Ein Fluchtversuch aus der Pandemie: Ab in die Quarantäne

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Ein Fluchtversuch aus der Pandemie: Ab in die Quarantäne
Ein Fluchtversuch aus der
   Pandemie:
   Ab in die Quarantäne

   © Thaihom Enterprises und Josef Burri 2021
   Stand: 31.01. 2021

Wer hätte in den letzten Wochen nicht dem Corona-Virus entrinnen wollen? Und falls
es die Lebensumstände zugelassen hätten: Wohin hätten wir denn fliehen sollen, weg
von einer Pandemie, die ihre Opfer rund um den Globus sucht? Thailand wäre ein mög-
liches Reiseziel, werden sich manche denken, angesichts der dort niedrigen Fallzahlen.
Aber auch im gelobten Land ist eine hundertprozentige Sicherheit nicht gewährleistet,
flackern doch gelegentlich, wie im Dezember 2020, neue Hotspots auf. Allerdings hält
sich die Anzahl der Neuinfizierten in Grenzen, verglichen mit den meisten westlichen
Ländern. Nach der ersten Corona-Welle schottete sich Thailand vorerst nach allen Sei-
ten ab. Die thailändischen Behörden machten dann aber die Türe für zahlungswillige
ausländische Besucher einen Spalt breit auf. Die Hürden ins vermeintliche Paradies sind
jedoch relativ hoch. Eine zweiwöchige Hotel-Quarantäne in Thailand (mit Vollpension)
ist eine Voraussetzung, um die Wärme und Sonne geniessen oder seine Lieben wieder in
die Arme schliessen zu dürfen. Und es braucht gute Nerven, um auf dem Hürdenlauf
nicht vorzeitig zu straucheln. Die Quarantäne selbst ist dann geradezu Rekonvaleszenz
und Erholung, vorausgesetzt der Thailand-Besucher hat sich auf diese Zeit mit Bedacht
vorbereitet.
Ein Fluchtversuch aus der Pandemie: Ab in die Quarantäne
Die Vorbereitung

Wer sich mit dem Gedanken einer unzeitgemässen Reise nach Thailand trägt, sollte als erstes
die aktuellen Einreisebestimmungen und Visa-Typen kennen und sich dann all die erforderli-
chen Dokumente beschaffen. Neben dem Visum ist inbesondere ein Certificate of Entry uner-
lässlich, das nur ausgestellt wird, wenn die Voraussetzungen stimmen. So muss beispielswei-
se der englischsprachige Nachweis einer Deckung mit mindestens 100'000 US Dollars für den
Krankheitsfall in Thailand erbracht werden. Die Kosten für die Hotel-Quarantäne in Thailand
(inklusive alle Mahlzeiten) sind im Voraus zu berappen. Selbstverständlich braucht es ein
(englischsprachiges) Zertifikat für einen negativen Corona-Test (SARS-CoV-2 virus RNA
and PCR analysis); der Test darf nicht früher als 72 Stunden vor Abflug durchgeführt werden.
In meinem Fall habe ich mich an das Zentrum für Reisemedizin der Universität Zürich ge-
wandt (Kosten: 200 Franken). Das Resultat traf innerhalb von 24 Stunden per Mail ein; der
Befund war negativ, glücklicherweise, denn sonst wären alle Anstrengungen davor umsonst
gewesen. Ein weiteres Zertifikat (Fit for Travel Medical Certificate) stellte meine Hausärztin
aus, ebenfalls innerhalb der 72stündigen Zeitperiode vor Abflug ausgefüllt, unterschrieben
und gestempelt. Die Formulare können von den Websites der konsularischen Vertretungen
des thailändischen Staates heruntergeladen werden.

