Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...

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Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Dosimetrische Untersuchung des
 MammoSite®-Applikators mit
Monte-Carlo-Simulationen sowie
    Messungen mit einem
 2D-Ionisationskammer-Array

                 Masterarbeit
                   vorgelegt von
                 Moritz Budde

       Lehrstuhl für Experimentelle Physik V
                  Fakultät Physik
         Technische Universität Dortmund
                       2016
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Gutachter :   Prof. Dr. Bernhard Spaan

              Dipl. Ing. Horst Hermani

              Dr. Marion Eichmann

Datum des Einreichens der Arbeit: 30. September 2016
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Kurzfassung
Der chirurgischen Entfernung eines Mammakarzinoms folgt häufig eine postoperative
Bestrahlung mit einer radioaktiven Quelle (Brachytherapie) direkt in der Kavität des
entfernten Karzinoms. Beim MammoSite-Verfahren wird dazu ein sphärischer Silikon-
ballon eingeführt und mit einer NaCl-Lösung gefüllt. In einem Zeitraum von etwa fünf
Tagen wird in mehreren Sitzungen eine Iridium-192-Quelle mit hoher Aktivität durch
einen Katheter in den Ballon geführt (Afterloading), um die restlichen Tumorzellen in
der Kavität zu bestrahlen.
In dieser Arbeit werden Dosisverteilungen des MammoSite-Applikators mit Hilfe von
Monte-Carlo-Simulationen untersucht. Hierbei steht die mögliche Nutzung eines 2D-
Detektor-Arrays zu Verifikation von 3D-Brachytherapie-Bestrahlungsplänen im Vorder-
grund. Wichtige Aspekte sind dabei die auftretenden Dosisabweichungen als Folge von
Lufteinschlüssen, des Kontrastmittels und der Korrektur des Umgebungsmediums.

Abstract
The surgical removal of a breast tumour is often followed by postoperative irradiation
of the tissue surrounding the resulting cavity with a radioactive source (brachytherapy).
When performing the MammoSite procedure, a spherical silicone balloon is inserted and
filled with a NaCl solution. In a period of about five days an iridium-192 source with a
high activity travels through a catheter into the balloon (afterloading) to irradiate the
tumour cells remaining in the cavity.
In this thesis the dose distributions of the MammoSite applicator are studied by using
Monte Carlo simulations. The focus of this study is the investigation with a 2D detector
array and its possible application in the verification process of 3D brachytherapy treat-
ment plans. In this context important aspects are the occurring dose deviations as a
result of air pockets, the contrast agent and the correction of the surrounding medium.
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung                                                                                                    1

2 Theoretische Grundlagen                                                                                       3
  2.1 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    3
      2.1.1 Zerfallsgesetz, Aktivität und Halbwertszeit .      .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    3
      2.1.2 Beta-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    4
      2.1.3 Gamma-Strahlung . . . . . . . . . . . . . .        .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    4
  2.2 Wechselwirkung mit Materie . . . . . . . . . . . . .     .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    4
      2.2.1 Wechselwirkung von Photonenstrahlung . .           .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    5
      2.2.2 Energiedosis . . . . . . . . . . . . . . . . . .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    6
  2.3 Biologische Strahlenwirkung . . . . . . . . . . . . .    .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    7
      2.3.1 Äquivalentdosis und LET . . . . . . . . . .        .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    7
      2.3.2 Tumorbestrahlung . . . . . . . . . . . . . .       .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    7
      2.3.3 Therapeutische Breite . . . . . . . . . . . .      .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    8
  2.4 Ionisationskammern . . . . . . . . . . . . . . . . .     .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .    9
  2.5 Computertomographie . . . . . . . . . . . . . . . .      .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   10
  2.6 Monte-Carlo-Simulationen und TG-43-Formalismus           .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   10

3 Afterloading                                                                                                 15
  3.1 Aufbau und Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              15
  3.2 Der MammoSite-Applikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                               16
  3.3 Iridium-192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                          17

4 Verifikation von MammoSite-Bestrahlungsplänen                                                                19
  4.1 Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        .   .   .   .   .   .   .   .   .   20
       4.1.1 Das 2D-Ionisationskammer-Array . . . . . . . . .              .   .   .   .   .   .   .   .   .   21
       4.1.2 Halterung und Abstand . . . . . . . . . . . . . .             .   .   .   .   .   .   .   .   .   21
  4.2 Bestrahlungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          .   .   .   .   .   .   .   .   .   22
  4.3 Monte-Carlo-Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . .           .   .   .   .   .   .   .   .   .   24
       4.3.1 Iridium-192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         .   .   .   .   .   .   .   .   .   25
       4.3.2 Aufnahme der Dosisverteilung . . . . . . . . . . .            .   .   .   .   .   .   .   .   .   27
  4.4 Folgen vereinfachter Annahmen des TG-43-Formalismus                  .   .   .   .   .   .   .   .   .   28
       4.4.1 Kontrastmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          .   .   .   .   .   .   .   .   .   28
       4.4.2 Umgebungsmedium . . . . . . . . . . . . . . . . .             .   .   .   .   .   .   .   .   .   29
       4.4.3 Lufteinschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         .   .   .   .   .   .   .   .   .   30
       4.4.4 Herein- und Herausfahren der Quelle . . . . . . .             .   .   .   .   .   .   .   .   .   31

                                                                                                               VII
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
Inhaltsverzeichnis

         4.4.5 PMMA-Kasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        33
   4.5   Verifikation des Bestrahlungsplanes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    34
   4.6   Fehlerrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   40

5 Folgen von Lufteinschlüssen                                                             43
  5.1 Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     45
      5.1.1 Styropor als luftäquivalentes Material . . . . . . . . . . . . . . .          45
      5.1.2 Aufnahme der Messwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            47
  5.2 Pinnacle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    47
  5.3 Monte-Carlo-Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        47
  5.4 Verifikation des Bestrahlungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        49
  5.5 Simulationen von Lufteinschlüssen zur Ausweitung des Patientenspektrums             51
      5.5.1 5 cm-Ballon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       53
      5.5.2 4 cm-Ballon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       57

6 Zusammenfassung und Ausblick                                                            59

Anhang                                                                                    61

Abbildungsverzeichnis                                                                     75

Tabellenverzeichnis                                                                       79

Literaturverzeichnis                                                                      81

Danksagung                                                                                85

VIII
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
1 Einleitung
Im Jahr 2012 sind in Deutschland über 220 000 Frauen an Krebs erkrankt. 70 000, also
rund ein Drittel davon, an Brustkrebs, womit dies die am häufigsten auftretende maligne
Erkrankung der Frau ist. Vor 15 Jahren war die Inzidenz mit unter 50 000 Neuerkran-
kungen noch deutlich geringer [1]. Dennoch sind aufgrund des technischen Fortschritts
und der Weiterentwicklung der Therapien weniger Frauen an Brustkrebs gestorben. Die
Überlebenswahrscheinlichkeit ist heutzutage somit deutlich besser. Um die Mortalität
weiter zu reduzieren, wird diagnostizierter Brustkrebs mit individuellen Kombinationen
aus operativem Eingriff, Bestrahlung und Medikamentengabe therapiert.
In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit der postoperativen Bestrahlung des
Mammakarzinoms unter Verwendung des MammoSite-Ballons. Diese Therapieform ist
eine Anwendung der Brachytherapie und wird seit 2011 mit Erfolg am Marien Hospital
in Herne praktiziert.
Die Brachytherapie ist ein Verfahren, bei dem ein Tumor aus kurzer Distanz bestrahlt
wird, sodass das umliegende Gewebe weitestgehend geschont wird. Der MammoSite-
Applikator ist ein füllbarer Silikonballon, der mit einem Katheter in die Brust der
Patientin, in die Kavität des zuvor entfernten Mammakarzinoms, eingeführt wird. An-
schließend fährt eine radioaktive Quelle in den Ballon hinein und bestrahlt die Brust
von innen. Vorteile dieser Bestrahlung sind die Schonung des restlichen Brustgewebes,
das bei der Teletherapie mitbestrahlt werden würde sowie die Reduzierung der Be-
strahlungsdauer. Der eigentlichen Bestrahlung geht eine, auf CT-Bilder gestützte, 3D-
Planung voraus, in der die gewünschte Dosisverteilung über Haltezeiten und -positionen
des Nuklids im Katheter eingestellt werden. Detaillierte Ausführungen zum Aufbau und
der Funktionsweise des MammoSite-Verfahrens sind in Kapitel 3 zu finden. Zuvor gehe
ich in Kapitel 2 auf die zum Verständnis benötigten physikalischen und medizinischen
Grundlagen der Bestrahlung ein.
Zur Überprüfung der Richtigkeit und Konstanz der Bestrahlung sind regelmäßige Qua-
litätssicherungen nötig, deren Umfang je nach Therapieart variiert. Im Gegensatz zur
Teletherapie wird in der Brachytherapie keine patientenbezogene Qualitätssicherung
durchgeführt.
Das Ziel dieser Masterarbeit ist es zu überprüfen, ob eine Verifikation von MammoSite-
Bestrahlungsplänen mit Hilfe eines 2D-Ionisationskammer-Arrays möglich ist. Der Un-
tersuchung dieser Fragestellung, der Beschreibung der Messung und den Simulationen
sowie den daraus resultierenden Ergebnissen widme ich mich in Kapitel 4. Eine erfolg-
reiche Planverifikation käme in der Praxis einer patientenbezogenen Qualitätssicherung
in der Brachytherapie gleich und wäre damit ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die
immer komplexer werdenden Bestrahlungspläne.

