EHRBARE STAATEN? UPDATE 2018 - DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA - Stiftung Marktwirtschaft
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EHRBARE 2 STAATEN? Das Mandat UPDATE 2018 der Preisstabilität DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 144 | April 2019 Fabian Peters Bernd Raffelhüschen Gerrit Reeker
EHRBARE STAATEN? UPDATE 2018 DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA Fabian Peters Bernd Raffelhüschen Gerrit Reeker Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 144 Inhaltsverzeichnis Vorwort 03 1 Einleitung 04 2 Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln 06 2.1 Die fiskalische Perspektive 06 2.2 Die demografische Perspektive 09 3 Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa 11 4 Was wäre, wenn... 13 4.1 …sich die Rentenausgaben nicht so entwickeln, wie angenommen? 13 4.2 …wichtige Rentenreformen in Italien wieder rückgängig gemacht werden? 15 4.3 ...teure italienische Wahlversprechen eingelöst werden? 16 5 Fazit 18 Literatur 19 Executive Summary 20 © 2019 Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.) Charlottenstraße 60 10117 Berlin Telefon: +49 (0)30 206057-0 Telefax: +49 (0)30 206057-57 www.stiftung-marktwirtschaft.de Die Publikation ist auch über den QR-Code kostenlos abrufbar. ISSN: 1612 – 7072 Titelfoto (Fotomontage): © Sergej Khackimullin – Fotolia.com + aerogondo – Fotolia.com Diese Studie wurde am Forschungszentrum Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erstellt.
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Vorwort Vorwort Auf Europa könnten schwierige Zeiten zukommen. Die Eu- Kaum etwas lässt sich so präzise vorhersagen und kurz- ropäische Union, vor allem aber die weit überwiegende Zahl fristig so wenig beeinflussen wie die demografische Entwick- ihrer Mitgliedstaaten, wäre daher gut beraten, die Komfort- lung. Und trotzdem trifft leider auch hier in einem gewissen zone kurzzeitig bequemen Stillstands zu verlassen und sich Sinn das Bonmot zu, dass „Prognosen schwierig sind, vor den zunehmend drängenden ökonomischen, aber auch po- allem wenn sie die Zukunft betreffen“. Einiges deutet darauf litischen Herausforderungen zu stellen. Unstreitig ist, dass hin, dass manche europäische Regierung nicht ihre Politik an der eher konfus verlaufende Rückzug des Vereinigten Kö- eingegangene fiskalische Verpflichtungen anpasst, sondern nigreichs aus der Europäischen Union oder die neuen Han- die Statistik so gestaltet, dass man für politische Wünsche dels- und Wirtschaftskonflikte wenig Gutes erwarten lassen. jede Beinfreiheit hat und zugleich im Sinne der Vorgaben gut Andere Probleme, wie insbesondere die noch immer nicht aussieht. Nationalen Exekutiven, die die Daten für den Alte- zufriedenstellend gelöste Staatsschuldenproblematik, beglei- rungsbericht liefern, ist, um in der Gegenwart mehr fiskalische ten viele Mitgliedstaaten der Europäische Union schon seit Spielräume für „Gutes“ zu haben, daran gelegen, die Zukunft Jahrzehnten. möglichst rosig darzustellen. Und welcher Politiker schiebt Obwohl während der zurückliegenden „Eurokrise“ schon gern – meist unbequeme – Reformen an, deren se- überaus deutlich wurde, welch enorme Gefahren von aus- gensreiche Wirkungen erst späteren Amtsnachfolgern zugu- ufernden Staatsschulden vor allem dann ausgehen können, te kommen? Anders gefragt: Wie realistisch und verlässlich wenn sie mit weiteren ökonomischen Fehlentwicklungen zu- sind die übermittelten Ausgabeprojektionen der einzelnen sammentreffen, ebbte das Interesse an nachhaltig stabilen Mitgliedstaaten? Zumindest in einigen Ländern scheinen der öffentlichen Haushalten in den letzten Jahren leider wieder Optimismus und die vermeintliche Reformwirksamkeit immer ab. Bei der Haushaltskonsolidierung verließ man sich im We- ausgeprägter zu werden, je weiter man in die Zukunft blickt. sentlichen auf die EZB und günstige Umstände einer guten Anders sind manche der projizierten Ausgabenpfade kaum Konjunktur. Demgegenüber zeigte man politische Hand- zu begründen. Damit aber rückt man gefährlich nahe an den lungsfähigkeit – gerade auch in Deutschland – eher mit einer Sankt-Nimmerleins-Tag, was die tatsächlichen fiskalischen rückwärtsgewandten wirtschafts- und sozialpolitischen Sym- Entlastungswirkungen betrifft – zu groß sind die Chancen und bol- und Wohlfühlpolitik: ein paar zusätzliche Sozialleistun- Versuchungen, mögliche Reformen bis dahin wieder zu ver- gen und Fördermittel hier, etwas mehr Marktregulierung und wässern oder zurückzunehmen. Protektionismus dort. Wenn der konjunkturelle Rückenwind Eine zukunftsorientierte Politik muss mehr sein, als das erlahmt, wird es auf dieser Grundlage noch schwerer sein, bloße Hoffen auf kommende Wunder, wenn sie eine realis- Europa produktiver, innovativer und nicht zuletzt resistenter tische Aussicht auf Erfolg haben will. Insofern sollten manche gegen zukünftige Krisen zu machen. der zunächst überraschend erfreulich wirkenden Ergebnisse Das vorliegende europäische Nachhaltigkeitsranking des diesjährigen Updates mit einer Vorsicht und Zurückhal- nimmt einmal mehr den aktuellen Sachstand der öffentlichen tung betrachtet werden. Verschuldung in den Blick. Wie bereits in früheren Aktuali- sierungen wird dabei ein erweiterter Schuldenbegriff ver- Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser wendet, der auch die sogenannten impliziten Schulden bzw. Publikation. Verbindlichkeiten berücksichtigt. Letztere ergeben sich aus einer Projektion zukünftiger Haushaltssalden, wobei der de- mografischen Entwicklung und den von ihr beeinflussten al- tersabhängigen Ausgaben besondere Beachtung geschenkt wird. Grundlage des vorliegenden Nachhaltigkeitsvergleichs sind u.a. die Daten des aktuellen Alterungsberichts 2018 der Prof. Dr. Michael Eilfort Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen Europäischen Kommission, die größtenteils von den Mitglied- Vorstand Vorstand staaten an die EU übermittelt wurden. der Stiftung Marktwirtschaft der Stiftung Marktwirtschaft 03
