EHRBARE STAATEN? UPDATE 2018 - DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA - Stiftung Marktwirtschaft

 
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EHRBARE STAATEN? UPDATE 2018 - DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA - Stiftung Marktwirtschaft
EHRBARE
 2         STAATEN?
    Das Mandat              UPDATE 2018
               der Preisstabilität

DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA

Argumente
zu Marktwirtschaft
und Politik

Nr. 144 | April 2019

Fabian Peters
Bernd Raffelhüschen
Gerrit Reeker
EHRBARE STAATEN? UPDATE 2018
DIE NACHHALTIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN IN EUROPA
Fabian Peters
Bernd Raffelhüschen
Gerrit Reeker
Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 144

Inhaltsverzeichnis

    Vorwort 03

1    Einleitung 04
2    Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln 06
         2.1 Die fiskalische Perspektive 06
         2.2 Die demografische Perspektive 09
3    Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa 11
4    Was wäre, wenn... 13
         4.1 …sich die Rentenausgaben nicht so entwickeln, wie angenommen? 13
         4.2 …wichtige Rentenreformen in Italien wieder rückgängig gemacht werden? 15
         4.3 ...teure italienische Wahlversprechen eingelöst werden? 16
5    Fazit 18

    Literatur 19

    Executive Summary 20

© 2019

Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.)
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10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30 206057-0
Telefax: +49 (0)30 206057-57
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                        Die Publikation ist auch über den QR-Code kostenlos abrufbar.

ISSN: 1612 – 7072
Titelfoto (Fotomontage): © Sergej Khackimullin – Fotolia.com + aerogondo – Fotolia.com

Diese Studie wurde am Forschungszentrum Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erstellt.
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                           Vorwort

Vorwort

Auf Europa könnten schwierige Zeiten zukommen. Die Eu-                      Kaum etwas lässt sich so präzise vorhersagen und kurz-
ropäische Union, vor allem aber die weit überwiegende Zahl           fristig so wenig beeinflussen wie die demografische Entwick-
ihrer Mitgliedstaaten, wäre daher gut beraten, die Komfort-          lung. Und trotzdem trifft leider auch hier in einem gewissen
zone kurzzeitig bequemen Stillstands zu verlassen und sich           Sinn das Bonmot zu, dass „Prognosen schwierig sind, vor
den zunehmend drängenden ökonomischen, aber auch po-                 allem wenn sie die Zukunft betreffen“. Einiges deutet darauf
litischen Herausforderungen zu stellen. Unstreitig ist, dass         hin, dass manche europäische Regierung nicht ihre Politik an
der eher konfus verlaufende Rückzug des Vereinigten Kö-              eingegangene fiskalische Verpflichtungen anpasst, sondern
nigreichs aus der Europäischen Union oder die neuen Han-             die Statistik so gestaltet, dass man für politische Wünsche
dels- und Wirtschaftskonflikte wenig Gutes erwarten lassen.          jede Beinfreiheit hat und zugleich im Sinne der Vorgaben gut
Andere Probleme, wie insbesondere die noch immer nicht               aussieht. Nationalen Exekutiven, die die Daten für den Alte-
zufriedenstellend gelöste Staatsschuldenproblematik, beglei-         rungsbericht liefern, ist, um in der Gegenwart mehr fiskalische
ten viele Mitgliedstaaten der Europäische Union schon seit           Spielräume für „Gutes“ zu haben, daran gelegen, die Zukunft
Jahrzehnten.                                                         möglichst rosig darzustellen. Und welcher Politiker schiebt
      Obwohl während der zurückliegenden „Eurokrise“                 schon gern – meist unbequeme – Reformen an, deren se-
überaus deutlich wurde, welch enorme Gefahren von aus-               gensreiche Wirkungen erst späteren Amtsnachfolgern zugu-
ufernden Staatsschulden vor allem dann ausgehen können,              te kommen? Anders gefragt: Wie realistisch und verlässlich
wenn sie mit weiteren ökonomischen Fehlentwicklungen zu-             sind die übermittelten Ausgabeprojektionen der einzelnen
sammentreffen, ebbte das Interesse an nachhaltig stabilen            Mitgliedstaaten? Zumindest in einigen Ländern scheinen der
öffentlichen Haushalten in den letzten Jahren leider wieder          Optimismus und die vermeintliche Reformwirksamkeit immer
ab. Bei der Haushaltskonsolidierung verließ man sich im We-          ausgeprägter zu werden, je weiter man in die Zukunft blickt.
sentlichen auf die EZB und günstige Umstände einer guten             Anders sind manche der projizierten Ausgabenpfade kaum
Konjunktur. Demgegenüber zeigte man politische Hand-                 zu begründen. Damit aber rückt man gefährlich nahe an den
lungsfähigkeit – gerade auch in Deutschland – eher mit einer         Sankt-Nimmerleins-Tag, was die tatsächlichen fiskalischen
rückwärtsgewandten wirtschafts- und sozialpolitischen Sym-           Entlastungswirkungen betrifft – zu groß sind die Chancen und
bol- und Wohlfühlpolitik: ein paar zusätzliche Sozialleistun-        Versuchungen, mögliche Reformen bis dahin wieder zu ver-
gen und Fördermittel hier, etwas mehr Marktregulierung und           wässern oder zurückzunehmen.
Protektionismus dort. Wenn der konjunkturelle Rückenwind                    Eine zukunftsorientierte Politik muss mehr sein, als das
erlahmt, wird es auf dieser Grundlage noch schwerer sein,            bloße Hoffen auf kommende Wunder, wenn sie eine realis-
Europa produktiver, innovativer und nicht zuletzt resistenter        tische Aussicht auf Erfolg haben will. Insofern sollten manche
gegen zukünftige Krisen zu machen.                                   der zunächst überraschend erfreulich wirkenden Ergebnisse
      Das vorliegende europäische Nachhaltigkeitsranking             des diesjährigen Updates mit einer Vorsicht und Zurückhal-
nimmt einmal mehr den aktuellen Sachstand der öffentlichen           tung betrachtet werden.
Verschuldung in den Blick. Wie bereits in früheren Aktuali-
sierungen wird dabei ein erweiterter Schuldenbegriff ver-            Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser
wendet, der auch die sogenannten impliziten Schulden bzw.            Publikation.
Verbindlichkeiten berücksichtigt. Letztere ergeben sich aus
einer Projektion zukünftiger Haushaltssalden, wobei der de-
mografischen Entwicklung und den von ihr beeinflussten al-
tersabhängigen Ausgaben besondere Beachtung geschenkt
wird. Grundlage des vorliegenden Nachhaltigkeitsvergleichs
sind u.a. die Daten des aktuellen Alterungsberichts 2018 der         Prof. Dr. Michael Eilfort         Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen
Europäischen Kommission, die größtenteils von den Mitglied-          Vorstand                          Vorstand
staaten an die EU übermittelt wurden.                                der Stiftung Marktwirtschaft      der Stiftung Marktwirtschaft

                                                                03
Einleitung                                                                                                                   Ehrbare Staaten? Update 2018

1            Einleitung

Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs in Europa halten                       pigen Zukunftsversprechen der sozialen Sicherungssysteme
nun bereits seit einigen Jahren an. Erfreulich ist dabei, dass                     werden – wird die derzeitige Politik dauerhaft fortgeführt – zu
sich viele europäische Länder in dieser Zeit wirtschaftlich et-                    hohen künftigen Haushaltsdefiziten führen, da die Staatsein-
was erholen konnten. Die Haushaltsdefizite wurden tendenziell                      nahmen nicht mit den öffentlichen Ausgaben Schritt halten
reduziert und die Schuldenquoten in den Mitgliedstaaten sind                       werden. Das Ausmaß dieser ungedeckten zukünftigen fiska-
mehrheitlich gesunken. Das Tempo der Konsolidierung war                            lischen Lasten lässt sich mittels der sogenannten impliziten
jedoch häufig niedrig und der nötige Reformwille sowie der                         Schulden quantifizieren. Zusammen mit den in der Vergan-
Mut zur Umsetzung von unbequemen Reformen fehlte man-                              genheit aufgelaufenen expliziten Schulden bilden sie die fiska-
chen Orts. Auch wenn in Europa einige Reformanstrengungen                          lische Nachhaltigkeitslücke eines Landes.
unternommen wurden, bleibt offen, ob diese ausreichen, um                               Um einen Kompass zu erhalten, wohin die Reise geht und
einer zukünftigen Rezession gewappnet entgegentreten zu                            was in Zukunft auf die öffentlichen europäischen Haushalte
können. Denn eins ist sicher: Jeder Aufschwung hat auch mal                        an Belastungen zukommen wird, werden in der vorliegenden
ein Ende. Das größte Risiko für die öffentlichen Finanzen in                       Studie die impliziten Staatsschulden der Mitgliedstaaten der
Europa liegt aber nicht in den heute schon sichtbaren explizit                     Europäischen Union sowie deren Nachhaltigkeitslücken dar-
verbrieften Staatsschulden, sondern wird bedingt durch die                         gestellt. Die Berechnungen beruhen dabei überwiegend auf
demografische Entwicklung erst in den nächsten Jahrzehnten                         von der Europäischen Union bereitgestellten Daten: Die fiska-
sichtbar zu Tage treten. Eine alternde europäische Bevölke-                        lische Ausgangssituation basiert auf Daten der Herbstprogno-
rung wird steigende öffentliche Belastungen im Gesundheits-,                       se 2018 der Europäischen Kommission und die langfristigen
Pflege- und Rentenbereich verursachen. Immer weniger jun-                          fiskalischen Belastungen aufgrund der Bevölkerungsalterung
gen Beitrags- und Steuerzahlern werden immer mehr ältere                           orientieren sich am Alterungsbericht 2018 der Europäischen
Mitbürger gegenüberstehen und diese zu großen Teilen fi-                           Kommission. Auf diese Weise wird versucht, die Ergebnisse
nanzieren müssen. Die in vielen EU-Ländern immer noch üp-                          der Mitgliedstaaten vergleichbar zu machen.

