Michael Braun * Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird
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Michael Braun * Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird Seit dem Amtsantritt Silvio Berlusconis im Jahre 2001 tanz der europäischen Einigung mithin keine Rolle 1 ist Europa in Italien zunehmend zu einem Thema politi- spielt. scher Auseinandersetzungen geworden. Die zweideu- Dass das Engagement der politischen Eliten, aber tige Politik in der Irak-Krise, die eingangs von Eklats auch der Bürger für Europa nicht nur rhetorisch ist, und am Ende von verpassten Chancen gekennzeichne- zeigte sich nicht zuletzt in den massiven Anstrengun- te Ratspräsidentschaft im Jahre 2002, der Dauerkon- gen Italiens, den Beitritt zur Europäischen Wirtschafts- flikt Berlusconis mit dem Kommissionspräsidenten Ro- und Währungsunion schon in der ersten Phase zu mano Prodi, all dies zeugt davon, dass der über Jahr- schaffen, obwohl das Land noch 1996 gleich vier der zehnte im Lande unumstrittene europapolitische in Maastricht fixierten Parameter verfehlte (Nettoneu- Grundkonsens in Frage steht. verschuldung, Staatsschulden, Zinsniveau, Inflationsra- te). Im Herbst 1996 gab die gerade gewählte Mitte- Links-Regierung unter Ministerpräsident Romano Prodi Der Ausgangspunkt die Marschroute aus, mit einem massiven Haushalts- Sparprogramm im Umfang von damals gut 60 Mrd. Von der zweiten Hälfte der 70er Jahre an bis zum Re- DM binnen kurzem die Staatsverschuldung von seiner- gierungsantritt Silvio Berlusconis (2001) war Italien ein zeit jährlich noch knapp 7% unter die magische 3%- Land, in dem europapolitische Debatten so gut wie Schwelle zu senken. Wesentlicher Teil dieses Kraftaktes keine Rolle spielten – aus dem schlichten Grund, dass war die vorübergehende Einführung eines Aufschlags das Engagement in Europa unumstritten war. Die poli- auf die Einkommenssteuer; die Regierung griff wie tischen Eliten aller Parteien, von der eurokommunisti- selbstverständlich zu der Bezeichnung „Europasteuer“ schen KPI (Kommunistische Partei Italiens, aus der – im sicheren Wissen, dass dies nicht Ressentiments 1991 die Linksdemokraten hervorgehen sollten) bis hin gegen Europa mobilisieren, sondern die Akzeptanz für zu den Christdemokraten, waren proeuropäisch einge- die Sonderabgabe erhöhen würde. stellt, lediglich die am rechten Rand isolierten Neofa- Und die damalige Rechtsopposition unter Silvio Ber- schisten wichen davon ab. Die übergroße Mehrheit der lusconi machte zwar Stimmung gegen das Konsolidie- Bevölkerung unterstützte diesen Konsens: Seit je ver- rungsprogramm der Regierung, der vorgeworfen wur- zeichnen die Umfragen von Eurostat zur Akzeptanz der de, sie werde „Italien kaputtsparen“ – zu keinem Zeit- EU-Institutionen in Italien Zustimmungswerte von 70- punkt aber stellte die Opposition das Ziel, die Beteili- 80%. gung am Euro, offen in Frage. 1999 dann, nach dem Italiens Regierungen trugen vor diesem Hintergrund Wechsel an der Spitze der italienischen Regierung von alle Integrationsschritte der Union mit, vom Europäi- Romano Prodi zu Massimo D’Alema, unterstützte auch schen Währunhssystem über die Einheitliche Europäi- Silvio Berlusconi die Berufung Prodis zum Präsidenten sche Akte zu Maastricht und Nizza, ohne dass dies je der EU-Kommission. Ebenso wenig musste die Mitte- Anlass zu politischen Kontroversen gegeben hätte. Es Links-Regierung sich vom Gros der Opposition Kritik ist bezeichnend, dass in der italienischen Öffentlichkeit für die von ihr mitgetragene Verabschiedung der EU- Begriffe wie „Eurokratie“ schlicht unbekannt waren, Grundrechtecharta in Nizza gefallen lassen; einzig die dass politische Auseinandersetzungen im deutschen offen EU-feindliche Lega Nord unter Umberto Bossi Stile („Zahlmeister Europas“) über Kosten und Erträge lehnte die Charta ab. der EU-Mitgliedschaft völlig fehlten, und dass Italiens Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Bürger in ihrer übergroßen Mehrheit bis heute schlicht Italiens Rolle in Europa im Wahlkampf von 2001 kein nicht wissen, ob ihr Land in der EU Netto-Zahler oder - Empfänger ist – und dass diese Frage für die Akzep- 1 Die Lösung des Rätsels: Italien gehört zu den Nettozahlern, die hohen Zustimmungswerte sind also nicht wie in anderen südeuropäischen Staaten auf den „Geldsegen aus Brüssel“ * Friedrich-Ebert-Stiftung, Rom. zurück zu führen.
