ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM - Herausforderungen und Möglichkeiten der italienisch-deutschen Zusammenarbeit
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A N A LYSE • Der Klimawandel macht sich schon jetzt im Mittelmeerraum stärker als in anderen Regionen bemerkbar. K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT ENERGIEWENDE IM • Der Ukrainekrieg stellt ein wei- MITTELMEERRAUM teres Motiv dar, die Energie- wende zu beschleunigen und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schnell zu redu- zieren. Herausforderungen und Möglichkeiten der italienisch-deutschen Zusammenarbeit • Hierbei ist eine enge Koope- ration zwischen den südli- chen Mittelmeeranrainern und Annalisa Perteghella Europa unabdingbar. Insbe- Juli 2022 sondere Italien und Deutsch- land sollten eine Führungsrolle für eine gerechte Energiewende übernehmen.
ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM Herausforderungen und Möglichkeiten der italienisch-deutschen Zusammenarbeit • Der Klimawandel macht sich schon jetzt • Der Ukrainekrieg stellt ein weiteres • Hierbei ist eine enge Kooperation zwi- im Mittelmeerraum stärker als in ande- Motiv dar, die Energiewende zu be- schen den südlichen Mittelmeeranrai- ren Regionen bemerkbar. schleunigen und die Abhängigkeit von nern und Europa unabdingbar. Insbe- fossilen Energieträgern schnell zu redu- sondere Italien und Deutschland sollten zieren. eine Führungsrolle für eine gerechte Energiewende übernehmen. Weitere Informationen zum Thema erhalten Sie hier: www.fes.de/stiftung/internationale-arbeit
K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM Herausforderungen und Möglichkeiten der italienisch-deutschen Zusammenarbeit
Inhalt DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN KLIMA UND ENERGIE 2 FOLGEN DES UKRAINEKRIEGS: RISIKEN UND CHANCEN DER ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM 3 PERSPEKTIVEN DER DEUTSCH-ITALIENISCHEN ZUSAMMEN- ARBEIT IM KONTEXT DER ENERGIEWENDE 4 LITERATUR 5 1
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Energiewende im Mittelmeerraum Der Mittelmeerraum ist ein Hotspot des Klimawandels (Tuel / men zur Eindämmung) betragen.2 Letzteres Szenario bedeu- Eltahir 2020), obwohl sein Beitrag zu den globalen Emissio- tet, dass die Tage, an denen die Temperatur bei über 35 °C nen seit 1850 eigentlich nur drei Prozent beträgt. Während liegt, zunehmen und das Spitzentemperaturen von bis zu die europäischen Staaten 1990 damit begannen, ihre Netto- 47 °C erreicht werden – und zwar nicht nur im Sommer, son- emissionen zu reduzieren, stiegen die Emissionen der südli- dern von April bis Oktober. Ferner wäre die Region von län- chen und östlichen Mittelmeeranrainerstaaten seitdem um ger anhaltenden, stärkeren Hitzewellen mit Spitzentempera- mehr als das Doppelte und erreichen nun fast das Niveau der turen von bis zu 56 °C betroffen (Zittis 2021). europäischen Emissionen.1 In der Region sind die Folgen des Klimawandels unübersehbar: Gegenwärtig sind etwa 40 Pro- Der Temperaturanstieg hat Folgen in vielerlei Hinsicht: in ers- zent der Bevölkerung von Dürre bzw. von klimawandelbe- ter Linie eine Verknappung des Trinkwassers, mit Folgen für dingten extremen Wetterereignissen betroffen (UNDP 2018). Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Die Preise für ag- Im Jahr 2020 kam es in mehreren Ländern, wie etwa Libanon rarische Rohstoffe würden steigen, die hohen Preise zu so- und Sudan, zu Überschwemmungen und Hochwasser, in zialen Unruhen und politischer Instabilität führen, die wie- Jordanien, Syrien, Irak und Algerien hingegen zu Hitzewellen derum Migration und Gewalt auslösen und das Entstehen und Bränden, wie übrigens auch im Libanon. 