtete*r LSBTI es in der Ausgangssprache schildert. . „Als ich gefragt wurde, weswe- gen ich Asyl in Deutschland be- Wenn Sie für manche geflüchtete Personen öfter dol- hat, können Sie sie an die Schwulenberatung oder an Da Intergeschlechtlichkeit und die Existenz von Men- antrage, sagte ich, weil ich eine metschen und Sie sich möglicherweise vor oder nach eine andere Beratungsstelle verweisen. Dort kann sie schen, die nicht den normativen medizinischen Vorstel- Terminen zusammen unterhalten, kann sich ein nähe- über die Beschwerdemöglichkeiten informiert wer- lungen von Weiblichkeit und Männlichkeit entsprechen, lesbische Frau bin. Mein Dol- res Verhältnis entwickeln. Achten Sie darauf, dass diese den, die ihr zustehen. Das Land Berlin verfügt z. B. weltweit immer noch stark tabuisiert sind, werden in- metscher schlug mich ins Ge- Nähe nicht dazu führt, dass Sie in eine Helfer*innenrolle seit 2020 über ein Landesantidiskriminierungsgesetz, tergeschlechtliche Geflüchtete eher selten ihre Inter- sicht. Obwohl mein Asylantrag verfallen. Einerseits wäre dies der geflüchteten Person das Personen vor Diskriminierungen aufgrund von u. a. geschlechtlichkeit benennen oder als Fluchtgrund an- gegenüber bevormundend (auch wenn sie auf Unter- Geschlecht, rassistischer Zuschreibung, sexueller oder geben. Menschen, die inter* sind, können von anderen später bewilligt wurde, kann ich stützung angewiesen ist, weiß sie am besten, was für sie geschlechtlicher Identität durch öffentliche Stellen des fälschlich oder ausschließlich als trans* betrachtet wer- den emotionalen Schmerz nie gut ist), andererseits laufen Sie damit Gefahr, sich zu übernehmen und über Ihre eigenen Grenzen zu gehen Landes schützt. Auch die Landesstelle für Gleichbe- handlung - gegen Diskriminierung stellt eine mögliche den, da es ein hohes Maß an Unkenntnis über die Exis- tenz und Lebensrealitäten von inter* Menschen gibt. vergessen, welcher noch Monate (mehr dazu im Kapitel 4). Anlaufstelle für Beschwerden von geflüchteten LSBTI nach dem Ereignis spürbar war.“ dar (s. a. weiterführende Links in Kapitel 7). Lesbische Frauen, schwule Männer oder bisexuel- Es steht Ihnen in keinem Kontext zu, darüber zu urtei- le Menschen können eine Person des anderen Ge- (E., 35, lesbische Frau) len, ob die Geschichte einer geflüchteten Person glaub- DOLMETSCHUNG OHNE STEREO- schlechts geheiratet haben, also eine heterosexuelle würdig ist oder nicht – oder ob eine Person „wirklich“ TYPE VORSTELLUNGEN VON LSBTI Ehe eingegangen sein, z. B. um dem gesellschaftlichen lesbisch, bisexuell, schwul, trans* oder inter* ist. Dies Haben Sie als Dolmetscher*in Klischees über LSBTI gehört nicht zu Ihrem Aufgabenbereich und nur die be- oder stereotype Vorstellungen im Kopf? Solche Vor- troffene Person kann darüber bestimmen (siehe dazu stellungen übersehen oft, dass LSBTI in Lebensumstän- auch in Folge „Dolmetschung ohne stereotype Vorstel- den sein können, die sie dazu zwingen, z. B. zu heira- Wir möchten an dieser Stelle noch einmal auf unsere Trainings für Dolmetscher*innen in Berlin, die mit LSBTI-Geflüchteten arbeiten, 13 lungen von LSBTI“). ten oder Kinder zu bekommen, einzig um zu überleben hinweisen. Aktuelle Informationen unter: https://schwulenberatungberlin.de/angebote/fortbildung und nicht verfolgt zu werden. Hier einige Beispiele für Falls die geflüchtete Person im Anschluss an ein Ge- die Komplexität der Lebensrealitäten von geflüchteten 14 Links zu entsprechenden Informationen finden Sie u. a. auf der Webseite https://www.queer-refugees.de/. spräch Ihnen mitteilt, dass sie sich diskriminiert gefühlt LSBTI: 15 https://www.hwr-berlin.de/fileadmin/portal/Dokumente/HWR-Berlin/Organisation/Frauenbeauftragte/LADG.pdf 16 17