Michael Braun Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird 2 Thema war. Auf den ersten Blick war auch bei einem vor. Traditionell war diese Partei EU-feindlich gewe- Regierungswechsel kein prinzipieller Richtungswechsel sen; sie hatte diese Position der offenen Gegner- der Europapolitik des Landes absehbar. Nicht zuletzt schaft im Zuge ihrer demokratischen Wendung auf- wurde diese Erwartung durch die Tatsache gestärkt, gegeben und plädierte nun für ein „Europa der Va- Europäische Politik (06/2004) dass Berlusconi – anders als während seiner kurzen terländer“. Regierungszeit 1994 – im Jahr 2001 auf der europäi- • Offen EU-feindlich blieb dagegen die rechtspopulis- schen Bühne nicht mehr als Fremdkörper erschien: Sei- tische Lega Nord (3,9%) unter Umberto Bossi; der ne Forza Italia war, nicht zuletzt dank der Unterstüt- von Berlusconi zum Minister für Verfassungsrefor- zung Helmut Kohls, mittlerweile Vollmitglied der Euro- men Berufene hetzte in rüdem Ton gegen Europa päischen Volkspartei geworden. mal als neue „Nazi-Herrschaft“, mal als wiederge- kehrte „Sowjetunion“. • Klar in der europapolitischen Kontinuität Italiens Der Regierungsantritt Berlusconis: die steht allein der kleinste Koalitionspartner, die christ- vorgespiegelte Kontinuität demokratische Unione dei Democratici Cristiani (UDC, 3,2%). Silvio Berlusconi gelang es zudem bei seinem Regie- Offiziell galt aber in den ersten Monaten der Regierung rungsantritt, gegen das ihm in Europa entgegenschla- Berlusconi die Marschroute außenpolitischer Kontinui- gende Misstrauen mit einer Personalentscheidung ent- tät, und einige Zeichen deuteten auch in diese Rich- scheidenden Boden gutzumachen: Er berief den partei- tung. So favorisierte die italienische Regierung die losen Renato Ruggiero zum Außenminister. Der Karrie- Kandidatur Giuliano Amatos, der als letzter Minister- rediplomat und frühere WTO-Direktor verfügte nicht präsident der Mitte-Links-Koalition gewirkt (2000- nur über ausgezeichnete Kontakte in die USA (begin- 2001) und auf europäischer Bühne in Nizza als über- nend bei seiner Freundschaft mit Henry Kissinger), zeugter Vertreter einer weiteren Vertiefung der Union sondern galt auch als überzeugter Europäer. Ruggiero ebenso wie ihrer Erweiterung aufgetreten war, zum enttäuschte die von der Öffentlichkeit in ihn gesetzten Präsidenten des EU-Verfassungskonventes und setzte Erwartungen nicht und fiel in den folgenden Monaten ihn schließlich als Vizepräsidenten durch; so wurde immer wieder durch eindeutige Bekenntnisse zur Fort- Gianfranco Fini, der Stellvertretende Ministerpräsident, setzung des europäischen Einigungswerkes auf. als Italiens Regierungsvertreter in den Konvent ent- Damit jedoch stand er in der Regierung weitgehend sandt – ein Signal, dass die Regierung durch ein allein; Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat es von Schwergewicht vertreten sein wollte, ein Signal ande- seinem Amtsantritt im Juni 2001 bis heute vermieden, rerseits auch, dass der frühere Faschist Fini durch aktive je auch nur in Umrissen die Europapolitik seiner Koali- Mitwirkung im Konvent seine Wendung vom EU- tion zu skizzieren, etwa in einer Grundsatzrede, in ei- Gegner zum Protagonisten des Einigungswerkes be- ner Regierungserklärung, in einem Dokument die weisen wollte. wichtigsten Linien des europäischen Engagements sei- Zugleich aber mehrten sich schnell die Zeichen da- nes Kabinetts darzulegen. Dahinter steckt vorderhand für, dass Italiens gerade ins Amt gelangte Rechtsregie- die Tatsache, dass er einer Vier-Parteien-Koalition vor- rung völlig neue und für das Land ungewohnte Zei- steht, in der nur eine Partei sicher in der Tradition des chen in der europäischen Politik zu setzen gedachte. proeuropäischen Engagements Italiens steht: Den Beginn machte Verteidigungsminister Antonio • Berlusconis Forza Italia (2001: 29,4% der Stimmen) Martino. Der überzeugte Atlantiker und Europa- ist und bleibt das persönliche Projekt des gegen- Skeptiker verkündete den Rückzug Italiens aus dem wärtigen Ministerpräsidenten, eine „Partei“, bei de- Projekt eines europäischen Militärtransporters, des Air- ren Gründung wie bei deren Politik die Außenpolitik bus A400M, mit dem schlichten Argument, das Vor- zweitrangig war und ist. Sicherer Fixpunkt der Partei haben sei „zu teuer“. – wie auch Berlusconis – ist allein die Treue zu den Mochte dies noch als kontingente Erwägung und USA; daneben ist die Präsenz einiger ausgewiesener damit als europapolitische Routine erscheinen, so war Europaskeptiker wie des Verteidigungsministers An- der im Herbst 2001 vorgetragene italienische Wider- tonio Martino und des Finanzministers Giulio Tre- stand gegen die Einführung des Europäischen Haftbe- monti zu verzeichnen. fehls weit grundsätzlicherer Natur. Justizminister Ro- • Alleanza Nazionale, die mit 12% zweitstärkste Koa- berto Castelli von der Lega Nord blieb es überlassen, litionspartei unter dem Stellvertretenden Minister- die Einwendungen Italiens gegen das Vorhaben im Rat präsidenten Gianfranco Fini, ging 1994 aus der fa- der Innen- und Justizminister vorzutragen. Italien nahm schistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) her- vor allem Anstoß an der Liste der Verbrechen, die dem