                                                                                     1
Dosimetrische Untersuchung des MammoSite-Applikators mit Monte-Carlo-Simulationen sowie Messungen mit einem 2D-Ionisationskammer-Array ...
1 Einleitung

Konventionelle Bestrahlungsplanungsprogramme berechnen die applizierte Dosis in Was-
ser ohne Berücksichtigung von Dichteinhomogenitäten, weshalb es in Regionen mit ei-
ner abweichenden Dichte zu Fehlbestrahlungen kommen kann. Besonders die Folgen
von Lufteinschlüssen in der Brust, die durch unzureichendes Füllen des Ballons ent-
stehen, werden untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Kapitel 5 zu
finden. Als Referenz für gemessene und berechnete Dosisverteilungen wurden Monte-
Carlo-Simulationen mit Geant4 angefertigt.

2
2 Theoretische Grundlagen
In den nachfolgenden Ausführungen werden die physikalischen Grundlagen der Radio-
aktivität und der Wechselwirkung von Photonenstrahlung erläutert. Bei dem in dieser
Arbeit verwendeten Strahler handelt es sich um eine 192-Iridium-Quelle mit einer Halb-
wertszeit von 73,8 Tagen, die im Anschluss an einen β− -Zerfall oder einen Elektronen-
einfang Photonen mit einer durchschnittlichen Energie von Eγ = 346,9 keV aussendet.
Im Mittel entstehen pro Zerfall 2,35 Photonen, wobei nur die Energien berücksichtigt
werden, deren Intensität mehr als 0,001 % beträgt. Eine tabellarische Darstellung des
Spektrums befindet sich im Anhang in der Tabelle 8.1.
Darüber hinaus wird zum besseren Verständnis die Wirkung der Strahlung auf Ge-
webe und das Prinzip einer Ionisationskammer sowie das eines Computertomographen
betrachtet.

2.1 Radioaktiver Zerfall
Radioaktive Strahlung entsteht beim Zerfall instabiler Kerne unter Aussendung von
Teilchen oder elektromagnetischer Strahlung. Die notwendige Bedingung für die Insta-
bilität eines Kerns ist, dass die Masse der entstehenden Zerfallsprodukte kleiner als
die des Mutterkerns ist. Ein weiteres Kriterium ist die Parität von Neutronen- und
Protonenanzahl sowie deren Verhältnis zueinander. Beim Zerfall von Atomkernen wird
zwischen drei Zerfallsarten differenziert, dem Alpha-, Beta- und Gammazerfall. Die fol-
genden Beschreibungen geben eine kurze Einführung in die wichtigsten Begriffe der
Radioaktivität und stützen sich auf die Fachliteratur [2] und [3].

2.1.1 Zerfallsgesetz, Aktivität und Halbwertszeit
Der Zerfall radioaktiver Isotope erfolgt statistisch. Mit der Zerfallswahrscheinlichkeit λ
lässt sich die Anzahl instabiler Kerne N in Abhängigkeit von der Zeit t darstellen.
                                    N (t) = N0 · e−λ·t                               (2.1)
N0 bezeichnet die Anzahl vorhandener Kerne zum Zeitpunkt t = 0. Die Zerfallswahr-
scheinlichkeit ist für jedes Nuklid konstant und größer, je instabiler das Isotop. Das
Ableiten von (2.1) liefert die Anzahl zerfallender Kerne pro Zeiteinheit.
                                    A(t) = A0 · e−λ·t                                (2.2)
Diese Größe heißt Aktivität und wird in der Einheit Becquerel (Bq = s−1 ) angegeben.
Analog ist hier A0 die Aktivität der Quelle zum Zeitpunkt t = 0.

                                                                                        3
2 Theoretische Grundlagen

Eine weitere wichtige Größe der Radioaktivität ist die Halbwertszeit T1/2 , nach der die
Hälfte aller Kerne N0 zerfallen ist.
                                               ln 2
                                      T1/2 =                                       (2.3)
                                                λ

2.1.2 Beta-Zerfall
Herrscht im Kern ein Neutronenüberschuss oder -mangel kommt es zum β− - bzw. β+ -
Zerfall. Zum Vermindern eines Neutronendefizits kann es zudem zum Elektroneneinfang
kommen.

Als Folge eines Neutronenüberschusses wandelt sich ein Neutron unter Aussendung eines
Elektrons sowie eines Elektron-Antineutrinos in ein Proton um. Die Kernladungszahl
erhöht sich, während die Massenzahl konstant bleibt.

                              ZX
                              A
                                    −→   Z+1 Y
                                         A
                                                 + e− + ν e                        (2.4)

Liegt hingegen ein Neutronendefizit vor, wird die Anzahl durch Emission eines Positrons
und eines Elektron-Neutrinos erhöht. Dafür wandelt sich im Kern ein Proton in ein
Neutron um, wobei die Kernladungszahl bei unveränderter Massenzahl sinkt.

                              ZX         Z−1 Y                                     (2.5)
                              A          A
                                    −→           + e+ + νe

Zusätzlich finden bei allen β+ -Strahlern Elektroneneinfänge statt. In den meisten Fäl-
len bildet ein Elektron der K-Schale mit einem Proton ein Neutron und ein Neutrino,
welches abgestrahlt wird.

                              ZX
                              A
                                   + e− −→      Z−1 Y
                                                A
                                                        + νe                       (2.6)

β-Strahlung weist ein kontinuierliches Spektrum auf, da es sich bei dieser Zerfallsart
nicht um einen Zweikörper-Zerfall handelt. Die Reichweite der Elektronenstrahlung ist
größer als die eines α-Strahlers, da sowohl die Masse als auch die Ladung geringer ist.

2.1.3 Gamma-Strahlung
Nach einer Kernreaktion, z. B. in Form eines Zerfalls, befindet sich der Kern oftmals im
angeregten Zustand. Als Folgeprozess einer Atomkernanregung kommt es zur Emission
von γ-Strahlung. Bedingt durch diskrete Energiezustände ist auch das Spektrum eines
Gammastrahlers diskret. Verglichen mit den anderen Strahlungsarten ist die Reichweite
der neutralen, masselosen γ-Quanten am höchsten.

Bei allen Strahlungsarten ist die Reichweite abhängig von der Teilchenenergie sowie dem
Material, in dem sich die Strahlung ausbreitet.

2.2 Wechselwirkung mit Materie
In diesem Abschnitt werden die Ausführungen auf die Wechselwirkung von Photonen-
strahlung beschränkt, da nur diese zur Erklärung für später auftretende Dosen relevant
ist. Neben der bereits in Kapitel 2.1 genannten Literatur wurden vor allem [4], [5] und

4
2.2 Wechselwirkung mit Materie

[6] zur Recherche umfangreicher Definitionen wichtiger Dosisgrößen genutzt.
Trifft Strahlung auf ein Material, kommt es zu Ionisationen, Anregungen und Energie-
übertragungen. Die Strahlungsarten können in Wellen- und Teilchenstrahlung unterteilt
werden, bei denen die Ionisationen entweder direkt oder indirekt auftreten. Zusätzlich
muss bei Teilchenstrahlern zwischen geladenen und ungeladenen Partikeln differenziert
werden. Geladene Teilchen lösen mittels ihres elektrischen Feldes Elektronen aus der
Atomhülle, während bei ungeladenen Teilchen wie Neutronen, Ionisationen als Folge-
prozess von Atomkernreaktionen oder Streuvorgängen auftreten.

