Einsatzbedingte Belastungen bei Soldaten der Bundeswehr

Die Seite wird erstellt Nathaniel Winkelmann
 
WEITER LESEN
WISSENSCHAFT

         ORIGINALARBEIT

         Einsatzbedingte Belastungen bei
         Soldaten der Bundeswehr
         Inanspruchnahme psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung

         Jens T. Kowalski, Robin Hauffa, Herbert Jacobs, Helge Höllmer,
         Wolf Dieter Gerber, Peter Zimmermann

         ZUSAMMENFASSUNG                                                                       eit Mitte der 1990er Jahre engagiert sich die Bun-
         Hintergrund: Auslandseinsätze der Bundeswehr bergen ein
                                                                                        S      deswehr auf dem Balkan (Implementation Force,
                                                                                        IFOR; Stabilization Force, SFOR; Kosovo Force, KFOR;
         hohes psychisches Traumatisierungspotenzial. In der vor-
                                                                                        European Union Force, EUFOR), seit 2002 im Rahmen
         liegenden Arbeit werden Ursachen für ein gestiegenes In-
                                                                                        der International Security Assistance Force (ISAF) auch in
         anspruchnahmeverhalten (IANV) in der Bundeswehrpsy-
                                                                                        Afghanistan in internationalen militärischen Einsätzen.
         chiatrie untersucht.
                                                                                        Derzeit befinden sich rund 7 700 Soldatinnen und Solda-
         Methoden: Die Entwicklung psychiatrisch-psychothera-                           ten der Bundeswehr in solchen Auslandseinsätzen (1).
         peutischer Behandlungskontakte von Soldaten aus den                               Die Teilnahme an einem mehrmonatigen Auslandsein-
         Einsatzgebieten Afghanistan und Balkan wurde unter-                            satz stellt für Soldaten eine besondere Stressbelastung dar.
         sucht. Dazu wurden die Hospitaldaten aller Bundeswehr-                            Permanente einsatzbezogene Belastungen sind (2):
         psychiatrien unter Berücksichtigung soziodemografischer                           ● das Leben in Feldlagern
         Faktoren (Geschlecht, Einsatzgebiet) und zugrundeliegen-                          ● die lange Trennung von zu Hause
         der psychiatrischer Krankheitsbilder zwischen Januar                              ● die intensivere Dienstzeitbelastung
         2010 und Juni 2011 ausgewertet.                                                   ● die Begegnung mit einer fremden Kultur im Einsatz-
         Ergebnisse: In dem betrachteten Zeitraum nahmen                                      land, häufig verbunden mit dem Erleben von Leid
         N = 615 Einsatzsoldaten erstmals psychiatrisch-psycho-                               der Zivilbevölkerung.
         therapeutische Behandlung in Anspruch. Während die Zahl                           Darüber hinaus bergen militärische Einsätze auch ein
         der Erstkontakte insgesamt konstant blieb (p = 0,195),                         erhöhtes Risiko, traumatisierende Erfahrungen zu machen
         stieg die Zahl weiblicher Soldaten mit Erstkontakt auf-                        (3) (Tabelle 1).
         grund einsatzbedingter psychischer Belastungen auffällig                          Die Exposition mit Gräueltaten, Gefechtssituationen,
         an (p = 0,003). Eine auffällige Zunahme der Erstkontakte                       das erlebte Ausmaß persönlicher Bedrohung und die Dau-
         ließ sich nur für die Soldaten nach einem Balkan-Einsatz                       er der Einsätze wirken sich auf die Prävalenz von psy-
         beobachten (p = 0,017). Grund für Erstkontakte waren bei                       chischer Störungen bei Einsatzkräften aus (4). So berich-
         91 % der Soldaten Belastungsreaktionen (ICD 10: F43)                           ten beispielsweise Hoge et al. (3) von Prävalenzraten bei
         gefolgt von affektiven Störungen (ICD-10: F32.0, F32.1;                        US-amerikanischen Soldaten und Marines zwischen
         8,9 %).                                                                        8,5 % und 19 % je nach Einsatzort (Afghanistan und Irak).
         Schlussfolgerung: Auslandseinsätze der Bundeswehr kön-                         Sowohl die unmittelbare Erfahrung der Bedrohung des ei-
         nen trotz psychologischer Vorbereitung bei Soldaten zu                         genen Lebens als auch das konkrete Erleben des Tötens
         psychischen Störungen führen. Die Befunde deuten darauf                        sind dabei besondere, militärspezifische Belastungsfakto-
         hin, dass der diskrete Anstieg der Neuerkrankungszahlen                        ren (5, 6). Vogt et al. (7) beschreiben vier spezifische ein-
         geschlechts- und einsatzgebietspezifisch ist.                                  satzbedingte Belastungen, die Gegenstand zahlreicher
                                                                                        Studien (Hoge et. al. [4]) waren:
         ►Zitierweise
          Kowalski JT, Hauffa R, Jacobs H, Höllmer H, Gerber WD,
                                                                                           ● Teilnahme an Kampfhandlungen
          Zimmermann P: Deployment-related stress disorder
                                                                                           ● Nachwirkungen von Gefechten
          in German soldiers: utilization of psychiatric and                               ● erlebte Gefährdung
          psychotherapeutic treatment. Dtsch Arztebl Int 2012;                             ● schwierige Arbeits- und Lebensbedingungen.
          109(35–36): 569–75. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0569                               Nicht jede Konfrontation mit einer traumatischen Si-
                                                                                        tuation führt allerdings zur Ausbildung einer behandlungs-
                                                                                        bedürftigen psychischen Störung (8, 9). Die Bundeswehr
         Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum: Dr. rer. medic.
                                                                                        hat einen umfassenden Maßnahmenkatalog präventiver
         Kowalski, Dr. med. Hauffa, Dipl.-Psych. Jacobs, Dr. med. Zimmermann            Maßnahmen zur Stabilisierung der psychischen Gesund-
         Bundeswehrkrankenhaus Hamburg: Dr. med. Höllmer                                heit der Soldaten etabliert (10). Ferner wurde das Psycho-
         Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universi-   traumazentrum (PTZ) am Bundeswehrkrankenhaus Ber-
         tätsklinikum Schleswig- Holstein: Prof. Dr. rer. soc. Gerber                   lin eingerichtet. Es hat die Aufgabe, in Kooperation mit

