Empfehlung zum erforderlichen Luftwechsel in Schulen, Großraumbüros, Hörsälen und Turnhallen zur Reduzierung eines aerosolgebundenen Infektionsrisikos
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RWTH-EBC 2020-004 Empfehlung zum erforderlichen Luftwechsel in Schulen, Großraumbüros, Hörsälen und Turnhallen zur Reduzierung eines aerosolgebundenen Infektionsrisikos 1,2 Dirk Müller, 1 Kai Rewitz, 1 Dennis Derwein, 2 Tobias Maria Burgholz, 3 Marcel Schweiker, 2 Janine Bardey, 4 Peter Tappler 1 Institute for Energy Efficient Buildings and Indoor Climate (EBC), RWTH Aachen 2 Heinz Trox Wissenschafts gGmbH, Aachen 3 Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, RWTH Aachen 4 IBO Innenraumanalytik OG, Wien This work is licensed under a Creative Commons Attribution 3.0 Germany License. Please cite this article as: D. Müller, K. Rewitz, D. Derwein, T. M. Burgholz, M. Schweiker, J. Bardey, P. Tappler, Empfeh- lung zum erforderlichen Luftwechsel in Schulen, Großraumbüros, Hörsälen und Turnhallen zur Reduzierung eines aerosolgebundenen Infektionsrisikos, White Paper, RWTH-EBC 2020-004, Aachen, 2020, DOI: 10.18154/RWTH-2020-10366 RWTH Aachen University E.ON Energy Research Center Institute for Energy Efficient Buildings and Indoor Climate (EBC) Mathieustr. 10, 52074 Aachen T +49 241 80-49760, F +49 241 80-49769 ebc-office@eonerc.rwth-aachen.de, www.eonerc.rwth-aachen.de/ebc
Empfehlung zum erforderlichen Luftwechsel in Schulen, Großraum- 1,2 Dirk Müller, 1 Kai Rewitz, 1 Dennis Derwein, büros, Hörsälen und Turnhallen 2 Tobias Maria Burgholz, 3 Marcel Schweiker, zur Reduzierung eines aerosolgebun- Janine Bardey, 4 Peter Tappler 2 1 Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik (EBC), RWTH Aachen denen Infektionsrisikos Heinz Trox Wissenschafts gGmbH, Aachen 2 3 Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, RWTH Aachen 4 IBO Innenraumanalytik OG, Wien 1. Einleitung Die anhaltende Infektionsgefahr durch das neue kritische Ausbreitung von Viren in geschlossenen Beta-Coronavirus SARS-CoV-2 als Auslöser von Räumen verantwortlich ist. Bei einem Aerosol COVID-19 hat in vielen Ländern zu intensiven Dis- handelt es sich um ein Trägergas (hier Luft), in kussionen über zukünftige Nutzungsmöglichkeiten dem sehr kleine Partikel schweben, die beispiels- von Innenräumen geführt. Dabei ist zu beachten, weise durch die Atmung des Menschen entstehen dass es in Innenräumen mit mehreren Personen können. Die Konzentration der mit Viren belasteten immer ein Infektionsrisiko geben wird, da die Über- Aerosolpartikel kann direkt durch die Lüftung des tragung des Virus ohne die Nutzung einer im Alltag Raums beeinflusst werden. Daher ist dieser Über- über einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) hinausge- tragungsweg für eine sicherheitstechnische Be- henden und damit für viele Tätigkeiten unzumutba- wertung von Innenräumen und Veranstaltungen in ren Schutzkleidung nicht ausgeschlossen werden belüfteten Räumen von besonderer Bedeutung. kann. Viren können ohne direkten Körperkontakt über drei Wege zwischen Personen übertragen werden: · Kontaktflächen · Tropfen · Aerosole Die Übertragung von Viren über Kontaktflächen kann durch eine regelmäßige Reinigung aller relevanten Oberflächen und durch Desinfektion der Hände deutlich reduziert werden. Eine Über- tragung durch Tropfen wird durch das Tragen eines MNS ebenfalls wesentlich vermindert. Beide Über- tragungswege werden durch den Einsatz raumluft- technischer Anlagen nicht direkt beeinflusst. Even- tuell können bei Temperaturen unterhalb typischer Raumtemperaturen Viren länger an Oberflächen aktiv bleiben (Chan et al. 2011), was im Rahmen der folgenden Betrachtungen allerdings ebenso wie der Einfluss relativer Luftfeuchtigkeit nicht be- rücksichtigt wird. Der vorliegende Beitrag fokussiert sich auf die Übertragung von Viren durch Aerosolpartikel, da dieser Übertragungsweg inzwischen als einer der Hauptübertragungswege erachtet wird (Robert Koch-Institut 2020b), nicht durch einfache Maß- nahmen unterbunden werden kann und für eine 1
2. Relative Bewertung des Infektionsrisikos tionsparameter aus dem Modell entfernt werden, sodass ausschließlich technische Parameter des Da es aktuell noch keine ausreichend sichere Me- Raums sowie die Raumbelegung und die das ak- thode gibt, um ein absolutes aerosolgebundenes tuelle Infektionsgeschehen beschreibende statisti- Infektionsrisiko für beliebige Umgebungen vorher- sche Größe berücksichtigt werden müssen. zusagen, wird in diesem Beitrag ein bereits be- schriebener Ansatz genutzt, mit dem ein relatives Im Folgenden wird zunächst eine Erweiterung Infektionsrisiko durch einen Virustransport über dieses Ansatzes um den Einfluss unterschiedlicher Aerosolpartikel in unterschiedlichen Räumen und körperlicher Aktivitäten und Sprechaktivitäten so- Nutzungen gegenüber einer Referenzumgebung wie der Verwendung eines MNS beziehungsweise berechnet werden kann. Abweichend von der ers- eines Luftreinigers beschrieben. Zudem werden für ten Veröffentlichung zum relativen Infektionsrisiko die Referenzumgebung zwei Änderungen vor- (Müller et al. 2020) wird hier eine neue Referenz- genommen: Erstens wird als Referenzumgebung umgebung gewählt, für die in der Literatur eine anstatt einer Wohnung ein Klassenraum einer Abschätzung des absoluten Infektionsrisikos an- Schule betrachtet. Zweitens wird der Betrachtungs- gegeben wird. Damit kann über diesen Ansatz eine zeitraum der Referenzumgebung auf eine Stunde beliebige Umgebung mit einer Referenzumgebung festgelegt. Die Änderungen der Referenzumge- verglichen werden, für die ein absolutes Infektions- bung bieten den bereits genannten Vorteil, dass