Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen
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Ein Fremdkörper im Stadtbild? Das Haus der Rottweiler Armbrustschützen Beinahe wäre nur noch ein Nachruf möglich gewesen. Von einer undichten Wasserleitung unterspült, brach im Februar 2016 ein Teil der Kellerwand des leerstehenden Gebäudes Waldtorstraße 12 in Rottweil ein und ließ ein tiefes Loch im Gehweg entstehen. Obwohl sich das Haus innerhalb des mittelalter- lichen Stadtkerns befindet, nur einen Steinwurf vom Schwarzen Tor entfernt, erregte der in der Presse angekündigte Abriss zunächst kaum öffentliches Aufsehen. Offenbar nahm der im Bau befindliche ThyssenKrupp-Testturm die Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch. Das Gebäude zeigt sich in einem wenig ansehnlichen Zustand, und es will mit seiner geringen Höhe von nur zwei Geschossen und einem breitgelagerten Quergiebel so gar nicht zu den drei- und viergeschossigen erkergeschmückten Bürgerhäusern in seiner Nach- barschaft passen. Doch gerade hierin liegt der Schlüssel zu seiner bemerkens- werten Geschichte. Stefan King In den 1980er Jahren erfolgte in Rottweil die sys- als solches nicht als Kulturdenkmal erfasst (Abb. 1). tematische Erhebung der Kulturdenkmale. Damals Im Laufe der Zeit konnten jedoch einige Informa- ließen Außenputz und Innenverkleidungen des tionen zur Baugeschichte zusammengetragen wer- Hauses nicht erkennen, was sie verbergen. Auch den. Unter anderem war im Jahr 2000 im Rahmen verhinderte das ausgebaute Dachgeschoss den von Renovierungsarbeiten eine dendrochronolo- Blick auf die Dachkonstruktion. Das Haus ver- gische Datierung ins Jahr 1569 möglich gewesen. mittelte den Eindruck eines gestalterisch wenig ge- Als nach dem Einsturz der Kellerwand der Abriss glückten Lückenfüllers geringen Alters und wurde erwogen wurde, war es höchste Zeit, über die 1 Das Gebäude Waldtor- straße 12 mit nur zwei Geschossen und breit gelagertem Quergiebel. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018 133
2 Stadtgrundriss mit dem Presse Alarm zu schlagen. Mit einer provisorischen den darauffolgenden Tagen ein aufgeregtes Hin Verlauf der ersten Stadt- Sicherung war die Situation kurzfristig stabilisiert und Her, bis dem Gebäude schließlich der Denk- befestigung (gelb) und worden. Das Loch mitten im Gehweg wirkte be- malstatus zuerkannt werden konnte. Gleichzeitig der wenig später ange- drohlich, reale Gefahr des Einsturzes bestand hin- gab es die Möglichkeit zu einer abermaligen kur- legten Vorstadt (rot), da- zen Untersuchung, die eine weitgehende zeich- gegen nur für jenen Teil der Kellerdecke, dem das zwischen das Gebäude Auflager verloren gegangen war. Doch da man Ge- nerische Rekonstruktion des ursprünglichen Zu- Waldtorstraße 12 (blau). fahr für die öffentliche Sicherheit sah, gab es in stands erlaubte. 3 Querschnittprofil mit dem untersuchten Ge- Lage des Gebäudes bäude zwischen Waldtor- straße und Schwarzem Um die Wende zum 13. Jahrhundert hatte man für Graben, im Hintergrund die Verlagerung des Siedlungsgebiets eine strate- das Schwarze Tor; einge- gisch günstige Stelle hoch über dem Neckar zwi- strichelt ist die äußere schen zwei tiefen Taleinschnitten gewählt. Der neu Grabenmauer innerhalb ausgelegte Stadtgrundriss bekam ein Kreuz aus des Gebäudes. breiten Marktstraßen und einen etwa quadrati- schen Umriss (Abb. 2). Nur die Westseite bedurfte einer ausgeprägten Befestigung, bestehend aus ei- ner hohen Wehrmauer, einem Graben mit äußerer Grabenmauer und dem Schwarzen Tor als Stadt- zugang. Das davor ansteigende Hanggelände war zur Verteidigung jedoch wenig günstig, weshalb man nach kurzer Zeit eine Vorstadt auf dreieckiger Grundfläche hinzufügte, an deren Spitze und zu- gleich höchstgelegener Stelle der Hochturm auf- ragt. Der Mauerzug mit dem Schwarzen Tor war nun zwar überflüssig, blieb aber bestehen. An der Stelle des Wehrgrabens befindet sich noch heute eine als Schwarzer Graben bezeichnete Erschlie- ßungsgasse auf tieferem Niveau. Die von Südwesten hereinführende Straße, heute die Waldtorstraße, verlief entlang des Schwarzen 134 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018
