ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM - Herausforderungen und Möglichkeiten der italienisch-deutschen Zusammenarbeit

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A N A LYSE

                                                 •
                                                 Der Klimawandel macht sich
                                                 schon jetzt im Mittelmeerraum
                                                 stärker als in anderen Regionen
                                                 bemerkbar.
K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT

ENERGIEWENDE IM                                  •
                                                 Der Ukrainekrieg stellt ein wei-

MITTELMEERRAUM
                                                 teres Motiv dar, die Energie-
                                                 wende zu beschleunigen und
                                                 die Abhängigkeit von fossilen
                                                 Energieträgern schnell zu redu-
                                                 zieren.
Herausforderungen und Möglichkeiten der
italienisch-deutschen Zusammenarbeit
                                                 •
                                                 Hierbei ist eine enge Koope-
                                                 ration zwischen den südli-
                                                 chen Mittelmeeranrainern und
Annalisa Perteghella
                                                 Europa unabdingbar. Insbe-
Juli 2022
                                                 sondere Italien und Deutsch-
                                                 land sollten eine Führungsrolle
                                                 für eine gerechte Energiewende
                                                 übernehmen.
ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM
                           Herausforderungen und Möglichkeiten der
                             italienisch-deutschen Zusammenarbeit

•
Der Klimawandel macht sich schon jetzt
                                           •
                                           Der Ukrainekrieg stellt ein weiteres
                                                                                      •
                                                                                      Hierbei ist eine enge Kooperation zwi-
im Mittelmeerraum stärker als in ande-     Motiv dar, die Energiewende zu be-         schen den südlichen Mittelmeeranrai-
ren Regionen bemerkbar.                    schleunigen und die Abhängigkeit von       nern und Europa unabdingbar. Insbe-
                                           fossilen Energieträgern schnell zu redu-   sondere Italien und Deutschland sollten
                                           zieren.                                    eine Führungsrolle für eine gerechte
                                                                                      Energiewende übernehmen.

                                         Weitere Informationen zum Thema erhalten Sie hier:
                                          www.fes.de/stiftung/internationale-arbeit
K L I M AWA N DEL , EN ERG I E U N D U M W ELT

ENERGIEWENDE IM
MITTELMEERRAUM
Herausforderungen und Möglichkeiten der
italienisch-deutschen Zusammenarbeit
Inhalt

DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN KLIMA UND ENERGIE         2

FOLGEN DES UKRAINEKRIEGS: RISIKEN UND CHANCEN
DER ENERGIEWENDE IM MITTELMEERRAUM                  3

PERSPEKTIVEN DER DEUTSCH-­ITALIENISCHEN ZUSAMMEN-
ARBEIT IM KONTEXT DER ENERGIEWENDE                  4

LITERATUR                                           5

                                  1
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Energiewende im Mittelmeerraum