    Methodische Unterschiede –                                                                                                                  Box 1
    EU-Nachhaltigkeitsranking versus deutsche Generationenbilanz

    Wie die jährlich für Deutschland veröffentlichte Generationenbilanz beruht das EU-Nachhaltigkeitsranking im Kern auf
    einer langfristigen Projektion der Finanzentwicklung der öffentlichen Haushalte. Gleichzeitig bestehen wesentliche Un-
    terschiede, die wie folgt systematisiert werden können:

                                                 EU-Nachhaltigkeitsranking                                  Deutsche Generationenbilanz

       Wirtschaftliche                   Länderspezifische Annahmen insbesondere                         Alters- und geschlechtsspezifische
       Rahmenbedingungen1                    bzgl. Produktivitätsfortschritt und                     Pro-Kopf-Zahlungen unterliegen einheitlicher
                                               Erwerbstätigkeitsentwicklung                                      Trendwachstumsrate

       Fiskalische                     Nicht als altersabhängig einzustufende Staats-                 Fortschreibung der nicht als altersabhängig
       Rahmenbedingungen2               ausgaben und -einnahmen entwickeln sich                          einzustufenden Staatsausgaben und
                                                    entsprechend dem BIP3                         -einnahmen gemäß der Bevölkerungsentwicklung

       Betrachtungszeitraum              Werte nach 2070 entsprechen denen des                      Theoretisch unendlicher Betrachtungszeitraum
                                         Jahres 2070 (gemessen als Anteil am BIP)

1   Vgl. zu den Auswirkungen unterschiedlicher Annahmen zur Entwicklung der Erwerbsbeteiligung auf die Höhe der Nachhaltigkeitslücke Moog/Raffelhüschen
    (2012) und Ehing/Moog/Raffelhüschen (2015).
2   Dieser Unterschied führt im Falle von Deutschland auf Basis der Generationenbilanzierung zu einer ungünstigeren Entwicklung der Staatsausgaben und -einnahmen
    und damit zu einer größeren Nachhaltigkeitslücke; vgl. Benz/Fetzer (2006).
3   In diesem Sinne ähneln die vorliegenden Berechnungen dem Fiscal-Sustainability-Konzept der OECD; vgl. bspw. Benz/Fetzer (2006).

                                                                              04
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                   Einleitung

    Methodik und Datenbasis des EU-Nachhaltigkeitsrankings                                                             Box 2

    Methodik

    Dem EU-Nachhaltigkeitsranking liegt eine langfristige Projektion der nationalen Staatseinnahmen und -ausgaben zu-
    grunde. Die heutige Fiskalpolitik kann als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie „bis in alle Ewigkeit“ fortgeführt
    werden kann, ohne die sogenannte intertemporale Budgetbeschränkung des Staates zu verletzen. Vereinfacht ausgedrückt
    beschreibt dies eine Situation, in der die zukünftigen Einnahmen des Staates unter der aktuellen Gesetzgebung gerade
    ausreichen, um alle zukünftigen Ausgaben des Staates einschließlich der Zins- und Tilgungslasten für die bestehende
    Staatsschuld auf Dauer zu finanzieren.

    Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so liegt eine Nachhaltigkeitslücke (NHL) vor. Die heutige Fiskalpolitik führt dann un-
    umgänglich zu zukünftigen Abgabenerhöhungen oder zu Einsparungen. Formal ist die Nachhaltigkeitslücke im Jahr t
    gegeben durch
                                                                       1+gt,s s-t
                                                 NHLt = bt + Σs∞= t+ 1 1+r         (
                                                                                  pds ,    )
    wobei bt die bereits bestehende oder explizite Staatsschuld als Anteil des BIP im Jahr t, pds das Primärdefizit4 als Anteil
    des BIP im Jahr s, gt,s die durchschnittliche Wachstumsrate des realen BIP im Zeitraum zwischen den Jahren t und s sowie
    r den realen Zinssatz bezeichnet. Gemäß der Gleichung setzt sich die Nachhaltigkeitslücke aus der bereits heute sicht-
                                                                                                                    1+g s-t
                                                                                                                   (     )
    baren oder expliziten Staatsschuld b t und der heute noch unsichtbaren oder impliziten Staatsschuld Σs∞= t+ 1 1+rt,s pds
    zusammen. Im Unterschied zur expliziten Staatsschuld, welche das Ausmaß vergangener Haushaltsdefizite widerspiegelt,
    ist die implizite Staatsschuld im Wesentlichen durch die Summe aller künftigen (Primär-)Defizite bestimmt.

    Datenbasis

    Als Basisjahr liegt der vorliegenden Studie das Jahr 2017 zugrunde. Die Angaben zur Höhe der expliziten Schulden im
    Jahr 2017 stammen aus der AMECO-Datenbank der Europäischen Kommission (Stand: Nov. 2018). Zur Ermittlung der
    impliziten Schulden wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit für alle Staaten ein einheitlicher und im Zeitablauf kon-
    stanter realer Zinssatz r in Höhe von 3 Prozent unterstellt. Im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in
    den einzelnen Ländern wurde für den Zeitraum 2018 bis 2070 der im Alterungsbericht 2018 (Europäische Kommission
    (2018c), im Folgenden: AR2018) unterstellte jeweilige Wachstumspfad des realen BIP zugrunde gelegt. Für den Zeitraum
    nach 2070 wurde hingegen eine konstante Wachstumsrate des realen BIP entsprechend dem jeweiligen Wert in 2070 fort-
    geschrieben.

    Hinsichtlich der Entwicklung der öffentlichen Finanzen liegen den nachfolgenden Ergebnissen die Rahmenbedingungen
    entsprechend dem gesetzlichen und fiskalischen Status quo des Jahres 2018 zugrunde. Hierbei wurde unterstellt, dass
    der Primärsaldo der öffentlichen Haushalte – als Anteil des BIP – bei Vernachlässigung der Auswirkungen des demogra-
    fischen Wandels für den Projektionszeitraum ab dem Jahr 2021 dem Mittelwert der beobachteten und prognostizierten
    Primärsalden der Jahre 2013 bis 2020 gemäß der Herbstprognose der Europäischen Kommission (Europäische Kom-
    mission (2018a)) entspricht. Zur Berücksichtigung der Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Höhe der
    altersbedingten öffentlichen Ausgaben für Renten, Gesundheit, Pflege und Bildung wurde unterstellt, dass sich diese – als
    Anteil des BIP – im Zeitraum 2018 bis 2070 dem AR2018 der Europäischen Kommission entsprechend entwickeln. Für den
    Zeitraum nach 2070 wurden dagegen die jeweiligen Werte des Jahres 2070 fortgeschrieben.