Einleitung Ehrbare Staaten? Update 2018 1 Einleitung Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa halten pigen Zukunftsversprechen der sozialen Sicherungssysteme nun bereits seit einigen Jahren an. Erfreulich ist dabei, dass werden – wird die derzeitige Politik dauerhaft fortgeführt – zu sich viele europäische Länder in dieser Zeit wirtschaftlich et- hohen künftigen Haushaltsdefiziten führen, da die Staatsein- was erholen konnten. Die Haushaltsdefizite wurden tendenziell nahmen nicht mit den öffentlichen Ausgaben Schritt halten reduziert und die Schuldenquoten in den Mitgliedstaaten sind werden. Das Ausmaß dieser ungedeckten zukünftigen fiska- mehrheitlich gesunken. Das Tempo der Konsolidierung war lischen Lasten lässt sich mittels der sogenannten impliziten jedoch häufig niedrig und der nötige Reformwille sowie der Schulden quantifizieren. Zusammen mit den in der Vergan- Mut zur Umsetzung von unbequemen Reformen fehlte man- genheit aufgelaufenen expliziten Schulden bilden sie die fiska- chen Orts. Auch wenn in Europa einige Reformanstrengungen lische Nachhaltigkeitslücke eines Landes. unternommen wurden, bleibt offen, ob diese ausreichen, um Um einen Kompass zu erhalten, wohin die Reise geht und einer zukünftigen Rezession gewappnet entgegentreten zu was in Zukunft auf die öffentlichen europäischen Haushalte können. Denn eins ist sicher: Jeder Aufschwung hat auch mal an Belastungen zukommen wird, werden in der vorliegenden ein Ende. Das größte Risiko für die öffentlichen Finanzen in Studie die impliziten Staatsschulden der Mitgliedstaaten der Europa liegt aber nicht in den heute schon sichtbaren explizit Europäischen Union sowie deren Nachhaltigkeitslücken dar- verbrieften Staatsschulden, sondern wird bedingt durch die gestellt. Die Berechnungen beruhen dabei überwiegend auf demografische Entwicklung erst in den nächsten Jahrzehnten von der Europäischen Union bereitgestellten Daten: Die fiska- sichtbar zu Tage treten. Eine alternde europäische Bevölke- lische Ausgangssituation basiert auf Daten der Herbstprogno- rung wird steigende öffentliche Belastungen im Gesundheits-, se 2018 der Europäischen Kommission und die langfristigen Pflege- und Rentenbereich verursachen. Immer weniger jun- fiskalischen Belastungen aufgrund der Bevölkerungsalterung gen Beitrags- und Steuerzahlern werden immer mehr ältere orientieren sich am Alterungsbericht 2018 der Europäischen Mitbürger gegenüberstehen und diese zu großen Teilen fi- Kommission. Auf diese Weise wird versucht, die Ergebnisse nanzieren müssen. Die in vielen EU-Ländern immer noch üp- der Mitgliedstaaten vergleichbar zu machen. Methodische Unterschiede – Box 1 EU-Nachhaltigkeitsranking versus deutsche Generationenbilanz Wie die jährlich für Deutschland veröffentlichte Generationenbilanz beruht das EU-Nachhaltigkeitsranking im Kern auf einer langfristigen Projektion der Finanzentwicklung der öffentlichen Haushalte. Gleichzeitig bestehen wesentliche Un- terschiede, die wie folgt systematisiert werden können: EU-Nachhaltigkeitsranking Deutsche Generationenbilanz Wirtschaftliche Länderspezifische Annahmen insbesondere Alters- und geschlechtsspezifische Rahmenbedingungen1 bzgl. Produktivitätsfortschritt und Pro-Kopf-Zahlungen unterliegen einheitlicher Erwerbstätigkeitsentwicklung Trendwachstumsrate Fiskalische Nicht als altersabhängig einzustufende Staats- Fortschreibung der nicht als altersabhängig Rahmenbedingungen2 ausgaben und -einnahmen entwickeln sich einzustufenden Staatsausgaben und entsprechend dem BIP3 -einnahmen gemäß der Bevölkerungsentwicklung Betrachtungszeitraum Werte nach 2070 entsprechen denen des Theoretisch unendlicher Betrachtungszeitraum Jahres 2070 (gemessen als Anteil am BIP) 1 Vgl. zu den Auswirkungen unterschiedlicher Annahmen zur Entwicklung der Erwerbsbeteiligung auf die Höhe der Nachhaltigkeitslücke Moog/Raffelhüschen (2012) und Ehing/Moog/Raffelhüschen (2015). 2 Dieser Unterschied führt im Falle von Deutschland auf Basis der Generationenbilanzierung zu einer ungünstigeren Entwicklung der Staatsausgaben und -einnahmen und damit zu einer größeren Nachhaltigkeitslücke; vgl. Benz/Fetzer (2006). 3 In diesem Sinne ähneln die vorliegenden Berechnungen dem Fiscal-Sustainability-Konzept der OECD; vgl. bspw. Benz/Fetzer (2006). 04
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Einleitung Methodik und Datenbasis des EU-Nachhaltigkeitsrankings Box 2 Methodik Dem EU-Nachhaltigkeitsranking liegt eine langfristige Projektion der nationalen Staatseinnahmen und -ausgaben zu- grunde. Die heutige Fiskalpolitik kann als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie „bis in alle Ewigkeit“ fortgeführt werden kann, ohne die sogenannte intertemporale Budgetbeschränkung des Staates zu verletzen. Vereinfacht ausgedrückt beschreibt dies eine Situation, in der die zukünftigen Einnahmen des Staates unter der aktuellen Gesetzgebung gerade ausreichen, um alle zukünftigen Ausgaben des Staates einschließlich der Zins- und Tilgungslasten für die bestehende Staatsschuld auf Dauer zu finanzieren. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so liegt eine Nachhaltigkeitslücke (NHL) vor. Die heutige Fiskalpolitik führt dann un- umgänglich zu zukünftigen Abgabenerhöhungen oder zu Einsparungen. Formal ist die Nachhaltigkeitslücke im Jahr t gegeben durch 1+gt,s s-t NHLt = bt + Σs∞= t+ 1 1+r ( pds , ) wobei bt die bereits bestehende oder explizite Staatsschuld als Anteil des BIP im Jahr t, pds das Primärdefizit4 als Anteil des BIP im Jahr s, gt,s die durchschnittliche Wachstumsrate des realen BIP im Zeitraum zwischen den Jahren t und s sowie r den realen Zinssatz bezeichnet. Gemäß der Gleichung setzt sich die Nachhaltigkeitslücke aus der bereits heute sicht- 1+g s-t ( ) baren oder expliziten Staatsschuld b t und der heute noch unsichtbaren oder impliziten Staatsschuld Σs∞= t+ 1 1+rt,s pds zusammen. Im Unterschied zur expliziten Staatsschuld, welche das Ausmaß vergangener Haushaltsdefizite widerspiegelt, ist die implizite Staatsschuld im Wesentlichen durch die Summe aller künftigen (Primär-)Defizite bestimmt. Datenbasis Als Basisjahr liegt der vorliegenden Studie das Jahr 2017 zugrunde. Die Angaben zur Höhe der expliziten Schulden im Jahr 2017 stammen aus der AMECO-Datenbank der Europäischen Kommission (Stand: Nov. 2018). Zur Ermittlung der impliziten Schulden wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit für alle Staaten ein einheitlicher und im Zeitablauf kon- stanter realer Zinssatz r in Höhe von 3 Prozent unterstellt. Im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Ländern wurde für den Zeitraum 2018 bis 2070 der im Alterungsbericht 2018 (Europäische Kommission (2018c), im Folgenden: AR2018) unterstellte jeweilige Wachstumspfad des realen BIP zugrunde gelegt. Für den Zeitraum nach 2070 wurde hingegen eine konstante Wachstumsrate des realen BIP entsprechend dem jeweiligen Wert in 2070 fort- geschrieben. Hinsichtlich der Entwicklung der öffentlichen Finanzen liegen den nachfolgenden Ergebnissen die Rahmenbedingungen entsprechend dem gesetzlichen und fiskalischen Status quo des Jahres 2018 zugrunde. Hierbei wurde unterstellt, dass der Primärsaldo der öffentlichen Haushalte – als Anteil des BIP – bei Vernachlässigung der Auswirkungen des demogra- fischen Wandels für den Projektionszeitraum ab dem Jahr 2021 dem Mittelwert der beobachteten und prognostizierten Primärsalden der Jahre 2013 bis 2020 gemäß der Herbstprognose der Europäischen Kommission (Europäische Kom- mission (2018a)) entspricht. Zur Berücksichtigung der Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Höhe der altersbedingten öffentlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit, Pflege und Bildung wurde unterstellt, dass sich diese – als Anteil des BIP – im Zeitraum 2018 bis 2070 dem AR2018 der Europäischen Kommission entsprechend entwickeln. Für den Zeitraum nach 2070 wurden dagegen die jeweiligen Werte des Jahres 2070 fortgeschrieben. 4 Das Primärdefizit entspricht dem um die Zinsausgaben bereinigten staatlichen Haushaltsdefizit. 05
