Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen

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Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
Ein Fremdkörper im Stadtbild?
Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
Beinahe wäre nur noch ein Nachruf möglich gewesen. Von einer undichten
Wasserleitung unterspült, brach im Februar 2016 ein Teil der Kellerwand des
leerstehenden Gebäudes Waldtorstraße 12 in Rottweil ein und ließ ein tiefes
Loch im Gehweg entstehen. Obwohl sich das Haus innerhalb des mittelalter-
lichen Stadtkerns befindet, nur einen Steinwurf vom Schwarzen Tor entfernt,
erregte der in der Presse angekündigte Abriss zunächst kaum öffentliches
Aufsehen. Offenbar nahm der im Bau befindliche ThyssenKrupp-Testturm die
Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch. Das Gebäude zeigt sich in einem
wenig ansehnlichen Zustand, und es will mit seiner geringen Höhe von nur
zwei Geschossen und einem breitgelagerten Quergiebel so gar nicht zu den
drei- und viergeschossigen erkergeschmückten Bürgerhäusern in seiner Nach-
barschaft passen. Doch gerade hierin liegt der Schlüssel zu seiner bemerkens-
werten Geschichte.
Stefan King

In den 1980er Jahren erfolgte in Rottweil die sys-    als solches nicht als Kulturdenkmal erfasst (Abb. 1).
tematische Erhebung der Kulturdenkmale. Damals        Im Laufe der Zeit konnten jedoch einige Informa-
ließen Außenputz und Innenverkleidungen des           tionen zur Baugeschichte zusammengetragen wer-
Hauses nicht erkennen, was sie verbergen. Auch        den. Unter anderem war im Jahr 2000 im Rahmen
verhinderte das ausgebaute Dachgeschoss den           von Renovierungsarbeiten eine dendrochronolo-
Blick auf die Dachkonstruktion. Das Haus ver-         gische Datierung ins Jahr 1569 möglich gewesen.
mittelte den Eindruck eines gestalterisch wenig ge-   Als nach dem Einsturz der Kellerwand der Abriss
glückten Lückenfüllers geringen Alters und wurde      erwogen wurde, war es höchste Zeit, über die

                                                                                                                     1 Das Gebäude Waldtor-
                                                                                                                     straße 12 mit nur zwei
                                                                                                                     Geschossen und breit
                                                                                                                     gelagertem Quergiebel.

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018   133
Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
2 Stadtgrundriss mit dem     Presse Alarm zu schlagen. Mit einer provisorischen     den darauffolgenden Tagen ein aufgeregtes Hin
Verlauf der ersten Stadt-    Sicherung war die Situation kurzfristig stabilisiert   und Her, bis dem Gebäude schließlich der Denk-
befestigung (gelb) und       worden. Das Loch mitten im Gehweg wirkte be-           malstatus zuerkannt werden konnte. Gleichzeitig
der wenig später ange-       drohlich, reale Gefahr des Einsturzes bestand hin-     gab es die Möglichkeit zu einer abermaligen kur-
legten Vorstadt (rot), da-                                                          zen Untersuchung, die eine weitgehende zeich-
                             gegen nur für jenen Teil der Kellerdecke, dem das
zwischen das Gebäude
                             Auflager verloren gegangen war. Doch da man Ge-        nerische Rekonstruktion des ursprünglichen Zu-
Waldtorstraße 12 (blau).
                             fahr für die öffentliche Sicherheit sah, gab es in     stands erlaubte.
3 Querschnittprofil mit
dem untersuchten Ge-                                                                Lage des Gebäudes
bäude zwischen Waldtor-
straße und Schwarzem                                                                Um die Wende zum 13. Jahrhundert hatte man für
Graben, im Hintergrund                                                              die Verlagerung des Siedlungsgebiets eine strate-
das Schwarze Tor; einge-                                                            gisch günstige Stelle hoch über dem Neckar zwi-
strichelt ist die äußere                                                            schen zwei tiefen Taleinschnitten gewählt. Der neu
Grabenmauer innerhalb
                                                                                    ausgelegte Stadtgrundriss bekam ein Kreuz aus
des Gebäudes.
                                                                                    breiten Marktstraßen und einen etwa quadrati-
                                                                                    schen Umriss (Abb. 2). Nur die Westseite bedurfte
                                                                                    einer ausgeprägten Befestigung, bestehend aus ei-
                                                                                    ner hohen Wehrmauer, einem Graben mit äußerer
                                                                                    Grabenmauer und dem Schwarzen Tor als Stadt-
                                                                                    zugang. Das davor ansteigende Hanggelände war
                                                                                    zur Verteidigung jedoch wenig günstig, weshalb
                                                                                    man nach kurzer Zeit eine Vorstadt auf dreieckiger
                                                                                    Grundfläche hinzufügte, an deren Spitze und zu-
                                                                                    gleich höchstgelegener Stelle der Hochturm auf-
                                                                                    ragt. Der Mauerzug mit dem Schwarzen Tor war
                                                                                    nun zwar überflüssig, blieb aber bestehen. An der
                                                                                    Stelle des Wehrgrabens befindet sich noch heute
                                                                                    eine als Schwarzer Graben bezeichnete Erschlie-
                                                                                    ßungsgasse auf tieferem Niveau.
                                                                                    Die von Südwesten hereinführende Straße, heute
                                                                                    die Waldtorstraße, verlief entlang des Schwarzen

