Ambitionierte Rahmennation: Deutschland in der Nato - ETH Zürich
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SWP-Aktuell Einleitung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ambitionierte Rahmennation: Deutschland in der Nato Die Fähigkeitsplanung der Bundeswehr und das »Framework Nations Concept« Rainer L. Glatz / Martin Zapfe Berlin verfolgt in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ambitionierte Pläne, die erhebliches Potential für die Bundeswehr und ihre europäischen Partnerarmeen be- sitzen. Die Bundeswehr könnte langfristig zu einem Rückgrat europäischer Sicherheit werden, Deutschland als »Rahmennation« elementar zur Handlungsfähigkeit der Nato beitragen. Dies erfordert von der künftigen Bundesregierung die Bereitschaft, eine politisch-militärische Führungsrolle im Bündnis anzunehmen. Dabei wird es wohl auch nötig sein, langfristig die Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen. Eine größere sicherheitspolitische Rolle derzeit die effektive Planungsgrundlage für Deutschlands, wie sie die Bundesregierung die Streitkräfte. anstrebt, setzt militärische Handlungs- In diesem Prozess gehören nationale und fähigkeit voraus. Vor diesem Hintergrund Bündnisperspektive untrennbar zusam- unternimmt das Bundesministerium der men. Das Ziel der Bundeswehrplanung ist Verteidigung (BMVg) weitreichende Schritte ein doppeltes. Die Bundeswehr soll explizit, in der Fähigkeitsplanung der Streitkräfte, neben den Armeen Großbritanniens und mit grundlegenden Folgen für Deutschland Frankreichs, zu einem Rückgrat europäi- und die Nato. Erste Überlegungen, wie sich scher Verteidigungsfähigkeit innerhalb der die politischen Vorgaben des Weißbuchs Nato werden. Zugleich soll sie vor allem von 2016 operationalisieren lassen, wur- durch das vieldiskutierte Rahmennationen- den im März 2017 in einem internen Über- konzept (Framework Nations Concept, FNC) gangsdokument festgehalten, dem soge- direkt und indirekt zur Entwicklung ver- nannten Bühler-Papier (»Vorläufige konzep- bündeter Streitkräfte beitragen – mithin tionelle Vorgaben für das künftige Fähig- zur Handlungsfähigkeit Europas in der keitsprofil der Bundeswehr«, verfasst vom Nato. Für die Bundeswehrplanung sind Vor- Leiter der Abteilung Planung, Generalleut- gaben und Strategien der Nato daher so nant Erhard Bühler). Da die Zeichnung wichtig wie seit Jahrzehnten nicht mehr; einer neuen, umfassenden »Konzeption der sie bestimmen wesentlich die Eckpunkte. Bundeswehr« aussteht, ist dieses Konzept Generalleutnant a.D. Rainer L. Glatz ist Wissenschaftler in der SWP-Forschungsgruppe Sicherheitspolitik SWP-Aktuell 62 Dr. Martin Zapfe leitet das Team »Globale Sicherheit« am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich August 2017 1
Rückkehr der Bündnisverteidigung bedeutet jedoch auch, dass künftige Missio- Die Bedeutung der gegenwärtigen Bundes- nen etwa in Nordafrika möglicherweise nur wehrplanung wird erst vor dem Hinter- mit geringerem Kräfteansatz durchhalte- grund der jüngeren Entwicklung verständ- fähig sichergestellt werden könnten. Diesen lich. Schon seit längerem sind die Streit- Kompromiss geht die Bundeswehr faktisch kräfte faktisch nicht mehr auf Gleichwer- ein. tigkeit aller Kernaufgaben ausgerichtet, wie sie die Nato 2010 definierte: Bündnisvertei- digung, Internationales Krisenmanagement Grundaufstellung und und Kooperative Sicherheit. Priorisierun- Einsatzstruktur gen waren aufgrund finanzieller Zwänge Alle Missionsarten sollen formal also gleich unausweichlich. Hier kehren sich nun die stark gewichtet werden, während die Prio- Vorzeichen der Streitkräfteplanung um. rität faktisch der Bündnisverteidigung gilt. Seit Ende des Kalten Krieges richtete sich Operationalisiert werden soll dieser Kom- die Bundeswehr sukzessive auf Einsätze des promiss durch eine Unterscheidung zwi- Internationalen