Internationale Politikanalyse International Policy Analysis Unit europaweiten Haftbefehl unterliegen sollten: Zu ihnen geißelte in Zeitungsinterviews die Haltung seiner Regie- zählten auch Korruption und Geldwäsche. Wegen Kor- rung zum Change over als „Trauerspiel“. Sollte er ge- ruption war Silvio Berlusconi Ziel staatsanwaltlicher hofft haben, mit dieser Attacke Silvio Berlusconi zu ei- Ermittlungen nicht nur in Italien, sondern auch in Spa- ner Klärung der europapolitischen Haltung der Regie- nien – dies mag den italienischen Widerstand erklären. rung im eigenen Sinne bewegen zu können, so wurde Zugleich aber argumentierten sowohl die Lega Nord als er enttäuscht. Berlusconi erklärte zwar, an der „euro- auch Berlusconis Forza Italia weit grundsätzlicher, mal- päischen Inspiration“ seiner Politik können kein Zweifel ten die Gefahr einer Terrorherrschaft der Staatsanwälte bestehen, er dachte seinerseits aber mitnichten daran, in Europa an die Wand, beschworen die EU als neues die Euro-feindlichen Äußerungen seiner Minister zu „Galgenland“ (Bossi). Mit dieser Position war Italien in korrigieren; stattdessen übte er kaum verhüllt Kritik an der EU völlig isoliert und musste die Gefahr gewärti- Ruggiero, der schließlich bloß als „Techniker“ im Kabi- gen, den anderen 14 Mitgliedstaaten gegenüber zum nett sitze und als solcher die „politische Linie“ Berlus- Opting out gezwungen zu sein. Nur aus diesem Grund conis umzusetzen habe. Derweil beschimpfte Umberto stimmte Berlusconi schließlich einem Kompromiss zu, Bossi Ruggiero als „Provokateur“, der an der Seite der die Liste der Verbrechen unverändert ließ. Faktisch „der Großfinanz und der Eurokraten“ stehe. Ruggiero aber hält Italien an seiner Blockadehaltung bis heute zog die Konsequenz und reichte im Januar 2002 sei- weiter fest: Die Umsetzung der Norm in italienisches nen Rücktritt ein. Recht ist bis heute nicht erfolgt. Ganz wie Ruggiero sahen auch die Oppositionspar- Schon diese Episode stieß auf die heftige Kritik des teien die Vorgänge rund um den Change over als kla- Außenminister Renato Ruggiero, doch nur wenige res Signal für den Vollzug einer Abkehr Berlusconis von Wochen später zeigte die Rechtskoalition in sehr prin- der bisherigen Europapolitik Italiens. Der im Ölbaum- zipieller Manier ihre Haltung zu Europa. Als zum Jah- Bündnis vereinten Mitte-Links-Parteien riefen nach reswechsel 2001/2002 der Change over erfolgte, dem Rücktritt Ruggieros jedenfalls in Rom zu einer So- sprich die Einführung des Euro in den täglichen Zah- lidaritätsdemonstration mit dem Außenminister auf, lungsverkehr, wurde dieses Ereignis in sämtlichen am auf der Massimo D’Alema von den Linksdemokraten Euro beteiligten Staaten offiziell gefeiert – nur in Italien erklärte, das Land habe es „mit einer politischen, nicht nicht. Ministerpräsident Berlusconi war, ebenso wie mit einer technischen Wende zu tun“. sein gesamtes Kabinett, „in Urlaub“. Die einzigen Bei- Bizarr an dieser Wende aber war zunächst, dass das träge aus den Regierungsreihen zum Change over be- Moment der Abkehr vom bisherigen überzeugten standen in sarkastischen Bemerkungen diverser Minis- Engagement Italiens für die europäische Einigung zwar ter. So erklärte Umberto Bossi von der Lega Nord, ihm klar auszumachen war – dass aber vollkommen unklar sei die Einführung des Euro „wurstegal“; so brachte blieb, welche Linie Italien in Zukunft zu verfolgen ge- Finanzminister Giulio Tremonti seine Skepsis gegen- dachte. Stattdessen setzte die Regierung auf ein Ver- über dem neuen Geld zum Ausdruck, und so erklärte wirrspiel, redete zum Beispiel Verteidigungsminister Verteidigungsminister Antonio Martino gar, der Euro Martino nun plötzlich vom Euro als „epochalem Ereig- sei zum Scheitern verurteilt: Sein Wertverlust sein un- nis“, versicherte Berlusconi, der im Interim für elf Mo- aufhaltbar, schon heute habe er selbst „gegenüber nate auch das Außenministerium übernehmen sollte, den Kartoffeln aus Macao“ Wert eingebüßt. Italien bleibe proeuropäisch – machte aber zugleich in Hinter der Unlust, den Euro zu feiern, mochte seiner Rede vor dem Parlament deutlich, dass in Zu- durchaus die Erwägung stehen, dass die Beteiligung kunft die Vertretung des „nationalen Interesses“ Italiens an der Gemeinschaftswährung von der Mitte- höchste Priorität genieße, und witzelte über den „Eu- Links-Koalition durchgesetzt und von den Bürgern mit ropa-Furor“ der Opposition, über „unkritischen und dem Namen Romano Prodi identifiziert wurde – dass dogmatischen europäistischen Maximalismus“. Und es der Rechtsregierung also oblegen hätte, den Erfolg Europa-Minister Rocco Buttiglione verkündete, in Rom ihrer Konkurrenz zu würdigen. Die scharfen Äußerun- seien nun eben „Europa-Realisten“ statt „Europa- gen wichtiger Vertreter von Berlusconis Forza Italia und Enthusiasten“ am Ruder. der Lega Nord aber standen für mehr: für ein europa- politisches Outing der Regierung, die auf den Schein politischer Kontinuität verzichtete und stattdessen den Italien in der Irak-Krise offenen Bruch mit der bisherigen pro-europäischen Haltung Italiens inszenierte. Spätestens mit der Irak-Krise wurde die Verschiebung In dieser Weise jedenfalls interpretierte Außenminis- der außenpolitischen Akzente – und damit auch das ter Ruggiero die Vorstöße seiner Kabinettskollegen. Er Zerbrechen des Grundkonsens der italienischen Partei- 3