2021 traf eine terroristischer Vereinigungen fördern könnten. Ein klimawan- heftige Hitzewelle den gesamten Nahen Osten. Die Rekord- delbedingter Meeresspiegelanstieg wiederum würde in den temperaturen von bis zu 52 °C lagen etwa sieben Grad über betroffenen Küstenregionen, insbesondere wenn es sich um dem jahreszeitlichen Durchschnitt. Ähnliche Temperaturen dicht besiedelte Städte wie Alexandria in Ägypten oder Tunis wurden zur gleichen Zeit in der sizilianischen Stadt Syrakus in Tunesien handelt, zu Binnenmigrationen und finanziellen gemessen: Dies bezeugt die bereits bestehende, nun auch Verlusten im Fremdenverkehr führen. Derartige Phänomene klimabedingte enge Verbindung der nördlichen und südli- können ihrerseits dann ebenfalls soziale und ökonomische chen Küstenregionen des Mittelmeers und ihr gemeinsames Instabilität verursachen. Aufgrund ebendieser Kaskaden- Schicksal. effekte wird der Klimawandel auch als »Bedrohungsmulti- plikator« bezeichnet (Center vor Navel Analyses 2007). Mit Wenn die Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen nicht einem Wort: Es liegt auf der Hand, dass man den Klimawan- ausreichen, das heißt, wenn der CO2-Ausstoß nicht sinkt, del eindämmen und seine negativen Auswirkungen verhin- wird sich die klimatische Lage zwangsläufig zuspitzen. Ob- dern muss. wohl Prognosen grundsätzlich mit Unsicherheit behaftet sind, stehen uns inzwischen komplexe wissenschaftliche Modelle und Instrumente zur Verfügung, um den Temperaturanstieg DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN und den Rückgang der Niederschläge (sowie damit verbun- KLIMA UND ENERGIE dene Phänomene wie etwa Meeresspiegelanstieg, Wasser- knappheit und Verlust der Biodiversität) vorherzusagen. Was Heutzutage ist die Wissenschaft nicht nur imstande, die Aus- die Auswirkungen des Klimawandels angeht, erarbeiteten wirkungen des Klimawandels vorherzusagen, sondern weiß Wissenschaftler_innen des IPCC (Weltklimarat) je nach Art auch um den sehr engen Zusammenhang zwischen Klima- und Intensität der umgesetzten Klimaschutzmaßnahmen ver- wandel und Energiepolitik: Dabei geht sie von der Erkennt- schiedene Szenarien. Unabhängig von diesen Maßnahmen nis aus, dass vor allem der Energiesektor für klimaschädliche wird im Mittelmeerraum zwischen 2021 und 2039 in allen Emissionen verantwortlich ist und hier in erster Linie fossile vom IPCC entwickelten Szenarien die Temperatur um etwa Brennstoffe (ihnen werden 89 Prozent des CO2-Ausstoßes 2 °C steigen (Varela et al. 2020). Grund dafür ist, dass sich die im Jahr 2018 zugeschrieben): Daher liegt der Fokus der In- Klimaschutzmaßnahmen nicht sofort, sondern erst zu einem dustrieländer darauf, alternative Energiequellen zu erschlie- späteren Zeitpunkt, das heißt erst nach 2039, positiv auswir- ßen sowie ihre Wirtschaftssysteme zu dekarbonisieren. Mit ken werden. Die Entwicklungen ab 2039 hängen hingegen dem European Green Deal will die EU den Ölimport bis 2030 von den ab sofort umgesetzten Maßnahmen ab. Diese verzö- gegenüber 2015 um 23 bis 25 Prozent bzw. bis 2050 um 78 gerte Wirkung erklärt, warum – sowohl in Industrie- als auch bis 79 Prozent reduzieren. Zugleich soll der Erdgasimport bis in Entwicklungsländern – die aktuellen klimabezogenen Maß- 2030 um 13 bis 19 Prozent und bis 2050 um 58 bis 67 Pro- nahmen so unzulänglich sind: Statt Klimawandel stehen ganz zent sinken (Leonard et al. 