418                                                                                                       Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012
WISSENSCHAFT

dem zivilem Wissenschaftssystem Forschung zu allen                TABELLE 1
Fragen der psychischen Gesundheit von Soldaten durch-
                                                                                                                       1
zuführen.                                                         Einsatzbedingte psychische Belastungen*
   Neben dem Präventions- wurde auch ein umfang-                                                            2008            2009            2010            2011
reiches psychiatrisch-psychotherapeutisches Versorgungs-
                                                                   Soldaten im Einsatz                     12 214           12 740        11 193            7 805
konzept etabliert, das die Besonderheiten einsatzbedingter
psychischer Verletzungen berücksichtigt (10). Das Psy-             Todesfälle im Einsatz                       5              5               9              7
chosoziale Netzwerk der Bundeswehr (PSN), das neben                militärische Zwischenfälle                 42              87            141              32
dem Sanitätsdienst auch den Psychologischen und den So-
zialdienst der Bundeswehr sowie die Militärseelsorge in-      1
                                                              * psychische Belastungen von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan in den Jahren 2008 bis Juni 2011.
                                                              Militärische Zwischenfälle sind z. B. Gefechte, Anschläge, Unfälle. Quelle: Einsatzführungskommando
tegriert, soll einen frühzeitigen Kontakt zu diesem Versor-
gungssystem ermöglichen. Von den in der vorliegenden
Untersuchung betrachteten erkrankten Soldaten (n = 615)
hatten 23 % bereits im Einsatzland Kontakt zum PSN
(Quelle: Einsatzstatistik Psychotraumazentrum). Die the-          KASTEN
rapeutischen Angebote (11, 12) integrieren stationäre und
ambulante Maßnahmen in multidisziplinären Teams, in               Versorgungswege und Finanzierung der
die auch das soziale Netz der Soldaten, also Partner und          medizinischen Behandlung bei aktiven und
Familien, eingebunden wird (13).                                  ehemaligen Soldaten
   Dennoch steigt die Zahl der in den medizinischen Ver-
sorgungseinrichtungen registrierten, einsatzbezogenen
                                                                  ● Aktive Soldaten der Bundeswehr, Wehrübende
                                                                    und Reservisten
psychiatrischen Patientenkontakte kontinuierlich (Bun-
                                                                    Sie erhalten unentgeltliche truppenärztliche Versorgung. Erster Ansprechpart-
deswehr.de: Einsätze/Belastungsstörungen/Stand/Aktuel-
                                                                    ner für den Patienten, vergleichbar mit dem Hausarzt, ist der Truppenarzt. Er
le Zahlen/2011). Diese Daten erlauben allerdings keine
                                                                    leitet bei Bedarf die weitere fachärztliche Versorgung ein. Diese kann ambu-
Aussagen über insgesamt erkrankten Soldaten (Wittchen
                                                                    lant (Facharztzentrum) oder in einem der fünf Bundeswehrkrankenhäuser
HU, Schönfeld S: Traumatische Ereignisse, PTBS und
                                                                    (BwKrHs) erfolgen. Der Truppenarzt kann auch an niedergelassene Fachärzte
psychische Störungen bei Soldaten mit und ohne Aus-
                                                                    und zivile Fachkliniken überweisen, wenn eine besondere Qualifikation erfor-
landseinsatz: Erste Ergebnisse. Pressekonferenz der TU
                                                                    derlich ist oder die Kapazitäten des Sanitätsdienstes nicht ausreichen. Davon
Dresden, 2011).
                                                                    wird häufig nach Abschluss einer Akuttherapie im BwKrHs Gebrauch gemacht,
   In einer wissenschaftlichen Untersuchung an Bundes-
                                                                    zum Beispiel in Form einer ambulanten Psychotherapie. Die Abrechnung er-
wehrsoldaten konnte zwar ein signifikanter Anstieg der
                                                                    folgt mit der Wehrbereichsverwaltung.
Behandlungszahlen von Reaktionen auf schwere Belas-
tungen und Anpassungsstörungen gemäß ICD 10 im Ver-               ● Ehemalige Soldaten der Bundeswehr
gleich der Jahre 2000 und 2006 gezeigt werden (9). Zim-             Diejenigen, die gesetzlich oder privat versichert sind, werden durch das zivile
mermann (ebd.) beschreibt, dass die belastungsreaktiven             Gesundheitssystem versorgt. Bei einer durch den Dienst in der Bundeswehr
Störungen (F43) sowohl für das Ansteigen psychiatri-                verursachten Erkrankung (Wehrdienstbeschädigung, WDB) kann der zivile
scher Erkrankungen insgesamt verantwortlich sind als                Arzt den ehemaligen Soldaten an einen Facharzt der Bundeswehr überweisen
auch zu einer Erhöhung der Behandlungstage führen. In               oder eine Einweisung in ein BwKrHs vornehmen. Wichtig ist die rechtzeitige
dieser Studie wurde auch ein erhöhter Anteil weiblicher             Einleitung eines WDB-Verfahrens durch den Sozialdienst der Bundeswehr. Die
Soldaten bei den psychiatrischen Patienten in der Bundes-           Kosten der medizinischen Behandlung bei einer WDB trägt die Bundeswehr.
wehr gefunden. Da in der Untersuchung allerdings nicht
nur einsatzbedingte Störungen betrachtet wurden, erlau-
ben die Ergebnisse keine Aussage darüber, ob der beob-
achtete Anstieg im Zusammenhang mit Auslandseinsät-
zen steht.                                                        TABELLE 2
   Unklar ist auch, ob sich die Einsatzgebiete hinsichtlich
                                                                  Kontakt zu einem Facharzt Psychiatrie/Psychotherapie wegen einer einsatzbe-
ihrer traumatogenen Potenz unterscheiden. Hinweise da-            dingten psychischen Störung
rauf, dass einsatzbedingte Belastungen bei Bundeswehr-
                                                                                                                        1                                    2
soldaten zu einem Anstieg des Beratungsbedarfs führen,                                                 Erstkontakte*                      Folgekontakte*
ergaben sich bisher lediglich aus der Auswertung bundes-           ISAF                                    N = 576                                N = 726
wehreigener anonymer telefonischer und Online-Bera-                Balkan                                  N = 39                                 N = 85
tungsangebote (12, 14).
                                                                   Männer                                  N = 568                                N = 752
   Die vorliegende Untersuchung soll auch dem zivilen
Bereich Perspektiven und Hinweise für aktuelle Problem-            Frauen                                  N = 46                                 N = 59
stellungen und zukünftige Entwicklungen des Versor-
gungsbedarfs von Bundeswehrsoldaten geben. So verfügt         *1 Erstkontakte: Erstmaliger Kontakt zu einem Facharzt Psychiatrie/Psychotherapie wegen einer einsatz-
                                                                 bedingten psychischen Störung;
die Bundeswehr über kein umfassendes Versorgungsnetz,
                                                              *2 Folgekontakte: Patienten, die wiederholt Kontakt zu einem Facharzt Psychiatrie/Psychotherapie aufge-
mit dem bundesweit die poststationäre ambulante psycho-          nommen haben.
therapeutische Versorgung gewährleistet werden kann.          ISAF, International Stabilization Force, Afghanistan; Balkan umfasst die Einsätze KFOR: Kosovo Force,
Bereits heute sind daher neben der bundeswehreigenen          EUFOR: European Union Force

Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012                                                                                                                   419
WISSENSCHAFT

  GRAFIK 1                                                                                      mentiert, ausgewertet und archiviert. Soldaten mit statio-
                                                                                                nären oder ambulanten Erst- und Folgekontakten werden
   Anzahl pro Monat                                                                             als Inanspruchnehmer (IAN) definiert.
   140                                                                                             Die der Untersuchung zugrundeliegende Statistik be-
                                                                                                rücksichtigt nur aktive Soldaten. Soldaten, die nach dem
                  Folgekontakte
   120
                  Erstkontakte                                                                  Ausscheiden aus der Bundeswehr mit ihren Beschwerden
   100                                                                                          im zivilen Bereich Hilfe suchen, sind hier nicht erfasst.

      80                                                                                        Stichprobe
      60                                                                                        Insgesamt umfasst die Stichprobe N = 1 515 psychiatri-
                                                                                                sche Behandlungskontakte, davon 7,2 % Frauen, Durch-
      40                                                                                        schnittsalter 32,06 (SD = 7,88). Tabelle 2 zeigt die rele-
      20                                                                                        vanten demografischen Daten (Erst- und Folgekontakte,
                                                                                                Geschlecht, Einsatzgebiet). In die Studie einbezogen wur-
       0                                                                                        den die Erstkontakte (N = 615) von Soldaten aus den Ein-
             0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1
          r 1 r 1 z 1 il 1 i 1 i 1 li 1 t 1 r 1 r 1 r 1 r 1 r 1 r 1 z 1 il 1 i 1 i 1            sätzen ISAF (Afghanistan) und KFOR/EUFOR (zusam-
      n ua rua Mär Apr Ma Jun Ju gus mbe obe mbe mbe nua rua Mär Apr Ma Jun
    Ja Feb                         Au pte Okt ove eze Ja Feb                                    mengefasst als Balkan). Einbezogen wurden nur Perso-
                                      Se       N D                                              nen, die sich nach fachärztlicher Untersuchung aufgrund
                                         Anzahl pro Monat                                       einer eindeutig in einem Auslandseinsatz erlebten trauma-
                                                                                                tisierenden Erfahrung in Behandlung begeben haben (Ta-
Psychiatrisch-psychotherapeutische Erst- und Folgekontakte (Inanspruchnahme) in Monaten         belle 2).
im Zeitraum Januar 2010 bis Juni 2011. Aufgrund der Einführung des systematischen Daten-
erhebungssystems im Januar 2010 beginnt die Darstellung im Nullpunkt: (seit Beginn der          Durchführung und statistische Auswertung
Missionen eingesetzte Bundeswehrsoldaten in Afghanistan n = 81 289, auf dem Balkan              Analysiert wurde die monatsweise Entwicklung der psy-
n = 170 554. Die hier genannten Zahlen beziehen sich auf die Gesamtzeit der beiden Einsätze).   chiatrisch-psychotherapeutischen Erst- und Folgekon-
                                                                                                takte. Aufgrund des relativ symmetrischen Verlaufes der
                                                                                                Zahlen (Grafik 1) und der höheren Datenqualität der
                                                                                                Erstkontakte, wurden ausschließlich diese inferenzstatis-
                        psychiatrischen Versorgung auch zunehmend zivile psy-                   tisch ausgewertet. Einbezogen wurden demografische
                        chotherapeutische und psychiatrische Praxen und Klini-                  Patientendaten (Geschlecht), Angaben zum traumabe-
                        ken in die Behandlung einsatzbedingter Traumafolgestö-                  dingenden Einsatz sowie die nach eingehender klinisch-
                        rungen involviert (Kasten) (15).                                        fachärztlicher Untersuchung gestellte Diagnose gemäß
                           Folgende Fragestellungen sollen in dieser Studie beant-              ICD-10.
                        wortet werden:                                                             Die deskriptive als auch die inferenzstatistische Aus-
                          ● Lässt sich im beobachteten Zeitraum von Januar                      wertung der Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm
                             2010 bis Juni 2011 ein Trend hinsichtlich der Ge-                  SPSS 17.0. Zur Überprüfung der Annahme einer linea-
                             samtzahl der psychiatrischen Erstkontakte bei Sol-                 ren Trendentwicklung wurden für die Erstkontakte linea-
                             daten mit einsatzbedingten psychischen Störungen                   re Regressionsmodelle berechnet und hinsichtlich eines
                             identifizieren?                                                    auffälligen Verlaufs geprüft. Abweichende Zahlen bei
                          ● Unterscheiden sich die Einsatzgebiete Afghanistan                   der Beschreibung der Stichprobe sind durch unvollstän-
                             und Balkan hinsichtlich beobachteter Trends?                       dige Angaben bedingt.
                          ● Unterscheiden sich männliche und weibliche Solda-
                             ten hinsichtlich möglicher Trends?                                 Ergebnisse
                          ● Unterscheiden sich die einsatzbedingten Diagnose-                   Seit Beginn der Beteiligung der Bundeswehr an interna-
                             gruppen hinsichtlich möglicher Trends?                             tionalen Missionen waren insgesamt 251 843 Bundes-
                                                                                                wehrsoldaten in Afghanistan (n = 81 289) und auf dem
                        Methode                                                                 Balkan (n = 170 554) eingesetzt. In dem betrachteten
                        In der vorliegenden Untersuchung soll untersucht werden,                Zeitraum nahmen insgesamt N = 615 Soldatinnen und
                        ob sich die Zahl der Erstvorstellungen in einer psychiatri-             Soldaten erstmals ein ambulantes oder stationäres psy-
                        schen Ambulanz oder einer psychiatrischen Abteilung ei-                 chiatrisches Behandlungsangebot aufgrund einsatzbe-
                        nes Bundeswehrkrankenhauses aufgrund einsatzbedingter                   dingter (Afghanistan und Balkan) Störungen in An-
                        Störungen bei aktiven Bundeswehrsoldaten in der Zeit                    spruch. Grafik 1 zeigt den Verlauf des Inanspruchnahme-
                        von Januar 2010 bis Juni 2011 verändert hat. Dieser Zeit-               verhaltens (IAV) differenziert nach Erstkontakten und
                        raum wurde gewählt, weil seit 2010 die Daten einheitlich                Folgekontakten.
                        und zentral erfasst wurden und so erstmals differenziertere                Grafik 2 stellt den Zeitraum zwischen einem erlebten
                        Aussagen möglich sind. Soldaten mit einsatzbedingten                    Trauma und der Erstmanifestation der Beschwerden dar
                        psychischen Störungen werden in allen psychiatrisch-psy-                (Latenz-Trauma-Symptom) sowie der Zeit zwischen
                        chotherapeutischen Behandlungseinrichtungen der Bun-                    erstmaliger Symptomausprägung und dem ersten Be-
                        deswehr mit einem einheitlichen Dokumentationsstandard                  handlungskontakt zu einem Facharzt dar (Latenz-Symp-
                        erfasst und zentral im Psychotraumazentrum (PTZ) doku-                  tom-Kontakt). Nach sechs Monaten haben 78,8 % der

