Vom Freund zum Partner Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel

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Vom Freund zum Partner Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
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                                               Vom Freund zum Partner

                                               Die deutsch-brasilianischen
                                               Kulturbeziehungen im Wandel

                                               Johannes von Dungen
Vom Freund zum Partner Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
ifa-Edition Kultur und Außenpolitik

Vom Freund zum Partner

Die deutsch-brasilianischen
Kulturbeziehungen im Wandel

Johannes von Dungen
Impressum

Die Publikation ist entstanden im Rahmen des
ifa-Stipendienprogramms „Kultur und Außenpolitik“ und
erscheint in der ifa-Edition Kultur und Außenpolitik.

Herausgeber
Institut für Auslandsbeziehungen e. V. (ifa), Stuttgart

Verfasser
Johannes von Dungen

Redaktion und Lektorat
Dr. Mirjam Schneider
Dr. Joachim Staron

Satz und Gestaltung
Andreas Mayer, Stuttgart
Bildnachweis (Umschlag):
.marqs / photocase.com

Druck
ConBrio Verlags GmbH, Regensburg

Institut für Auslandsbeziehungen e. V.
Charlottenplatz 17
70173 Stuttgart
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             Inhaltsverzeichnis
             Vorwort                                                          5
             Empfehlungen im Überblick                                        7
    	Einleitung                                                               13

    1.       Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland               18
    1.1.     Die deutsche Einwanderung nach Brasilien                         18
    1.2.     Das Image des Anderen                                            20
    1.2.1.   Das brasilianische Image in Deutschland                          20
    1.2.2.   Das deutsche Image in Brasilien                                  21
    1.3.     Permanente institutionelle Präsenz                               24

    2. 	Zentrale Dokumente deutsch-brasilianischer Wissenschafts-
             und Kulturbeziehungen                                            29
    2.1. 	Abkommen über Kultur und Wissenschaftlich-Technologische
             Zusammenarbeit (WTZ)                                             29
    2.2.     Strategische Partnerschaften                                     32
    2.3.     Neue Initiativen, neue Instrumente                               34

    3.       Die deutsch-brasilianischen Wissenschaftsbeziehungen             37
    3.1. 	Hochschulkooperation, Wissenschaftleraustausch und
             Kompetenzzentren                                                 38
    3.2.     Wissenschaft, Technologie, Innovation                            44
    3.2.1. 	Deutsches Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo    44
    3.2.2.   BRAGECRIM als Kooperationsmodell                                 46
    3.2.3. 	Deutsch-Brasilianisches Jahr der Wissenschaft, Technologie und
             Innovation 2010/2011                                             47

    4.       Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen                    50
    4.1. 	Sprachvermittlung                                                  50
    4.2.	Kulturdialog                                                        52
    4.2.1. 	Rezeption: Umfang und Formen                                     52
    4.2.2. 	Kulturvermittlung: Deutsche Kultur in Brasilien –
             brasilianische Kultur in Deutschland                             56
    4.2.3. 	Copa da Cultura 2006                                             58
    4.2.4. 	Deutsches Kulturfest 2007/2008                                   59
    4.3. 	Politische Bildung                                                 60

             Fazit und Empfehlungen                                           64

    	Abkürzungsverzeichnis                                                    74
             Literaturverzeichnis                                             76
             Anhang
             Adressliste                                                      83
             Zum Autor                                                        88
4

Vorwort
5
               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               Vorwort

Brasiliens rasanter Wandel vom Entwicklungsland             zeigen und wie die Akteure der Kulturarbeit bei-
hin zur achtgrößten Volkswirtschaft der Welt zeigt:         der Länder dem neuen Stellenwert Brasiliens auch
Hier ist den westlichen Industriestaaten ein ernst-         mit neuen Programmen und Strategien begegnen
zunehmender Partner auf der globalen Bühne                  müssen.
erwachsen. Wirtschaftlich spielt Brasilien bald in              Dabei warnt der Autor davor, sich auf der lang-
der ersten Liga: Das brasilianische Flugzeug­bau-           jährigen gemeinsamen Geschichte und den positi-
Unternehmen Embraer steht an dritter Stelle welt-           ven Erfahrungen der Vergangenheit auszuruhen:
weit, und der Ölkonzern Petrobas gehört in seiner           Die Vernachlässigung Lateinamerikas in der letzten
Branche an die Weltspitze.                                  Dekade durch neue Herausforderungen wie dem
    Doch auch Kunst und Kultur aus Brasilien wer-           internationalen Terrorismus, der EU-Osterweite-
den auf dem internationalen Kulturmarkt längst              rung und den aufstrebenden ostasiatischen Staaten
nicht mehr als exotische Farbtupfer mit sinnlich-           haben dazu beigetragen, dass Teile der Entwick-
erotischem Lokalkolorit rezipiert. Jenseits des Drei-       lung Brasiliens nicht ausreichend zur Kenntnis
klangs „Samba, Fußball, Karneval“ ist mit Paulo             genommen wurden. Man müsse, so die These des
Coelho ein Autor zu Weltruhm gelangt, der als Ver-          Autors, das neue Selbstbewusstsein Brasiliens
mittler universaler Werte in einer Welt des globalen        genauso ernst nehmen wie die neue Konkurrenz
Wandels gilt. Und die Capoeira-Begeisterung im              vor Ort, da nicht nur weitere europäische Staaten,
Westen macht deutlich, dass Brasiliens Musik-,              sondern auch Länder wie Russland, Iran, China
Tanz- und Kampfkultur sinnlich und körperlich               und Indien mittlerweile versuchen, in Brasilien
erfahrbar sind, ohne auf erotische Klischees redu-          kulturpolitisches Terrain zu erobern. Es gilt jetzt,
zierbar zu sein.                                            die oft als selbstverständlich vorausgesetzte Freund-
                                                            schaft zu einer echten Partnerschaft werden zu
    Die Bundesrepublik würdigt Brasilien gleich             lassen, um den Herausfordernungen der Zukunft
mit zwei großen Ereignissen: Im Jahr 2013 ist               gemeinsam begegnen zu können.
Brasilien Gastland der Frankfurter Buchmesse.                   Der Autor sammelt Beispiele für zukunftswei-
Gleichzeitig wird ein Deutschlandjahr in Brasi-             sende bilaterale kulturelle Initiativen und regt
lien stattfinden. Beide Ereignisse bieten dem Insti-        weitere Maßnahmen an, um den deutsch-brasili-
tut für Auslandsbeziehungen e. V. (ifa) den Anlass,         anischen Beziehungen in der zweiten Dekade des
vertieft über die Kulturbeziehungen zwischen                21. Jahrhunderts neuen Schwung zu verleihen. Für
beiden Ländern nachzudenken. Die im Rahmen                  sein Engagement möchte ich mich herzlich bedan-
des neuen ifa-Stipendienprogramms „Kultur und               ken. Seiner Studie wünsche ich eine große Reso-
Außenpolitik“ entstandene Studie geht den Fra-              nanz, damit die deutsch-brasilianischen Bezie-
gen nach, wo die deutsch-brasilianischen Kultur-            hungen nicht nur im Deutschlandjahr adäquat
beziehungen auf bewährte Formen des Dialogs                 gewürdigt, sondern auch für die weitere Zukunft
zurückgreifen können, wo sich indes auch Defizite           auf den richtigen Weg gebracht werden.