2.2.1 Wechselwirkung von Photonenstrahlung
Treffen hochenergetische Photonen auf Materie, können sechs verschiedene Wechselwir-
kungen auftreten, deren Wahrscheinlichkeiten σ von Photonenenergie und Wechselwir-
kungsmaterial abhängen. Aus der Summe aller Wechselwirkungskoeffizienten ergibt sich
der lineare Schwächungskoeffizient µ, der im Lambert-Beerschen Gesetz zur Berechnung
der Abschwächung der Strahlungsintensität I(d) nach Durchlaufen der Materialdicke d
genutzt wird
                                   I(t) = I0 · e−µ·d .                          (2.7)
Nachfolgend werden die drei wichtigsten Wechselwirkungen aufgegriffen.

Streuung: Wird ein Photon an einem quasi-freien Elektron gestreut, ändert es seine
Richtung. Während bei niederenergetischen Photonen Streuungen ohne Energietrans-
fer auftreten (Rayleigh-, Thomson-Streuung), übergibt das Photon bei der Compton-
Streuung unter Richtungsänderung einen Teil seiner Energie an das Elektron. Für die
Abhängigkeit des Wechselwirkungskoeffizienten der Compton-Streuung gilt

                                           ρ·Z
                                 σCo ∝                 .                            (2.8)
                                         A · Eγ0,5−1

Photoeffekt: Übersteigt die Energie der Photonen EPh die Bindungsenergie eines
Hüllenelektrons EB , kann das Elektron ein Photon vollständig absorbieren und das
Atom mit der Energie Ekin = EPh − EB verlassen. Der Photoeffekt dominiert vor allem
bei Materialien mit hoher Ordnungszahl und kleinen Photonenenergien. In Darstellung
einer Formel bedeutet das für den Absorptionskoeffizienten

                                         ρ · Z 4−4,5
                                 σPh ∝               ,                              (2.9)
                                           A · Eγ3

wobei für Energien  me c2 , die Energieabhängigkeit in Eγ−1 übergeht. Analog zum
Photoeffekt kann es zum Kernphotoeffekt kommen, der jedoch aufgrund der höheren
nukleonspezifischen Schwellenenergien hier keine Relevanz hat.

Paarbildung: Ab einer Photonenenergie von EPh > 2me c2 ist es möglich, dass im Co-
loumbfeld des Kerns Elektron-Positron-Paare erzeugt werden, deren Bewegungsenergie
sich aus Ekin = Eγ − 2me c2 ergibt. Für die Abhängigkeiten des Paarbildungskoeffizien-
ten gilt
                                σPa ∝ ρ · Z · log(Eγ ) .                       (2.10)

                                                                                       5
2 Theoretische Grundlagen

Hier sei bereits erwähnt, dass die Paarbildung als Folge des Energiespektrums der ver-
wendeten Strahlungsquelle vernachlässigt werden kann. In Abbildung 2.1 sind die wich-
tigsten Massenabsorptionskoeffizienten in Wasser in Abhängigkeit von der Photonen-
energie dargestellt.

                                                101                        Kohärente Streuung σCoh /ρ
     Massenabsorptionskoeffizienten in cm2/g

                                                                           Compton-Streuung σCo /ρ
                                                                           Photoeffekt σPh /ρ
                                                100                        Paarbildung σPa /ρ
                                                                           Gesamt µ/ρ

                                               10−1

                                               10−2

                                                 10−2   10−1                    100                      101
                                                               Energie in MeV
Abbildung 2.1: Massenabsorptionskoeffizienten der Photonenwechselwirkungen in Abhängig-
               keit von der Energie. Der Plot wurde unter Verwendung von Daten aus [7]
               erstellt.

2.2.2 Energiedosis
Die Energiedosis D entspricht der von der ionisierenden Strahlung abgegebenen Energie
E pro Masse m des durchstrahlten Materials
                                                                    dE
                                                               D=      .                                       (2.11)
                                                                    dm
                                                 J
Die Einheit der Energiedosis ist Gray (Gy = kg     ). Bei Photonenstrahlung sind die Pri-
märteilchen sowie erzeugte Streu- und Bremsstrahlung für die eigentliche Dosis ne-
bensächlich. Die lokale Energiedeponierung wird bei der hier verwendeten 192-Iridium-
Strahlenquelle annähernd vollständig durch Sekundärelektronen hervorgerufen, die nach
ihrer Entstehung durch weitere Anregungen und Ionisationen gebremst werden. Folg-
lich liegt das Dosismaximum von Photonenstrahlung nicht an der Oberfläche des durch-
strahlten Körpers, sondern in der Tiefe, in der Sekundärelektronengleichgewicht herrscht.
Das heißt, dass der Energiegewinn und -verlust der Elektronen identisch sind. Dieses
Phänomen wird Dosisaufbaueffekt genannt. Je höher die Energie der Photonen, desto
größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Vorwärtsstreuung des Sekundärteilchens, was
dazu führt, dass mit steigender Photonenenergie das Dosismaximum zunehmend in den
Körper geschoben wird.

6
2.3 Biologische Strahlenwirkung

2.3 Biologische Strahlenwirkung
In diesem Abschnitt sollen die Prinzipien der Strahlentherapie kurz erläutert werden.
Die nachfolgende Zusammenfassung basiert neben [3] und [6] auch auf Literatur zur
Strahlentherapie [8] und [9].
Grundlegend für die biologische Strahlenwirkung ist die Veränderung und Abtötung von
Zellen durch Schädigung ihrer DNA1 . Diese Schäden werden insbesondere durch Ioni-
sationen und Anregungen im Gewebe hervorgerufen, weshalb zwei weitere Dosisgrößen
etabliert wurden. Hier sei erwähnt, dass auch Radikale, die durch die Ionisation von
Wassermolekülen entstehen, über physikalisch-chemische Wechselwirkungen eine nicht
zu vernachlässigende Rolle spielen.

2.3.1 Äquivalentdosis und LET
Die Äquivalentdosis H gewichtet die Energiedosis D (2.11) mit einem Qualitätsfaktor
Q , welcher ein Maß für die Ionisationswahrscheinlichkeit der jeweiligen Strahlungsart
darstellt
                                     H =D·Q .                                   (2.12)
So ist α-Strahlung bei identischer Energiedosis aufgrund der höheren Ionisationsdich-
te biologisch deutlich schädlicher als Photonenstrahlung. Durch die Einführung die-
ser Größe lassen sich die Auswirkungen der Strahlungsarten im Gewebe miteinan-
der vergleichen. Der Qualitätsfaktor für Photonenstrahlung dient als Referenz und ist
definitionsgemäß 1. Für Elektronen und Positronen liegt er ebenfalls bei 1, während für
Protonen, Neutronen, α-Teilchen und schwere Ionen der Wert je nach Energie bis über
20 steigen kann. Darüber hinaus existiert die effektive (Äquivalent-)Dosis, die neben
der Strahlenqualität auch die Organempfindlichkeit berücksichtigt. Zur Unterscheidung
                                                                 J
von der Energiedosis wird die Äquivalentdosis in Sievert (Sv = kg  ) angegeben.
Alternativ zur Äquivalentdosis eignet sich der Lineare Energietransfer (LET ). Der LET
ist ein indirektes Maß für die Anzahl erzeugter Ionen entlang des Weges eines ionisie-
renden Teilchens. Er beschreibt die abgegebene Energie ∆E des Primärstrahls auf der
zurückgelegten Strecke ∆s des Teilchens

                                                   ∆E
                                          LET =       .                                (2.13)
                                                   ∆s

Bei der Charakterisierung der Strahlenart wird zwischen locker (LET < 3,5 keV µm−1 )
und dicht ionisierender Strahlung (LET > 3,5 keV µm−1 ) differenziert. Der LET steigt
mit Masse und Ladung des Teilchens an und ist antiproportional zur Teilchengeschwin-
digkeit, weshalb Photonen, Elektronen und Positronen zur ersten und Protonen, Neu-
tronen oder α-Teilchen zur zweiten Strahlenart zählen.