420                                                                                                              Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012
WISSENSCHAFT

   GRAFIK 2                                                                                              GRAFIK 3

     %                                                                                                     Anzahl Erstkontakte Balkan                                a
                                                                                                           6
   100
     90
                                                                                                           5             beobachtet
     80                                                    Latenz-Trauma-Symptom                                         linear
     70                                                    Latenz-Symptom-Kontakt
                                                                                                           4
     60
     50    45,8
                                                                                                           3
     40                         36,5
     30
                                              21,1                                                         2
                         19,6
     20                                                    16,0
                                       13,3                                               11,3
     10            6,8                                                  8,0         7,7
                                                     5,8                                                   1
                                                                  2,9         1,3                4,0
      0
               0           1–3           4– 6         7–12        13–24       25– 48       > 48
                                                     Monate                                                0
                                                                                                               1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
                                                                                                                     Monat im Zeitraum 01/2010–06/2011
Zeitraum (Latenz) zwischen der Traumatisierung und der erstmaligen Symptommanifestation
(Latenz-Trauma-Symptom) sowie zwischen der ersten Symptommanifestation und dem                             Anzahl weiblicher Soldaten                                b
Erstkontakt zu einem Facharzt (Latenz-Symptom-Kontakt) in Monaten im Zeitraum Januar                       7
2010 bis Juni 2011

                                                                                                           6             beobachtet
                                                                                                                         linear