Krisenmanagements aus. schen »Grundaufstellung«, »Einsatzstruk- Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« tur« und »Missionspaketen«. Die militäri- von 2011 definierten solche Einsätze als sche Grundaufstellung – in erster Linie die »strukturbestimmend«. Fähigkeiten zur Standorte der Bundeswehr sowie die Grob- Bündnisverteidigung – als erweiterte Lan- gliederung der Teilstreitkräfte – soll prinzi- desverteidigung – traten in den Hinter- piell unverändert bleiben. Entgegen man- grund. Als direkte Folge der Finanz- und chen Berichten wird es somit in naher Eurokrise wurde zudem der Sparzwang Zukunft keinen erheblichen Aufwuchs des erheblich. Gespart wurde unter anderem Deutschen Heeres geben. Die Grundauf- durch den Verzicht auf eine Vollausstat- stellung soll, vor allem in Verbänden mit tung der Streitkräfte. Wo erforderlich, soll- hoher Einsatzbereitschaft, möglichst genau ten Einheiten in Grundbetrieb und Einsatz der Konfiguration für die Bündnisverteidi- in einem »Dynamischen Verfügbarkeits- gung entsprechen. Im Grundsatz aber – management« auf Material zugreifen. So und für alle anderen Einsätze – sollen Ein- entstanden zunehmend »hohle Struktu- satzstrukturen eingenommen werden, die ren«. Die Brigaden, Geschwader und Flottil- spezifisch auf die jeweilige Aufgabe ab- len der Bundeswehr konnten und sollten gestimmt sind. Dies geschieht durch eine vornehmlich Einsatzverbände alimentie- Ergänzung mit Missionspaketen. Sie sollen ren, nicht jedoch als Ganzes eingesetzt Fähigkeiten beisteuern, die nicht in der werden, da ein Szenario der Bündnisvertei- auf Bündnisverteidigung ausgerichteten digung als höchst unwahrscheinlich galt. Grundaufstellung vorhanden sind. Diese Grundannahme wurde hinfällig, als Sollte zum Beispiel mittelfristig eine 2014 Russland die Krim annektierte. Panzerbrigade an die Ostgrenze der Nato Als zentrales Element der Bundeswehr- verlegt werden, dann soll sie sich, wenn planung kehrt nun die Bündnisverteidi- auch ergänzt durch Missionspakete, mög- gung zurück, und »hohle Strukturen« sol- lichst unverändert in Bewegung setzen. len konsequent gefüllt werden. Zwar wird Wäre dieselbe Brigade gefordert, Kräfte für offiziell betont, dass Bündnisverteidigung eine Stabilisierungsmission in Nordafrika und Krisenmanagement gleichrangig seien. zu stellen, so ließen sich dafür geschützte Dies scheint jedoch nur begrenzt haltbar. Transport- und Führungsfahrzeuge zu- Die Bundeswehr richtet sich strukturell auf führen, die an anderen Standorten als hochintensive Operationen zur Bündnis- Missionspaket gelagert werden. Sie würden verteidigung aus. Aus demselben Kräfte- anstelle der Schützenpanzer im Einsatz dispositiv sollen dann ebenso Kriseneinsät- genutzt werden. ze bewältigt werden. Das ist folgerichtig, SWP-Aktuell 62 August 2017 2
Diese Systematik hat grundlegende Fähigkeiten primär auf Basis vorhandener – Bedeutung für das Verständnis der medial und nur in zweiter Linie durch Einführung kursierenden Zahlen. In der Tat gibt das neuer – Plattformen ausbauen. Bühler-Papier als »Nationale Ambition« ehr- Die Bundeswehr ordnet sich auf diesem geizige Ziele vor. Betroffen sind vor allem Weg konsequenter als bislang Vorgaben der die Landstreitkräfte. So soll sich zwar an Nato unter und partizipiert an der multi- der Zahl von drei Divisionsstäben und acht nationalen Streitkräfteplanung. Dabei Brigaden, über die das Deutsche Heer heute äußert sich die zentrale Rolle der Nato in verfügt, erst einmal nichts ändern; doch bis zweierlei Weise: Erstens wird die Bundes- 2032 soll es möglich sein, diese Einheiten wehrplanung bewusst in den Nato-Vertei- im Rahmen der Bündnisverteidigung gleich- digungsplanungsprozess eingebettet, zwei- zeitig einzusetzen. Jenseits des Jahres 2032 tens übernimmt Deutschland eine führen- sollen gar Einsatzstrukturen mit zehn de – oft missverstandene – Funktion im Brigaden eingenommen werden können. Rahmen des FNC der Allianz. Wichtiger als die reine Zahl der Brigaden ist zunächst jedoch das Ziel, »hohle Struk- turen« aufzufüllen und den Brigaden, Planungsvorgaben aus Brüssel Divisionen und Korps des Heeres wichtige Zum ersten Punkt: Die Bundeswehr folgt Unterstützungsverbände zuzuordnen, mit ihrer Refokussierung auf Bündnis- damit sich verlorengegangene operative verteidigung auch strategischen Vorgaben Fähigkeiten wiederherstellen lassen. So soll der Nato, die einen vergleichbaren etwa die Fähigkeit, indirekt durch Raketen- Schwenk vollzieht. Die Nato-Gipfel von und Rohrartillerie zu wirken, wieder orga- Wales 2014 und Warschau 2016 standen nisch in die Brigaden, Divisionen und unter den Vorzeichen der neuen Notwen- Korps integriert werden – durch »Fähig- digkeit, Rückversicherung und Abschre- keitspakete Artillerie«, deren genaue Größe ckung gegenüber Russland glaubhaft unter- und Struktur allerdings noch unklar sind. mauern zu können. Die Allianz beschloss Traditionell ist die Luftwaffe als Teil der in ihren politischen Leitlinien ein neues integrierten Nato-Luftverteidigung am Ambitionsniveau, mit dem unter anderem stärksten auf die Allianz ausgerichtet. Sie das Szenario zur Planungsgrundlage wur- soll mit ihren fliegenden und bodengebun- de, eine große, streitkräftegemeinsame denen Systemen alle Aufgaben der Luft- Operation zur Bündnisverteidigung (Major kriegführung wahrnehmen und zudem den Joint Operation »Plus«, MJO+) durchführen zu überwiegenden Teil der Kräfte eines multi- können. Auf dieser Basis verhandelte die nationalen Luftwaffeneinsatzverbandes Nato nun mit den Mitgliedstaaten über (Multinational Air Group) stellen. Dieser soll neue Vorgaben zur Streitkräfteplanung. bis zu 350 Einsätze pro Tag fliegen können. Die Bundesrepublik hat somit zum Zudem soll die Luftwaffe unter anderem ersten Mal – und als erste große Nation – die Fähigkeit zur Seekriegführung aus der die Resultate des Nato-Verteidigungs- Luft wieder glaubhaft erlangen. Die Marine planungsprozesses als »Soll-Vorgabe« für wiederum soll zu jeder Zeit mindestens die eigene Streitkräfteplanung übernom- 15 Schiffe sowie unterstützende Fähigkei- men. Zwar behält Berlin die volle Kontrolle ten bereitstellen können. Hinzu kommen über den Prozess, denn als Grundlage der Zielvorgaben für den Cyber- und Informa- Planung gelten nach wie vor nur die von tionsraum, den Weltraum, die Spezialkräfte Deutschland ganz oder teilweise akzeptierten der Bundeswehr sowie die Streitkräftebasis Vorgaben, und zudem sind diese nur poli- und den Sanitätsdienst. Während für das tisch verbindlich. Dennoch handelt es sich Heer also durchaus Investitionen zuguns- symbolisch und planerisch um einen be- ten einer besseren Ausstattung vorgesehen deutsamen Schritt. Die oben beschriebenen sind, sollen Luftwaffe und Marine ihre Ziele sollen bis 2032 erreicht werden, teil- SWP-Aktuell 62 August 2017 3
weise auch erst später. Damit sollen sich Prozesse reflektieren Politik. In den die individuellen nationalen Planungsziele Arbeitsprozessen der FNC-Gruppe nimmt der Bundeswehr in eine Nato-Planung ein- Deutschland eine entscheidende Rolle fügen, durch die langfristig im Bündnis ein ein. Die wesentlichen Steuerungsgremien qualitativ und quantitativ ausreichendes tagen unter deutschem Vorsitz. Grundsatz- Fähigkeitsdispositiv erreicht wird. Entscheidungen fällen die FNC-Verteidi- gungsminister auf Treffen, die ebenfalls von Berlin vor- und nachbereitet werden. Die Bundeswehr als »Ankerarmee« Die deutsche FNC-Gruppe hat heute zwei Zum zweiten Punkt: Die Bundeswehr soll Standbeine, die nur teilweise voneinander indirekt Verantwortung für die Entwick- abhängig sind. Seit Beginn konzentriert lung der Streitkräfte verbündeter Staaten sich die Gruppe auf eine koordinierte Fähig- übernehmen. Wenige