                                                            Ronald Grätz,
                                                            Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen e. V.
6

Empfehlungen
im Überblick
7
               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               Empfehlungen im Überblick

Brasilien ist heute nicht nur die achtgrößte Volks-         bisweilen negativ aufgenommen. Dazu könnte
wirtschaft der Welt und Deutschlands wichtigster            das Volumen des neuen binationalen Forschungs-
ökonomischer wie politischer Partner in Lateiname-          fonds aufgestockt und die Einführung eines For-
rika; auch die bilateralen Wissenschafts- und Kultur-       schungspreises nach deutsch-japanischem Vorbild
beziehungen blicken auf eine lange Tradition zurück.        in Erwägung gezogen werden.
Die wachsende Bedeutung Brasiliens auf der globa-
len Bühne stellt die deutsche Politik jedoch auch vor       4.) Beziehungen auf höchster politischer
neue Herausforderungen:                                          Ebene pflegen

                                                            In Brasilien spielt die persönliche Präsenz aus-
Allgemeine Empfehlungen                                     ländischer Spitzenpolitiker eine große symbo-
                                                            lische Rolle für den Stellenwert, der bilateralen
1.) Zukunftspartnerschaft begründen                        Beziehungen zugemessen wird. Da das brasiliani-
    und Transparenz gewährleisten                           sche politische System stark auf den Präsidenten
                                                            zugeschnitten ist und die Bedeutung von Staats-
Die deutsche Politik sollte Brasilien endlich die           sekretären und Ministern deshalb geringer einge-
Rolle eines gleichberechtigten Partners zugestehen          schätzt wird als in Deutschland, kann eine Inten-
und die Bedeutung der deutsch-brasilianischen               sivierung der Begegnungen von Regierungschefs
Beziehungen deutlicher kommunizieren. Zudem                 den bilateralen Beziehungen mehr Gewicht und
sollten unilaterale Entscheidungen vermieden                mediale Präsenz verleihen. Ein solches Engage-
und die brasilianischen Partner in Planungen                ment auf höchster deutscher Ebene wird momen-
deutscher Initiativen frühzeitig einbezogen wer-            tan noch vermisst.
den.
                                                            5.) W
                                                                 issen übereinander schaffen –
2.) Beziehungen institutionell verstetigen                     personelle und finanzielle Kapazitäten
                                                                ausbauen
Im Sinne des gegenseitigen Austauschs sollten
nicht nur deutsche Akteure über Niederlassungen             Ein grundlegendes Problem der bilateralen Bezie-
in Brasilien verfügen, sondern auch brasilianische          hungen ist nicht mangelndes gegenseitiges Inte-
Akteure zu stärkerer institutioneller Präsenz in            resse, sondern fehlendes Wissen übereinander.
der Bundesrepublik angeregt werden. Dies würde              Durch das Informationsdefizit werden mitunter
die Abhängigkeit vom Engagement von Einzelper-              Kooperationschancen verpasst. Gründe dafür gibt
sonen mindern und die Beziehungen institutionell            es viele, darunter die schwache Stellung der por-
verstetigen.                                                tugiesischen Sprache an deutschen Schulen und
                                                            der Regionalstudien an Universitäten sowie die
3.) Investitionen wagen                                    mangelnde Vernetzung wissenschaftlicher Exper-
                                                            tise mit der Politik. Auch im deutschen politisch-
Zwar unterhält Deutschland ein beachtliches Netz            administrativen System sind für Brasilien kaum
an Institutionen auf brasilianischem Boden, doch            Stellen vorgesehen. Angesichts sich ändernder
wird die geringe Bereitschaft zu zusätzlichem               globaler Kräfteverhältnisse wäre es angebracht,
finanziellem Engagement auf brasilianischer Seite           die Zuteilung personeller und finanzieller Kapazi-
8
              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              Empfehlungen im Überblick

täten zu überdenken und aufstrebenden Ländern              8.) Kulturdialoge auf nationaler Ebene
mehr Ressourcen zu widmen. Eine verstärkte För-                 gestalten
derung von Brasilien- und Lateinamerikakompe-
tenz erscheint für die kommenden Jahre dringend            Aufgrund des genannten abstrakten Charakters
notwendig.                                                 der EU auch für gebildete Brasilianer erscheint es
                                                           sinnvoll, in der Auswärtigen Kulturpolitik den
6.) Vertrauensverhältnis stärken                          binationalen Dialog zwischen deutschen und bra-
                                                           silianischen sowie gegebenenfalls den trilateralen
Wie viele Länder fürchtet Brasilien einen Brain            Austausch mit dritten Akteuren in den Mittelpunkt
Drain seines akademischen Nachwuchses in die               der Überlegungen zu stellen. Veranstaltungen zu
nördlichen Industrieländer. Deutschland sollte             europäischen Themen im engeren Sinne sind
hier vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen                da­gegen wenig Erfolg versprechend.
und deutlich machen, dass Austausch, Dialog und
gemeinsame Wissensproduktion im Mittelpunkt
des Interesses beider Länder stehen. Gleichzeitig          Deutschlandjahr 2013
muss Deutschland den durch die auch in Brasilien
rezipierte Debatte um den Bologna-Prozess sowie            Die gewonnenen Erkenntnisse erlauben es, Emp-
durch das schwache Abschneiden in internatio-              fehlungen für die Planungsphase des Deutschland-
nalen Hochschulrankings entstandenen Schaden               jahrs zu geben. Dabei wird auf konkrete inhaltliche
für das Image des deutschen Hochschulsystems               Vorschläge verzichtet, da sie in Konsultationspro-
beheben. Dazu sollten die Vorteile, die das Bache-         zessen mit der brasilianischen Seite und sämtli-
lor-Master-System in Bezug auf internationale Ver-         chen beteiligten Akteuren gemeinsam entwickelt
gleichbarkeit und Anschlussfähigkeit für inter-            werden sollten.
nationale Studierende und Promovierende bietet,                Im aktuellen Stadium der Vorbereitung des
deutlicher herausgestellt werden.                          Deutschlandjahres (Anfang 2011) besteht die
                                                           Gefahr einer ähnlichen Diskrepanz zwischen dem
7.) Über die EU informieren                               Diskurs der verantwortlichen Akteure und der
                                                           „Wirklichkeit“ wie im Fall der deutsch-brasiliani-
Die Europäische Union stellt aus brasilianischer           schen „strategischen Partnerschaft“: Aktuell ist zu
Sicht ein Erfolgsmodell für regionale Integration          be­f ürchten, dass zwar die Notwendigkeit eines
dar, bleibt aber trotzdem dem nationalstaatlich            Dialogs im Vorfeld proklamiert wird, gleichzeitig
orientierten brasilianischen Denken fremd. Auch            aber die Inhalte, Ziele und die Verteilung der Kom-
brasilianische Wissenschaftsakteure verfügen               petenzen bereits feststehen. Diese Situation bein-
nur über eingeschränkte Kenntnisse über die EU             haltet ein Frustrationspotenzial, dem es frühzeitig
und schätzen ihre Relevanz für die binationalen            entgegenzuwirken gilt.
Beziehungen als eher gering ein. Hier ist durch die
deutschen Partner Auf klärungsarbeit über die              1.) Partnerschaftliche Koordination
Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen                       zwischen beiden Regierungen
EU-Ländern und außereuropäischen Partnern im
Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms                    Um Konflikte zwischen deutschen und brasiliani-
notwendig.                                                 schen Regierungsakteuren zu vermeiden, sollten
9
              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              Empfehlungen im Überblick