Grabens und war anfangs nur auf einer Seite mit 4 Das am vollständigs- Häusern bebaut. 1569 errichtete man das hier be- ten erhaltene Teilstück handelte Gebäude auf der anderen Straßenseite. des Fachwerkgerüsts im Um den Straßenraum nicht zu sehr einzuengen, Obergeschoss mit frü- herem Doppelfenster, schob man es zur Hälfte über den 14 m breiten das durch anstoßende Wehrgraben (Abb. 3). Doch es war nicht das erste Gebäude vor Verände- Gebäude auf dieser Straßenseite, denn bereits auf rungen bewahrt blieb. der fünf Jahre zuvor gezeichneten Pürschge- richtskarte lugt in diesem Bereich die Spitze eines Satteldachs hervor. Ein Fachwerkbau der seit langer Zeit verstellten Südseite hat sich der Unter dem Außenputz verbirgt sich in beiden Ge- Aufbau des Fachwerks am vollständigsten erhal- schossen ein Fachwerk mit hohen Fußstreben an ten (Abb. 4). den Bundständern, paarweise angeordneten klei- Ein markantes Zierelement bilden verbreiterte nen Fensteröffnungen an den Zwischenständern Köpfe der Bundständer mit Vertiefungen, in wel- und kurzen, geschwungenen Fußstreben unter- che der Wandputz reicht (Abb. 5 oben). Die Bund- halb derselben (Abb. 6). Die langen Fußstreben des ständer gründen im Wechsel entweder stumpf mit Erdgeschosses sind gerade, diejenigen des Ober- seitlich einzapfenden Schwellen oder sie sind den geschosses aber leicht geschwungen. Wie für Rott- Schwellen aufgestülpt. Das Obergeschoss ließ man weil üblich, ist das Fachwerk in Gänze aus Nadel- nach allen vier Seiten über einer Profilierung aus holz gezimmert, sodass geschwungene Bauteile Kehlen und Wülsten vorkragen (Abb. 5 unten). Um aus breiteren geraden Hölzern geschnitten werden dies zu ermöglichen, sind Decken- und Stichbal- mussten. Als Fensterverschluss dienten lediglich ken von innen her mit schwalbenschanzförmigem Holzläden, denn es war anfangs nur auf der Blatt in das Profilholz eingelassen und halten es auf Außenseite ein umlaufender Falz vorgesehen. An diese Weise in Position, ohne nach außen in Er- 5 Isometrie eines verdick- ten Ständerkopfs mit Zierformen (links) und profilierte Schwelle der Vorkragung des Ober- geschosses. 6 Rekonstruktionszeich- nungen des ursprüng- lichen Zustands: Trauf- seiten zur Straße mit drei Toren und über dem Schwarzen Graben (links), südliche Giebelseite mit einem Tor und Quer- schnitt (rechts); die er- haltenen Bauteile sind jeweils grau gefärbt. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018 135
scheinung zu treten. Für einen sauberen Übergang Ein Gebäude für die Armbrustschützen an den Ecken sind die Profilbalken dort auf Geh- rung geschnitten. Eine Reihe archivalischer Sachverhalte, die Win- Das Dachwerk ist mit einem liegenden Stuhl und fried Hecht und Werner Wittmann im Rahmen ih- angeblatteten Aussteifungshölzern abgezimmert rer Forschungen zur Stadtgeschichte zusammen- (Abb. 6, Querschnitt). Die Giebeldreiecke erhoben tragen konnten, lassen auf die früheren Nutzer sich einst auf einer weiteren Auskragung. Sie wur- schließen. Einträge in den Stadtrechnungen ver- den beide in späterer Zeit ersetzt und ihr genauer weisen auf die Errichtung eines Hauses für die Arm- Aufbau lässt sich derzeit nicht nachvollziehen. brustschützen innerhalb des Waldtorvororts im Erd- und Obergeschoss umfassten anfänglich je- Jahr 1569 – dem durch die Jahrringdatierung er- weils nur einen einzigen ungeteilten Raum von mittelten Baujahr. Zudem lag das Übungsgelände etwa 18 m Länge und 9,5 m Breite, in dem drei frei- der Armbrustschützen innerhalb des Schwarzen stehende Stützen mit geschwungenen Kopfstre- Grabens gleich nebenan. ben nach allen vier Seiten das