Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien - Fakten und Meinungen
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Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen von Sarah Kovac und Dr. René Zimmer UfU-Paper 5/2012
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen UfU-Paper 5/12 Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien – Fakten und Meinungen Sarah Kovac, Dr. René Zimmer Berlin 2012 Herausgeber: Unabhängiges Institut für Umweltfragen e.V. Kontakt: Unabhängiges Institut für Umweltfragen e.V. Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin Telefon 030.4284993-0 Fax 030.42800485 mail@ufu.de www.ufu.de
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Inhalt 1. Einleitung................................................................................................................................ 5 2. Politischer und gesellschaftlicher Kontext ............................................................................. 5 2.1 Ein Überblick über die Energiematrix Brasilien ................................................................... 6 2.2 Kraftstoffbedarf im Transportsektor.................................................................................... 7 2.3 Biokraftstoffe in Brasilien .................................................................................................... 7 2.3.1 Ethanol ......................................................................................................................... 7 2.3.2 Biodiesel..................................................................................................................... 12 2.3.2.1 Das nationale Programm zur Erzeugung und Nutzung von Biodiesel (PNPD) ....... 13 2.3.2.2 Die Verwendung von Biodiesel in Brasilien............................................................ 15 2.3.2.3 Der zukünftige Ausbau der brasilianischen Biodieselproduktion .......................... 16 3. Bedeutung für die Wirtschaft Brasiliens .............................................................................. 17 3.1 Geschaffene Arbeitsplätze................................................................................................. 18 3.2 Effekte der Biokraftstoffproduktion auf verschiedene Wirtschaftszweige ....................... 19 3.3 Exporte von Biokraftstoffen............................................................................................... 22 3.4 Neue Möglichkeiten in Forschung und Entwicklung ......................................................... 24 3.5 Fazit: Ökonomische Auswirkungen der Biokraftstoffnutzung ........................................... 25 4. Ökologische Auswirkungen der Energiepflanzenproduktion ............................................... 26 4.1 Tatsächliche CO2-Bilanz des Energiepflanzenanbaus durch Landnutzungsänderungen und Anbaumethoden ...................................................................................................................... 26 4.2 Auswirkungen auf die Biodiversität ................................................................................... 30 4.3 Genveränderte Energiepflanzen ........................................................................................ 31 4.4 Auswirkungen auf Wasserqualität und –quantität............................................................ 32 4.4.1 Einfluss auf das vorhandene Wasserangebot ............................................................ 32 4.4.2 Wasserverschmutzung aufgrund des Anbaus von Energiepflanzen.......................... 33 4.5 Beeinträchtigungen der Luftqualität ................................................................................. 35 4.6 Fazit: Umweltwirkungen der Biokraftstoffnutzung ........................................................... 38 5. Soziale Auswirkungen ........................................................................................................... 38 5.1 Vertreibungen und erzwungene Umsiedlungen ............................................................... 38 5.2 Folgen für die indigene Bevölkerung ................................................................................. 40 5.3 Konkurrenz zu Nahrungsmitteln ........................................................................................ 41 5.4 Armutsbekämpfung und die Einbeziehung kleinbäuerlicher Betriebe ............................. 43 5.5 Arbeitsbedingungen bei der Herstellung von Energiepflanzen......................................... 45 5.6 Fazit: Soziale Auswirkungen des Energiepflanzenanbaus ................................................. 47 6. Meinungen zum Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffen .............................................. 48 6.1 Die Biokraftstoffdiskussion in den Tageszeitungen ........................................................... 48
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen 6.1.1 In der brasilianischen Presse vorherrschende Meinungen und Argumente ............. 49 6.1.2 In der deutschen Presse vorherrschende Meinungen und Argumente .................... 52 6.1.3 Die brasilianische Debatte im internationalen Vergleich .......................................... 55 6.2 Die durch brasilianische Wirtschaftsverbände und NGOs geführte Biokraftstoffdebatte 56 6.2.1 Vertreter des Ethanol- und Biodieselsektors sowie der industriellen Landwirtschaft .. ...... ................................................................................................................................... 57 6.2.2 Umweltschutzverbände, Vertreter indigener Völker und kleinbäuerliche Organisationen ......................................................................................................................... 58 6.2.2.1 Nationale Vertretungen der internationalen Umweltverbände ............................ 59 6.2.2.2 Regionale und lokale Umweltverbände ................................................................. 59 6.2.2.3 Arbeitnehmer- und Kleinbauernverbände sowie soziale Bewegungen ................ 62 6.3 Zusammenfassung: Die öffentliche Debatte um Biokraftstoffe in Brasilien ..................... 65 7. Fazit ...................................................................................................................................... 66 8. Literatur ................................................................................................................................ 71