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Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
Grabens und war anfangs nur auf einer Seite mit                                                                      4 Das am vollständigs-
Häusern bebaut. 1569 errichtete man das hier be-                                                                     ten erhaltene Teilstück
handelte Gebäude auf der anderen Straßenseite.                                                                       des Fachwerkgerüsts im
Um den Straßenraum nicht zu sehr einzuengen,                                                                         Obergeschoss mit frü-
                                                                                                                     herem Doppelfenster,
schob man es zur Hälfte über den 14 m breiten
                                                                                                                     das durch anstoßende
Wehrgraben (Abb. 3). Doch es war nicht das erste
                                                                                                                     Gebäude vor Verände-
Gebäude auf dieser Straßenseite, denn bereits auf                                                                    rungen bewahrt blieb.
der fünf Jahre zuvor gezeichneten Pürschge-
richtskarte lugt in diesem Bereich die Spitze eines
Satteldachs hervor.

Ein Fachwerkbau
                                                      der seit langer Zeit verstellten Südseite hat sich der
Unter dem Außenputz verbirgt sich in beiden Ge-       Aufbau des Fachwerks am vollständigsten erhal-
schossen ein Fachwerk mit hohen Fußstreben an         ten (Abb. 4).
den Bundständern, paarweise angeordneten klei-        Ein markantes Zierelement bilden verbreiterte
nen Fensteröffnungen an den Zwischenständern          Köpfe der Bundständer mit Vertiefungen, in wel-
und kurzen, geschwungenen Fußstreben unter-           che der Wandputz reicht (Abb. 5 oben). Die Bund-
halb derselben (Abb. 6). Die langen Fußstreben des    ständer gründen im Wechsel entweder stumpf mit
Erdgeschosses sind gerade, diejenigen des Ober-       seitlich einzapfenden Schwellen oder sie sind den
geschosses aber leicht geschwungen. Wie für Rott-     Schwellen aufgestülpt. Das Obergeschoss ließ man
weil üblich, ist das Fachwerk in Gänze aus Nadel-     nach allen vier Seiten über einer Profilierung aus
holz gezimmert, sodass geschwungene Bauteile          Kehlen und Wülsten vorkragen (Abb. 5 unten). Um
aus breiteren geraden Hölzern geschnitten werden      dies zu ermöglichen, sind Decken- und Stichbal-
mussten. Als Fensterverschluss dienten lediglich      ken von innen her mit schwalbenschanzförmigem
Holzläden, denn es war anfangs nur auf der            Blatt in das Profilholz eingelassen und halten es auf
Außenseite ein umlaufender Falz vorgesehen. An        diese Weise in Position, ohne nach außen in Er-

                                                                                                                     5 Isometrie eines verdick-
                                                                                                                     ten Ständerkopfs mit
                                                                                                                     Zierformen (links) und
                                                                                                                     profilierte Schwelle der
                                                                                                                     Vorkragung des Ober-
                                                                                                                     geschosses.

                                                                                                                     6 Rekonstruktionszeich-
                                                                                                                     nungen des ursprüng-
                                                                                                                     lichen Zustands: Trauf-
                                                                                                                     seiten zur Straße mit drei
                                                                                                                     Toren und über dem
                                                                                                                     Schwarzen Graben (links),
                                                                                                                     südliche Giebelseite mit
                                                                                                                     einem Tor und Quer-
                                                                                                                     schnitt (rechts); die er-
                                                                                                                     haltenen Bauteile sind
                                                                                                                     jeweils grau gefärbt.