Gebälk trugen. Im Die Armbrust war lange Zeit die Hauptwaffe der 7 Armbrustschützen als Erdgeschoss gab es insgesamt fünf große Öff- Bürgerwehren, da sich im Unterschied zu den Bo- Verteidiger bei der Bela- nungen, drei an der Längsseite zur Straße und eine genschützen die Ausbildung einfacher gestaltete gerung der Stadt in einer an jeder Giebelseite. Sie hatten auf der Innenseite und weniger Übung erforderte (Abb. 7). Da die frü- Miniatur der Rottweiler einen breiten Falz, waren also als Tore zum Öff- hen Pulverwaffen bei Regen ihren Dienst versag- Hofgerichtsordnung, um nen vorgesehen. Ihre Lage jeweils seitlich einer ten, waren Armbrüste bis in die Zeit des Dreißig- 1430. Querbundachse machte eine zusätzliche halbe jährigen Kriegs als Waffe in Gebrauch. Schützen- Querzone erforderlich, was eine asymmetrische gilden organisierten regelmäßiges Training und Gliederung des Fachwerks an den Traufseiten des Schützenwettbewerbe. Als Teil des Stadtregiments Obergeschosses zur Folge hatte. wurden die Schützen von der Stadt finanziert, so Ein nachträglich geschaffenes oder vergrößertes auch in Rottweil. Sie bekamen unter anderem Ho- Treppenloch konnte an der südlichen Schmalseite sen in den Stadtfarben gestellt, den Sold des Schüt- dokumentiert werden, doch ließ sich nicht nach- zenmeisters bestritt die Stadtkasse und auch die weisen, ob es sich tatsächlich um die ursprüngli- Errichtung des neuen Schützenhauses erfolgte un- che Lage der Treppe handelt. Die in den Graben- ter städtischer Regie. Daneben gab es auch die bereich geschobene Hälfte des Gebäudes ruhte an- Büchsenschützen, die weiter draußen südlich der fangs vermutlich auf einem offenen Stützgerüst. Stadt angesiedelt waren. Die äußere Grabenmauer hat sich innerhalb des Gebäudes und in der Lücke zum nördlichen Nach- Vergleichbare Bauten barhaus erhalten. Das Gebäude stand allseitig frei, zeigte auf allen Zum Vergleich können zwei Beispiele von Schüt- 8 Schützenhaus in vier Seiten denselben Fachwerkaufbau und die pro- zenhäusern herangezogen werden, deren Bauge- Schwäbisch Gmünd, bis 1840 vor dem Wald- filierte Auskragung verlief rundherum. Lediglich stalt dokumentiert ist, auch wenn sie in beiden Fäl- stetter Tor gelegen an der zum Graben gerichteten Längsseite ver- len nicht auf Armbrust- sondern auf Büchsen- (Dominikus Debler, zichtete man auf die Zierformen an den Ständer- schützen zurückgingen. Der Schießplatz von Chronika XII, um 1810, köpfen. Es wurde also keine ausgeprägte Fassade Schwäbisch Gmünd lag südlich der Stadt vor dem S. 476). zu einer Seite hin geschaffen. Waldstetter Tor. Auf einer Seite der Straße befand sich die Schießbahn mit Schießstand, auf der an- deren das Schützenhaus. In dem um 1810 ent- standenen zwölften Band der Chronik Dominikus Deblers findet sich die zeichnerische Darstellung eines zweigeschossigen Fachwerkbaus in zwei Ver- sionen aus der Hand desselben Zeichners, wo eine Federzeichnung nachträglich mit einer kolorierten Federzeichnung überklebt wurde. Beide Zeich- nungen zeigen eine durchgehende Reihung ver- glaster Fenster mit zierenden Bekrönungen im Obergeschoss, hinter denen sich eine Zechstube befand. Den Unterschied macht das Erdgeschoss aus, wo in der Vorzeichnung ein geschlossenes Rautenfachwerk zu sehen ist, während beim auf- geklebten Blatt offene Lauben oder Toröffnungen erkennbar sind, die den Eindruck vermitteln, als seien sie nachträglich mit Fachwerk geschlossen worden. Vermutlich war es dem Chronisten wich- 136 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018
