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Zweites makroökonomisches Update zur Corona-Krise Ein Brückenbau mit Risiken und Nebenwirkungen: Die Fed, Corona und drei Billionen Dollar aus dem Nichts Oktober 2020
Ein Brückenbau mit Risiken und Nebenwirkungen: Die Fed, Corona und drei Billionen Dollar aus dem Nichts In «Das Ende der Alchemie» forderte Mervyn King, der angesehene ehemalige Gouverneur der Bank of England, im Nachgang der Finanzkrise 2007-2009 die Zähmung «unheimlicher» Finanzkräfte, welche nicht mit dem gesunden Menschenverstand vereinbar zu sein scheinen. Viele Inves- toren fühlen sich durch die beispiellosen Eingriffe von Staaten und Noten- banken rund um die Corona-Krise sowie durch die Reaktion der Märkte da- rauf genau an solche Kräfte erinnert. Sie fragen sich ob das alles gut gehen kann. Wir analysieren deshalb die wahren Mechanismen im Hintergrund und wagen einen systematischen Blick auf die Risiken von morgen. Autor: Dr. Alexander Gruber Head of Economic Research & Advisory und Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen (HSG) alexander.gruber@finreon.ch 1. Vier Gründe scheinen die Eingriffe in der Corona-Krise durchaus zu rechtfertigen Nun scheint die Coronavirus-Krise grundsätzlich ja jedwede Staats- und Notenbankeingriffe zu rechtfertigen. • Erstens ist die Krise absolut einzigartig. So wurden die Angebots- und Nachfrageseite der Wirtschaft noch nie so plötzlich und gleichzeitig getroffen. Dies kreiert beispiellose Unsi- cherheit und könnte für nachhaltige Verhaltensänderungen sowie einen teilweisen Rück- bau globaler Lieferketten sorgen. • Zweitens schlägt die Pandemie auch mit einer beeindruckenden und abrupten Härte zu. Ganze Staaten haben sich über Monate «eingesperrt». Erste Schätzungen zu Beginn der Krise waren von einem Einbruch des US-Bruttoinlandsproduktes (BIP) für 2020 von bis zu 10% ausgegangen (Gourinchas, 2020, IMF, 2020). Die bekannten Ökonomen Carmen und Vincent Reinhart (2020) sprachen deshalb gar von einer „Pandemic Depression“, von der wir uns nur langsam erholen würden. • Drittens ist die Krise auf einen exogenen Schock zurückzuführen. Sie ist also nicht – wie beispielsweise die Finanzkrise – endogen aus dem Wirtschaftssystem heraus entstanden. • Zu guter Letzt sind der Vorlauf zu dieser Krise und die jüngere Wirtschaftsgeschichte zu beachten. Die Eingriffe der Notenbanken in der Globalen Finanzkrise haben zu kei- ner nennenswerten Güterpreisinflation geführt. Ein bedeutendes Gegenargument für entschlossene Eingriffe fällt dieses Mal also weg. 2. Die Grössenordnungen der US Wirtschaft sind eindrücklich Um die aktuellen Eingriffe aber wirklich fundiert beurteilen zu können, bedarf es einer struk- turierten Analyse. Zunächst einmal ist es wichtig, sich die Grössenordnungen der US Wirt- schaft ganz bewusst vor Augen zu führen. So betrug das nominale US BIP Ende 2019 21,75 Billi- onen USD. Sofort ins Auge sticht dabei die verhältnismässig grosse Konsumabhängigkeit des Landes. 67,9% des BIP entfallen auf den Konsum. Kaum eine andere Volkswirtschaft ist von diesem Baustein derart abhängig wie die amerikanische.1 Nicht zu unterschätzen sind aber auch die 2
BIP-Beiträge von privaten Investitionen (17 ,1 %) und Staatsausgaben (17,5 %). Abbildung 1 setzt diese Grössenordnungen in ein einprägsames Verhältnis. Der Beitrag der US Nettoexporte von mi- nus 2,5% sei hier im Sinne einer möglichst klaren Darstellung übrigens vernachlässigt. Abbildung 1: Grössenordnungen der US Wirtschaft Staatsausgaben Investitionen Konsum BIP 3,81 Billionen USD 3,73 Billionen USD 14,76 Billionen USD 21,75 Billionen USD Zahlen in Billionen USD per Ende 2019, Quelle: Bloomberg 3. Einbruch der US Wirtschaft, Anstieg des Schuldenstandes und die Rolle der Fed Vor allem der grosse Konsumblock und die Investitionen wurden von der Corona-Krise massiv negativ getroffen. Der Staat sprang deshalb in die Bresche, um den erwarteten BIP Rückgang durch Staatsausgaben zu kompensieren. Die Staatsausgaben waren aber schon in den vergangenen Jah- ren kontinuierlich gewachsen und hatten den Schuldenstand der USA so per Ende 2019 bereits auf 22,95 Billionen USD (105,5% des US BIP) getrieben. In den vergangenen Monaten kamen nun noch einmal mehrere Billionen USD an Staatsschulden hinzu. Für den Staat verursacht der hohe Schuldenstand schon heute jährliche Zinskosten von 1,7 % des BIP (0,375 Billionen USD). Mit ihren Staatsanleihen-Käufen versucht die Fed deshalb aktuell, das Zinsniveau zu drücken, um eben diese Zinskosten für den Staat trotz eines Rekord- volumens an Neuemissionen im Rahmen der Corona-Krise möglichst tief zu halten. Die Fed musste aus dieser Überlegung heraus so schnell so viele US Staatsanleihen kaufen wie nie zuvor. 2,0 Billionen USD hat sie seit Start der Krise bereits in solche Anleihen investiert.2 Auch für künftige Staatsanleihenemissionen steht die Fed bereit. Damit ist sie auf bestem Wege, das US Staatsschuldenwachstum 2020 fast im Alleingang zu finanzieren. Diese neu gefundene, vertiefte Zweisamkeit zwischen der US Fed und dem US Treasury zielt vor allem darauf ab, das aufgrund der Corona-Krise weggebrochene Stück im US-BIP-Kuchen so zu ersetzen, dass Firmen, Arbeitsplätze und Schuldentragbarkeit bestehen bleiben und die Wirtschaft auf diese Weise nach dem Corona-Schock möglichst nahtlos durchstarten kann. Fed Chef Powell bezeichnet die koordinierte Vorgehensweise der beiden Institutionen sodann auch als Versuch eines «Brückenbaus» ausgehend vom soliden Fundament vor der Krise hin zu einer Position wiedergewonnener Stärke danach. 