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln Ehrbare Staaten? Update 2018 2 Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln Jede Medaille hat zwei Seiten. So ist es auch beim Blick auf des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. 15 Länder und damit die Schuldenlage der europäischen Volkswirtschaften. Auf der eines weniger als im Jahr 2016 erfüllen das Kriterium nicht. gewissermaßen obenliegenden und damit sichtbaren Seite Den Niederlanden gelingt es dank eines kontinuierlichen Pri- spiegeln aktuelle Defizite und Schulden die Haushaltspolitik märüberschusses in den vergangenen Jahren erstmals, eine vergangener Jahrzehnte wider. Unter einer fiskalischen Per- regelkonforme Verschuldungsquote von 57 Prozent des BIP spektive können so bereits heute verbriefte Staatsschulden zu erreichen. Am Ende der Schuldenstandsliste finden sich vergangener Jahre wahrgenommen werden. Auf der darunter- auch im Jahr 2017 Griechenland, Italien und Portugal, de- liegenden und damit unsichtbaren Seite kommen heute schon ren explizite Staatsschuldenquote zwar allesamt sank. Nach eingegangene Zahlungsverpflichtungen hinzu, die öffentliche wie vor beträgt sie aber mehr als das Doppelte der erlaubten Mittel erst in der Zukunft binden werden. Der Anstieg dieser Schuldenobergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Ausgaben hängt stark mit der demografischen Entwicklung Griechenlands Schuldenstand beläuft sich mit 176 Prozent der europäischen Bevölkerung zusammen. Zukünftig wird die des BIP sogar beinahe auf das Dreifache der Maastricht- Zahl der sich im Ruhestand befindenden Personen zunehmen Vorgabe. Italien verbessert sich um einen Prozentpunkt leicht und es dementsprechend zu einem Anstieg der öffentlichen auf 131 Prozent des BIP. Portugals Schuldenquote verringert Rentenausgaben kommen, die zudem von kleiner werdenden sich um fünf Prozentpunkte auf 125 Prozent. Bei einem Ende Beitrags- und Steuerzahlerjahrgängen finanziert werden müs- der Niedrigzinsphase werden derartig hohe Schuldenstände sen. Darüber hinaus wird der höhere Anteil Älterer zwangsläu- den fiskalischen Handlungsspielraum der öffentlichen Hand fig auch mit höheren Pflege- und Gesundheitsausgaben ein- erheblich einschränken, da ein größerer Teil des Haushalts für hergehen. Aus dieser demografischen Perspektive betrachtet Zinsausgaben veranschlagt werden muss. Erfreulicher stellt wird sich die Situation hinsichtlich Europas Staatsschulden sich die Lage beim zweiten Maastricht-Kriterium dar: 27 der weiter verschärfen. 28 Mitgliedstaaten erfüllten die Drei-Prozent-Defizitobergren- ze. Nur Spanien verfehlte mit einem Haushaltsdefizit von 3,1 Prozent des BIP die Vorgabe knapp. Portugal und Rumänien 2.1 Die fiskalische Perspektive haben mit 3,0 bzw. 2,9 Prozent die Zielvorgabe allerdings nur knapp erreicht. Dank des starken Binnenkonsums und hoher Investitionstä- Bereinigt man den Haushaltssaldo um Zins- und Til- tigkeiten der Privatwirtschaft hat sich die Konsolidierung der gungsausgaben, ergibt sich der sogenannte Primärsaldo. öffentlichen Haushalte im Jahr 2017 fortgesetzt. Die Staats- Er ist eine der aussagekräftigsten Kennzahlen, um die ge- verschuldung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Uni- genwärtige und kurzfristig zu erwartende Haushaltslage zu on sank um zwei Prozentpunkte und liegt – wie Abbildung 1 beurteilen. Ein Primärüberschuss – also ein positiver Primär- zeigt – zum Jahresende 2017 durchschnittlich bei 83 Prozent saldo – zeigt an, dass die staatlichen Einnahmen prinzipiell des BIP.5 Diese positive Entwicklung ist neben dem seit zehn ausreichend sind, um alle regulären, laufenden staatlichen Jahren höchsten Wirtschaftswachstum innerhalb der Europä- Ausgaben zu decken. ischen Union insbesondere den nach wie vor historisch nied- Das außerordentliche Wirtschaftswachstum macht sich rigen Zinsen zu verdanken, sodass die öffentlichen Haushalte auch bei der Analyse der Primärsalden der EU-Mitgliedsländer durch niedrige Zinsausgaben entlastet werden.6 Die gute bemerkbar. Lediglich in vier der 28 Mitgliedstaaten werden konjunkturelle Ausgangslage kann allerdings nicht darüber im Jahr 2018 die Staatseinnahmen höheren zinsbereinigten hinwegtäuschen, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Ausgaben gegenüberstehen. Im letztjährigen Update traf dies Union in ihrer Gesamtheit weiterhin nicht die im Vertrag von noch auf zehn Mitgliedstaaten zu. Vorrausichtlich werden Ru- Maastricht selbst auferlegten Kriterien für eine auf Dauer mänien, Frankreich, Spanien und Lettland zu den Mitglied- tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand erfüllen. Demnach staaten mit Primärdefizit gehören. Den höchsten negativen darf der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent Primärsaldo mit -1,9 Prozent hat auch im Jahr 2018 Rumänien des BIP betragen. Die durchschnittliche Staatsschuld im zu verzeichnen. Frankreich weist erneut ein Primärdefizit von Jahr 2017 liegt weiterhin 23 Prozentpunkte oberhalb dieses 0,8 Prozent des BIP auf. Die hoffnungsvollen Signale, die von Wertes. Nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsländer liegt im Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ausgingen, ha- Jahr 2017 unterhalb der vereinbarten Schuldenstandsgrenze ben sich demnach noch nicht auf die Haushaltskonsolidierung 5 Vorjahresvergleiche beziehen sich stets auf die entsprechenden Ergebnisse des Nachhaltigkeitsrankings 2017; vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2018). 6 Vgl. Europäische Kommission (2018d). 06