2.3.2 Tumorbestrahlung
Ziel jeder Tumorbestrahlung ist die vollständige Vernichtung von Tumorzellen bei maxi-
maler Schonung des Normalgewebes. Wie einleitend bereits erwähnt, hat die Schädigung
von Gewebe ihren Ursprung in der Veränderung der DNA. Da Zellen zur Behebung von
 1
     deutsch: DNS = Desoxyribonukleinsäure; Träger der Erbinformation

                                                                                           7
2 Theoretische Grundlagen

Schäden Reparaturenzyme besitzen, sind nur die nicht oder falsch reparierten Strang-
brüche, welche entweder zum Absterben der Zelle oder zur Malignität führen, relevant.
Kommt es während eines Reparaturvorgangs zu einem weiteren Bruch, entsteht ein irre-
parabler Doppelstrangbruch. In Abbildung 2.2 ist die Anzahl überlebender Zellen gegen
die Dosis aufgetragen.

Abbildung 2.2: Der Fraktionierungseffekt: Zellüberlebensraten bei Einzelbestrahlung und
               fraktionierter Bestrahlung von Tumor- und Normalgewebe.

Die Kurve der Einzelbestrahlung deutet an, dass ohne Reparaturpausen die Überle-
bensrate exponentiell mit der Dosis abnimmt. Bei geringeren Dosen ist der Gradient
der Kurve kleiner, was auf die Reparaturfähigkeit der Zellen zurückzuführen ist. Je
nach Zelltyp variiert aufgrund unterschiedlicher Strahlensensibilitäten die Form dieser
Kurve. So ist das Reparaturvermögen von Tumorzellen im Vergleich zu normalem Ge-
webe wesentlich schlechter, weshalb konventionelle Bestrahlungen fraktioniert erfolgen
(vgl. rote und grüne Kurve). Die Dauer der Pause zwischen zwei Fraktionen wird so
gewählt, dass bei gesunden Zellen der Reparaturvorgang abgeschlossen ist und bei Tu-
morzellen nicht. Dieser Fraktionierungseffekt erlaubt die Applikation höherer Dosen bei
gleichzeitig mehr überlebenden Zellen.
Es ist üblich, dass ein Tumor mit einer Reihe von Behandlungen therapiert wird. Oft-
mals werden Bestrahlungen postoperativ durchgeführt oder in Kombination mit einer
Chemotherapie. Diese ist besonders wirksam zur lokalen Tumorvernichtung und wirkt
zusätzlich Metastasen entgegen.

2.3.3 Therapeutische Breite
Je höher die applizierte Strahlendosis, desto wahrscheinlicher ist eine Vernichtung des
gesamten Tumors, wobei die therapeutische Breite ein zu berücksichtigendes Kriteri-
um ist. Sie gibt das Verhältnis von therapeutischer zu schädlicher Strahlendosis an.
Die Grundlage der therapeutischen Breite liegt in den im Abschnitt zuvor erwähnten
unterschiedlichen Strahlensensibilitäten von Normal- und Tumorgewebe sowie deren
Reparaturvermögen. Die höhere Strahlenanfälligkeit von Tumorzellen resultiert zudem
aus der Tatsache, dass sie sich häufiger teilen als normale Zellen. Untersuchungen ha-
ben gezeigt, dass Zellen während der Mitosephase bzw. der Zellkernteilung besonders

8
2.4 Ionisationskammern

strahlenempfindlich sind. Der Zusammenhang zwischen dosisabhängiger Tumorvernich-
tung und Schädigung von Normalgewebe wird in so genannten Dosiseffektkurven, siehe
Abbildung 2.3, dargestellt.

                            100

                             75
             Wirkung in %
                                      Tumorkontrolle

                             50

                                                        Schädigung
                             25

                              0
                              0.01   0.1             1               10         100
                                              Dosis in w. E.

Abbildung 2.3: Dosiseffektkurven zur Veranschaulichung der Problematik nach [10]. Die Kur-
               ven geben die Wirkung auf das jeweilige Gewebe an.

Die Abkürzung w. E. bezeichnet willkürliche Einheiten. Bei logarithmischer Darstellung
der Dosis steigt die Wirkung in Form einer sigmoiden Kurve an. In dem hier gezeigtem
Beispiel ist erkennbar, dass eine vollständige Tumorheilung nicht ohne Komplikationen
im gesunden Gewebe möglich ist. Im Falle einer zu kleinen therapeutischen Breite wird
der Tumor als strahlenresistent eingestuft.

2.4 Ionisationskammern
Ionisationskammern sind gasgefüllte Detektoren, die sich gut zur Messung von Strah-
lendosen eignen. In der klinischen Dosimetrie bilden sie die bedeutsamste Detektorart.
Sie sind relativ günstig, präzise, einfach gebaut, langlebig und sehr flexibel einsetzbar.
Die gewöhnlichste Form besteht aus zwei planparallelen Platten, an denen eine Gleich-
spannung angelegt ist, wie in Abbildung 2.4 dargestellt.

Abbildung 2.4: Schematischer Aufbau einer Ionisationskammer. Die durch Ionisation entste-
               henden Sekundärteilchen werden durch das E-Feld zu den Platten gezogen
               [6].

                                                                                              9
2 Theoretische Grundlagen

Tritt Strahlung in die Gaskammer ein, ionisiert sie auf ihrem Weg das Gas. Die Elektron-
Ionen-Paare werden entsprechend ihrer Ladung zu einer Platte gezogen und detektiert.
Damit die Anzahl erzeugter Ladungen gemessen werden kann, dürfen die Sekundärteil-
chen auf ihrem Weg zu den Platten weder rekombinieren noch weitere Teilchen erzeugen.
Die Spannung muss dazu an die Messbedingungen angepasst werden. Die Anzahl ge-
sammelter Ladungsträger ist proportional zur Ionendosis J

                                           dQ
                                      J=      ,                                   (2.14)
                                           dm
dem Verhältnis aus gesammelten Ladungen Q und der Masse des durchstrahlten Gases,
bei dem es sich meistens um Luft handelt. Anschließend lässt sich mittels der material-
spezifischen Ionisationskonstanten f die Energiedosis berechnen.

                                       D =J ·f                                    (2.15)

Die Ionisationskonstante gibt die durchschnittliche Energie an, die zur Erzeugung ei-
nes Elektron-Ion-Paares nötig ist. Für Luft beträgt der Wert f = 33,97 Gy kg C−1 [11].
Zudem müssen alle Ionisationskammern kalibriert werden und messplatzabhängige Kor-
rekturfaktoren mit einkalkuliert werden.

2.5 Computertomographie
Die Computertomographie ist ein bildgebendes Schnittbildverfahren, das auf dem Prin-
zip des Röntgens basiert. Der Unterschied zur Röntgenaufnahme besteht darin, dass
anstatt einer 2D-Projektion, eine 3D-Aufnahme mit räumlichen Informationen aus ei-
ner Vielzahl von Röntgenaufnahmen mit Hilfe eines Computers konstruiert wird. Dazu
wird die Röntgenquelle mit dem Detektorring um den Patienten gedreht und die Elek-
tronendichte durch Rückprojektionen berechnet.
Konventionelle Mehrzeilen-Spiral-Computertomographen ermöglichen Aufnahmen mit
einer sagittalen Auflösung bzw. Schichtdicke von unter 1 mm und einer Auflösung in der
Transversalebene von bis zu 25 Lp/cm (Linienpaare pro Zentimeter) in einer Aufnah-
mezeit von weniger als einer Sekunde.

2.6 Monte-Carlo-Simulationen und TG-43-Formalismus
In der Strahlentherapie werden zur Berechnung von Dosisverteilungen verschiedene Mo-
delle verwendet. Der in der Brachytherapie am weitesten verbreitete Berechnungsalgo-
rithmus ist der des TG-43 Reports [12]. Genauere Berechnungen lassen sich hingegen
mit Monte-Carlo-Simulationen erzielen.

Die Monte-Carlo-Methode bedient sich dem Gesetz der Großen Zahlen, welches besagt,
dass bei ausreichend guter Statistik die relative Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses
gegen seine theoretische Wahrscheinlichkeit konvergiert [13].
Das gleiche Prinzip eignet sich optimal zur Dosisberechnung in der Bestrahlungspla-
nung, da die Wechselwirkung von Teilchen in Materie ebenfalls ein stochastischer Pro-
zess ist. Basierend auf gegebenen Wahrscheinlichkeiten wird in Abhängigkeit von Umge-
bungsmaterial und Dichte sowie Energie des Teilchens und der Teilchenart das Verhalten

10
2.6 Monte-Carlo-Simulationen und TG-43-Formalismus

von Strahlung modelliert und die Dosis berechnet.