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018   135
Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
scheinung zu treten. Für einen sauberen Übergang      Ein Gebäude für die Armbrustschützen
                            an den Ecken sind die Profilbalken dort auf Geh-
                            rung geschnitten.                                     Eine Reihe archivalischer Sachverhalte, die Win-
                            Das Dachwerk ist mit einem liegenden Stuhl und        fried Hecht und Werner Wittmann im Rahmen ih-
                            angeblatteten Aussteifungshölzern abgezimmert         rer Forschungen zur Stadtgeschichte zusammen-
                            (Abb. 6, Querschnitt). Die Giebeldreiecke erhoben     tragen konnten, lassen auf die früheren Nutzer
                            sich einst auf einer weiteren Auskragung. Sie wur-    schließen. Einträge in den Stadtrechnungen ver-
                            den beide in späterer Zeit ersetzt und ihr genauer    weisen auf die Errichtung eines Hauses für die Arm-
                            Aufbau lässt sich derzeit nicht nachvollziehen.       brustschützen innerhalb des Waldtorvororts im
                            Erd- und Obergeschoss umfassten anfänglich je-        Jahr 1569 – dem durch die Jahrringdatierung er-
                            weils nur einen einzigen ungeteilten Raum von         mittelten Baujahr. Zudem lag das Übungsgelände
                            etwa 18 m Länge und 9,5 m Breite, in dem drei frei-   der Armbrustschützen innerhalb des Schwarzen
                            stehende Stützen mit geschwungenen Kopfstre-          Grabens gleich nebenan.
                            ben nach allen vier Seiten das Gebälk trugen. Im      Die Armbrust war lange Zeit die Hauptwaffe der
7 Armbrustschützen als      Erdgeschoss gab es insgesamt fünf große Öff-          Bürgerwehren, da sich im Unterschied zu den Bo-
Verteidiger bei der Bela-   nungen, drei an der Längsseite zur Straße und eine    genschützen die Ausbildung einfacher gestaltete
gerung der Stadt in einer   an jeder Giebelseite. Sie hatten auf der Innenseite   und weniger Übung erforderte (Abb. 7). Da die frü-
Miniatur der Rottweiler     einen breiten Falz, waren also als Tore zum Öff-      hen Pulverwaffen bei Regen ihren Dienst versag-
Hofgerichtsordnung, um      nen vorgesehen. Ihre Lage jeweils seitlich einer      ten, waren Armbrüste bis in die Zeit des Dreißig-
1430.
                            Querbundachse machte eine zusätzliche halbe           jährigen Kriegs als Waffe in Gebrauch. Schützen-
                            Querzone erforderlich, was eine asymmetrische         gilden organisierten regelmäßiges Training und
                            Gliederung des Fachwerks an den Traufseiten des       Schützenwettbewerbe. Als Teil des Stadtregiments
                            Obergeschosses zur Folge hatte.                       wurden die Schützen von der Stadt finanziert, so
                            Ein nachträglich geschaffenes oder vergrößertes       auch in Rottweil. Sie bekamen unter anderem Ho-
                            Treppenloch konnte an der südlichen Schmalseite       sen in den Stadtfarben gestellt, den Sold des Schüt-
                            dokumentiert werden, doch ließ sich nicht nach-       zenmeisters bestritt die Stadtkasse und auch die
                            weisen, ob es sich tatsächlich um die ursprüngli-     Errichtung des neuen Schützenhauses erfolgte un-
                            che Lage der Treppe handelt. Die in den Graben-       ter städtischer Regie. Daneben gab es auch die