4   Das Primärdefizit entspricht dem um die Zinsausgaben bereinigten staatlichen Haushaltsdefizit.

                                                                             05
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln                                                                                  Ehrbare Staaten? Update 2018

2          Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln

Jede Medaille hat zwei Seiten. So ist es auch beim Blick auf                      des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. 15 Länder und damit
die Schuldenlage der europäischen Volkswirtschaften. Auf der                      eines weniger als im Jahr 2016 erfüllen das Kriterium nicht.
gewissermaßen obenliegenden und damit sichtbaren Seite                            Den Niederlanden gelingt es dank eines kontinuierlichen Pri-
spiegeln aktuelle Defizite und Schulden die Haushaltspolitik                      märüberschusses in den vergangenen Jahren erstmals, eine
vergangener Jahrzehnte wider. Unter einer fiskalischen Per-                       regelkonforme Verschuldungsquote von 57 Prozent des BIP
spektive können so bereits heute verbriefte Staatsschulden                        zu erreichen. Am Ende der Schuldenstandsliste finden sich
vergangener Jahre wahrgenommen werden. Auf der darunter-                          auch im Jahr 2017 Griechenland, Italien und Portugal, de-
liegenden und damit unsichtbaren Seite kommen heute schon                         ren explizite Staatsschuldenquote zwar allesamt sank. Nach
eingegangene Zahlungsverpflichtungen hinzu, die öffentliche                       wie vor beträgt sie aber mehr als das Doppelte der erlaubten
Mittel erst in der Zukunft binden werden. Der Anstieg dieser                      Schuldenobergrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Ausgaben hängt stark mit der demografischen Entwicklung                           Griechenlands Schuldenstand beläuft sich mit 176 Prozent
der europäischen Bevölkerung zusammen. Zukünftig wird die                         des BIP sogar beinahe auf das Dreifache der Maastricht-
Zahl der sich im Ruhestand befindenden Personen zunehmen                          Vorgabe. Italien verbessert sich um einen Prozentpunkt leicht
und es dementsprechend zu einem Anstieg der öffentlichen                          auf 131 Prozent des BIP. Portugals Schuldenquote verringert
Rentenausgaben kommen, die zudem von kleiner werdenden                            sich um fünf Prozentpunkte auf 125 Prozent. Bei einem Ende
Beitrags- und Steuerzahlerjahrgängen finanziert werden müs-                       der Niedrigzinsphase werden derartig hohe Schuldenstände
sen. Darüber hinaus wird der höhere Anteil Älterer zwangsläu-                     den fiskalischen Handlungsspielraum der öffentlichen Hand
fig auch mit höheren Pflege- und Gesundheitsausgaben ein-                         erheblich einschränken, da ein größerer Teil des Haushalts für
hergehen. Aus dieser demografischen Perspektive betrachtet                        Zinsausgaben veranschlagt werden muss. Erfreulicher stellt
wird sich die Situation hinsichtlich Europas Staatsschulden                       sich die Lage beim zweiten Maastricht-Kriterium dar: 27 der
weiter verschärfen.                                                               28 Mitgliedstaaten erfüllten die Drei-Prozent-Defizitobergren-
                                                                                  ze. Nur Spanien verfehlte mit einem Haushaltsdefizit von 3,1
                                                                                  Prozent des BIP die Vorgabe knapp. Portugal und Rumänien
2.1         Die fiskalische Perspektive
                                                                                  haben mit 3,0 bzw. 2,9 Prozent die Zielvorgabe allerdings nur
                                                                                  knapp erreicht.
Dank des starken Binnenkonsums und hoher Investitionstä-                               Bereinigt man den Haushaltssaldo um Zins- und Til-
tigkeiten der Privatwirtschaft hat sich die Konsolidierung der                    gungsausgaben, ergibt sich der sogenannte Primärsaldo.
öffentlichen Haushalte im Jahr 2017 fortgesetzt. Die Staats-                      Er ist eine der aussagekräftigsten Kennzahlen, um die ge-
verschuldung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Uni-                         genwärtige und kurzfristig zu erwartende Haushaltslage zu
on sank um zwei Prozentpunkte und liegt – wie Abbildung 1                         beurteilen. Ein Primärüberschuss – also ein positiver Primär-
zeigt – zum Jahresende 2017 durchschnittlich bei 83 Prozent                       saldo – zeigt an, dass die staatlichen Einnahmen prinzipiell
des BIP.5 Diese positive Entwicklung ist neben dem seit zehn                      ausreichend sind, um alle regulären, laufenden staatlichen
Jahren höchsten Wirtschaftswachstum innerhalb der Europä-                         Ausgaben zu decken.
ischen Union insbesondere den nach wie vor historisch nied-                            Das außerordentliche Wirtschaftswachstum macht sich
rigen Zinsen zu verdanken, sodass die öffentlichen Haushalte                      auch bei der Analyse der Primärsalden der EU-Mitgliedsländer
durch niedrige Zinsausgaben entlastet werden.6 Die gute                           bemerkbar. Lediglich in vier der 28 Mitgliedstaaten werden
konjunkturelle Ausgangslage kann allerdings nicht darüber                         im Jahr 2018 die Staatseinnahmen höheren zinsbereinigten
hinwegtäuschen, dass die Mitgliedsländer der Europäischen                         Ausgaben gegenüberstehen. Im letztjährigen Update traf dies
Union in ihrer Gesamtheit weiterhin nicht die im Vertrag von                      noch auf zehn Mitgliedstaaten zu. Vorrausichtlich werden Ru-
Maastricht selbst auferlegten Kriterien für eine auf Dauer                        mänien, Frankreich, Spanien und Lettland zu den Mitglied-
tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand erfüllen. Demnach                       staaten mit Primärdefizit gehören. Den höchsten negativen
darf der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent                      Primärsaldo mit -1,9 Prozent hat auch im Jahr 2018 Rumänien
des BIP betragen. Die durchschnittliche Staatsschuld im                           zu verzeichnen. Frankreich weist erneut ein Primärdefizit von
Jahr 2017 liegt weiterhin 23 Prozentpunkte oberhalb dieses                        0,8 Prozent des BIP auf. Die hoffnungsvollen Signale, die von
Wertes. Nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsländer liegt im                      Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ausgingen, ha-
Jahr 2017 unterhalb der vereinbarten Schuldenstandsgrenze                         ben sich demnach noch nicht auf die Haushaltskonsolidierung

5   Vorjahresvergleiche beziehen sich stets auf die entsprechenden Ergebnisse des Nachhaltigkeitsrankings 2017; vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2018).
6   Vgl. Europäische Kommission (2018d).

                                                                             06
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                                                                                                                                      Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln

    Abbildung 1:
    Primärsalden und explizite Staatsverschuldung
    (in Prozent des BIP)

    Quelle: Europäische Kommission (2018a), eigene Berechnungen.

240                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    6
                                                                                                                                                                                                                                                                       5,5
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       5
180
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       4
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        3,9

120                                                                                                               2,9                                                                                                                                                                                                                                  3
                                                                                                                                                                                                                   2,7                                                                                             2,7
                                                                                                                                                                      2,5                              2,4
                                              2,1
                                                                                                                                             1,9                                                                                                                                                                                                       2
                      1,7                                                                                                                                                                                                                                                                                                     1,7
    60                            1,5                                             1,5                                                                                                1,5
                                                                                                       1,3                                                                                                                    1,3 1,2                                                                    1,4
                                                                       1,2                                                                                                                                                                        1,1
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       1
            0,6                                                                                                           0,7 0,6
                      23          26          35           35          36         39         40 41                51      51         51      57            0,1        64             68       0,1      74          77         78           83     87                   96       98         99            103 125 131 176
     0                                                                                      -0,1                                                                                                                                                                                                                                                       0
            9                                                                                                                                              61                                 73                                                                                -0,3
                                                                                                                                                                                                                                                                                           -0,8
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       -1
 -60
                                                           -1,9
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       -2

-120                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   -3
            Estland

                      Luxemburg

                                  Bulgarien

                                              Tschechien

                                                            Rumänien

                                                                       Dänemark

                                                                                  Litauen

                                                                                            Lettland

                                                                                                       Schweden

                                                                                                                  Malta

                                                                                                                          Slowakei

                                                                                                                                     Polen

                                                                                                                                             Niederlande

                                                                                                                                                           Finnland

                                                                                                                                                                      Deutschland

                                                                                                                                                                                     Irland

                                                                                                                                                                                              Ungarn

                                                                                                                                                                                                       Slowenien

                                                                                                                                                                                                                   Kroatien

                                                                                                                                                                                                                              Österreich

                                                                                                                                                                                                                                           EU28

                                                                                                                                                                                                                                                  Verein. Königreich

                                                                                                                                                                                                                                                                       Zypern

                                                                                                                                                                                                                                                                                 Spanien

                                                                                                                                                                                                                                                                                            Frankreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Portugal

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Italien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Griechenland
                                                                                        Staatsverschuldung Jahr (linke Achse)                                                         Primärsaldo Prognose 2018 (rechte Achse)

Erläuterung: Der dargestellte Primärsaldo entspricht dem der Herbstprognose der Europäischen Kommission.

durchgeschlagen.7 Spanien hat beim Abbau seines Primärde-                                                                                                                           Sparpolitik der vergangenen Jahre.8 Zwar sei an dieser Stelle
fizits deutliche Fortschritte erzielt, indem es dieses von 1,8 auf                                                                                                                  darauf hingewiesen, dass der angegebene Primärsaldo einen
0,3 Prozent des BIP verringerte. Lettland verzeichnet mit -0,1                                                                                                                      Prognosewert der Europäischen Kommission darstellt, der
Prozent des BIP einen nur geringen negativen Primärsaldo.                                                                                                                           sich nicht zwingend realisieren muss. Allerdings ist der grie-
Den höchsten Primärüberschuss in Höhe von 5,5 Prozent des                                                                                                                           chische Primärsaldo im Jahr 2017 mit 3,9 Prozent des BIP
BIP erzielt im Jahr 2018 Zypern, gefolgt von Griechenland mit                                                                                                                       deutlich besser ausgefallen als die von der Europäischen
3,9 Prozent des BIP, das lange Zeit als fiskalisches Sorgen-                                                                                                                        Kommission prognostizierten 1,4 Prozent.9 Primärüberschüs-
kind Europas galt. Die Europäische Kommission begründet                                                                                                                             se über zwei Prozent erreichen auch Malta mit 2,9 Prozent
diese Entwicklung vor allem mit stark zunehmendem privaten                                                                                                                          des BIP, Portugal und Kroatien mit je 2,7 Prozent des BIP,
Konsum und einem wachsenden Dienstleistungssektor. Au-                                                                                                                              Deutschland mit 2,5 Prozent des BIP, Slowenien mit 2,4 Pro-
ßerdem erwartet sie eine strenge Fortführung der Fiskal- und                                                                                                                        zent des BIP und Tschechien mit 2,1 Prozent des BIP.