risiko angegeben werden kann. für diesen Fall in der Literatur eine Abschätzung des absoluten Infektionsrisikos vorliegt. Weiter- Auf Basis des aktuellen Verhältnisses aus den an hin entspricht die neue Referenzumgebung einem COVID-19 erkrankten Personen und der Gesamt- Klassenraum mit einer marktüblichen maschinellen bevölkerung in Deutschland wird für die jeweilige Lüftungsanlage, für die ein definierter Luftwechsel Raumbelegung die Wahrscheinlichkeit modelliert, angegeben werden kann. Der Betrachtungszeit- mit der eine infizierte Person im Raum anwesend raum von einer Stunde entspricht einer Unterrichts- ist. Mit dieser Wahrscheinlichkeit und auf Basis einheit inklusive einer Pausenzeit. raumspezifischer Parameter sowie einer hypothe- tischen Rate an infektiösen Aerosolpartikeln, die Die hier vorgestellte Untersuchung vergleicht somit eine infizierte Person an die Raumluft abgibt, wird die in einem einstündigen Szenario inhalierte Dosis ein Modell für die Gleichgewichtskonzentration an respiratorischer Aerosolpartikel mit der Dosis in der infektiösen Aerosolpartikeln in der Raumluft auf- Referenzsituation einer Schulstunde in einem nach gestellt. Die Raumluft wird in der Studie von Mül- dem Stand der Technik belüfteten Klassenraum. ler et al. (Müller et al. 2020) vereinfacht als ideal Die hier angesetzte Referenzsituation „Schulstun- durchmischt angesehen und die Dämpfung des de“ ist gekennzeichnet durch ein Raumvolumen Konzentrationsanstiegs durch das Raumvolumen von 200 m3, eine Luftwechselrate von 4,4 h−1, eine wird vernachlässigt, da immer nur die stationären Dauer von 60 Minuten und die Anwesenheit von Endkonzentrationen ausgewertet werden. Dadurch 25 Personen, die sitzen und von denen eine Per- ergibt sich eine konservative Abschätzung der son aktiv spricht. Der resultierende Volumenstrom eingeatmeten Aerosolpartikelanzahl. Das absolute entspricht einem spezifischen Zuluftvolumenstrom Infektionsrisiko wird dabei näherungsweise linear von 35 m³/h pro Person, welcher auf dem empfoh- abhängig von der Anzahl der eingeatmeten, infek- lenen personen- und flächenbezogenen Luftstrom tiösen Aerosolpartikel mit einem hypothetischen der Kategorie II nach DIN EN 15251 basiert (DIN EN Infektionsparameter modelliert. Durch den Bezug 15251). Diese Referenzsituation definiert ein relati- des absoluten Infektionsrisikos eines beliebigen ves Risiko von 1 und wird im Folgenden mit Unter- Raums auf das absolute Risiko in einer Referenz- suchungen zu einem absoluten Infektionsrisiko für umgebung kann der schwer quantifizierbare Infek- SARS-CoV-2 in Verbindung gebracht. 2
Eine Quantifizierung dieses Infektionsrisikos bleibt geringere bzw. den Faktor 4 höhere Emissionsrate beim gegenwärtigen Stand des Wissens zwar mit bei Anwesenheit einer schwach infektiösen bezie- vielen Unsicherheiten behaftet, gleichwohl existie- hungsweise stark emittierenden Person im Ver- ren in der Literatur inzwischen entsprechende An- gleich zur durchschnittlich emittierenden Person sätze, die sich an dokumentierten Superspreading- annehmen. Daraus resultiert bei Anwesenheit einer Events orientieren (Lelieveld et al. 2020; Miller et stark emittierenden Person eine sekundäre Infek- al. 2020; Buonanno et al. 2020a). Buonanno et tion in jeder einzelnen Schulstunde, bei Anwesen- al. betrachten in Szenario C eine Besprechung bei heit einer schwach infektiösen Person je einem Raumvolumen von 300 m3 und einer Luft- 100 Schulstunden. wechselrate von 3 h−1. Unter der Voraussetzung, dass eine mit SARS-CoV-2 infizierte und infektiöse Dieser Wert muss in Relation zur Wahrscheinlich- Person an der Besprechung teilnimmt, berechnen keit gesehen werden, dass im Unterricht über- sie für die in dieser Situation exponierten Personen haupt eine infizierte Person anwesend ist. Die ein individuelles Infektionsrisiko von 1 % nach Wahrscheinlichkeit PKPR bei nInf Infizierten in einer 72 Minuten Aufenthaltszeit. Dabei berücksichtigen Gesamtpopulation np mindestens einen Infizierten sie, dass die infektiöse Person mit unterschied- in einer Gruppe mit nR Personen in einem Raum zu licher Wahrscheinlichkeit wenig infektiös, durch- treffen, liegt auf Basis der Gleichung von (Consi- schnittlich infektiös oder sehr infektiös sein kann. leon Business Consultancy GmbH 2020; Tabarrok 2020) bei dem aktuellen Infektionsgeschehen Da die getroffenen Annahmen bezüglich Luftvo- (ungefähr 100.000 Infizierte) und der gewählten lumenstrom und Anzahl aktiver Sprecher der hier Referenzsituation bei 0,03 (entspricht 3,0 %). Zur gewählten Referenzsituation sehr nahekommen, ist Berechnung dieser Wahrscheinlichkeit wird für auf der Grundlage des Zahlengerüsts dieser Auto- Deutschland von 83 Mio. Einwohnern und 100.000 ren zu erwarten, dass auch in der hier gewählten infizierten Personen ausgegangen, die sich aus der Referenzsituation im statistischen Mittel bei Anwe- Anzahl aller registrierten Fälle abzüglich der bereits senheit einer infizierten Person das Infektionsrisiko genesenen und verstorbenen Personen orientiert bei 1 % liegt. Somit ergibt sich auf je vier Schul- (Robert Koch-Institut 2020a). Die Wahrscheinlich- stunden mit 25 Anwesenden das Risiko einer wei- keit eine infizierte Person anzutreffen und sich bei teren infizierten Person. Auf Basis von Buonanno dieser Person zu infizieren wird durch die Multipli- et al. lässt sich vereinfacht eine um den Faktor 25 kation der Einzelwahrscheinlichkeiten beschrieben und beträgt 0,0003 (entspricht 0,03 %). Tabelle 1 – Annahmen für die Referenzumgebung eines typischen Klassenraums mit maschineller Lüftung 3