Ein psychisches Trauma (griech.: Wunde) ist eine könnte. Es ist allerdings davon auszugehen, dass 30- schwere seelische Verletzung aufgrund von Über- 50 % der Geflüchteten unter Traumafolgestörungen forderung der psychischen Schutzmechanismen. leiden. Die häufigste Art ist die sogenannte Posttrau- Dies stellt eine normale physiologische Reaktion auf matische Belastungsstörung (PTBS), unter der mehrere abnorme Ereignisse, die durch Menschen oder die klinische Diagnosen zusammengefasst werden: Umwelt verursacht werden, dar. Dabei kommt es zu einem Gefühl von Überwältigung und/oder vollstän- depressive Störungen digem Kontrollverlust. Beispiele für (potenziell) trau- dissoziative Störungen matisierende Erfahrungen sind Unfälle, Naturkatas- Angststörungen trophen, Gewalt, Misshandlungen oder die indirekte emotional instabile Persönlichkeitsstörung Teilnahme an Traumaerlebnissen anderer. (Borderline) Suchterkrankungen Flucht stellt fast immer eine traumatische Erfahrung somatoforme Störungen (körperliche Symptome, dar. Sie ist verbunden mit dem Verlassen von Familien die mit erheblichem Leid, Sorgen und und sozialen Netzwerken und beinhaltet oftmals le- Funktionsschwierigkeiten im Alltag einhergehen) bensgefährliche Fluchtrouten. Viele Menschen sterben Herz-Kreislauf-Erkrankungen (darunter auf der Flucht, verlieren Angehörige oder Freund*innen Herzinfarkt und Schlaganfall) in der Wüste oder auf dem Mittelmeer oder werden immunologische Erkrankungen (Asthma, Opfer von Gewalt. Dazu kommen häufig Erfahrungen Gelenkentzündungen, Ekzeme) von politischer Unterdrückung und/oder kriegerischen Handlungen im Herkunftsland, die seelische Wunden zurücklassen können. Für die Diagnose PTBS gibt es klar definierte Merkmale bzw. Symptome: Traumatische Lebensereignisse unterscheiden sich im Allgemeinen nach Dauer, Häufigkeit und Auslöser. A. (potenziell) traumatisierendes Ereignis Das Leben vieler Geflüchteter ist geprägt von einer ganzen Reihe an lang andauernden Bedrohungssitu- B. Wiedererleben (Flashbacks) / Intrusionen ationen: Verfolgung, Morde und sexualisierte Gewalt (unwillkürliche belastende Erinnerungen an das gehörten für viele Geflüchtete zum Alltag, und das in Trauma) einer gesellschaftlichen Atmosphäre von Unsicherheit C. Vermeidung bzw. allgemeiner emotionaler und Bedrohung. Bei Menschen, die über einen länge- Taubheitszustand ren Zeitraum misshandelt wurden, Kriege miterlebten, D. negative Veränderung von Denken und 4 mehrmals inhaftiert oder gar gefoltert wurden, umfasst Stimmungslage das traumatische Erleben mehrere Ereignisse, die sich E. Veränderung des Erregungslevels und der häufen, wiederholen, länger andauern und damit gegen- Reaktivität (anhaltende physiologische seitig verstärken. Zu diesen traumatischen Erfahrungen Übererregung (Hyperarousal) gehört auch Gewalt gegenüber anderen miterlebt oder Leichen gesehen zu haben. F. Symptome dauern länger als einen Monat TRAUMA UND TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN / POSTTRAUMATISCHE BELAS- Basierend auf Beobachtungen der psychologischen TUNGSSTÖRUNG (PTBS) Beratung der Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete der Menschen, die Traumatisches erlebt haben, können Schwulenberatung Berlin kann geschätzt werden, dass PSYCHOHYGIENE sehr unterschiedlich auf diese psychische Belastung 80% der geflüchteten LSBTI Klient*innen, die ein Be- reagieren. Nicht jede geflüchtete Person ist traumati- ratungsgespräch vor Ort suchen, unter einer akuten siert oder leidet unter einer Traumafolgestörung. Dies PTBS-Symptomatik leiden. ist nicht nur von der Art, der Schwere und der Häu- figkeit der traumatischen Erfahrung abhängig, sondern Bei vielen geflüchteten LSBTI liegt zudem eine komple- insbesondere von der Zeit danach, in der eigentlich die xe Traumatisierung vor. Diese basiert auf traumatisie- Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen beginnen renden Erfahrungen, die zusätzlich zu den o.g. Erlebnis- 18 19