bei jeder Entscheidung die Interessen der brasili-         Solche höchstrangig besetzten Prestigeveranstal-
anischen Partner berücksichtigt und frühzeitig             tungen drücken Respekt und Wertschätzung aus.
deren Meinung eingeholt werden.                            Sie würden den politischen Beziehungen mehr
                                                           Gewicht verleihen und die Medien zur Berichter-
2.) Dialog zwischen deutschen und                         stattung anregen.
     brasilianischen Akteuren
                                                           Zielgruppe Intellektuelle und Multiplikatoren,
Ebenso ist zwischen deutschen und brasiliani-              Wirtschaft
schen Wissenschafts- und Kulturakteuren früh-              Auf der Agenda der wissenschaftlichen Eliten ste-
zeitig ein offener Dialog über Inhalte und Formate         hen besonders große Verbundprojekte, speziell
sowie die jeweilige finanzielle und logistische            in innovationsrelevanten naturwissenschaftlich-
Beteiligung zu führen.                                     ­technischen Fächern. Ebenso zeigen Geistes- und
                                                           Sozialwissenschaftler Interesse an binationalen
3.) Dialog zwischen deutschen Akteuren                    Graduiertenkollegs und Kompetenznetzen. Unter
                                                           den Angehörigen der intellektuellen und künst-
Die Berücksichtigung verschiedener Interessen              lerischen Elite kann von bereits vorhandenen
und Vorstellungen sowie die gemeinsame Ent-                Deutsch(land)-Kenntnissen ausgegangen werden.
wicklung von Zielen und Inhalten hat nicht nur             Hier sollte versucht werden, das Interesse zu erwei-
eine interkulturelle, sondern auch eine inner-             tern und die Kenntnisse zu vertiefen. Dazu sind
kulturelle Dimension: Auch unter den deutschen             Übersetzungen literarischer, philosophischer und
Akteuren sind Abstimmungen zu treffen. Im Vor-             geisteswissenschaftlicher Klassiker, avantgardis-
feld des Deutschlandjahres 2013 wird es die Auf-           tisches Theater, experimentelle Musik, Podiums­
gabe des Auswärtigen Amtes sein, auf die gleich-           diskussionen sowie Lesungen und Dialogveran-
berechtigte Einbeziehung verschiedener Sektoren            staltungen über deutsche Literatur, Philosophie
und Akteure zu achten.                                     oder Ideengeschichte gleichermaßen geeignet
                                                           wie das Angebot von Residenzen für Künstler und
4.) Zielgruppen und Formate definieren                     Journalisten.
                                                           Das Hauptproblem für die Einbeziehung von Wirt-
Konfliktpotenzial kann sich aus der jeweils unter-         schaftseliten ins Deutschlandjahr besteht in der
schiedlichen Antwort auf die Frage ergeben, auf            mangelnden Bereitschaft der in Brasilien vertre-
welche Art und Weise, über welche Formate und              tenen deutschen Wirtschaft, sich als deutsch zu
im Blick auf welche Zielgruppen im Rahmen eines            präsentieren. Die Unternehmen können nur dann
Deutschlandjahres nachhaltige Wirkungen zu                 als Sponsoren für Kulturveranstaltungen gewon-
erreichen sind. Hier sollte frühzeitig eine Verstän-       nen werden, wenn die zu fördernde Veranstaltung
digung stattfinden.                                        durch zahlreiche Angehörige der Zielgruppe des
                                                           jeweiligen Unternehmens frequentiert wird.
Zielgruppe Führungskräfte
Um politische Eliten für Deutschland zu interes-           Zielgruppe junge urbane Mittelschicht
sieren, werden hochrangige Delegationsreisen               Soll eine breitere, kulturell interessierte Mittel-
notwendig sein. Wünschenswert wäre die Anwesen­            schicht erreicht werden, haben sich vor allem Ver-
heit der Bundeskanzlerin bei Großveranstaltungen.          anstaltungen mit einer starken sozialen Dimension,
10
              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              Empfehlungen im Überblick

das heißt Aktivitäten bewährt, über die während            Die gesamte Agenda sollte bis zum Beginn des
oder nach dem Besuch ein kommunikativer Aus-               Deutschlandjahres vollständig ausgearbeitet und
tausch möglich ist. Dazu zählen Ausstellungen,             bekannt gegeben werden; sämtliche beteilig-
Konzerte, Filmreihen und Theateraufführungen.              ten deutschen und brasilianischen Akteure sind
Solche Formate sprechen auch jenes Publikum an,            zu einer Beteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit
das noch über geringe Deutsch(land)-Kenntnisse             anzuregen.
verfügt. Um jenseits der Kulturmetropolen auch                 Über den Verlauf des Jahres hinaus könnten
größere Städte des Landesinneren zu erreichen,             zudem bereits Eckpunkte für eine weiterführende
haben sich speziell die Formate Wanderausstel-             Agenda ausgearbeitet werden, um zumindest teil-
lung und Theatertournee bewährt.                           weise künftige Instrumente und Themen der
                                                           deutsch-brasilianischen Beziehungen festzulegen.
Zielgruppe Schüler und Studenten                           Zu diesem Zweck könnten besondere Anlässe wie
Hier ist zwischen Schülern und Studenten mit               Jubiläen deutscher Mittlerorganisationen, heraus-
und ohne vorherigen Deutschlandbezug sowie                 ragender Kulturereignisse oder wissenschaftli-
zwischen eher mehr und eher weniger kulturell              cher Kooperationen genutzt werden, um die Bezie-
interessierten Jugendlichen zu unterscheiden. So           hungen entlang dieser Höhepunkte längerfristig
werden kulturell interessierte Schüler und Stu-            zu strukturieren.
denten durch Maßnahmen erreicht, die auf die
urbane Mittelschicht abzielen sowie durch Veran-           6.) Synergie-Potenzial nutzen
staltungen des Goethe-Instituts. Kulturell bislang
unterdurchschnittlich interessierte Schüler und            Das Label eines Deutschlandjahres bietet die Mög-
Studierende werden eher durch medienwirksame               lichkeit, zahlreichen Maßnahmen durch den
Veranstaltungen, etwa eine entsprechende Eröff-            gemeinsamen Auftritt zu größerer Wirkung zu ver-
nungsveranstaltung, angesprochen. Für die Ziel-            helfen. So kann die Abstimmung der zielgruppen-
gruppe insgesamt könnten Musikveranstaltungen              spezifischen Instrumente nachhaltige Synergie-
unter Mitwirkung bekannter deutscher Künstler              Effekte erzielen, sofern sich die Akteure wechsel­
angeboten werden. Ebenso wird angeregt, promi-             seitig unterstützen, bei ihren Veranstaltungen
nente deutsche Sportler zu gewinnen, um Jugend-            Informationsmaterial über Aktivitäten anderer
liche über den Sport für Deutschland zu interes-           Partner auslegen und die gewonnene Aufmerk-
sieren.                                                    samkeit auf künftige Projekte lenken. In diesem
                                                           Zusammenhang stellen beispielsweise Minister-
5.) Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit                      besuche ein geeignetes Instrument dar, um auch
     und längerfristige Agenda                             thematisch verwandten Projekten anderer Res-
                                                           sorts zu höherer Sichtbarkeit auf der politischen
Für die Entwicklung einer Agenda für das Deutsch-          Bühne und innerhalb der Wissenschaftseliten zu
landjahr erscheint die verstärkte deutsche Präsenz         verhelfen.
vor Ort notwendig. Für die Koordination sowohl
während der Planungs- als auch während der                 7.) Thematische Schwerpunkte
Durchführungsphase des Deutschlandjahres sollte
ein personell gut ausgestattetes überinstitutio-           Die inhaltliche Konzeption des Deutschlandjahres
nelles Projektbüro in Brasilien vorhanden sein.            wird sich stets im Spannungsfeld zwischen einem
11
               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               Empfehlungen im Überblick