4. Der Schlüssel: Fed-Chef Powell und Finanzminister Mnuchin als «Brückenbauer» Die Kursavancen an den Märkten zeigen, dass dieser Brückenbau mit viel Wohlwollen aufge- nommen wurde. Gleichzeitig signalisiert aber beispielsweise der CBOE Volatility Index (VIX), auch „Fear Index“ genannt, dass man dem Konstrukt noch nicht ganz traut. Wie wird diese Brücke also überhaupt gebaut? Die Darstellung in Abbildung 2 dient uns als Grundlage für eine aufschlussreiche Analy- se zu dieser Schlüsselfrage. Sie illustriert noch einmal die Grössenordnungen und Bausteine des US BIP: Staatsausgaben, Investitionen und Konsum. Wichtiger ist aber die bewusste Erkenntnis, dass die Investitionstätigkeit – sofern überhaupt Investitions-Opportunitäten vorhanden sind – vor allem von den Finanzierungskosten über das Bankensystem oder direkt am Kapital- markt abhängt (Schritt 1). Diese Finanzierungskosten wiederum setzen sich zusammen aus dem US Leitzins, der sogenannten Federal Funds Rate, als Sockel sowie einem Risikoauf- schlag, welcher beispielsweise von der mit einer Investition verbundenen Unsicherheit, der gene- 3
rellen Risikoaversion am Markt und der Laufzeit einer Investition abhängt (Schritt 2). Eine hohe Federal Funds Rate und hohe Risikoaufschläge erhöhen die Finanzierungskosten für Investitionspro- jekte auf allen Märkten (Staatsanleihen, Mortgage Backed Securities (MBS), Firmenanleihen etc.) und sind dem Investitionsklima und der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts daher abträglich. A) Phase 1: Konventionelle Geldpolitik In Phase 1 der wirtschaftlichen Corona-Bekämpfung versuchte die Fed vor allem die Federal Funds Rate, also den Sockel, zu drücken (konventionelle Geldpolitik). Im Unter- schied zu anderen globalen Notenbanken hatte die Fed Anfang März aufgrund der damals positiven Federal Funds Rate überhaupt noch diese Option. Diesen Spielraum und die Möglichkeit zur zügi- gen Umsetzung dieses Instruments (die Fiskalpolitik musste ja erst in Kongress und Senat bewilligt werden) hat die Fed genutzt, um die Federal Funds Rate in einer Reihe rascher, ausserplanmässi- ger Zinsschritte auf beinahe 0% zu senken (Schritt 3). Um diese Zinssenkung zu erreichen hat die Notenbank Banken kurzlaufende US Staatsanlei- hen abgekauft bzw. Repo-Geschäfte mit ihnen abgeschlossen. So verlängerte die Fed im ersten Schritt die Aktivseite ihrer Bilanz und injizierte Geld in das Bankensystem, um das Geldangebot bei gleichbleibender Nachfrage zu erhöhen (Schritt 4). Dabei handelt es sich um sogenannte Open Market Operations (die Fed handelt ja auf dem «offenen Markt»), welche zu steigenden (Min- dest-)Reserven von Banken bei der Fed führen, die dann wiederum auf der Passivseite der Noten- bank aufscheinen und die Bilanz so wieder ausgleichen (Schritt 5).3 Die Leitzinssteuerung über die Reserven auf der Passivseite der Notenbankbilanz ist dabei das eigentliche Ziel der Fed, während die Käufe auf der Aktivseite (Staatsanleihen) lediglich das Mittel zum Zweck darstellen. Abbildung 2: Konventionelle Geldpolitik – Mit Open Market Operations die Zinsen drücken Staatsausgaben Investitionen Konsum BIP 3,81 Billionen USD 3,73 Billionen USD 14,76 Billionen USD 21,75 Billionen USD Finanzierung Finanzierung direkt über Banken 1 am Kapitalmarkt Kapitalmarkt Federal Funds Finanzierungskosten (Federal Funds Rate plus Risikoaufschlag) Rate 2 kurzlaufende langlaufende MBS Firmen- Municipal Bonds, Staatsanleihen Staatsanleihen anleihen ABS etc. 3 Federal 4 Funds Rate Bankensystem Bank A Bank B 4 Federal Reserve Bank 5 1. Phase Eigenkapital & weitere Staatsanleihen kurzlaufend und weitere Banknoten im Umlauf Offenmarktgeschäfte Reserven der Banken der Fed * Zahlen in Billionen USD per Ende 2019, Darstellung und Bilanzen stark vereinfacht B) Phase 2: Gewaltige Staatsausgaben Weil ja aber weniger die Federal Funds Rate, also der Sockel, und viel mehr die Risikoaufschlä- ge in verschiedenen Märkten (wie z.B. im Markt für Firmenanleihen) dafür verantwortlich waren, 4
dass Firmen und damit auch ihre Börsenkurse in die Bredouille geraten sind, ist der Effekt dieser Interventionen zur Gänze verpufft.4 Wenn überhaupt haben diese ersten Eingriffe der Fed nur wei- tere Angst und Unsicherheit über das tatsächliche Ausmass der Krise kreiert. An erhöhten Staatsausgaben in Phase 2 der wirtschaftspolitischen Krisenbekämpfung führte dieses Mal also kein Weg vorbei. Die US Regierung brachte folglich den sogenannten CARES5 Act auf den Weg. Konsum, Investitionen und der Erhalt von Arbeitsplätzen sollten dadurch direkt durch staatliche Mittel und unabhängig von den Finanzierungsbedingungen am Kapital- markt gefördert werden. Dafür hat der Staat, wie in Abbildung 3 in grün dargestellt, zum Bei- spiel Schecks an Konsumenten verschickt und Zuschüsse sowie günstige Kredite an Fir- men gesprochen oder über das Bankensystem garantiert (Schritt 1). Finanziert hat er diese Ausgaben ganz klassisch über kurz-, aber vor allem auch über langlaufende US Staatsanleihen (Schritt 2). Abbildung 3: Staatsausgaben – Ausgaben über den CARES Act und Emission von US Staatsanleihen Cares Act 1 Staatsausgaben Investitionen Konsum BIP 3,81 Billionen USD 3,73 Billionen USD 14,76 Billionen USD 21,75 Billionen USD 2 Finanzierung Finanzierung direkt Kapitalmarkt über Banken am Kapitalmarkt Federal Funds Finanzierungskosten (Federal Funds Rate plus Risikoaufschlag) Rate kurzlaufende langlaufende MBS Firmen- Municipal Bonds, Staatsanleihen Staatsanleihen anleihen ABS etc. 2 1 US Staatsanleihen 16,67 langlaufend Federal Funds Rate Bankensystem Bank A Bank B Federal Reserve Bank 2. Phase Eigenkapital & weitere Staatsanleihen kurzlaufend und weitere Banknoten im Umlauf Staatsausgaben Reserven der Banken * Zahlen in Billionen USD per Ende 2019, Darstellung und Bilanzen stark vereinfacht C) Phase 3: Unkonventionelle Geldpolitik und Koordination mit dem Staat Nun fanden sich anfangs allerdings nicht genügend Käufer für das riesige Emissionsvolumen an US Staatsanleihen. Die Zinsen auf mittel- und langfristige Staatsanleihen sind unter anderem auch deshalb6 im März zwischenzeitlich etwas gestiegen. So kam wohl oder übel in Phase 3 des Brückenbaus wieder die Fed ins Spiel. Sie versprach die neu ausgegebenen Staatsanleihen am Sekundärmarkt zu kaufen (Schritt 1 in Abbildung 4), schritt auch sogleich zur Tat und hielt so den Risikoaufschlag (im Falle von langlaufenden US Staatsanleihen war dies das Durations-Risiko) auf dem mittlerweile 16,67 Billionen USD grossen Markt erfolgreich tief – siehe Schritt 2. Massnahmen, bei denen Notenbanken durch Bilanzausweitungen so direkt auf eine Sen- kung des Risikoaufschlags abzielen, nennt man auch unkonventionelle Geldpolitik oder 5
Quantitative Easing (oft auch präziser Credit Easing). Einzelne «defekte» Märkte wie der MBS Markt (Schritt 3) lassen sich so viel direkter und deutlich effektiver «reparieren» als über den kon- ventionellen Zinskanal (siehe Phase 1), welcher ja lediglich auf den Sockel der Finanzierungskosten abzielt. Bei letzterem ist die Zentralbank für die Transmission der Geldpolitik in die Realwirtschaft immer noch auf die Kreditvergabe über das Bankensystem oder auf die Mittelbereitstellung über spendable Kapitalmärkte angewiesen, welche beide aufgrund der aufgeblähten Risikoaufschläge oft eben genau in diesen Phasen äusserst gehemmt sein können. Ausserdem kann so neben den Inves- titionen über den Finanzierungskanal (Schritt 4) auch der Konsum über eine ganz bewusste Vermögenspreisinflation angekurbelt werden (Schritt 5).7 Auch für Banken sind solche Asset- Käufe äusserst vorteilhaft, weil sie oftmals genau diese Assets auf ihren Bilanzen halten (Schritt 6). Weil die Erlöse der Asset-Verkäufe an die Fed allerdings direkt oder indirekt immer bei den Ban- ken landen (Keister und McAndrews, 2009), führen diese Notenbankinterventionen auch zu gewalti- gen Überschussreserven. Die Banken wissen mit diesem Geld nämlich nicht wirklich etwas anzufan- gen und halten es deshalb wieder bei der Fed (Schritt 7). Ganz anders als bei der konventionellen Geldpolitik (siehe Phase 1) sind die Änderungen auf der Passivseite der Fed (die Überschuss- reserven) hier also lediglich eine Folge ihrer gezielten Asset-Käufe auf der Aktivseite und nicht umgekehrt. Die Tatsache, dass diese Überschussreserven so eben nicht wirklich produktiv in den Wirtschaftskreislauf geraten, erklärt übrigens in Teilen die (bisher) ausbleibende Inflation der Güterpreise. Jedenfalls ist die Fed mit ihren Quantitative Easing (QE) Programmen unheimlich effektiv. So reichte die blosse Ankündigung von möglichen Firmenanleihenkäufen am 23. März 2020 – die Fed hat ja im Nachgang kaum Firmenanleihen gekauft – um die Risikoaufschläge auf dem fast 10 Billionen USD grossen Markt markant zu drücken (Schritt 8). Abbildung 4: Unkonventionelle Geldpolitik – Mit Quantitative Easing direkt den Risikoaufschlag drücken Cares Act Staatsausgaben Investitionen Konsum BIP 3,81 Billionen USD 3,73 Billionen USD 14,76 Billionen USD 21,75 Billionen USD Finanzierung Finanzierung direkt Kapitalmarkt über Banken am Kapitalmarkt Federal Funds Finanzierungskosten (Federal Funds Rate plus Risikoaufschlag) Rate 2 4 5 Vermögenspreisinflation kurzlaufende langlaufende MBS Firmen- Municipal Bonds, Staatsanleihen Staatsanleihen anleihen ABS etc. US Staatsanleihen US MBS US Firmen- Municipal anleihen Bonds, ABS 16,67 10,33 9,60 7,48 Federal Funds Rate Bankensystem 8 Bank A Bank B 6 Blosse Ankündigung Federal Reserve Bank Eigenkapital & weitere 1 Staatsanleihen kurzlaufend Banknoten im Banknoten im Umlauf Umlauf kurz- und langlaufend und weitere 4,47 Reserven der der Banken Banken Reserven 3. Phase Überschussreserven der MBS und weitere Banken 2,6 2,8 7 Quantitative Easing 3 * Zahlen in Billionen USD per Ende 2019, Darstellung und Bilanzen stark vereinfacht 6
Natürlich waren aber auch die schieren Grössenordnungen des aktuellen QE Programmes ganz entscheidend für die Effektivität der Eingriffe. Insgesamt weitete die Fed seit Beginn der Krise ihre Bilanz nämlich um ca. 3 Billionen USD aus. In etwa 2,0 Billionen USD dieser Expan- sion entfielen dabei auf US Staatsanleihen, während 0.6 Billionen USD in Mortgage Ba- cked Securities flossen (siehe Fed Vermögenswerte links in Abbildung 5).8 Die oben beschrie- benen Überschussreserven der Banken bei der Fed sind als Resultat um etwa 1,3 Billionen USD angeschwollen (rechte Abbildung). Abbildung 5: Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Fed Vermögenswerte der Fed in Mrd. USD Verbindlichkeiten der Fed in Mrd. USD 8'000 8'000 7'000 7'000 6'000 6'000 5'000 +2,0 Billionen 5'000 4'000 4'000 3'000 3'000 +1,3 Billionen 2'000 +0,6 Billionen 2'000 8'000 1'000 1'000 7'000 6'000 0 0 5'000 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 4'000 3'000 2'000 Mortgage Backed Securities (MBS) US Staatsanleihen 1'000 Rest Überschussreserven von US Banken bei der Fed Rest 0 Quelle: Finreon Research, Board of Governors of the Federal Reserve System (US) 2003 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2018 Noch mehr unkonventionelle Geldpolitik als Ausweg aus der Sackgasse? 