3. Erweiterung des Ansatzes hang einer Chorprobe nachgewiesen werden, so dass dieser Infektionsweg mitbetrachtet werden Die von Müller et al. aufgestellte Berechnungs- muss (Hamner et al. 2020; Miller et al. 2020). Auf gleichung des relativen Infektionsrisikos RRInf wird die Bedeutung von Aerosolpartikeln bei einer gemäß Gleichung (1) um zusätzliche Parameter er- Infektionsübertragung wird auch in der experi- weitert. Diese beinhalten . das Verhältnis der Atem- mentellen Untersuchung von (Asadi et al. 2019) volumenströme VA in Abhängigkeit unterschiedli- hingewiesen. Tabelle 2 beinhaltet die in der Litera- cher Aktivitäten, das Verhältnis mittlerer emittierter tur angegebenen Werte der Atemvolumenströme – Aerosolmengen ṅAerosol in Abhängigkeit der Sprech- in Abhängigkeit der Aktivität und die emittierten aktivität (Sprechanteile und -lautstärken), siehe Aerosolmengen in Abhängigkeit der Sprechaktivität Gleichung (2), das Verhältnis einer Reduktion der (Buonanno et al. 2020b). emittierten Aerosolpartikel aufgrund der Filter- wirkung PR eines.MNS und des Einflusses eines Eine präventive Maßnahme, die das Eintragen Volumenstroms VLR, welcher über einen Luftreiniger von Aerosolpartikeln in die Raumluft vermindern zur Verfügung gestellt werden kann. kann, ist das Tragen von MNS. Die Filterwirkung, die abhängig von Tröpf- chengröße und Material beschrieben werden (1) kann (Zangmeister et al. 2020; Whiley et al. 2020), wird in dieser (2) Studie vereinfacht durch einen größenunabhängi- gen Faktor von PR = 0,5 Die verschiedenen Sprechaktivitäten werden über dargestellt. Der gewählte Wert bildet eine konser- eine Differenzierung der mittleren ausgeatmeten vative Abschätzung innerhalb der bisher gemesse- Aerosolmengen zwischen Referenz- und Ver- nen Filtereffizienz im getragenen Zustand von gleichsumgebung berücksichtigt, da zwischen der 15 MNS aus Stoff unterschiedlicher Passformen Stillarbeit in einer Bibliothek, einem Kinobesuch (MW 71,2 %, SD 17,6, Min 28 %, Max 99 %) (Muel- oder der Arbeit in einem Callcenter signifikante ler et al. 2020) beziehungsweise der erfassten Unterschiede in Bezug auf die jeweilige Aerosolex- signifikanten Reduktion der Viruslast (Leung et al. position zu erwarten sind. Dabei wird zwischen der 2020). Dieser Wertebereich wird durch Studien Anzahl der sprechaktiven und der nicht sprechakti- unterstützt, die das Infektionsrisiko mit und ohne ven Personen im Raum unterschieden. Die erhöhte MNS in der Bevölkerung untersuchen und Effekte Abgabe von Aerosolpartikeln infolge bestimmter wie eine viermal geringere Mortalität abhängig respiratorischer Aktivitäten konnte im Zusammen- von einer höheren Nutzungszeit von MNS in der Öffentlichkeit (Leffler et al. 2020) und einer Re- Tabelle 2 – Übersicht über Atemvolumenströme und Aerosolmengen 4
duktion von Infektionen von 47 % bis 80 % (Liang sel, Aufenthaltszeiten und Belegungen sind nicht et al. 2020) darstellen. Der in dieser Studie an- als allgemeingültig für die jeweiligen Raumtypen, gesetzte Wert ist auch konservativer als der von sondern exemplarisch für das jeweils angenom- Lelieveld (Lelieveld et al. 2020) für die Eintragung mene Beispiel zu verstehen. Des Weiteren wird in von Aerosolpartikeln ermittelte Wert von 60 %, da diesen Vergleichsszenarien angenommen, dass in der Praxis ein MNS nicht immer bestimmungs- weder MNS getragen werden noch ein spezieller gerecht getragen wird. Das Tragen von Visieren hat Luftreiniger eingesetzt wird. wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Abgabe von Aerosolpartikeln, da die Strömung nur umgelenkt Das Raumvolumen des hier betrachteten Klassen- wird und kleinere Partikel aufgrund der geringen raums entspricht mit 200 m³ genau dem Wert der Trägheit der Strömung folgen können. Nur größere angesetzten Referenzumgebung. Dieser angesetzte Partikel werden eventuell abgeschieden und kön- Wert stammt aus einer in Frühjahr und Sommer nen sich als Beschlag an den Visieren zeigen. Auf 2019 von der Heinz Trox Wissenschafts gGmbH die Einatmung von Aerosolen hat das Tragen von durchgeführten Feldstudie zur Luftqualität und Visieren ebenfalls keinen positiven Einfluss. Akustik in Schulen in NRW. Einbezogen wurden 48 zufällig ausgewählte Klassenräume verschie- 4. Unterschiedliche Raumparameter dener allgemeinbildender Schultypen in Aachen und Nutzungen und Neukirchen-Vluyn. Die Auswertung der aufge- nommenen Raumgeometrien ergibt eine mittlere Um das relative Infektionsrisiko gegenüber einem Grundfläche von 64 m² und mit einer durchschnitt- Aufenthalt in beschriebenen Referenzumgebung zu lichen lichten Höhe von 3,3 m ein Raumvolumen bewerten, werden nachfolgend Randbedingungen von etwa 210 m³ für durchschnittlich 27 Sitzplätze. für verschiedene belüftete Vergleichsumgebungen Die Werte der Feldstudie decken sich mit Unter- definiert (Tabelle 3). Wenn nicht anders angege- suchungen der Unfallkasse NRW (Neumann und ben, bezieht sich das Raumluftvolumen dabei Buxtrup 2014). Je nach Kurszusammensetzung jeweils auf die lichten Abmessungen des Raums und Klassenverband sind bei der Belegung grö- ohne Berücksichtigung von anwesenden Personen, ßere Schwankungen möglich. Die im Rahmen der Möblierung oder sonstigen Einbauten. durchgeführten Feldstudie erfassten maschinellen Lüftungsgeräte hatten Nennvolumenströme von bis Bei den Aufenthaltszeiten werden keine Pausen zu 850 m³/h, die wegen der erhöhten Strömungs- oder sonstige Unterbrechungen berücksichtigt. geräusche während des Unterrichts allerdings Für die Luftwechselraten werden typische Aus- nicht mit der höchsten Gebläsestufe betrieben legungswerte verwendet, allerdings sei an dieser werden konnten. Entsprechend können bei den Stelle darauf hingewiesen, dass die in Normen und Klassenräumen Luftwechselraten kleiner als 4 h−1 