                            bereich geschobene Hälfte des Gebäudes ruhte an-      Büchsenschützen, die weiter draußen südlich der
                            fangs vermutlich auf einem offenen Stützgerüst.       Stadt angesiedelt waren.
                            Die äußere Grabenmauer hat sich innerhalb des
                            Gebäudes und in der Lücke zum nördlichen Nach-        Vergleichbare Bauten
                            barhaus erhalten.
                            Das Gebäude stand allseitig frei, zeigte auf allen    Zum Vergleich können zwei Beispiele von Schüt-
8 Schützenhaus in
                            vier Seiten denselben Fachwerkaufbau und die pro-     zenhäusern herangezogen werden, deren Bauge-
Schwäbisch Gmünd, bis
1840 vor dem Wald-
                            filierte Auskragung verlief rundherum. Lediglich      stalt dokumentiert ist, auch wenn sie in beiden Fäl-
stetter Tor gelegen         an der zum Graben gerichteten Längsseite ver-         len nicht auf Armbrust- sondern auf Büchsen-
(Dominikus Debler,          zichtete man auf die Zierformen an den Ständer-       schützen zurückgingen. Der Schießplatz von
Chronika XII, um 1810,      köpfen. Es wurde also keine ausgeprägte Fassade       Schwäbisch Gmünd lag südlich der Stadt vor dem
S. 476).                    zu einer Seite hin geschaffen.                        Waldstetter Tor. Auf einer Seite der Straße befand
                                                                                  sich die Schießbahn mit Schießstand, auf der an-
                                                                                  deren das Schützenhaus. In dem um 1810 ent-
                                                                                  standenen zwölften Band der Chronik Dominikus
                                                                                  Deblers findet sich die zeichnerische Darstellung
                                                                                  eines zweigeschossigen Fachwerkbaus in zwei Ver-
                                                                                  sionen aus der Hand desselben Zeichners, wo eine
                                                                                  Federzeichnung nachträglich mit einer kolorierten
                                                                                  Federzeichnung überklebt wurde. Beide Zeich-
                                                                                  nungen zeigen eine durchgehende Reihung ver-
                                                                                  glaster Fenster mit zierenden Bekrönungen im
                                                                                  Obergeschoss, hinter denen sich eine Zechstube
                                                                                  befand. Den Unterschied macht das Erdgeschoss
                                                                                  aus, wo in der Vorzeichnung ein geschlossenes
                                                                                  Rautenfachwerk zu sehen ist, während beim auf-
                                                                                  geklebten Blatt offene Lauben oder Toröffnungen
                                                                                  erkennbar sind, die den Eindruck vermitteln, als
                                                                                  seien sie nachträglich mit Fachwerk geschlossen
                                                                                  worden. Vermutlich war es dem Chronisten wich-