2019 Im internationalen Vergleich mit der EZB und der Bank of Japan ist die Bilanzsumme der Fed, welche sich auf 7,1 Billionen USD beläuft und damit ca. 33% des US BIP ausmacht, allerdings noch immer «klein». Ein Nachlegen der Fed und ein Ausbau des orchestrierten Zusammenspiels zwischen Staat und Notenbank erscheinen aus dieser Sicht jedenfalls möglich. Gerade auch deshalb, weil aufgrund der exogenen Natur des Virusschocks der «Direkt-Schuldige» im Wirtschafts- system in dieser Krise fehlt und es somit politische Unterstützung für grosse Rettungspakete gibt. Auf Aktienkäufe hat die Notenbank ausserdem bisher noch verzichtet. Weil die Fed in den vergangenen Jahren aber immer weniger oft Halt vor solchen roten Linien gemacht hat, er- scheint auch diese drastische Massnahme auf dem 36 Billionen USD grossen amerikanischen Akti- enmarkt bei entsprechender Notwendigkeit durchaus denkbar. Davon abgesehen kann die Fed auch durch naheliegendere Mittel, wie ganz explizite Forward Guidance oder eine direkte Steu- erung der Zinsstrukturkurve, noch positiven Einfluss auf die Märkte nehmen. Zudem liegt es im Ermessen der Fed, die Komposition der Asset-Käufe bei gleichbleibendem Volumen so zu än- dern, dass die Käufe stimulierender wirken. Auf einen kleinen Trick hat die Fed kürzlich bereits zurückgegriffen. Durch ihre Ankündi- gung, dass die Inflation durchaus auch ein wenig überschiessen darf ohne dass die Leitzin- sen sofort erhöht würden, verlieh die Fed den Märkten zusätzlichen Schub. Ausserdem skizzier- te sie damit den geplanten Ausweg aus der aktuellen Sackgasse: Die bestehenden Schulden sollen bei auf tiefem Niveau gedeckelten Zinsen und leicht erhöhter Inflation kontrolliert „weginflationiert“ werden. Dies ist finanzielle Repression (Reinhart und Sbrancia, 2015) mit Ankündigung! 5. Positive Effekte der Eingriffe auf Investmentklassen bisher offensichtlich Die positiven Implikationen der bisherigen Interventionen für alle Assetklassen sind in Ab- bildung 6 offensichtlich. Sowohl die Kreditmärkte als auch die Aktienmärkte haben seit dem 23. März eine beeindruckende Rally erlebt, während die Yields auf US Staatanleihen trotz Rekor- demissionen so tief wie nie geblieben sind. 7
«Game changer» waren dabei aber weder die Zinssenkungen (Phase 1), noch die angekün- digten Staatshilfen (Phase 2) oder die Asset-Käufe selbst sondern vielmehr die Ankündigungen der Fed am 23. März zu den Interventionen am Kreditmarkt und zur generellen Bereit- schaft zu unlimitiertem QE in enger Koordination mit dem Staat (Phase 3). Abbildung 6: Einfluss der Interventionen auf verschiedene Assetklassen 4 3'600 Bloomberg Barclays US Agg Avg OAS Yield 10jährige US Staatsanleihen, 3,5 3'400 S&P 500 Indexstand 3'200 3 Aktienkurse gestiegen 3'000 2,5 2'800 Kreditaufschläge (Credit 2 Spreads) gefallen 1,5 2'600 2'400 1 2'200 0,5 Zinsen bleiben tief 2'000 0 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 n. b r r i n L g p t .Ja Fe Mä Ap Ma Ju Ju Au Se Ok 1 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. Phase 1: konventionelle Geldpolitik (Zins) Phase 2: Staatsausgaben Phase 3: unkonventionelle Geldpolitik (QE) & Koord. mit Staat S&P 500 Index Yield auf 10-jährige Staatsanleihen Bloomberg Barclays US Agg Corporate Avg OAS Phase 1: Die konventionelle Geldpolitik über den Leitzins verpuffte gänzlich. Phase 2: Der Staat musste einschreiten. Zunächst gab es aber nicht genügend Käufer für seine Anleihen. Phase 3: Die Fed füllte diese Lücke schliesslich mit riesigen Käufen und stützte auch noch andere Märkte. Erst diese ext- reme Phase 3, in welcher der Staat und die Fed höchst koordiniert vorgingen, trieb die Aktien, drückte die Kreditaufschläge (Credit Spreads) und hielt die Zinsen trotz neuer Anleihen tief. Quelle: Finreon Research, Bloomberg 6. Die Interventionen schaffen aber auch bedenkliche Divergenzen Während die Märkte von den beispiellosen geld- und fiskalpolitischen Eingriffen in Summe ohne Zweifel profitieren, sind diese leider nicht ohne bedenkliche Nebenwirkungen zu haben. So nehmen Divergenzen und Ungleichheit auf verschiedenen Ebenen zu. Vier solche Problem- felder seien an dieser Stelle herausgegriffen: 1. Divergenz: Wall Street vs. Main Street Die Finanzwirtschaft entwickelte sich über die ver- 180 Wert per 11.10.2020: 184% gangenen Monate stark losgelöst von der Real- WALLST MAIN ST 160 wirtschaft. Die Abbildung rechts zeigt, dass das 140 Verhältnis der Marktkapitalisierung des US Aktien- marktes (approximiert durch den Wilshire 5000 120 Total Market Index) zum nominalen US BIP über 100 den Höchststand vor der Corona-Krise geklettert 80 ist. Der Aktienmarkt ist derzeit (per 60 11.10.2020) um 84% mehr wert als das BIP 40 des Landes. Ein Haupttreiber dafür ist sicherlich 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 der von den Notenbanken gedrückte Diskontie- Wilshire 5000 in % des nominalen Bruttoinlandsproduktes rungsfaktor, welcher gängigen Aktien-Bewer- tungsmodellen zugrunde liegt. Quelle: Finreon Research, Bloomberg 8