2021). Allerdings berücksichtigen oben auf der Agenda der globalen Entscheidungsträger_ diese von der EU 2019 formulierten Ziele nicht die von der innen andere, als dringender wahrgenommene Fragen. Und gegenwärtigen Krise der Beziehungen zu Russland aufge- doch: Um in der Zukunft größere Schäden zu vermeiden, ist zwungene Beschleunigung. Zwar liegen noch keine offiziel- es unabdingbar, jetzt zu handeln. len Schätzungen vor, doch geht man davon aus, dass die Gasimporte in viel größerem Umfang und viel schneller als Je nachdem, welche Maßnahmen heute getroffen werden, vorgesehen zurückgehen werden. wird der Temperaturanstieg in der Region im Jahr 2059 zwi- schen 2 °C (bei sehr rigorosen Klimaschutzmaßnahmen) und Der Rückgang des Imports fossiler Brennstoffe wird die Bezie- 4 °C (im Business-as-usual-Szenario, das heißt ohne Maßnah- hungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten 1 CO2 emissions (kt), Middle East & North Africa, European Union, World Bank (https://data.worldbank.org/indicatorEN.ATM.CO2E. 2 World Bank, Climate Change Knowledge Portal, Middle East and KT?locations=ZQ-EU). North Africa, Projections. 2
Folgen des Ukrainekriegs: Risiken und Chancen der Energiewende im Mittelmeerraum zu den Förderländern mit Sicherheit verändern: Länder wie die EU-Kommission am 18.5.2022 vorgelegt hat. Diese Stra- Libyen, Algerien, die Golfstaaten und in geringerem Maße tegie enthält auch Leitlinien zum globalen Engagement der Ägypten werden weniger fossile Brennstoffe in die EU expor- Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten im Energie- tieren und entsprechend weniger Devisen einnehmen. Dem- bereich. Neben der Strategie hat die Kommission auch die nach stehen diese Länder vor einer doppelten Herausforde- endgültige Fassung des REPowerEU-Plans veröffentlicht, der rung: Einerseits müssen sie sich alternativen Energiequellen am 8.3.2022 als unmittelbare Reaktion auf das Bedürfnis, die zuwenden, um ihre Volkswirtschaften zu versorgen, ohne Rohstoffabhängigkeit Europas von Russland zu verringern, deren Wachstum zu gefährden; andererseits müssen sie zur erstmals vorgestellt worden war.3 Der Plan fußt auf zwei Säu- Finanzierung der Staatsausgaben neue Einnahmequellen er- len: erstens die Versorgung diversifizieren, um die Abhängig- schließen. Diese doppelte Herausforderung erfordert eine keit von Russland zu verringern und bis 2030 zu beenden, Diversifizierung der jeweiligen Wirtschaftssysteme und eine zweitens den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Er- Energiewende. Doch auf den Klimawandel reagiert man nicht höhung der Energieeffizienz zu beschleunigen, um die Ab- ausschließlich mit klimabezogenen Maßnahmen im engeren hängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Sinne. Ganz im Gegenteil, die Herausforderungen sind so- wohl ökonomischer, sozialer als auch politischer Art. Wenn Der Mittelmeerraum spielt bei der Umsetzung des REPowerEU- die EU bzw. ihre Mitgliedsstaaten die Energiewende in den Plans eine Schlüsselrolle. Einerseits sind Länder wie Algerien Mittelmeerländern unterstützen, leisten sie einen Beitrag zu und Ägypten, die bereits Gas in die EU exportieren, für die einer inklusiveren ökonomischen und sozialen Entwicklung Versorgungsdiversifizierung grundlegend. Andererseits hält des Mittelmeerraums, die sich wiederum positiv auf die poli- man es für besonders wichtig, für die Produktion erneuer- tische Stabilität und die Demokratisierungsprozesse auswirkt. barer Energien und grünen Wasserstoffs mit dieser Region Partnerschaften einzugehen. Die