Richtlinien angegebenen Werte oftmals nicht den als realistisch angenommen werden. Es wird davon tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Hier ist ausgegangen, dass bei einem klassischen Frontal- eine Überprüfung des realen Anlagenbetriebs und unterricht immer nur eine Person redet. eine Messung der Luftvolumenströme anzuraten. Weiterhin sind für die Luftwechselraten Annahmen Stellvertretend für einen typischen Arbeitsplatz für personenbezogene Außenluftvolumenströme wird eine Büroumgebung betrachtet. Als notwendig, falls eine raumlufttechnische Anlage Großraumbüro gelten Büros mit einer Grundfläche mit variablem Volumenstrom betrieben wird. In den ab 400 m² mit einer lichten Höhe von mindestens meisten Fällen wird der Volumenstrom in diesen 3 m, woraus sich ein Mindestraumvolumen von Anlagen nach der CO2-Konzentration in der Abluft 1.200 m³ ergibt. In Anlehnung an die Technischen geregelt, da die CO2-Konzentration ein guter In- Regeln für Arbeitsstätten ASR A1.2 ergibt sich zu- dikator für den personenbezogenen Luftvolumen- sammen mit einem Platzbedarf von minimal 12 m² strom ist. Alle hier genannten Werte für Luftwech- pro Arbeitsplatz eine maximale Besetzung von 5
33 Personen (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und schwere sportliche Betätigungen zu 3,3 m³/h ange- Arbeitsmedizin (BAuA) 2013). Es wird die Annahme nommen. Zudem wird abgeschätzt, dass ungefähr getroffen, dass ungefähr 25 % der anwesenden 10 % der Anwesenden durchgängig laut rufen, um Personen gleichzeitig reden. miteinander zu kommunizieren. Als weitere Nichtwohngebäude werden ein Hörsaal 5. Vergleich des relativen Infektionsrisikos in sowie eine Sporthalle herangezogen. Für einen ex- unterschiedlichen Umgebungen emplarischen großen Hörsaal mit einer Bestuhlung für etwa 1.000 Personen wird eine Grundfläche von Im Folgenden wird das Infektionsrisiko für die ver- 935 m² und ein Volumen von etwa 10.000 m³ schiedenen Räume unter variablen Randbedingun- angenommen. Bei Hörsälen der RWTH Aachen gen relativ zum als Referenzumgebung angenom- werden typischerweise 3 bis 3,5 Luftwechsel pro menen Klassenraum grafisch dargestellt. In den Stunde eingestellt. Es wird wie bei der Schule nachstehenden Diagrammen ist die Anzahl der Per- davon ausgegangen, dass idealerweise immer nur sonen über der Luftwechselrate aufgetragen, wo- eine Person spricht während alle anderen aufmerk- bei das relative Infektionsrisiko entsprechend einer sam zuhören. um die Farbe Orange erweiterten Ampel farblich angegeben ist. Um das Vergleichen verschiedener Mit einer Sporthalle wird eine zweite Umgebung Szenarien anhand der Farben zu ermöglichen, wur- mit großem Raumvolumen betrachtet. Die ange- den für alle Umgebungen in Abbildungen 1 und 2 nommene Vergleichsumgebung ist an eine Einzel- dieselben Luftwechsel- und Risikoachsen gewählt. halle nach DIN 18032-1 angelehnt (DIN 18032-1). Gelb entspricht dabei einem doppelten, Rot einem Mit Seitenlängen von 15 m und 27 m sowie einer mindestens sechsfachen relativen Infektionsrisiko. mittleren lichten Höhe von etwa 5,5 m ergeben sich Die den Farbverläufen überlagerten Linien geben eine Brutto-Grundfläche von 405 m² und ein zur einfacheren Orientierung die Grenzen des Luftvolumen von etwa 2.230 m³. Die angegebenen halben, gleichen und doppelten Infektionsrisikos Luftwechsel entsprechen mit einem Luftvolumen- gegenüber der Referenzumgebung an. Es sei noch strom von 60 m³/h pro Person den Empfehlun- einmal darauf hingewiesen, dass die Visualisie- gen der DIN 18032-1. Unter der Annahme, dass rungen, die die basierend auf allen genannten der Sportunterricht einer Schulklasse in dieser Vereinfachungen über Gleichungen (1) und (2) Halle durchgeführt wird, ergibt sich die Maximal- berechneten Werte darstellen, nur für die jeweils belegung der Halle von 35 Personen. Der Atem- exemplarisch angenommenen Raumvolumina und volumenstrom wird für schwere Aktivitäten bzw. Aufenthaltsdauern gelten. Auf den Einfluss letzt- genannter Größen wird an dieser Stelle nicht weiter Tabelle 3 – Annahmen und typische Randbedingungen für Vergleichsumgebungen eingegangen. 6
Abbildung 1 – Relatives Infektionsrisiko verschiedener Vergleichsumgebungen gegenüber Referenzumgebung durch Aerosolpartikel Klassenräume sind wegen ihrer mitunter hohen muss das verursachte Geräusch des Geräts so Belegungsdichten und langen Nutzungsdauern als gering sein, dass die Lernumgebung nicht negativ besonders kritisch anzusehen. Würde von einem beeinflusst wird. Eine Fensterlüftung kann insbe- halben Luftwechsel pro Stunde ausgegangen, der sondere im Winter nur durch die strikte Einhaltung bei ungünstigen Außenbedingungen und einer von Lüftungsregeln einen verlässlichen Luftwechsel unzureichend genutzten Fensterlüftung durchaus garantieren. Eine Messung der CO2-Konzentration realistisch ist, ergäbe sich bei angenommener ist in diesem Fall zur Überprüfung des Lüftungs- Maximalbesetzung mit 35 anwesenden Personen erfolgs anzuraten, da der Luftwechsel in diesem ein fast 12-fach so hohes Infektionsrisiko wie in der Fall von der Außentemperatur und den Windver- Referenzumgebung. Selbst bei einer sehr geringen hältnissen abhängt. Während der Lüftungsphasen Belegung von 18 Personen ist für ein relatives Risi- treten bei geringen Außentemperaturen deutliche ko von 1 ein 3,3-facher Luftwechsel pro Stunde und Einschränkungen des thermischen Komforts auf. somit ein Volumenstrom von 660 m³/h notwendig. Bei lauter Außenumgebung kann der Unterrichts- Ein Volumenstrom in dieser Größenordnung kann betrieb durch das Öffnen der Fenster zusätzlich ganzjährig am zuverlässigsten von einer raumluft- nachteilig beeinträchtigt werden. technischen Anlage bereitgestellt werden. Dabei 7