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln Abbildung 1: Primärsalden und explizite Staatsverschuldung (in Prozent des BIP) Quelle: Europäische Kommission (2018a), eigene Berechnungen. 240 6 5,5 5 180 4 3,9 120 2,9 3 2,7 2,7 2,5 2,4 2,1 1,9 2 1,7 1,7 60 1,5 1,5 1,5 1,3 1,3 1,2 1,4 1,2 1,1 1 0,6 0,7 0,6 23 26 35 35 36 39 40 41 51 51 51 57 0,1 64 68 0,1 74 77 78 83 87 96 98 99 103 125 131 176 0 -0,1 0 9 61 73 -0,3 -0,8 -1 -60 -1,9 -2 -120 -3 Estland Luxemburg Bulgarien Tschechien Rumänien Dänemark Litauen Lettland Schweden Malta Slowakei Polen Niederlande Finnland Deutschland Irland Ungarn Slowenien Kroatien Österreich EU28 Verein. Königreich Zypern Spanien Frankreich Belgien Portugal Italien Griechenland Staatsverschuldung Jahr (linke Achse) Primärsaldo Prognose 2018 (rechte Achse) Erläuterung: Der dargestellte Primärsaldo entspricht dem der Herbstprognose der Europäischen Kommission. durchgeschlagen.7 Spanien hat beim Abbau seines Primärde- Sparpolitik der vergangenen Jahre.8 Zwar sei an dieser Stelle fizits deutliche Fortschritte erzielt, indem es dieses von 1,8 auf darauf hingewiesen, dass der angegebene Primärsaldo einen 0,3 Prozent des BIP verringerte. Lettland verzeichnet mit -0,1 Prognosewert der Europäischen Kommission darstellt, der Prozent des BIP einen nur geringen negativen Primärsaldo. sich nicht zwingend realisieren muss. Allerdings ist der grie- Den höchsten Primärüberschuss in Höhe von 5,5 Prozent des chische Primärsaldo im Jahr 2017 mit 3,9 Prozent des BIP BIP erzielt im Jahr 2018 Zypern, gefolgt von Griechenland mit deutlich besser ausgefallen als die von der Europäischen 3,9 Prozent des BIP, das lange Zeit als fiskalisches Sorgen- Kommission prognostizierten 1,4 Prozent.9 Primärüberschüs- kind Europas galt. Die Europäische Kommission begründet se über zwei Prozent erreichen auch Malta mit 2,9 Prozent diese Entwicklung vor allem mit stark zunehmendem privaten des BIP, Portugal und Kroatien mit je 2,7 Prozent des BIP, Konsum und einem wachsenden Dienstleistungssektor. Au- Deutschland mit 2,5 Prozent des BIP, Slowenien mit 2,4 Pro- ßerdem erwartet sie eine strenge Fortführung der Fiskal- und zent des BIP und Tschechien mit 2,1 Prozent des BIP. 7 Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2018), S. 14f. 8 Vgl. Europäische Kommission (2018b). 9 Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2017), S. 7 und Europäische Kommission (2018a). 07
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln Ehrbare Staaten? Update 2018 Dem in Abbildung 2 dargestellten Vergleich der prognos- land mit 2,5 Prozentpunkten des BIP und Slowenien mit 1,8 tizierten Primärsalden im Jahr 2018 mit den Vorjahresprogno- Prozentpunkten des BIP. Auch für Finnland, Kroatien und sen kann entnommen werden, dass sich das überaus starke Spanien sowie Dänemark, Polen und die Niederlande pro- Wirtschaftswachstum auch in den Primärsalden abzeichnet. gnostiziert die Europäische Kommission mit einem um 1,5 So hat sich die Prognose des Primärüberschusses nur in bzw. 1,4 Prozentpunkten des BIP gestiegenen Primärsaldo einem Mitgliedsland gegenüber dem Vorjahr verringert. Im deutlich größere fiskalische Handlungsspielräume. Jahr 2017 waren es noch neun Länder, denen ein geringerer Insgesamt könnte somit die fiskalische Ausgangslage Primärsaldo vorausgesagt wurde. Das einzige Land, das mit Europas kaum besser sein. Historisch geringe Zinsausga- 0,3 Prozent des BIP einen leichten Rückgang des Primärsal- ben und in den Jahren 2017 und 2018 erneut sehr positive dos verzeichnet, ist Irland, dessen Primärsaldo aktuell aber konjunkturelle Umstände schaffen Raum für Haushaltskonso- mit 1,5 Prozent des BIP noch immer über dem europäischen lidierungen, die in den meisten EU-Staaten mit unterschied- Durchschnitt liegt. Im EU-Durchschnitt ist ein deutlicher An- licher Intensität ergriffen wurden. Der Handlungsdruck, der stieg um 0,8 Prozentpunkte festzustellen, sodass der Pri- aufgrund der europäischen Verschuldung entsteht, wird aber märüberschuss der Europäischen Union im Jahr 2018 bei 1,2 erst sichtbar, wenn auch heute noch nicht zahlungswirksame Prozentpunkten liegt. Damit reichen EU-weit die öffentlichen Verpflichtungen in den Blick genommen werden. Aus einer Einnahmen mehr als aus, um die um Zinsausgaben bereinig- demografischen Perspektive dürfte der Ernst der Lage – auch ten öffentlichen Ausgaben zu decken. ohne den Fall einer Verschlechterung der günstigen konjunk- Deutliche Steigerungen des Primärüberschusses ver- turellen Rahmenbedingungen in Betracht zu ziehen – deutlich zeichnen Zypern mit 3,3 Prozentpunkten des BIP, Griechen- werden. Abbildung 2: Veränderung der Primärsalden im Jahresvergleich 2017/2018 (in Prozentpunkten des BIP) 3,3 Quelle: Europäische Kommission (2018a), Europäische Kommission (2016), eigene Berechnungen. 2,5 1,8 1,5 1,5 1,4 1,5 1,4 1,4 1,3 1,2 1,2 1,1 1,0 0,9 0,9 0,7 0,8 0,6 0,6 0,5 0,6 0,5 0,3 0,2 0,3 0,2 0,0 -0,3 Estland Luxemburg Bulgarien Tschechien Dänemark Litauen Rumänien Lettland Schweden Malta Slowakei Polen Niederlande Finnland Deutschland Irland Slowenien Ungarn Kroatien Österreich EU28 Verein. Königreich Spanien Frankreich Belgien Zypern Portugal Italien Griechenland Verbesserung Verschlechterung Erläuterung: Die verwendeten Primärsalden entsprechen den Niveaus der jeweiligen Herbstprognosen der Europäischen Kommission. 08
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln date ausschließlich die Entwicklung gemäß dem aktuellsten 2.2 Die demografische Perspektive Alterungsbericht 2018 zugrunde. Nicht zuletzt da die im Al- terungsbericht dargestellten Projektionen der fiskalischen Die Mitgliedsländer der Europäischen Union sind mit den Fol- Ausgabenentwicklungen der Staaten jeweils direkt von den gen des demografischen Wandels konfrontiert. Darunter wer- Mitgliedsländern zur Verfügung gestellt werden, ist allerdings den die Herausforderungen des sogenannten doppelten Al- fraglich, ob sie in allen Fällen ein ausreichend realistisches terungsprozesses verstanden. Zum einen steigt in Europa die Bild der zukünftigen Entwicklung zeigen.13 In Kapitel 4.1 wird Lebenserwartung kontinuierlich an. Diese an sich erfreuliche darauf näher eingegangen. Entwicklung führt zu einem Anstieg des Anteils älterer Men- Abbildung 3 ist zu entnehmen, dass im Jahr 2017 die schen an der Gesamtbevölkerung und infolgedessen auch zu öffentlichen Ausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege bei mehr Krankheits- und Pflegefällen. Zum anderen liegen die 19,7 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts liegen. Geburtenraten in der Europäischen Union durchweg unter- Bis zum Jahr 2070 wird dieser Anteil um gut zwei Prozent- halb des Niveaus, das – unter Ausklammerung von Migrati- punkte auf 21,8 Prozent des europäischen BIP