italienische Regierung und Das Pariser Abkommen haben alle Länder der Region unter- ENI (italienischer Mineralölkonzern) schlossen mit Algerien zeichnet und mit Ausnahme von Libyen, Jemen und Iran auch und Ägypten bereits eine Reihe von Abkommen ab, die die ratifiziert. Wie vom Abkommen vorgesehen, setzen sich die Schlüsselrolle der beiden Länder als Exporteure bestätigen. Unterzeichnerstaaten konditionierte und nicht konditio- Der Erfolg der Energiewende im Mittelmeerraum und mit ihm nierte Ziele bezüglich der Reduzierung der Emissionen (Natio- die Intensität des Klimawandels hängen von den Entschei- nally Determined Contributions, NDCs). Konditionierte Ziele dungen ab, die in dieser schwierigen Lage getroffen werden. sind von internationaler ökonomischer und / oder finanziel- ler Unterstützung abhängig, nicht konditionierte Verpflich- Was Algerien und das westliche Mittelmeer angeht, ist eini- tungen hingegen ausschließlich vom politischen Willen des ges anzumerken. Erstens: Die algerische Erdgasproduktion Unterzeichnerstaats. Angesichts des beschränkten haushalts- stagniert seit einigen Jahren. Erhebliche Investitionen wären politischen Spielraums und der begrenzten Ressourcen der nötig, um sie spürbar zu steigern (Fakir 2022). In den letzten Länder der Region (mit Ausnahme der Golfstaaten) handelt Jahren war jedoch kein westliches Unternehmen zu diesen es sich bei den meisten um konditionierte Ziele. Zurzeit hat Investitionen bereit. Dies ist zum einen auf die geringe Ren- nur Marokko seine Ziele erreicht, sodass die Unterstützung tabilität des Öl- und Gassektors in Algerien zurückzuführen der Energiewende in den südlichen und östlichen Mittelmeer- und zum anderen darauf, dass solche Investitionen nicht im anrainerstaaten seitens der internationalen Staatengemein- Einklang mit den Dekarbonisierungszielen und mit der euro- schaft und insbesondere der Europäischen Union umso we- päischen Entscheidung, Projekte im Bereich fossiler Energien sentlicher zu sein scheint. nicht mehr zu finanzieren, stehen. Zweitens: Ein Großteil der algerischen Produktion ist dazu bestimmt, die wachsende Binnennachfrage zu decken. Aus der Kombination von stag- FOLGEN DES UKRAINEKRIEGS: nierender Produktion und wachsender Binnennachfrage er- RISIKEN UND CHANCEN DER ENERGIE- gibt sich ein begrenzter Spielraum für ein Exportwachstum. WENDE IM MITTELMEERRAUM Die 9 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Italien bis 2024 dank des Abkommens vom 11.4.2022 erhalten soll, entsprechen Die russische Invasion der Ukraine hat unter anderem dazu den von der algerischen Regierung nach der Schließung der geführt, dass der Europäischen Union nun jene geopolitische Pipeline Maghreb-Europa »eingesparten« Exporten. Diese Rolle zukommt, die sich die Von-der-Leyen-Kommission 2019 Erdgasleitung verbindet Algerien über Marokko mit Spanien, als eines ihrer Ziele gesetzt hatte. Die Energiesicherheit – eng doch beschloss Algerien nach dem Abbruch der bereits seit mit der Absicht verknüpft, die Abhängigkeit von der Russi- Jahrzehnten angespannten Beziehungen zu Marokko im No- schen Föderation zu reduzieren und im Laufe der Zeit nach vember 2021, das Teilstück zwischen den beiden Ländern Möglichkeit ganz zu beenden – ist ein wesentliches Element stillzulegen. Anfangs versicherte Algerien Spanien, die Ver- der neuen strategischen Erwägungen der EU. In den letzten sorgung weiterhin zu gewährleisten, doch dann schlug sich Jahren wurde der Begriff der Energiesicherheit neu definiert, das Kabinett Sánchez im Westsahara-Konflikt