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen 1. Einleitung Aufgrund der Bemühungen zum Klimaschutz und der Diskussion um den „peak oil“ wird heutzutage vermehrt auf die Nutzung sogenannter Biokraftstoffe im Transportsektor gesetzt. Während die Europäische Union lediglich bis 2020 erreichen möchte, dass 10% der im Verkehrssektor benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen kommt1, sind die Ziele der Bundesregierung schon konkreter: Sie legte fest, dass bis 2020 die Emissionen des Kraftstoffverbrauchs um 7% gesenkt werden sollen – das entspricht etwa einem Anteil von 12 bis 13 Prozent „vom Acker“ kommende Kraftstoffe.2 Realisieren lässt sich dieses Ziel aufgrund begrenzten inländischen Anbaupotenzials auf langfristige Sicht wohl nur durch den Import von Kraftstoffen. Ein Land was schon heute Biokraftstoffe exportiert und diese auch im Inland weitläufig nutzt, ist Brasilien. Es wird aufgrund seiner großen Anbauzahlen und seinen fortschrittlichen Bioenergieprogrammen von brasilianischen Politikern auch als „Mekka“ der Biokraftstoffe bezeichnet. Anbau, Herstellung und Nutzung von Biokraftstoffen in solch einem hohen Ausmaß wie in Brasilien bleiben jedoch nicht ohne Konsequenzen für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Die positiven und negativen Effekte des Biokraftstoffbooms sind wiederum Gegenstand intensiver, gesellschaftlicher Debatten. Die Untersuchung der wichtigsten Auswirkungen des Anbaus und der Nutzung von Energiepflanzen in Brasilien sowie die daraus resultierenden Diskussionen in der brasilianischen Öffentlichkeit sind das Ziel dieser Studie. Dazu wird im zuerst der politische und gesellschaftliche Kontext präsentiert, und in den folgenden drei Kapiteln die Effekte des Biokraftstoffbooms herausgearbeitet. Kapitel drei beschäftigt sich hierbei mit den ökonomischen Folgen der Biokraftstoffnutzung, Kapitel vier stellt die ökologischen Konsequenzen des Anbaus und der Nutzung von Energiepflanzen dar, während Kapitel fünf die Wirkungen im sozialen Bereich aufzeigt. Im sechsten Kapitel wird schließlich herausgearbeitet, in welchem Maße ökonomische Ziele und soziale Konsequenzen des Energiepflanzenanbaus zur Nutzung für Biokraftstoffe in der brasilianischen Öffentlichkeit diskutiert werden. 2. Politischer und gesellschaftlicher Kontext In Brasilien nehmen Biokraftstoffe heutzutage einen wichtigen Platz in der Energiematrix ein, wobei nach einem jahrzehntelangen Vormarsch von Ethanol nun auch die Nutzung von Biodiesel durch die Regierung gefördert wird. Im Folgenden wird dargestellt, auf welche Rahmenbedingungen der Energiepflanzenanbau sowie die -nutzung in Brasilien treffen und welche politischen Programme den Biokraftstoffkonsum fördern. Es wird darauf eingegangen, aus welchen Quellen das südamerikanische Land seine Energie 1 Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus Erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG. 2 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2012): Wissenswertes rund um Biokraftstoffe. Siehe: http://www.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Landwirtschaft/Bioenergie- NachwachsendeRohstoffe/Bioenergie/BiokraftstoffeDatenFakten.html (10.08.2012) 5
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen produziert, welche Rolle der Transportsektor beim Energiekonsum spielt und in wie weit in Brasilien die Voraussetzungen für die Nutzung von Biotreibstoffen gegeben sind. Im Rahmen des letztgenannten Punktes wird näher auf die politischen Programme eingegangen, welche die brasilianische Regierung zur Förderung von Biokraftstoffen implementiert hat und die daraus entstandenen Voraussetzungen für die Nutzung von Biokraftstoffen aufgezeigt. 2.1 Ein Überblick über die Energiematrix Brasilien Das aufstrebende Schwellenland Brasilien steht auf der Liste der Staaten mit dem höchsten Energieverbrauch mit einer jährlichen Nutzung von 243,3 Mio. Tonnen Öläquivalent (2009) auf Platz zehn.3 Allerdings ist Brasiliens Energiematrix eine der saubersten der Welt, denn die Emissionen des südamerikanischen Staates lagen 2008 nur bei 1,4 kg CO2 pro kg Öläquivalent.4 Grund für diesen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß ist der hohe Anteil an erneuerbaren Energien in der Energiematrix des Landes: Ganze 47,5% der in Brasilien genutzten Primärenergie wurde im Jahr 2010 durch erneuerbare Quellen gewonnen, und zwar vorwiegend aus Zuckerrohrprodukten (19,3%), gefolgt von Strom aus Wasserkraft (13,7%), Brennholz (10,3%) sowie anderen erneuerbaren Quellen (4,3%).5 47,5% der in Brasilien Ein Blick auf die Herstellungsweise von elektrischer Energie erscheint noch genutzten Primärenergie positiver, denn der überwiegende Teil der in Brasilien genutzten Elektrizität stammt aus erneuerbaren wird aus Wasserkraft hergestellt (74%). Daneben spielen nur noch Biomasse Energiequellen (4,7%) und Naturgas (6,8%) eine größere Rolle. 6,5% der benötigten elektrischen Energie wird importiert, ist aber fast ausschließlich CO2 neutral.6 Dieser hohe Anteil an erneuerbaren Energien soll laut der brasilianischen Regierung auch in Zukunft erhalten bleiben: So wird im politischen Vierjahresplan (PPA) von 2012 versprochen, „dass die durch das (vor einigen Jahren entdeckte) Erdölvorkommen Pré-Sal eröffneten Möglichkeiten nicht verhindern werden, dass unser Land auch in Zukunft seine Bemühungen zum Ausbau erneuerbarer Energien verstärken wird.“7 Vielmehr sollen Investitionen in den Energiebereich dazu verwendet werden, die jetzige Energiematrix besser auszubalancieren, sprich dass saubere und erneuerbare Profil soll erhalten bleiben, wobei sich die verschiedenen Energiequellen einander angleichen sollen. 3 Eigene Berechnung mit Daten der Weltbank. Vgl: http://data.worldbank.org/country/brazil?display=graph (05.05.2012) 4 Zum Vergleich: Der weltweite Durchschnitt lag 2008 bei 2.5 kg CO2 pro kg Öläquivalent. Weltbank (2012): CO² intensity per country: http://data.worldbank.org/indicator/EN.ATM.CO2E.EG.ZS (05.05.2012) 5 Brasilien: Empresa de Pesquisa Energética- EPE (2011) : Balanço Energético National 2011: Ano Base 2010. Rio de Janeiro: EPE, S.19: https://ben.epe.gov.br/BENRelatorioFinal2011.aspx 6 Brasilien: Empresa de Pesquisa Energética-EPE (2011): Balanço Energético National 2011: Ano Base 2010. Rio de Janeiro: EPE, S.16: https://ben.epe.gov.br/BENRelatorioFinal2011.aspx (15.06.2012) 7 Brasilien: Plano Pluri Anual 2012 – 2015: Plano Mais Brasil: Mais Desenvolvimento, mais igualidade, mais participação, S.23 Siehe: http://www.planejamento.gov.br/secretarias/upload/Arquivos/spi/PPA/2012/mensagem_presid encial_ppa.pdf (15.06.2012) 6