2. Divergenz: New Economy vs. Old Economy Zudem offenbart sich eine USA verschiedener Ge- 3.5 Höchstwert am 1.9.2020: 3.49 schwindigkeiten. Die bärenstarken Tech Konzerne 3 vs. gehen ganz klar als Gewinner dieser Krise hervor. 2.5 So bewegte sich das Verhältnis des in seiner 2 Komposition deutlich moderneren NASDAQ 100 1.5 zum S&P 500 Index, welcher mit seiner Gewich- tung eher eine breitere Wirtschaftsstruktur abbil- 1 det, Anfang September deutlich über dem 0.5 bisherigen Höchstwert, der auf der Spitze 0 der Dotcom Blase erreicht worden war. 1900 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 NASDAQ 100 Indexstand vs. S&P 500 Indexstand Quelle: Finreon Research, Bloomberg 3. Divergenz: Unternehmen vs. Arbeitnehmer Letztlich ist die Diskrepanz der Krisenauswirkun- 70 Mio 3‘400 gen auf Unternehmer/Aktionäre einerseits und 60 Mio vs. Arbeitsnehmer andererseits durch nichts besser 50 Mio 3‘200 darzustellen, als durch eine Gegenüberstellung 40 Mio 3‘000 der wöchentlichen Kursentwicklung des S&P 500 30 Mio Index und der rekordhohen wöchentlichen Erst- 2‘800 anträge auf Arbeitslosenhilfe. Fast 70 Millionen 20 Mio 2‘600 Menschen haben seit den zündenden Ein- 10 Mio griffen der Fed erstmals Arbeitslosengelder 0 2‘400 21. März 20 4. April 20 18. Apr 20 2. Mai20 16. Mai20 30. Mai20 13. Jun 20 27. Jun20 11. Jul 20 25. Jul 20 8. Aug 20 22. Aug 20 5. Sep 20 19. Sep 20 3. Okt 20 beantragt. Aktionäre hingegen profitierten just in dieser Phase von stark steigenden Märkten. Weil sich der grösste Teil aller Aktien in Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung aufaddiert (linke Achse) Besitz einer kleinen, wohlhabenden Minderheit S&P 500 Indexstand (rechte Achse) befindet, nahm/nimmt die Ungleichheit rapi- Quelle: Finreon Research, Board of Governors of the Federal Reserve System (US) de zu. 4. Divergenz: Zombies vs. solide Unternehmen Besonders Zombie-Unternehmen (hier definiert 80 % als Firmen mit einem EBIT / Zinskosten Verhältnis 70 % von unter 1) gehörten in den Wochen nach den 60 % 28 % Fed-Interventionen zu den überraschenden Ge- 50 % winnern der Eingriffe. Ein gleichgewichteter 40 % S&P 500 Index bestehend nur aus Zom- 30 % bie-Firmen hat den gleichgewichteten Index 20 % aller anderen S&P Unternehmen in dieser 10 % Phase ab dem 23. März um 28% geschlagen. 0 % 20.03 27.03 03.04 10.04 27.04 24.04 01.05 08.05 15.05 22.05 29.05 05.06 12.06 19.06 26.06 03.07 10.07 17.07 24.07 31.07 07.08 14.08 Langfristig überleben so relativ schlechte Firmen aufgrund der Rettungseingriffe und absorbieren Zombie-Unternehmen Solide Unternehmen Ressourcen, die in anderen Unternehmen produk- tiver eingesetzt werden könnten. Quelle: Finreon Research, Bloomberg 7. Durch die Rettungseingriffe steigt ausserdem die Sparquote Abgesehen von diesen vier Divergenzen haben die Rettungspakete noch einen weiteren nega- tiven Nebeneffekt: Die tiefen Zinsen und die gewaltigen QE Programme treiben die Men- schen wie in Abbildung 8 dargestellt nämlich gerade nicht wie gewünscht in den Konsum sondern verleiten sie stattdessen dazu, ihre Sparquote – definiert als der Prozentsatz des per- sönlichen, verfügbaren Einkommens, der in die Kapitalmärkte oder in reale Vermögenswerte inves- 9
tiert wird – zu erhöhen. In den sechs Monaten nach Beginn der Corona-Krise ist die Spar- quote bei rekordtiefen Zinsen im Durchschnitt gar auf über 20,3% geklettert. Dies ist unter anderem wohl vor allem deshalb der Fall, weil sich die Menschen zunehmend davor fürchten, sonst nicht genügend Reserven für das Alter bilden zu können. Während der Coro- na-Krise fehlen wegen Ausgangssperren und Lieferunterbrechungen aber oft schlicht auch ganz einfach die Möglichkeiten, zu konsumieren. Der Zusammenhang zwischen fallenden Yields auf Staatsanleihen und einer ansteigenden Sparquote ist – wie an den dunklen Punkten in Abbildung 8 ablesbar – bereits seit Anfang des Jahrtausends zu beobachten. Dadurch steigen die von der Sparquote getriebenen Vermögenspreise während der Konsum stagniert und die konsumgetriebe- nen Inflationszahlen tief bleiben oder sogar fallen. Abbildung 8: Seit Jahrtausendwende führen tiefe Zinsen und QE zu einer höheren Sparquote 20 Persönliche Sparquote in den USA 12 y = 0.6423x + 3.0647 10 R² = 0.7206 8 6 4 y = -0.9564x + 9.3431 R² = 0.5387 2 0 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Yield auf 10jährige US Staatsanleihen 1980 – 2000 2000-Februar 2020 März 2020 – Aug. 2020 Linear (1980–2000) Linear (2000–Februar 2020) (Durchschnitt) Quelle: Finreon Research, Board of Governors of the Federal Reserve System (US) 8. Die grösste Gefahr liegt aber in der dauerhaften Schuldentragbarkeit Neben den erwähnten Divergenzen und der kontraproduktiven Sparneigung sind be- sonders die eskalierenden Schuldenstände von Staaten vielen besorgten Beobachtern ein Dorn im Auge. Nun entsprechen die aktuellen, schuldenfinanzierten Eingriffe der US Regierung gemäss volkswirtschaftlicher Theorie an und für sich ja gerade an der „Nullzinsgrenze“ durchaus einer adäquaten, Schock-absorbierenden Antwort auf die unvorhersehbare und hoffentlich tem- poräre Corona-Krise (Goodfriend, 2000). Die gewaltigen Steuererhöhungen, die man als Alternati- ve sonst einführen müsste, wären schliesslich eine gewaltige Verzerrung. Nichtsdestotrotz befeuern sie aber natürlich diese Diskussion um die langfristige Tragbarkeit der Staatsschulden. Diese entwickeln sich ja über die Zeit grob gemäss folgender Formel: 100 + Zins Schulden morgen (% des BIP) = Schulden (% des BIP) x + Primärdefizit (% des BIP) 100 + BIP Wachstum 10