Trotz der höheren Genauigkeit von Monte-Carlo-Simulationen verwenden die meisten
Kliniken den TG-43-Formalismus. Das liegt vor allem an den langen Rechenzeiten, die
für diese Simulationen benötigt werden, beziehungsweise an den Rechnern, die (noch)
nicht genügend Rechenkapazitäten liefern, damit Dosiskalkulationen in klinisch akzep-
tablen Zeiten umgesetzt werden können.
Der TG-43 Report liefert eine Formel zur Berechnung der Dosisleistung in einer homo-
genen Wasserumgebung für niederenergetische Quellen der Brachytherapie,

                                            GL (r, θ)
                     Ḋ(r, θ) = SK · Λ ·                 · gL (r) · F (r, θ) ,     (2.16)
                                           GL (r0 , θ0 )

wobei r der Abstand vom Mittelpunkt der Quelle zum Punkt P(r, θ), in dem die Dosis
berechnet werden soll, ist. P(r0 , θ0 ) dient als Referenzpunkt und befindet sich in 1 cm
Abstand, wie in Abbildung 2.5 veranschaulicht.

Abbildung 2.5: Zeichnung zur Darstellung der Variablen des TG-43-Formalismus, nach [12].

Die Formel beinhaltet quellenspezifische Konstanten und Parameter, die durch Messun-
gen und Simulationen bestimmt wurden, deren Definitionen nun folgen.

Luftkermaleistung SK : Kerma steht für kinetic energy released per unit mass und
meint die Bewegungsenergie pro Masseneinheit, die auf geladene Sekundärteilchen erster
Generation übertragen wird. SK entspricht der Ableitung der Kerma in Luft in einem
Meter Abstand zur Quelle.

Dosisleistungskonstante Λ: Die Dosisleistungskonstante ist definiert als das Ver-
hältnis von Dosisleistung im Referenzpunkt P (r0 , θ0 ) zur Luftkermaleistung SK . Sie ist
sowohl vom verwendeten Radionuklid als auch dessen Quellenform abhängig.

Geometriefunktion GL (r, θ): Der TG-43-Formalismus basiert auf tabellarischen Wer-
ten aus Simulationen und Messungen. Um eine vollständige Dosisverteilung zu generie-
ren, wird zwischen gegebenen Werten mit Hilfe der Geometriefunktion unter Vernach-
lässigung von Streuung und Abschwächung interpoliert. Während für Punktquellen das

                                                                                       11
2 Theoretische Grundlagen

Abstandsquadratgesetz GP (r, θ) = r−2 ausreichend ist, wird für Linienquellen ein win-
kelabhängiger Term aufgestellt.
                                         β
                                  
                                   L · r · sin θ ,    θ 6= 0°
                                  
                                  
                      GL (r, θ) =                                               (2.17)
                                  
                                   (r − L2 /4)−1 , θ = 0°
                                   2
                                  

Radiale Dosisfunktion gL (r): Diese Funktion berücksichtigt den relativen Dosisab-
fall in radialer Richtung als Folge von Abschwächung und Streuung unter Vernachlässi-
gung der durch die Geometrie verschuldeten Abnahme

                                       Ḋ(r, θ0 ) GL (r0 , θ0 )
                           gL (r) =               ·             .                 (2.18)
                                      Ḋ(r0 , θ0 ) GL (r, θ0 )
Der Formel ist zu entnehmen, dass auf die radiale Dosis, ausgehend vom Mittelpunkt
der Linienquelle (r = r0 ), normiert wird.

2D-Anisotropiefunktion F (r, θ): Die Anisotropiefunktion beschreibt analog zur Ra-
dialen Dosisfunktion eine relative Abschwächung. Allerdings nicht in radialer Richtung,
sondern unter Variation des Winkels θ.
                                          Ḋ(r, θ) GL (r, θ)
                             F (r, θ) =             ·                             (2.19)
                                          Ḋ(r, θ0 ) GL (r, θ0 )
Allgemein lässt sich sagen, dass F (r, θ) abnimmt für steigende r, dickere Kapseln, klei-
nere Energien und bei Annäherung der Winkel 0° und 180°.

Jedes Krankenhaus hat die Konstanten und Tabellen für die zur Bestrahlung eingesetz-
ten Quellen. Zur Berechnung der Dosis greift der Formalismus mittels der Formel (2.16)
auf diese zu. Die Dosisverteilung wird dadurch nach Einstellen der Bestrahlungspara-
meter quasi instantan berechnet.
Der größte Nachteil und damit auch Anreiz für neue Berechnungsmodelle ist die feh-
lende Korrektur von Dichteinhomogenitäten. Zwar wird die Bestrahlungsplanung un-
ter Verwendung einer CT-Aufnahme gemacht, allerdings wird dabei angenommen, die
Strahlenquelle befände sich ausschließlich in Wasser. Die Zusammensetzung und Ein-
flüsse verschiedener Gewebearten, Applikator- und Umgebungsmaterialien werden nicht
mit einbezogen. Die Probleme dieser vereinfachten Rechenweise werden in Kapitel 4.4
genauer erläutert.

AcurosBV ist ein neuer Algorithmus, der 2009 das erste Mal verwendet wurde. Er be-
rücksichtigt Gewebedichten, Applikatormaterialien und Übergänge und benötigt den-
noch nur ca. eine Minute zum Erstellen von Dosisverteilungen. Der Algorithmus ist
ein GBBS (Grid-Based Boltzmann Solver), der die Dosis deterministisch berechnet
und dessen Genauigkeit mit der von Monte-Carlo-Simulationen vergleichbar ist. Auf-
grund des finanziellen Aufwands sowie der meist ausreichenden Genauigkeit des TG-
43-Formalismus nutzen jedoch zurzeit nur die wenigsten Strahlenkliniken diese Erwei-
terung. Zudem sind die Dosen bei den meisten Therapien so festgelegt, dass sie für eine

12
2.6 Monte-Carlo-Simulationen und TG-43-Formalismus

Bestrahlungsplanung mit dem fehlerhaften TG-43-Formalismus optimiert sind. Würde
ein Bestrahlungsplanungssystem verwendet werden, welches alle Dichteinhomogenitä-
ten korrekt berücksichtigt, müssten die meisten Behandlungskonzepte entsprechend der
dadurch entstehenden Änderung korrigiert werden. Im Report der TG-186 [14] wird die-
se Problematik diskutiert und Empfehlungen bezüglich der zukünftigen Nutzung von
modellbasierten Dosisberechnungen werden ausgesprochen. Um die Auswirkungen der
Umstellung abschätzen zu können, ist es wichtig, dass die Berechnungen mittels neuer
Algorithmen, die Dichteheterogenitäten berücksichtigen, zunächst parallel zu denen des
TG-43-Formalismus durchgeführt werden.

                                                                                   13
3 Afterloading
Das Afterloading ist eine Therapieform der Brachytherapie. In der Brachytherapie wer-
den im Gegensatz zur perkutanen Strahlentherapie (Teletherapie) kleine radioaktive
Quellen (Seeds) in die Nähe des Tumors gebracht. Die Quellenapplikation kann entwe-
der interstitiell, d. h. direkt im Tumor(bett), intrakavitär (z. B. in der Gebärmutter),
intraluminal (z. B. in der Speiseröhre), intravaskulär, d. h. innerhalb eines Blutgefäßes
oder von außen, wie z. B. in der okularen Brachytherapie, erfolgen. Weiter wird je nach
Dosisleistung des verwendeten Nuklids unterschieden. Für die folgenden Ausführungen
wurde die Fachliteratur [15] und [16] genutzt.

3.1 Aufbau und Funktionsweise
Beim Afterloader handelt es sich um ein Nachladesystem der HDR-Brachytherapie
(High-Dose-Rate), bei der üblicherweise eine γ-Strahlungsquelle temporär über ein Füh-
rungsschlauch in die zu bestrahlende Körperregion gefahren wird. Der prinzipielle Auf-
bau ist in Abbildung 3.1 dargestellt.

Abbildung 3.1: Blick auf das Innere eines Afterloaders zur Veranschaulichung der einzelnen
               Bauteile [9].