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen 2.2 Kraftstoffbedarf im Transportsektor In Brasilien fallen 28,8% der benötigten Gesamtenergie dem Transportsektor zu, was einer Gesamtmenge von 69,4 Mio. Tonnen Öläquivalent entspricht.8 Diese Summe wird jedoch in den nächsten Jahren aufgrund der wachsenden Mittelschicht stark ansteigen und zusammen mit der Industrie für den Großteil des wachsenden Energiebedarfs Brasiliens verantwortlich sein.9 Auf brasilianischen Straßen werden vor allem drei Antriebsstoffe genutzt: Fast die Hälfte der in Brasilien Dieselöl mit einem Anteil von 48,6% an der Gesamtkraftstoffmenge (darin genutzten Automobile können inbegriffen auch Biodiesel), Benzin (25,2%) sowie Ethanol (17,3%). Diese sowohl mit Benzin, als auch mit reinem Ethanol betrieben Varietät an möglichen Treibstoffen spiegelt sich heutzutage auch in der werden. Fahrzeugflotte des Landes wieder. Inzwischen haben 46% der brasilianischen Automobile Motoren, die sowohl mit Benzin, als auch mit Ethanol betrieben werden können (sogenannte flex-fuel vehicles). Seit deren Markteinführung im Jahr 2003 gibt es in zwischen 89 verschiedene Modelle die von sieben multinationalen Autofirmen für den brasilianischen Markt produziert werden. 2010 waren schon knapp 82% der neu registrierten Fahrzeuge flex-fuels10, ihr Anteil an der heutigen brasilianischen Fahrzeugflotte beträgt in etwa 51%.11 Eine wichtige Grundvoraussetzung für die weitere Herstellung von Ethanol und Biodiesel für den brasilianischen Markt ist hiermit also erfüllt. 2.3 Biokraftstoffe in Brasilien Im Hinblick auf alternative Energiequellen im Transportsektor stößt man in Brasilien vor allem auf zwei Kraftstoffe: Das schon etablierte Ethanol, welches seit mehreren Jahrzehnten einen festen Platz im brasilianischen Markt besitzt, Neben anhydriertem und sowie der seit 2005 vermehrt geförderte Biodiesel. Beide sind Biokraftstoffe hydriertem Ethanol wird nun der ersten Generation, d.h. sie werden direkt aus öl- oder stärkehaltigen auch Biodiesel als alternativer Pflanzen gewonnen.12 Im Folgenden wird eine Übersicht über die Kraftstoff gefördert. Nutzungsarten sowie die Förderprogramme und -politiken für diese beiden wichtigsten Biokraftstoffe in Brasilien gegeben. 2.3.1 Ethanol Ethanol, oder auch Alkohol, ist eine durchsichtige, leicht entzündbare Substanz, welche sowohl als Desinfektionsmittel, in der Kosmetikindustrie, als Genussmittel und auch als Energieträger genutzt werden kann. Als Kraftstoff verwendetes Ethanol wird meist aus pflanzlichen Rohstoffen mit einem hohen 8 Brasilien: Empresa de Pesquisa Energética-EPE (2011): Balanço Energético National 2011: Ano Base 2010. Rio de Janeiro: EPE, S.27. Siehe: https://ben.epe.gov.br/BENRelatorioFinal2011.aspx (15.06.2012) 9 Mauricio Tiomno Tolmasquim, Mauricio Tiomno (2012): Perspectivas e planejamento do setor energético no Brasil. In: Estudos avançados Vol. 26, No.14. São Paulo. Siehe: http://www.scielo.br/scielo.php?pid=S0103-40142012000100017&script=sci_arttext (05.07.2012) 10 Associação Nacional dos Fabricantes de Veículos Automotores do Brasil - ANFAVEA (2011): Jahresstatistik 2010. São Paulo: ANFAVEA, S.68 ff. 11 Sugarcane.org (2012): Brazilian Transportation Fleet. Siehe: http://sugarcane.org/the-brazilian- experience/brazilian-transportation-fleet (10.08.2012) 12 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2011): Biokraftstoffe – Chancen und Risiken für Entwicklungsländer. BMZ-Strategiepapier 14/2011: Berlin: BMZ, S.8 7
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Stärke oder Zuckergehalt hergestellt und damit als Bioethanol bezeichnet. Grundstoff hierfür sind Pflanzen wie Mais, Weizen, Raps oder Zuckerrüben. In Brasilien wird Ethanol im überwiegenden Maße aus Zuckerrohr hergestellt, was durch die günstigen klimatischen und geologischen Bedingungen, einer guten wirtschaftlichen Rentabilität und die damit verbundene gute Eignung des Landes zum Anbau dieser Pflanze geschuldet ist. Zuckerrohr wird in Nordostbrasilien schon seit Jahrhunderten angebaut, allerdings vorwiegend für die Zucker- und Cachaçaproduktion. Die Nutzung als Energieträger für den Autoverkehr kam erst Anfang der 60er Jahre hinzu, als es bei niedrigen Weltmarktpreisen für Zucker dem normalen Benzin zugemischt wurde. 2.3.1.1 Die Verwendung von Ethanol in Brasilien In Brasilien wird Ethanol auf zwei verschiedene Arten als Kraftstoff verwendet. Einerseits kann normalem Benzin anhydrierter Alkohol beigemischt werden. In Brasilien ist zur Zeit eine Zumischmenge von mindestens 18% obligatorisch.13 Andererseits können seit 1979 Fahrzeuge auch nur mit sogenannten hydriertem Alkohol ohne die Beimischung von Benzin betrieben werden. Der Anbau des Hauptrohstoffes Zuckerrohr konzentriert sich in Brasilien vor allem auf den Süden, das Zentrum des Landes und hier zu allererst auf den Bundesstaat São Paulo. Allerdings sind auch in den Staaten Minas Gerais, Paraná und Goiás Zuckerrohrplantagen zu finden. 2010/11 wurden in diesen Der Anbau von Zuckerrohr Staaten circa 506 Millionen Tonnen Zuckerrohr produziert, eine Menge, die und die Weiterverarbeitung zu Ethanol findet vorwiegend mehr als 80% der brasilianischen Gesamtproduktion entspricht. Auch im in Süd- und Zentralbrasilien Nordosten wird Zuckerrohr angebaut, allerdings flächen- sowie statt produktionsmäßig in einem sehr viel geringerem Maße: Durch den Anbau an den Küstenregionen der Bundesstaaten Rio Grande do Norte, Paraíba, Alagoas, Pernambuco und Sergipe wurden im Jahr 2010/11 etwa 55 Tonnen Zuckerrohr hergestellt.14 Die zur Alkoholherstellung benötigten Destillationsanlagen liegen vorwiegend direkt in den Anbaugebieten, damit die Transportwege möglichst kurz gehalten werden können. Ende 2010 waren 440 Fabriken zur Alkoholherstellung in Betrieb, davon sind 125 ausschließlich zur Produktion von Ethanol konstruiert, die restlichen Fabriken können Zucker sowie Ethanol herstellen (siehe Abb.1).15 Weiterhin können die Produktionsreste als Düngemittel (Bagasse) oder zur Herstellung von elektrischer Energie genutzt werden.16 13 Leopold, Aaron (2009): Brazil. In: Morgera, Elisa et al (2009): Case Studies on bioenergy policy and law. FAO Legislative Study N° 102, S.82, Siehe: http://www.fao.org/docrep/012/i1285e/i1285e03.pdf (01.08.2012) 14 Brasilien: Companhia Nacional de Abastecimento – Conab (2011): Acompanhamento da Safra Brasileira: Cana-de-Açucar, Safra 2010/2011. Siehe: http://www.conab.gov.br/OlalaCMS/uploads/arquivos/11_01_06_09_14_50_boletim_cana_3o_l ev_safra_2010_2011..pdf (06.08.2012) 15 Brasilien: Ministério de Minas e Energiá – MME (2011): Plano Decenal de Expansão de Energia 2020. Brasilia: MME, S.223. Zu finden unter: http://epe.gov.br/PDEE/20120302_1.pdf (01.08.2012) 16 Leopold, Aaron (2009): Brazil. In: Morgera, Elisa et al (2009): Case Studies on bioenergy policy and law. FAO Legislative Study N° 102, S.82, Siehe: http://www.fao.org/docrep/012/i1285e/i1285e03.pdf (01.08.2012) 8