Michael Braun Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird 4 en auf diesem Feld – deutlich. Das Land, das bisher Parlament, Italien habe den Status einer „nicht krieg- sowohl in der europäischen Integration als auch in den führenden Macht“ nicht zuletzt deshalb gewählt, weil wichtigsten außenpolitischen Richtungsentscheidun- die Regierung die „besondere Sensibilität der öffentli- gen in weitgehendem Einklang mit den anderen EWG- chen Meinung“ in dieser Frage berücksichtigt habe. Europäische Politik (06/2004) Gründerstaaten, vorneweg mit Deutschland und Frank- Mit dieser Haltung isolierte die Rechtsregierung Ita- reich, agiert hatte, bezog nun unter Berlusconi offen lien einerseits vom Lager der um Deutschland und gegen die „deutsch-französische Achse“, gegen das Frankreich gruppierten Kriegsgegner in der EU, ohne „karolingische Europa“ Stellung, schlug sich stattdes- andererseits nennenswert sein Gewicht im Lager der sen an der Seite Spaniens unter Aznar und Großbri- Kriegsbefürworter erhöhen zu können. Dort gaben die tanniens unter Blair auf die Seite der USA. – auch aktiv am Krieg beteiligten – Regierungschefs Deutlich wurde dies spätestens mit dem „Brief der Großbritanniens und Spaniens, Blair und Aznar, den acht“, in dem Italien, Spanien, Großbritannien, Portu- Ton an, die zum Beispiel mit Bush zum Azoren-Gipfel gal, Dänemark, Polen, Tschechien und Ungarn im Na- zusammentrafen, zu dem Berlusconi nicht geladen men der transatlantischen Solidarität offen für die USA war. Partei ergriffen. Dennoch verfolgte Italien auch wäh- Zudem war Berlusconi mit heftiger Gegnerschaft rend der Irak-Krise auf den ersten Blick eine Schaukel- nicht nur einer breiten Friedensbewegung – zu der An- politik. Berlusconi nämlich erteilte sich selbst den Auf- ti-Kriegs-Demonstration im Februar 2003 strömten in trag, als „Vermittler“ zwischen den USA einerseits, Rom etwa zwei bis drei Millionen Menschen zusam- Deutschland, Frankreich und Russland andererseits men –, sondern auch der parlamentarischen Mitte- aufzutreten. Links-Opposition konfrontiert. In jeder Phase der Irak- Das Ergebnis dieser Vermittlungsbemühungen wa- Krise nahm das Gros der Oppositionsparteien explizit ren in den kritischen Monaten vor dem Kriegsausbruch und befürwortend auf die französisch-deutsche Hal- bisweilen im Tagesrhythmus wechselnde Positionen tung Bezug – und zeigte so, dass die Spaltung der EU der italienischen Regierung. So erklärte Berlusconi nach in zwei Lager sich als inneritalienische Spaltung abbil- einem Zusammentreffen mit Wladimir Putin, es gebe dete: Die Stichworte Multilateralismus, Krisenlösung ernste Zweifel an der Existenz irakischer Massenver- unter der Ägide der UNO, autonome europäische Au- nichtungswaffen – bloß um nach einem Gespräch mit ßenpolitik wiederholten sich ebenso in den Stellung- Bush zu versichern, deren Existenz sei zweifelsfrei nahmen der Opposition, wie die Befürwortung unilate- erwiesen, und ebenso den Auftritt des US-Außen- ral geführter Präventivkriege, transatlantischer Solidari- ministers Powell vor dem UN-Sicherheitsrat als restlos tät, des „Exports der Demokratie“ auch mit militäri- überzeugend zu würdigen. Und so erklärte Italiens Re- schen Mitteln die Stellungnahmen des Regierungsla- gierung zunächst, ein Angriff auf den Irak könne legi- gers charakterisierten. timerweise erst beim Vorliegen einer zweiten Sicher- Vor diesem Hintergrund war es nach der Niederlage heitsrats-Resolution erfolgen, um später die Verab- Saddam Husseins nur konsequent, dass Italien ein Kon- schiedung einer solchen Resolution für überflüssig zu tingent von knapp 3000 Soldaten in den Irak entsand- erklären. te, auch wenn die Regierung erneut nicht auf verbale Als vermittelnde Kraft schied Berlusconi aber weni- Zwei- bei faktischer Eindeutigkeit verzichten mochte. ger wegen seiner abrupten Positionswechsel denn we- So verkündete sie offiziell, das italienische Kontingent gen der nie in Zweifel stehenden Treue zur Position der sei keine Besatzungsmacht, sondern habe alleine einen USA aus. So trat Italien schließlich auch der „Koalition humanitären Auftrag. Es gehe um die Entsendung von der Willigen“ bei – auch wenn das Land einen aktiven Ärzten und anderem Hilfspersonal, während der große Kriegsbeitrag ausschloss. Hinter dieser Entscheidung Rest der Truppen bloß zu deren Sicherheit mitgeschickt standen einerseits die verfassungsmäßigen Bedenken würde. Faktisch aber nahmen – und nehmen – die bri- des Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi, der als tischem Kommando unterstellten italienischen Truppen Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates eine im südirakischen Nassiriya vorwiegend Sicherungsauf- Vetoposition innehat – und der aus seiner Überzeu- gaben wahr. Diese Zweideutigkeit erlaubte es Außen- gung kein Hehl machte, dass eine Beteiligung Italiens minister Franco Frattini auch, sich erneut verbal vor der an einem unilateral entschiedenen Präventivkrieg ver- UNO zu verneigen: Natürlich sei für die Entsendung fassungswidrig sei. Andererseits aber trug Berlusconi der Truppen ein UNO-Mandat wünschenswert – we- auch der kriegsfeindlichen Stimmung in der Bevölke- gen der brennenden humanitären Probleme aber kön- rung – bloß gut 30% billigten eine italienische Beteili- ne die Erteilung des Mandates leider nicht abgewartet gung, während knapp 60% sie ablehnten – Rechnung; werden. er selbst erklärte bei Ausbruch der Feindseligkeiten im