                                                                                                           5
                           untersuchten Soldaten Symptome beklagt, nach zwei
                           Jahren ist es bei 87,5 % zu einer Erstmanifestation der
                                                                                                           4
                           Beschwerden gekommen.
                              Innerhalb des ersten Jahres nach Symptombeginn hat-
                                                                                                           3
                           ten 64,4 % der Patienten den ersten Kontakt zu einem
                           Facharzt, nach zwei Jahren waren 96 % in fachärztlicher
                                                                                                           2
                           Behandlung.
                              Die Häufigkeiten der Erstkontakte gesamt und pro
                           Monat in dem beobachteten Zeitraum sowie aufge-                                 1
                           schlüsselt nach Geschlecht, Einsatzgebiet und Diagnose
                           sind in Tabelle 3 aufgeführt.                                                   0
                                                                                                               1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
                              Im Folgenden werden die Ergebnisse der Regressi-
                                                                                                                       Monat im Zeitraum 01/2010–06/2011
                           onsanalysen dargestellt (Tabelle 4). Als abhängige Varia-
                           ble (AV) wurde die Anzahl der Erstkontakte definiert.
                           Die Behandlungszahlen bei weiblichen Soldaten                               Grafische Darstellung der Regressionsanalyse in den Regressanden
                           (B = 0,239; F = 12,12; p = 0,003; R² = 0,431) sowie die                     Einsatzgebiet und weibliche Soldaten
                           durch einen Balkaneinsatz verursachten Kontakte
                           (B = 0,156; F = 7,04; p = 0,017; R² = 0,306) stiegen im
                           Verlauf des Beobachtungsintervalls auffällig an, nicht
                           dagegen die Inanspruchnahme insgesamt und die der                           2010 und Juni 2011 niederschlägt. Zusätzlich wurde der
                           männlichen Soldaten (Tabelle 4).                                            Frage nachgegangen, ob sich Männer und Frauen in ih-
                              Die Grafik 3 zeigt den Verlauf der abhängigen Varia-                     rem Inanspruchnahmeverhalten (IANV) im zeitlichen
                           blen „Erstkontakte“ mit den Regressanden „Frauen ins-                       Verlauf unterscheiden und ob das Einsatzgebiet sowie
                           gesamt“ und Einsatzgebiet „Balkan“. Die linear anstei-                      die gestellte Diagnose einen Einfluss auf das IANV hat-
                           genden Geraden weisen auf einen auffälligen Zusam-                          ten.
                           menhang hin.                                                                   Entgegen der Erwartung zeigte sich bei den Erstkon-
                                                                                                       takten insgesamt kein signifikanter Anstieg des IANV.
                           Diskussion                                                                  Betrachtet man die beiden Einsatzgebiete separat, so wa-
                           Soldaten der Bundeswehr sind in Auslandseinsätzen er-                       ren lediglich für den Balkaneinsatz steigende Zahlen zu
                           heblichen und wachsenden psychischen Belastungen                            beobachten, nicht aber für Afghanistan. Dies verwun-
                           ausgesetzt In der vorliegenden Studie wurde untersucht,                     dert, weil es gerade in Afghanistan in den vergangenen
                           ob sich dies auch in Form ansteigender psychiatrisch-                       zwei Jahren zu einer verschärften militärischen Situation
                           psychotherapeutischer Erstkontakte zwischen Januar                          mit fast täglichen militärischen Auseinandersetzungen

Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012                                                                                                                 421
WISSENSCHAFT

   TABELLE 3
                                                                                                                    des IANV sein (17). Kessler (18) belegte 1981 anhand
                                                                                                                    einer umfangreichen Studie, dass Frauen emotionale
   Zeiträume der Erstkontakte zu Psychiatern/Psychotherapeuten                                                      Probleme bewusster wahrnehmen und eher Hilfe in An-
                                                   N         Min/Max          Mittelwert/          SD               spruch nehmen als Männer. In einer aktuellen Studie wa-
                                                              Monat             Monat                               ren weibliche Einsatzkräfte psychischen Erkrankungen
      Erstkontakte insgesamt                     615            3/64              34,2            14,9              und deren Behandlungen gegenüber aufgeschlossener
                                                                                                                    als Männer (19). In Verbindung mit einer steigenden
      männliche IAN                              568            2/60              31,5            14,4
                                                                                                                    Zahl von Frauen, die auch außerhalb des Sanitätsdienstes
      weibliche IAN                               46             0/7               2,6              2               vermehrt extremen militärischen Belastungen ausgesetzt
      Einsatz ISAF                               576            2/61                32            14,3              sind, erklärt sich wahrscheinlich der steigende Anteil
      Einsatz Balkan                              39             0/6               2,2             1,5              weiblicher Soldaten.
                                                                                                                       Hoge et al. (8) beschrieben, dass sich psychiatrische
      PTBS (F43.1)                               292            1/39              16,2             8,7
                                                                                                                    Erkrankungen bei militärischem Personal in Abhängig-
      Reaktionen auf schwere Belas-              548            2/60              30,4            13,6              keit von der Einsatzbelastung veränderten. In unserer
      tungen u. Anpassungsstörungen
      (F43.0; F43.2)
                                                                                                                    Untersuchung konnten wir hingegen keine Veränderung
                                                                                                                    der Diagnosespektren und -häufigkeiten im Verlauf be-
      Affektive Störungen                         53             0/8               2,9             2,6
      (F32.0; F32.1)
                                                                                                                    obachten. Belastungsreaktive Störungsbilder, gefolgt
                                                                                                                    von affektiven Störungen, waren sowohl nach ISAF- als
Deskriptive Darstellung der Erstkontakte im Zeitraum 01/2010 – 07/2011                                              auch nach Balkan-Einsätzen die Hauptursachen für ei-
IAN, Inanspruchnahme; Min, Minimum; Max, Maximum; SD, Standardabweichung;                                           nen Erstkontakt mit der Bundeswehrpsychiatrie. Unge-
ISAF, International Security Assistance Force; PTBS, posttraumatische Belastungsstörung
                                                                                                                    wöhnlich, auch im Vergleich mit internationalen Studien,
                                                                                                                    war das vollständige Fehlen von Suchterkrankungen, so-
                                                                                                                    matoformen und Persönlichkeitsstörungen als Haupt-
                                                                                                                    diagnosen. Diese Störungsbilder finden sich in der Stich-
                            gekommen ist. Wittchen und Schönfeld (2011) wiesen                                      probe der Autoren ausschließlich als komorbide Diagno-
                            nach, dass eine große Zahl der 2009/2010 eingesetzten                                   sen wieder. Dies ist möglicherweise darauf zurückzufüh-
                            ISAF-Soldaten während des Einsatzes mehrfach poten-                                     ren, dass für die Diagnosestellung ein eindeutiger kausa-
                            ziell traumatisierenden Bedingungen ausgesetzt waren.                                   ler Zusammenhang zwischen traumatisierendem Erleb-
                               Denkbar ist, dass die Erwartungen der Soldaten be-                                   nis und einer Störung gefordert wird, wie es in der Regel
                            züglich der Gefährlichkeit der Einsatzbedingungen eine                                  nur bei den belastungsreaktiven Störungen möglich ist.
                            Rolle gespielt haben. Eine realistische Antizipation von                                   Die stabilen Tendenzen bei den Erstkontakten (gesamt
                            Belastungen scheint präventiv auf die Entwicklung psy-                                  und afghanistanbezogen) kontrastierten mit der seit eini-
                            chischer Störungen zu wirken (16). Während aktuell                                      gen Jahren stark steigenden Gesamtzahl aller Patienten-
                            Presseberichte über verletzte oder getötete ISAF-Solda-                                 kontakte. Im Jahr 2008 wurde beispielsweise noch bei
                            ten den Soldaten das Gefährdungspotenzial eines Afgha-                                  255 Patienten eine posttraumatische Belastungsstörung
                            nistan-Einsatzes verdeutlichen, ist der Balkaneinsatz der                               diagnostiziert, 2009 waren es 455 Patienten, 2010 schon
                            Bundeswehr zunehmend aus dem Blickfeld der Medien                                       729 und in 2011 wurden insgesamt 922 Patientenkontak-
                            geraten.                                                                                te gezählt (1).
                               Betrachtet man die geschlechtsspezifische Entwick-                                      Die Bundeswehr (20) hat, wie auch andere Armeen
                            lung des IANV, so zeigt sich lediglich bei den weiblichen                               (21) ein umfassendes Konzept zur psychischen Versor-
                            Soldaten ein auffälliger Anstieg. Eine Erklärung für die-                               gung ihrer Soldaten entwickelt. Dazu gehören verschie-
                            sen Trend könnten geschlechtsspezifische Unterschiede                                   dene klinische wie auch präventive Maßnahmen (10, 15,