                                                                                       15
3 Afterloading

Die radioaktive Quelle wird ferngesteuert mit Hilfe einer Antriebseinheit über den In-
dexer durch einen biegsamen Führungsschlauch in den Applikator (nicht auf dem Bild)
gefahren. Die Gesamtlänge von Schlauch und Katheter beträgt 1300 mm. Innerhalb
des Applikators können die Halteposition und -zeit variiert werden, um Dosisvertei-
lungen anzupassen. Um komplexere Verteilungen zu gewährleisten, besteht weiter die
Möglichkeit, bis zu 24 Schläuche anzuschließen. Über den Indexer fährt die Quelle die
unterschiedlichen Positionen der Applikatoren nacheinander an. Vor jeder Bestrahlung
fährt ein Dummy denselben Weg ab, sodass mögliche Komplikationen innerhalb der
Komponenten, z. B. ein abgeknickter Schlauch, ausgeschlossen werden können. Sollte es
trotzdem zu Problemen beim Herein- oder Herausfahren der Quelle kommen, besteht
notfalls die Möglichkeit, das Nuklid durch Betätigung einer Handkurbel in den After-
loader zurückzuholen.
Aufgrund des hohen Dosisgradienten erfährt der umliegende Tumor eine hohe Strah-
lendosis bei gleichzeitiger Schonung des weiter entfernten gesunden Gewebes. Die für
Patienten oft stressige Bestrahlungszeit kann somit deutlich verkürzt werden. Ein wei-
terer Vorteil ist durch die Möglichkeit gegeben, die Bestrahlung unter Videobewachung
aus einem separaten Raum zu steuern. Dadurch ist für das medizinische Personal ma-
ximaler Strahlenschutz sichergestellt.

3.2 Der MammoSite-Applikator
Die Afterloading-Therapie bietet mittlerweile eine Vielzahl von Applikatoren, die sich
durch immer problemorientiertere und damit spezifischere Lösungen entwickelt haben.
Der MammoSite-Applikator ist ein füllbarer sphärischer Silikonballon, der intraoperativ
in der Kavität des entfernten Tumors platziert wird, siehe Abbildung 3.2.

Abbildung 3.2: Darstellung des eingesetzten MammoSite-Ballons zur postoperativen Bestrah-
               lung [17].

Der Ballon wird mit einem Gemisch aus isotoner Kochsalzlösung 0,9 % und Kontrastmit-
tel in einem Verhältnis von 10:1 gefüllt. Das iodhaltige Kontrastmittel hebt den Ballon
auf den CT-Bildern vom Brustgewebe ab, sodass er im Planungsverlauf gut konturiert
werden kann. Im Handbuch zur MammoSite-Therapie wird empfohlen, maximal 10 %

16
3.3 Iridium-192

Kontrastmittel zu verwenden [18]. In mehreren Sitzungen wird eine Iridium-192-Quelle
durch einen Zweikanal-Katheter in den Ballon gefahren, um restliche Tumorzellen im
angrenzenden Gewebe zur Kavität zu bestrahlen. Der Durchmesser des Ballons kann je
nach Patientin 4 − 5 cm betragen. Das MammoSite-Verfahren bietet ein Alternativver-
fahren zur Teletherapie und Mastektomie, die trotz der verkürzten Behandlungsdauer
gute kosmetische Ergebnisse liefern [19]. Durch den konstanten Quellenabstand werden
homogene Dosisverteilungen erzeugt und sogenannte Hot Spots (Überdosierungen) ver-
hindert.

Um den hohen Ansprüchen komplexer Dosisverteilungen gerecht zu werden, gibt es seit
einiger Zeit Multilumen-Varianten des MammoSite-Applikators, die mittels mehrerer
Katheter im Ballon weitere Positionierungen ermöglichen. Mit dieser Technik lassen
sich im Vergleich zur Teletherapie bei gleichen Langzeitergebnissen [20] kleinere Dosen
in Risikoorganen (Herz, Lunge und Haut) [21] erzielen.

Therapieplanung
In der Klinik für Strahlentherapie und Radio-Onkologie am Marien Hospital Herne
erfolgt die Behandlung mit dem MammoSite-Applikator in einem Zeitraum von fünf
Tagen. Nachdem am ersten Tag der Tumor operativ entfernt und der Silikonballon
eingesetzt wurde, wird am zweiten Tag der Behandlungswoche eine Computertomogra-
phie der Brust gemacht, auf dem die anschließende Bestrahlungsplanung basiert. In den
letzten drei Folgetagen werden in je zwei Sitzungen pro Tag in 0,5 cm Ballonabstand
2,5 Gy appliziert, während die Haut- und Rippendosis eine Maximaldosis von 1,5 Gy
nicht überschreiten dürfen. Das PTV2 entspricht also dem Volumen mit weniger als
0,5 cm Abstand zur Ballonoberfläche. Daraus resultiert eine Dosis von 15 Gy innerhalb
einer Behandlungswoche. Die Behandlung wird mit der Teletherapie, in der zusätzlich
50,4 Gy auf 28 Fraktionen aufgeteilt werden, kombiniert, sodass eine Gesamtdosis von
65,4 Gy appliziert wird.
Die Bestrahlung am Marien Hospital wird mit dem Programm BrachyVision 6.5, das
auf dem in Kapitel 2.6 vorgestelltem TG-43-Formalismus beruht, geplant. Diese Tat-
sache birgt beim Auftreten von Dichteheterogenitäten folglich einige Probleme bei der
Dosisberechnung und erschwert somit die Verifikation eines Bestrahlungsplanes. Die
Auswirkungen dieser vereinfachten Annahmen werden in Kapitel 4.4 ausführlich unter-
sucht und diskutiert.

3.3 Iridium-192
Iridium-192 ist unter anderem aufgrund der hohen spezifischen Aktivität die meist ge-
nutzte Afterloading-Strahlenquelle. Weitere Kriterien sind die Toxizität, die Halbwerts-
zeit, das Energiespektrum und der finanzielle Aufwand. Die Halbwertszeit von Iridium
beträgt 73, 801 Tage [22], weshalb ein vierteljährlicher Quellenwechsel im Krankenhaus
nötig ist. Iridium zerfällt als γ-Strahler zu Platin-192 (95,24 %) und mittels Elektro-
neneinfangs zu Osmium-192 (4,76 %). Die Iridium-Quelle befindet sich in einer Edel-
stahlkapsel (AISI 316L, Zusammensetzung siehe Tabelle 4.2), die einerseits den Schutz
der Quelle, während sie in den Applikator fährt, gewährleistet und andererseits die für
 2
     Planning Target Volume, deutsch: Planungszielvolumen

                                                                                     17
3 Afterloading

die Bestrahlung nicht relevanten Elektronen absorbiert. Der Aufbau der Quelle ist in
Abbildung 4.5 dargestellt. Der Draht, über den die Quelle zum Ort der Bestrahlung
gefahren wird, ist aus Edelstahl (AISI 304), dessen Zusammensetzung ebenfalls in Ta-
belle 4.2 zu finden ist. Die γ-Strahlung gelangt durch die Edelstahlkapsel und wird zur
Therapie des Tumors eingesetzt. Die mittlere Energie beträgt, wie anfangs erwähnt,
Eγ = 346,9 keV. Im Brustgewebe befinden sich hauptsächlich chemische Elemente mit
einer kleinen Ordnungszahl, folglich ist der dominierende Wechselwirkungsprozess der
Compton-Effekt.

18
4 Verifikation von
  MammoSite-Bestrahlungsplänen

In der Strahlentherapie wird vor der Behandlung ein Bestrahlungsplan erstellt. Ist ein
Plan fertiggestellt, wird dieser an das Bestrahlungssystem, z. B. einen Linearbeschleu-
niger oder einen Afterloader, gesendet und am Patienten abgestrahlt. Zur Überprüfung
der Richtigkeit und Konstanz der Strahlenquellen wurden Qualitätssicherungen und
Konstanzprüfungen in den Alltag etabliert. Allerdings unterscheiden sich Forderungen
und Umfang bei Tele- und Brachytherapie in gewaltigem Maße.
In der Teletherapie erfolgt die Verifikation konformaler 3D-Pläne über die Qualitätssi-
cherung des Linearbeschleunigers. Bei der komplexeren intensitätsmodulierten Radio-
therapie (IMRT) wird jeder Plan einzeln unter Verwendung eines 2D-Detektor-Arrays
überprüft oder mit einem zweiten Planungssystem nachgerechnet. Um Fehlbestrahlun-
gen zu vermeiden, werden also, je unübersichtlicher und umfassender die Bestrahlungen
werden, zusätzliche Prüfmethoden entwickelt. Diese Entwicklung bleibt in der Brachy-
therapie aus [23]. Es existieren kaum Vorschriften oder DIN-Normen zur Kontrolle be-
rechneter Dosisverteilungen, obwohl auch hier die Bestrahlungspläne komplexer werden.
Einige wenige DIN-Normen sorgen für die Kontrolle der Aktivität und Halbwertszeit der
Quelle sowie für die Schrittweite und Ausfahrlänge des Afterloaders. Eine patientenbe-
zogene Planverifikation wie in der Teletherapie wird allerdings nicht vorgeschrieben, wie
der Vergleich der DIN 6847-5 für Linearbeschleuniger mit der DIN 6853-5 für Afterloa-
der zeigt. Ein Beispiel für komplexer werdende Bestrahlungen in der Brachytherapie
liefert die Entwicklung des MammoSite-Applikators. Die erste Variante bietet eine Hal-
teposition in der Mitte des Ballons. Mittlerweile besitzen die neuesten Ballone mehrere
Katheter, in denen jeweils verschiedene Positionen angefahren werden können. Noch
komplexere Pläne lassen sich bei der Anwendung der Prostataspickung oder der noch
relativ neuen IMBT (Intensitätsmodulierten Brachytherapie) finden.