9 Das Kaufhaus in der Form eines zweigeschos- sigen Fachwerkbaus, das bis 1802 im Straßenraum der Hochbrücktorstraße stand; Darstellung auf der Pürschgerichtskarte von 1564 (im Stadtmuseum). tig, genau diesen Sachverhalt zum Ausdruck zu wie von Winfried Hecht vermutet (siehe Literatur: bringen (Abb. 8; siehe Literatur: Strobel). Hecht). Das südöstlich vor der Stadt Leonberg gelegene Mit den hohen erkergeschmückten Bürgerhäusern Schützenhaus setzte sich aus mehreren Abschnit- der Stadt, die sich mit gemauerten Umfassungs- ten zusammen. 1581 fügte man an ein älteres Ge- wänden zu geschlossenen Häuserzeilen mit aus- bäude eine Erweiterung an. Über gemauertem Erd- geprägten Straßenfassaden reihen, hatte das geschoss nahm ein Fachwerkobergeschoss einen Schützenhaus keinerlei Gemeinsamkeiten, wohl Saal auf, der mit Bretterbalkendecke und langer aber mit Bauten, die einst innerhalb der breiten Fensterreihe ausgezeichnet war. 1653 ersetzte Marktstraßen ihren Platz hatten. Sie sind auf der man den ältesten Bau. 1771 wurde das Schüt- Pürschgerichtskarte von 1564 wiedergegeben: Glossar zenhaus zu einem Bauernhaus umgewandelt. Brotlaube, Wachthaus mit Kürschnerlaube, Met- Wegen vieler Um- und Anbauten wurde es später zig und Kaufhaus (siehe Literatur: Steinhauser). Sie Bundständer als Denkmal nicht erkannt, sodass es vor seinem dienten als Marktbauten und zumindest einige Tragender Ständer eines Abriss 1994 nur noch im Rahmen einer bauhisto- von ihnen nahmen im Obergeschoss Versamm- Holzgerüsts im Kreuzungs- punkt zweier Bundebenen rischen Untersuchung dokumentiert werden lungsräume der Zünfte und des Hofgerichts auf. in Längs- und Querrich- konnte (siehe Literatur: Seidel). Unter ihnen zeigte das Kaufhaus in der Hoch- tung. Gemeinsamkeiten der Schützenhäuser von brücktorstraße die größte Ähnlichkeit mit dem Ge- Gmünd und Leonberg sind die freistehende Lage bäude in der Waldtorstraße (Abb. 9). Diese Bauten Deicheln außerhalb der Stadtmauern, die Höhe von nur wurden 1785 und zuletzt das Kaufhaus 1802 ab- Rohrleitungen, hergestellt zwei Geschossen, die Bauweise zumindest teil- gebrochen, da man befürchtete, sie könnten im aus Baumstämmen, die der weise in Fachwerk und ein Saal für Zusammen- Falle eines Brands in der Stadt Ursache für ein Über- Länge nach durchbohrt künfte und Feierlichkeiten im Obergeschoss. Das springen des Feuers über die breiten Marktstraßen waren. Schützenhaus in der Waldtorstraße in Rottweil hinweg sein. Fußstrebe hatte seinen Standort zwar innerhalb des verdich- Verzapfte Strebe, die von teten städtischen Baugefüges, wurde dessen un- Die weitere Geschichte der Schwelle zum Ständer geachtet dennoch in der Form eines freistehenden aufsteigt und der Ausstei- zweigeschossigen Fachwerkgebäudes errichtet. Das Obergeschoss des Hauses Waldtorstraße 12 fung des Ständergerüsts Allerdings kann aufgrund seiner kleinen Fenster wurde im 17. oder frühen 18. Jahrhundert in Ein- dient. nach allen Seiten und des Fehlens einer entspre- zelräume aufgeteilt. Um 1815 lässt sich die Nen- chenden Ausstattung ein Saal ausgeschlossen wer- nung einer Stadtschreiberei auf das Gebäude be- Metzig den. Es darf daher vermutet werden, dass man Ziel- ziehen, wonach ein verhältnismäßig großer Eck- Gebäude für die Schlach- scheiben und sonstiges Zubehör unterbrachte, raum möglicherweise nicht als Wohnstube, tung und den Verkauf von Fleisch. möglicherweise auch Fahnen, Schützenscheiben, sondern als städtische Schreibstube gedeutet wer- Trophäen usw. präsentierte und hier vielleicht auch den muss. Zugleich war hier der Bauhof angesie- Schwelle Armbrüste aufbewahrte. Versammlungen fanden delt. Im Rahmen dieser Funktion könnte auch die Horizontales lastverteilen- in einer bereits 1541 erwähnten Armbrustschüt- Kalkgrube angelegt worden sein, die bei Umbau- des Holz, auf dem das zenstube statt, aller Wahrscheinlichkeit nach das ten im Untergeschoss zutage kam. Auch das Dei- Holzgerüst gründet und die frühere Gasthaus Torstüble im Nachbargebäude, chellager der Stadt befand sich hier. Erst 1826 ging Deckenbalken aufliegen. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018 137