   TABELLE 4

   Darstellung der Ergebnisse der Regressionsanalyse
                                                                                                                  2
      Unabhängige Variable                                                                B                     R                        F                      df             Signifikanz
      alle Einsätze                                                                      0,891                0,103                     1,83                    16                0,195
      ISAF                                                                               0,735                0,075                      1,3                    16                0,271
      Balkan                                                                             0,306                0,306                     7,04                    16               0,017 (*)
      Anzahl Frauen insgesamt                                                            0,281                0,431                     12,12                   16              0,003 (**)
      PTBS (ICD-10: F43.1)                                                               0,648                0,160                     3,04                    16                0,100
      sonstige Belastungsstörungen (ICD-10: F43.0; F43.2)                                0,636                0,062                     1,06                    16                0,319
      affektive Störungen (ICD-10: F32.0; F32.1)                                         .187                  .152                     2.88                    16                0,109

                              2
B, Regerssionskoeffizeient; R , Quadrat des multiplen Korrelationskoeffizienten; F, Prüfwert für Signifikanztest; df, Freiheitsgrade;
PTBS, posttraumatische Belastungsstörungen; ISAF, International Security Assistance Force.

422                                                                                                                                             Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012
WISSENSCHAFT

22), die zum teil obligatorisch vor und nach einem Ein-     Interviews wird dabei häufig praktiziert, allerdings nicht
satz durch die Soldaten zu absolvieren sind. Es ist anzu-   in allen Fällen. In künftigen Studien sollten auch komor-
nehmen, dass die steigende Zahl der Behandlungen auch       bide Diagnosen zumindest als Kovariate berücksichtigt
auf eine zunehmende Akzeptanz und Entstigmatisierung        werden.
psychischer Erkrankungen und deren Behandlungsme-              Nicht immer lagen vollständige Datensätze vor. Dies
thoden in der Bundeswehr zurückzuführen ist. Die rela-      erklärt sich dadurch, dass die Daten in den Bundes-
tiv kurzen Latenzzeiten zwischen Erstmanifestation der      wehrkrankenhäusern anonym erfasst werden und es ist
Symptome und dem Erstkontakt zu Fachärzten stützen          daher retrospektiv nicht möglich, fehlende Eintragungen
die Hypothese eines frühen Inanspruchnahmeverhaltens.       zu ergänzen. Es ist aber davon auszugehen, dass es sich
Die erhöhte Akzeptanz spiegelt sich auch im klinischen      bei fehlenden Daten beziehungsweise unvollständigen
Alltag der Bundeswehrkrankenhäuser in Form intensiver       Datensätzen um zufällige Fehler handelt.
Intervalltherapien mit mehrfachen Wiederaufnahmen bei          Die zivile Inanspruchnahme wird in der hier ausge-
zunehmend schweren und chronifizierten Erkankungs-          werteten Statistik nicht erfasst. Sie hat aber quantitativ
verläufen wider.                                            keinen Einfluss auf die zentralen Aussagen, weil ein vor-
   Das in der vorliegenden Studie untersuchte Inan-         heriger Kontakt mit einem Psychiater der Bundeswehr
spruchnahmeverhalten ist aber keinesfalls gleichzuset-      die Voraussetzung für die Nutzung ziviler Angebote ist,
zen mit Prävalenzraten psychischer Erkrankungen. Zahl-      so dass die Betroffenen der Statistik nicht verloren ge-
reiche Faktoren wie Angst vor Stigmatisierung, Sorge        hen. Untersuchungen, die sich mit der Schnittstelle zivi-
vor beruflichen Konsequenzen aber auch Unkenntnis           ler und militärischer medizinischer Versorgungsstruktu-
über therapeutische Möglichkeiten beeinflussen das          ren (24), zum Beispiel den spezifischen Problemen der
IANV und gehen mit einem erheblichen Dissimulations-        Psychotherapie von Soldaten durch zivile Therapeuten
risiko einher (8). Aktuelle internationale Untersuchun-     (25) beschäftigen, liegen unserer Kenntnis für die Bun-
gen bestätigen diese Erkenntnisse (23). In der Regel ist    deswehr noch gar nicht vor.
das IANV deutlich geringer als die tatsächlichen Präva-        Während im englischsprachigen Raum bereits zahl-
lenz- oder Inzidenzraten. Wittchen (2011) hat zum Bei-      reiche Original- und Übersichtsarbeiten zu unterschied-
spiel in seiner aktuellen Studie an Bundeswehrsoldaten      lichsten Aspekten (8, 21) militärischer Belastungsfolgen
zeigen können, dass etwa 50 % der Erkrankten tatsäch-       bei amerikanischen (26) und britischen Streitkräfte (27)
lich zeitnah professionelle Hilfe suchen.                   existieren, handelt es sich bei der vorliegenden Untersu-
   Verstärkte Präventions- und Aufklärungsarbeit und        chung um die aktuellste und umfangreichste, die sich mit
ein effektives, auch ziviles Behandlungsangebot, sind       einsatzbedingten Störungen von Bundeswehrsoldaten
ein erfolgversprechender Weg, die Akzeptanz einsatzbe-      befasst.
dingter psychischer Erkrankungen und deren Behand-             Letztlich erlaubt der untersuchte Zeitraum von 18
lung in den Streitkräften zu erhöhen.                       Monaten nur einen ersten Einblick in aktuelle Trendent-
                                                            wicklungen, langfristige Verlaufsstudien sind geplant.
Limitationen
Den Autoren ist bewusst, dass die vorliegende Untersu-
chung durchaus Schwächen aufweist.
   Vielen Traumafolgestörungen liegt nicht nur einzel-
                                                              KERNAUSSAGEN
nes traumatisierendes Ereignis zugrunde, sondern diese
addieren sich kumulativ auf (16). Auch bei den hier un-      ● Von Januar 2010 bis Juni 2011 nahmen n = 615 Solda-