Die größte Herausforderung bei der Verifikation von Brachytherapie-Bestrahlungsplänen
stellt, geschuldet dem hohen Dosisgradienten, die Positionierung der Quelle dar. Im
Rahmen dieser Arbeit wird untersucht, ob die Verifikation von MammoSite-Bestrah-
lungsplänen mit Hilfe eines Ionisationskammer-Arrays möglich ist. Dazu werden die
Dosisverteilungen von Messungen und des Bestrahlungsplanungsprogramms mit Monte-
Carlo-Simulationen verglichen.

                                                                                      19
4 Verifikation von MammoSite-Bestrahlungsplänen

4.1 Messungen
Zur Messung der Dosisverteilung des MammoSite-Applikators wird dieser in einem Was-
serphantom von Multidata (Modell 9760) mit den Maßen 60 × 50 × 60 cm3 zentral vor
dem 2D-Detektor-Array platziert, wie dargestellt in Abbildung 4.1.

Abbildung 4.1: Messaufbau zur Aufnahme der Dosisverteilung des MammoSite-Applikators.
               Zu sehen sind der Afterloader, das Wasserphantom sowie das darin befindliche
               2D-Detektor-Array mit dem MammoSite-Ballon und einer Haltekonstruktion.

Die Iridium-Quelle wird über Kanal 20 zur mittleren Halteposition des Ballons gefah-
ren und strahlt für 60 Sekunden nominell. Nominell bedeutet in diesem Zusammenhang,
dass eine neu gelieferte Quelle mit einer Aktivität von 10 Curie (370 GBq) für die berech-
nete Dosis 60 Sekunden strahlen müsste, die verwendete Quelle möglicherweise jedoch
weniger oder mehr Zeit benötigt. Je nach Alter der Quelle wird die nominelle Zeit mit
einem Faktor, der sich aus dem Verhältnis der Nominalaktivität von 10 Curie und der
Aktivität zum Zeitpunkt der Durchführung berechnet, multipliziert. Die Messung fin-
det unmittelbar vor einem Quellenwechsel statt, weshalb der Faktor mit 2,1, wie im
Bestrahlungsprotokoll in Abbildung 8.1 zu sehen ist, sehr groß ist, wodurch die Mes-
sungen deutlich länger dauern. Im Universitätsklinikum Marien Hospital Herne wird

20
4.1 Messungen

zum Afterloading der GammaMedplus von Varian verwendet. In Abbildung 8.2 ist die
Oberfläche des Programms GammaWin dargestellt, mit dem Haltezeit und -position der
Strahlenquelle sowie der Kanal, über den der Indexer die Quelle fahren soll, festgelegt
werden.

4.1.1 Das 2D-Ionisationskammer-Array
Bei dem verwendeten Detektor handelt es sich um das hochmoderne 2D-Array OCTA-
      ®
VIUS 729 von PTW [24], das unter anderem in der Teletherapie zur Verifikation von
IMRT-Plänen und 4D-Dosimetrie eingesetzt wird. In seinem Inneren befinden sich 729
würfelförmige Ionisationskammern mit einer Größe von 0,125 cm3 (0, 5 × 0, 5 × 0,5 cm3 )
auf einer Fläche von 27 × 27 cm2 . Folglich befinden sich 27 Kammern in jeder Zeile und
Spalte mit einem Abstand von 1 cm zwischen den Mittelpunkten der Kammern bzw.
0,5 cm Abstand zwischen den Kammerrändern. Eine Darstellung der Nummerierung der
Ionisationskammern befindet sich im Anhang in der Abbildung 8.10. Im Regelfall wird
das Array nicht zur Dosimetrie in Wasserphantomen genutzt, weshalb es nicht was-
serdicht ist. Aus diesem Grund wird zur Isolierung ein Kasten aus 6 ± 0,5 mm dicken
PMMA-Platten in der Mechanischen Werkstatt der Fakultät Bio- und Chemieingenieur-
wesen angefertigt. Auf die Wasseräquivalenz von PMMA wird in Kapitel 4.4.5 genauer
eingegangen. Um den Einfluss vom PMMA zu minimieren, wären dünnere PMMA-
Platten durchaus sinnvoll, allerdings entstehen beim Kleben zu dünner Platten Scher-
spannungen, sodass Verformungen dazu führen, dass das Array nicht in den Kasten
passt oder Luftspalte entstehen. Die Dimensionen des Arrays betragen 30 × 42 × 2,2 cm3
(Breite × Höhe × Tiefe). Der Bau des Kastens wird gemäß der Angaben gefertigt. Die
Höhe wird auf 32,5 cm beschränkt, da sich im oberen Teil die Anschlüsse für die Elek-
tronik befinden.
Wie in Kapitel 2.4 erwähnt, müssen die Messwerte des Arrays mit Korrekturfaktoren
angepasst werden. Für den Faktor der Luftdichtekorrektur
                                             p0 · T
                                     kTP =                                        (4.1)
                                             p · T0
wird der vorliegende Druck p und die Wassertemperatur T gemessen und relativ zu den
Referenzwerten p0 = 1013,25 hPa und T0 = 293,15 K verrechnet. Ein Ausgleich auf-
grund der Ionenrekombination entfällt bei kontinuierlicher Strahlung, wie es bei Quel-
len aus der Brachytherapie der Fall ist. Im letzten Schritt muss zur Berechnung der
Wasser-Energiedosis der jetzt korrigierte Messwert mit einem strahlenqualitätsabhängi-
gen Kalibrierfaktor multipliziert werden. Das ist immer dann nötig, wenn eine von der
Standard-Strahlenqualität (Kobalt-60) abweichende Strahlenqualität verwendet wird.
                          ®
Das 2D-Array OCTAVIUS 729 wurde für die Verifikation in der Brachytherapie noch
nie genutzt, weshalb für diese Anwendung bislang noch keine Werte spezifiziert wurden
[25].

4.1.2 Halterung und Abstand
Der Abstand zwischen radioaktiver Quelle und Detektor ist maßgeblich für eine erfolg-
reiche Verifikation, weshalb eine Halterung für den Ballon konstruiert wird, die direkt
am 2D-Array orientiert werden kann. Der schematische Messaufbau ist in Abbildung
4.2 zu sehen.

                                                                                    21
4 Verifikation von MammoSite-Bestrahlungsplänen

Abbildung 4.2: Schematische Darstellung der Seitenansicht des Messaufbaus mit Bezeichnun-
               gen aller wichtigen Komponenten.

Die Halterung besteht aus einer 2 mm dicken wasseräquivalenten [26] RW3-Platte (PTW,
RW3 Plattenphantom) mit einer Fläche, die dem des 2D-Arrays entspricht (27×27 cm2 )
und zwei Stegen, deren Höhe dem Radius des Ballons entspricht. Zur Ballonseite hin
haben sie zwei halbkreisförmige Einkerbungen mit dem Durchmesser des Katheters,
damit der Ballon an ihnen befestigt werden kann. Die Stege werden so auf der Platte
platziert, dass die mittlere Halteposition im Ballon zentral auf der RW3-Platte bzw.
über dem Array liegt. Das Material der Stege ist ebenfalls RW3.
Nach Abschluss der ersten Messung werden zwischen die RW3-Platte und den PMMA-
Kasten nach und nach weitere 1 cm dicke RW3-Platten platziert und so Dosisebenen
in 1 cm-Intervallen aufgenommen. Insgesamt werden bis zu vier RW3-Platten verwendet.