Aspekte der Bundes- keitsentwicklung in »Clustern«; seit 2015 steht wehrplanung haben international für zusätzlich der Aufbau großer multinationaler mehr Aufmerksamkeit gesorgt als die von Truppenkörper im Fokus. Neben Deutschland Deutschland koordinierte Gruppe des Nato- sind bis heute 19 Staaten beigetreten; Rahmennationenkonzepts, und wenige sieben davon haben bisher eigene Truppen sind mit so vielen Missverständnissen be- für das zweite Betätigungsfeld zugesagt, haftet. Konsequent und mit strategischem andere prüfen dies noch. Formal sind beide Realismus umgesetzt, hat dieses Konzept Standbeine des FNC gleichwertig. Als Rah- das Potential, Struktur und Charakter euro- menbedingung für die Bundeswehrplanung päischer Streitkräfte in der Nato nachhaltig und hinsichtlich der langfristigen Folgen zu verändern. für die Allianz ist jedoch der Aufbau großer Das heutige FNC entstand 2013 aus einer Truppenverbände von höherer Bedeutung. deutschen Idee. 2014 wurde es von der Nato angenommen. Dennoch bleibt es ein von den Einzelstaaten getragenes, finanziertes Fähigkeitsentwicklung und gestaltetes Konzept. Dies schafft Flexi- Ziel des ersten FNC-Elements ist es, Fähig- bilität, führt aber auch zu einer nachteili- keitslücken in koordinierter Weise durch gen Begriffsunschärfe. Schon die Nato die teilnehmenden Staaten zu schließen. kennt drei verschiedene FNC-Ansätze, die Identifiziert werden solche Lücken von sich jeweils um eine Rahmennation grup- der Allianz; die weiteren Schritte steuern pieren und in Ziel, Methode und Struktur jedoch die FNC-Staaten, angeleitet von sehr unterschiedlich sind. Deutschland Deutschland. Das deutsche FNC umfasst koordiniert eine Gruppe; um die Joint heute 16 Cluster, die sich jeweils um ein Expeditionary Force der britischen Armee Fähigkeitsziel kümmern, etwa die U-Boot- gliedert sich eine weitere, die somit einen Abwehr. Die FNC-Nationen entscheiden Einsatzverband für hochintensive Opera- frei, an welchen Clustern sie sich beteiligen tionen im Blick hat. Italien koordiniert die wollen; alternativ können sie auch Beob- dritte Gruppe, die, deutlich weniger ambi- achterstatus einnehmen. Koordiniert wird tioniert, Fähigkeiten für Stabilisierungs- jedes Cluster von jeweils einem Referat des operationen erhalten und aufbauen soll. BMVg. Hinzu kommt, dass 2015 auch die EU ein Die Ausrichtung des FNC auf Fähigkeits- eigenes »Framework Nation Concept« entwicklung – angelehnt an den Nato-Ver- (bewusst ohne -s an »Nation«) beschlossen teidigungsplanungsprozess – war 2013/14 hat. Im Folgenden ist mit der Bezeichnung nicht revolutionär, gab es doch bereits »FNC« ausschließlich die von Deutschland vergleichbare Programme in der Allianz als Rahmennation koordinierte Gruppe und der EU (Smart Defence/Pooling & Sharing). gemeint. Eine neue Qualität erhielt dieses Standbein jedoch, als die FNC-Verteidigungsminister SWP-Aktuell 62 August 2017 4
2015 beschlossen, die Fähigkeitsentwick- die Staaten jene Streitkräfte aufbieten, die lung eng an die strategisch-operative Ant- sie haben. wort der Nato auf Russlands Aggression zu Genau an dieser Stelle treffen sich Streit- koppeln. Seitdem ist es möglich, die Fähig- kräfte-Entwicklung und Verteidigungs- keitscluster nicht nur als generische Insel- planung, und hier setzt das zweite und lösungen zu betrachten, sondern sie direkt wichtigere Element des deutschen FNC an – mit Einsatzverbänden der Allianz zu ver- mit doppelter Stoßrichtung. Zum einen soll binden – etwa mit der »Speerspitze« der die enge Kooperation von Einheiten der Nato, der Very High Readiness Joint Task Force FNC-Staaten um die Bundeswehr herum (VJTF) und der verbesserten Nato Response Force dazu beitragen, eine grundsätzlich bessere (eNRF). So soll beispielsweise ein multi- Interoperabilität zu erreichen und die nationales Feldlazarett der Ausbaustufe 2 Streitkräfte-Entwicklung