7        Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2018), S. 14f.
8        Vgl. Europäische Kommission (2018b).
9        Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2017), S. 7 und Europäische Kommission (2018a).

                                                                                                                                                                      07
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln                                                                                                                                                                                                                        Ehrbare Staaten? Update 2018

      Dem in Abbildung 2 dargestellten Vergleich der prognos-                                                                                                            land mit 2,5 Prozentpunkten des BIP und Slowenien mit 1,8
tizierten Primärsalden im Jahr 2018 mit den Vorjahresprogno-                                                                                                             Prozentpunkten des BIP. Auch für Finnland, Kroatien und
sen kann entnommen werden, dass sich das überaus starke                                                                                                                  Spanien sowie Dänemark, Polen und die Niederlande pro-
Wirtschaftswachstum auch in den Primärsalden abzeichnet.                                                                                                                 gnostiziert die Europäische Kommission mit einem um 1,5
So hat sich die Prognose des Primärüberschusses nur in                                                                                                                   bzw. 1,4 Prozentpunkten des BIP gestiegenen Primärsaldo
einem Mitgliedsland gegenüber dem Vorjahr verringert. Im                                                                                                                 deutlich größere fiskalische Handlungsspielräume.
Jahr 2017 waren es noch neun Länder, denen ein geringerer                                                                                                                      Insgesamt könnte somit die fiskalische Ausgangslage
Primärsaldo vorausgesagt wurde. Das einzige Land, das mit                                                                                                                Europas kaum besser sein. Historisch geringe Zinsausga-
0,3 Prozent des BIP einen leichten Rückgang des Primärsal-                                                                                                               ben und in den Jahren 2017 und 2018 erneut sehr positive
dos verzeichnet, ist Irland, dessen Primärsaldo aktuell aber                                                                                                             konjunkturelle Umstände schaffen Raum für Haushaltskonso-
mit 1,5 Prozent des BIP noch immer über dem europäischen                                                                                                                 lidierungen, die in den meisten EU-Staaten mit unterschied-
Durchschnitt liegt. Im EU-Durchschnitt ist ein deutlicher An-                                                                                                            licher Intensität ergriffen wurden. Der Handlungsdruck, der
stieg um 0,8 Prozentpunkte festzustellen, sodass der Pri-                                                                                                                aufgrund der europäischen Verschuldung entsteht, wird aber
märüberschuss der Europäischen Union im Jahr 2018 bei 1,2                                                                                                                erst sichtbar, wenn auch heute noch nicht zahlungswirksame
Prozentpunkten liegt. Damit reichen EU-weit die öffentlichen                                                                                                             Verpflichtungen in den Blick genommen werden. Aus einer
Einnahmen mehr als aus, um die um Zinsausgaben bereinig-                                                                                                                 demografischen Perspektive dürfte der Ernst der Lage – auch
ten öffentlichen Ausgaben zu decken.                                                                                                                                     ohne den Fall einer Verschlechterung der günstigen konjunk-
      Deutliche Steigerungen des Primärüberschusses ver-                                                                                                                 turellen Rahmenbedingungen in Betracht zu ziehen – deutlich
zeichnen Zypern mit 3,3 Prozentpunkten des BIP, Griechen-                                                                                                                werden.

  Abbildung 2:
  Veränderung der Primärsalden
  im Jahresvergleich 2017/2018
  (in Prozentpunkten des BIP)                                                                                                                                                                                                                                                                3,3

  Quelle: Europäische Kommission (2018a), Europäische Kommission (2016),
  eigene Berechnungen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            2,5

                                                                                                                                                                                   1,8

                                                                                                                                                1,5                                                                                                         1,5
                                                                                                                          1,4                                                                           1,5
                                                 1,4                                                                              1,4
 1,3
            1,2                                                                                                1,2
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      1,1
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 1,0
                                                            0,9                                                                                                                                                    0,9
                        0,7                                                                                                                                                                                                     0,8
                                    0,6                                                                                                                                                                                                0,6
                                                                                                                                                                                                                                                                      0,5          0,6
                                                                                                                                                           0,5
                                                                      0,3        0,2                                                                                                           0,3
                                                                                            0,2
                                                                                                       0,0

                                                                                                                                                                         -0,3
  Estland

            Luxemburg

                        Bulgarien

                                    Tschechien

                                                 Dänemark

                                                            Litauen

                                                                      Rumänien

                                                                                 Lettland

                                                                                            Schweden

                                                                                                       Malta

                                                                                                               Slowakei

                                                                                                                          Polen

                                                                                                                                  Niederlande

                                                                                                                                                Finnland

                                                                                                                                                           Deutschland

                                                                                                                                                                          Irland

                                                                                                                                                                                   Slowenien

                                                                                                                                                                                               Ungarn

                                                                                                                                                                                                        Kroatien

                                                                                                                                                                                                                   Österreich

                                                                                                                                                                                                                                EU28

                                                                                                                                                                                                                                       Verein. Königreich

                                                                                                                                                                                                                                                            Spanien

                                                                                                                                                                                                                                                                      Frankreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                   Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                             Zypern

                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Portugal

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Italien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Griechenland

                                                                                                                          Verbesserung                                      Verschlechterung

Erläuterung: Die verwendeten Primärsalden entsprechen den Niveaus der jeweiligen Herbstprognosen der Europäischen Kommission.

                                                                                                                                                           08
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln

                                                                             date ausschließlich die Entwicklung gemäß dem aktuellsten
2.2        Die demografische Perspektive                                     Alterungsbericht 2018 zugrunde. Nicht zuletzt da die im Al-
                                                                             terungsbericht dargestellten Projektionen der fiskalischen
Die Mitgliedsländer der Europäischen Union sind mit den Fol-                 Ausgabenentwicklungen der Staaten jeweils direkt von den
gen des demografischen Wandels konfrontiert. Darunter wer-                   Mitgliedsländern zur Verfügung gestellt werden, ist allerdings
den die Herausforderungen des sogenannten doppelten Al-                      fraglich, ob sie in allen Fällen ein ausreichend realistisches
terungsprozesses verstanden. Zum einen steigt in Europa die                  Bild der zukünftigen Entwicklung zeigen.13 In Kapitel 4.1 wird
Lebenserwartung kontinuierlich an. Diese an sich erfreuliche                 darauf näher eingegangen.
Entwicklung führt zu einem Anstieg des Anteils älterer Men-                        Abbildung 3 ist zu entnehmen, dass im Jahr 2017 die
schen an der Gesamtbevölkerung und infolgedessen auch zu                     öffentlichen Ausgaben für Rente, Gesundheit und Pflege bei
mehr Krankheits- und Pflegefällen. Zum anderen liegen die                    19,7 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts liegen.
Geburtenraten in der Europäischen Union durchweg unter-                      Bis zum Jahr 2070 wird dieser Anteil um gut zwei Prozent-
halb des Niveaus, das – unter Ausklammerung von Migrati-                     punkte auf 21,8 Prozent des europäischen BIP ansteigen.14
onsbewegungen – für eine stabile Bevölkerungsstruktur nötig                  Die Belastung der öffentlichen Haushalte durch die sozialen
wäre. Folglich werden in den Ruhestand tretende Steuer- und                  Sicherungssysteme unterscheidet sich in den Mitgliedslän-
Beitragszahler durch kleinere nachfolgende Kohorten ersetzt.                 dern stark. Während Irland im Jahr 2017 insgesamt nur 10,5
So wird insbesondere das Verhältnis von Europäern über 65                    Prozent des BIP für Renten, Gesundheit und Pflege veraus-
Jahren zu denen im erwerbsfähigen Alter stark ansteigen.10                   gabt hat, ist dieser Wert in Frankreich mit 24,7 Prozent mehr
Der demografische Wandel hat somit Auswirkungen auf die                      als doppelt so hoch. Neben Irland verwenden auch Lettland,
Entwicklung öffentlicher Ausgaben für Rente, Gesundheit                      Litauen, Rumänien, Zypern, Estland, Luxemburg, Malta und
und Pflege.                                                                  Bulgarien weniger als 15 Prozent des BIP für öffentliche Ren-
      Alle drei Jahre gibt die Europäische Kommission einen                  ten-, Gesundheits- und Pflegeausgaben. Neben Frankreich
Alterungsbericht heraus, der u.a. über die zu erwartende öf-                 beträgt hingegen in Portugal, Belgien, Griechenland, Finn-
fentliche Ausgabenentwicklung in diesen Sektoren berichtet.                  land, Österreich und Italien der Anteil des BIP für altersab-
Den Berechnungen des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018                         hängige Ausgaben mehr als 20 Prozent des BIP. Die größ-
liegt die aktuelle Version des Alterungsberichts aus dem Jahr                ten Anstiege bis zum Jahr 2070 sind in Luxemburg und auf
2018 zugrunde.11 Da sich zu den vergangenen Alterungs-                       Malta zu erwarten, deren Ausgabenquote um 12,5 bzw. 7,0
berichten aus den Jahren 2009, 2012 und 2015 teilweise                       Prozentpunkte ansteigen wird. Werden in Luxemburg keine
erhebliche Abweichungen ergeben, ist die Vergleichbarkeit                    Reformen der Sozialversicherungssysteme in die Wege ge-
zwischen dem diesjährigen EU-Nachhaltigkeitsranking und                      leitet, wird sich 2070 der Anteil des BIP, der für die altersab-
dem vergangener Jahre nur eingeschränkt gegeben.12 Zu-                       hängigen sozialen Sicherungssysteme aufgewandt werden
dem gab es eine Veränderung bei der Berechnungsmethodik                      muss, beinahe verdoppelt haben. Neben Luxemburg werden
des Nachhaltigkeitsrankings: Während in früheren Updates                     Finnland, Belgien und Österreich mehr als ein Viertel des BIP
die projizierten Rentenausgaben als ein gewichteter Durch-                   für Rente, Gesundheit und Pflege aufbringen müssen. Aber
schnitt der Werte aus den verschiedenen Alterungsberichten                   auch Slowenien, Tschechien und Belgien sind mit Kostenstei-
in die Berechnungen einflossen, liegt dem diesjährigen Up-                   gerungen von über 5 Prozentpunkten des BIP konfrontiert.