Im Falle eines großen Hörsaals reicht bei Vollbe- 35 Sport treibenden Personen und einem Volu- setzung ein 1,8-facher Luftwechsel pro Stunde aus, menstrom von 60 m³/h pro Sportler genutzt (DIN um ein relatives Infektionsrisiko von 1 zu erreichen. 18032-1), was einer Luftwechselrate von etwa 1 h−1 Auch geringere Belegungsdichten mit einem Zehn- entspricht, wird ein fast 12-faches relatives Risiko tel der Maximalbesetzung werden dargestellt, um erreicht. Sport sollte daher im Außenbereich oder eine typische Prüfungssituation oder weniger zahl- nur mit deutlich reduzierter Personenzahl in Sport- reich besuchte Veranstaltungen berücksichtigen zu hallen durchgeführt werden. können. Obwohl die flächenbezogene Personen- dichte nicht unähnlich der eines Klassenraums ist, 6. Bewertung unterschiedlicher Aktivitäten steht jeder Person eine deutlich größere vertikale in Klassenräumen und einem Einsatz von Luftsäule zur Verfügung. Vorlesungen können auf Schutzmaßnahmen Basis dieser Analyse in diesen Räumen auch bei ei- ner hohen Belegungsdichte durchgeführt werden. Im Folgenden werden charakteristische Unter- Sollte eine vollständige Durchmischung des Raums richtssituationen in Klassenräumen betrachtet bei kleinen Luftwechselraten nicht sichergestellt und der Einfluss des Tragens von MNS sowie des werden, sollte eine Überprüfung dieser Annahme Einsatzes eines Luftreinigers beleuchtet. Tabel- durch Strömungsberechnungen oder Tracergas- le 4 fasst Annahmen und Randbedingungen für experimente erfolgen. Durch die teilweise enge Be- alle Szenarien zusammen, wobei Raumvolumen, stuhlung ist das Tragen eines MNS zu empfehlen, Aufenthaltszeit und Atemvolumenstrom für einen um eine Übertragung von Viren durch Tröpfchen zu direkten Vergleich unverändert aus Tabelle 3 über- unterbinden. Kleine Hörsäle für Seminare und ähn- nommen wurden. Szenario (a) entspricht somit liche Veranstaltungen können wie Klassenräume dem Klassenraum aus Abbildung 1 und spiegelt mit behandelt werden. einer einzelnen sprechenden Person eine typische Unterrichtsstunde mit Frontal- bzw. Klassenunter- In Großraumbüros machen sich die in der ASR richt ohne Nutzung eines MNS wider. A1.2 bemessenen Verkehrsflächen deutlich be- merkbar, da dort selbst bei der angenommenen Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass durch Vollbesetzung von 33 Personen Luftwechselraten das konsequente Tragen eines MNS während des in Höhe von 1,7 h−1 um ein relatives Risiko von 1 zu Unterrichts gemäß Szenario (b) bei 25 anwesenden erreichen. Die im Diagramm minimal berücksichtig- Personen die Luftwechselrate von 4,4 h−1 auf 2,2 h−1 te Anzahl an Personen entspricht mit 11 Personen reduziert werden kann. Alternativ wird bei gleich- einem Drittel der möglichen Maximalbesetzung. bleibender Luftwechselrate das Infektionsrisiko Für diese geringfügigere Besetzung wird bei glei- gesenkt, so dass nun auch bei einem mehrstündi- cher Luftwechselrate ein relatives Risiko von 0,3 gen Unterricht eine Infektionsübertragung unwahr- erreicht. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass die scheinlicher wird. Bei natürlicher Lüftung müssen Nutzung dieses Bürotyps in vielen Fällen und ins- für ein konstantes relatives Risiko die Fenster we- besondere bei Verwendung eines MNS möglich ist. niger häufig und eventuell kürzer geöffnet werden, bei maschineller Lüftung kann durch die geringere In der Sporthalle kann nur im Fall der kleinsten Ventilatordrehzahl eine geminderte Geräuschent- berechneten Besetzung von 18 Personen und wicklung erreicht werden. einer Luftwechselrate von 6 h−1 ein relatives Risiko von ungefähr 1 erreicht werden. Dieser Wert liegt Szenario (c) beschreibt das Arbeiten in Gruppen, allerdings knapp außerhalb des Diagramms. Dieser wobei exemplarisch von neun gleichzeitig spre- Unterschied zu den anderen Raumtypen kommt chenden Personen ausgegangen wird. Verglichen vor allem durch die schwere körperliche Anstren- mit dem Frontalunterricht (a) ergibt sich für den gung und die hohe Sprechaktivität zustande. Wird Gruppenunterricht ohne das Tragen eines MNS die Halle dennoch mit einer Maximalbesetzung von ein erhöhtes Infektionsrisiko: Während sich bei 8
Tabelle 4 – Annahmen und typische Randbedingungen für Vergleichsumgebungen 25 anwesenden Personen und dem oben ange- In Szenario (e) wird wie in Szenario (c) eine Grup- nommenen personenbezogenen Zuluftvolumen- penarbeit im Klassenraum betrachtet, bei der neun strom von 35 m³/h bereits ein etwa doppeltes Personen aktiv reden. Allerdings wird davon aus- relatives Infektionsrisiko ergibt, wären hierfür bei gegangen, dass alle anwesenden Personen einen Vollbesetzung mit 35 Personen bereits 5,5 Luft- MNS tragen. Es ist zu erkennen, dass sich das rela- wechsel pro Stunde notwendig. Bei natürlicher tive Risiko bei gleicher Anzahl an Personen und bei Lüftung müssen die Fenster in geringeren Abstän- gleichem Luftwechsel pro Stunde durch diese Maß- den länger geöffnet werden. nahme halbiert. Bei einem Luftwechsel von etwa 4,4 pro Stunde, wie er im Referenzszenario definiert Szenario (d) entspricht einer Musikunterrichtsstun- ist, ließe sich somit ein relatives Risiko von unge- de, in der alle anwesenden Schüler gemeinsam fähr 1,1 erreichen. Das Tragen von MNS ist daher bei singen und dementsprechend sprechaktiv sind. einer Gruppenarbeitsphase immer empfehlenswert. Der damit einhergehende deutlich höhere Aus- stoß an Aerosolpartikeln führt zu einem signifikant In Szenario (f) wird wie in Szenario (e) ebenfalls gesteigerten relativen Risiko, welches auch bei eine Gruppenarbeit mit neun sprechaktiven Perso- einem 6-fachen Luftwechsel pro Stunde und einer