Eine "neue" Präsenz? Lehren und Lernen an der Hochschule in Zeiten von Kontaktbeschränkungen - und danach - wirksam gestalten
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GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Diskussion 43 Eine „neue“ Präsenz? Lehren und Lernen an der Hochschule in Zeiten von Kontaktbeschränkungen – und danach – wirksam gestalten Frederik Dilling, Felicitas Pielsticker, Gero Stoffels und Ingo Witzke In Bezug auf den Einsatz digitaler Technologien 1 Präsenz zeigen hält H.-G. Weigand (2020, S. 65) in den Mitteilun- gen der GDM fest, dass der „Unterricht [. . . ] bisher Einfacher als zu definieren was es bedeutet „Prä- überwiegend [. . . ] auf den Präsenzunterricht im senz zu zeigen“, ist es wohl pointierte Beispie- Klassenzimmer ausgerichtet“ war und die aktuel- le anzugeben in denen tatsächlich „keine Prä- le Corona-Situation die Chance für Neukonzeptio- senz gezeigt wird“ (gerade in Zeiten der Corona- nen und kritisch-reflektierte und zukunftsorientier- Pandemie): te Überlegungen bietet. Daran anknüpfend wollen Studierende, deren weißer (Fantasie-)Name wir überlegen, ob sich damit einhergehend dann für auf schwarzem Grund im Videokonferenztool die Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen, insbe- prangt und die auch nach direkter Ansprache sondere mit Blick auf die Hochschulen, langfristig keine Regung von sich geben; eine gewissermaßen „neue“ Präsenz (in Anlehnung Dozierende, die wie non-adaptive Aufgabenda- an den z. Zt. populären Begriff „neue Normalität“) tenbanken und Ressourcenmaschine wirken, oh- ergeben wird, bzw. bereits ergibt. ne eigene Perspektiven sichtbar werden zu las- Fragen wir zunächst nach der Wortbedeutung sen. von Präsenz. Der Duden hält als erste Wortbedeu- tung für den Begriff der Präsenz fest: „Anwesen- Vorweg: Solche extremen Beispiele sind natürlich heit, [bewusst wahrgenommene] Gegenwärtigkeit“ selten und eine Übertreibung zur Illustration. Für (Duden, 2020). Wenn es sich nun um eine „neue“ produktive Lehr- und Lernprozesse wären sie dar- Präsenz handeln soll, wie können Lehrende und über hinaus Gift, insofern beide diese unterbinden. Lernende durch neu gewonnene Möglichkeiten des Dies gilt, nicht nur, aber insbesondere für das Leh- E-learnings oder von Kommunikationssystemen ren und Lernen von Mathematik und Mathematik- wie Zoom, WebEx oder MS Teams anwesend und didaktik, was sich auf ganz verschiedenen Ebenen bewusst gegenwärtig sein? Welche Chancen und diskutieren lässt: welche Herausforderungen ergeben sich im Um- Das Kommunizieren (Herkunft: „lateinisch com- gang mit dieser „neuen“ Präsenz? municatio = Mitteilung, Unterredung“ Duden, Eine Umfrage bei 50 Studierenden hat in Bezug 2020) als allgemeine mathematische Kompetenz und als Motivation auf dieses Thema „neue Prä- ist ein festes Element der normativen Setzung senz“ die in Abb. 1 gezeigte „Wortwolke“ ergeben. von Bildungsstandards (Kultusministerkonferenz, Die Studierenden sollten formlos zwei frei ge- 2003). Auch bei der Frage nach „sinnstiftendem wählte Stichworte dazu nennen, was ihnen bei der Mathematikunterricht“ bilden Interaktionsprozes- Gestaltung der „neuen“ Präsenz in ihren Lehrver- se, bspw. analysiert durch das epistemologische anstaltungen wichtig erscheint. Besonders viel Ge- Dreieck (Steinbring, 2000) oder eingebettet in ge- wicht – wegen einer häufigen Nennung – haben meinsame Erfahrungsräume (Bauersfeld, 1983) seit dabei entsprechend der Hervorhebung in Abb. 1 nunmehr vielen Jahrzehnten zentrale Gegenstän- die Stichworte „Gruppenarbeit“, „klare Aufgaben- de mathematikdidaktischer Forschung. Vor diesem stellungen“, „Abwechslung in den Arbeitsformen“, Hintergrund soll nun die Frage in den Blick ge- „Regelmäßiger Kontakt zu den Dozenten“, als auch nommen werden, was es eigentlich heißen kann „Feedback“, „klare Kommunikation“ und „Zusam- „Präsenz zu zeigen“. menarbeit“ erhalten. Im Anschluss an die genannten Beispiele aber Weitergehend haben wir zwei Fragen formuliert, auch Forderungen zur Präsenzlehre (vgl. bei- die wir mit diesem Beitrag zur Diskussion stellen spielsweise www.praesenzlehre.com) sollte Prä- möchten: senz wohl nicht als „bloße physische Anwesen- heit“ verstanden werden, sondern als Präsenz im 1. Wie können Lehrende und Lernende in dieser Diskurs, in der Kommunikation oder fachspezifi- Situation „Präsenz zeigen“? scher in der Auseinandersetzung mit mathemati- 2. Wie kann Präsenz strukturiert und effizient ge- schen Gegenständen in mathematischen Kontex- staltet werden? ten.