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Abbildung 1: Produktionsanlagen für Ethanol in Brasilien 2.3.1.2 Die brasilianische Ethanolproduktion in internationaler Perspektive Brasilien ist zur Zeit der zweitgrößte Ethanolproduzent der Welt, nur die USA stellen mehr des Biotreibstoffes her. 2010 wurden in Brasilien etwa 28 Milliarden Liter produziert, wovon jedoch der größte Teil für den internen Markt genutzt wird. Trotz des Schwerpunkts auf den nationalen Markt liefert sich Brasilien mit den USA ein Rennen um die weltweit größte Exportquote von Ethanol. Im Jahr 2010 wurden aus Brasilien 1,9 Milliarden Liter des Agrarkraftstoffes exportiert17, und zwar vorwiegend an die drei Brasilien ist mit einer jährlichen Produktion von 28 Hauptabnehmer Europäische Union, USA sowie Japan, und dies obwohl der Mrd. Litern der zweitgrößte Handel mit der USA und vor allem mit der EU immer noch durch restriktive Ethanolproduzent der Welt Zölle und Quoten beschränkt wird. Durch die seit 2007 stattfindende Wirtschaftskrise ist allerdings die globale Nachfrage und somit die Exportquote um etwa die Hälfte des Volumens von vor der Krise gesunken. Hinzu kamen 2011 schlechte Ernteerträge, weshalb zur Zeit das in Brasilien hergestellte Ethanol vorwiegend zur Deckung des nationalen Energiebedarfs genutzt und somit die Exportrate erst 2017 wieder den historischen Rekord von 2008 erreichen soll.18 Die Nachfrage für Alkohol als Treibstoff wird durch diese Entwicklungen jedoch nur kurzzeitig beeinträchtigt: Bis 2020 wird laut aktuellen Prognosen die Nachfrage für Ethanol vielmehr stark ansteigen. 17 Brasilien: Ministério de Minas e Energiá – MME (2011): Plano Decenal de Expansão de Energia 2020. Brasilia: MME, S.244. Zu finden unter: http://epe.gov.br/PDEE/20120302_1.pdf (01.08.2012) 18 Brasilien: Ministério de Minas e Energiá – MME (2011): Plano Decenal de Expansão de Energia 2020. Brasilia: MME, S.247. Zu finden unter: http://epe.gov.br/PDEE/20120302_1.pdf (01.08.2012) 9
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen 2.3.1.3 Das Förderprogramm Pró-Alcool Der heute großflächige Anbau von Zuckerrohr als Grundprodukt zur Herstellung von Ethanol sowie die hohe Nachfrage und die großen Exportzahlen sind das Ergebnis des im November 1975 von der Brasilianischen Regierung initiierten Förderprogrammes „Próalcool“, was im Folgenden näher beschrieben wird. Ursprüngliche Gründe zur Initiierung von Próalcool Das Programm zur Ersetzung von Benzin durch Ethanol war vor allem eine Reaktion der brasilianischen Politik auf zwei für das Land ungünstige Entwicklungen auf dem Weltmarkt: Die erste Ölkrise von 1973/74, sowie der globale Einbruch der Zuckerpreise und die daraus entstandene konjunkturelle Krise des Zuckersektors.19 Der Sektor ist bis kurz vor der Krise auch durch staatliche Subventionen stark gewachsen und hatte seinen Anteil am Weltmarkt von 3,4% im Jahr 1965 auf 12% im Jahr 1974 stark ausgebaut, weshalb die brasilianische Wirtschaft damals von den fallenden Zuckerpreisen Das Pró-Alcool-Programm als Reaktion auf die Ölkrise 1973 stark betroffen war. Auch die drastischen Ölpreiserhöhungen ab 1973 hatten sowie sinkende Zuckerpreise für das brasilianische Entwicklungsmodell sehr negative Auswirkungen, da die auf dem Weltmarkt Verkehrs- und Industriestruktur des Landes zu diesem Zeitpunkt hochgradig abhängig von günstigen Erdölimporten war. Der Grund hierfür war vor allem, dass in Brasilien der Transport von Gütern und Personen fast ausschließlich über die Straße erfolgte (95% der Personentransports und 75% des Gütertransports wurden 1976 über die Straße abgewickelt) und somit ein hoher Erdölverbrauch im Transportsektor und ein überdurchschnittlich schnelles Wachstum des Automobilsektors und dazu angrenzender Industrien stattfand.20 Die Nutzung des nationalen Zuckerrohranbaus zur Produktion von Ethanol sollte somit beide soeben dargestellten Probleme lösen, indem es einerseits der Zuckerindustrie ermöglichte, ihre Rohstoffe bei zu niedrigen Zuckerpreisen auch an andere Industriezweige zu verkaufen, andererseits Próalcool jedoch auch die Chance bot, die Abhängigkeit von internationalen Ölimporten drastisch zu senken. Hauptpunkte des Programmes Próalcool Das Pró-Alcool-Programm kann in zwei Phasen eingeteilt werden: Die Initiierungsphase von 1975 bis 1979 sowie die Erweiterungsphase ab 1980. In der ersten Phase wurden sechs Hauptmaßnahmen ergriffen, um den Ausbau der Zuckerproduktion und die Ethanolnutzung zu fördern: Erstens wurden Autos, die durch Ethanol betrieben wurden, steuerlich begünstigt, zweitens wurden Ethanolproduzenten finanziell gefördert, ihre Produktion zu erweitern, drittens wurden staatliche Biokraftstoffspeicher angelegt, viertens wurde die Abnahme von Ethanol durch die Regierung garantiert, fünftens wurde es für Tankstellen obligatorisch, Ethanol anzubieten und sechstens wurde gesetzlich festgelegt, dass Ethanol immer günstiger als Benzin verkauft werden musste.21 19 Borges, Uta; et al. (1984): Proalcool: Analyse und Evaluierung des brasilianischen Biotreibstoffprogramms. Saarbrücken: breitenbach publishers, S.17 20 Vgl.: Borges, Uta; et al. (1984): Proalcool: Analyse und Evaluierung des brasilianischen Biotreibstoffprogramms. Saarbrücken: breitenbach publishers, S.18 21 Leopold, Aaron (2009): Brazil. In: Morgera, Elisa et al (2009): Case Studies on bioenergy policy and law. FAO Legislative Study N° 102, S.115, Siehe: http://www.fao.org/docrep/012/i1285e/i1285e03.pdf (01.08.2012) 10