Eingehen auf brasilianische Prioritäten und einem           Auf der Suche nach einem geeigneten Motto für
Einbringen der eigenen Interessen bewegen müs-              das Deutschlandjahr ist zwar zu beachten, dass
sen. Dabei gehen die Interessen hinsichtlich der am         die verwendeten Begriffe sowohl in Brasilien als
Deutschlandjahr beteiligten wissenschaftlichen              auch in Deutschland ausschließlich positiv besetzt
Disziplinen auseinander: In Bezug auf die Natur-            sind. Um dennoch inflationär gebrauchte Begriffe
und Ingenieurwissenschaften muss die – brasilia-            wie „Innovation“ oder „Nachhaltigkeit“ zu ver-
nische – Forderung nach gemeinsamer angewand-               meiden, könnte stattdessen die Gleichberechti-
ter Forschung mit dem – deutschen – Interesse an            gung beider Seiten in den Blick genommen und
gemeinsamer Grundlagenforschung in Einklang                 die längst überfällige Partnerschaftlichkeit und
gebracht werden. Und wenn von deutscher Seite               Gemeinschaftlichkeit betont werden. Ebenfalls
das Bedürfnis besteht, Kooperationen in den Geistes-        von Bedeutung wäre die Zukunftsträchtigkeit der
und Sozialwissenschaften zu vertiefen, wird                 Beziehungen. Als Orientierung könnte das Motto
dies in Brasilien auf politischer Ebene auf einge-          des Deutschlandjahrs in Indien, „infinite opportu-
schränkte Begeisterung stoßen. Hier ist zunächst            nities“, dienen, das auch für Brasilien anwendbar
Überzeugungsarbeit zu leisten.                              wäre. Vorschläge, die die Gemeinsamkeit noch stär-
    Eine weitere Schwierigkeit besonders im Kul-            ker unterstreichen, wären: „Deutschland und Bra-
turbereich besteht in der Gefahr, Stereotypen               silien: gemeinsam in die Zukunft“, oder „Deutsch-
nicht kritisch zu hinterfragen und zu revidieren,           land und Brasilien: Partner mit Zukunft“.
sondern sie zu verstetigen. Besonders da, wo auf
ein bereits bestehendes „Image“ Deutschlands
aufgebaut wird, sollte hinterfragt werden, ob hier
eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der
eigenen und der anderen Kultur stattfindet, oder
ob nicht eher Klischees weiter tradiert werden.
Sollten parallel zu den Aktivitäten in Brasilien
auch Veranstaltungen in Deutschland geplant
sein, betrifft dies ebenso den Umgang mit deut-
schen Vorurteilen gegenüber Brasilien.

8.) Mottofindung

Die bislang geäußerten Vorschläge von deutschen
und brasilianischen Akteuren für das Deutsch-
landjahr 2013 bieten nichts grundsätzlich Neues:
Während deutsche Akteure „Nachhaltigkeit“ im
weitesten Sinne als zentrales gemeinsames Thema
angeben, bevorzugen Brasilianer den Begriff „Inno-
vation“ als Motor für nachholende Entwicklung.
Dabei ist zu fragen, ob beide Begriffe nicht bereits
Abnutzungserscheinungen zeigen und wenig
mehr als inhaltsleere Worthülsen darstellen.
12

Einleitung
13
               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               Einleitung

Die deutsch-brasilianischen Wissenschafts- und Kul-         Das flächenmäßig fünftgrößte Land war Ende 2010
turbeziehungen sind traditionsreich und befinden            auch die achtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Im
sich auf hohem Niveau. Jedoch ist angesichts einer          Zuge dieses Wirtschaftswachstums wurden mit-
Weltordnung im Umbruch zu fragen, ob die Art und            tels umfangreicher (politisch nicht unumstritte-
Weise der Gestaltung dieser Beziehungen – speziell          ner) Sozialprogramme zwischen 2004 und 2009
von deutscher Seite – noch zeitgemäß ist.                   die Armutsrate von 20 auf sieben Prozent und die
                                                            der absoluten Armut von zehn auf vier Prozent
                                                            der Bevölkerung reduziert. Auch die extreme Ein-
Seit dem Ende des Kalten Krieges und noch ein-              kommensungleichheit konnte nach Gini-Index im
mal nach dem 11. September 2001 haben sich die              gleichen Zeitraum von 0,596 auf 0,540 leicht ver-
Beziehungen Deutschlands (und Europas) zu                   ringert werden. Unternehmen wie das internati-
Lateinamerika und damit zu Brasilien verändert.             onal drittgrößte Flugzeugbau-Unternehmen Emb-
Angesichts anderer Prioritäten wie der Integra-             raer (Empresa Brasileira de Aeronáutica S.A.) und
tion Ost-Europas, der Herausforderung durch den             der Ölkonzern Petrobras (Petróleo Brasileiro S.A.)
islamistischen Terrorismus und dem Aufstreben               gehören heute in ihrer Branche zur Weltspitze.
mächtiger asiatischer Schwellenländer haben sich                Auch auf politischer Ebene hat Brasilien durch
die Schwerpunkte auch der Wissenschaftskoopera-             eine aktive Außenpolitik während der Amtszeiten
tion und Kulturarbeit rein quantitativ verlagert. So        Fernando Henrique Cardosos (1995-2002) und Luis
wurden in Lateinamerika – das aus deutscher und             Inácio Lula da Silvas (2003-2010) an regionalem
europäischer Sicht aufgrund der gemeinsamen                 und globalem Gewicht gewonnen. Vor allem die
christlich-westlichen Prägung bisweilen als natür-          Regierung Lula hat ihre Außenbeziehungen erheb-
licher Partner empfunden wird – und damit auch              lich diversifiziert, die Beziehungen zu den Län-
in Brasilien die politische und wirtschaftliche Prä-        dern der Region verstärkt und sich dem portugie-
senz, aber auch Investitionen in kulturelle Akti-           sischsprachigen Afrika zugewandt. Allein im Jahr
vitäten Deutschlands zurückgefahren. Zwischen               2009 wurden weltweit sechs neue Botschaften
2000 und 2010 gab es nur zwei Besuche eines deut-           und drei neue Generalkonsulate eröffnet, davon
schen Regierungschefs in Brasilien (je einen von            nur ein Generalkonsulat in Europa (Istanbul). Bra-
Gerhard Schröder und Angela Merkel); deutsche               silien stilisierte sich unter Lula zu einem Sprecher
Unternehmen, die 2001 noch neun Prozent der                 des Südens, legte aber gleichzeitig auch Wert auf
ausländischen Direktinvestitionen in Brasilien              seine Erscheinung als verlässlicher Partner des
ausmachten, waren 2008 nur noch für 2,4 Prozent             Nordens.
verantwortlich; damit fielen sie vom dritten auf                Im Wissenschaftsbereich sind in den vergan-
den 13. Platz der ausländischen Investoren zurück;          genen Jahren enorme Fortschritte Brasiliens zu
Anfang der 1990er Jahre gab es sieben Goethe-Ins-           verzeichnen. Die beste Universität des Landes, die
titute in Brasilien, derzeit sind es noch fünf.             Universidade de São Paulo (USP), belegte 2010 im
                                                            Academic Ranking of World Universities („Shang-
Brasiliens Bedeutung heute                                  hai-Ranking“) den 143. Platz, war damit beste Hoch-
                                                            schule Lateinamerikas und auf einem vergleich-
In dieser Zeit deutscher „Abwesenheit“ haben sich           baren Niveau wie die deutschen Universitäten
die globalen Verhältnisse verändert, was sich nicht         Münster, Tübingen und Würzburg. Insgesamt
zuletzt am Beispiel Brasilien bemerkbar macht.              sechs brasilianische Universitäten zählen mittler­
14
              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              Einleitung