nen betrachtet, bei der zusätzlich zum MNS ein Luft- Belegung von nur 18 Personen bei ungefähr 15 liegt. reiniger genutzt wird. Für den Luftreiniger wird idea- Hier muss von einer Übertragung der Viren ausge- lisiert angenommen, dass ein Luftvolumenstrom gangen werden, so dass Singen in Klassenräumen von 500 m3/h vollständig von Aerosolpartikeln nicht empfohlen werden kann. Bei geringem Luft- befreit wird und dass es zu keinem Kurzschlussvolu- wechsel in unbelüfteten Räumen (0,5 h−1) ergeben menstrom in Umfeld des Luftreinigers kommt. Unter sich extrem hohe relative Risiken von 180 für diesen Voraussetzungen wird deutlich, dass durch 18 Personen und 346 für 35 Personen. Diese Er- diese kombinierten Maßnahmen das relative Risiko eignisse müssen nach dieser Studie konsequent für eine Gruppenarbeitsphase weiter reduziert vermieden werden und das Singen sollte nur im werden kann und bereits ein 3-facher Luftwechsel Außenbereich oder in sehr großen und gut belüfte- pro Stunde ausreicht, um auch bei einer Vollbeset- ten Räumen durchgeführt werden. zung mit 35 Personen ein relatives Risiko von 1 zu erzielen. 9
Abbildung 2 – Einfluss der Parameter auf relatives Infektionsrisiko im Klassenraum gegenüber Referenzsituation durch Aerosolpartikel a. 1 Person sprechaktiv, ohne MNS, ohne Luftreiniger b. 1 Person sprechaktiv, mit MNS, ohne Luftreiniger c. 9 Personen sprechaktiv (Gruppenarbeit), d. Alle Personen sprechaktiv (Singen), ohne MNS, ohne Luftreiniger ohne MNS, ohne Luftreiniger e. 9 Personen sprechaktiv (Gruppenarbeit), f. 9 Personen sprechaktiv (Gruppenarbeit), mit MNS, ohne Luftreiniger mit MNS, mit Luftreiniger (500 m3/h) 10
7. Die CO2-Konzentration als Indikator für die Mit Hilfe des idealen Gasgesetzes kann nach Raumlüftung Gleichung (5) der direkte Zusammenhang zwischen Massenstrom und σCO2 im Volumenstrom hergestellt Im Folgenden werden maximale CO2-Konzentratio- werden. nen in der Raumluft für einen gegebenen Wert des (5) relativen Infektionsrisikos als Indikator für notwen- dige Lüftungsmaßnahmen angegeben. Auch hier wird zunächst vereinfachend ein stationärer Fall Somit lässt sich die Gleichgewichtskonzentration in und anschließend das Stoß- oder Intervalllüften der Abluft nach Gleichung (6) beschreiben. genauer betrachtet. Das betrachtete Szenario ent- spricht im Folgenden wieder einem Klassenraum (6) mit den Angaben aus Tabelle 5. Tabelle 5 – Randbedingungen des betrachteten Raums für eine CO2-Grenzkonzentrationsberechnung bei gegebenen Wird nun in Gleichung (1) das relative Risiko RRInf relativen Risiko als konstant definiert und für den Zuluftvolumen- strom des Raums V⋅LW der Zusammenhang nach Gleichung (7) eingesetzt, kann die CO2-Abluftkon- zentration als Funktion der Anzahl der anwesenden Personen und in Abhängigkeit der Parameter der betrachteten Umgebung berechnet werden. (7) Im stationären Fall entspricht der abgeführte Abbildung 3 zeigt für ein relatives Risiko von 1 und CO2-Massenstrom der Summe des im Raum freige- 2 die entsprechenden Grenzwerte der setzten CO2-Massenstroms durch die anwesenden CO2-Abluftkonzentration in einem Klassenraum mit Personen und dem CO2-Massenstrom der Zuluft einer sprechaktiven Person wie in Fall a) aus Tabel- entsprechend Gleichung (3). Für eine leichte Tätig- le 4 beschrieben. Es wird angenommen, dass die keit im Sitzen kann mit dem entsprechenden Atem- CO2-Konzentration der Zuluft σCO2,Zuluft 410 ppm (Um- volumenstrom von 0,54 m³/h aus Tabelle 2, weltbundesamt 2020a) beträgt und die Temperatur einer CO2-Konzentration in der menschlichen bei konstant 23 °C liegt. Die berechnete Grenzkon- Atemluft von 4 % (www.co2online.de 2012) und der zentration für ein relatives Risiko von 1 beträgt bei Dichte von CO2 ρCO2 = 1,98 kg/m³ der durch eine 10 anwesenden Personen ungefähr 960 ppm und . Person emittierte CO2-Massenstrom mCO2,Produktion bei 35 Personen ungefähr 1090 ppm. Die Werte auf ungefähr 1 kg/Tag abgeschätzt werden. stimmen gut mit dem angegebenen Mittelwert von 1000 ppm für eine hygienisch unbedenkliche (3) Luftqualität überein (Umweltbundesamt 2008). Bei einem relativen Risiko von 2 ergeben sich dagegen Die CO2-Gaskonzentration in der Luft σCO2 kann Leitwerte zwischen 1500 und 1770 ppm, welche als nach Gleichung (4) aus dem Volumenanteil des hygienisch auffällig eingestuft werden. Gasanteils bezogen auf das gesamte Gasvolumen berechnet werden. (4) 11
Abbildung 3 – CO2-Abluftkonzentration in einem Klassenraum in Abhängigkeit der Personenanzahl bei einem relativen Risiko von 6 h−1 angenommen (Erhart et al. 2015). Es wur- von 1 (blau) und 2 (orange) de die von Erhart et al. ermittelte Luftwechselrate für die vollständige Öffnung des Oberlichts und des Drehflügelfensters bei einer Temperaturdifferenz von 15 K zwischen Innen- und Außentemperatur auf das Raumvolumen des Klassenzimmers umgerech- net und angenommen, dass vier dieser Fenster- typen im Raum installiert werden. Das Intervall, in dem die regelmäßige Fensterlüftung vorgenommen wird, wird auf 20 Minuten für eine Dauer von 5 Minuten festgelegt. Diese Lüftungsstrategie entspricht der Empfehlung des UBA aus der Hand- reichung „Lüften in Schulen“ für die Wintermonate 8. Die CO2-Konzentration als Indikator für (alle 20 Minuten lüften für 3 bis 5 Minuten) (Um- die Raumlüftung – Stoß- und Querlüftung weltbundesamt 2020b). Sollte eine Luftwechsel- (instationär) rate von 6 h−1 in der Fensterlüftungsphase nicht erreicht werden, da die Temperaturdifferenz zwi- Im Folgenden werden die Aerosolpartikelbelastung schen Außen- und Innenraum zu gering ist oder die sowie die damit verbundene CO2-Konzentration Fenster nicht ausreichend geöffnet werden können, der Raumluft unter Berücksichtigung