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen In der zweiten Phase des Programms, deren Anfang mit dem zweiten Ölschock 1979/80 zusammenfiel, wurden neben der Priorisierung alternativer Energiequellen und Maßnahmen zur Energieeinsparung auch Automodelle angeboten, die ausschließlich mit Ethanol betrieben werden können. Der Kauf dieser Autos wurde vom brasilianischen Staat subventioniert. Weiterführend wurde durch die Zusammenarbeit von in Brasilien ansässigen internationalen Autofirmen sowie der Regierung dafür gesorgt, dass die für den Betrieb von nur alkoholbetriebenen Kraftfahrzeugen benötigte Infrastruktur aufgebaut wurde, wie z.B. das flächendeckende Aufstellen von Ethanol-Zapfsäulen an den Tankstellen.22 Resultate des staatlichen Förderprogrammes waren neben einem sprunghaften Anstieg der Nutzung von Ethanol auch ein deutlicher Rückgang des Gebrauchs von Benzin. Ab Anfang der 90er Jahre wurde der Zucker- und Alkoholsektor schrittweise dereguliert. Dieser Prozess nahm 1990 mit dem Wegfall der Innenhandelsquote seinen Anfang, wurde durch die Abschaffung der durch den Staat vorgegebenen Preise für Zucker und Alkohol fortgeführt 23 und erst 1999 mit der endgültigen Auflösung der Kontrollen aller Preise und Fördermaßnahmen im Dienstleistungen im Zucker- und Alkoholsektor abgeschlossen.24 Der Rückgang Rahmen des Pró-Alcool- Programmes der staatlichen Förderungen sorgte jedoch dafür, dass der Verkauf von hydriertem Alkohol drastisch einbrach. Reagiert wurde hierauf mit einem neuen Gesetz, welches die Beimischung von 20 bis 25% Ethanol zu normalem Benzin obligatorisch machte.25 Heute spielt die brasilianische Regierung nur noch eine geringe Rolle in der Regulierung der Ethanolproduktion, beispielsweise beim strategischen Management der Rohstoffe, um z.B. eine Knappheit zwischen einzelnen Ernten zu vermeiden.26 Der Kauf von Alkohol an der Tankstelle wird noch immer zumindest indirekt gefördert: So ist einerseits das eben erwähnte Gesetz mit kleinen Veränderungen noch heute in Kraft, andererseits wird im Gegensatz zu Benzin auf Alkohol keine Mineralölsteuer aufgeschlagen und es wird zu einem geringeren Mehrwertsteuersatz angeboten. Der brasilianische Staat verzichtet dadurch jährlich auf etwa 1,7 Mrd. US$.27 Das Programm Próalcool förderte somit erfolgreich die Produktion von Zuckerrohr zur Energieherstellung und baute in Brasilien die für die Nutzung von Alkohol benötigte Infrastruktur (Destillierungsanlagen, ein nationales Netz von Zapfsäulen für Ethanol an den Tankstellen sowie eine ethanolfreundliche Fahrzeugflotte) auf. 22 Nitsch, Manfred; Giersdorf, Jens (2005): Biotreibstoffe in Brasilien. Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin. Nr. 12/2005. Berlin, Freie Universität Berlin, S.3 23 Vgl.: Brasilien: Gesetz nº 8.393, vom 30 Dezember 1991.: http://www2.camara.gov.br/legin/fed/lei/1991/lei-8393-30-dezembro-1991-363709- publicacaooriginal-1-pl.html (03.06.2012) 24 Távora, Fernando Lagares (2011): História e Economia dos Biocombustíveis no Brasil. Textos para Discussão No. 89, April 2011. Brasília: Centro de Estudos da Consultoria do Senado, S.21ff. 25 Vgl.: Brasilien: Gesetz nº 8.723, vom 28 Oktober 1993. Siehe: http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/leis/l8723.htm (13.05.2012) 26 Leopold, Aaron (2009): Brazil. In: Morgera, Elisa et al (2009): Case Studies on bioenergy policy and law. FAO Legislative Study N° 102, S.91, Siehe: http://www.fao.org/docrep/012/i1285e/i1285e03.pdf (01.08.2012) 27 Nitsch, Manfred; Giersdorf, Jens (2005): Biotreibstoffe in Brasilien. Diskussionsbeiträge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin. Nr. 12/2005. Berlin, Freie Universität Berlin, S.11 11
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen 2.3.1.4 Zukünftiger Ausbau der Ethanolproduktion Die durch das Próalcool-Programm initiierten, positiven Rahmenbedingungen sind ein Grund dafür, dass die nationale Nachfrage auch in den nächsten Jahren ansteigen wird. Auf dem Weltmarkt wird brasilianisches Ethanol trotz des Nachfrageeinbruchs als Folge der Weltwirtschaftskrise v.a. durch entsprechende Förderprogramme in der EU und der USA ab 2017 wieder verstärkt gefragt sein.28 Das brasilianische Ministerium für Bergbau und Energie bilanzierte jüngst, dass 2020 in Brasilien etwa 63,1 Mrd. Liter Ethanol produziert werden müssen, um den Bedarf auch zukünftig decken zu können. Das ist fast drei Mal so viel wie die aktuelle Ethanolproduktion, die 2011 bei etwa 22,7 Mrd. Litern lag.29 Um diese Steigerungen überhaupt realisieren zu Um den Bedarf decken zu können, sind für die nächsten Jahre folgende Maßnahmen geplant: können, muss 2020 etwa drei Durch die Einführung neuer und effizienterer Technologien sowohl bei Anbau Mal so viel Ethanol hergestellt als auch beim industriellen Destillationsprozess soll die Effektivität der werden wie heute Produktion gesteigert werden. Dadurch verspricht man sich mehr Ertrag bei gleichbleibender Anbaufläche. Wann und in wie weit die technischen Verbesserungen jedoch tatsächlich realisiert werden können, ist allerdings schwer vorauszusehen. Trotz aller Fortschritte bei der Steigerung der Effektivität der Produktion ist damit zu rechnen, dass sich die neuen Techniken doch nicht so schnell durchsetzen wie erhofft, sodass zur Deckung des Bedarfs auch neue Gebiete zum Anbau von Zuckerrohr erschlossen werden müssten. Wie viel Anbaufläche dies genau sein wird, ist relativ schwer vorherzusagen. Basierend auf Brasiliens „Nationalen Energieplan 2030“ wird die für den Zuckerrohranbau genutzte Fläche aber auf zirka 12,6 Mio. Hektar anwachsen.30 Zum Vergleich: Im Moment (2011) werden 8,3 Mio. Hektar des Landes für den Anbau von Zuckerrohr genutzt.31 2.3.2 Biodiesel Biodiesel wird laut der brasilianischen Regierung als ein auf der Basis nachhaltiger Biomasse gewonnener Biotreibstoff definiert, welcher in Motoren mit Selbstzündung oder zur Herstellung anderer Energie verwendet wird um teilweise oder vollständig fossile Kraftstoffe zu ersetzen.32 Biodiesel kann sowohl aus Pflanzenölen, als auch aus Abfallprodukten wie beispielsweise Rindertalg gewonnen werden.33 28 Vgl: Europäische Union (2003): Directive 2003/30/EC on the Promotion of biofuels or other renewable fuels for transport; sowie United States of America (2007): Energy Independence and Security Act of 2007 (EISA 2007) 29 Vgl.: Brasilien: Ministério de Minas e Energiá – MME (2011): Plano Decenal de Expansão de Energia 2020. Brasilia: MME, S.46. Zu finden unter: http://epe.gov.br/PDEE/20120302_1.pdf 30 Brasilien: Ministério de Minas e Energia - MME (2010): Plano Decenal de Expansão de Energia. Rio de Janeiro: EPE, S.254 31 Von diesen 8,3 Mio. ha Anbaufläche für Zuckerrohr wird in etwa die Hälfte zur Zucker- und die andere Hälfte zur Ethanolherstellung verwendet. Vgl: Compania nacional de Abstecimento-Conab (2011): Acompanhamento da safra brasileira: Cana-de-açúcar. Safra 2011/12, Terceiro Levantamento, Decembro 2011. Brasília: Conab 32 Brasilien: Gesetz 11.097 vom 13. Januar 2005, Art.6. 33 Brasilien: Ministério de Minas e Energia - MME (2012): Boletim Mensal dos combustíveis renováveis: Nr. 49: Februar 2012. Brasília: MME, S.11 12