Der Flug

Also machte ich mich auf den Weg zum Flughafen, erleichtert vorerst und in Erwartung des-
sen, was die nächsten zwei Wochen bringen werden. Letzten Endes ist jeder Passagier selber
dafür verantwortlich, dass er alle Reisedokumente beisammen hat und nicht in Bangkok
gleich wieder den Rückflug antreten muss. Das Einchecken in Zürich verlief zügig und prob-
lemlos, wobei immerhin Pass und Visa einer Kontrolle unterzogen wurden. Am Abflug-Gate
wartete die nächste Hürde: Mitarbeiter des Flughafens prüften die Vollständigkeit der erfor-
derlichen Dokumente jedes einzelnen Passagiers. Ich erstarrte kurz vor Schreck: Die Mitar-
beiterin blätterte die Unterlagen von vorne nach hinten und von hinten nach vorne durch und
konnte angeblich ein Pflicht-Dokument nicht finden. Schliesslich Entspannung: Der Versiche-
rungsausweis bestand in meinem Fall aus drei Seiten, einmal dem offiziellen Formular, von
der Versicherung ausgefüllt, und zusätzlich einem zweiseitigen englischen Schreiben, das mir
die Versicherung, eben zur Sicherheit, zusätzlich mit auf den Weg gegeben hatte. Mann oder
Frau weiss ja nie... Nun konnte dem Einstieg ins Flugzeugs nichts mehr im Wege stehen.

Die Prüfung

Auf dem Flughafen in Bangkok erwarteten mich dann die nächsten Hürden, wobei ich als
ehemaliger Langstreckenläufer auf Ausdauer, aber nicht auf kurze Hüpfer trainiert bin. Auf
dem Weg vom Gate zur Passkontrolle standen präzise mit dem nötigen Abstand aufgereihte
Stühle. Dort durften wir uns hinsetzen. Jugendliche Damen und Herren, in Plastikhüllen ver-
packt und mit Handschuhen, Masken und Gesichtsschildern ausgestattet, nahmen uns freund-
lich in Empfang. Wir kramten unsere Unterlagen hervor, die einer ersten Prüfung unterzogen
wurden. Nach einer kurzen Wartezeit durften wir uns nach und nach in Reihen aufstellen, an
deren Ende weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sassen. Sie sahen alle Papiere sorgfältig
durch und entliessen uns Reisende dann zum nächsten Kontrollposten, wo dasselbe Prozedere
vor sich ging. Diesmal sollten wir auch angeben, wo wir uns nach der Quarantäne aufhalten
werden; die Angaben wurden sorgfältig notiert, was zuweilen schon fast kafkaeske Züge an-
nahm, aus Verständigungsproblemen rein sprachlicher Art, aber auch weil die Schutzausrüs-
tung und zusätzlich aufgestellte Trennscheiben die Kommunikation behinderten. Schliesslich
wurden wir zur Pass- und Einreisekontrolle entlassen. Dort wartete der vorläufig letzte Kon-
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trollapparat auf uns, mit Gesichtserkennung und elektronischen Prints all unserer Finger bei-
der Hände. Manch einer kommt sich da als ungebetener Gast oder als unschuldiger Verbre-
cher vor. Der ganze Durchgang verlief relativ zügig und effizient; er dauerte alles in allem
nicht mehr als eine Stunde. Also ein kurzer Dauerlauf.

Am einzigen betriebsbereiten Gepäckkarussell warteten schon unsere Koffer. Die Zollkontrol-
leurin würdigte mein Gepäck keines Blickes. Wir wurden an die nächste Station durchge-
reicht. Dort standen weitere dienstfertige Geister in Schutzkleidung, fragten uns nach dem
Quarantänehotel und geleiteten uns schliesslich zum ebenfalls entsprechend verhüllten Fahrer
mit seinem Fahrzeug. Die Vorfahrt am Flughafen war auf zwei und drei Reihen mit lauter
Vans vollgestopft, weil für uns "gefährliches" Transportgut ein einziges Ausgangstor vorge-
sehen war, wo sich alles hindrängte. Es dauerte, bis der Fahrer aus dem Gewirr herausfand.
Eine Scheibe trennte Fahrgastraum und Fahrer, der das Gesichtsschild entfernte, als wir auf
die Autobahn gelangt waren. Die weitere Fahrt zum Hotel verlief relativ zügig und ohne Zwi-
schenfälle, denn das Verkehrsaufkommen hielt sich in Grenzen, insbesondere in Pattaya, wo
ich mir ein Quarantäne-Hotel wegen der im Gegensatz zu Bangkok frischen Luft ausgesucht
hatte. Solche staatlich anerkannten Quarantäne-Hotels finden sich vor allem in Bangkok, ver-
einzelt auch in anderen kleineren Städten. (Es ist mit Kosten ab rund 1000 Schweizer Franken
pro Person zu rechnen, nach oben praktisch unbegrenzt, je nach gewünschtem Komfort.)