Internationale Politikanalyse International Policy Analysis Unit Die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten hatte, die italienische Marine solle in Zukunft auf Halbjahr 2003 – der Eklat zum Auftakt Flüchtlingsboote im Mittelmeer schießen. Statt auf die- se Fragen einzugehen, antwortete Berlusconi mit dem In dieser sehr schwierigen und aufgeheizten Situation Vorschlag, Schulz könne sich doch für die Rolle des war Italien aufgerufen, mit der Übernahme der EU- Kapo in einem KZ-Film bewerben, und setzte nach hef- Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2003 eine tigen Protesten aus den Reihen des Parlaments nach, zentrale Vermittlerrolle zu übernehmen und nicht bloß indem er die EP-Abgeordneten als „Touristen der De- die außenpolitischen Scherben in einer gespaltenen mokratie“ schmähte. Union zu kitten, sondern dazu noch, nach Abschluss Dieser Auftritt des Ministerpräsidenten bescherte der Konventsarbeiten, die Regierungskonferenz zur Italien nicht nur eine – durch den Tourismusstaatssek- Verabschiedung des europäischen Verfassungswerks retär Stefani Stefani von der Lega Nord mit seinen Aus- zu organisieren. fällen gegen „lärmende und betrunkene Deutsche“ Dieser schwierigen Mittlerfunktion schien sich Silvio angeheizte – diplomatische Sommerkrise mit Deutsch- Berlusconi in einer europapolitischen Debatte des ita- land, die in der Absage des Sommerurlaubs von Kanz- lienischen Parlaments wenige Tage vor der Übernahme ler Gerhard Schröder in Italien gipfelte. Er wurde auch der Ratspräsidentschaft durchaus bewusst. Er erklärte, der Opposition im eigenen Land zum Anlass, dem Re- einerseits die transatlantischen Verstimmungen im gierungschef vorzuwerfen, er habe schon zum Auftakt Geiste enger Zusammenarbeit zwischen den USA und das italienische Halbjahr zu einem Desaster werden las- einer geeint auftretenden EU beseitigen und anderer- sen – damit war der gerade verkündete Burgfrieden im seits binnen Dezember die Verabschiedung der EU- Namen Europas schon wieder hinfällig. Und schließlich Verfassung erreichen zu wollen. Zwar enthielt Berlus- verschaffte Berlusconi sich mit dem von ihm provozier- coni sich jeglicher Ausführung im Detail, wie er sein ten Eklat europaweit eine ebenso breite wie negative Schlichtungswerk anzugehen gedachte, er konnte aber Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt der Reaktionen stand durchaus verbuchen, dass die Mitte-Links-Opposition dabei die Frage, was Berlusconi wohl zu dem Ausrut- ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zusagte, um ei- scher bewegt haben mochte. Die Reaktionen in den nen Erfolg des „italienischen Halbjahres“ zu gewähr- Berlusconi-nahen italienischen Medien werfen dage- leisten. gen die Frage auf, ob Berlusconi nicht absichtsvoll den Der fragile Konsens hielt aber nur einige Tage – es Zusammenstoß gesucht hat. Denn weiterhin dominier- war Silvio Berlusconi, der mit seinem denkwürdigen te in Zeitungen wie dem „Giornale“ (von der Familie Ausfall gegen den deutschen Abgeordneten Martin Berlusconi kontrolliert) oder „Libero“ die These, Ber- Schulz sofort wieder den Bruch herbeiführen sollte. lusconi habe gut daran getan, die „Provokation“ des Berlusconi war schon im Vorfeld durch die breite und Deutschen Martin Schulz zurückzuweisen. Entspre- negative Berichterstattung europäischer Medien er- chend wurde das Wortgefecht im Europäischen Parla- kennbar irritiert. In den Berlusconi-nahen Zeitungen ment zu einer Richtungsentscheidung für Europa hoch- Italiens waren die Presseberichte über Berlusconi sofort stilisiert: Berlusconi habe Deutsche und Franzosen ge- ins Licht einer französisch-deutschen Verschwörung gen sich aufgebracht, weil er gegen deren Vision von getaucht worden, auch wenn die inkriminierten Artikel einem karolingischen Europa stehe und mit der Servili- keineswegs nur im Spiegel oder in Le Monde, sondern tät Italiens gegenüber Paris und Berlin Schluss gemacht auch im britischen Economist („unfit to lead Europe“) habe. Berlusconi selbst vertritt die Auffassung, er stehe oder im spanischen El Mundo gestanden hatten. Alle mit seinem Wirken für eine neue, selbstbewusste Au- diese Artikel hatten weniger den Außen- und Europa- ßenpolitik, die auch einen neuen Stil beinhalte. So politiker Berlusconi im Visier gehabt denn den Prota- heißt es in seinem Wahlaufruf zu den EP-Wahlen, Ita- gonisten der italienischen Politik, der dank seiner Me- lien müsse „in Europa noch mehr zählen“: „Und das dienmacht ebenso wie dank seines Dauerkonfliktes mit ist nicht dahergesagt, denn in diesen drei Jahren hat der heimischen Justiz eine Anomalie darstellt. unsere Regierung sich Respekt verschafft, sie hat sich Martin Schulz dagegen hatte im Europäischen Par- nicht herumschubsen lassen, sie hat nicht passiv Maß- lament bei der offiziellen Vorstellung des neuen EU- nahmen hingenommen, sondern immer den eigenen Ratspräsidenten am 2. Juli 2003 den Bogen auch zur Anliegen Geltung verschafft“. europäischen Politik geschlagen, hatte Berlusconi nicht nur nach seinem Interessenkonflikt befragt, sondern auch nach dem Widerstand der italienischen Regierung gegen den Europäischen Haftbefehl ebenso wie nach rassistischen Ausfällen Umberto Bossis, der gefordert 5
Michael Braun Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird 6 Italiens Ratspräsidentschaft und der deren fortbestehenden Dissens gegenüber den übrigen gescheiterte Verfassungskompromiss 23 zu Protokoll zu nehmen. Wiederum hatte Italien eine Schaukelposition eingenommen: Offiziell hatte es Zwar war das Klima so schon zum Auftakt der Ratsprä- mit dem Eintreten für die doppelte Mehrheit im Ein- Europäische Politik (06/2004) sidentschaft Berlusconis vergiftet – in der Sache aber klang mit der großen Mehrheit der EU-Staaten agiert, hatte das Land dennoch eine hohes Interesse und gute faktisch aber hatte Berlusconi Spanien und Polen die Karten, um in den strittigen Verfassungsfragen die Verhinderung einer Lösung erleichtert. Es überrascht Kompromissfindung voranzutreiben. Berlusconis Inte- vor diesem Hintergrund nicht, dass der italienische Mi- resse resultierte aus dem offen eingestandenen nisterpräsident vor allem großes Verständnis für Miller