sen (Krieg, politische Verfolgung etc.) gemacht werden. aversiven, d. h. stark abstoßenden Details von traumati- Diese LSBTI-spezifischen Erfahrungen umfassen u. a. schen Erfahrungen anderer. MASSNAHMEN IM BERUFLICHEN KONTEXT DER DOLMETSCHUNG: jahrelange gesellschaftliche Ausgrenzung, Sogenannte helfende Berufe weisen ein besonders hohes VOR UND NACH DEM GESPRÄCH: Diskriminierung, Kriminalisierung Risikopotential für sekundäre Traumatisierungen auf. Dazu Maß halten: Dauer und Häufigkeit der Konfronta- sich wiederholende familiäre Gewalt zählen Feuerwehrleute, Sanitäter*innen, Katastrophen- tion mit traumatischen Geschichten und trauma- Inhaftierung aufgrund von Homosexualität helfer*innen, Polizist*innen, Ärzt*innen und Krankenhaus- tisierten Klient*innen begrenzen Folter personal, Lehrer*innen sowie Menschen in psychosozialen Distanz zu Klient*in schaffen (räumlich und Berufen wie Psychotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen symbolisch) Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung und nicht zuletzt auch Dolmetscher*innen, die beispiels- für Entlastung sorgen (z. B. Gespräch mit (kPTBS) beschreibt ein Krankheitsbild, das sich infol- weise mit queeren Geflüchteten arbeiten. Kolleg*innen nach Dolmetscheinsatz unter ge schwerer, langanhaltender, sich wiederholender und PSYCHOHYGIENE Wahrung der Anonymität der*des Klient*in) in Teilen gegenseitig verstärkender Traumatisierungen Risikofaktoren für sekundäre Traumatisierungen in der Unter Psychohygiene werden alle Maßnahmen ver- Supervision entwickeln kann. Neben den o.g. Symptomen der PTBS Arbeit mit geflüchteten LSBTI sind: standen, die dazu beitragen, die seelische Gesundheit können folgende Beschwerden auftreten: zu erhalten und somit belastungsbedingten psychi- WÄHREND DES GESPRÄCHS: Überidentifikation und Mitleiden mit schen Erkrankungen vorzubeugen. Um die eigene Distanz zu Klient*in schaffen (räumlich und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation Klient*innen statt Mitgefühl Psyche zu reinigen bzw. sauber zu halten, können symbolisch) (Wutausbrüche, fremd- bzw. selbstverletzendes mangelnde Abgrenzung bzw. persönliche Dolmetscher*innen Folgendes tun: ggf. in der Verdolmetschung von der 1. Person Verhalten, „Selbstberuhigungsversuche“ mittels Nähe zu Klient*innen bzw. deren Erfahrungen („ich“) in die 3. Person („sie“, „er“, „Frau/Herr X“, Alkohol oder Drogen, Suizidalität) (zu hohe) Verantwortungsübernahme z. B. für Vorname, „die*der Klient*in“) wechseln negatives Selbstkonzept (geringes Ausgang von Asylverfahren PRIVATE MASSNAHMEN: bildliches Vorstellen (imaginieren) von zu dolmet- Selbstwertgefühl, Hilflosigkeit, Scham- und Schuldübernahme für Misserfolge, Rückschläge keine überhöhten Erwartungen an sich selbst schenden Inhalten vermeiden Schuldgefühle, mangelnde Selbstwirksamkeit (z. B. Abschiebungen) (Feierabend-)Rituale entwickeln sich kleine Pausen und kurze „Ausflüge“ gönnen (Gefühl, wenig Einfluss auf den Verlauf des möglicherweise Spiegelneuronen (Nervenzellen, (z. B. Arbeitshandy ausstellen, Arbeitsschlüssel (z. B. einen Schluck trinken, aus dem Fenster eigenen Lebens nehmen zu können) die durch die Gegenwart anderer Menschen weglegen, Tee trinken) gucken) interpersonelle Probleme (Konflikte, aktiviert werden und sozusagen spiegelbildlich in Freizeit nicht/wenig über Dienstliches reden Blickkontakt ggf. vermeiden Vertrauensprobleme, Beziehungsunfähigkeit, die Gefühle oder Körperzustände der anderen auf Warnsignale