Das Quarantäne-Hotel

Endlich der Blick aufs Meer: Wir näherten uns dem Hotel von der Beach Road her, obwohl
der Haupteingang an der Second Road liegt. Vom Meer sollte ich die nächsten 15 Tage nichts
mehr sehen. Für potentielle Corona-Schleuderer war nur ein Seitengang offen. Am improvi-
sierten Empfang wartete hinter einer Trennscheibe zunächst eine Gesundheitsmitarbeiterin.
Als Erstes wollte sie meine Line-Koordinaten erfahren, was mich etwas irritierte. Allerdings
hatte ich auf meinem Handy keine Line-App heruntergeladen (ich benutze Line auf PC und
Mac, WhatsApp auf dem Mobiltelefon). Dank der Hilfe weiterer Empfangsmitarbeiter wurde
mein Handy so eingerichtet, dass ich regelmässig mit dem Gesundheitspersonal und mit dem
Hotel kommunizieren konnte, halt eben auf WhatsApp. Es fiel das Stichwort "Tele-Medizin",
dessen Bedeutung mir bald aufgehen sollte. Zu meiner Verwunderung händigte mir die Mit-
arbeiterin ein Fieber-Thermometer aus. Damit sollte ich zweimal am Tag (morgens um 10
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und abends um 18 Uhr) die Körpertemperatur messen, dann das Thermometer mit der Handy-
Kamera fotografieren und das Bild an das Gesundheitspersonal senden. (Das Hotel arbeitet
mit dem Bangkok Hospital Pattaya zusammen.) Ausserdem erhielt ich einen Fragebogen, auf
dem ich beispielsweise zum Ausdruck bringen sollte, ob ich mich gelangweilt fühle, was
während meines ganzen Aufenthalts (ehrlich!) nie der Fall war. Dieser Stress-Test war an drei
unterschiedlichen Tagen auszufüllen und ebenfalls an die Gesundheitsmitarbeiterin zu senden.
Nach Anlaufschwierigkeiten funktionierte das System recht gut, ausser dass das Fiebermessen
mit Leichtigkeit vergessen ging. Die Mahnung der Tele-Doktorin liess nicht lange auf sich
warten.

                                             Ähnlich wickelte sich das Verfahren für die Menu-
                                             Bestellung ab. Auf dem Zimmer lag eine Karte mit
                                             einem QR-Code auf. Via Handy gelangte der Gast auf
                                             die Speisekarte für die drei Hauptmahlzeiten des Ta-
                                             ges mit einer entsprechenden Auswahl an europäi-
                                             schen und asiatischen Angeboten sowie einer Reihe
                                             von weiteren kostenpflichtigen Köstlichkeiten. Alko-
                                             holika standen nicht im Angebot. Das Essen kam in
                                             rezyklierbaren Verpackungen daher und wurde drei-
                                             mal pro Tag vor dem Zimmer deponiert.

Zimmer und Badezimmer waren recht geräumig und gut ausgestattet, wobei ich vor allem
einen kleinen Esstisch und einen vernünftigen Stuhl für die Arbeit am Schreibtisch vermisste.
Ein kleiner Balkon erlaubte es, zwischendurch frische Luft zu schnappen oder dieselbige mit
Zigarettenrauch zu schwängern. Ein paar Eichhörnchen kletterten in den hohen Palmen herum
und bestritten das Unterhaltungsprogramm im Garten. Vögel zwitscherten, und sogar der Asi-
atische Koel (Eudynamys scolopaceus, Familie der Kuckucke), der sich uns allerdings nicht
zeigte, liess seinen markanten Ruf erklingen; er lässt uns an die thailändische Nirat-Dichtung
denken: Darin beschreiben die Dichter, wie sie auf ihren langen Reisen Flora und Fauna erle-
ben und dabei mit Sehnsucht an die ferne Geliebte zurückdenken, wenn der Koel ruft. Unser
Aufenthalt war zu erquicklich, um sich von der Sehnsucht entführen zu lassen...