                     136    Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018
9 Das Kaufhaus in der
                                                                                                                     Form eines zweigeschos-
                                                                                                                     sigen Fachwerkbaus, das
                                                                                                                     bis 1802 im Straßenraum
                                                                                                                     der Hochbrücktorstraße
                                                                                                                     stand; Darstellung auf der
                                                                                                                     Pürschgerichtskarte von
                                                                                                                     1564 (im Stadtmuseum).

tig, genau diesen Sachverhalt zum Ausdruck zu         wie von Winfried Hecht vermutet (siehe Literatur:
bringen (Abb. 8; siehe Literatur: Strobel).           Hecht).
Das südöstlich vor der Stadt Leonberg gelegene        Mit den hohen erkergeschmückten Bürgerhäusern
Schützenhaus setzte sich aus mehreren Abschnit-       der Stadt, die sich mit gemauerten Umfassungs-
ten zusammen. 1581 fügte man an ein älteres Ge-       wänden zu geschlossenen Häuserzeilen mit aus-
bäude eine Erweiterung an. Über gemauertem Erd-       geprägten Straßenfassaden reihen, hatte das
geschoss nahm ein Fachwerkobergeschoss einen          Schützenhaus keinerlei Gemeinsamkeiten, wohl
Saal auf, der mit Bretterbalkendecke und langer       aber mit Bauten, die einst innerhalb der breiten
Fensterreihe ausgezeichnet war. 1653 ersetzte         Marktstraßen ihren Platz hatten. Sie sind auf der
man den ältesten Bau. 1771 wurde das Schüt-           Pürschgerichtskarte von 1564 wiedergegeben:                    Glossar
zenhaus zu einem Bauernhaus umgewandelt.              Brotlaube, Wachthaus mit Kürschnerlaube, Met-
Wegen vieler Um- und Anbauten wurde es später         zig und Kaufhaus (siehe Literatur: Steinhauser). Sie           Bundständer
als Denkmal nicht erkannt, sodass es vor seinem       dienten als Marktbauten und zumindest einige                   Tragender Ständer eines
Abriss 1994 nur noch im Rahmen einer bauhisto-        von ihnen nahmen im Obergeschoss Versamm-                      Holzgerüsts im Kreuzungs-
                                                                                                                     punkt zweier Bundebenen
rischen Untersuchung dokumentiert werden              lungsräume der Zünfte und des Hofgerichts auf.
                                                                                                                     in Längs- und Querrich-
konnte (siehe Literatur: Seidel).                     Unter ihnen zeigte das Kaufhaus in der Hoch-                   tung.
Gemeinsamkeiten der Schützenhäuser von                brücktorstraße die größte Ähnlichkeit mit dem Ge-
Gmünd und Leonberg sind die freistehende Lage         bäude in der Waldtorstraße (Abb. 9). Diese Bauten              Deicheln
außerhalb der Stadtmauern, die Höhe von nur           wurden 1785 und zuletzt das Kaufhaus 1802 ab-                  Rohrleitungen, hergestellt
zwei Geschossen, die Bauweise zumindest teil-         gebrochen, da man befürchtete, sie könnten im                  aus Baumstämmen, die der
weise in Fachwerk und ein Saal für Zusammen-          Falle eines Brands in der Stadt Ursache für ein Über-          Länge nach durchbohrt
künfte und Feierlichkeiten im Obergeschoss. Das       springen des Feuers über die breiten Marktstraßen              waren.
Schützenhaus in der Waldtorstraße in Rottweil         hinweg sein.
                                                                                                                     Fußstrebe
hatte seinen Standort zwar innerhalb des verdich-
                                                                                                                     Verzapfte Strebe, die von
teten städtischen Baugefüges, wurde dessen un-        Die weitere Geschichte                                         der Schwelle zum Ständer
geachtet dennoch in der Form eines freistehenden                                                                     aufsteigt und der Ausstei-
zweigeschossigen Fachwerkgebäudes errichtet.          Das Obergeschoss des Hauses Waldtorstraße 12                   fung des Ständergerüsts
Allerdings kann aufgrund seiner kleinen Fenster       wurde im 17. oder frühen 18. Jahrhundert in Ein-               dient.
nach allen Seiten und des Fehlens einer entspre-      zelräume aufgeteilt. Um 1815 lässt sich die Nen-
chenden Ausstattung ein Saal ausgeschlossen wer-      nung einer Stadtschreiberei auf das Gebäude be-                Metzig
den. Es darf daher vermutet werden, dass man Ziel-    ziehen, wonach ein verhältnismäßig großer Eck-                 Gebäude für die Schlach-
scheiben und sonstiges Zubehör unterbrachte,          raum möglicherweise nicht als Wohnstube,                       tung und den Verkauf von
                                                                                                                     Fleisch.
möglicherweise auch Fahnen, Schützenscheiben,         sondern als städtische Schreibstube gedeutet wer-
Trophäen usw. präsentierte und hier vielleicht auch   den muss. Zugleich war hier der Bauhof angesie-                Schwelle
Armbrüste aufbewahrte. Versammlungen fanden           delt. Im Rahmen dieser Funktion könnte auch die
                                                                                                                     Horizontales lastverteilen-
in einer bereits 1541 erwähnten Armbrustschüt-        Kalkgrube angelegt worden sein, die bei Umbau-                 des Holz, auf dem das
zenstube statt, aller Wahrscheinlichkeit nach das     ten im Untergeschoss zutage kam. Auch das Dei-                 Holzgerüst gründet und die
frühere Gasthaus Torstüble im Nachbargebäude,         chellager der Stadt befand sich hier. Erst 1826 ging           Deckenbalken aufliegen.