10   Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 206.
11   Vgl. Europäische Kommission (2018c).
12   Vgl. Europäische Kommission (2015), Europäische Kommission (2012), Europäische Kommission (2009).
13   Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 50ff.
14   Die Entwicklung von Gesundheits- und Pflegeausgaben folgt dem „Demographic Szenario“. Rentenausgaben werden gemäß dem Standardszenario fortge-
     schrieben.

                                                                        09
Europas Schulden unter zwei Blickwinkeln                                                                                                                                                                                                                               Ehrbare Staaten? Update 2018

  Abbildung 3:
  Die Lasten der demografischen Alterung –
  Veränderung der öffentlichen Ausgaben für Renten,
  Gesundheit und Pflege
  (in Prozent des BIP, Basisjahr 2017)

  Quelle: Europäische Kommission (2018c), eigene Berechnungen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          26,5 26,8
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    25,5 25,8
                                                                                                                                                                                                                                                                         24,1
                                                                                                                                                                                                                                                               23,4 23,4
                                                                                                                                                                                                                                                 22,8
                                                                                                                                                                    21,3 21,4 21,6 21,8 21,8                                                                                                                              3,8
                                                                                                                                                          20,4 20,9                                                                                                                                 3,6
                                                                                                                                   19,4 19,7                                                                                                                                              0,4
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                5,3
                                                                                                             18,3 18,3
                                                                                17,1                                                                                                                                                     2,1                   4,5
                                                                                                                                                                                                                                                                              5,9                                                       12,5
                                                                 16,2 16,6 16,8                                                                                         1,6                   4,3                   4,5
                                                       15,1                                                                                                                        1,2
                                14,3 14,4                                                                                           0,4                   5,5                                               7,0
                      13,4                                                                                   3,1       3,3                     1,4
            11,8                                                                  1,9
                                                                 2,9      0,6
 9,6                                       2,0          4,5

 11,4 12,0 14,2 16,7 12,4 10,5 13,3 16,0 14,9 21,4 15,1 15,0 19,1 18,2 15,0 19,3 20,1 17,1 14,6 17,1 19,7 24,7 18,9 17,6 23,6 21,8 20,5 22,7 14,2
 -1,8 -0,2      -2,4                                                                                                                                                                                                                             -1,8
           -0,9                                                                               -4,3
 Lettland

            Litauen

                      Estland

                                Kroatien

                                           Rumänien

                                                        Irland

                                                                 Zypern

                                                                          Polen

                                                                                  Bulgarien

                                                                                              Griechenland

                                                                                                              Ungarn

                                                                                                                       Slowakei

                                                                                                                                     Spanien

                                                                                                                                               Schweden

                                                                                                                                                          Tschechien

                                                                                                                                                                        Dänemark

                                                                                                                                                                                   Portugal

                                                                                                                                                                                              Niederlande

                                                                                                                                                                                                            Malta

                                                                                                                                                                                                                    Verein. Königreich

                                                                                                                                                                                                                                          EU28

                                                                                                                                                                                                                                                  Frankreich

                                                                                                                                                                                                                                                                Deutschland

                                                                                                                                                                                                                                                                              Slowenien

                                                                                                                                                                                                                                                                                          Italien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Finnland

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Österreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Luxemburg
                                                      Ausgabenniveau im Jahr 2017                                                 Veränderung zwischen 2017 und 2070                                                                     Ausgabenniveau im Jahr 2070

      Deutlich besser sieht es in Litauen, Estland, Frankreich,                                                                                                        Mehrausgaben um 0,4 Prozentpunkte des BIP im Jahr 2070
Lettland, Kroatien und Griechenland aus. Diese Länder wer-                                                                                                             führt, sei auf die Erläuterungen in Kapitel 4.2 und 4.3 ver-
den ihre Ausgabenquoten bis zum Jahr 2070 vorrausichtlich                                                                                                              wiesen. Dort wird analysiert, welche Auswirkungen ein Ab-
verringern. Besonders ausgeprägt wird dieser Rückgang den                                                                                                              weichen von den beschlossenen Rentenreformen hätte. Eine
Angaben der Europäischen Kommission zufolge mit 4,3 Pro-                                                                                                               Ausgabenquote unter 15 Prozent des BIP erreichen 2070
zentpunkten des BIP in Griechenland ausfallen. Bezüglich                                                                                                               den Projektionen zufolge lediglich Lettland, Litauen, Estland,
Italiens, dessen Sozialversicherungssystem zu nur geringen                                                                                                             Kroatien und Rumänien.

                                                                                                                                                          10
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                                                                                                  Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa

3                             Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa

Der ehrbare Kaufmann wirtschaftet durch verantwortungsbe-                                                                                                              Stiftung Marktwirtschaft jährlich veröffentlichte Nachhaltig-
wusstes und nachhaltiges Handeln. Diese Tugend gilt für viele                                                                                                          keitsranking, in dem zu den jeweils bereits ausgewiesenen
als Leitbild, sowohl für die private Haushaltsführung als auch                                                                                                         expliziten Staatsschulden die zukünftig zu erwartenden fiska-
für Unternehmen. Doch sollte es nicht auch einen ehrbaren                                                                                                              lischen Lasten hinzugerechnet werden. So wird geprüft, ob
Staat geben, der verantwortungsbewusst und nachhaltig mit                                                                                                              sich die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben langfristig im
den öffentlichen Finanzen wirtschaftet? Ob diese Tugend in                                                                                                             Gleichgewicht befinden.
den europäischen Haushalten gelebt wird, zeigt das von der

    Abbildung 4:                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   715
    Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2018
    (in Prozent des BIP, Basisjahr 2017)

    Quelle: Europäische Kommission (2018), eigene Berechnungen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      478

                                                                                                                                                                                                                                                                                      347 357
                                                                                                                                                                                                                                    311
                                                                                                                                                                                                                        289 291 307
                                                                                                                                                                                                            262 268 276                                                                                                            692
                                                                                                                                                                                 214 221
                                                                                                                                                         170 174                                                                                                                                                      404
                                                                                                                              141 142 147
                                                                                                                    122                                                                                                                                                               244 270
                                                                                 95           100 101
                                                                                                                                                                                                                        170                                       239
                                                                                                                                                                     143 200                                                      225 255 240                              276
                                                                                                                                      59                 106 101 157
                                                                                                                              90             122
                                                                                              59
    77         176            39        40           9       36         96       99           41         125 131              51      83     26          64             73       57            78            61         98        51         35           51      68       35         103        87                   74           23
 -213 -281 -114 -110 -47 -43 -100                                                -3                      -24        -9
                                                   -39       -7