weile zu den besten 500 der Welt, im Jahr 2005             Copa da Cultura, in Deutschland präsent war, eine
waren es erst vier. Brasilien ist nicht nur das for-       Häufung deutscher und bilateraler Initiativen in
schungsstärkste Land Lateinamerikas, sondern               Wissenschaft und Kultur. Inwieweit diese sich
hat sich im weltweiten Vergleich bei der wissen-           aber in Bekundungen des guten Willens und sym-
schaftlichen Produktion innerhalb eines Jahres             bolischen Akten wie dem gebetsmühlenartigen
um 56,49 Prozent von unter 20.000 auf mehr als             Rekurrieren auf eine „strategische Partnerschaft“
30.000 Veröffentlichungen und damit von Rang 15            erschöpfen oder ob sie dauerhafte Konsequenzen
(2007) auf Rang 13 (2008) gesteigert. Damit hat das        für eine Vertiefung der Kooperationen nach sich
ehemalige Entwicklungs- und heutige Schwellen-             ziehen, wird einerseits davon abhängen, ob sich
land nicht nur die kleinen Niederlande, sondern            Abkommen und Aktionspläne mit konkreten
auch das große Russland mit seiner langen wissen­          Inhalten füllen lassen, und andererseits davon ,
schaftlichen Tradition überflügelt – ein Faktum,           auf welche Art und Weise diese Inhalte ausgehan-
auf das man in Brasilien besonders stolz ist. Auf          delt und kommuniziert werden.
einigen Sektoren wie der Luftfahrt oder der Agrar-             Die Initiativen für eine gemeinsame inhaltli-
forschung gehören die Forschungsleistungen                 che Agenda müssen auch zukünftig hauptsächlich
Brasiliens zu den führenden der Welt.                      von Deutschland ausgehen, denn obwohl Brasilien
                                                           nach wie vor an enger Zusammenarbeit vor allem
Konkurrenz um Kooperation                                  im Bereich Forschung und Technologie interes-
                                                           siert ist und mehr als früher Anregungen liefert,
Andere europäische Länder wie Frankreich, Portu-           kann es sich seine Partner mittlerweile aussuchen
gal und Spanien haben auf die Möglichkeiten, die           und ist nicht auf Deutschland oder andere tradi-
sich ihrer Wirtschaft in Brasilien boten, schneller        tionelle Industrieländer wie die USA, Frankreich
reagiert als die Bundesrepublik und würdigen               oder Großbritannien angewiesen. Das explodie-
die Bedeutung Brasiliens auch durch öffentlich-            rende globale Interesse an einer Zusammenarbeit
lichkeitswirksame Besuche von Staats- und Regie-           mit Brasilien in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft
rungschefs. Erst ab etwa 2009 nahm die Aufmerk-            und Kultur auf Seiten aufstrebender Schwellen-
samkeit der deutschen Spitzen­p olitik zu, was             länder wie China, Indien und Südkorea, aber auch
sich an der im Vergleich der letzten zehn Jahre            Südafrika, Russland und Iran überfordert zudem
un­gewöhnlichen Häufung von Bundesministerde-              die Kapazitäten der brasilianischen Administra-
legationen ablesen lässt. Auch die deutsche Wirt-          tion, weshalb mit aktivem brasilianischen Input
schaft unternimmt mit dem 2009 ins Leben geru-             zurzeit und bis auf weiteres nicht zu rechnen ist.
fenen Projekt „WinWin 2014/2016“, das vom Brazil           Mit diesem neuen Sachverhalt ändern sich auch
Board des Bundesverbandes Deutscher Industrie              die Ansprüche, die Brasilien sowohl an Umgangs-
(BDI) getragen wird, neue Anstrengungen, um im             formen als auch an Inhalte konkreter bilateraler
Vorfeld der Großereignisse Fußballweltmeister-             Kooperationen stellt.
schaft 2014 und Olympische Spiele 2016 vor Ort
präsent zu sein.                                           Konsequenzen für die deutsche Politik
   Im Wissenschafts- und Kulturbereich zeigt
sich besonders in den Jahren seit der Fußball-             Die Transformationen, die Brasilien in der jüngeren
weltmeisterschaft 2006, während der Brasilien              Vergangenheit erlebt hat, werden zwar auch hier-
mit einem eindrucksvollen Kulturprogramm, der              zulande wahrgenommen, jedoch ergeben sich
15
               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               Einleitung

daraus nicht notwendigerweise Konsequenzen                  der späteren Industrialisierung des Landes unter
für das Handeln der deutschen Regierung. Dies-              maßgeblicher Beteiligung deutscher Firmen.
bezüglich sind Wissenschaftsorganisationen und              Obwohl Lula vor allem von der Wirtschaft sprach,
Kulturmittler der Politik einen Schritt voraus.             lässt sich dieser Anspruch ohne Schwierigkeiten
Wie sich im Zuge der Recherchen für diese Stu-              auf andere Themenfelder bilateraler Koopera-
die gezeigt hat, lassen sich grundlegende Prob-             tion übertragen, vor allem auf das der wissen­
leme der deutsch-brasilianischen Beziehungen in             schaftlichen Zusammenarbeit, das aus brasilia-
mangelndem verfügbaren Wissen über Brasilien,               nischer Perspektive ohnehin mehr mit der Pro-
in der daraus folgenden oftmals noch immer über-            duktion innovativer Technologie als mit anderen
legenen Attitüde deutscher Akteure gegenüber                Wissenschaftsdisziplinen zu tun hat. Aber auch
brasilianischen Partnern, der fehlenden Einbe-              der Kulturdialog ist ein wichtiges Feld, auf dem
ziehung der brasilianischen Seite in die Planung            die Grundlagen für eine neue Phase der Beziehun-
neuer Initiativen, einem inkohärenten Auftritt              gen geschaffen werden können. Dies erfordert
deutscher Akteure sowie in der geringen Reich-              die über den politischen Diskurs hinausgehende
weite bestimmter Projekte identifizieren.                   Bereitschaft, den Anderen als gleichberechtigten
    Von diplomatischer Seite sind die artikulier-           Partner zu akzeptieren, gemeinsame Ziele zu defi-
ten Ziele der deutschen Auswärtigen Kulturpoli-             nieren, dementsprechend koordiniert zu agieren,
tik der Zugang zu etablierten Eliten und zukünf-            zu gleichen Teilen die Kosten für Kooperationspro-
tigen Führungskräften des Gastlandes. Zudem                 jekte zu tragen und voneinander zu lernen.
sollen Jugendliche und Studenten sow ie die
deutschstämmige Bevölkerung für Deutschland                 Zu dieser Studie
interessiert werden. Wie im neuen Lateinamerika-
Konzept der Bundesregierung festgehalten ist,               Der vorliegende Text versteht sich als Beitrag zu
sollen Instrumente wie das geplante Deutschland-            einer Debatte über das künftige Vorgehen der Bun-
jahr 2013 in Brasilien dazu dienen, das moderne             desregierung in den Wissenschafts- und Kultur­
Deutschland facettenreich darzustellen und die              beziehungen zur Föderativen Republik Brasilien.
zahlreichen bestehenden Partnerschaften auszu-              Die hier dargelegten Ergebnisse sind Resultat einer
bauen. Diesbezüglich zeigt sich eine deutliche Dif-         Untersuchung, die von September bis Dezember
ferenz zwischen den politischen Vorhaben und                2010 in Deutschland und Brasilien durchgeführt
den Interessen der Akteure aus Wissenschaft und             wurde. Bedingt durch diesen begrenzten Zeit-
Kultur, die einen Ansatz, der die bloße Darstellung         raum können nicht sämtliche relevanten Aspekte
Deutschlands in den Mittelpunkt stellt, ablehnen            der deutsch-brasilianischen Wissenschafts- und
und stattdessen Dialogprogramme favorisieren.               Kulturbeziehungen umfassend analysiert werden;
Eine ähnlich reservierte Haltung findet sich auch           stattdessen werden einzelne Aspekte fokussiert.
auf der brasilianischen Seite.                              Hierbei werden die Wissenschaftsbeziehungen
Was Brasilien von seinen Partnern und speziell              nicht als Unterkapitel der Kulturbeziehungen
von Deutschland erwartet, hat Präsident Lula bei            behandelt, sondern als eigene Kategorie aufge-
seinem Staatsbesuch im Dezember 2009 in Berlin              führt. Dies erfolgt aus zwei Gründen: Erstens sind
unmissverständlich artikuliert: eine dritte Phase           die Wissenschaftsbeziehungen im deutsch-brasi-
der bilateralen Beziehungen nach den beiden Pha-            lianischen Verhältnis von herausragender Bedeu-
sen der deutschen Einwanderung in Brasilien und             tung, der eine bloße Subsummierung unter die
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              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              Einleitung