zu harmonisieren. für eine Rotation der VJTF bereitstehen kön- Zum anderen soll mit Blick auf mögliche nen, um der Kooperation auf diesem Wege Einsatz-Szenarien (etwa im Osten der feste Parameter und verbindliche Planungs- Allianz, aber nicht nur) die Grundlage für daten zu geben. kampfstarke multinationale Divisionen um die Rahmennation Deutschland gelegt werden, um so Folgekräfte verfügbar zu Aufbau großer Truppenkörper machen. Das ist neu und politisch wie mili- Letztlich kann die Fähigkeitsplanung der tärisch sehr ambitioniert. Bundeswehr nur im Kontext des 2015 Zu Lande, zu Wasser oder in der Luft beschlossenen Aufbaus großer Truppen- wäre die Rolle Deutschlands in diesen Ver- körper um die Rahmennation verstanden bänden und Strukturen signifikant. Auch werden. Was mitunter als Kern einer – gar ein Blick auf die Ziele und Zeitlinien des von Berlin dominierten – »europäischen FNC macht die integrale Verbindung zur Armee« dargestellt wurde, ist zunächst bloß Bundeswehrplanung deutlich. Bis 2032, ein ambitionierter Plan zur Streitkräfte- also parallel zur nationalen Planung, soll es Entwicklung unter deutscher Führung. möglich sein, aus dem FNC-Streitkräftepool Seit Moskaus Annexion der Krim steht potentiell drei multinationale Divisionen die Nato vor der Herausforderung, ihre Ab- mit jeweils bis zu fünf schweren Brigaden schreckung gegenüber Russland auf neue in den Einsatz zu bringen. Zwei der drei Grundlagen zu stellen. Erforderlich sind Divisionen würden nach heutigem Stand dafür unter anderem glaubwürdige konven- aus deutschen Divisionsstäben und -struk- tionelle Handlungsoptionen. Die Allianz turen gebildet. Für die Luftwaffe sind natio- hat ab 2014 bedeutsame Schritte unter- nale und FNC-Zielvorgabe sogar teilweise nommen. Im Baltikum und in Polen schuf deckungsgleich: Der im Rahmen des FNC sie eine verbesserte Vornepräsenz (Enhanced angepeilte multinationale Einsatzverband Forward Presence, eFP) – eine politisch aus- ist wesentlicher Planungsrahmen für die gewogene und militärisch wichtige Maß- deutsche Luftwaffenführung und wäre zu nahme. Spätestens jetzt stellt sich aber die über 75 Prozent auf Fähigkeiten der Bun- Frage, ob Folgekräfte verfügbar sind, um desrepublik angewiesen. Mit Blick auf die noch immer schwache Vornepräsenz die Marine manifestiert sich das FNC vor sowie alliierte Partner zu stärken. Die erste allem in Vorgaben für die Kommandoebene »Welle« in einem etwaigen Konflikt würde und in einem deutsch dominierten Marine- von den Kräften der eFP, den Armeen der kommando für die Ostsee – eine Rückkehr regionalen Staaten und anderen Präsenz- zum altbekannten Regionalfokus in der kräften gestellt. Als zweite Welle soll die Nato. Deutschland würde somit, für die eNRF dienen, vor allem mit ihrer »Speer- meisten der kleinen Anlehnungspartner spitze«. Für die dritte Welle gibt es keine wie für die Nato insgesamt, in den meisten designierten Einheiten; vielmehr würden SWP-Aktuell 62 August 2017 5
denkbaren Szenarien der Bündnisverteidi- Militärische Priorisierung mit Risiken gung zur unverzichtbaren Nation. Die in der Fähigkeitsplanung der Bundes- Für Missverständnisse sorgt vielfach die wehr angelegte Refokussierung auf Bünd- Frage, inwiefern Einheiten der FNC-Partner- nisverteidigung spiegelt politische Reali- staaten deutschen Divisionskommandos täten und ist konsequent. Sie birgt jedoch »unterstellt« werden. Auch wenn die Be- auch Risiken. Die Nato kann den Kompro- grifflichkeiten nicht auftauchen, gilt hier miss einer Nicht-Priorisierung gewisser die Strukturlogik der Bundeswehrplanung, Regionen (»360-Grad-Ansatz«) eingehen, da wonach die Grundaufstellung nicht zwin- sich die Streitkräfte der Mitgliedstaaten gend der Einsatzstruktur entspricht. Briga- ohnehin vorrangig auf Herausforderungen den der Niederlande, Tschechiens oder in ihrer jeweiligen Region