EIN COMEBACK FÜR DEN MULTILATERALISMUS?
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IM FOKUS /// Einführung EIN COMEBACK FÜR DEN MULTILATERALISMUS? ANDREA ROTTER /// Der Multilateralismus befindet sich in einer Krise. Während die Zahl globaler Herausforderungen wächst, scheint die dringend notwendige internatio nale Zusammenarbeit jedoch schwieriger zu werden. Dies geht nicht auf die Corona- Pandemie oder die Präsidentschaft von Donald Trump zurück, das multilaterale System kränkelt schon länger. Mit dem Wechsel der US-Administration in Washington D.C. könnte dem Multilateralismus ein Comeback gelingen, allerdings nur, wenn die zum Teil offensichtlichen Probleme endlich ernsthaft angegangen werden. „Multilateralism is under fire precisely September 2018, lange bevor die Coro- when we need it most.“¹ – Der Multila- na-Pandemie ihren Schatten auf die teralismus ist unter Beschuss, gerade Welt warf und nationale Alleingänge ein wenn wir ihn am meisten brauchen. So koordiniertes, internationales Vorgehen lautete die nüchterne Feststellung von gegen das Virus konterkarierten. Mehr António Guterres, Generalsekretär der als zwei Jahre später ist die Krise des Vereinten Nationen (United Nations, Multilateralismus noch weit von einer UN), vor der UN-Vollversammlung im Lösung entfernt, doch zeigen wachsen- 14 POLITISCHE STUDIEN // 496/2021
Quelle:iStock.com/Massimo Giachetti Mit US-Präsident Jo Biden und seiner Vize-Präsidentin Kamala Harris könnte ein Comeback des Multilateralismus gelingen. de Herausforderungen wie Pandemie, sowie in der Gründung regional be- Klimawandel, Migration und fragile grenzter oder internationaler Organisati- Staatlichkeit, nukleare Proliferation und onen niedergeschlagen. Dies reicht von die Verschärfung des Großmachtkon- der UN, die 1945 mit dem Ziel der inter- flikts zwischen den USA und China auf, nationalen Friedenssicherung gegründet dass multilaterale Ansätze unumgäng- wurde, bis hin zum Zusammenschluss lich sind. europäischer Staaten zur Europäischen Unter Multilateralismus versteht Union (EU) oder dem Pariser Klimaab- man zunächst einmal lediglich „das Zu- kommen von 2015. sammenwirken von drei (oder mehr) Darüber hinaus verbinden gerade Staaten (oder anderen Akteuren)“².Da- wir in Deutschland und weiteren westli- hinter steht die Erkenntnis, dass in den internationalen Beziehungen bestimmte außenpolitische Ziele nur gemeinsam mit anderen Staaten erreicht werden und eine Reihe globaler Herausforderungen Die derzeitigen Herausforderungen wiederum nicht durch einen Staat allein können nur MULTILATERAL gemeistert gelöst werden können. In der politischen werden. Praxis hat sich dieses diplomatische Mit- einander in einer Vielzahl von internati- onalen Verhandlungen und Abkommen 496/2021 // POLITISCHE STUDIEN 15
IM FOKUS chen Staaten Multilateralismus mit be- nale Zusammenarbeit im Rahmen einer stimmten Normen, Werten und Ideen regelbasierten Ordnung zu werben.³ darüber, wie internationale Politik ge- Gleichzeitig beanspruchten Staaten wie staltet werden soll. Aufgrund dieser nor- China oder Russland, deren Verständnis mativen Komponente ist er eng mit der von Multilateralismus und einer regelba- Vorstellung einer regelbasierten, libera- sierten Ordnung sich in wichtigen Punk- len Weltordnung verbunden, die auf de- ten von unseren Vorstellungen unter- mokratischen Prinzipien, Freihandel scheidet, das von den USA hinterlassene und internationaler Kooperation ba- Vakuum zu füllen. siert. Diese Weltordnung wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor Hoffnungsschimmer Joe Biden allem durch die USA im Sinne eines Aus deutscher und europäischer Sicht wohlwollenden Hegemons gefördert ist erfreulich, dass der neue US-Präsi- und aufrechterhalten. Daher ist die ge- dent Joe Biden ein überzeugter Anhän- genwärtige Krise des Multilateralismus ger des Multilateralismus ist. Auch auf den ersten Blick auch eng mit der wenn er mit der Corona-Pandemie, der „America First“-Politik von US-Präsi- Wirtschaftskrise und der zutiefst ge- dent Donald Trump verknüpft. spaltenen amerikanischen Gesellschaft ein schweres politisches Erbe von sei- nem Vorgänger übernimmt, lässt sich ein Eckpfeiler seines durchaus ambitio- nierten außenpolitischen Programms Trumps „America First“-Politik stand unter dem Stichwort „Multilateralismus im GEGENSATZ zum Multilateralismus. stärken“ subsumieren. Er möchte die unter Trump beschädigten Allianzen und Partnerschaften der USA wieder re- vitalisieren und die amerikanische glo- bale Vormachtstellung dazu nutzen, in- ternationale Kooperation gegen globale Seine Außenpolitik war geprägt Herausforderungen zu mobilisieren. durch eine Skepsis gegenüber Allianzen Dieser Anspruch spiegelt sich bereits in und multilateralen Institutionen, die sich den ersten Amtshandlungen von Joe Bi- in zahlreichen Austritten der USA aus in- den wider, mit denen er die USA zurück ternationalen Abkommen und Organisa- in das Pariser Klimaabkommen und in tionen äußerte: Pariser Klimaabkom- die WHO