tersuchten Soldaten ist anzunehmen, dass einem Stö-             tinnen und Soldaten erstmals psychiatrisch-psychothe-
rungsbild nicht nur ein einzelner Einsatz zugrunde liegt.       rapeutische Hilfe aufgrund psychischer Störungen, die
Die Datenqualität erlaubte allerdings nicht immer eine          auf Erlebnisse in einem Auslandseinsatz zurückzufüh-
eindeutige Zuordnung. Die Bundeswehr erfasst die An-            ren sind, in Anspruch.
zahl der pro Jahr im Einsatz befindlichen Soldaten, nicht
aber, um wie viele verschiedene Personen es sich dabei       ● Das Einsatzgebiet, in dem die Traumatisierung erfolgte,
handelt. So kommt es vor, dass Soldaten zum Beispiel            ist nicht auf Afghanistan beschränkt. Die Zahl der Koso-
mehrfach in verschiedenen Missionen, unter anderem              vo-Rückkehrer mit psychischen Beschwerden stieg in
auch für kürzere Zeiträume, zweimal innerhalb von               unserer Stichprobe stärker als die der Soldaten nach
zwölf Monaten, im Auslandseinsatz waren. Eine Berech-           einem Afghanistan-Einsatz.
nung von Inzidenz- und Prävalenzraten oder Prozent-          ● 64 % der Soldaten hatten innerhalb des ersten Jahres
werten könnte aufgrund der unpräzisen Angaben zur tat-          nach Symptombeginn fachärztliche Hilfe aufgesucht.
sächlichen Grundgesamtheit möglicherweise stark feh-
                                                             ● Die Zahl der Frauen, die Hilfe suchten, stieg stärker im
lerbehaftet sein. Wir haben aus diesem Grund auf die
                                                                Vergleich zu den männlichen Soldaten.
Angabe dieser Kennwerte verzichtet.
   Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Diagnosestel-       ● Häufigste Diagnosen waren Anpassungsstörungen
lung. Diese erfolgt in der Bundeswehr zwar nach einge-          (ICD-10: F42.2), posttraumatische Belastungsstörungen
hender klinischer Untersuchung grundsätzlich durch              (ICD-10: F42.1) sowie leichte und mittelgradige depres-
Fachärzte unter Berücksichtigung der Kriterien der              sive Episoden (ICD-10: F32.0 und F32.1).
ICD-10. Die Verwendung standardisierter diagnostischer

Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012                                                                            423
WISSENSCHAFT

Interessenkonflikt                                                              16. Adler A, Bliese P, Castro C: Deployment Psychology: Evidence-ba-
Dr. Kowalski, Dr. Hauffa, Dipl.-Psych. Jacobs, Dr. Höllmer und Dr. Zimmermann       sed strategies to promote mental health in the military. Washington,
sind bei der Bundeswehr angestellt.                                                 DC : American Psychological Association, 2011.
Prof. Gerber erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.                     17. Hausner H, Hajak G, Spiessl H: Gender differences in help-seeking
                                                                                    behavior on two internet forums for individuals with self-reported
Manuskriptdaten                                                                     depression. Gend Med 2008; 5: 181–5.
eingereicht: 1. 12. 2011, revidierte Fassung angenommen: 8. 3. 2012             18. Kessler RC, Brown RL, Broman BL: Sex differences in psychiatric
                                                                                    help-seeking: evidence from four large-scale surveys.
                                                                                    J Health Soc Behav 1981; 22: 49–64.
LITERATUR                                                                       19. Kowalski JT, Niederberger U, Koch A, Gerber WD: Akute Kriseninter-
 1. Bundesministerium der Verteidigung, Abteilung Personal-, Sozial-                vention. Einstellungen von Einsatzkräften bezüglich Präventions-
    und Zentralangelegenheiten I 8: Die Stärke der Streitkräfte Bundes-             maßnahmen. Nervenheilkunde 2011; 30; 4: 264–8.
    wehr, 25. Juli 2011. www.bundeswehr.de. (last accessed on 28 Ju-            20. Bundesministerium der Verteidigung: Rahmenkonzept zur Bewälti-
    ly 2011).                                                                       gung psychischer Belastungen von Soldaten. 2004.
 2. Hauffa R, Brähler E, Biesold KH, Tagay S: Psychische Belastungen
                                                                                21. Cohn A, Pakenham K: Efficacy of a cognitive-behavioral program to
    nach Auslandseinsätzen: Erste Ergebnisse einer Befragung von Sol-
                                                                                    improve psychological adjustment among soldiers in recruit trai-
    daten des Einsatzkontingentes ISAF VII. Psychotherapie, Psychoso-
                                                                                    ning. Mil Med 2008; 173: 1151–7.
    matik, Medizinische Psychologie 2007; 57: 373–8.
                                                                                22. Böhme J, Ungerer J, Klein R, Jacobsen T, Zimmermann P, Kowalski
 3. Hoge CW, Auchterlonie JL, Milliken CS: Mental health problems, use
                                                                                    JT: Psychische Ressourcenstärkung bei VN-Beobachtern zur Prä-
    of mental health services, and attrition from military service after
                                                                                    vention einsatzbedingter psychischer Störungen – eine Pilotstudie.
    returning from deployment to Iraq or Afghanistan. 2006 JAMA;
                                                                                    Wehrmedizinische Monatsschrift 2011; 55: 231–4.
    295: 1023–32.
 4. Sareen J, Cox BJ, Afifi TO, et al.: Combat and peacekeeping opera-          23. Warner CH, Appenzeller GN, Grieger T, Belenkiy S, Breitbach J, Par-
    tions in relation to prevalence of mental disorders and perceived               ker J, Warner CM, Hoge C: Importance of anonymity to encourage
    need for mental health care. Arch Gen Psychiatry 2007; 64:                      honest reporting in mental health screening after combat deploy-
    843–52.                                                                         ment. Arch Gen Psychiatry 2011; 68: 1065–71.