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Für die Herstellung von Biodiesel auf pflanzlicher Basis können verschiedene ölhaltige Pflanzen als Rohstoff verwendet werden, wobei in Brasilien wegen guter klimatischer Bedingungen die Auswahl geeigneter Pflanzen besonders groß ist (vgl. Abb. 2).34 So erstreckt sich die Auswahl von Rizinus über Soja, Erdnüsse, Mais, Palmöl, Sonnenblumen, Raps, Leinsamen, Kokosnüsse bis Baumwolle. In Brasilien ist die Auswahl möglicher Pflanzen zur Gewinnung von Biodiesel besonders groß Abbildung 2: Mögliche Anbaupflanzen und -gebiete für Biodiesel in Brasilien 2.3.2.1 Das nationale Programm zur Erzeugung und Nutzung von Biodiesel (PNPD) Gezielt gefördert wurde die Nutzung von Biodiesel in Brasilien durch das Anfang 2005 beschlossene, nationale Programm zur Erzeugung und Nutzung von Biodiesel (Programa Nacional de Produção e Uso do Biodiesel – PNPB). Dieses unterstützt die Herstellung von vor allem auf Rizinus- und Palmöl basierenden Biodiesel. 34 Aus: Teixeira de Andrade, Renata Marson; Miccolis, Andrew (2011): Policies and institutional and legal frameworks in the expansion of Brazilian Biofuels. Working Paper 71. Indonesien: Center for International Foresty Research, S.7. Siehe: http://www.cifor.org/publications/pdf_files/WPapers/WP71CIFOR.pdf (02.07.2012) 13
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Gründe und Ziele für die Initiierung des PNPB Das Nationale Programm zur Produktion und Nutzung von Biodiesel ist nicht wie das Próalcool-Programm aus einer ökonomischen Krise heraus entstanden. Für die Implementierung des Programms waren vielmehr energiepolitische, ökologische als auch soziale Argumente ausschlaggebend: So nennt die brasilianische Regierung die durch die Nutzung von Biodiesel bedingte, größere Unabhängigkeit von Mineralöl und damit von Ölimporten aus dem Ausland als ein Hauptargument für das Programm. Des Weiteren möchte man durch die Realisierung des PNPB für die Verbesserung der Luftqualität in den Großstädten sorgen. Schließlich, und dieser Punkt war für den damaligen Präsidenten Lula da Silva besonders wichtig, soll der vermehrte Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Biodiesel auch als eine soziale Maßnahme genutzt werden, welche die oftmals in Armut lebende Landbevölkerung mit Erwerbsarbeit versorgen und ihr somit ein zusätzliches Einkommen ermöglichen kann. Der damals angestrebte, vorwiegende Anbau von Energiepflanzen durch Kleinbauern soll lokale Märkte dynamischer machen und regionale Ungleichheiten in der wirtschaftlichen Entwicklung ausgleichen bzw. verkleinern.35 Die Hauptpunkte des nationalen Programms zur Förderung von Biodiesel Wie zuvor erwähnt, wurde das PNPB mit dem Ziel initiiert, dem aus Pflanzenölen gewonnenem Biodiesel in den nächsten Jahren einen festen Platz in der brasilianischen Energiematrix einzuräumen. Das wichtigste Instrument hierfür ist die Einführung einer gesetzlich obligatorischen Zumischmenge von 2% Biodiesel ab 2008 sowie 5% Biodiesel ab 2013.36 Weiterhin enthält das PNPB eine soziale Komponente, denn durch ein eigens hierfür entwickeltes Sozialsiegel (Selo Combustível Social) soll vor allem der Anbau von Energiepflanzen durch einkommensschwache Kleinbauern im Norden und Nordosten des Landes gefördert werden. Das Sozialsiegel als Dieses Siegel wird durch die Nationale Erdölagentur (ANP) an diejenigen Instrument für sozial verträgliche und sozial Biodieselproduzenten vergeben, die nachweisen können, dass sie zur sozialen orientierte Produktion Inklusion von familiären Landwirtschaftsbetrieben beitragen und somit die lokale Entwicklung unterstützen. Um das Selo Combustível Social zu erhalten, muss ein Produzent zuerst einmal nachweisen, dass er einen bestimmten Prozentsatz seines Rohmaterials zur Herstellung von Biodiesel von Familienbetrieben aufkauft, die durch eine der drei Gewerkschaften der Landarbeiter vertreten werden.37 Der geforderte Mindestanteil an „sozialen“ Rohstoffen ist jedoch von Region zu Region unterschiedlich: Im Nordosten liegt er seit 2009 bei 30% (davor bei 50%), im Süden und Südosten bei 30% und im Nord-, Ost- und Zentralbrasilien sogar nur bei 15% des gesamten Rohmaterials. Träger eines Sozialsiegels müssen zudem nachweisen, dass die mit den bäuerlichen Familienbetrieben aufgesetzten Verträge so konzipiert sind, dass sie den Kleinbauern angemessene Einkommen und Lieferfristen garantieren. 35 Sousa Vieira, José Nilton de (2006): A agroenergia e os novos desafios para a política agrícola no Brasil. In: Brasil. Ministério de Desenvolvimento, Indústria e Comércio Exterior – MDIC: O Futuro da Indústria: Biodiesel. Coletânea de Artigos. Brasília: MDIC, S.38 36 Brasilien: Gesetz 11.097 vom 13. Januar 2005, Art.2 http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_ato2004-2006/2005/Lei/L11097.htm 37 Leopold, Aaron (2009): Brazil. In: Morgera, Elisa et al (2009): Case Studies on bioenergy policy and law. FAO Legislative Study N° 102, S.99, Siehe: http://www.fao.org/docrep/012/i1285e/i1285e03.pdf (01.08.2012) 14