Eine sinnvolle Analyse vergegenwärtigt sich sowohl die optimistische als auch die pes- simistische Sichtweise mit Blick auf diese Schuldendynamik: Die Optimisten rund um prominente Exponenten wie Larry Sum- mers (DeLong und Summers, 2012) oder Paul Krugman argumentieren folgendermassen: Die heutigen Staatsschulden sind zwar hoch. Aber das mittel- und langfristige Wirtschaftswachstum liegt weit über den tiefen Zinszahlungen, die auf Staatsschulden im Moment fällig werden. Für weiterhin tiefe Zinszahlungskosten sorgen zudem allein schon die Zentralbanken durch ihre Staatsanleihen-Käufe. Wenn das so- genannte Primärdefizit nicht zu gross wird, werden sich die Staats- schulden deshalb langfristig stabilisieren. Larry Summers Die Pessimisten rund um Ken Rogoff und John Cochrane sorgen sich eben genau um solche steigenden Primärdefizite. Sie glauben, dass Regierungen die tiefen Zinsen zunehmend dazu nutzen, zu- sätzliche Staatsausgaben oder Steuererleichterungen durchzubo- xen. Die Anhänger dieser Sichtweise sehen die Schulden deshalb weiter- steigen. Wenn die Märkte diese Schuldenlast letzten Endes als nicht mehr tragbar einstufen und die permanenten Liquiditätsspritzen zu steigender Inflation führen sollten, könnten Notenbanken gerade dann gezwun- gen sein, die Zinsen anzuheben. Die Schuldenproblematik würde sich schlagartig zuspitzen. Ken Rogoff 9. Die Fed fährt lediglich auf Sicht: eine Gefahr für die Schuldentragbarkeit Eine langfristig angelegte und glaubwürdige Exit-Strategie aus der aktuellen Schul- denspirale wäre deshalb enorm wichtig. Besonders die offen kommunizierte Kurzsichtig- keit der Fed gibt aus diesem Schulden-Gesichtspunkt heraus aber wenig Grund zur Hoffnung. So gab Jerome Powell kürzlich folgende Sätze zu Protokoll: “We crossed a lot of red lines that had not been crossed before … I’m very confident that this is the situation where you do that and then you figure it out.” (Powell, 2020) Diese «Wir-werden-sehen-was-dabei-heraukommt»-Haltung scheint der Argumentation der Pessimisten mit Blick auf die Schul- dentragbarkeit und die obige Formel insbesondere deshalb Auftrieb Jerome Powell zu verleihen, weil die Fed mit ihren jetzigen Interventionen ja drei Bausteine dieser Formel eher nachteilig beeinflusst: • Erstens ist es gerade die Fed, die mit ihrer aggressiven Niedrig- zins-Politik gepaart mit riesigem QE, im Rahmen dessen sie undifferenziert Finanzanlagen und sogar Junk Bonds kauft, Preis- mechanismen aushebelt und für Kapitalfehlallokationen (Stichwort Zombie-Firmen) sorgt. Dies dürfte das Wirt- schaftswachstum langfristig hemmen. • Zweitens ermuntert die Fed die US Regierung regelrecht dazu, weitere Schulden aufzunehmen und grosse Primärdefizite an- zuhäufen. • Drittens könnten die gewaltigen Liquiditätsspritzen künftig im Negativszenario zu einer zunehmenden Inflationsdynamik führen (auch wenn aktuell eher Deflationsgefahr besteht), welche Zinserhöhungen nötig machen und die Schuldentragbarkeit auch dadurch torpedieren würde. 11
10. Staaten gewinnen die Oberhand über die Fed Wasser auf die warnenden Mühlen der Pessimisten ist dabei die immer stärker werdende Ver- zahnung von Geld- und Fiskalpolitik und der damit einhergehende, gefährliche Verlust der wichtigen Notenbankunabhängigkeit (Cukierman, 1992). Die Politik dürfte (anders als Notenbanken) künftig nämlich kaum Anreize zur Rückabwicklung der aktuellen Inter- ventionen haben. Regierungen könnten gar Gefallen am scheinbar kostenlosen Perpetuum mo- bile des dauerhaften «Geld-Druckens» finden, was langfristig im schlimmsten aller Fälle zu Zwei- feln an der Schuldentragbarkeit und zu einem generellen Vertrauensverlust in den Wert des Geldes führen könnte. Schliesslich sagte schon Milton Friedman: “Nothing is so permanent as a temporary government programme.” Milton Friedman 11. Kollektive Kurzsichtigkeit, ein gefährlicher Teufelskreis und weitere Risiken In den vergangenen Monaten schienen Investoren allerdings teilweise geradezu euphorisiert. Durch den gewaltigen «Brückenbau» von Fed und US Regierung werden sie zu leichtsinnigem Verhalten und kollektiver Kurzsichtigkeit (Davies et. al., 2014) animiert. Erste Anzeichen dafür sind bereits erkennbar. So denkt beispielsweise der kalifornische Pensionsfund CalPERS seit Kur- zem darüber nach, seine Leverage-Quote deutlich auszubauen, um durch gehebelte Investitionen in illiquide Anlageklassen sein gesetztes 7% Return Ziel zu erreichen. Das Tandem Fed und US Regierung manövriert sich so in einen selbstverschuldeten Teufelskreis: Das Finanzsystem als Ganzes verträgt grosse Kursverluste in einem solchen System nämlich immer weniger. Bei fallen- den Kursen muss die Notenbank deshalb immer rascher einspringen. Das System als Gan- zes wird «Too-big-to-fail». Dabei lassen sich zugrundeliegende Probleme nicht dauerhaft überdecken. Mittelfristig wer- den Regierungen, Notenbanken, Firmen und Haushalte nicht darum herumkommen, sich auch mit den Themen monopolistische Marktstrukturen, nachhaltige Verhaltensänderungen von Konsumenten und Rückbau globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten als mögliche Risiken befassen zu müssen. Weitere Viruswellen dürften ausserdem in nächster Zeit immer wie- der zu Herausforderungen führen. Es ist völlig unklar, wie lange die aktuell errichtete Liquiditäts-Brücke von Notenban- ken und Staaten unter diesen Umständen wirksam aufrechterhalten werden kann: Trotz aller Liquiditätsspitzen und tiefer Zinsen werden sich viele Firmen und Haushalte nach der Krise nämlich mit einer gestiegenen Schuldenlast konfrontiert sehen. Diese Schulden müssen sie aus der laufenden Geschäftstätigkeit heraus erst bedienen können. Dies gilt insbesondere für jene Unter- nehmen, welche wegen ihrer bescheidenen Profite schon heute nicht einmal die Zinszahlungen auf ihre Schulden leisten können. Gemäss BIS (2018) beträgt der Anteil dieser Zombie-Firmen in den 14 grössten Industrieländern mittlerweile immerhin etwa 12 % (BIS 2018). Solvenz-Risiken dieser Art lassen sich nicht dauerhaft unterdrücken. Gerade auch deshalb, weil viele Sektoren einem gros- sen strukturellen Wandel gegenüberstehen. Sollten sich Firmenpleiten folglich häufen, würde auch das Bankensystem und damit die Kreditvergabe in Schieflage geraten. Auch die politischen Langzeitfolgen sind nicht zu unterschätzen: Geostrategisch liefern sich die USA durch ihre permanenten Handelsbilanzdefizite, welche sie sich vor allem von China 12