des Raum- ist eine längere Lüftungsphase vorzusehen. volumens und von Stoß- bzw. Intervalllüftungs- phasen betrachtet. In diesem Fall können sowohl Die Verläufe der CO2-Konzentration des insta- die Aufkonzentration von Aerosolpartikeln in der tionären Referenzszenarios mit kontinuierlicher Raumluft als auch eine zeitlich variable Lüftung maschineller Lüftung sowie des Szenarios mit oder Reinigung der Luft erfasst werden. Es wird Intervallfensterlüftung sind auf der linken Seite von angenommen, dass die Raumluft zu Beginn des Abbildung 4 aufgetragen. Für den instationären Betrachtungszeitraums aerosolfrei vorliegt bezie- Referenzfall wird nach einer Stunde eine hungsweise, dass keine mit Viren belasteten Aero- CO2-Konzentration von 1097 ppm erreicht. solpartikel vorhanden sind. Des Weiteren wird die Die CO2-Konzentration für das Szenario mit Inter- initiale CO2-Konzentration der Raumluft wie in der valllüftung zeigt zu Beginn einen stärkeren Anstieg stationären Betrachtung zu 410 ppm gesetzt. als das instationäre Referenzszenario, was durch den verringerten Luftwechsel verursacht wird. Die Als instationäres Referenzszenario wird wieder Stoßlüftung führt während dieses Vorgangs zu das in Tabelle 1 beschriebene, maschinell belüf- einer deutlichen Reduktion der CO2-Konzentration. tete Klassenzimmer betrachtet. In einem ersten Insgesamt stellt sich bei Intervalllüftung ein Vergleich dazu wird der Fall des Klassenzimmers charakteristisches „Sägezahn-Profil“ des mit natürlicher Lüftung in Kombination mit regel- CO2-Konzentrationsverlaufes ein. In diesem Szena- mäßiger Fensterlüftung untersucht. Im Unterschied rio wird eine maximale CO2-Konzentration von zur bisherigen Betrachtung ist dabei der zeitliche 1900 ppm erreicht. Das relative Risiko im Vergleich Verlauf maßgebend, weshalb die Rechnungen für zum instationären Szenario mit maschineller Lüf- das maschinell belüftete Referenzszenario und das tung beträgt hier 1,76. Vergleichsszenario mit Intervallfensterlüftung hier nicht mehr stationär, sondern instationär durch- Für die Risikobetrachtung wird das Szenario der geführt werden. Die natürliche Infiltration wird in Intervalllüftung erweitert um ein Szenario mit Form einer Luftwechselrate von 0,5 h−1 berück- einem Luftreiniger im Raum, um ein Szenario, sichtigt. Basierend auf den Studien von Erhard et in dem alle Personen im Raum einen MNS tragen, al. wird für die Fensterlüftung eine Luftwechselrate sowie um ein Szenario, in dem beides vorliegt. 12
Für den Luftreiniger wird wieder angenommen, Benutzung von MNS führt zu einer Reduktion des dass dieser 500 m³/h vollständig von Aerosolpar- relativen Risikos um 50 % in beiden betrachteten tikeln befreite Raumluft bereitstellt. Der MNS wird Fällen. auch in diesem Beispiel mit einer Partikelrückhal- terate PR von 50 % bezogen auf die ausgeatmeten Beginnt nach 60 Minuten eine zweite Unterrichts- Aerosolpartikel angenommen. Hierbei sei ange- einheit, werden deutlich höhere CO2-Konzentra- merkt, dass diese Maßnahmen keinen Einfluss auf tionen erreicht, da nicht mehr bei einer Außenluft- die CO2-Konzentration haben, sodass die CO2-Kon- konzentration von 410 ppm im Raum initialisiert zentrationsverläufe dieser Szenarien dem des werden kann. Diese einfache Analyse macht deut- Intervalllüftungsszenarios entsprechen. Grund- lich, dass eine ausreichende Lüftung über gekippte sätzlich ist zu beachten, dass sich bei dem Einsatz Fenster sehr aufwendig ist. eines Luftreinigers ein von der Reinigungsleistung abhängiges Verhältnis zwischen dem relativen In einem zweiten Vergleich wird erneut der Fall des Risiko und der CO2-Konzentration ergibt. Die Klassenzimmers mit natürlicher Lüftung in Kom- CO2-Konzentration muss daher in diesen Fällen ge- bination mit regelmäßiger Stoßlüftung (Intervall- sondert bewertet werden. Hohe CO2-Konzentration lüftung) untersucht. Die natürliche Infiltration wird führen dabei allerdings auch bei der Nutzung eines wie zuvor in Form eines Luftwechsels von 0,5 h−1 Luftreinigers zu deutlichen Beeinträchtigungen der berücksichtigt. Für die Stoßlüftung wird allerdings Personen. ein Luftwechsel von 20 h−1 sowie eine Dauer von 5 Minuten angenommen. Der hohe Luftwechsel Die aus diesen Szenarien resultierenden relativen von 20 h−1 basiert auf der Annahme einer Quer- Risiken bezogen auf den instationären Referenzfall lüftung mit geöffneten Fenstern und geöffneter sind in dem Balkendiagramm auf der rechten Seite Tür (Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, von Abbildung 4 dargestellt. Wie bereits erwähnt Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Borsch- wurde das Intervalllüftungsszenario so ausgelegt, Laaks 2012). dass der Empfehlung des UBA für Lüften ent- spricht. Durch den Einsatz eines Luftreinigers kann Das Intervall, in dem die regelmäßige Querlüftung das relative Risiko auf 1,05 abgesenkt werden. Die vorgenommen wird, wird iterativ so bestimmt, dass nach einer Dauer von einer Stunde im Vergleich Abbildung 4 – Vergleich der CO2-Konzentrationen für das Refe- renzszenario und das Intervalllüftungsszenario (LW = 6 h−1) bei zum instationären Referenzszenario ein relatives instationärer Betrachtung (links); Vergleich der relativen Risiken bei instationärer Betrachtung (rechts) 13