achten (z. B. Nervosität, tief ein- und ausatmen, sich auf den Körper Kontaktabbrüche) wachrufen): Schlafstörungen) fokussieren (Füße auf dem Boden, Rücken gegen erhöhte Dissoziationsneigung, v. a. Symptome der emotionale Empathie bzgl. Traumatisierungen Selbstklärung (Was macht das Gehörte/ die Stuhllehne spüren) Derealisation (Gefühl, dass die Umgebung unwirk- der geflüchteten LSBTI, z. B. in Form von Gedolmetschte mit mir?) bei Bedarf um eine Pause bitten lich ist) und der Depersonalisation (Gefühl, dass der Hoffnungslosigkeit, selbstdestruktiven Impulsen, Unterstützung annehmen (Versorgung eigener „Raumanzug-Technik“ verwenden: Stellen eigene Körper nicht vertraut oder fremd ist) Unruhe, Stress, Schlafstörungen nach „verletzter Anteile“, z. B. eigene Therapie, Sie sich kurz vor dem Gespräch vor, wie Sie einen Somatisierung (körperliche Beschwerden, für die Dolmetscheinsatz Bearbeitung eigener Traumata) Raumanzug anziehen. Überlegen Sie sich genau, keine organische Erklärung gefunden werden kann) Selbstfürsorge (Zeit für sich selbst und Schönes) wie dieser aussieht, und machen Sie beim Veränderungen von Lebenseinstellungen Sekundäre Traumatisierungen sind Belastungen von See- Sport bzw. Bewegung (spazieren gehen) Anziehen die passenden Bewegungen dazu. Wenn (Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit) le und Körper der Helfenden und weisen Symptome auf, Natur während des Gesprächs belastende Situationen die denen der primär Traumatisierten ähneln. Nicht sel- Achtsamkeit, Yoga, Meditation vorkommen, vergewissern Sie sich, dass Sie ganz ten äußern sie sich in einem sogenannten Burn-Out, also Entspannung und Ruhe (schlafen, nichts tun) sicher in Ihrem Raumanzug sitzen und durch TRAUMAFOLGESTÖRUNGEN / dem körperlichen und/oder psychischen Ausgebrannt- imaginative Übungen (z. B. Vorstellung von diesen geschützt werden. Vergessen Sie nicht, PTBS BEI NICHT-BETROFFENEN: sein. Neben individuellen Auswirkungen können auch „sicherem Ort“) am Ende des Gesprächs den Raumanzug wieder SEKUNDÄRE TRAUMATISIERUNG schlechte Arbeitsbeziehungen bzw. Spannungen im Team Phasen der Stille und Erholung (Auszeit, Urlaub) auszuziehen. Sekundäre bzw. indirekte Traumatisierung bezeichnet Anzeichen sein. Sekundäre Traumatisierungen bergen sozialen Rückzug vermeiden psychische Traumafolgestörungen, die bei Angehöri- die Gefahr der Reaktivierung eigener Traumata. Dabei Beziehungen halten und pflegen gen oder helfenden Personen durch die Begleitung von sollten v. a. Dolmetscher*innen, die sich selbst als LSBTI direkt Traumatisierten oder die Zeugenschaft bei trau- identifizieren, besonders auf sich und ihre Psychohygie- matischen Erfahrungen anderer entstehen können. Sie ne achten, da ggf. eigene Traumatisierungen in Folge von kann beispielsweise dadurch entstehen, dass Menschen Diskriminierungen oder Gewalterfahrungen aufgrund Siehe http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2018/11/BAfF_Praxisleitfaden-Traumasensibler-Umgang-mit-Gefluechteten_2018.pdf 16 von traumatischen Erlebnissen nahestehender Perso- ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität Folgende Bezeichnungen werden zum Teil synonym verwendet: Sekundärtraumatisierung, sekundäre Traumastörung, stellvertretende 17 nen erfahren. Ein weiterer Auslöser sekundärer Trau- getriggert, sprich reaktiviert werden können. Traumatisierung (von engl. „vicarious traumatization“), Co-Traumatisierung, Mit-Traumatisierung, Begleitungs-Burn-Out, „emotionale matisierung besteht in der intensiven Konfrontation mit Ansteckung“, „transmissive Traumatisierung“, Mitgefühlserschöpfung (von engl. „compassion fatigue“), traumatische Gegenübertragung. 20 21
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