                              -75       -70                             -4

 -136
               -105
    Kroatien

               Griechenland

                              Litauen

                                        Lettland

                                                   Estland

                                                             Dänemark

                                                                        Zypern

                                                                                 Frankreich

                                                                                              Schweden

                                                                                                         Portugal

                                                                                                                    Italien

                                                                                                                              Polen

                                                                                                                                      EU28

                                                                                                                                             Bulgarien

                                                                                                                                                         Deutschland

                                                                                                                                                                        Ungarn

                                                                                                                                                                                 Niederlande

                                                                                                                                                                                               Österreich

                                                                                                                                                                                                             Finnland

                                                                                                                                                                                                                        Spanien

                                                                                                                                                                                                                                  Slowakei

                                                                                                                                                                                                                                             Tschechien

                                                                                                                                                                                                                                                          Malta

                                                                                                                                                                                                                                                                  Irland

                                                                                                                                                                                                                                                                           Rumänien

                                                                                                                                                                                                                                                                                       Belgien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Verein. Königreich

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Slowenien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Luxemburg

                                                                                                Explizite Schulden                           Implizite Schulden                                             Nachhaltigkeitslücke*

*Abweichungen zwischen der ausgewiesenen Höhe der Nachhaltigkeitslücke und der Summe aus expliziten und impliziten Schulden sind auf Rundungsdifferenzen
zurückzuführen.

     Das EU-Nachhaltigkeitsranking 2018 zeigt die Nachhal-                                                                                                             und eine negative Nachhaltigkeitslücke aufweisen. Abbildung
tigkeitslücken der Europäischen Union und ihrer 28 Mitglied-                                                                                                           4 zeigt, dass zu der expliziten Verschuldung der EU-28 in
staaten (Abbildung 4). Es besteht auch in diesem Jahr für die                                                                                                          Höhe von 83 Prozent des BIP eine implizite Verschuldung
Mehrzahl der europäischen Mitgliedstaaten eine Nachhaltig-                                                                                                             von 59 Prozent des BIP hinzugerechnet werden muss. Somit
keitslücke, die in den meisten Fällen durch implizite Schulden                                                                                                         beträgt die Nachhaltigkeitslücke in der Europäischen Union
verursacht wird. Durch Berücksichtigung des Alterungsbe-                                                                                                               mit 142 Prozent des BIP fast das Eineinhalbfache der jähr-
richts 2018 zeigt das Nachhaltigkeitsranking jedoch auch                                                                                                               lichen Wirtschaftsleistung. Die wesentlichen Treiber der euro-
eine wesentliche Anzahl von Ländern, die durch langfristig                                                                                                             päischen Nachhaltigkeitslücke finden sich in den zukünftigen
projizierte Haushaltsüberschüsse ein implizites Vermögen                                                                                                               Ausgaben für Gesundheit und Pflege.

                                                                                                                                                         11
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                   Ehrbare Staaten? Update 2018

      Den ersten Platz im Nachhaltigkeitsranking 2018 er-                        und Ungarn mit 174 Prozent des BIP. Dabei zeichnen sich die
reicht Kroatien mit einer Nachhaltigkeitslücke von -136 Pro-                     beiden ehemaligen Krisenstaaten Portugal und Italien durch
zent des BIP. Das jüngste EU-Mitglied belegt somit erneut                        eine Kombination aus hohen expliziten Schulden und impli-
die Spitzenposition, die es insbesondere durch in Zukunft                        zitem Vermögen aus. Dieses implizite Vermögen resultiert im
sinkende Rentenausgaben und einen positiven Primärsaldo                          Wesentlichen aus der positiven fiskalischen Ausgangslage
erreicht. Mit einer expliziten Staatsschuldenquote von 77 Pro-                   der beiden Länder. Im Falle Portugals leistet zusätzlich die
zent des BIP wird die Schuldengrenze des Stabilitäts- und                        vorteilhafte Entwicklung der Rentenausgaben einen Beitrag
Wachstumspakts von 60 Prozent des BIP allerdings auch in                         zur Bildung des impliziten Vermögens. Alle übrigen EU-Mit-
Kroatien nicht eingehalten. Ebenfalls zur Spitzengruppe – mit                    gliedstaaten mit Nachhaltigkeitslücke weisen einen deutlich
negativen Nachhaltigkeitslücken bzw. einer Nachhaltigkeits-                      größeren Anteil von impliziten Schulden auf.
lücke von unter 100 Prozent des BIP – zählen Griechenland                              In der Schlussgruppe des Rankings mit Nachhaltigkeits-
mit -105 Prozent des BIP, Litauen mit -75 Prozent des BIP,                       lücken von über 200 Prozent des BIP finden sich die verblei-
Lettland mit -70 Prozent des BIP, Estland mit -39 Prozent                        benden Länder der EU. Mit Nachhaltigkeitslücken von noch
des BIP, Dänemark mit -7 Prozent des BIP, Zypern mit -4                          unter 300 Prozent des BIP liegen in der oberen Hälfte der
Prozent des BIP und Frankreich mit 95 Prozent des BIP. Be-                       Schlussgruppe die Niederlande mit 214 Prozent des BIP, Ös-
merkenswert ist die deutliche Verbesserung Griechenlands,                        terreich mit 221 Prozent des BIP, Finnland mit 262 Prozent
die sich zum einen aufgrund eines verbesserten Primärsal-                        des BIP, Spanien mit 268 Prozent des BIP, die Slowakei mit
dos ergibt. Zum anderen verdankt Griechenland seine gute                         276 Prozent des BIP, Tschechien mit 289 Prozent des BIP
Positionierung einer günstigen fiskalischen Entwicklung der                      und Malta mit 291 Prozent des BIP. In Spanien, der fünftgröß-
Rentenausgaben, die der wesentliche Grund für das hohe                           ten Volkswirtschaft der Europäischen Union, führen beson-
implizite Vermögen von 281 Prozent des BIP ist. Die positive                     ders die schwierige fiskalische Ausgangslage und zukünftig
Projektion der Rentenausgaben im neuen Alterungsbericht                          steigende Ausgaben für Pflege und Gesundheit zu hohen
2018 der Europäischen Kommission führt dazu, dass der An-                        impliziten Schulden. Die in Zukunft sinkenden Rentenausga-
teil der Rentenausgaben am BIP von 17,3 Prozent im Jahr                          ben dämpfen dabei die Nachhaltigkeitslücke Spaniens nur
2016 auf nur noch 10,6 Prozent im Jahr 2070 fallen wird –                        geringfügig ab.
das wäre der mit Abstand stärkste Rückgang unter allen Mit-                            Mit Nachhaltigkeitslücken von über 300 Prozent des BIP
gliedstaaten.15 Auch Frankreich verdankt seine gute Position                     liegen in der unteren Hälfte der Schlussgruppe Irland mit 307
dem neuen Alterungsbericht und den darin prognostizierten                        Prozent des BIP, Rumänien mit 311 Prozent des BIP, Belgien
zukünftig deutlich geringeren Rentenausgaben.                                    mit 347 Prozent des BIP, das Vereinigte Königreich mit 357
      Im Mittelfeld des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018 befin-                   Prozent des BIP, Slowenien mit 478 Prozent des BIP sowie
det sich unter anderem Deutschland mit impliziten Schulden                       Luxemburg mit 715 Prozent des BIP. Auffällig sind in dieser
in Höhe von 106 Prozent des BIP. Trotz gesunkener expliziter                     Gruppe Belgien und Luxemburg. Mit sowohl hohen impliziten
Schulden erhöht sich die Nachhaltigkeitslücke Deutschlands                       als auch hohen expliziten Schulden bildet Belgien eine auffäl-
somit auf 170 Prozent des BIP. Dies zeigt, dass die gute Wirt-                   lige Ausnahme in der Schlussgruppe. Der wesentliche Treiber
schaftslage und die daraus resultierenden staatlichen Haus-                      der hohen impliziten Schulden sind die zukünftig steigenden
haltsüberschüsse in der Gegenwart kein Garant für dauerhaft                      Rentenausgaben. Der Einfluss der altersabhängigen Ausga-
stabile Staatsfinanzen sind. Neben Deutschland gehören zur                       ben zeigt sich jedoch am deutlichsten im Falle Luxemburgs.
Gruppe der Mitgliedstaaten, die eine Nachhaltigkeitslücke                        Trotz eines ausgeglichenen Primärsaldos und einer relativ sehr
von unter 200 Prozent des BIP aufweisen, auch Portugal mit                       niedrigen expliziten Verschuldung führen die stark steigenden
101 Prozent des BIP, Italien mit 122 Prozent des BIP, Polen                      Rentenausgaben im Ergebnis dazu, dass sich Luxemburg auf
mit 141 Prozent des BIP, Bulgarien mit 147 Prozent des BIP                       dem letzten Platz des Nachhaltigkeitsrankings befindet.