44 Diskussion GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Abbildung 1. Stichworteliste von 50 Studierenden zur „neuen“ Präsenz Die Vielfalt der Präsenz hinsichtlich verschie- der Beschreibung der Vielfalt der Präsenz, verschie- dener Weisen mathematischer Auseinanderset- dene Modalitäten der Auseinandersetzung ermög- zung, der Vielzahl mathematischer Gegenstände lichen. Zur Illustration sei hier noch einmal auf das und der Mannigfaltigkeit mathematischer Kon- Eingangsbeispiel der Studierenden verwiesen: Es texte wird zwar durch die jeweilig genutzten kann sein, dass sie sich einzeln mit den mathemati- (Kommunikations-)Werkzeuge und Modalitäten ih- schen oder mathematikdidaktischen Gegenständen res Einsatzes eingeschränkt, kann aber je nach ver- im Kontext der Videokonferenz auseinandersetzen, folgtem Ziel der Lehr- und Lernprozesse ausge- also ggf. mit den behandelten Inhalten und den Äu- wählt und angepasst werden. An dieser Stelle soll ßerungen der übrigen Akteure koppeln, nicht aber näher darauf eingegangen werden, was es nun hei- die erwünschte und prinzipiell mögliche Präsenz ßen kann, dass „Präsenz in mathematischen Lehr- durch aktive Teilnahme am Gespräch zeigen. und Lernsituationen gezeigt“ wird. Dazu sollen Zum anderen kann aber auch Präsenz von Akteu- zwei Perspektiven genannt werden. ren in mathematischen Lehr- und Lernprozessen Zum einen kann man als Akteur im Lehr- und explizit gezeigt werden. Dazu zeigt eine Beobachte- Lernprozess „Präsenz zeigen“, indem man sich rin oder ein Beobachter eine wie eben beschriebene selbst, möglicherweise – aber nicht notwendiger- strukturelle Kopplung auf. Ein solcher Beobachter weise – zusammen mit anderen Akteuren, mit ma- oder eine solche Beobachterin kann dabei natür- thematischen oder mathematikdidaktischen Gegen- lich auch selbst ein Akteur in der entsprechenden ständen in entsprechenden Kontexten auseinander- Auseinandersetzung sein und sogar anderen Ak- setzt. Die Präsenz des Akteurs zeigt sich dabei im teuren, die an der Auseinandersetzung teilhaben, Prozess und im Produkt der Auseinandersetzung. diese Auseinandersetzung explizit aufzeigen. Dazu Eine fruchtbare, recht allgemeine theoretische Rah- soll hier das zu Beginn erwähnte Beispiel der Do- mung für solche janusköpfigen Prozess-Produkt zierenden in den Blick genommen werden. Diese Verknüpfungen ist das Konzept der „strukturellen ermöglichen durch ihre Bereitstellung von Aufga- Kopplung“ (Reid & Mgombelo, 2015; Steinbring, ben und Ressourcen zwar eine Auseinandersetzung 2015). Dieses beschreibt, dass Akteure sich durch der Studierenden mit mathematischen oder mathe- ihre Auseinandersetzung mit mathematischen Ge- matikdidaktischen Gegenständen in dem von den genständen oder weiteren Akteuren innerhalb eines Dozierenden bestimmten Kontext. Es findet aller- mathematischen Kontexts „koppeln“. Insbesondere dings keine (Rück-)Kopplung mit den Studierenden können strukturelle Kopplungen, je nach Akteuren, statt, die ggf. neue Perspektiven eröffnen könnte mathematischen Gegenständen und Kontexten un- (Stoffels, 2020). Die Dozierenden zeigen somit in terschiedlich ausgestaltet sein und damit, wie bei diesem Sinne keine Präsenz.
GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Diskussion 45 2 Präsenz strukturieren das Hochladen von Vorlesungs- oder Seminarfolien bzw. das Herunterladen dieser Folien hinausgeht. Nachdem im vorherigen Abschnitt andiskutiert Es wurden oft aufwändige Lernangebote erstellt, wurde, wie Studierende und Dozierende auch ne- mit denen sich Studierende mit den Inhalten auf ben einer physischen Anwesenheit „Präsenz zeigen“ vielfältige Weise multimodal und multimedial aus- können, sollen nun Aspekte aufgeworfen werden, einandersetzen konnten. Damit sind die Studieren- wie diese „neue“ Präsenz gestaltet werden kann den dazu gezwungen, mehr Verantwortung für ih- und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. ren eigenen Lernprozess zu übernehmen und damit Betrachtet man das klassische Vorgehen in Semi- Präsenz zu zeigen, die weit über eine bloße An- naren und Vorlesungen an Universitäten (nicht nur, wesenheit hinausgeht. Die eigenständigen Arbeits- aber auch) im Rahmen eines Mathematikstudiums, phasen konnten durch gemeinsame Diskussionen so lässt sich bei der Betrachtung äußerer Merkmale in Chatportalen oder über Videokonferenzportale die Gemeinsamkeit feststellen, dass sich die betei- unterstützt werden. Die zuvor tiefe Auseinanderset- ligten Personen (Dozierende und Studierende) über zung mit dem Inhalt hat dabei im besten Fall auch ein Semester hinweg wöchentlich für ein oder zwei eine tiefgehende Diskussion zur Folge (z. B. durch Blöcke à 90 Minuten in Anwesenheit zusammen- Flipped Classroom), die in so manchen Präsenz- finden (also tatsächlich „zusammensetzen“) und seminaren oder -vorlesungen durchaus vermisst mathematischen oder mathematikdidaktischen Fra- werden konnten, da diese häufig nur auf ersten gestellungen nachgehen. Dieses Vorgehen ist lange Eindrücken und teilweise einer unzureichenden bewährt und die Dozierenden füllen die ihnen zu- Vorbereitung auf Seiten der Studierenden gründe- geschriebenen Zeiten zumeist mit sinnvollen Inhal- ten. ten und Methoden. Dennoch stellt sich die Frage, Solche fundamentalen Umstrukturierungen der ob eine solche vorgeschriebene Struktur zu den Universitätslehre haben wohl auch so manche Stu- doch sehr individuellen Lehrwegen der Dozieren- dierende vor Herausforderungen gestellt. Das ge- den und Lernwegen der Studierenden passt. So meinsame Bearbeiten von Aufgaben oder Wieder- wird wohl jeder Dozierende bereits die Situationen holen von Vorlesungsstoff in Lerngruppen oder erlebt haben, dass sich die zu einem Thema wich- schnelle und unkomplizierte Fragen an den Dozie- tigen Inhalte nicht sinnvoll in einen 90-Minuten- renden im Anschluss an die Vorlesung oder das Block „packen“ lassen, spannende Diskussionen Seminar schienen in der neuen Situation nicht mög- aufgrund der drängenden Zeit abgebrochen wer- lich. Umso wichtiger ist es in einer solchen Situati- den mussten, oder überlegt werden musste, wie on, den Studierenden umfassende Rückmeldungen man die Restzeit noch „füllen“ kann oder ob es sich zu ihren Arbeiten zu geben. Dies ist unweigerlich lohnt, bereits das nächste Thema anzufangen. damit verbunden, dass die Studierenden ihre Ar- Die seit dem letzten Semester neue Situation, beitsergebnisse aus den eigenständigen Arbeitspha- den kompletten bzw. einen Großteil des Lehrbe- sen zugänglich machen und dabei, wenn nötig auch triebs digital durchzuführen, hat Dozierende (und mehr Hausaufgaben einreichen, als sie es in den vor- Studierende) natürlicherweise zunächst vor große herigen „normalen“ Semestern gewohnt waren. Die