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018   137
Umbauten von der ursprünglichen Bausubstanz
                                                                               nur knapp die Hälfte übrig gelassen haben. Die
                                                                               weitaus größten Verluste erlitt die Straßenseite,
                                                                               wo das Obergeschoss die breitesten Lücken auf-
                                                                               weist und sich der frühere Zustand des Erdge-
                                                                               schosses einzig anhand von Zapfenlöchern nach-
                                                                               vollziehen lässt. Demgegenüber ist die Rückseite
                                                                               zum Schwarzen Graben vergleichsweise vollstän-
                                                                               dig erhalten.
                                                                               Trotz der eingeschränkten Überlieferung hätte der
                                                                               Abriss in mehrfacher Hinsicht einen schmerzlichen
                                                                               Verlust für die Stadt bedeutet. Das Gebäude er-
                                                                               innert an die Armbrustschützen, die bis in die Zeit
                                                                               des Dreißigjährigen Kriegs die Verteidigung der
                                                                               Stadt bei feindlichen Angriffen zur Aufgabe hat-
                                                                               ten. Auch in Friedenszeiten zeigten sie vielfache
                                                                               Präsenz und bildeten die Sebastiansbruderschaft,
                                                                               die einen eigenen Altar in der Kirche der Domini-
                                                                               kaner unterhielt und seelsorgerische Aufgaben er-
                                                                               füllte. Auch durch die Ähnlichkeit mit den frühe-
                                                                               ren Marktbauten, die einst in ganz besonderer
10 Querschnitt im heu-    das Gebäude in Privatbesitz über und diente fortan   Weise das Stadtbild prägten, gewinnt das Ge-
tigen Zustand mit Ge-     als Wohnhaus. Teile der Ausstattung in Form von      bäude an bauhistorischer Aussagekraft. Zwar liegt
wölbekeller im früheren   Wandvertäfelungen und einfachem Deckenstuck          das Holzgerüst hinter Putz verborgen, doch allein
Grabenbereich und An-     haben sich im Obergeschoss erhalten. Das Ein-        schon die geringe Höhe und breitgelagerten Pro-
deutung des Erdrutsches                                                        portionen erscheinen nun – in Kenntnis der Bau-
                          schneiden großer, gleichmäßiger Fensteröffnun-
von 2016 infolge einer
                          gen ins Fachwerk machte einen flächigen Außen-       geschichte – nicht mehr unpassend, sondern las-
eingestürzten Keller-
wand.
                          putz erforderlich. 1876 erfolgte der Einbau eines    sen sich als Ausdruck seiner einst außergewöhn-
                          Ladens und einer Wohnung im Erdgeschoss, 1882        lichen Funktion verstehen.
                          setzte man den breiten Quergiebel in klassizisti-    Die eingestürzte Kellerwand konnte inzwischen
                          schen Formen mit Gesimsen und einem Rundfens-        gesichert werden. Es bleibt zu wünschen, dass sich
                          ter auf, um auch im Dachraum eine attraktive         für das Gebäude eine angemessene Nutzung fin-
                          Wohnung zu schaffen. Erst mit dem vergrößerten       det, die ihm eine neue Zukunft sichert und es zu
                          Neubau des anstoßenden Nachbargebäudes bil-          einer Zierde des Stadtbilds werden lässt.
                          dete sich in den 1930er Jahren auch hier eine ge-
                          schlossene Häuserzeile mit durchlaufender Fassa-     Literatur
                          denflucht heraus. 1949 wurde eine Eisdiele ein-
                          gerichtet.                                           Schwarzwälder Bote vom 4., 13., 23. Februar und
                          Im Untergeschoss hatte man den in den Graben         1. Juni 2016, NRWZ vom 20. Februar 2016.
                          vorspringenden Bereich umbaut und einen Ge-          Armin Seidel: Das Schießhaus in Leonberg – Auf Spu-
                          wölbekeller angelegt (Abb. 10). Durch Aushöhlen      rensuche zu einem zu spät erkannten Baudenkmal,
                          des Erdreichs hinter der Grabenmauer konnte ein      in: Südwestdeutsche Beiträge zur historischen Bau-
                          weiterer Kellerraum gewonnen werden. Dessen          forschung, Band 4, 1999, S. 247– 258.
                          Stützwand war es, die 2016 einbrach und zum ein-     Richard Strobel: Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwä-
                          gangs erwähnten Erdrutsch führte. Vor wenigen        bisch Gmünd III: Profanbauten der Altstadt, München
                          Jahren wurde auch die südliche Hälfte des Unter-     1995, S. 347, 350.
                          geschosses durch Abtragen der äußeren Graben-        Winfried Hecht: Armbrustschützen und Sebastians-
                          mauer vollständig unterkellert.                      Bruderschaft in Rottweil, Rottweil 1983.
                                                                               August Steinhauser: Das Stadtbild von Rottweil in sei-
                          Historische Bedeutung                                ner geschichtlichen Entwicklung, Rottweil 1943
                                                                               (Marktbauten: S. 26–34).
                          Auch wenn der Aufbau des Fachwerks mit Aus-
                          nahme der beiden Giebeldreiecke zeichnerisch         Stefan King
                          vollständig rekonstruiert werden kann, darf dies     Kandelstraße 8
                          nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche        79106 Freiburg

                    138   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018
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