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Der Spaziergang

Am vierten Tag trat ich zum ersten Corona-Test an. Das Resultat war negativ. Anderntags
durfte ich deshalb erstmals eine Stunde den Aufenthalt im Garten geniessen. Der Zufall wollte
es, dass einige Deutsche und Schweizer das gleiche Zeitfenster für den "Hofgang" gewählt
hatten wie ich. So trafen wir uns denn täglich zur gewohnten Stunde und entdeckten den ge-
mütlichen Plauder-Spaziergang, natürlich immer die Maske im Gesicht. Da wir aus sehr un-
terschiedlichen Berufswelten stammten, drehte sich unsere Unterhaltung nicht nur um unser
Befinden in der Quarantäne, sondern berührte Themen und Fragestellungen aus anderen Le-
bensbereichen, was sich als sehr sinnvoller Zeitvertreib erwies. Im Gegensatz zu uns rede-
freudigen Spaziergängern nutzten andere die Zeit für eine Zigarette (ohne Maske) oder mar-
schierten strammen Schrittes vom einen zum anderen Ende des Gartens, immer unter dem
nicht allzu strengen Blick unseres thailändischen "Aufpassers". Spasseshalber bezeichneten
wir unseren Aufenthaltsort als angenehmes Luxusgefängnis für Nicht-Kriminelle. Den Rest
des Tages verbrachten wir in unseren Zimmern, wo wir dank Internet mit der Familie, den
Mitarbeitern und Geschäftspartnern in Verbindung blieben. Niemand von uns war wirklich
auf diese Quarantäne vorbereitet. Wir waren mit der Beschaffung der zahlreichen Papiere in
Anspruch genommen und vergassen dabei, dass wir in der Zeit der Isolation eine Beschäfti-
gung brauchten. Die Glücklichen nutzten die Zeit für ihre Berufsarbeit, und die Sorglosen
genossen ganz einfach den "Luxus", den sie mit niemandem teilen mussten. Ungeteilter Lu-
xus wirkt auf Dauer allerdings doch langweilig...

Die Opfer

Wie in einem Sanatorium durften die "gesunden" Gäste nach 15 Tagen den temporären
Zwangsaufenthaltsort verlassen. Voraussetzung dafür war ein zweiter negativer Corona-Test
(am Tag zwölf, das Eintrittsdatum als Tag eins gerechnet). Von da an hellte sich die Stim-
mung auf. Denn so ganz unberührt lässt ein erzwungener Aufenthalt grösstenteils in einem
einzigen Raum auch den abgebrühten Reisenden nicht. Es sind längst nicht so viele Menschen
bereit, von diesem Angebot Gebrauch zu machen, wie es sich die Regierung wohl vorgestellt
hatte. Pattaya, das sonst um diese Jahreszeit von Touristen überlaufen ist, wirkt im Januar
2021 wie eine Stadt auf Sparflamme. Das meiste Personal in den Restaurants und Hotels und
weiteren Dienstleistungsbetrieben hat Pattaya längst verlassen, weil es hier kein Einkommen
mehr findet. Zurückgeblieben sind nur ein paar wenige Glückliche wie der freundliche "Auf-
passer" und die Allerärmsten, die nicht wissen, wohin sie überhaupt gehen könnten. Die Ar-
mutsrate in Thailand stieg 2020 von 6,2 auf 8,8 Prozent oder um 1,5 Millionen Menschen.
Die Quarantäne-Gäste sind bestimmt nicht die Opfer der Corona-Pandemie.

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