zwischen Al- sodass er nicht nur die bloße Versorgung mit Energie, son- gier und Rabat auf die Seite Marokkos. Dies verstimmte die dern auch die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen sowie die Resilienz der Wertschöpfungsketten beinhaltet. Infolge des Abbruchs der Beziehungen zu Russland musste dieser 3 REPowerEU: Joint European Action for more affordable, secure and sustainable energy, COM/2022/108 final, 8.3.2022 (https://eur lex. Begriff nun abermals neu bestimmt werden. Diese Neude- europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM%3A2022%3A108%3A finition erfolgte im Rahmen der neuen Energiestrategie, die FIN). 3
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Energiewende im Mittelmeerraum algerische Regierung, die Madrid zuerst mit der Erhöhung des ten und angesichts der klimabewussteren Alternativen letzt- Gaspreises und später mit einem Lieferstopp drohte. Zwar lich unnötig.« Weiter heißt es im Artikel, dass sich die EIB verfügt Spanien über große Regasifizierungskapazitäten und dazu verpflichte, ab jetzt und bis 2030 in Klimaschutz und ist daher imstande, die zusätzlichen amerikanischen LNG- ökologische Nachhaltigkeit eine Milliarde Euro zu investieren: Exporte, zu denen sich Washington verpflichtete, zu lagern, »Die EU ist bereit, die globale Gemeinschaft bei der Beendi- doch hapert es an der Gasweiterleitung nach Frankreich, da gung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu unter- die Pyrenäen eine Barriere darstellen und für einen Flaschen- stützen.« Die aktuelle Situation gefährdet zwar einerseits die hals sorgen. Werden in diesem Bereich keine neuen Investitio- Energiewende im Mittelmeerraum, da neue Investitionen in nen getätigt, so kann Madrid keinen wesentlichen Beitrag zur den Bereich der fossilen Brennstoffe sie (weiter) hinauszögern europäischen Energiesicherheit leisten. Ferner erinnern uns könnten, doch andererseits bietet sie auch die Chance, sie zu die Wechselfälle in den Beziehungen zwischen Spanien und beschleunigen, da gezielte Investitionen das enorme Poten- Algerien daran, wie sehr EU-Staaten der Willkür der Förder- zial erneuerbarer Energien in der Region heben könnten. länder ausgeliefert sind. Was hingegen Ägypten und das östliche Mittelmeer angeht, PERSPEKTIVEN DER DEUTSCH- weckten die jüngste Krise sowie die europäische Suche nach ITALIENISCHEN ZUSAMMENARBEIT IM alternativen Versorgungswegen erneut Kairos Hoffnungen, KONTEXT DER ENERGIEWENDE zum regionalen Erdgasumschlagplatz aufzusteigen. Derzeit beträgt die ägyptische Exportkapazität lediglich 12,2 Mil- All das zeigt, dass Italien und Deutschland gemeinsam han- liarden Kubikmeter. Dies liegt daran, dass ein Großteil der deln sollten, um folgende Maßnahmen umzusetzen: Produktion, genauso wie in Algerien, die Binnennachfrage decken muss, vor allem jedoch daran, dass dies der Höchst- • Auf EU-Ebene sollten Italien und Deutschland die Füh- auslastung der beiden LNG-Anlagen in Damiette und Idku rung beim Aufbau von Partnerschaften für eine gerechte (beide im Nildelta) entspricht. Über seine Anlagen beabsich- Energiewende (Just Energy Transition Partnerships [JETPs]) tigt Ägypten, auch Gas aus unterseeischen Lagerstätten an- mit Gas- und Ölförderländern (angefangen bei Algerien derer Länder des östlichen Mittelmeers zu exportieren. Kairo und Ägypten) übernehmen. exportiert bereits Gas aus den israelischen Erdgasfeldern Le- viathan und Tamar und möchte in Zukunft zum Umschlag- • Italien und Deutschland sollten sich für den Aufbau von platz für das zyprische Erdgasfeld