Wunsch, wenn eben möglich noch im laufenden Halb- und Aznar bezeugte und sich andererseits der französi- jahr zur Verabschiedung zu gelangen und dann eine schen Aufforderung, der Kern der EU-Gründerstaaten Unterzeichung des Verfassungswerkes in Rom wenige solle beim Ausbleiben eines Verfassungskompromisses Wochen vor den EP-Wahlen im Juni 2004 zu erreichen. alleine vorangehen, sofort verweigerte. Dies hätte Berlusconi erlaubt, sich als Gastgeber der Unterzeichnung der „Zweiten Römischen Verträge“ und damit als politischen Erben Alcide De Gasperis Ein Ratspräsident auf Abwegen: wahlkampfwirksam in Szene zu setzen. die außenpolitischen Alleingänge Italiens Weniger ausgeprägt war das Engagement der ita- lienischen Rechtskoalition für die Inhalte der europäi- Unorthodox war auch der Umgang Silvio Berlusconis schen Verfassung. Doch wenn der Stellvertretende Mi- mit seiner Aufgabe, als Ratspräsident die EU nach au- nisterpräsident Gianfranco Fini im Konvent nicht als ßen zu vertreten. Einen ersten Vorgeschmack erhielt Antreiber der europäischen Integration aufgefallen die Union, als der italienische Regierungschef drei Wo- war, so hatte er doch ebenso wenig als Bremser auf chen vor Übernahme seines europäischen Mandates in sich aufmerksam gemacht. Italiens entscheidender Dis- den Nahen Osten reiste. Im Nahost-Konflikt hatte Ita- sens artikulierte sich alleine in der Frage des Gottesbe- lien traditionell eine vermittelnde Rolle eingenommen: zugs der Präambel. Das Land unterhielt gute Beziehungen zu Israel, es hat- Aber auch in der Sache hatte Italien zumindest ei- te sich aber zugleich in Europa als bevorzugter An- nen Aktivposten. Seit der Irak-Krise verfügte die Regie- sprechpartner der arabischen Staaten und der PLO pro- rung Berlusconi über gute Beziehungen sowohl zu filiert. Doch auch auf diesem Feld vollzog Berlusconi Spanien als auch zu Polen, den beiden Staaten, die in eine radikale Wende – auch gegen die offiziellen Posi- der zentralen Frage der Stimmrechte einem Kompro- tionen der EU. Berlusconi selbst verkündete auf seiner miss im Wege standen. Zugleich aber teilte Italien mit Nahostreise, er habe einen Vermittlungsauftrag – aller- Frankreich und Deutschland das Anliegen, zum Ab- dings nicht von der EU, sondern von US-Präsident stimmungsmodus der doppelten Mehrheiten zu gelan- Bush. Und er gestaltete seinen Aufenthalt in diesem gen. Ebenso konnte erwartet werden, dass Italien das Geist: Dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sha- gute Klima in den Beziehungen zu Großbritannien nut- ron bescheinigte er, Israel habe in Italien „seinen engs- zen werde, um in der Frage der europäischen Außen- ten Freund“, dem Präsidenten der Palästinenser Arafat politik – Einstimmigkeit oder Mehrheitsentscheidungen dagegen verweigerte er rundheraus ein Treffen. Und – eine Lösung herbeizuführen. als Frankreichs Außenminister Dominique De Villepin Zwar gelang es Außenminister Franco Frattini auf kommentierte, Berlusconi habe im Nahen Osten in kei- dem Außenminister-Konklave im November 2003, ei- ner Weise die Position der EU vertreten, konterte Ita- nige Fragen wie die Zahl der Kommissare, die Zahl der liens Ministerpräsident, De Villepin habe „eine gute EP-Abgeordneten der kleinsten EU-Staaten, die Ein- Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten“. stimmigkeit bei Fragen der Fiskal- und der Sozialpolitik In ganz ähnlicher Manier machte Berlusconi dann einer Lösung zuzuführen. In der wichtigsten Frage je- im November 2003 anlässlich des EU-Russland-Gipfels doch, der Gewichtung der Stimmen in der Union, zeig- europäische Positionen zu Makulatur. Während der te sich Silvio Berlusconi auf der abschließenden Regie- abschließenden Pressekonferenz mit Präsident Putin rungskonferenz in Brüssel völlig initiativlos. Berlusconi erklärte Berlusconi rundheraus, die Verhaftung des Ju- hatte noch im Vorfeld versichert, er habe eine Lösung kos-Eigners Michail Chodorkowsky sei rechtsstaatlich „in der Tasche“ – die aber zog er nicht heraus. Statt- gesehen vollkommen korrekt erfolgt; und er beschei- dessen beschränkte er sich darauf, ohne jeglichen ita- nigte Putin auch, dass von Menschenrechtsproblemen lienischen Vermittlungsvorschlag, ohne Druck auch auf in Tschetschenien keine Rede sein könne: Die entspre- die beiden widerstrebenden Länder Spanien und Polen, chenden Anschuldigungen in der internationalen Pres-
Internationale Politikanalyse International Policy Analysis Unit se gegen die russische Armee seien haltlos. In beiden gutgeheißen hatte; und so ließ Prodi es sich nicht Punkten brach er offen mit der Position der EU gegen- nehmen, nach dem diplomatischen Sommerkrise zwi- über Russland. Sein Auftritt bescherte ihm diesmal schen Italien und Deutschland demonstrativ Bundes- nicht nur die Kritik des EU-Außenministerrates, son- kanzler Gerhard Schröder zu einem Besuch in Verona dern auch eine formale Zurechtweisung des Europäi- einzuladen. schen Parlamentes, das in einer Resolution die Äuße- Es blieb aber Silvio Berlusconi überlassen, die Ausei- rungen des amtierenden Ratspräsidenten „bedauerte“. nandersetzung bis zum Versuch der offenen Delegiti- mierung Romano Prodis zu eskalieren – auch um den Preis, so in einer entscheidenden Phase der Entwick- Silvio Berlusconi und Romano Prodi: lung der Union womöglich die Kommission entschei- ein italienisch-europäisches Duell dend zu schwächen. Berlusconis Parlamentsmehrheit in Rom nutzte hierzu einen parlamentarischen Untersu- Dass Italien unter Silvio Berlusconi in Inhalt und Stil sei- chungsausschuss zur Aufklärung