finanzieren lassen, beispielsweise immer stärker ihrem künftigen Widersacher aus und gefährden so die Rolle des Dollar als globale Leit- und Reservewährung und damit seinen Wert. Populisti- sche Tendenzen aufgrund der geschilderten Divergenzen sind schon heute nicht von der Hand zu weisen. Ihr Einfluss auf Wahlergebnisse wird uns noch länger beschäftigen. Abbildung 9: 14 Gründe warum die Brücke von Notenbanken und Staaten auf wackeligen Pfeilern steht Divergenzen Vertrauens- Schulden- Kapitalfehl- abhängige Kurzsichtige und verlust Teufelskreis tragbarkeit allokationen Notenbanken Akteure Ungleichheit & Inflation Monopolis- Rückbau Zombies / Pleiten Politik / Wahlen Verhaltens- Weitere tische globaler schwaches & fragile / Geostrategi- änderungen Corona-Wellen Strukturen Lieferketten Wachstum Banken sches 12. Fazit: Hohe Erträge sind in dieser Erholung mit hohen Risiken verbunden Für den Moment hat der von Geld- und Fiskalpolitik gemeinsam orchestrierte Brü- ckenbau in Bezug auf die die Renditedimension funktioniert. Die Märkte haben sich von ihren Tiefs am 23. März so rasch erholt wie nie zuvor nach einem derart grossen Crash. So haben für den S&P 500 Index 74 Handelstage gereicht um bereits 80% seiner Verluste in der Corona-Krise wiedergutzumachen. In der Finanzkrise dauerte dies 1100 und in der Dotcom Krise gar 1500 Tage. Klar ist allerdings auch, dass die Risiken, die Investoren für diese Kursgewinne in Kauf nehmen müssen, deutlich über jenen früherer Erholungsphasen liegen. Viele Anleger scheinen sich der Risiken und Nebenwirkungen des Brückenbaus je- denfalls bewusst zu sein. Abbildung 10 zeigt klar, dass der CBOE Volatility Index (VIX) dieses Mal zum Zeitpunkt der 50% und 80% Recovery des S&P 500 Index deutlich höher stand als in vergleichbaren Krisen in der Vergangenheit. Zahlreiche oben aufgezeigte Proble- me wurden aufgrund der allgemein anerkannten Dringlichkeit der Corona-Krise eben in kollekti- ver Kurzsichtigkeit auf die lange Bank geschoben. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, auf das wir auch in unseren kommenden makroökonischen Updates wieder vertieft eingehen werden. Ein struktu- riertes und systematisches Risikomanagement ist in einem solchen Umfeld jedenfalls un- erlässlich. 13
Abbildung 10: Das Verhältnis von Risiko zu Ertrag ist in der Corona-Krise höher als in anderen Krisen 40 An jenem Tag, an dem der S&P 500 Index 50% seiner 35 Corona-Verluste wiedergutgemacht hatte, stand der 30 VIX immer noch bei sehr hohen 37,8 Punkten... 25 ... und damit deutlich höher als zum gleichen Zeitpunkt in früheren Krisen 20 WALLST ST MAIN 15 10 5 0 Dotcom-Krise Finanzkrise Corona-Krise Stand des VIX an jenem Tag, an dem der S&P 500 Index 50% seiner Verluste seit Beginn der Krise wiedergutgemacht hatte Stand des VIX an jenem Tag, an dem der S&P 500 Index 80% seiner Verluste seit Beginn der Krise wiedergutgemacht hatte Quelle: Finreon Research, Bloomberg Schlussfolgerungen Die Dimensionen der Corona-Krise und des damit verbundenen Wirtschaftseinbruchs scheinen die enormen Rettungspakete der Fed und der US Regierung prinzipiell zu rechtfertigen Gemeinsam haben die beiden Institutionen versucht, in drei Phasen eine Brücke zu bauen, ausgehend vom soliden Funda- ment vor der Krise hin zu einer Position wiedergewonnener Stärke danach Die konventionelle Geldpolitik durch Zinssenkun- gen und Offenmarktgeschäfte ist zunächst wir- kungslos verpufft Zur Finanzierung der gewaltigen Staatsaus- gaben im Rahmen des CARES Act flutete die US Regierung den Markt mit neuen Staatsanleihen Mit unkonventioneller Geldpolitik und unlimitier- tem Quantitative Easing sowie in enger Koordina- tion mit dem Staat ist es der Fed letztlich gelun- gen, die Risikoaufschläge zu senken und den Markt zu stützen Mit der kürzlich erfolgten Anpassung des „Inflationsziels“ verlieh die Fed den Märkten zusätzlichen Schub. Weitere Werke- zeuge stehen noch zur Verfügung Bisher sind die positiven Implikationen der Eingriffe über alle Investmentklassen hinweg offensichtlich 14
Die Interventionen schaffen aber auch bedenkliche Divergenzen und treiben eher die Sparquote als den Konsum Die grösste Gefahr liegt im Verlust der dauerhaften Schulden- tragbarkeit Gerade die Fed selbst scheint diese Tragbarkeit der Schulden in einer ambivalenten Rolle zu gefährden Der gewachsene Einfluss des Staates und der Verlust geldpolitischer Unabhängigkeit stehen einer gezielten Rückab- wicklung aktueller Eingriffe zudem künftig im Wege Viele bedeutende Risiken werden in einem kollektiven Hang zur Kurzsichtigkeit derzeit leider kaschiert oder sogar verstärkt Hohe Erträge sind in dieser Erholung deshalb mit deutlich höheren Risiken verbunden als in ähnlichen Marktphasen in der Vergangenheit Ein strukturiertes und systematisches Risikomanagement ist in einem solchen Umfeld unerlässlich 15