Herausforderungen gestellt. So lässt sich das bis- Dozierenden haben dann wiederum die Verantwor- her übliche Vorgehen nicht ohne weiteres sinnvoll tung, ausführliches Feedback bereitzustellen, sei es in ein digitales Format transferieren. Als kurzes nun über individuell erstellte Kommentare und An- Beispiel sei die Durchführung eines Seminars in merkungen, automatisiertes adaptiertes Feedback, wöchentlichen 90-Minuten-Blöcken per Videokon- Peer-Review-Verfahren oder weitere „neue“ For- ferenzsystem analog zur klassischen Seminarveran- men der Beurteilung und Rückmeldung. Zusätzlich staltung zu nennen. Diese ist für alle beteiligten Per- ist zu beobachten, dass insbesondere Studierende sonen anstrengend und oft wenig zielführend. Um in den ersten Semestern teilweise erhebliche Proble- sinnstiftendes Lernen zu ermöglichen, sind neue me haben, ihre Lehr- und Lernzeiten eigenständig Vorgehensweisen und insbesondere neue Strukturen zu strukturieren (beachtet man beispielsweise, dass notwendig. Die bisher sicherlich unvergleichbare notwendige Informationen teilweise erst kurz vor Pandemiesituation hat uns damit gezwungen, das Abgabe von Hausübungen heruntergeladen wer- übliche Format grundlegend zu überdenken und den). Hier erscheint es sinnvoll – neben Material neue Wege einzuschlagen. für Selbstlernphasen – auch (virtuelle) verpflich- Mit der Abkehr von bisher üblichen Strukturen tende Präsenztermine in regelmäßigen Abständen entsteht aber auch die Freiheit, Lehr-Lern-Prozesse der Lehrveranstaltungen anzubieten, um die Stu- individueller zu gestalten. So hatten viele Dozieren- dierenden strukturell und kontinuierlich dabei zu de wie Studierende wahrscheinlich das erste Mal unterstützen, ihre Arbeitsbelastung besser zu ver- echten „Vollkontakt“ mit der jeweils an der Uni- teilen und zu planen, sowie den inhaltlichen und versität „genutzten“ Lehr-Lern-Plattform, der über sozialen Austausch zu fördern und gegebenenfalls
46 Diskussion GDM-Mitteilungen 110 · 2021 zu initiieren, der zur erfolgreichen Bewältigung ei- Zum Abschluss und zur gemeinsamen Diskus- nes Studiums notwendig ist. sion soll noch einmal der Fokus dieses Beitrags in Mit den neuen Strukturen in Bezug auf die ein- den Blick genommen werden – auch anschließend zelnen Veranstaltungsthemen sind auch neue Struk- an die anfangs angesprochene Frage von Weigand turen auf Semesterebene verbunden. So scheint es (2020, S. 67) in den Mitteilungen der GDM: im Allgemeinen in einem solchen Format nicht mehr zwingend angemessen zu sein, Veranstal- [W]elche der in der Notsituation des virtuellen tungsmaterialien wöchentlich hochzuladen und da- Unterrichts evtl. spontan und intuitiv entwickel- mit die Lernzeit der Studierenden zu steuern. Was ten Ideen (im Hinblick auf den Einsatz digitaler spricht dagegen, wenn Studierenden bereits zu Se- Technologien) auch in der Nach-Corona-Zeit be- mesterbeginn alle oder einen Großteil der Materia- stehen bleiben sollten, dann aber – hoffentlich lien zur Verfügung gestellt bekommen und diese – in enger Wechselbeziehung zum realen Unter- damit ihre Semesterzeit effizient und für ihre indivi- richt. duelle Situation passend einteilen? Auf diese Weise Es gilt aus unserer Sicht – gerade in Zeiten der Pan- kann schon früh eine große Transparenz gegenüber demie – keinen Diskurs ausschließlich über techni- den Zielen und Anforderungen der Veranstaltung sche und nicht-technische (Un-)Möglichkeiten für erreicht werden, die beispielsweise auch die Stu- mathematisches oder mathematikdidaktisches Ler- dierenden