Kulturbeziehungen nicht gerecht würde; zweitens            nicht nur zusätzliches Faktenwissen gesammelt
ist der Begriff der Wissenschaft nach brasiliani-          werden, es konnten auch Hypothesen in Bezug auf
schem Verständnis, näher an industrieller For-             die Beziehungen der Akteure untereinander und
schung, Technologie und Wirtschaft im Sinne einer          entsprechende Interessenskonf likte entwickelt
wissenschaftlich-technologischen Zusammenar-               werden. Da versucht wurde, ein breites Spektrum
beit (WTZ) anzusiedeln als an anderen Formen               an Akteuren einzubeziehen, war es nicht möglich,
der Kulturbeziehungen.                                     mehr als eine oder zwei Stimmen ein und dessel-
    Da die vorliegende Studie auch dazu dienen             ben korporativen Akteurs zu berücksichtigen.
soll, Empfehlungen für zukünftige Initiativen wie          Zusätzlich zur Erhebungsmethode der Experten-
das Deutschlandjahr in Brasilien 2013 zu geben,            interviews wurden die verfügbare Forschungslite-
werden vor allem diejenigen Bereiche behandelt,            ratur gesichtet, Publikationen der Akteure analy-
die für die Ressorts auf bundespolitischer Ebene           siert sowie quantitative Daten einbezogen.
von Interesse sind, was dazu führt, dass ebenfalls
wichtige Aspekte der kommunalen Ebene wie
Städte­partnerschaften hier nicht behandelt werden
können. Gleiches gilt für eine ausführliche Er­­
läuterung der Beziehungen im zivilgesellschaftli-
chen Bereich. Ebenso wenig ist es möglich, auf die
Beziehungen der ehemaligen Deutschen Demo-
kratischen Republik zu Brasilien einzugehen.
    Zwar wird eingangs die historische Entwick-
lung der deutsch-brasilianischen Beziehungen
skizziert, jedoch stehen die herausragenden seit
der Jahrtausendwende umgesetzten oder ange-
stoßenen Projekte im Mittelpunkt. Speziell wer-
den eine erste Resonanz auf neue Instrumente
wie das Deutsch-Brasilianische Jahr der Wissen-
schaft, Technologie und Innovation 2010/11 oder
das Deutsche Wissenschafts- und Innovations-
haus (DWIH) ermittelt und daraus Empfehlungen
für zukünftige kulturpolitische Entscheidungen
abgeleitet.
    Die Analyse der bilateralen Wissenschafts- und
Kulturbeziehungen wurde vorwiegend qualitativ
vor­­genommen und stützt sich zentral auf 24
Experteninterviews mit deutschen und brasiliani-
schen Vertretern von Politik, Wissenschaft, Kultur
und Wirtschaft. Da den Gesprächspartnern die
vertrauliche Behandlung ihrer Aussagen zuge-
sichert wurde, wird von der Wiedergabe wörtli-
cher Zitate abgesehen. Über die Interviews konnte
17

     1.
18
                Vom Freund zum Partner
                Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
                1. Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland

Neben den deutschen Einwanderern in Brasilien, die           in der Newenwelt America gelegen“, der als erste
die Gesellschaft und Wirtschaft des südamerikani-            deutschsprachige Landeskunde über Brasilien und
schen Staates mitprägten, spielen auch die Vorstel-          bisweilen als erste brasilianische Landes­k unde
lungen, die die Bürger des einen Landes von denen            überhaupt gilt. Neben Staden sind die Natur-
des anderen haben, sowie die institutionelle Prä-            forscher Carl Friedrich Philip von Martius und
senz eine wichtige Rolle für die Verstetigung und            Johann Baptist von Spix zu nennen, die von 1817
Ver­t iefung der Kontakte auch im Wissenschafts-             bis 1820 Flora und Fauna in Brasilien untersuch-
und Kulturbereich.                                           ten und nach ihrer Rückkehr die Ergebnisse ihrer
                                                             Forschung publizierten. Daneben gab es aber

1.
                                                             auch prominente Fälle von Brasilianern, die den
         eutsche in Brasilien –
        D                                                    deutschsprachigen Raum besuchten, wie der Vater
        Brasilianer in Deutschland                           der brasilianischen Unabhängigkeit José Bonifácio
                                                             de Andrade e Silva. Allerdings ist der Einfluss, den
Die Beziehungen Deutschlands zu Brasilien sind               solche Reisende auf die Wahrnehmung Brasiliens
mehrere Hundert Jahre alt. Dabei zeigt sich, dass            in Deutschland hatten, bislang wenig erforscht.
künftige Initiativen auf einer breiten Basis an                  Die ersten Deutschen, die nach Brasilien ein-
gemeinsamer Geschichte und internationalen                   wanderten, um dort zu bleiben, gehörten zu den
Verknüpfungen auf bauen können, dass aber auch               Mitbegründern der Kolonie Leopoldina, die im
nach einer langen gemeinsamen Tradition immer                Jahr 1818 im südlichen Teil des heutigen Bundes-
noch gravierende Wissenslücken auf beiden Sei-               staates Bahia gegründet wurde. Den Beginn der
ten bestehen.                                                ersten Einwanderungswelle markiert aber erst
                                                             das Jahr 1824, zwei Jahre nach der Unabhängig-
                                                             keit Brasiliens, mit der staatlich geförderten Kolo-
1.1.                                                         nisierung des Südens durch ausländische Siedler.
Die deutsche Einwanderung                                    Diese erste Einwanderungswelle dauerte bis 1830

nach Brasilien                                               an. Als verantwortlich für die gezielte Anwerbung
                                                             der Deutschen gelten dabei die österreichisch-
                                                             stämmige brasilianische Kaiserin Leopoldina und
Es gibt unterschiedliche Angaben, wann der                   ihre deutschen Berater. Die Ansiedlung deutscher
Beginn der Beziehungen zwischen Deutschland                  Landwirte, die in Familienarbeit (in Abgrenzung
und Brasilien zu datieren ist. Ebenso alt wie die            zur auf Plantagen üblichen Sklavenarbeit) Lebens-
deutsch-brasilianischen Kontakte sind auch die               mittel in Polikultur anbauten, ermöglichte in peri-
Wissenschafts- und Kulturbeziehungen. Ein in der             pheren Gebieten die Sicherung staatlichen Territo-
Literatur häufig genannter Name ist der von Hans             riums entlang strategisch wichtiger Routen.
Staden, der als Söldner im 16. Jahrhundert nach                  Eine zweite Welle setzte ab 1845 ein, als die
Brasilien kam, um im Dienst portugiesischer Sied-            1850 erfolgte Abschaffung der Sklaverei bereits
ler gegen die Ureinwohner zu kämpfen. Nach seiner            absehbar war und Arbeitskräfte auf den großen
Rückkehr nach Deutschland erschien im Jahr 1557              Kaffeeplantagen von São Paulo und Rio de Janeiro
in Marburg der Reisebericht „Warhaftige Histo-               gebraucht wurden. 1850 wurde per Gesetz die
ria und Beschreibung eyner Landtschafft der wil-             Steuerung der Einwanderung auf die Provinzen
den, nacketen, grimmigen Menschfresser Leuthen               übertragen sowie das Gewerbe privater Koloni-
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              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              1. Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland

sierungsgesellschaften ermöglicht, die kommer-             wurde ab 1937 Unterricht in einer fremden Spra-
zielle Anwerbung von Kolonisten unter anderem              che verboten. Zwei Jahre später folgten auch Ein-
in Deutschland betrieben. Die verstärkte Koloni-           schränkungen in Bezug auf den öffentlichen
sierung, die auch nach dem Ende des Kaiserreichs           Gebrauch und Publikationen in anderen Sprachen.
mit der Ausrufung der Föderativen Republik Bra-            Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschärfte
silien 1889 fortgesetzt wurde, betraf aufgrund der         sich diese Situation dann wieder.
Verfügbarkeit noch herrenlosen Landes weiter-                  Heutzutage künden Städtenamen wie Blume-
hin vor allem die südlichen Provinzen und späte-           nau, Rolândia oder Novo Hamburgo noch vom
ren Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Cata-           Ein­fluss der Einwanderer auf Kultur und Gesell-
rina, São Paulo und Paraná sowie die nordöstlich           schaft Brasiliens. Auch der Name Oscar Niemey-
von Rio de Janeiro an der Atlantikküste gelegene           ers (geboren am 15. Dezember 1907 in Rio de
Provinz Espíritu Santo.                                    Janeiro), der als Wegbereiter der modernen bra-
   Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten                silianischen Architektur und als einer der wich-
sich die kleinen Einwandererstädte durch weitere           tigsten Vertreter und Erneuerer der architek-
Zuwanderung, die Diversifizierung des Hand-                tonischen Moderne gilt, verweist auf deutsche
werks und die beginnende Industrialisierung                Wurzeln. Schätzungen über die aktuelle Größe
zu größeren urbanen Räumen mit unterschied-                der deutschstämmigen Bevölkerung belaufen
lichen sozialen K lassen. Zusätzlich bildeten              sich auf zwischen fünf und zehn Millionen. Davon
sich auch in nerhalb g roßer Städte w ie São               beherrscht zwar nur noch ein Teil die deutsche
Paulo, Porto Alegre und Rio de Janeiro innerstäd-          Sprache, jedoch gibt es in Südbrasilien immer noch
tische deutsche Kolonien, in denen jede soziale            mehr Deutschsprechende als in irgendeinem ande-
Schicht und jeder Beruf vertreten waren. Zu den            ren Teil der Welt außerhalb Europas.1 Die langjäh-
ersten kulturellen Handlungen deutscher Einwan-            rige Präsenz dieser Bevölkerungsgruppe führt
derer gehörte neben der Gründung von Kulturge-             dazu, dass auch bei der nicht-deutschstämmigen
sellschaften und deutschen Schulen (landesweit             Bevölkerung eine positive Grundhaltung gegen-
etwa 1.000 bis 1937) auch der Vertrieb deutsch-            über Deutschland besteht, was sich etwa am dich-
sprachiger Zeitungen und Kalender.                         ten Netz deutscher Schulen zeigt, deren Schüler
   Dass sich die deutsche Minderheit im Alltag in          mittlerweile zum Großteil aus Familien ohne
einer fremden Sprache verständigte, wurde von              deutschen Migrationshintergrund kommen.
der brasilianischen Obrigkeit nicht immer gern                 In umgekehrter Richtung hat es eine ähnli-
gesehen. So wurden während des Ersten Weltkrie-            che Massenauswanderung von Brasilianern nach
ges deutsche Einrichtungen zerstört und Schu-              Deutschland nie gegeben. Dementsprechend ist
len geschlossen. Der Druck auf die deutschen               die brasilianische Präsenz rein quantitativ auch in
Einwanderer, sich zu „brasilianisieren“, nahm              keiner Weise der deutschstämmigen Bevölkerung
in den 1930er Jahren noch zu, als die Einwande-            Brasiliens vergleichbar. Im Jahr 2009 lebten laut
rung einen neuen Schub erlebte. Zu dieser Zeit             Statistischem Bundesamt 32.445 Brasilianer in
gründete eine Minderheit der Deutschen in meh-
reren Städten, darunter auch Rio de Janeiro und
São Paulo, Ortsgruppen der NSDAP. Im Zuge der              1 Dabei handelt es sich aber in den seltensten Fällen um bilingu-
                                                           ale Sprecher. Stattdessen werden meist sowohl Deutsch als auch
Natio­nalisierungskampagne unter Präsident Getú-           Portugiesisch nur in bestimmten, und keine der beiden Sprachen
lio Vargas und der Errichtung seines Estado Novo           in allen Registern erworben.
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                  Vom Freund zum Partner
                  Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
                  1. Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland

Deutschland 2 ; 2002 waren es noch 27.238. Bemer-
kenswert ist der konstant hohe Frauenanteil von                    1.2.1.
über 70%. Von diesen Brasilianerinnen sind 42% mit                 Das brasilianische Image
Deutschen verheiratet. Bei Männern ist die Quote
                                                                   in Deutschland
wesentlich niedriger: Nur 12% haben deutsche
Partnerinnen. Durchschnittlich bleiben brasilia-
nische Staatsbürger 9,2 Jahre in Deutschland; nur                  Die verfügbare Literatur über das deutsche Bra-
9,5 % bleiben länger als 20 Jahre. Einbürgerungen                  silienbild konzentriert sich in den meisten Fäl-
sind entsprechend selten. So nahmen 2009 nur                       len auf vergangene Jahrhunderte. Darüber, was
969 Brasilianer die deutsche Staatsbürgerschaft                    die Deutschen aktuell über Brasilien denken,
an, davon 73% Frauen. Wie anhand dieser Zahlen                     ist wenig bekannt. Unstrittig ist aber, dass der
ersichtlich wird, kommen also die wenigsten Bra-                   Platz, der Brasilien und Lateinamerika zur Zeit
silianer nach Deutschland, um dort dauerhaft zu                    der Militär­d iktaturen (in Brasilien 1964 bis 1985)
bleiben. Vor diesem Hintergrund erscheint auch                     in den deutschen Medien eingeräumt worden
der Umstand verständlich, dass den Brasilianern,                   war, spätestens seit der deutschen Wiederverei-
die nach Deutschland auswandern, in der vorhan-                    nigung und dem Zusammenbruch der Sowjet-
denen Forschungsliteratur zu den deutsch-brasi-                    union auf einen Bruchteil reduziert wurde. Seit
lianischen Beziehungen kaum Platz eingeräumt                       dieser Zeit wecken nur eine Handvoll Themen in
wird.                                                              Bezug auf Brasilien das Interesse der wichtige-
                                                                   ren Print-, Online- und visuellen Medien. Dazu
                                                                   gehören neben der früheren hohen Auslandsver-
1.2.                                                               schuldung auch Armut, soziale Ungleichheit und
Das Image des Anderen                                              Kriminalität. In den Jahren seit Lulas Amtsan-
                                                                   tritt 2003 sind auch weitere Aspekte wie die boo-
Um die deutsch-brasilianischen Beziehungen im                      mende Wirtschaft und das große Potenzial Bra-
Wissenschafts- und Kulturbereich analysieren und                   siliens in den erneuerbaren Energien und im Kli-
Empfehlungen ausarbeiten zu können, empfiehlt                      maschutz sowie die vergleichsweise geringen
sich auch ein Blick auf die Frage, wie nach lang-                  Auswirkungen der Finanzkrise auf Brasilien ver-
jährigen Kontakten der eine den jeweils anderen                    treten. Trotzdem weiß kaum jemand, dass es sich
Partner sieht, welche Vorurteile noch vorhanden                    bei São Paulo um den größten Auslandsstand-
und welche Aspekte unbekannt sind.                                 ort der deutschen Wirtschaft handelt, dass hin-
                                                                   ter so bekannten deutschen Bieren wie „Beck’s“
                                                                   oder „Löwenbräu“ mit dem weltgrößten Brauerei-
                                                                   konzern ABInBev ein belgisch-brasilianisches
                                                                   Unternehmen steht oder dass der brasilianische
                                                                   Flugzeugbauer Embraer weltweit die Nummer
                                                                   Drei der Branche ist – nach Boeing und Airbus.