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Letztendlich müssen die Besitzer des Sozialsiegels den bäuerlichen Kleinbetrieben technische Assistenz sowie Schulungen anbieten.38 Die Träger eines Sozialsiegels haben gleich mehrere wirtschaftliche Vorteile: Ihr Biodiesel wird ganz oder teilweise von Sozialabgaben und der Mineralölsteuer befreit,39 sie haben den Zugriff zu verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten seitens der brasilianischen (Entwicklungs-) Banken und können außerdem an Versteigerungen von Biodiesel teilnehmen. Durch die Einführung des Selo Combustível Social hatte die Regierung vor allem das Ziel, den Anteil an durch Kleinbauern produzierten Rohstoffe zu erhöhen und den Anteil an industriell produziertem Soja aus Süd- und Südostbrasilien zu beschränken. 2.3.2.2 Die Verwendung von Biodiesel in Brasilien Trotz der staatlichen Förderprogramme steht Herstellung und Nutzung von Biodiesel in Brasilien zur Zeit am Anfang. 2011 wurden jedoch schon etwa 2,6 Mrd. Liter des alternativen Kraftstoffs genutzt,40 was im Vergleich zur im Im Jahr 2011 wurden in gleichen Jahr verkauften Menge an Benzin (35,4 Mrd. Liter) gar nicht so wenig Brasilien etwa 2,6 Mrd. Liter ist.41 Biodiesel genutzt. Schon jetzt kann man jedoch beobachten, dass die ursprünglichen Erwartungen der Regierung an das Biodieselprogramm nur teilweise erfüllt werden. So werden zur Zeit zwar die im PNPB vorgegebenen Zumischquoten eingehalten, jedoch wird der hierfür benötigte Biodiesel fast ausschließlich aus in Monokulturen angebautem Soja gewonnen (vgl. Abb. 2) 42, und das obwohl 38 Campos, Arnoldo; Cassia Carmelo, Edna de (2006): Biodiesel e agricultura familiar no Brasil: resultâdos sociaeconômicos e espectativa futura. In: Brasil. Ministério de Desenvolvimento, Indústria e Comércio Exterior – MDIC: O Futuro da Indústria: Biodiesel. Coletânea de Artigos. Brasília: MDIC, S.58ff. 39 Die genaue Besteuerung hängt vom der speziellen Kombination aus Rohstoffart, Anbaugebiet und Anbausystem ab, wobei im Norden oder Nordosten durch familiäre Landwirtschaft hergestellter Biodiesel aus Rizinus-oder Palmöl gar nicht besteuert wird. Industriell angebauter Biodiesel aus anderen Gebieten Brasiliens ist zwar von der Mineralölsteuer befreit, allerdings nicht von den Sozialabgaben. Biodiesel, der auf andere Art und Weise und in anderen Gebieten hergestellt wird, ist nicht steuerpflichtig in Hinblick auf die Mineralölsteuer, er wird jedoch zu einem bestimmten Prozentsatz von den Sozialabgaben befreit. Vgl: Brasilien: Gesetz Nr. 11.116 vom 18. Mai 2005 sowie Dekret Nr. 5.297 vom 6. Dezember 2004, einsehbar unter: http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_ato2004- 2006/2005/Lei/L11116.htm und http://www.planalto.gov.br/ccivil_03/_ato2004- 2006/2004/decreto/D5297.htm 40 Brasilien: Empresa de Pesquisa Energética - EPE (2011): Boletim Mensal dos Combustíveis Renováveis N° 48, Januar 2012. Rio de Janeiro: EPE, S.2 Siehe: http://www.mme.gov.br/spg/galerias/arquivos/publicacoes/boletim_mensal_combustiveis_reno vaveis/Boletim_DCR_nx_048_-_janeiro_de_2012.pdf 41 Agencia CNT (2012): Consumo de óleo diesel B no Brasil cresce 5,2% em 2011. Siehe: http://www.biodieselbr.com/noticias/usinas/producao/consumo-oleo-diesel-brasil-cresce- 280212.htm (13.05.2012) (Artikel basierend auf durch die nationale Erdölagentur Brasiliens (ANP) ermittelten Daten.) 42 Eigenes Schaubild; basierend auf den Daten des Brasilianischen Ministeriums für Bergbau und Energie: Brasilien: Ministerium für Bergbau und Energie – MME (2011): Boletim Mensal dos Combustíveis Renováveis, Edition 38, Januar 2011, S.15 Siehe: http://www.cogen.com.br/paPER/2012/Boletim_DCR_n048_%20janeiro2012.pdf (02.07.2012) 15
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen dessen CO2-Bilanz im Vergleich zu anderen Energiepflanzen eher durchschnittlich bis gering ausfällt.43 Die höheren Preise für Rizinus- oder Palmöl, der schon gut ausgebaute Sojasektor,44 sowie die Weigerung vieler Landwirte, ihre gesamte Nahrungsmittelproduktion für die Herstellung von Energiepflanzen aufzugeben, sind einige der Gründe, warum trotz der vermehrten Förderung von durch Kleinbauern kultivierten Energiepflanzen der Produktionsausbau dieser Pflanzenarten eher schleppend vorangeht. Inzwischen soll sich der Anteil von Soja im Biodiesel sogar noch vergrößert haben, so beträgt er laut den Angaben eines Vertreters der Abiove, des Vereins der Sojaproduzenten, Fast drei Viertel der zur Zeit an die 90%. brasilianischen Biodiesel- produktion besteht aus Sojaöl. Abbildung 3: Ausgangsstoffe für die Biodieselproduktion in Brasilien, Stand: Nov. 2011 2.3.2.3 Der zukünftige Ausbau der brasilianischen Biodieselproduktion Durch die ab 2008 ansteigenden, von nun an obligatorischen Zumischmengen von Biodiesel zu konventionellen Diesel sowie eine größer werdende 2020 wird die brasilianische brasilianische Mittelschicht und damit einem wachsenden Transportsektor, Bevölkerung voraussichtlich wird der Bedarf an Biodiesel in Brasilien in den nächsten Jahren weiterhin knapp vier Mrd. Liter zunehmen: Während 2011 laut des Ministeriums für Bergbau und Energie in Biodiesel verbrauchen etwa 2,5 Milliarden Liter Biodiesel genutzt wurden, was in etwa etwa 0,8 bis 0,9% des nationalen Gesamtenergieverbrauchs entspricht, wird der Biodieselverbrauch im Jahr 2020 3,84 Milliarden Liter betragen. Dies entspräche einem jährlichen Wachstum von etwa 4,5% 45 43 Pro bei der Herstellung eingesetzten Einheit fossilen Kraftstoffes können aus Soja zur Zeit etwa drei Einheiten Biotreibstoff produziert werden. Dies ist im Vergleich zu anderen Energiepflanzen jedoch relativ wenig: So können aus der gleichen Menge fossilen Kraftstoffs 8-9 Einheiten Ethanol aus Zuckerrohr hergestellt werden, bei Palmöl liegen diese Werte sogar bei 1:9. Vgl: WWF Brasilien - Programa de Agricultura e Meio Ambiente (2009): O impacto do mercado mundial de biocombustíveis na expansão de agricultura brasileira e suas consequências para as mudanças climáticas. Brasília: WWF, S.2 44 Brasilien: Empresa de Pesquisa Energética - EPE (2011): Anályse de Conjuntura dos Biocombustíveis: Janeiro 2010 – Dezembro 2010. Rio de Janeiro: EPE, S.21 45 Brasilien: Ministerium für Bergbau und Energie – MME (2010): Plano Decenal de Expansão de Energia 2020. Brasilia: MME, S.45. Zu finden unter: http://epe.gov.br/PDEE/20120302_1.pdf 16