der Modalitäten des ne Europapolitik einem deutlichen Richtungswechsel 1998 erfolgten Kaufs der Telekom Serbien durch die unterzogen hatte, dass darüber aber auch der Grund- Telecom Italia. Mit Hilfe zwielichtiger Zeugen und ge- konsens der italienischen Parteien über die europäische fälschter Dokumente wollte die Berlusconi-Koalition Politik zerbrochen war – dies wurde während des ita- den Beweis führen, Romano Prodi habe als Minister- lienischen Halbjahres auch personell sinnfällig. präsident bei der Abwicklung dieses Geschäftes Denn dem Ratspräsidenten Silvio Berlusconi stand Schmiergelder in Millionenhöhe eingestrichen; ausge- mit Kommissionspräsident Romano Prodi ein führender rechnet während des italienischen Halbjahres – in den Exponent des italienischen Mitte-Links-Lagers gegen- Sommermonaten 2003 – wurde die Tätigkeit des Un- über. Es war Prodi gewesen, der als Spitzenkandidat tersuchungsausschusses von einer massiven Kampagne des „Ölbaum“-Bündnisses Berlusconi in den Wahlen der Berlusconi-Medien, aber auch der staatlichen RAI von 1996 geschlagen und dann zweieinhalb Jahre lang gegen Prodi begleitet. Ihr Ziel erreichte diese Kampag- als Ministerpräsident einer Mitte-Links-Koalition am- ne allerdings nicht: Sie verpuffte klanglos, als Fäl- tiert hatte. Und just im Juli 2003 hatte Prodi in Italien schungen der Dokumente und Falschaussagen der den Vorschlag lanciert, für die europäischen Wahlen Zeugen – einige von ihnen saßen deshalb zeitweise in des Juni 2004 die Parteien der Opposition in einer ge- Untersuchungshaft – von der Justiz aufgedeckt wur- meinsamen Liste zusammenzuführen. Prodi hatte da- den. mit weit vor dem Auslaufen seines europäischen Man- dates (Oktober 2004) die Rückkehr auf die nationale politische Bühne vollzogen. Denn als Spiritus rector der Der Europawahlkampf wichtigsten Oppositionsliste meldete er zugleich auch seinen – in der gesamten Opposition gut geheißenen – Das europäische Duell Prodi-Berlusconi dagegen setzte Führungsanspruch als Herausforderer Berlusconis bei sich in Italien mit Beginn des Europawahlkampfes im den nächsten nationalen Wahlen im Jahre 2006 an. Frühjahr 2004 fort. Beide Protagonisten waren in Dennoch versicherten die beiden Politiker zum Auf- merkwürdiger Weise in diesem Wahlkampf präsent: takt des italienischen Halbjahres, sie würden auf der Berlusconi trat als Listenführer seiner Forza Italia in europäischen Bühne konstruktiv und vertrauensvoll zu- ganz Italien an, obwohl er das EP-Mandat als nationa- sammenarbeiten. Es blieb bei dieser Versicherung: Das ler Regierungschef nicht annehmen kann und wird; Halbjahr wurde für die italienische wie für die europäi- Romano Prodi dagegen konnte aufgrund seines euro- sche Öffentlichkeit zur Demonstration des offen aus- päischen Amtes nicht einmal kandidieren – war aber in gebrochenen Konfliktes. So überging Berlusconi beim der Werbung der von ihm inspirierten Liste als wahrer ersten Gipfel der Staats- und Regierungschefs zur EU- Chef der italienischen Opposition allgegenwärtig. Verfassung im Oktober 2003 in Rom während der Ple- Zwar standen im Wahlkampf innenpolitische The- narsitzung demonstrativ Romano Prodi und erteilte men im Vordergrund, aber den italienischen Wählern ihm erst nach Protesten der französischen Delegation konnte dennoch nicht entgehen, dass sie zugleich über das Wort; so wurden die gemeinsamen Auftritte bei zwei Optionen für die Außen- und Europapolitik ihres den Pressekonferenzen zur offenen Zurschaustellung Landes abstimmten. Erneut dachte Berlusconi, wie der auch faktisch zum Erliegen gekommenen Kommu- schon immer während seiner Amtszeit, nicht daran, nikation zwischen Kommissions- und Ratspräsident; so offensiv auf Europaskepsis zu setzen – dies wäre ange- stellte Prodi mit einem harschen Dementi Berlusconi sichts der weiterhin überwiegend positiven Einstellung bloß, nachdem der die Tschetschenien-Politik Putins der Italiener zur EU ein zu riskantes Unterfangen. Doch 7
Michael Braun Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird 8 erneut arbeitete seine Partei zur Erklärung wirtschafts- Zurück zur nationalen Bühne politischer Schwierigkeiten zu Hause – vorneweg die Inflation und das geringe Wachstum – mit Schuldzu- Der Zweikampf Prodi-Berlusconi, der sich nun auf nati- weisungen an Europa. Offen machte so Finanzminister onaler Ebene fortsetzen wird, sieht nunmehr eindeutig Europäische Politik (06/2004) Giulio Tremonti den Euro für die schwindenden Real- das Mitte-Links-Bündnis in der Offensive In welchem einkommen der Italiener verantwortlich: das Gemein- Maße aber die Europa- und die Außenpolitik in den schaftsgeld sei „schlecht gemacht“. nächsten Wahlkämpfen zum Gegenstand der politi- Und erneut verteidigte die Regierung ihre während schen Konfrontation und Mobilisierung werden, ist zu der Irak-Krise getroffene Richtungsentscheidung, ja diesem Zeitpunkt noch in keiner Weise absehbar. stellte die Möglichkeit einer Erhöhung des italienischen Schon bei den EP-Wahlen dominierte in beiden Blö- Kontingentes im Irak in Aussicht; Wahlkampfhilfe er- cken der Versuch, vor allem mit innenpolitischen The- hoffte sich so Silvio Berlusconi auch von dem Besuch men zu punkten: Berlusconi suchte mit dem Verspre- des US-Präsidenten Bush in Rom am 4. Juni, wenige chen zukünftiger genereller Steuersenkungen die Ent- Tage vor dem Urnengang, anlässlich des 60. Jahresta- täuschung seiner Anhängerschaft über die bisherigen ges der Befreiung Roms durch die US-Armee. Resultate seiner Regierungspolitik aufzufangen, wäh- Die „Liste Prodi“ dagegen