 5. Maguen S, Lucenko BA, Reger MA, et al.: The impact of reported              24. Brown JJ, Weisler RH: Posttraumatic stress disorder screening
    direct and indirect killing on mental health symptoms in Iraq war               practices: a 2010 assessment of customary care. Prim Care Com-
    veterans. J Trauma Stress 2010; 23: 86–90.                                      panion CNS Disord 2011; 13: PCC.11m01171.
 6. Komarovskaya I, Maguen S, McCaslin SE, et al.: The impact of kil-           25. Miller L: Psychotherapy with military personnel: lessons learned,
    ling and injuring others on mental health symptoms among police                 challenges ahead. Int J Emerg Ment Health. 2010 Summer; 12:
    officers. J Psychiatr Res. 2011; 45: 1332–6.                                    179–92.
 7. Vogt D, Vaughn R, Glickman ME, et al.: Gender differences in com-           26. Wells TS, Miller SC, Adler AB, Engel CC, Smith TC, Fairbank JA:
    bat-related stressors and their association with postdeployment                 Mental health impact of the Iraq and Afghanistan conflicts: a review
    mental health in a nationally representative sample of U.S. OEF/OIF             of US research, service provision, and programmatic responses. Int
    veterans. J Abnorm Psychol. 2011; 120: 797–806.                                 Rev Psychiatry 2011; 23: 144–52.
 8. Hoge CW, Castro CA, Messer SC, et al.: Combat duty in Iraq and              27. Sundin J, Forbes H, Fear NT, Dandeker C, Wessely S. The impact of
    Afghanistan, mental health problems, and barriers to care. N Engl J             the conflicts of Iraq and Afghanistan: a UK perspective. Int Rev Psy-
    Med 2004; 351: 13–22.                                                           chiatry. 2011; 23: 153–9.
 9. Zimmermann P, Hahne HH, Ströhle A: Psychiatrische Erkran-                   Anschrift für die Verfasser
    kungen bei Bundeswehrsoldaten. Trauma und Gewalt 2009; 3:                   Dr. rer. medic. Jens T. Kowalski
    316–27.                                                                     Bundeswehrkrankenhaus Berlin
                                                                                Forschungssektion Psychotraumazentrum
10. Zimmermann P, Biesold KH, Barre K, Lanczik MH: Long term course
                                                                                Scharnhorststraße 13
    of post traumatic stress disorder (PTSD) in German soldiers: effects        10115 Berlin
    of inpatient eye movement desensitization and reprocessing thera-           jenskowalski@bundeswehr.org
    py and specific trauma characteristics in patients with non-combat
    related PTSD. Military Medicine 2007; 172: 456–60.
11. Biesold KH, Barre K: Auswirkungen von Stress und Traumatisierung            Zitierweise
    bei Soldaten der Bundeswehr. In: Okon E, Meermann R (Hrsg.): Prä-           Kowalski JT, Hauffa R, Jacobs H, Höllmer H, Gerber WD, Zimmermann P :
    vention und Behandlung posttraumatischer Störungsbilder im Rah-             Deployment-related stress disorder in German soldiers: utilization of psychiatric
                                                                                and psychotherapeutic treatment. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(35–36):
    men militärischer und polizeilicher Aufgabenerfüllung. Schriftenrei-
                                                                                569–75. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0569
    he der Psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont 2001.
12. Zimmermann P, Alliger-Horn C, Wallner H, Barnett W, Meermann R:
    Psychosoziale Online Beratung für Bundeswehrsoldaten mit ein-
    satzbedingten psychischen Störungen. Trauma und Gewalt 2010; 4:
    242–9.
13. Zimmermann P, Jacobs H, Benker M, Kowalski JT: Pilotseminar
    zur psychologischen Einsatzvorbereitung für Sanitätsoffiziere des
    BAT-Pools am Bundeswehrkrankenhaus Berlin. Wehrmedizinische
    Monatsschrift 2011; 55: 221–4.
14. Gabriel U, Jacobsen T, Hauffa R, Zimmermann P, Kowalski JT:
    Evaluation des telefonischen Beratungsangebotes für Soldaten mit
    einsatzbedingten psychischen Belastungen und deren Angehörige.
    Wehrmedizinische Monatsschrift 2011; 55: 228–30.
15. Schubmann R, Schieweck R, Siepmann K, Homuth C, Wothe K, Vo-
    gel H: Evaluation der psychosomatischen Rehabilitation von Bun-
    deswehrsoldaten mit Extrembelastungen nach Auslandseinsatz.
    Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 2003; 2: 263–72.                @       The English version of this article is available online:
                                                                                        www.aerzteblatt-international.de

424                                                                                                                                   Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2012
Sie können auch lesen