Umbauten von der ursprünglichen Bausubstanz nur knapp die Hälfte übrig gelassen haben. Die weitaus größten Verluste erlitt die Straßenseite, wo das Obergeschoss die breitesten Lücken auf- weist und sich der frühere Zustand des Erdge- schosses einzig anhand von Zapfenlöchern nach- vollziehen lässt. Demgegenüber ist die Rückseite zum Schwarzen Graben vergleichsweise vollstän- dig erhalten. Trotz der eingeschränkten Überlieferung hätte der Abriss in mehrfacher Hinsicht einen schmerzlichen Verlust für die Stadt bedeutet. Das Gebäude er- innert an die Armbrustschützen, die bis in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs die Verteidigung der Stadt bei feindlichen Angriffen zur Aufgabe hat- ten. Auch in Friedenszeiten zeigten sie vielfache Präsenz und bildeten die Sebastiansbruderschaft, die einen eigenen Altar in der Kirche der Domini- kaner unterhielt und seelsorgerische Aufgaben er- füllte. Auch durch die Ähnlichkeit mit den frühe- ren Marktbauten, die einst in ganz besonderer 10 Querschnitt im heu- das Gebäude in Privatbesitz über und diente fortan Weise das Stadtbild prägten, gewinnt das Ge- tigen Zustand mit Ge- als Wohnhaus. Teile der Ausstattung in Form von bäude an bauhistorischer Aussagekraft. Zwar liegt wölbekeller im früheren Wandvertäfelungen und einfachem Deckenstuck das Holzgerüst hinter Putz verborgen, doch allein Grabenbereich und An- haben sich im Obergeschoss erhalten. Das Ein- schon die geringe Höhe und breitgelagerten Pro- deutung des Erdrutsches portionen erscheinen nun – in Kenntnis der Bau- schneiden großer, gleichmäßiger Fensteröffnun- von 2016 infolge einer gen ins Fachwerk machte einen flächigen Außen- geschichte – nicht mehr unpassend, sondern las- eingestürzten Keller- wand. putz erforderlich. 1876 erfolgte der Einbau eines sen sich als Ausdruck seiner einst außergewöhn- Ladens und einer Wohnung im Erdgeschoss, 1882 lichen Funktion verstehen. setzte man den breiten Quergiebel in klassizisti- Die eingestürzte Kellerwand konnte inzwischen schen Formen mit Gesimsen und einem Rundfens- gesichert werden. Es bleibt zu wünschen, dass sich ter auf, um auch im Dachraum eine attraktive für das Gebäude eine angemessene Nutzung fin- Wohnung zu schaffen. Erst mit dem vergrößerten det, die ihm eine neue Zukunft sichert und es zu Neubau des anstoßenden Nachbargebäudes bil- einer Zierde des Stadtbilds werden lässt. dete sich in den 1930er Jahren auch hier eine ge- schlossene Häuserzeile mit durchlaufender Fassa- Literatur denflucht heraus. 1949 wurde eine Eisdiele ein- gerichtet. Schwarzwälder Bote vom 4., 13., 23. Februar und Im Untergeschoss hatte man den in den Graben 1. Juni 2016, NRWZ vom 20. Februar 2016. vorspringenden Bereich umbaut und einen Ge- Armin Seidel: Das Schießhaus in Leonberg – Auf Spu- wölbekeller angelegt (Abb. 10). Durch Aushöhlen rensuche zu einem zu spät erkannten Baudenkmal, des Erdreichs hinter der Grabenmauer konnte ein in: Südwestdeutsche Beiträge zur historischen Bau- weiterer Kellerraum gewonnen werden. Dessen forschung, Band 4, 1999, S. 247– 258. Stützwand war es, die 2016 einbrach und zum ein- Richard Strobel: Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwä- gangs erwähnten Erdrutsch führte. Vor wenigen bisch Gmünd III: Profanbauten der Altstadt, München Jahren wurde auch die südliche Hälfte des Unter- 1995, S. 347, 350. geschosses durch Abtragen der äußeren Graben- Winfried Hecht: Armbrustschützen und Sebastians- mauer vollständig unterkellert. Bruderschaft in Rottweil, Rottweil 1983. August Steinhauser: Das Stadtbild von Rottweil in sei- Historische Bedeutung ner geschichtlichen Entwicklung, Rottweil 1943 (Marktbauten: S. 26–34). Auch wenn der Aufbau des Fachwerks mit Aus- nahme der beiden Giebeldreiecke zeichnerisch Stefan King vollständig rekonstruiert werden kann, darf dies Kandelstraße 8 nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche 79106 Freiburg 138 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2 | 2018
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