führte. men, Nuklearabkommen mit dem Iran, UNESCO, Weltgesundheitsorganisation Krise in dreifacher Hinsicht (WHO) – die Liste ließe sich noch wei- Diese Aussicht ist zu Recht Anlass für terführen. Deutschland und Frankreich Optimismus. Allerdings wäre es falsch versuchten, den Rückzug der Führungs- und fahrlässig, die offensichtliche Krise macht USA aus dem multilateralen Sys- des Multilateralismus nur auf die USA tem mit ihrer 2019 ins Leben gerufenen und Donald Trump zu reduzieren. An- Initiative „Allianz für den Multilateralis- thony Dworkin und Richard Gowan zei- mus“ zu kompensieren und mit gleichge- gen drei Facetten der Krise auf, die weit sinnten Staaten weiterhin für internatio- über die Rolle der USA hinausgehen: 16 POLITISCHE STUDIEN // 496/2021
• Eine Krise der Macht, bedingt durch Multilateralismus bietet in seinen Augen die globale Machtverschiebung zu- zwar die Chance, das multilaterale gunsten neuer, teils autokratischer Welthandelssystem gemeinsam mit den Akteure, die die bisher bestehenden USA zu stärken, allerdings setzt dies multilateralen Systeme in Zweifel zie- eine einheitliche und proaktivere Positi- hen und sie nach ihren Vorstellungen on der EU voraus. Im dritten Beitrag bli- umgestalten wollen; cken Sonja Thielges und Charlotte Un- • eine Krise der Relevanz, die sich in ger vom IASS Potsdam auf die Grenzen der Ohnmacht internationaler Insti- des multilateralen Klimaschutzes im tutionen zeigt, globale Herausforde- Rahmen der UN und stellen mit sog. rungen wie den Klimawandel effektiv „multidimensionalen Klima-Clubs“ anzugehen und kleinere und in der Regel homogenere • eine Krise der Legitimität, die sich Vereinigungen staatlicher und nicht- nationalistische Regierungen oder staatlicher Akteure vor, die einen wich- populistische Strömungen zu eigen tigen Beitrag zum Klimaschutz leisten machen und ihre Länder entweder und so die Arbeit multilateraler Foren aus den internationalen Organisatio- unterstützen können. nen abziehen oder diese von innen heraus erodieren.4 Ehrliche Auseinandersetzung mit den Krisenursachen Es ist unbestritten, dass das multilatera- Trotz der unterschiedlichen Themenbe- le System und die internationale Ge- reiche stimmen unsere Experten über- meinschaft aus unterschiedlichen Grün- ein, dass die nächsten Jahre einen Kraft- den nicht in der Lage sind, die internati- akt der dem Multilateralismus ver- onalen Herausforderungen erfolgreich schriebenen Staaten wie Deutschland zu bewältigen. Nationale Streitigkeiten erfordern werden, um der fortschreiten- oder stark reformbedürftige internatio- den Erosion des multilateralen Systems nale Organisationen stehen wichtigen entgegenwirken zu können. Ungeachtet Lösungen im Weg. Davon berichten auch unsere Autoren, die zugleich mög- liche Auswege präsentieren, um die mannigfachen Probleme zu lösen. Jo- hannes Varwick von der Universität Es bedarf großer KRAFTANSTRENGUNG, Halle-Wittenberg und Präsident der Ge- um der Erosion des multilateralen sellschaft für Sicherheitspolitik analy- Systems entgegenzuwirken. siert in seinem Beitrag mit der UN das „Zentralorgan des Multilateralismus“ und geht hierbei insbesondere auf die schon lange geführten, aber nach wie vor notwendigen Reformdebatten ein. Unser Vorsitzender und Mitglied im Eu- des Administrationswechsels in Ameri- ropäischen Parlament, Markus Ferber, ka, auch wenn mit den USA unter Joe blickt kritisch auf das Welthandelssys- Biden ein wichtiger Unterstützer des tem und die Rolle der EU darin. Die er- multilateralen Ansatzes auf die interna- wartete amerikanische Rückkehr zum tionale Bühne zurückkehrt. Es ist im 496/2021 // POLITISCHE STUDIEN 17
IM FOKUS Interesse Deutschlands und Europas, Anmerkungen angesichts der Fülle an globalen Heraus- 1 Guterres, António: Address to the General Assem- bly, United Nations Secretary General, 25.9.2018, forderungen internationale Zusammen- https://www.un.org/sg/en/content/sg/speeches/ arbeit mit gleichgesinnten Staaten zu 2018 - 09 -2 5/address-73rd-general-assembly, Stand: 27.1.2021. suchen. Hierzu bedarf es allerdings ei- 2 Maull, Hanns: Multilateralismus – Varianten, ner ehrlichen Auseinandersetzung mit Möglichkeiten, Grenzen, Erfolgsbedingungen, Stif- tung Wissenschaft und Politik, Feb. 2020, https:/ den Ursachen der Krise, tiefgreifender /www.swp-berlin.org/10.18449/2020A11/, Stand: Reformen und der Bereitschaft zu Kom- 3 27.1.2021. Vgl. Alliance for Multilateralism, www.multilate promissen anstelle von bloßer Symp- ralism.org, Stand: 27.1.2021. tombehandlung. /// 4 Vgl. Dworkin, Anthony / Gowan, Richard: Three crises and an opportunity: Europe’s stake in multi- laterism, European Council on Foreign Relations, 2019, https://ecfr.eu/publication/three_crises_and_ an_opportunity_europes_stake_in_multilatera lism/, Stand: 27.1.2021. /// A NDREA ROTTER M.A. ist Leiterin des Referats Außen- und Sicher heitspolitik in der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 18 POLITISCHE STUDIEN // 496/2021
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