Risiko von 1 erreicht wird. Für diesen Fall ist eine Für die Risikobetrachtung wird das Szenario der Stoßlüftung alle 17 Minuten notwendig. Diese Intervalllüftung wie beim ersten Vergleich mit der Lüftungsstrategie ist ebenfalls vergleichbar mit Stoßlüftung um ein Szenario mit einem Luftreiniger der Empfehlung des UBA aus der Handreichung im Raum, um ein Szenario in dem alle Personen im „Lüften in Schulen“ für die Wintermonate (alle Raum einen MNS tragen sowie um ein Szenario in 20 Minuten Lüften für 3–5 Minuten) (Umweltbun- dem beides vorliegt, erweitert. Für den Luftreiniger desamt 2020c). Nach der Lüftungsphase sollte sich wird angenommen, dass dieser einen effektiven eine CO2-Konzentration von 600 bis 650 ppm ein- Frischluftvolumenstrom von 500 m³/h liefert. Der stellen, um ein relatives Risiko von 1 zu erreichen. MNS wird mit einer Partikelrückhalterate PR von 50 % bezogen auf die ausgeatmeten Aerosol- Die Verläufe der CO2-Konzentration des instationä- partikel angenommen. Auch hier ist anzumerken, ren Referenzszenarios, sowie des Szenarios mit In- dass diese Maßnahmen keinen Einfluss auf die tervalllüftung ist auf der linken Seite von Abbildung CO2-Konzentration haben, sodass die CO2-Konzen- 5 aufgetragen. Für den instationären Referenzfall trationsverläufe dieser Szenarien dem des Inter- wird nach einer Stunde eine CO2-Konzentration von valllüftungsszenarios entspricht. Die aus diesen 1097 ppm erreicht. Die CO2-Konzentration für das Szenarien resultierenden relativen Risiken bezogen Intervalllüftungs-Szenario zeigt zu Beginn einen auf den instationären Referenzfall sind in dem Bal- stärkeren Anstieg als das instationäre Referenzsze- kendiagramm auf der rechten Seite von Abbildung nario, was durch den verringerten Luftwechsel ver- 5 dargestellt. Wie bereits erwähnt, wurde das Inter- ursacht wird. Die Stoßlüftung führt während dieses valllüftungsszenario so ausgelegt, dass ein relati- Vorgangs zu einer deutlichen Reduktion der ves Risiko von 1 erreicht wird. Durch die Installation CO2-Konzentration. Insgesamt führt die Intervall- eines Luftreinigers kann das relative Risiko auf 0,73 lüftung zu einem charakteristischen „Sägezahn- abgesenkt werden. Die Benutzung von MNS führt Profil“ des CO2-Konzentrations-Verlaufes. In diesem zu einer Reduktion des relativen Risikos um 50 % Szenario wird eine maximale CO2-Konzentration in beiden betrachteten Fällen. von 1365 ppm erreicht. Abbildung 5 – Vergleich der CO2-Konzentrationen für das Refe- renzszenario und das Intervalllüftungsszenario (LW = 20 h−1) bei instationärer Betrachtung (links); Vergleich der relativen Risiken bei instationärer Betrachtung (rechts) 14
9. Zusammenfassung durchgeführt werden. Genauere Betrachtungen können mit dem beschriebenen Berechnungsmo- Auf Basis einer Literaturstudie sowie eines verein- dell angestellt werden. fachten Berechnungsansatzes für die Bilanzierung eines Raums wurde ein Verfahren zur Ermittlung In Sporthallen sind ebenfalls besondere Vorsichts- eines relativen Infektionsrisikos durch aerosol- maßnahmen erforderlich, da hier die Abgabe von gebundene Viren abgeleitet, mit dem eine be- Aerosolpartikeln pro Person besonders hoch aus- liebige Raumsituation mit einer Referenzsituation fällt. Daher wird empfohlen, den Schulsport auch verglichen werden kann. Die Referenzsituation im Winter in den Außenbereich zu verlegen oder in beschreibt einen Klassenraum mit maschineller kleinen Gruppen in gut belüfteten Hallen durchzu- Belüftung, ausgelegt nach dem heutigen Stand der führen. Technik. Bei dieser Referenzumgebung handelt sich nicht um einen Raum, in dem eine absolu- Große Hörsäle und Großraumbüros sind bei einer te Sicherheit in Bezug auf Infektionen vorliegt. maschinellen Lüftung und den üblichen Luftwech- Allerdings wurde durch die Wahl der Raum- und selraten als weniger kritisch anzusehen. Diese Lüftungsparameter sichergestellt, dass sich in der Räume können insbesondere in Verbindung mit Referenzumgebung nach dem heutigen Stand des einem MNS auch unter den aktuellen Randbedin- Wissens Infektionen über virentragende Aerosol- gungen auf Basis des hier vorgestellten Berech- partikel nur beschränkt ausbreiten können. nungsansatzes ohne ein deutlich erhöhtes Risiko genutzt werden. Auch hier kann im Einzelfall eine Klassenräume sollten bei einer Sanierung oder im Berechnung des relativen Risikos gemäß den an- Neubau zusätzlich zu öffenbaren Fenstern prinzi- gegebenen Gleichungen erfolgen. piell mit einer ausreichend bemessenen maschi- nellen Lüftung ausgestattet werden. Durch diese Danksagung raumlufttechnischen Anlagen kann sichergestellt werden, dass die Konzentrationen von Aerosol- Der Beitrag wurde durch die Heinz Trox-Stiftung partikeln und alle anderen Verunreinigungen der finanziell unterstützt. Raumluft in einem akzeptablen Bereich bleiben. Können kurzfristig keine raumlufttechnischen Wir danken 5 Alfred Trukenmüller und 6 Christian Anlagen nachgerüstet werden, ist im Rahmen der Scherer für ihre vielen Diskussionsbeiträge und ihre Pandemie auf eine strikte Einhaltung von Lüftungs- intensive sowie kritische Auswertung der Literatur. regeln zu achten, die am besten durch den Einsatz von CO2-Messtechnik beziehungsweise Lüftungs- 5 Umweltbundesamt, Fachgebiet II 4.1 Grundsatzfragen der Luftrein- haltung, Dessau-Roßlau ampeln überprüft wird. Das Tragen eines MNS 6 Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, Valley wird insbesondere bei Gruppenarbeiten dringend empfohlen, da durch die höhere Sprechaktivität die Menge an freigesetzten Aerosolpartikeln deutlich erhöht wird. Der Einsatz eines funktionstüchtigen Luftreinigers in Klassenräumen ist als zusätzliche Maßnahme empfehlenswert, da durch diese Tech- nik das Infektionsrisiko zusätzlich gesenkt werden kann. Allerdings ist ein Luftreiniger kein Ersatz für die Versorgung eines Klassenraums mit Außen- luft. Aktivitäten mit sehr hohen Aerosolproduktio- nen, wie beispielsweise das gemeinsame Singen, sollten gänzlich unterlassen, in den Außenbereich verlegt oder nur kurzzeitig in großen Räumen 15
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