ansteigen.14 onsbewegungen – für eine stabile Bevölkerungsstruktur nötig Die Belastung der öffentlichen Haushalte durch die sozialen wäre. Folglich werden in den Ruhestand tretende Steuer- und Sicherungssysteme unterscheidet sich in den Mitgliedslän- Beitragszahler durch kleinere nachfolgende Kohorten ersetzt. dern stark. Während Irland im Jahr 2017 insgesamt nur 10,5 So wird insbesondere das Verhältnis von Europäern über 65 Prozent des BIP für Renten, Gesundheit und Pflege veraus- Jahren zu denen im erwerbsfähigen Alter stark ansteigen.10 gabt hat, ist dieser Wert in Frankreich mit 24,7 Prozent mehr Der demografische Wandel hat somit Auswirkungen auf die als doppelt so hoch. Neben Irland verwenden auch Lettland, Entwicklung öffentlicher Ausgaben für Rente, Gesundheit Litauen, Rumänien, Zypern, Estland, Luxemburg, Malta und und Pflege. Bulgarien weniger als 15 Prozent des BIP für öffentliche Ren- Alle drei Jahre gibt die Europäische Kommission einen ten-, Gesundheits- und Pflegeausgaben. Neben Frankreich Alterungsbericht heraus, der u.a. über die zu erwartende öf- beträgt hingegen in Portugal, Belgien, Griechenland, Finn- fentliche Ausgabenentwicklung in diesen Sektoren berichtet. land, Österreich und Italien der Anteil des BIP für altersab- Den Berechnungen des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018 hängige Ausgaben mehr als 20 Prozent des BIP. Die größ- liegt die aktuelle Version des Alterungsberichts aus dem Jahr ten Anstiege bis zum Jahr 2070 sind in Luxemburg und auf 2018 zugrunde.11 Da sich zu den vergangenen Alterungs- Malta zu erwarten, deren Ausgabenquote um 12,5 bzw. 7,0 berichten aus den Jahren 2009, 2012 und 2015 teilweise Prozentpunkte ansteigen wird. Werden in Luxemburg keine erhebliche Abweichungen ergeben, ist die Vergleichbarkeit Reformen der Sozialversicherungssysteme in die Wege ge- zwischen dem diesjährigen EU-Nachhaltigkeitsranking und leitet, wird sich 2070 der Anteil des BIP, der für die altersab- dem vergangener Jahre nur eingeschränkt gegeben.12 Zu- hängigen sozialen Sicherungssysteme aufgewandt werden dem gab es eine Veränderung bei der Berechnungsmethodik muss, beinahe verdoppelt haben. Neben Luxemburg werden des Nachhaltigkeitsrankings: Während in früheren Updates Finnland, Belgien und Österreich mehr als ein Viertel des BIP die projizierten Rentenausgaben als ein gewichteter Durch- für Rente, Gesundheit und Pflege aufbringen müssen. Aber schnitt der Werte aus den verschiedenen Alterungsberichten auch Slowenien, Tschechien und Belgien sind mit Kostenstei- in die Berechnungen einflossen, liegt dem diesjährigen Up- gerungen von über 5 Prozentpunkten des BIP konfrontiert. 10 Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 206. 11 Vgl. Europäische Kommission (2018c). 12 Vgl. Europäische Kommission (2015), Europäische Kommission (2012), Europäische Kommission (2009). 13 Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 50ff. 14 Die Entwicklung von Gesundheits- und Pflegeausgaben folgt dem „Demographic Szenario“. Rentenausgaben werden gemäß dem Standardszenario fortge- schrieben. 09
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln Ehrbare Staaten? Update 2018 Abbildung 3: Die Lasten der demografischen Alterung – Veränderung der öffentlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege (in Prozent des BIP, Basisjahr 2017) Quelle: Europäische Kommission (2018c), eigene Berechnungen. 26,5 26,8 25,5 25,8 24,1 23,4 23,4 22,8 21,3 21,4 21,6 21,8 21,8 3,8 20,4 20,9 3,6 19,4 19,7 0,4 5,3 18,3 18,3 17,1 2,1 4,5 5,9 12,5 16,2 16,6 16,8 1,6 4,3 4,5 15,1 1,2 14,3 14,4 0,4 5,5 7,0 13,4 3,1 3,3 1,4 11,8 1,9 2,9 0,6 9,6 2,0 4,5 11,4 12,0 14,2 16,7 12,4 10,5 13,3 16,0 14,9 21,4 15,1 15,0 19,1 18,2 15,0 19,3 20,1 17,1 14,6 17,1 19,7 24,7 18,9 17,6 23,6 21,8 20,5 22,7 14,2 -1,8 -0,2 -2,4 -1,8 -0,9 -4,3 Lettland Litauen Estland Kroatien Rumänien Irland Zypern Polen Bulgarien Griechenland Ungarn Slowakei Spanien Schweden Tschechien Dänemark Portugal Niederlande Malta Verein. Königreich EU28 Frankreich Deutschland Slowenien Italien Finnland Belgien Österreich Luxemburg Ausgabenniveau im Jahr 2017 Veränderung zwischen 2017 und 2070 Ausgabenniveau im Jahr 2070 Deutlich besser sieht es in Litauen, Estland, Frankreich, Mehrausgaben um 0,4 Prozentpunkte des BIP im Jahr 2070 Lettland, Kroatien und Griechenland aus. Diese Länder wer- führt, sei auf die Erläuterungen in Kapitel 4.2 und 4.3 ver- den ihre Ausgabenquoten bis zum Jahr 2070 vorrausichtlich wiesen. Dort wird analysiert, welche Auswirkungen ein Ab- verringern. Besonders ausgeprägt wird dieser Rückgang den weichen von den beschlossenen Rentenreformen hätte. Eine Angaben der Europäischen Kommission zufolge mit 4,3 Pro- Ausgabenquote unter 15 Prozent des BIP erreichen 2070 zentpunkten des BIP in Griechenland ausfallen. Bezüglich den Projektionen zufolge lediglich Lettland, Litauen, Estland, Italiens, dessen Sozialversicherungssystem zu nur geringen Kroatien und Rumänien. 10
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa 3 Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Der ehrbare Kaufmann wirtschaftet durch verantwortungsbe- Stiftung Marktwirtschaft jährlich veröffentlichte Nachhaltig- wusstes und nachhaltiges Handeln. Diese Tugend gilt für viele keitsranking, in dem zu den jeweils bereits ausgewiesenen als Leitbild, sowohl für die private Haushaltsführung als auch expliziten Staatsschulden die zukünftig zu erwartenden fiska- für Unternehmen. Doch sollte es nicht auch einen ehrbaren lischen Lasten hinzugerechnet werden. So wird geprüft, ob Staat geben, der verantwortungsbewusst und nachhaltig mit sich die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben langfristig im den öffentlichen Finanzen wirtschaftet? Ob diese Tugend in Gleichgewicht befinden. den europäischen Haushalten gelebt wird, zeigt das von der Abbildung 4: 715 Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2018 (in Prozent des BIP, Basisjahr 2017) Quelle: Europäische Kommission (2018), eigene Berechnungen. 478 347 357 311 289 291 307 262 268 276 692 214 221 170 174 404 141 142 147 122 244 270 95 100 101 170 239 143 200 225 255 240 276 59 106 101 157 90 122 59 77 176 39 40 9 36 96 99 41 125 131 51 83 26 64 73 57 78 61 98 51 35 51 68 35 103 87 74 23 -213 -281 -114 -110 -47 -43 -100 -3 -24 -9 -39 -7 -75 -70 -4 -136 -105 Kroatien Griechenland Litauen Lettland Estland Dänemark Zypern Frankreich Schweden Portugal Italien Polen EU28 Bulgarien Deutschland Ungarn Niederlande Österreich Finnland Spanien Slowakei Tschechien Malta Irland Rumänien Belgien Verein. Königreich Slowenien Luxemburg Explizite Schulden Implizite Schulden Nachhaltigkeitslücke* *Abweichungen zwischen der ausgewiesenen Höhe der Nachhaltigkeitslücke und der Summe aus expliziten und impliziten Schulden sind auf Rundungsdifferenzen zurückzuführen. Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2018 zeigt die Nachhal- und eine negative Nachhaltigkeitslücke aufweisen. Abbildung tigkeitslücken der Europäischen Union und ihrer 28 Mitglied- 4 zeigt, dass zu der expliziten Verschuldung der EU-28 in staaten (Abbildung 4). Es besteht auch in diesem Jahr für die Höhe von 83 Prozent des BIP eine implizite Verschuldung Mehrzahl der europäischen Mitgliedstaaten eine Nachhaltig- von 59 Prozent des BIP hinzugerechnet werden muss. Somit keitslücke, die in den meisten Fällen durch implizite Schulden beträgt die Nachhaltigkeitslücke in der Europäischen Union verursacht wird. Durch Berücksichtigung des Alterungsbe- mit 142 Prozent des BIP fast das Eineinhalbfache der jähr- richts 2018 zeigt das Nachhaltigkeitsranking jedoch auch lichen Wirtschaftsleistung. Die wesentlichen Treiber der euro- eine wesentliche Anzahl von Ländern, die durch langfristig päischen Nachhaltigkeitslücke finden sich in den zukünftigen projizierte Haushaltsüberschüsse ein implizites Vermögen Ausgaben für Gesundheit und Pflege. 11
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Ehrbare Staaten? Update 2018 Den ersten Platz im Nachhaltigkeitsranking 2018 er- und Ungarn mit 174 Prozent des BIP. Dabei zeichnen sich die reicht Kroatien mit einer Nachhaltigkeitslücke von -136 Pro- beiden ehemaligen Krisenstaaten Portugal und Italien durch zent des BIP. Das jüngste EU-Mitglied belegt somit erneut eine Kombination aus hohen expliziten Schulden und impli- die Spitzenposition, die es insbesondere durch in Zukunft zitem Vermögen aus. Dieses implizite Vermögen resultiert im sinkende Rentenausgaben und einen positiven Primärsaldo Wesentlichen aus der positiven fiskalischen Ausgangslage erreicht. Mit einer expliziten Staatsschuldenquote von 77 Pro- der beiden Länder. Im Falle Portugals leistet zusätzlich die zent des BIP wird die Schuldengrenze des Stabilitäts- und vorteilhafte Entwicklung der Rentenausgaben einen Beitrag Wachstumspakts von 60 Prozent des BIP allerdings auch in zur Bildung des impliziten Vermögens. Alle übrigen EU-Mit- Kroatien nicht eingehalten. Ebenfalls zur Spitzengruppe – mit gliedstaaten mit Nachhaltigkeitslücke weisen einen deutlich negativen Nachhaltigkeitslücken bzw. einer Nachhaltigkeits- größeren Anteil von impliziten Schulden auf. lücke von unter 100 Prozent des BIP – zählen Griechenland In der Schlussgruppe des Rankings mit Nachhaltigkeits- mit -105 Prozent des BIP, Litauen mit -75 Prozent des BIP, lücken von über 200 Prozent des BIP finden sich die verblei- Lettland mit -70 Prozent des BIP, Estland mit -39 Prozent benden Länder der EU. Mit Nachhaltigkeitslücken von noch des BIP, Dänemark mit -7 Prozent des BIP, Zypern mit -4 unter 300 Prozent des BIP liegen in der oberen Hälfte der Prozent des BIP und Frankreich mit 95 Prozent des BIP. Be- Schlussgruppe die Niederlande mit 214 Prozent des BIP, Ös- merkenswert ist die deutliche Verbesserung Griechenlands, terreich mit 221 Prozent des BIP, Finnland mit 262 Prozent die sich zum einen aufgrund eines verbesserten Primärsal- des BIP, Spanien mit 268 Prozent des BIP, die Slowakei mit dos ergibt. Zum anderen verdankt Griechenland seine gute 276 Prozent des BIP, Tschechien mit 289 Prozent des BIP Positionierung einer günstigen fiskalischen Entwicklung der und Malta mit 291 Prozent des BIP. In Spanien, der fünftgröß- Rentenausgaben, die der wesentliche Grund für das hohe ten Volkswirtschaft der Europäischen Union, führen beson- implizite Vermögen von 281 Prozent des BIP ist. Die positive ders die schwierige fiskalische Ausgangslage und zukünftig Projektion der Rentenausgaben im neuen Alterungsbericht steigende Ausgaben für Pflege und Gesundheit zu hohen 2018 der Europäischen Kommission führt dazu, dass der An- impliziten Schulden. Die in Zukunft sinkenden Rentenausga- teil der Rentenausgaben am BIP von 17,3 Prozent im Jahr ben dämpfen dabei die Nachhaltigkeitslücke Spaniens nur 2016 auf nur noch 10,6 Prozent im Jahr 2070 fallen wird – geringfügig ab. das wäre der mit Abstand stärkste Rückgang unter allen Mit- Mit Nachhaltigkeitslücken von über 300 Prozent des BIP gliedstaaten.15 Auch Frankreich verdankt seine gute Position liegen in der unteren Hälfte der Schlussgruppe Irland mit 307 dem neuen Alterungsbericht und den darin prognostizierten Prozent des BIP, Rumänien mit 311 Prozent des BIP, Belgien zukünftig deutlich geringeren Rentenausgaben. mit 347 Prozent des BIP, das Vereinigte Königreich mit 357 Im Mittelfeld des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018 befin- Prozent des BIP, Slowenien mit 478 Prozent des BIP sowie det sich unter anderem Deutschland mit impliziten Schulden Luxemburg mit 715 Prozent des BIP. Auffällig sind in dieser in Höhe von 106 Prozent des BIP. Trotz gesunkener expliziter Gruppe Belgien und Luxemburg. Mit sowohl hohen impliziten Schulden erhöht sich die Nachhaltigkeitslücke Deutschlands als auch hohen expliziten Schulden bildet Belgien eine auffäl- somit auf 170 Prozent des BIP. Dies zeigt, dass die gute Wirt- lige Ausnahme in der Schlussgruppe. Der wesentliche Treiber schaftslage und die daraus resultierenden staatlichen Haus- der hohen impliziten Schulden sind die zukünftig steigenden haltsüberschüsse in der Gegenwart kein Garant für dauerhaft Rentenausgaben. Der Einfluss der altersabhängigen Ausga- stabile Staatsfinanzen sind. Neben Deutschland gehören zur ben zeigt sich jedoch am deutlichsten im Falle Luxemburgs. Gruppe der Mitgliedstaaten, die eine Nachhaltigkeitslücke Trotz eines ausgeglichenen Primärsaldos und einer relativ sehr von unter 200 Prozent des BIP aufweisen, auch Portugal mit niedrigen expliziten Verschuldung führen die stark steigenden 101 Prozent des BIP, Italien mit 122 Prozent des BIP, Polen Rentenausgaben im Ergebnis dazu, dass sich Luxemburg auf mit 141 Prozent des BIP, Bulgarien mit 147 Prozent des BIP dem letzten Platz des Nachhaltigkeitsrankings befindet. 15 Würde man hingegen von einer Entwicklung der Rentenausgaben ausgehen, wie sie noch vor rund 10 Jahren im Alterungsbericht 2009 unterstellt wurde, läge Griechenland im Nachhaltigkeitsranking auf dem letzten Platz und sähe sich impliziten Schulden von rund 1.000 Prozent des BIP gegenüber; vgl. Europäische Kommission (2009), eigene Berechnungen. Nähere Erläuterungen zu den Auswirkungen des neuen Alterungsbericht gegenüber früheren Versionen finden sich in Kapitel 4.1. 12