Quellenverzeichnis Banerjee, R., & Hofmann, B. (2018). The rise of zombie firms: causes and consequences. BIS Quarterly Review September. Abgerufen von https://www.bis.org/publ/qtrpdf/r_qt1809g.pdf Cukierman, A. (1992). Central Bank Strategy, Credibility, and Independence: Theory and Evidence, Cambridge, Massachusetts, MIT Press. DeLong, J.B., & Summers, L.H. (2012). Fiscal Policy in a Depressed Economy. Brookings Papers on Economic Activity, Economic Studies Program, The Brookings Institution, 43(1), 233-297. Abgerufen von https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2012/03/2012a_de- long.pdf Davies, R., Haldane, A. G., Nielsen, M., Pezzini, S. (2014). Measuring the costs of short-termism. Journal of Financial Stability, 12, 16-25. Goodfriend, M. (2000). Overcoming the Zero Bound on Interest Rate Policy. Journal of Money, Credit and Banking, 32(4), 1007-1035. Abgerufen von https://www.jstor.org/stable/2601157?seq=1#metadata_info_tab_contents Gourinchas, P. O. (2020). Flattening the Pandemic and Recession Curves. Abgerufen von https://clausen.berkeley.edu/flat- tening-the-pandemic-and-recession-curves/ Gourinchas, P. O., Govillot, N., & Rey, H. (2017). Exorbitant Privilege and Exorbitant Duty. Abgerufen von http://www.helenerey.eu/ AjaxRequestHandler.ashx?Function=GetSecuredDOC&DOCUrl=App_Data/helenerey_eu/Working-Papers_en-GB/_Documen ts_2012-13/71510901685_67186463733_duty_23_10_2017.pdf International Monetary Fund. (2020). A Crisis Like No Other, An Uncertain Recovery (World Economic Outlook Update / June 2020). Abgerufen von https://www.imf.org/~/media/Files/Publications/WEO/2020/Update/June/English/WEOENG202006.ashx?la=en Keister, T., & McAndrews, J. (2009). Why Are Banks Holding So Many Excess Reserves? Current Issues in Economics and Finance, 15(8). Abgerufen von https://www.newyorkfed.org/medialibrary/media/research/current_issues/ci15-8.pdf Keynes, J. M. (1936). The General Theory of Employment, Interest and Money. Basingstoke: Palgrave Macmillan. Powell, J. (2020). At Griswold Center for Economic Policy Studies Princeton Reunions Talk: A Conversation with Jerome Powell, mode- rated by Alan Blinder (via webcast). Abgerufen von https://www.rev.com/blog/transcripts/fed-chairman-jerome-powell-princeton-on- line-forum-transcript Reinhart, C., & Reinhart, V. (2020). The Pandemic Depression - The Global Economy Will Never Be the Same. Abgerufen von https:// www.foreignaffairs.com/articles/united-states/2020-08-06/coronavirus-depression-global-econo-my?utm_medium=newslet- ters&utm_source=pre_release&utm_campaign=&utm_content=20200806&utm_term=PressFA%2C%20Members%2C%20and%20 Staff Reinhart, C., & Sbrancia, M. B. (2015). The Liquidation of Government Debt. IMF Working Paper. Abgerufen von https://www.imf.org/ external/pubs/ft/wp/2015/wp1507.pdf Referenzen 1 Der Fakt, dass die US Wirtschaft sich diese exzessive Konsumabhängigkeit primär über jahrzehntelange Handelsbilanzdefizite mit dem Ausland finanziert hat, ist Fluch und Segen zugleich. Das Land nutzt damit einerseits erfolgreich das «Exorbitante Privileg» mit dem US Dollar die globale Leitwährung zu stellen und so zu jederzeit willige Gläubiger zu finden, begibt sich aber zunehmend in die strate- gische Abhängigkeit seines Hauptfinanziers China (Gourinchas et. al., 2017). 2 Die Fed hat dabei vor allem länger laufende Anleihen und Notes gekauft, während Geldmarkt-Funds als Käufer bei T-Bills eingesprun- gen sind. 3 Nebenbei hat die US Fed durch Eingriffe auf den Repo-Märkten und durch die Ausweiterung von USD Swap Linien auch dem interna- tionalen Bankensystem unter die Arme gegriffen und die Welt mit stark nachgefragten US Dollars versorgt. 4 Abgesehen davon werden weitere Zinssenkungen in negatives Territorium aufgrund ihrer potentiell schädlichen Wirkungen auf das Bankensystem, Pensionskassen und die Volkswirtschaft als Gesamtes sowie wegen einer möglichen «Liquidity-Trap» (Keynes, 1936) in den USA deutlich kritischer beäugt als beispielsweise in der Eurozone oder der Schweiz. Eine ausführliche Analyse dieser «Zero-Lower- Bound» Problematik sowie möglicher Auswege und Lösungen finden Sie beispielsweise in Goodfriend (2000). 5 Kurz für Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act. 6 Nachschusspflichten in anderen Märkten, die Liquiditätsfalle, und ein Verlust der Pufferfunktion von Anleihen wegen der «Nullzins- grenze» in Portfolios spielte dabei natürlich ebenfalls eine Rolle. 7 Dieser Vermögenspreiskanal ist vor allem in den USA von grosser Bedeutung, wo die Menschen einen grossen Teil des Konsumanstiegs über ihre Pensionsansprüche finanzieren. 8 Zudem pumpte die Fed ca. 450 Milliarden USD über ihre USD Swap Linien in das globale Finanzsystem. Weitere Interventionen auf allen Staatsanleihen- und Kreditmärkten sind geplant. 16
Finreon – Ein Spin-Off der Universität St.Gallen (HSG) Das Unternehmen Finreon entstand als Spin-Off der Universität St.Gallen (HSG) und gilt heute als etablierte und kompetente Partnerin, wenn es um innovative Anlagekonzepte im Bereich der Vermögensverwaltung und dem Advisory institutioneller Kunden geht. Die Lösungen von Fin- reon basieren auf langjähriger Praxiserfahrung und neuesten Erkenntnissen aus der Forschung mit modernen Finanzmarkttheorien. CEO Dr. Ralf Seiz Lehrbeauftragter Universität St.Gallen Kontakt Finreon AG Oberer Graben 3 CH-9000 St.Gallen +41 71 230 08 06 info@finreon.ch www.finreon.ch Disclaimer Diese Unterlagen und die darin enthaltenen Informationen sind nur für ausgewählte qualifizierte Investo- ren bestimmt und vertraulich. Eine Reproduktion oder eine Weiterverwendung ist nicht erlaubt. Die vorlie- gende Dokumentation stellt weder eine Empfehlung noch eine Offerte zum Abschluss irgendeines Rechts- geschäfts dar. Sie dient lediglich zu Informationszwecken. Obwohl Finreon AG bestrebt ist, den Inhalt dieses Dokuments korrekt und vollständig zu halten, wird keine Garantie für dessen Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit gegeben. Jede Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich aus diesen Informati- onen ergeben, wird ausgeschlossen. Historische Renditen sind keine Garantie für zukünftige Erträge.
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