einstellen. Frank- Rumäniens werden weder truppendienst- reich etwa richtet seine Streitkräfte zuneh- lich der Bundeswehr unterstellt noch mend auf Einsätze zur Terrorismusbekämp- dauerhaft in Deutschland stationiert. In fung und Stabilisierung in Nordafrika aus; jedem Szenario behalten alle Staaten – zugleich beteiligt es sich nur zurückhaltend einschließlich Deutschland – auf absehbare an der Nato-Vornepräsenz im Baltikum und Zeit die politische Handlungsfreiheit, ihre in Polen. Die Bundeswehr hingegen priori- Streitkräfte nach eigenen Vorstellungen siert nun faktisch die Bündnisverteidigung, auszurüsten und einzusetzen. Die »Ver- wird sich jedoch als »Ankerarmee« auch schränkung« europäischer Streitkräfte mag etwaigen Operationen im Süden nicht ent- faktische Abhängigkeiten erzeugen und ziehen können. soll dies mittel- bis langfristig auch. Wenn Zwar ist die Systematik von Grundauf- kleinere Staaten Fähigkeiten aufgeben, stellung, Einsatzstruktur und Missions- entstehen einseitige Bindungen, die durch paketen sinnvoll; sie wird aber die entste- das FNC potentiell verstetigt werden. Doch henden Probleme nur lindern können. Soll- alle Staaten haben im FNC gegenüber deut- te es einen neuen Stabilisierungseinsatz schen Strukturen nicht nur die Möglichkeit wie ISAF geben oder die Resolute Support- des »Plug-in«, sondern explizit auch das Mission in Afghanistan eskalieren, würde Recht auf ein »Plug-out«. Allein dies zeigt, die Bundeswehr hinsichtlich Kontingent- dass Befürchtungen, es entstehe eine Gestellung und Durchhaltefähigkeit vor »deutsch kommandierte europäische ähnlichen Herausforderungen stehen, wie Armee«, den Blick auf die wesentlichen sie nach 1990 ständig zu bewältigen waren. Elemente dieser Streitkräftekooperation Die Planung des BMVg ist hier erfreulich verstellen. Zugleich gilt aber auch, dass die explizit; doch auch den politischen Akteu- Erwartungen an Effizienzgewinne durch ren in Bundesregierung und Bundestag das Konzept gedämpft werden müssen, muss dies klar sein. wenn es im Krisenfall keine letztverbind- liche Zusammenarbeit gibt. Hoher Finanzbedarf Die Pläne der Bundeswehr erfordern lang- Kritische Implikationen fristig weiter steigende Verteidigungsaus- Die beschriebenen Entwicklungen bergen gaben. Wichtig ist dabei, Planungssicher- zahlreiche Implikationen. Zumindest sechs heit über das Ausmaß der Steigerungen zu davon – die im Folgenden thematisiert schaffen, denn nur so lassen sich Groß- werden – scheinen wesentlich für die Bun- investitionen umsetzen, die über mehrere deswehr und Deutschlands Rolle in der Haushaltsjahre laufen. Hier wurden deut- Nato. liche Fortschritte erzielt. Die »Trendwende Finanzen«, 2015 im BMVg eingeleitet, sieht mit der mittelfristigen Finanzplanung vor, bis 2021 einen Verteidigungshaushalt von SWP-Aktuell 62 August 2017 6
rund 42,4 Milliarden Euro zu realisieren Gefahr der Modernisierungsfalle (gegenüber 37 Milliarden Euro im Jahr Umso wichtiger scheint, dass Deutschland 2017). Damit soll bereits 2020 das Nato-Ziel das FNC weiterhin klar auf das Langfristziel erreicht werden, 20 Prozent der Verteidi- eines einsatzbereiten Streitkräftepools auf gungsausgaben für Rüstungsinvestitionen Basis der Nato-Staaten verpflichtet – und zu verwenden. nicht auf konkrete und stehende multina- Diese Festlegung ist weit bedeutender als tionale Eingreifkräfte. Frühere Ansätze der die politisch sensible und kontraproduktive Nato und auch der EU, multinationale Ver- Debatte um das »2-Prozent-Ziel« der Nato – bände aufzubauen (wie NRF oder die EU also die Vorgabe, jeder Mitgliedstaat solle Battle Groups) gerieten in die »Modernisie- bis 2024 für die Verteidigung 2 Prozent rungsfalle«. Sie boten ein erfolgreiches seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausge- Instrument zur Streitkräfte-Entwicklung, ben. Wie konkret und verbindlich die