2 In dieser Statistik werden allerdings nur diejenigen erfasst,
die ausschließlich die brasilianische Staatsangehörigkeit besit-
zen. Inhaber der brasilianischen und deutschen Staatsbürger-
schaft werden nicht berücksichtigt.
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              Vom Freund zum Partner
              Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
              1. Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland

Wenige Auslandskorrespondenten in                          Problematisch ist, dass sich das Festhalten am Kli-
Lateinamerika                                              schee vom nicht ernst zu nehmenden Entwick-
                                                           lungsland selbst bei Entscheidungsträgern wei-
Deutlich wird die Vernachlässigung des latein-             terhin beobachten lässt. Sowohl in Fachreferaten
amerikanischen Subkontinents durch deutsche                (auch der Bundesministerien), die letztendlich
Medien, von der auch Brasilien betroffen ist, bei          über Kooperationen mit internationalen Partnern
einem Blick auf die Zahl der deutschen Auslands-           entscheiden, als auch in Länderreferaten fehlt es
korrespondenten vor Ort: Dabei erscheint Latein-           noch immer an regionaler Expertise, wodurch die
amerika laut Zahlen von 2006 auf dem sechsten              internationale Kommunikation erschwert wird
von acht Plätzen knapp vor den GUS-Nachfolge-              und Kooperationschancen ungenutzt bleiben.
staaten der Sowjetunion sowie Australien und der
Pazifik-Region. Während 44,9% aller Auslands-
korrespondenten aus Staaten der Europäischen               1.2.2.
Union berichten, 18,2% aus dem Nahen und Mitt-             Das deutsche Image in Brasilien
leren Osten, 11,4% aus Asien (verstanden als Ost-,
Süd-, Südost- und Teile Zentralasiens), 7,4% aus           Etwas umfangreicher als zum Brasilienbild der
Nordamerika und 6,3% aus Afrika, entfallen auf             Deutschen ist die Quellenlage zum Deutschland-
Lateinamerika lediglich 5,7%. Angesichts dieses            bild der Brasilianer. Nach Erhebungen der letz-
Ungleichgewichts kann es nicht verwundern, dass            ten Jahre ist es im Großen und Ganzen als positiv
die Berichterstattung über Brasilien und die ande-         zu bezeichnen, obwohl sich im Vergleich mit dem
ren Länder der Region meist wenig differenziert            durchschnittlichen Deutschlandbild in 50 Län-
ausfällt.                                                  dern aus allen Weltregionen zunächst zeigt, dass
                                                           die Zustimmung aus Brasilien unter dem weltwei-
Fehlende Brasilienkompetenz auch in                        ten Durchschnitt liegt. So ist Deutschland 2009
der Politik                                                weltweit das drittbeliebteste Land, in der Bewer-
                                                           tung durch Brasilianer liegt es aber nur an sechs-
Wissenschafts- und Kulturakteure beklagen, dass –          ter Stelle. Bei einer differenzierteren Betrach-
trotz einer erneut zunehmenden Berichterstat-              tung fällt auf, dass es sich aber um keine grund-
tung über Brasilien – in der breiten Bevölkerung           sätzlich schlechtere Bewertung handelt, sondern
noch immer wenig mehr über dieses Land bekannt             dass diese je nach Themenbereichen divergiert.
ist als die üblichen Stereotypen Tropen, Fuß-              Während die deutsche Kompetenz in wirtschaftli-
ball und Karneval. Das Wissen über Brasilien in            chen und sozialen Bereichen leicht geringer einge-
Deutschland hat, so die feste Überzeugung dieser           schätzt wird als vom Durchschnitt der befragten
Experten, seit den 1970er Jahren kontinuierlich            Länder, entspricht das Ansehen deutscher Kultur
abgenommen. Wie eine Analyse des Brasilienbilds            genau dem weltweiten Mittelwert. Deutschland
der Deutschen zeigt, wird das größte südamerika-           als Tourismusziel wird in Brasilien dagegen etwas
nische Land noch lange nicht als der Global Player         wohlwollender betrachtet als im weltweiten Ver-
mit starker Wirtschaft rezipiert, der es geworden          gleich; die Bewertung der charakterlichen Eigen-
ist. Noch immer dominieren romantisierende Bil-            schaften und der Professionalität der Deutschen
der und „Dritte Welt“-Vorurteile nicht allein beim         liegt sogar weit über dem Durchschnitt.
Durchschnittsbürger die Sichtweise auf Brasilien.
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               Vom Freund zum Partner
               Die deutsch-brasilianischen Kulturbeziehungen im Wandel
               1. Deutsche in Brasilien – Brasilianer in Deutschland

Das Wissen der Brasilianer über                           Deutschland ansässigen Auslandskorresponden-
Deutschland                                               ten brasilianischer Medien in den letzten Jahren
                                                          stark abgenommen, so dass die Redaktionen meist
Jenseits solcher recht grober Tendenzen ist das auf ausgewählte englische Übersetzungen deut-
Wissen über Deutschland auch in generell positiv scher Nachrichten angewiesen sind, aus denen sie
bewerteten Sektoren begrenzt, wie die im Rah- dann wiederum nur die spektakulärsten für eine
men einer Promotion an der Universität zu Köln Weiter­verwertung in portugiesischer Sprache aus-
generierten Daten aus dem Jahr 2007 zeigen. wählen.
Dabei sind die meisten spontanen Assoziatio-
nen der 1.000 zu Deutschland befragten Brasili-           Deutsche Marken in Brasilien
aner in verschiedenen Bereichen durchaus posi-
tiv und weisen nur einen größeren, wenig über- Doch ist nicht nur die Deutschlandferne der bra-
raschenden Negativaspekt auf: So schätzen zwar silianischen Redakteure der Grund für die geringe
rund 40% Deutschland als industriell hochentwi- mediale Präsenz und das in der breiten brasiliani-
ckeltes Land mit disziplinierten und fleißigen Bür- schen Bevölkerung eingeschränkte Wissen über
gern (22,7%) ein, das mit Fußball (18,7%) und Bier Deutschland. Einige Beobachter in den Medien
(15,9%) auch im Freizeit- und Lifestyle-Bereich sehen eine Hauptursache in der unbeholfenen
etwas zu bieten hat. Der Wermutstropfen ist dabei Selbstvermarktung der Deutschen. Im Zusammen-
aber die noch immer unvermeidliche Assoziation hang mit den oben genannten Daten zur Einschät-
Deutschlands mit dem Nationalsozialismus (14%). zung der wirtschaftlichen Relevanz überrascht
Dass Adolf Hitler nach wie vor die bekannteste beispielsweise, dass die Brasilianer trotz der enor-
politische Persönlichkeit Deutschlands ist (36,3% men deutschen industriellen Präsenz in ihrem
nannten ihn bei der entsprechenden Frage), zeigt eigenen Land – allein der Staat São Paulo ist mit
die immer noch starken Auswirkungen der Nazi- rund 1.000 Firmen der zurzeit noch größte deut-
Vergangenheit auf das deutsche Image in Brasi- sche Industriestandort im Ausland – Deutschland
lien. Zeitgenössische Politik ist dagegen nur Weni- in wirtschaftlichen und technologischen Fragen
gen auf Anhieb präsent, wie die Nennungen Ger- weniger stark einschätzen als dies andere Länder
hard Schröders (0,2%) oder Angela Merkels (0,1%) der Region wie Argentinien und Mexiko tun. Bei
zeigen. Zwar größer, aber immer noch überschau- Umfragen in Brasilien gehen jedoch BASF, Bayer,
bar ist in Brasilien der Bekanntheitsgrad deut- Bosch und selbst Automobilhersteller wie Audi
scher Sportler wie Michael Schumacher (8,4%) und oder VW (wobei letzterer sogar in Fernsehspots
Franz Beckenbauer (1,9%) sowie von Kulturinsti- mit der Karikatur eines deutschen Ingenieurs und
tutionen wie dem Goethe-Institut, das 9,9% der dem Slogan „VW – Das Auto“ wirbt) nicht selten
Befragten ein Begriff ist.                                als einheimische Unternehmen durch. Zahlreiche
    Beobachter sehen die problematische Seite des Akteure der internationalen Beziehungen bekla-
geringen Wissens über Deutschland darin, dass gen, dass die deutschen Unternehmen, die teil-
das brasilianische Deutschlandbild stark über die weise bereits seit Jahrzehnten in Brasilien ansässig
Medien geprägt wird, deren Redakteure aber in sind – wie V W seit 1953 oder Bosch seit 1954 –,
den wenigsten Fällen über Deutschlandkompe- kein gesteigertes Interesse daran haben, als deut-
tenz, geschweige denn über die Kenntnis der deut- sche Marken wahrgenommen zu werden, sondern
schen Sprache verfügen. Auch hat die Zahl der in sich mehr vom Image einer entweder lokal ver-
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