Darüber hinaus werden im Hinblick auf eine Fehlerrechnung Messungen im 2 mm Ab-
stand vor und hinter jedem Messabstand aufgenommen. Damit ist gemeint, dass z. B.
nach der Messung mit einer 1 cm RW3-Platte zusätzliche Messungen mit einer 0,8 cm
und einer 1,2 cm dicken Platte gemacht werden. Der Wert von 2 mm ist das Ergebnis
einer Abschätzung der maximalen Positionierungsunsicherheit. Die Dosiswerte in die-
sen Entfernungen bilden den systematischen Fehler der Messung, der aus abweichenden
Quelle-Detektor-Abständen resultiert.

4.2 Bestrahlungsplanung
Nach der Messung wird von der Konstruktion aus RW3-Platte und -Stegen, Messarray
und Ballon eine Computertomographie durchgeführt, siehe Abbildung 4.3, auf der die
Berechnung in BrachyVision basiert. Die Aufnahme wird mit dem Computertomogra-
phen Mx 8000 Quad von Philips gemacht, der Schichtdicken von 3,2 mm ermöglicht.
Damit wäre eine genaue Konturierung der im Array befindlichen Ionisationskammern
kaum möglich, weshalb stattdessen das Diagnose-CT Philips Brilliance iCT 128, mit
einer Schichtdicke von 0,6 mm, genutzt wird.

22
4.2 Bestrahlungsplanung

Abbildung 4.3: Aufnahme der in Kapitel 4.1.2 beschriebenen Messkonstruktion. Der Aufbau
               wird auf dem CT-Tisch mit Hilfe von Lasern ausgerichtet.

Die Aufnahmen werden in BrachyVision importiert und 3D-Konturen der einzelnen
Komponenten erstellt. In Abbildung 4.4 ist ein Screenshot der Transversalansicht aus
dem Bestrahlungsplanungsprogramm BrachyVision zu sehen. Das Bild zeigt den Ballon,
das Array sowie die sich darin befindlichen Ionisationskammern. Anhand der eingezeich-
neten Isodosen wird deutlich, dass BrachyVision die im CT berechneten Materialeigen-
schaften ignoriert.

Abbildung 4.4: Screenshot einer Transversalen Schnittebene durch den Ballon mit ausgewähl-
               ten Isodosen aus BrachyVision 6.5 Zu sehen sind der Ballon und das 2D-Array
               im PMMA-Kasten.

                                                                                       23
4 Verifikation von MammoSite-Bestrahlungsplänen

Die Halteposition und -zeit der Quelle im Applikator werden entsprechend der Messung
eingestellt. Anschließend werden in der von PTW angegeben Messtiefe der Ionisations-
kammern Referenzpunkte erzeugt, an denen die berechnete Dosis anschließend ausge-
lesen werden kann. Für weitere Abstände zwischen Quelle und Detektor werden keine
weiteren Aufnahmen gemacht, da die Materialien an der Berechnung in BrachyVision
nichts ändern würden. Der eingefügte Applikator wird stattdessen in 1 cm-Schritten in
senkrechter Richtung vom Array weg verschoben.

4.3 Monte-Carlo-Simulationen
Die Monte-Carlo-Simulationen werden mit Geant4 [27] erstellt und dienen als Refe-
renz für Messungen und zur Planung der Bestrahlung. Geant4 ist ein Framework zur
Simulation von Teilchen und deren Wechselwirkung in Materie, das aufgrund seiner
universellen Struktur auch in der medizinischen Physik genutzt wird.
Zum Erstellen der einzelnen Komponenten des MammoSite-Ballons in der Simulation
werden die jeweiligen Abmessungen und Materialzusammensetzungen benötigt. Es wer-
den der Silikonballon inklusive Katheter, die Ballonfüllung, der Draht und die radioakti-
ve Quelle (Kapsel, Luftspalt und aktiver Teil) simuliert. Die Mischung der Ballonfüllung
ergibt sich aus dem Verhältnis 10:1 von isotoner Kochsalzlösung 0,9 % und dem verwen-
deten Kontrastmittel Peritrast Oral-GI 300 mg mL−1 , dessen Hauptbestandteil (60 %)
L-Lysin-Amidotrizoat (C17 H23 I3 N4 O6 , [28]) ist, wobei die 300 mg mL−1 den Iodgehalt
angeben. Die resultierende Zusammensetzung ist in Tabelle 4.1 dargestellt. Die Dichte
wurde mit Hilfe einer Präzisionswaage bestimmt.

                          Chemisches Element      Anteil in %
                                  H                 10,655
                                  O                 83,927
                                 Na                  0,409
                                  Cl                 0,409
                                   I                 2,732
                                  C                  1,465
                                  N                  0,402
                           Dichte in g/cm3           1,027

Tabelle 4.1: Chemische Zusammensetzung und Dichte der Ballonfüllung bei einem Verhältnis
             von 10:1 von Kochsalzlösung zu Kontrastmittel.

Zum Scoren der Dosis wird die Ionisationskammer-Struktur des 2D-Arrays nachgebil-
det. Scoren bedeutet in diesem Zusammenhang das Registrieren und Aufaddieren der
applizierten Dosis in der jeweiligen Kammer. Die Teilchenzahl wird so eingestellt, dass
der statistische Fehler möglichst unter 1 % liegt.

Für alle Simulationen wird die Geant4 Version 10.2 Patch 1 genutzt. Aufgrund der
universellen Struktur von Geant4 können die Einstellungen bestimmter anwendungsbe-
zogener Parameter zur Optimierung der Simulationen beitragen.
Eine dieser Steuergrößen ist der Cut Value. Er definiert die Strecke, die ein erzeugtes
Sekundärteilchen mindestens zurücklegen muss, damit es in der Simulation erzeugt und
verfolgt wird. Unterschreitet ein Sekundärteilchen den Cut Value, kommt es gar nicht

24
4.3 Monte-Carlo-Simulationen

erst zur Erzeugung dieses Teilchens. Folglich laufen die Simulationen schneller, je größer
der Cut-Wert gewählt wird. In meinen Simulationen beträgt der Cut Value 0,01 mm.
Vergleiche von Tiefendosiskurven mit kleineren Cut Values haben keine Dosisabwei-
chungen gezeigt.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Berechnungsalgorithmus zu wählen. Für
meine Zwecke eignet sich das standardmäßige Urban Multi Scattering Modell, welches
auf der Lewis-Theorie beruht. Zusätzlich wird die EM Option 4 gewählt, die laut der
Geant4 EM Working Group besonders auf hohe Genauigkeit getrimmt ist.
Weiter finden, sofern nicht explizit auf ein anderes Umgebungsmedium hingewiesen
wird, alle Simulationen in Wasser statt. Da die Größe des Wasserphantoms die Rechen-
zeit beeinflusst, wird sie jeweils an die räumliche Ausdehnung der simulierten Struktu-
ren, unter der Berücksichtigung, dass genügend Rückstreuung simuliert wird, angepasst.

4.3.1 Iridium-192
Die Iridium-Quelle wird gemäß Abbildung 4.5 in Geant4 erstellt.

Abbildung 4.5: Technische Skizze des Aufbaus der Iridium-192-Strahlenquelle in Millimetern.
               Modell: Varian Medical Systems GammaMed Plus HDR [29].

Der Durchmesser des Isotops beträgt laut des Medizinischen Quellenzertifikats, siehe
Anhang Abbildung 8.3, 0,6 mm und wird dementsprechend so in der Simulation defi-
niert. Die Zusammensetzung der Edelstähle von Kapsel (AISI 316L) und Draht (AISI
304) sind der Tabelle 4.2 zu entnehmen.
Um die Richtigkeit der simulierten Quelle zu überprüfen, wird eine Tiefendosiskurve
senkrecht vom Draht bzw. der Quelle weg (in Abbildung 4.5 in y-Richtung) aufgenom-
men und mit Literaturwerten [30] verglichen. Da die Quelle rotationssymmetrisch ist,
werden zum Scoren der Dosis ringförmige, aus Wasser bestehende Bins erstellt. Das
Prozedere wird für die Abstände entlang des Drahtes (in Abbildung 4.5 in z-Richtung)
von ± 4 mm, ± 10 mm und ± 40 mm wiederholt. Das Resultat für den Vergleich der Tie-
fendosiskurven vom Quellenmittelpunkt ist in Abbildung 4.6 zu sehen. Auf den ersten
30 mm sind die Bins zum Scoren der Dosis etwas kleiner, damit kein Dose-Average-
Effekt auftritt. Dem schließt sich ein gröberes Binning an, um statistische Fehler klein
zu halten.

                                                                                        25
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