Mar- schufen aber keine effektiven Verbände für ke tatsächlich ist, sei hier dahingestellt. Die den Einsatz. Zu schwerfällig war der Pro- deutschen Verteidigungsausgaben werden zess der Kräftegenerierung, als zu unflexi- jedenfalls, trotz der jüngsten Steigerung, bel erwiesen sich die Strukturen, zu abhän- im Jahr 2021 mit weniger als 1,3 Prozent gig waren Nato und EU vom Willen der je- des BIP noch weit von dieser Schwelle ent- weils truppenstellenden Staaten. Wann fernt sein – anhaltendes Wirtschaftswachs- immer schnelle und entschlossene Reaktio- tum vorausgesetzt. Auch losgelöst von nen nötig wurden, kamen meist doch über- allianzpolitisch symbolträchtigen Zahlen wiegend nationale Verbände zum Einsatz, scheint klar, dass die bisher kommunizier- die effektiv und flexibel operieren konnten. ten Investitionen von 130 Milliarden Euro Die Modernisierungsfalle ist auch im bis 2030 nicht ausreichen werden, um die inklusiven Ansatz des FNC angelegt. Denn Bundeswehr aufgabengerecht zu moderni- Interoperabilität gilt nicht als Vorausset- sieren und die ambitionierten Aufgaben zung für eine Teilnahme, sondern als Ziel als Rahmennation voll zu erfüllen. Dies der Kooperation. Das mag notwendig sein. gilt schon allein wegen des enormen Nach- Doch zeigt ein Blick auf die bisherigen holbedarfs der Streitkräfte. »Truppensteller« des FNC, dass viele mittel- Das FNC wird dabei nicht helfen, Geld zu europäische Partner ein wesentliches Inter- sparen, im Gegenteil. Zwar ist wesentlich esse daran haben, langfristig die eigenen für den langfristigen Erfolg, dass durch die Streitkräfte zu modernisieren. Jedenfalls Kooperationen Ausgaben sinnvoller getätigt sollten politisch keine Illusionen über die werden, gemeinsam operierende Verbände kurz- und mittelfristigen Möglichkeiten der möglichst die gleiche Ausstattung erhalten FNC-Truppenkörper genährt werden (eine und sie somit effizienter sind. Doch das Ausnahme bildet vielleicht die deutsch- Konzept zielt primär auf dauerhafte militä- niederländische Kooperation). rische Effektivität – und erst dann auf Effi- Gerade Deutschland steht bei seinen zienz. Anders als Projekte wie Smart Defence großen Verbündeten nicht zu Unrecht im und Pooling & Sharing ist gerade das wichtige Verdacht, aus einem integrationsfreundli- Standbein der »großen Truppenkörper« ein chen Impetus heraus die politische Symbo- militärisch-politisches Investitionsprojekt. lik multinationaler Streitkräfte zu oft über Deutschland geht als Rahmennation Ver- den letztlich wichtigeren militärischen pflichtungen ein, die darauf hinauslaufen, Zweck zu stellen – Kooperation also um der militärische Fähigkeiten von Bündnispart- Kooperation willen zu befürworten. Das nern zumindest indirekt mitzufinanzieren. FNC hingegen ist ein systematischer und Das FNC ist ein sicherheitspolitisches und strukturierter Ansatz, um auf lange Sicht kein ökonomisches Konzept, und politisch- europäische Streitkräfte in der Nato aufzu- militärische Führung hat ihren Preis. bauen und aus diesem Pool heraus indirekt die Aufstellung von Einsatzverbänden zu SWP-Aktuell 62 August 2017 7
erleichtern. Nationale Streitkräfte werden Deutschland auch indirekt Verantwortung jedoch auf absehbare Zeit weiter Grundlage für die Einsatzbereitschaft verbündeter der Nato sein. Deutschland wird sich aus Streitkräfte. Es scheint noch dringender als seiner militärischen Verantwortung nicht bisher, dass in Berlin die Debatte über »herauskooperieren« können. Deutschlands gestiegene Bedeutung in der Nato und Europa größeren Raum bekommt. In dieser nationalen Diskussion gibt es Ausstrahlung auf die EU konkrete Vorschläge. Die »Rühe-Kommis- Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine sion« zur Überprüfung des Parlamentsbetei- »Nato-Kräfte« oder »EU-Kräfte«, sondern nur ligungsgesetzes empfahl 2015, die Gestel- Streitkräfte der