Aphrodite werden. In die- Plattformen für den Umstieg der Mittelmeerländer von sem Zusammenhang rückte die Pipeline EastMed wieder ins Gas auf erneuerbare Energien einsetzen, und zwar ent- Zentrum der Debatte: Sie würde Israel, Zypern, die griechische sprechend dem Südafrika bei der UN-Klimakonferenz Insel Kreta und – durch das zusätzliche Teilstück Poseidon – 2021 in Glasgow angebotenen Partnerschaftsmodell Italien miteinander verbinden und damit mehr Gasexporte für den Kohleausstieg. Aufgrund seiner historisch be- nach Europa ermöglichen. Doch der Bau von EastMed wurde dingten Ausrichtung auf den Mittelmeerraum könnte aufgrund geringer Rentabilität und aus Sorge vor geopoliti- Italien den Dialog mit den Ländern des südlichen Mit- schen Spannungen bislang aufgeschoben. Bei den bis vor telmeers anbahnen; Deutschland, das am 1.1.2022 die Kurzem sehr niedrigen Gaspreisen und dem von den Dekar- G7-Präsidentschaft übernommen hat, könnte sich hin- bonisierungszielen der EU vorgesehenen Rückgang der Gas- gegen um den internationalen Konsens über die Beschaf- nachfrage stand der geringe Umfang der Gasfelder in kei- fung der notwendigen Mittel bemühen. nem Vergleich zu den hohen Kosten (6 Milliarden Euro). Die Pipeline würde ferner die Türkei ausschließen, die sich in der • Italien und Deutschland sollten Maßnahmen zur Klima- Vergangenheit aus diesem Grund bereits feindlich verhalten anpassung fördern. hatte, etwa um ihren Souveränitätsanspruch über gewisse Teilgebiete der umstrittenen zyprischen Hoheitsgewässer gel- • IPCC-Berichte zeigen, dass der Mittelmeerraum bis 2039 tend zu machen bzw. ihr Recht auf Beteiligung am großen unabhängig von den zukünftig beschlossenen Klima- Gasgeschäft im östlichen Mittelmeer. schutzmaßnahmen von den Auswirkungen des Klima- wandels betroffen sein wird. Deswegen ist es notwendig, Ob es um Algerien oder Ägypten geht, die bedeutendste die betroffenen Staaten nicht nur bei der Reduktion der Entscheidung, die die EU-Staaten heute treffen müssen, be- CO2-Emissionen zu unterstützen, sondern auch ihre An- trifft die Zukunft der Region: In was für eine Zukunft soll in- passungsfähigkeit und Resilienz zu fördern – etwa durch vestiert werden? In einem gemeinsamen, am 3.5.2022 in den Bau von Barrieren zum Schutz der Küstenareale vor der italienischen Zeitung La Repubblica erschienenen Leitar- Überschwemmungen, die Einführung von Tropfbewässe- tikel (Borrell / Hoyer 2022) beziehen Josep Borrell, Hoher Ver- rungssystemen, die Errichtung amphibischer Wohnhäu- treter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, und Werner ser und die Installation von Frühwarnsystemen (early- Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), sehr warning mechanisms). klar Stellung: »Erstens darf die Suche nach alternativen Erd- gaslieferanten, so wichtig sie kurzfristig auch sein mag, uns • Innerhalb der EU sollten Italien und Deutschland gemein- nicht in neue langfristige Abhängigkeiten bringen, die hohe sam grüne Infrastrukturprojekte unterstützen. Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe erfordern. Dies wäre kostspielig, katastrophal für den Plane- 4