15 Würde man hingegen von einer Entwicklung der Rentenausgaben ausgehen, wie sie noch vor rund 10 Jahren im Alterungsbericht 2009 unterstellt wurde, läge
   Griechenland im Nachhaltigkeitsranking auf dem letzten Platz und sähe sich impliziten Schulden von rund 1.000 Prozent des BIP gegenüber; vgl. Europäische
   Kommission (2009), eigene Berechnungen. Nähere Erläuterungen zu den Auswirkungen des neuen Alterungsbericht gegenüber früheren Versionen finden sich
   in Kapitel 4.1.

                                                                            12
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                                                                                      Was wäre, wenn…

4                                   Was wäre, wenn…

Die Ergebnisse des EU-Nachhaltigkeitsrankings 2018 stehen                                     rungsberichten 2009, 2015 und 2018. Der Alterungsbericht
unter dem starken Einfluss des neuen Alterungsberichts 2018                                   2009 ging von einer kontinuierlichen Zunahme der jährlichen
der EU-Kommission. Dessen Ergebnisse und die der bishe-                                       Rentenausgaben bis zum Jahr 2060 aus. Bis 2040 sollten die
rigen Alterungsberichte aus den Jahren 2009, 2012 und 2015                                    Ausgaben um knapp 3 Prozentpunkte des BIP relativ stark
unterscheiden sich teilweise extrem. Um den Einfluss der pro-                                 ansteigen. In den folgenden 20 Jahren sollte der Anstieg zwar
jizierten Entwicklungen in den unterschiedlichen Alterungs-                                   schwächer, aber kontinuierlich weiter um insgesamt ca. 0,5
berichten auf die Nachhaltigkeitslücken zu verdeutlichen,                                     Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung erfolgen. Im
werden im Folgenden einzelne Sensitivitätsanalysen durchge-                                   Jahr 2060 würde das Ausgabenniveau für öffentliche Renten-
führt. Zunächst werden in Kapitel 4.1 die Unterschiede der                                    ausgaben um 3,2 Prozentpunkte des BIP oberhalb des Ni-
Alterungsberichte und deren Glaubwürdigkeit am Beispiel der                                   veaus des Jahres 2017 liegen. Der Alterungsbericht 2015 sah
Rentenausgaben verdeutlicht. Kapitel 4.2 widmet sich dann                                     hingegen einen deutlich schwächeren Anstieg der Rentenaus-
den Auswirkungen am Beispiel Italiens. Im letzten Teilkapi-                                   gaben bis zum Jahr 2040 vor. Statt wie im Alterungsbericht
tel wird analysiert, wie sich ein Abweichen von den Reform-                                   2009 projiziert, würden die öffentlichen Rentenausgaben im
anstrengungen auf die italienische Nachhaltigkeitslücke aus-                                  Jahr 2040 nicht um 2,8 Prozentpunkte des BIP, sondern nur
wirken würde.                                                                                 um 0,9 Prozentpunkte des BIP höher liegen. Danach sollte
                                                                                              das Ausgabenniveau wieder sinken, sodass es 2060 sogar
                                                                                              unterhalb des Niveaus des Jahres 2017 liegen würde und EU-
4.1                                 …sich die Rentenausgaben nicht so
                                                                                              weit 0,2 Prozentpunkte des BIP weniger als im Jahr 2017 für
                                    entwickeln, wie angenommen?
                                                                                              Rentenleistungen aufgebracht werden müssten. Die Ergeb-
                                                                                              nisse des Alterungsberichts 2018 korrigieren diese positive
Für die Berechnung der Nachhaltigkeitslücke in den Mitglied-                                  Entwicklung geringfügig. Zwar bleibt der grundsätzliche Ver-
staaten der Europäischen Union spielt insbesondere die zu                                     lauf des Alterungsberichts 2015 erhalten, wird aber insbeson-
erwartende Entwicklung der Rentenausgaben eine entschei-                                      dere zwischen den Jahren 2040 und 2060 um 0,2 bis 0,3 Pro-
dende Rolle. Erstmals wird für das vorliegende Nachhaltig-                                    zentpunkte des BIP in Richtung höherer Ausgaben berichtigt.
keitsranking deren Entwicklung nicht als gewichteter Durch-                                   Im Jahr 2060 sollen dem Alterungsbericht 2018 zufolge die
schnitt mehrerer vergangener Alterungsberichte ermittelt.16                                   öffentlichen Rentenausgaben nur ca. 0,2 Prozentpunkte des
Stattdessen wird ausschließlich der aktuelle Alterungsbericht                                 BIP oberhalb des Niveaus des Jahres 2017 liegen.
2018 herangezogen.                                                                                 Da in der Darstellung des Alterungsberichts zurücklie-
     Abbildung 5 vergleicht die Entwicklung der Rentenaus-                                    gende Reformschritte bereits berücksichtigt sind, könnten
gaben innerhalb der EU-Mitgliedstaaten gemäß den Alte-                                        diese der Grund für den zukünftig erwarteten Rückgang der

             Abbildung 5: Projizierte Entwicklung der öffentlichen                                         Abbildung 6: Projizierte Entwicklung der öffentlichen
             Rentenausgaben in der EU                                                                      Rentenausgaben in Frankreich

             Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen.                      Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen.

                              4,0                                                                                           2,0
                                                                                              (in Prozentpunkten des BIP)
(in Prozentpunkten des BIP)

                                                                                               Mehrausgaben ggü. 2018
 Mehrausgaben ggü. 2018

                              3,0                                                                                           1,0

                              2,0                                                                                           0,0

                              1,0                                                                                           -1,0

                              0,0                                                                                           -2,0

                              -1,0                                                                                          -3,0
                                 2018   2024   2030   2036    2042     2048    2054   2060                                     2018   2024      2030     2036        2042   2048   2054   2060

                                                       Alterungsbericht 2009          Alterungsbericht 2015                                  Alterungsbericht 2018

16 So konnten für einzelne Staaten teils erhebliche Unterschiede der Alterungsberichte ausgeglichen werden. Für nähere Informationen vgl. Peters/Raffelhüschen/
   Reeker (2018), S. 5.

                                                                                         13
Was wäre, wenn…                                                                                                                                              Ehrbare Staaten? Update 2018

             Abbildung 7: Projizierte Entwicklung der öffentlichen                                         Abbildung 8: Projizierte Entwicklung der öffentlichen
             Rentenausgaben in Italien                                                                     Rentenausgaben in Deutschland

             Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen.                      Quelle: Europäische Kommission (2018c, 2015, 2009), eigene Berechnungen.

                              4,0                                                                                           4,0

                                                                                              (in Prozentpunkten des BIP)
(in Prozentpunkten des BIP)

                                                                                               Mehrausgaben ggü. 2018
 Mehrausgaben ggü. 2018

                              3,0                                                                                           3,0

                              2,0                                                                                           2,0

                              1,0                                                                                           1,0

                              0,0                                                                                           0,0

                              -1,0                                                                                          -1,0

                              -2,0                                                                                          -2,0
                                 2018   2024   2030   2036    2042     2048    2054   2060                                     2018   2024      2030     2036        2042   2048   2054   2060

                                                       Alterungsbericht 2009          Alterungsbericht 2015                                  Alterungsbericht 2018

öffentlichen Ausgaben sein. Beachtet werden muss allerdings                                   rungsberichte ebenfalls erhebliche Unterschiede auf. Abbil-
auch, dass die im Alterungsbericht projizierten fiskalischen                                  dung 6 zeigt, dass im Jahr 2015 noch von einem sehr gerin-
Ausgabenentwicklungen direkt von den Mitgliedsländern zur                                     gen Anstieg der italienischen Rentenausgaben ausgegangen
Verfügung gestellt werden.17 Trotz einer Überprüfung durch die                                wurde. Diese sollten ab dem Jahr 2040 wieder kontinuierlich
EU-Kommission ist davon auszugehen, dass die fiskalischen                                     sinken. Im aktuellen Bericht des Jahres 2018 bleibt dieser
Konsequenzen der demografischen Entwicklung durch Refor-                                      Wendepunkt im Jahr 2040 auch weiterhin bestehen, jedoch
manstrengungen in vielen Mitgliedsländern der Europäischen                                    geschieht er auf einem viel höheren Ausgabenniveau als in
Union zwar abgeschwächt, in der Regel aber nicht vollständig                                  früheren Projektionen. Dennoch sollen ab dem Jahr 2055 die
kompensiert werden. Es liegt nahe, dass die zukünftig proji-                                  Rentenausgaben wieder geringer sein als im Jahr 2017 und
zierten Verbesserungen bei den öffentlichen Rentenausgaben                                    auch darüber hinaus weiter sinken.
in einigen Ländern auf politisches Reporting zurückzuführen                                        Anders als in Frankreich oder Italien weisen – wie Abbil-
sind. Da die europäischen Mitgliedstaaten mit dem Gewicht                                     dung 8 zu entnehmen ist – die Projektionen der deutschen
ihres Bruttoinlandsprodukts in den projizierten Rentenausga-                                  Rentenausgaben ein gleichbleibendes Bild auf. Gemäß den
ben der EU berücksichtigt werden, lohnt sich ein genauerer                                    drei Alterungsberichten 2009, 2015 und 2018 sollen die Ren-
Blick auf drei wirtschaftlich starke Länder und wie sich deren                                tenausgaben in Deutschland jeweils bis zum Jahr 2035 stark
projizierte Rentenausgaben im Laufe der Zeit verändert ha-
ben: Frankreich, Italien und Deutschland.                                                     Tabelle 1:
      Abbildung 6 vergleicht die Entwicklung der Rentenausga-                                 Kennzahlen der Rentensysteme
ben Frankreichs gemäß den Alterungsberichten 2009, 2015
und 2018. Die drei verschiedenen Alterungsberichte weisen
                                                                                                                                                     Nettoersatzquote
teilweise erhebliche Unterschiede auf. So wurde im Jahr 2009                                                                          Rentenausgaben                    Rentenzugangs-
                                                                                                                                                     für Durchschnitts-
                                                                                                                                       in % des BIP*                        Alter**
noch mit zukünftig durchweg höheren Rentenausgaben ge-                                                                                                   verdiener**