Mitgliedstaaten, die der lung von »multilateralen militärischen Ver- jeweiligen Organisation unterstellt werden bundfähigkeiten« für Deutschland politisch können. Das ist keine Schwäche. Es ist gera- verbindlicher zu machen. Zudem scheint de der Fokus auf dem Nato-Streitkräftepool auch weiterhin geboten – wie von der Kom- © Stiftung Wissenschaft und – im Gegensatz zu multinationalen Einsatz- mission angeregt –, die rechtlich-politi- Politik, 2017 verbänden –, der dem FNC Bedeutung über schen Rahmenbedingungen von »Bündnis- Alle Rechte vorbehalten die Allianz hinaus verleiht. Zwar ist die verteidigung als Landesverteidigung« und Das Aktuell gibt die Auf- Möglichkeit vorgesehen, FNC-Verbände der die verfassungsrechtlichen Grundlagen des fassung der Autoren wieder Nato zu unterstellen. Im Grundsatz jedoch Einsatzes von Streitkräften zu diskutieren. SWP bleiben die »großen Truppenkörper« Kräfte Stiftung Wissenschaft und der Staaten, und sie könnten etwa auch in Politik Deutsches Institut für Operationen der EU eingesetzt werden. Notwendigkeit deutscher Führung Internationale Politik und Da all diese Kräfte und Operationen Schließlich scheint langfristig militärische Sicherheit von denselben Streitkräften gebildet bzw. und politische Führung notwendig, um das Ludwigkirchplatz 34 durchgeführt werden müssten, trägt das Potential der gegenwärtigen Bundeswehr- 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 FNC potentiell auch wesentlich zur Hand- planung und des FNC zu nutzen. Dies ist Fax +49 30 880 07-100 lungsfähigkeit der EU bei. Zur Koordination kein Allgemeinplatz. Das FNC kann als Kon- www.swp-berlin.org mit EU-Prozessen ist die Europäische Ver- zept der Staaten kein Selbstläufer sein. Wo swp@swp-berlin.org teidigungsagentur mit Beobachterstatus entschlossene Führung durch Deutschland ISSN 1611-6364 am FNC beteiligt, und die Beschlüsse des fehlt, wandelt sich die Flexibilität des FNC deutsch-französischen Ministerrats von Juli von einer Stärke zur Schwäche. Sowohl im 2017 zur Zukunft der »Ständigen Struktu- BMVg als auch in der Nato muss das Projekt rierten Zusammenarbeit« im Rahmen der auf hoher Ebene angesiedelt und mit klaren EU sind, richtig umgesetzt, durchaus kom- Verantwortlichkeiten geführt werden. Lektüre-Empfehlungen plementär zu Nato und FNC. Als Säule einer Im Detail sind noch viele Fragen zu den Rainer Glatz/Martin Zapfe stärkeren europäischen Verteidigungs- Auswirkungen der Fähigkeitsplanung zu Nato-Verteidigungsplanung zwischen Wales und Warschau. identität in der Nato kann das FNC gerade klären, und die militärischen Organisa- Verteidigungspolitische Heraus- angesichts der Erschütterungen im trans- tionsbereiche haben umfangreiche Prüf- forderungen der Rückversicherung gegen Russland atlantischen Verhältnis eine Bedeutung aufträge erhalten. Noch befindet sich vieles SWP-Aktuell 95/2015, über die Allianz hinaus gewinnen. im luftigen Raum ministerieller Konzepte. Dezember 2015 Sollte Deutschland aber den politischen, Claudia Major/ finanziellen und militärischen Preis auf Christian Mölling Frage politischer Handlungsfähigkeit Dauer zu zahlen bereit sein – und die Das Rahmennationen-Konzept. Deutschlands Beitrag, damit Für Deutschland ist die Rolle als militäri- Öffentlichkeit dies mittragen –, dann hat Europa verteidigungsfähig bleibt sche und politische Führungsmacht in vie- der heutige Kurs des Verteidigungsministe- SWP-Aktuell 67/2014, November 2014 ler Hinsicht ungewohnt. Auch wenn sich riums das Potential, die ambitionierte Berlin durch das FNC nicht rechtlich bindet: Fähigkeitsplanung der Bundeswehr für Die Bundeswehr würde auf dem eingeschla- Deutschlands Partner innerhalb und genen Kurs eine der wichtigsten Armeen jenseits der Allianz in kritischen Zeiten des Kontinents, und durch das FNC trägt fruchtbar zu machen. SWP-Aktuell 62 August 2017 8
Sie können auch lesen