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Was wäre, wenn… 4 Was wäre, wenn… Die Ergebnisse des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018 stehen rungsberichten 2009, 2015 und 2018. Der Alterungsbericht unter dem starken Einfluss des neuen Alterungsberichts 2018 2009 ging von einer kontinuierlichen Zunahme der jährlichen der EU-Kommission. Dessen Ergebnisse und die der bishe- Rentenausgaben bis zum Jahr 2060 aus. Bis 2040 sollten die rigen Alterungsberichte aus den Jahren 2009, 2012 und 2015 Ausgaben um knapp 3 Prozentpunkte des BIP relativ stark unterscheiden sich teilweise extrem. Um den Einfluss der pro- ansteigen. In den folgenden 20 Jahren sollte der Anstieg zwar jizierten Entwicklungen in den unterschiedlichen Alterungs- schwächer, aber kontinuierlich weiter um insgesamt ca. 0,5 berichten auf die Nachhaltigkeitslücken zu verdeutlichen, Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung erfolgen. Im werden im Folgenden einzelne Sensitivitätsanalysen durchge- Jahr 2060 würde das Ausgabenniveau für öffentliche Renten- führt. Zunächst werden in Kapitel 4.1 die Unterschiede der ausgaben um 3,2 Prozentpunkte des BIP oberhalb des Ni- Alterungsberichte und deren Glaubwürdigkeit am Beispiel der veaus des Jahres 2017 liegen. Der Alterungsbericht 2015 sah Rentenausgaben verdeutlicht. Kapitel 4.2 widmet sich dann hingegen einen deutlich schwächeren Anstieg der Rentenaus- den Auswirkungen am Beispiel Italiens. Im letzten Teilkapi- gaben bis zum Jahr 2040 vor. Statt wie im Alterungsbericht tel wird analysiert, wie sich ein Abweichen von den Reform- 2009 projiziert, würden die öffentlichen Rentenausgaben im anstrengungen auf die italienische Nachhaltigkeitslücke aus- Jahr 2040 nicht um 2,8 Prozentpunkte des BIP, sondern nur wirken würde. um 0,9 Prozentpunkte des BIP höher liegen. Danach sollte das Ausgabenniveau wieder sinken, sodass es 2060 sogar unterhalb des Niveaus des Jahres 2017 liegen würde und EU- 4.1 …sich die Rentenausgaben nicht so weit 0,2 Prozentpunkte des BIP weniger als im Jahr 2017 für entwickeln, wie angenommen? Rentenleistungen aufgebracht werden müssten. Die Ergeb- nisse des Alterungsberichts 2018 korrigieren diese positive Für die Berechnung der Nachhaltigkeitslücke in den Mitglied- Entwicklung geringfügig. Zwar bleibt der grundsätzliche Ver- staaten der Europäischen Union spielt insbesondere die zu lauf des Alterungsberichts 2015 erhalten, wird aber insbeson- erwartende Entwicklung der Rentenausgaben eine entschei- dere zwischen den Jahren 2040 und 2060 um 0,2 bis 0,3 Pro- dende Rolle. Erstmals wird für das vorliegende Nachhaltig- zentpunkte des BIP in Richtung höherer Ausgaben berichtigt. keitsranking deren Entwicklung nicht als gewichteter Durch- Im Jahr 2060 sollen dem Alterungsbericht 2018 zufolge die schnitt mehrerer vergangener Alterungsberichte ermittelt.16 öffentlichen Rentenausgaben nur ca. 0,2 Prozentpunkte des Stattdessen wird ausschließlich der aktuelle Alterungsbericht BIP oberhalb des Niveaus des Jahres 2017 liegen. 2018 herangezogen. Da in der Darstellung des Alterungsberichts zurücklie- Abbildung 5 vergleicht die Entwicklung der Rentenaus- gende Reformschritte bereits berücksichtigt sind, könnten gaben innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gemäß den Alte- diese der Grund für den zukünftig erwarteten Rückgang der Abbildung 5: Projizierte Entwicklung der öffentlichen Abbildung 6: Projizierte Entwicklung der öffentlichen Rentenausgaben in der EU Rentenausgaben in Frankreich Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen. Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen. 4,0 2,0 (in Prozentpunkten des BIP) (in Prozentpunkten des BIP) Mehrausgaben ggü. 2018 Mehrausgaben ggü. 2018 3,0 1,0 2,0 0,0 1,0 -1,0 0,0 -2,0 -1,0 -3,0 2018 2024 2030 2036 2042 2048 2054 2060 2018 2024 2030 2036 2042 2048 2054 2060 Alterungsbericht 2009 Alterungsbericht 2015 Alterungsbericht 2018 16 So konnten für einzelne Staaten teils erhebliche Unterschiede der Alterungsberichte ausgeglichen werden. Für nähere Informationen vgl. Peters/Raffelhüschen/ Reeker (2018), S. 5. 13
Was wäre, wenn… Ehrbare Staaten? Update 2018 Abbildung 7: Projizierte Entwicklung der öffentlichen Abbildung 8: Projizierte Entwicklung der öffentlichen Rentenausgaben in Italien Rentenausgaben in Deutschland Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen. Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen. 4,0 4,0 (in Prozentpunkten des BIP) (in Prozentpunkten des BIP) Mehrausgaben ggü. 2018 Mehrausgaben ggü. 2018 3,0 3,0 2,0 2,0 1,0 1,0 0,0 0,0 -1,0 -1,0 -2,0 -2,0 2018 2024 2030 2036 2042 2048 2054 2060 2018 2024 2030 2036 2042 2048 2054 2060 Alterungsbericht 2009 Alterungsbericht 2015 Alterungsbericht 2018 öffentlichen Ausgaben sein. Beachtet werden muss allerdings rungsberichte ebenfalls erhebliche Unterschiede auf. Abbil- auch, dass die im Alterungsbericht projizierten fiskalischen dung 6 zeigt, dass im Jahr 2015 noch von einem sehr gerin- Ausgabenentwicklungen direkt von den Mitgliedsländern zur gen Anstieg der italienischen Rentenausgaben ausgegangen Verfügung gestellt werden.17 Trotz einer Überprüfung durch die wurde. Diese sollten ab dem Jahr 2040 wieder kontinuierlich EU-Kommission ist davon auszugehen, dass die fiskalischen sinken. Im aktuellen Bericht des Jahres 2018 bleibt dieser Konsequenzen der demografischen Entwicklung durch Refor- Wendepunkt im Jahr 2040 auch weiterhin bestehen, jedoch manstrengungen in vielen Mitgliedsländern der Europäischen geschieht er auf einem viel höheren Ausgabenniveau als in Union zwar abgeschwächt, in der Regel aber nicht vollständig früheren Projektionen. Dennoch sollen ab dem Jahr 2055 die kompensiert werden. Es liegt nahe, dass die zukünftig proji- Rentenausgaben wieder geringer sein als im Jahr 2017 und zierten Verbesserungen bei den öffentlichen Rentenausgaben auch darüber hinaus weiter sinken. in einigen Ländern auf politisches Reporting zurückzuführen Anders als in Frankreich oder Italien weisen – wie Abbil- sind. Da die europäischen Mitgliedstaaten mit dem Gewicht dung 8 zu entnehmen ist – die Projektionen der deutschen ihres Bruttoinlandsprodukts in den projizierten Rentenausga- Rentenausgaben ein gleichbleibendes Bild auf. Gemäß den ben der EU berücksichtigt werden, lohnt sich ein genauerer drei Alterungsberichten 2009, 2015 und 2018 sollen die Ren- Blick auf drei wirtschaftlich starke Länder und wie sich deren tenausgaben in Deutschland jeweils bis zum Jahr 2035 stark projizierte Rentenausgaben im Laufe der Zeit verändert ha- ben: Frankreich, Italien und Deutschland. Tabelle 1: Abbildung 6 vergleicht die Entwicklung der Rentenausga- Kennzahlen der Rentensysteme ben Frankreichs gemäß den Alterungsberichten 2009, 2015 und 2018. Die drei verschiedenen Alterungsberichte weisen Nettoersatzquote teilweise erhebliche Unterschiede auf. So wurde im Jahr 2009 Rentenausgaben Rentenzugangs- für Durchschnitts- in % des BIP* Alter** noch mit zukünftig durchweg höheren Rentenausgaben ge- verdiener** genüber dem Jahr 2017 ausgegangen. Der Alterungsbericht Deutschland 10,1 44,9 64,3 2015 hingegen geht von in Zukunft schnell sinkenden Ren- Frankreich 15,0 59,5 61,9 tenausgaben aus. Auch im aktuellen Bericht des Jahres 2018 Italien 15,6 88,4 63,8 sollen ab dem Jahr 2030 die französischen Ausgaben für Renten stetig sinken und im Jahr 2060 über 2 Prozentpunkte * Jahr 2016; ** Jahr 2017. des BIP geringer sein als im Jahr 2017. Im Fall von Italien weisen die drei verschiedenen Alte- Quelle: Europäische Kommission (2018c), OECD (2017). 