der Umfrage aus der Einleitung dieses nen zu führen, sondern darum, Präsenz im obigen Beitrages für wichtig halten. Dieses Vorgehen steht Sinne von den Dozierenden, Studierenden, Leh- übrigens auch nicht im Widerspruch dazu, sich rer*innen sowie Schüler*innen zu gestalten, zu for- darauf zu verständigen, bis zu einem bestimmten dern und zu fördern. Termin einen gewissen Teil des Veranstaltungsin- Ob es ein „Zurück“ in den „traditionellen“ Prä- halts vorbereitet zu haben, um sich dann gemein- senzlehrbetrieb geben wird oder die neue Expertise sam über diese Inhalte informiert austauschen zu in Bezug auf neue Veranstaltungsformate genutzt können. wird, zeigt sich zukünftig. Bei der Diskussion sollte aber die Ganzheitlichkeit von Lehren und Lernen 3 Diskussion(seinladung) in den Blick genommen werden. Diese wird zwar beeinflusst von technischen oder organisatorischen Schon seit einiger Zeit, auch schon vor Covid- Aspekten, ist aber nicht ausschließlich durch diese 19 und den damit verbundenen Herausforderun- beschränkt. Wie lässt sich somit „Präsenz“ gestal- gen aufgrund notwendiger Kontaktbeschränkun- ten? gen, wurde in vielen Zusammenhängen eine oft negativ konnotierte „Präsenzkultur“ diskutiert. Ge- Literatur meint war damit vorwiegend, dass „Präsenz zeigen“ Bauersfeld, H. (1983). Subjektive Erfahrungsbereiche als als physisches Verweilen an einem vorgegebenen Grundlage einer Interaktionstheorie des Mathemati- Arbeitsort verstanden wurde und dabei nicht mit klernens und -lehrens. In H. Bauersfeld (Hrsg.), Ler- Produktivität zu verwechseln sei. Die letzten Mona- nen und Lehren von Mathematik (S. 1–57). Köln: Aulis. te haben erzwungenermaßen eine so verstandene Duden (2020). Kommunikation, die. Verfügbar un- Präsenzkultur unmöglich gemacht und überall, ins- ter https://www.duden.de/rechtschreibung/ Kommunikation#rechtschreibung besondere auch an Hochschulen, das Definieren Duden (2020). Präsenz, die. Verfügbar unter /www.duden. und Umsetzen neuer Zugänge zur Präsenz notwen- de/rechtschreibung/Praesenz. digerweise erfordert, die sicherlich einen nachhal- Kultusministerkonferenz (2003). Bildungsstandards im Fach tigen Effekt auf Lehr-/Lernformen und Arbeitsfor- Mathematik für den Mittleren Schulabschluss Beschluss men haben werden. Unser Beitrag möchte dazu vom 4.12.2003. Verfügbar unter /www.kmk.org/ einladen, in eine breite Diskussion dazu einzustei- fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/ gen, was „Präsenz zeigen“ bedeuten kann und wie 2003_12_04-Bildungsstandards-Mathe-Mittleren- diese Präsenz mit Blick auf die Erfahrungen aus SA.pdf. den letzten Monaten in Zukunft gestaltet werden Reid, D. A.; Mgombelo, J. (2015): Survey of key concepts sollte. in enactivist theory and methodology. ZDM, 47(2), Die hier mit dem Begriff Präsenz verknüpfte 171–183. doi:10.1007/s11858-014-0634-7. Steinbring, H. (2000): Mathematische Bedeutung als eine aktive Auseinandersetzung mit mathematischen soziale Konstruktion — Grundzüge der epistemo- Gegenständen in mathematischen Kontexten ist logisch orientierten mathematischen Interaktionsfor- selbstredend nicht neu und findet sich in einer schung. JMD, 21(1),28–49. doi:10.1007/BF03338905. Vielzahl theoretischer Rahmungen, z. B. dem aktiv- Steinbring, H. (2015): Mathematical interaction shaped entdeckenden Lernen, und mathematikdidaktischer by communication, epistemological constraints and Prinzipien, wie dem produktiven Üben, dem Prin- enactivism. ZDM, 47(2), 281–293. doi:10.1007/s11858- zip der Selbsttätigkeit, usw. 014-0629-4.