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen An der Zusammensetzung von Biodiesel wird sich zukünftig wohl eher wenig ändern, vielmehr wird es bei weiterhin steigendem Bedarf zu einem Wachstum der Sojaproduktion in den Regionen Mato Grosso, Mato Grosso do Sul, Paraná, Minas Gerais und Goiás, also im Süd- und Zentralbrasilien, kommen. Der durch die Regierung prognostizierte Zuwachs von etwa 75 Mio. (2011/12)46 auf 86,5 Mio. Tonnen im Jahr 2020 kommt allerdings bei weiten nicht alleine durch die vermehrte Biodieselnachfrage zustande. Hierbei spielen auch andere Faktoren, wie die weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch eine große Rolle.47 3. Bedeutung für die Wirtschaft Brasiliens Der Anbau von Energiepflanzen sowie die Nutzung von Biodiesel hat sich in Brasilien längst zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. So spielt er eine wichtige Rolle für das Bruttoinlandsprodukt. Die Ersetzung von Benzin durch Ethanol hat im Zeitraum 1976 bis 2004 zu einer Einsparung von Benzinimporten von etwa 60,6 Milliarden US-Dollar geführt48 und auch der Wirtschaftszweig der industriellen Landwirtschaft insgesamt, sowie der Sojasektor im Speziellen, weisen eine positive Außenhandelsbilanz auf.49 Die Situation in Bezug auf die Preise der brasilianischen Biokraftstoffe stellt sich als unterschiedlich dar. Brasilianisches Ethanol wird laut der Union der Das Pró-Alcool-Programm hat Zuckerproduzenten UNICA längst nicht mehr staatlich subventioniert, ist bis 2004 Benzinimporte im jedoch aufgrund seiner geringen Produktionskosten so günstig, dass es zu den Wert von 60 Mrd. Dollar internationalen Benzinpreisen konkurrenzfähig ist.50 Bei Biodiesel hingegen eingespart. sind die Verkaufspreise vorwiegend an die Produktionskosten der verschiedenen Rohstoffpflanzen gekoppelt, da diese oftmals etwa 80% des Endpreises ausmachen. Beim Großteil der Ausgangspflanzen sind die Preise der Pflanzenöle momentan meist höher als die Preise für Diesel, weshalb gerade die nur ansatzweise erfolgreiche, indirekte Subventionierung der teureren Ausgangspflanzen Rizinus und Palmöl teilweise kritisch hinterfragt wird. Die Vergrößerung des Biokraftstoffmarkts hat jedoch auch Auswirkungen auf andere Bereiche der Wirtschaft. Selbst in der Forschung und Entwicklung ist am Trend „Biosprit“ nicht vorbei zu kommen; wie viele neue Forschungsinitiativen im Biokraftstoffbereich verdeutlichen. Im folgenden Kapitel wird eine Übersicht über die wichtigsten wirtschaftlichen Auswirkungen des Agrarkraftstoffbooms in Brasilien gegeben, wobei insbesondere die Themen Arbeitsmarkt, profitierende bzw. benachteiligte 46 Brasilien: Companhia Nacional de Abastecimento – Conab (2012): Acompanhamento da Safra Brasileira: Gr2011/12: Grãos. Brasília: Conab, S.27 47 Brasilien:Ministerium für Landwirtschaft, Viehzucht und Versorgung – MAPA (2012): Brasil: Projeções de Agronegócio.2010/11 a 2011/12. Brasília: MAPA, S.21. Zu finden unter: http://www.agricultura.gov.br/arq_editor/file/Ministerio/gestao/projecao/PROJECOES%20DO%2 0AGRONEGOCIO%202010-11%20a%202020-21%20-%202_0.pdf (10.04.2012) 48 Macedo, Insaias de Cavalho (2007): Sugar Cane’s Energy: Twelve studies on Brazilian Sugar Cane Agribusiness and its sustainability. São Paulo: UNICA, S.199 49 Lazzarotto, Joelsio José; Hiroshi Hiracumi, Marcelo (2009): Evolução e Desempenho Econômico Associadas com a Produção de Soja nos Contextos Mundiais e Brasileiro. Londrina: Embrapa Soja, S.31 50 S. Macedo, Insaias de Cavalho (2007): Sugar Cane’s Energy: Twelve studies on Brazilian Sugar Cane Agribusiness and its sustainability. São Paulo: UNICA, S.188 17
Energiepflanzenanbau und Biokraftstoffproduktion in Brasilien Fakten und Meinungen Wirtschaftsbereiche, die Exporte von Agrarkraftstoffen sowie neue Forschungsinitiativen im Biokraftstoffbereich angesprochen werden. 3.1 Geschaffene Arbeitsplätze Es wird geschätzt, dass die Produktion von Biokraftstoffen mehr Arbeitsplätze schafft als die Herstellung von herkömmlichen Benzin. Wie viele Menschen jedoch in Brasiliens Biokraftstoffsektor Arbeit gefunden haben ist schwierig festzustellen, da die Endprodukte der angebauten Pflanzen ja auch für andere Zwecke genutzt werden. Im übergeordneten Sektor der Landwirtschaft gab es im Zeitraum 2010-2011 etwa 1,3 Mio. Arbeitsplätze51, jedoch ist der Anteil dieses Sektors am Arbeitsmarkt trotz der steigenden Produktion von Agrarprodukten in den letzten Jahren rückläufig. Dies liege laut der Regierungsorganisation Repórter Brasil auch an der Ausbreitung des Sojasektors, da der Anbau dieser Pflanze im Gegensatz zu anderen Produkten eher wenig zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt.52 Laut Angaben der Vertretung der sojaproduzierenden Industrie (Abiove) sei allein der Sojasektor (in dem die Gewinnung von Biodiesel ja nur einen kleinen Teil ausmacht) für etwas mehr als eine Millionen Arbeitsplätze verantwortlich, jedoch beinhalten diese Schätzungen auch vor und nachgelagerte Produkte. Der Zuckerrohrsektor hat in den durch die nationale Energieagentur untersuchten Hauptanbaustaaten São Paulo, Goías, Mato Grosso do Sul, Paraná und Minas Gerais etwa 170.000 direkte Arbeitsplätze geschaffen53, indirekte Arbeitsplätze im Zuckerrohrsektor wurden durch eine Studie von 2001 mit etwa 937.000 beziffert.54 Die Gewinnung anderer Grundprodukte zur Biodieselproduktion (z.B. Rizinus oder Palmöl) tragen im Vorgleich hierzu wesentlich weniger zur Entstehung von Arbeitsplätzen bei. Obwohl die Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen und der Regierung weit auseinander liegen, kann man wohl von fünfstelligen Zahlen ausgehen.55 Gerade diese Energiepflanzenarten sollten jedoch nach Plänen der Regierung wesentlich mehr Arbeitsplätze für die arme Bevölkerung auf dem Land generieren, was jedoch momentan nur ansatzweise der Fall ist. Da sich die Daten über die Zuckerrohr- und Sojaherstellung auf die gesamte Rohstoffproduktion beziehen und nicht nur auf den Anteil des daraus gewonnenen Biosprits, dürfte die tatsächliche Zahl an Arbeitsplätzen im Ethanol- und Biodieselsektor alleine wohl weit unter dem eben genannten Zahlen liegen. 51 Berechnet aus: Brasilien: Secretária de Políticas Públicas de Emprego – SPPE (2011): Mercado de Trabalho 2011-2011.: Anuário do Sistema Público do Emprego, Trabalho e Renda. Siehe: http://portal.mte.gov.br/data/files/8A7C816A333FE61F013341780DBB382F/mercado.pdf (05.08.2012) 52 Réporter Brasil (2010): O Brasil dos Agrocombustíveis: Soja, Mamona 2009. Siehe: http://www.reporterbrasil.org.br/documentos/o_brasil_dos_agrocombustiveis_v4.pdf (24.05.2012) 53 Brasilien: Ministério de Minas e Energia - MME (2010): Plano Decenal de Expansão de Energia. Rio de Janeiro: EPE, S.313 54 Vgl. Guilhoto, J.J.M. (2001): Geração de Emprego nos setores produtores de cana-de-açucar, açucar e alcool no Brasil e suas macro-regiões. In: Report: Cenários para o setor de Açúcar e Álcool”, MB Associados and FIPE. 55 Londres, Flavia (Hrsg., 2011):Agricultura Familiar, Agroecologia e Agrocombustíveis: In: Caderno da Comissão de Agroenergia da Articulação Nacional de Agroecologia. Rio de Janeiro, AS-PTA, S.81 18
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