17 Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 50ff. 14
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa Was wäre, wenn… ansteigen und darüber hinaus zwar weniger stark, aber wei- nur als höchst unplausibel bezeichnet werden. Denn obwohl terhin ansteigen. Diese Ausgabenprojektionen haben sich in auf Seiten der Europäischen Kommission zwar eine gewisse den vergangenen zehn Jahren nahezu nicht verändert. Die Kontrolle der gelieferten Ausgabenprojektionen stattfindet, Stabilität der deutschen Rentenausgabenprojektion über alle beruhen sie zu erheblichen Teilen auf unkoordinierten Berech- bisherigen Alterungsberichte ist einmalig innerhalb aller Mit- nungsmethoden, die jedes Mitgliedsland selbst für passend gliedstaaten der Europäischen Union. hält. Ohne eine echte europäische Koordination der Ausga- Aufgrund der ungewöhnlichen Schwankungen in den benprojektionen können Berechnungen auf der geschilderten projizierten Rentenausgaben Frankreichs und Italiens stellt Datengrundlage keine validen Ergebnisse liefern. sich die Frage, inwiefern diese Entwicklung mit den aktuellen Kennzahlen ihrer Rentensysteme in Einklang zu bringen ist. 4.2 …wichtige Rentenreformen in Italien Tabelle 1 zeigt die Unterschiede in den Kennzahlen der jewei- wieder rückgängig gemacht werden? ligen Rentensysteme Deutschlands, Frankreichs und Italiens. Deutschlands Rentenausgaben sind mit 10,1 Prozent des BIP am niedrigsten, dennoch sollen in Deutschland die Ren- Die Einschätzungen des Alterungsberichts berücksichtigen tenausgaben in Zukunft nur noch steigen. In Frankreich und bisher beschlossene Reformen der öffentlichen Sozialversi- Italien sind die Rentenausgaben mit 15,0 bzw. 15,6 Prozent cherungssysteme, auch wenn diese erst zu einem späteren des BIP deutlich höher. Hier sollen die Rentenausgaben in Zu- Zeitpunkt ihre Wirkung entfalten werden. Daher ist die pro- kunft aber deutlich sinken und führen so zu keinerlei impliziter jizierte Ausgabenentwicklung mit einer beträchtlichen Unsi- Verschuldung. Die Nettoersatzquote eines Durchschnittsver- cherheit behaftet. Bekanntlich mangelt es der Politik häufig dieners, also wie hoch die Nettorente eines Durchschnitts- an Reformdurchhaltewillen. Zudem verdeutlichen die deut- verdieners im Vergleich zu seinem Nettoarbeitslohn direkt schen „Rentenpakete“ der letzten Jahre sowie die aktuelle vor Renteneintritt ist, liegt in Deutschland bei 44,9 Prozent. In Diskussion um die Einführung einer Grundrente das Risiko, Frankreich und Italien liegen die Nettoersatzquoten mit 59,5 dass einmal umgesetzte Reformen wieder rückgängig ge- bzw. 88,4 Prozent deutlich höher. Durch die projizierten Ren- macht oder zumindest in ihrer Wirkung verwässert werden. tenausgaben, die wirklich zu schön sind, um wahr zu sein, Besonders deutlich wird dies am Beispiel Italiens. Auf- haben Frankreich und Italien dennoch keine impliziten Schul- fallend ist, dass Italien zwar auf der einen Seite nach Grie- den. Schließlich beläuft sich das Rentenzugangsalter, also das chenland den höchsten expliziten Schuldenstand aller EU- durchschnittliche Alter eines Neurentners, in Deutschland auf Mitgliedstaaten aufweist, auf der anderen Seite aber über 64,3 Jahre und liegt damit höher als in Italien mit 63,8 Jahren ein implizites Vermögen verfügt. Dieser vorteilhafte implizite und Frankreich mit 61,9 Jahren. In Deutschland liegt somit das Schuldenstand lässt sich mit der projizierten Entwicklung der durchschnittliche Renteneintrittsalter höher als in Frankreich Rentenausgaben begründen. Wie Abbildung 6 zeigt, nehmen und Italien, dennoch weist Deutschland implizite Schulden auf. in Italien die Rentenausgaben bis zum Jahr 2040 kontinuier- Die grundlegenden Rentenprojektionen in einigen Län- lich zu und liegen dann 3,1 Prozentpunkte des BIP oberhalb dern, insbesondere in Frankreich und Italien, sind daher als des Niveaus des Jahres 2017. Überraschenderweise sinken äußerst fragwürdig einzustufen. Eine solch positive Entwick- die Ausgaben ab dann deutlich. Im Jahr 2060 sollen sie den lung der Rentenausgaben ist nicht plausibel zu erklären. So Angaben im Alterungsbericht 2018 zufolge unterhalb des ist es nicht ersichtlich, welche französischen Reformanstren- Niveaus des Jahres 2017 liegen. Der deutliche Rückgang gungen zu einer solchen Kehrtwende der Ausgabenpolitik der Rentenausgaben steht in Zusammenhang mit der Ver- führen sollten. Auch im Falle Griechenlands, das aktuell mit abschiedung tiefgreifender Rentenreformen, insbesondere einem impliziten Vermögen von über 100 Prozent des BIP auf der Dini-Reform aus dem Jahr 1995 und der Monti-Reform dem zweiten Platz des Rankings rangiert, fußt der Erfolg auf aus dem Jahr 2011.18 Beiden Reformen ist gemein, dass dem extremen Rückgang der zukünftigen griechischen Ren- sie großzügige Regelungen zum Bestandsschutz beinhal- tenausgaben. Unter der Annahme der Rentenausgabenpro- ten. So werden die Regelungen von Dini- und Monti-Reform jektionen aus dem Alterungsbericht 2009 käme Griechenland erst Ende der 2030er Jahre für alle Rentner gelten, was den im Nachhaltigkeitsranking auf den letzten Platz mit einer impli- verzögerten Ausgabenrückgang ab dem Jahr 2040 erklärt. ziten Verschuldung von rund 1.000 Prozent des BIP. So kön- Würde der italienischen Politik zu diesem Zeitpunkt der Mut nen die von einigen Ländern an die Europäischen Kommission fehlen, die Reformen tatsächlich vollumfänglich anzuwenden, gelieferten Daten zur Entwicklung der öffentlichen Ausgaben und stattdessen die italienischen Rentenausgaben auf dem 18 Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2017), S. 13. 15
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