genüber dem Jahr 2017 ausgegangen. Der Alterungsbericht                                                    Deutschland                        10,1                   44,9          64,3
2015 hingegen geht von in Zukunft schnell sinkenden Ren-                                                   Frankreich                         15,0                   59,5          61,9
tenausgaben aus. Auch im aktuellen Bericht des Jahres 2018
                                                                                                           Italien                            15,6                   88,4          63,8
sollen ab dem Jahr 2030 die französischen Ausgaben für
Renten stetig sinken und im Jahr 2060 über 2 Prozentpunkte
                                                                                              * Jahr 2016; ** Jahr 2017.
des BIP geringer sein als im Jahr 2017.
      Im Fall von Italien weisen die drei verschiedenen Alte-                                 Quelle: Europäische Kommission (2018c), OECD (2017).

17 Vgl. Europäische Kommission (2018c), S. 50ff.

                                                                                         14
Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Europa                                                               Was wäre, wenn…

ansteigen und darüber hinaus zwar weniger stark, aber wei-               nur als höchst unplausibel bezeichnet werden. Denn obwohl
terhin ansteigen. Diese Ausgabenprojektionen haben sich in               auf Seiten der Europäischen Kommission zwar eine gewisse
den vergangenen zehn Jahren nahezu nicht verändert. Die                  Kontrolle der gelieferten Ausgabenprojektionen stattfindet,
Stabilität der deutschen Rentenausgabenprojektion über alle              beruhen sie zu erheblichen Teilen auf unkoordinierten Berech-
bisherigen Alterungsberichte ist einmalig innerhalb aller Mit-           nungsmethoden, die jedes Mitgliedsland selbst für passend
gliedstaaten der Europäischen Union.                                     hält. Ohne eine echte europäische Koordination der Ausga-
      Aufgrund der ungewöhnlichen Schwankungen in den                    benprojektionen können Berechnungen auf der geschilderten
projizierten Rentenausgaben Frankreichs und Italiens stellt              Datengrundlage keine validen Ergebnisse liefern.
sich die Frage, inwiefern diese Entwicklung mit den aktuellen
Kennzahlen ihrer Rentensysteme in Einklang zu bringen ist.
                                                                         4.2      …wichtige Rentenreformen in Italien
Tabelle 1 zeigt die Unterschiede in den Kennzahlen der jewei-
                                                                                  wieder rückgängig gemacht werden?
ligen Rentensysteme Deutschlands, Frankreichs und Italiens.
Deutschlands Rentenausgaben sind mit 10,1 Prozent des
BIP am niedrigsten, dennoch sollen in Deutschland die Ren-               Die Einschätzungen des Alterungsberichts berücksichtigen
tenausgaben in Zukunft nur noch steigen. In Frankreich und               bisher beschlossene Reformen der öffentlichen Sozialversi-
Italien sind die Rentenausgaben mit 15,0 bzw. 15,6 Prozent               cherungssysteme, auch wenn diese erst zu einem späteren
des BIP deutlich höher. Hier sollen die Rentenausgaben in Zu-            Zeitpunkt ihre Wirkung entfalten werden. Daher ist die pro-
kunft aber deutlich sinken und führen so zu keinerlei impliziter         jizierte Ausgabenentwicklung mit einer beträchtlichen Unsi-
Verschuldung. Die Nettoersatzquote eines Durchschnittsver-               cherheit behaftet. Bekanntlich mangelt es der Politik häufig
dieners, also wie hoch die Nettorente eines Durchschnitts-               an Reformdurchhaltewillen. Zudem verdeutlichen die deut-
verdieners im Vergleich zu seinem Nettoarbeitslohn direkt                schen „Rentenpakete“ der letzten Jahre sowie die aktuelle
vor Renteneintritt ist, liegt in Deutschland bei 44,9 Prozent. In        Diskussion um die Einführung einer Grundrente das Risiko,
Frankreich und Italien liegen die Nettoersatzquoten mit 59,5             dass einmal umgesetzte Reformen wieder rückgängig ge-
bzw. 88,4 Prozent deutlich höher. Durch die projizierten Ren-            macht oder zumindest in ihrer Wirkung verwässert werden.
tenausgaben, die wirklich zu schön sind, um wahr zu sein,                       Besonders deutlich wird dies am Beispiel Italiens. Auf-
haben Frankreich und Italien dennoch keine impliziten Schul-             fallend ist, dass Italien zwar auf der einen Seite nach Grie-
den. Schließlich beläuft sich das Rentenzugangsalter, also das           chenland den höchsten expliziten Schuldenstand aller EU-
durchschnittliche Alter eines Neurentners, in Deutschland auf            Mitgliedstaaten aufweist, auf der anderen Seite aber über
64,3 Jahre und liegt damit höher als in Italien mit 63,8 Jahren          ein implizites Vermögen verfügt. Dieser vorteilhafte implizite
und Frankreich mit 61,9 Jahren. In Deutschland liegt somit das           Schuldenstand lässt sich mit der projizierten Entwicklung der
durchschnittliche Renteneintrittsalter höher als in Frankreich           Rentenausgaben begründen. Wie Abbildung 6 zeigt, nehmen
und Italien, dennoch weist Deutschland implizite Schulden auf.           in Italien die Rentenausgaben bis zum Jahr 2040 kontinuier-
      Die grundlegenden Rentenprojektionen in einigen Län-               lich zu und liegen dann 3,1 Prozentpunkte des BIP oberhalb
dern, insbesondere in Frankreich und Italien, sind daher als             des Niveaus des Jahres 2017. Überraschenderweise sinken
äußerst fragwürdig einzustufen. Eine solch positive Entwick-             die Ausgaben ab dann deutlich. Im Jahr 2060 sollen sie den
lung der Rentenausgaben ist nicht plausibel zu erklären. So              Angaben im Alterungsbericht 2018 zufolge unterhalb des
ist es nicht ersichtlich, welche französischen Reformanstren-            Niveaus des Jahres 2017 liegen. Der deutliche Rückgang
gungen zu einer solchen Kehrtwende der Ausgabenpolitik                   der Rentenausgaben steht in Zusammenhang mit der Ver-
führen sollten. Auch im Falle Griechenlands, das aktuell mit             abschiedung tiefgreifender Rentenreformen, insbesondere
einem impliziten Vermögen von über 100 Prozent des BIP auf               der Dini-Reform aus dem Jahr 1995 und der Monti-Reform
dem zweiten Platz des Rankings rangiert, fußt der Erfolg auf             aus dem Jahr 2011.18 Beiden Reformen ist gemein, dass
dem extremen Rückgang der zukünftigen griechischen Ren-                  sie großzügige Regelungen zum Bestandsschutz beinhal-
tenausgaben. Unter der Annahme der Rentenausgabenpro-                    ten. So werden die Regelungen von Dini- und Monti-Reform
jektionen aus dem Alterungsbericht 2009 käme Griechenland                erst Ende der 2030er Jahre für alle Rentner gelten, was den
im Nachhaltigkeitsranking auf den letzten Platz mit einer impli-         verzögerten Ausgabenrückgang ab dem Jahr 2040 erklärt.
ziten Verschuldung von rund 1.000 Prozent des BIP. So kön-               Würde der italienischen Politik zu diesem Zeitpunkt der Mut
nen die von einigen Ländern an die Europäischen Kommission               fehlen, die Reformen tatsächlich vollumfänglich anzuwenden,
gelieferten Daten zur Entwicklung der öffentlichen Ausgaben              und stattdessen die italienischen Rentenausgaben auf dem

18 Vgl. Peters/Raffelhüschen/Reeker (2017), S. 13.

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