verschärfte während des rend die Mitte-Links-Koalition eben jene Enttäuschung Wahlkampfes ihre Kritik an der Außenpolitik Berlusco- für sich zu kapitalisieren suchte. nis: Sie warf nach dem Wahlsieg der Sozialisten in Wie schon in der Vergangenheit ist deshalb nicht zu Spanien der Regierung vor, sie isoliere Italien zuneh- erwarten, dass die Selbstpositionierung Italiens zum mend in Europa, und verlangte eine Umorientierung breitenwirksamen politischen Konfliktpunkt werden Italiens hin zur französisch-deutsch-spanischen Positi- kann – wenn nicht wie im Falle des Irak-Krieges die on. Sämtliche Oppositionsparteien brachten zudem Außenpolitik zum Gegenstand eines klar wahrzuneh- eine Resolution ins Parlament ein, die den Abzug der menden Entweder-Oder wird: Krieg oder Frieden, italienischen Truppen aus dem Irak forderte. Multi- oder Unilateralismus, Treue zu den USA oder Auf den ersten Blick brachte das Wahlergebnis vom Eintreten für eine gemeinsame europäische Orientie- 13. Juni keine Entscheidung: Die beiden großen politi- rung. Sollten in der näheren Zukunft dagegen weltpoli- schen Blöcke liegen mit je gut 45% gleichauf. Den- tische Erschütterungen ausbleiben, die Italien wieder noch wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass Ber- wie in den Jahren 2002/2003 mit einem solchen Ent- lusconi eine klare Niederlage einstecken musste, in der weder-Oder konfrontieren, dann wird die Opposition innenpolitische Motive (Unzufriedenheit mit der wirt- in ihren Kampagnen gegen die Regierung Berlusconi schaftlichen Situation) und außenpolitische Faktoren Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik in den Mittel- (Unpopularität des Irak-Engagements) zusammenflos- punkt stellen. Als gesichert aber darf gelten, dass das sen: Seine Forza Italia erhielt nur noch 21% (statt Mitte-Links-Bündnis bei einem Wahlsieg 2006 nicht 29,4% bei ihrem Wahlsieg 2001). Und innerhalb der nur innenpolitisch die Wendepolitik Berlusconis rück- Rechtskoalition konnte sich die aggressiv Europa- gängig machen, sondern auch die Rückkehr Italiens zu feindliche Lega Nord zwar über einen Zuwachs auf 5% seiner traditionellen, integrationsfreundlichen Politik in freuen (2001: 3,9%) – am stärksten aber prämiierten der EU durchsetzen will. die Wähler im Rechtsbündnis die gemäßigten und pro- europäischen Christdemokraten, die sich von 3,2% (2001) auf 5,9% verbesserten. Berlusconi musste je- denfalls zur Kenntnis nehmen, dass die von ihm voll- zogene Wende in der Außen- und Europapolitik in den Wahlurnen keine Bestätigung erhalten hatte. Im Mitte-Links-Lager dagegen blieb das Resultat der Liste Prodi mit 31,1% unter den Erwartungen: Wichti- ge Protagonisten des Listenbündnisses hatten als Erfolgsmarge 33% fixiert. In der Opposition profitierten vor allem die kleinen, radikalen und pazifistischen Listen am linken Rand (Grüne und Kommunisten) vom Zulauf friedensbewegter Wähler. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es den Oppositionsparteien erstmals seit 1994 gelungen ist, die Rechte numerisch einzuholen.
Michael Braun Italien unter Berlusconi: Wie Europapolitik zur Innenpolitik wird N ie zuvor haben die Wahlen zum Europäischen Parlament in Italien so viel öffentliches Interesse erweckt. Aber sie bildeten lediglich den vorläufigen Schlusspunkt einer Entwicklung, die sich bereits im Jahre 2003 abzeichnete: Europapolitik ist in Italien zum ersten Mal ein Thema, an dem sich die politischen Geister scheiden. Konnte Italien bis zum Jahr 2001 als einer der Integrationsmotoren der EU gelten, als Land, dessen politische Eliten, gestützt auf breiten Kon- sens in der Bevölkerung, über Jahrzehnte jeden der Erweiterungs- wie der Vertiefungsschritte der Union mitgetragen hatten, so zerbrach diese Gewissheit mit der Regierungsübernahme durch die Rechtskoalition un- ter Silvio Berlusconi. Berlusconi nahm seither zwar zu keinem Zeitpunkt programmatisch eine Europa-skeptische Position ein, aber seine Regierung zeigte schnell, dass sie auch in der Außenpolitik eine Wende herbeiführen wollte. In einer Schaukelpolitik zwischen Bekenntnissen zur weiteren Integration und der gezielten Inszenierung einer neuen, ungewohnten Distanz zu Europa entfernte sie Italien zunächst vom harten Kern der Gründerstaaten – und machte damit die Europapolitik auch zum kontroversen Thema zwischen den politischen Lagern im eigenen Land. Endgültig wurde dieser Richtungswechsel im Jahr 2003 deutlich, als Ber- lusconi während der Irak-Krise trotz scheinbaren Lavierens sein Land zum treuen Partner der USA machte und es so in Frontstellung gegen das von Frankreich und Deutschland repräsentierte „karolingische Europa“ (Ber- lusconi) brachte. Auch als EU-Ratspräsident fiel Berlusconi im zweiten Halbjahr 2003 trotz verbaler Bekenntnisse zum europäischen Verfas- sungswerk nicht nur durch den Eklat zu seinem Amtsantritt auf, sondern auch durch Passivität bei den Versuchen, gegen die Widerstände Spa- niens und Polens einen Verfassungskompromiss zu erreichen. Die Mitte-Links-Opposition reagierte auf diese außenpolitische Wende, indem sie sich im Namen der pro-europäischen Tradition Italiens auch als außenpolitische Alternative zu Berlusconi profilierte. Sinnfällig wird die- ser Konflikt mittlerweile auch personell: Seit den EP-Wahlen vom Juni 2004 ist der scheidende EU-Kommissionspräsident Romano Prodi der von allen Mitte-Links-Parteien anerkannte Führer der Opposition – und damit der designierte Herausforderer Berlusconis bei den im Jahr 2006 anstehenden nationalen Wahlen.
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