Perspektiven der deutsch-italienischen Zusammenarbeit im Kontext der Energiewende • Statt in neue Infrastrukturen für den Transport fossiler LITERATUR Brennstoffe (etwa in die EastMed-Pipeline) zu investieren, sollten Italien und Deutschland gemeinsam die Entwick- lung von Stromnetzverbindungen wie EuroAsia Inter- Borrell, J. / Hoyer, W. (2022): La via green alla sicurezza, in: La Repubblica connector und EuroAfrica Interconnector fördern. Denn (5.3.2022) (https://www.repubblica.it/commenti/2022/05/02/news/cosa_ serve_alleuropa_per_unenergia_pulita_e_giusta-347833419/). anders als die Infrastrukturen für fossile Energien sind Unterseestromleitungen nicht dazu bestimmt, stranded Center for Naval Analyses (2007): National Security and the Threat of Cli- assets (also »in den Sand gesetzte« Vermögenswerte) zu mate Change, Alexandria. VA, United States (https://www.cna.org/cna_ files/pdf/national%20security%20and%20the%20threat%20of%20 werden, sondern sie fördern im Gegenteil den Einsatz er- climate%20change.pdf). neuerbarer Energien zur Stromproduktion. Gleichzeitig hat die Kopplung der Stromnetze eine wichtige geopoli- Fakir, I. (2022): Given capacity constraints, Algeria is no quick fix for Euro- pe’s Russian gas concerns. Middle East Institute (8.3.2022) (https://www. tische Dimension: Die Anbindung des Mittelmeerraums mei.edu/publications/given-capacity-constraints-algeria-no-quick-fix- an das europäische Stromnetz und damit an dessen Stan- europes-russian-gas-concerns). dards ist in der Tat von erheblichem strategischem Wert, Leonard, M. / Pisani-Ferry, J. / Shapiro, J. / Tagliapietra, S. / Wolff, G. (2021): insbesondere angesichts der wachsenden chinesischen The geopolitics of the European Green Deal. Policy Brief, European Council Konkurrenz in diesem Sektor. Neben der Verbindung des on Foreign Relations (3.2.2021) (https://ecfr.eu/publication/the-geopolitics- mediterranen und des europäischen Verbundnetzes muss of-theeuropean-green-deal/). auch die Integration des regionalen Stromnetzes voran- Tuel, A. / Eltahir, E. A. B. (2020): Why Is the Mediterranean a Climate getrieben werden. So ließe sich unter anderem das chro- Change Hot Spot?, in: Journal of Climate 33 (14). nische Problem der Stromknappheit in den Spitzenlastzei- UNDP (2018): Climate Change Adaptation in the Arab States – Best prac- ten beseitigen, indem man sich die Zeitverschiebungen tices and lessons learned. Bangkok (https://www.undp.org/publications/ zunutze macht. climate-change-adaptation-arab-states). Varela, R. / Rodríguez-Díaz, L. / de Castro, M. (2020): Persistent heat waves projected for Middle East and North Africa by the end of the 21st century, in: Plos One (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal. pone.0242477). Zittis, G. (2021): Business-as-usual will lead to super and ultra-extreme heatwaves in the Middle East and North Africa, in: Nature, March 2021 (https://www.nature.com/articles/s41612-021-00178-7). 5
FONDAZIONE FRIEDRICH EBERT – Energiewende im Mittelmeerraum 6
IMPRESSUM ÜBER DIE AUTORIN IMPRESSUM Annalisa Perteghella ist Analystin für internationale Klima- Friedrich-Ebert-Stiftung | und Energiepolitik bei ECCO, dem italienischen Think Tank Piazza Capranica 95 | 00186 Rom | Italien für Klimawandel. Sie beschäftigt sich mit der Energiewende, europäischer Außenpolitik und dem Zusammenhang zwi- Verantwortlich: schen Klima und Sicherheit. Dr. Tobias Mörschel | Direktor | FES Italien Tel.: +39 06 82 09 77 90 https://italia.fes.de/ Bestellungen / Kontakt: info@fes-italia.org Facebook: @FESItalia Twitter: @FES_Italia Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert- Stiftung (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schrift liche Zustimmung durch die FES nicht gestattet. Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung dürfen nicht für Wahlkampf zwecke verwendet werden. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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