GDM-Mitteilungen 110 · 2021 Diskussion 47 Stoffels, G. (2020): (Re-)Konstruktion von Erfahrungsberei- Frederik Dilling, Universität Siegen chen bei Übergängen von empirisch-gegenständlichen zu E-Mail: dilling@mathematik.uni-siegen.de formal-abstrakten Auffassungen. Siegen: universi. Felicitas Pielsticker, Universität Siegen Weigand, H.-G. (2020). Was lehrt uns das „Lernen zu- E-Mail: pielsticker@mathematik.uni-siegen.de hause“ im Hinblick auf den (zukünftigen) Einsatz digitaler Technologien im Mathematikunterricht. Mit- Gero Stoffels, Universität Siegen teilungen der GDM, 109, 63–67. E-Mail: stoffels@mathematik.uni-siegen.de Ingo Witzke, Universität Siegen E-Mail: witzke@mathematik.uni-siegen.de Das Digitale als Bildungsherausforderung für den Mathematikunterricht? (Un-)Zeitgemäße Betrachtungen Andreas Vohns Wenn im Folgenden vom „Digitalen“ als Bildungs- Bildung und Digitales: Begriffsklärung herausforderung gesprochen werden soll, so nehme Bildung ich das ganz wörtlich: Ich beginne mit einer kurzen Bei der Bildung will ich mich kurz fassen, ich hatte begrifflichen Klärung, sage also so knapp als mög- da vor zwei Jahren im Arbeitskreis „Mathematik lich, was ich unter „Bildung“ und dem „Digitalen“ und Bildung“1 , schon einmal über deren „absolu- verstehen möchte, das da die Bildung herausfor- ten Kern“ spekuliert (vgl. Vohns, 2018), so hoch dert. will ich das hier gar nicht hängen. Hier möchte Im Hauptteil „Konzepte und Herausforderun- ich Bildung als pädagogische Kategorie zumindest von gen“ stecke ich dann das Feld „Digitale Bildung“ zwei verwandten Begriffen jeweils durch ein cha- ab, in dem ich mich kurz mit fünf (bzw. ggf. sechs) rakteristisches Merkmal abgrenzen, ohne dessen verschiedenen Konzeptionen digitaler Bildung aus- Vorliegen ich die Verwendung der Vokabel „Bil- einandersetze, die man, je nach Sichtweise, in das dung“ eigentlich für überflüssig halte, bzw. eben 2016er Papier „Bildungsoffensive für die digitale für „Etikettenschwindel“. Wissensgesellschaft: Strategie des Bundesministeri- Ein gebräuchliches Einführungswerk in die Päd- ums für Bildung und Forschung“ (BMBF, 2016) und agogik (Seel & Hanke, 2015, S. 14) hält zur Erzie- seinen erweiterten Wiedergänger „Digitalisierung hung fest: gestalten: Umsetzungsstrategie der Bundesregie- rung“ (Presse- und Informationsamt der Bundesre- Der Begriff der Erziehung beschreibt Prozesse, gierung, 2020) herein bzw. aus ihnen herauslesen die Personen (in der Regel Kinder oder Jugend- kann. Das Herein- oder Herauslesen ist dabei nicht liche) unter Anleitung anderer durchlaufen, um nur das, was ich da persönlich heraus bzw. darin ihre intellektuellen, emotionalen, geistigen, so- hereinlese, ich beziehe mich insbesondere auch auf zialen und physischen Fähigkeiten zu entwi- offizielle Verlautbarungen von GDM und DMV, die ckeln (= Personalisation) und zu vollwertigen bei diesem Thema zum Teil ungewohnt getrennt Mitgliedern der sozial-kulturellen Gemeinschaft „marschieren“, wenn man diese militärische Meta- zu werden, der sie angehören (= Sozialisati- pher einmal bemühen darf. on/Enkulturation). Ich spitze dann die Überlegungen zu Bildungs- herausforderungen zu sieben Thesen zu, die sich Bei der Erziehung gibt es, so Volker Ladenthin im Feld dieser fünf (bzw. sechs) Konzepte für Ma- (2014), immer diese asymmetrische Dyade von Er- thematikunterricht herauskristallisieren. zieher*in und Zögling, Lehrperson und Schüler*in, 1 Der vorliegende Text ist die nur geringfügig überarbeitete Fassung des Manuskripts eines Vortrags, der auf der Online-Herbsttagung dieses Arbeitskreises am 30. 10. 2020 gehalten wurde und (dem Thema angemessen) unter https://youtu.be/4G_RCu5b4G4 auch als Video angesehen werden kann.
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