Der Mittelmeerraum ist ein Hotspot des Klimawandels (Tuel  /            men zur Eindämmung) betragen.2 Letzteres Szenario bedeu-
Eltahir 2020), obwohl sein Beitrag zu den globalen Emissio-             tet, dass die Tage, an denen die Temperatur bei über 35 °C
nen seit 1850 eigentlich nur drei Prozent beträgt. Während              liegt, zunehmen und das Spitzentemperaturen von bis zu
die europäischen Staaten 1990 damit begannen, ihre Netto-               47 °C erreicht werden – und zwar nicht nur im Sommer, son-
emissionen zu reduzieren, stiegen die Emissionen der südli-             dern von April bis Oktober. Ferner wäre die Region von län-
chen und östlichen Mittelmeeranrainerstaaten seitdem um                 ger anhaltenden, stärkeren Hitzewellen mit Spitzentempera-
mehr als das Doppelte und erreichen nun fast das Niveau der             turen von bis zu 56 °C betroffen (Zittis 2021).
europäischen Emissionen.1 In der Region sind die Folgen des
Klimawandels unübersehbar: Gegenwärtig sind etwa 40 Pro-                Der Temperaturanstieg hat Folgen in vielerlei Hinsicht: in ers-
zent der Bevölkerung von Dürre bzw. von klimawandelbe-                  ter Linie eine Verknappung des Trinkwassers, mit Folgen für
dingten extremen Wetterereignissen betroffen (UNDP 2018).               Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Die Preise für ag-
Im Jahr 2020 kam es in mehreren Ländern, wie etwa Libanon               rarische Rohstoffe würden steigen, die hohen Preise zu so-
und Sudan, zu Überschwemmungen und Hochwasser, in                       zialen Unruhen und politischer Instabilität führen, die wie-
Jordanien, Syrien, Irak und Algerien hingegen zu Hitzewellen            derum Migration und Gewalt auslösen und das Entstehen
und Bränden, wie übrigens auch im Libanon. 2021 traf eine               terroristischer Vereinigungen fördern könnten. Ein klimawan-
heftige Hitzewelle den gesamten Nahen Osten. Die Rekord-                delbedingter Meeresspiegelanstieg wiederum würde in den
temperaturen von bis zu 52 °C lagen etwa sieben Grad über               betroffenen Küstenregionen, insbesondere wenn es sich um
dem jahreszeitlichen Durchschnitt. Ähnliche Temperaturen                dicht besiedelte Städte wie Alexandria in Ägypten oder Tunis
wurden zur gleichen Zeit in der sizilianischen Stadt Syrakus            in Tunesien handelt, zu Binnenmigrationen und finanziellen
gemessen: Dies bezeugt die bereits bestehende, nun auch                 Verlusten im Fremdenverkehr führen. Derartige Phänomene
klimabedingte enge Verbindung der nördlichen und südli-                 können ihrerseits dann ebenfalls soziale und ökonomische
chen Küstenregionen des Mittelmeers und ihr gemeinsames                 Instabilität verursachen. Aufgrund ebendieser Kaskaden-
Schicksal.                                                              effekte wird der Klimawandel auch als »Bedrohungsmulti-
                                                                        plikator« bezeichnet (Center vor Navel Analyses 2007). Mit
Wenn die Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen nicht                   einem Wort: Es liegt auf der Hand, dass man den Klimawan-
ausreichen, das heißt, wenn der CO2-Ausstoß nicht sinkt,                del eindämmen und seine negativen Auswirkungen verhin-
wird sich die klimatische Lage zwangsläufig zuspitzen. Ob-              dern muss.
wohl Prognosen grundsätzlich mit Unsicherheit behaftet sind,
stehen uns inzwischen komplexe wissenschaftliche Modelle
und Instrumente zur Verfügung, um den Temperaturanstieg                 DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN
und den Rückgang der Niederschläge (sowie damit verbun-                 KLIMA UND ENERGIE
dene Phänomene wie etwa Meeresspiegelanstieg, Wasser-
knappheit und Verlust der Biodiversität) vorherzusagen. Was             Heutzutage ist die Wissenschaft nicht nur imstande, die Aus-
die Auswirkungen des Klimawandels angeht, erarbeiteten                  wirkungen des Klimawandels vorherzusagen, sondern weiß
Wissenschaftler_innen des IPCC (Weltklimarat) je nach Art               auch um den sehr engen Zusammenhang zwischen Klima-
und Intensität der umgesetzten Klimaschutzmaßnahmen ver-                wandel und Energiepolitik: Dabei geht sie von der Erkennt-
schiedene Szenarien. Unabhängig von diesen Maßnahmen                    nis aus, dass vor allem der Energiesektor für klimaschädliche
wird im Mittelmeerraum zwischen 2021 und 2039 in allen                  Emissionen verantwortlich ist und hier in erster Linie fossile
vom IPCC entwickelten Szenarien die Temperatur um etwa                  Brennstoffe (ihnen werden 89 Prozent des CO2-Ausstoßes
2 °C steigen (Varela et al. 2020). Grund dafür ist, dass sich die       im Jahr 2018 zugeschrieben): Daher liegt der Fokus der In-
Klimaschutzmaßnahmen nicht sofort, sondern erst zu einem                dustrieländer darauf, alternative Energiequellen zu erschlie-
späteren Zeitpunkt, das heißt erst nach 2039, positiv auswir-           ßen sowie ihre Wirtschaftssysteme zu dekarbonisieren. Mit
ken werden. Die Entwicklungen ab 2039 hängen hingegen                   dem European Green Deal will die EU den Ölimport bis 2030
von den ab sofort umgesetzten Maßnahmen ab. Diese verzö-                gegenüber 2015 um 23 bis 25 Prozent bzw. bis 2050 um 78
gerte Wirkung erklärt, warum – sowohl in Industrie- als auch            bis 79 Prozent reduzieren. Zugleich soll der Erdgasimport bis
in Entwicklungsländern – die aktuellen klimabezogenen Maß-              2030 um 13 bis 19 Prozent und bis 2050 um 58 bis 67 Pro-
nahmen so unzulänglich sind: Statt Klimawandel stehen ganz              zent sinken (Leonard et al. 2021). Allerdings berücksichtigen
oben auf der Agenda der globalen Entscheidungsträger_                   diese von der EU 2019 formulierten Ziele nicht die von der
innen andere, als dringender wahrgenommene Fragen. Und                  gegenwärtigen Krise der Beziehungen zu Russland aufge-
doch: Um in der Zukunft größere Schäden zu vermeiden, ist               zwungene Beschleunigung. Zwar liegen noch keine offiziel-
es unabdingbar, jetzt zu handeln.                                       len Schätzungen vor, doch geht man davon aus, dass die
                                                                        Gasimporte in viel größerem Umfang und viel schneller als
Je nachdem, welche Maßnahmen heute getroffen werden,                    vorgesehen zurückgehen werden.
wird der Temperaturanstieg in der Region im Jahr 2059 zwi-
schen 2 °C (bei sehr rigorosen Klimaschutzmaßnahmen) und                Der Rückgang des Imports fossiler Brennstoffe wird die Bezie-
4 °C (im Business-as-usual-Szenario, das heißt ohne Maßnah-             hungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten

1 CO2 emissions (kt), Middle East & North Africa, European Union,
  World Bank (https://data.worldbank.org/indicatorEN.ATM.CO2E.          2 World Bank, Climate Change Knowledge Portal, Middle East and
  KT?locations=ZQ-EU).                                                    North Africa, Projections.

                                                                    2
Folgen des Ukrainekriegs: Risiken und Chancen der Energiewende im Mittelmeerraum

zu den Förderländern mit Sicherheit verändern: Länder wie              die EU-Kommission am 18.5.2022 vorgelegt hat. Diese Stra-
Libyen, Algerien, die Golfstaaten und in geringerem Maße               tegie enthält auch Leitlinien zum globalen Engagement der
Ägypten werden weniger fossile Brennstoffe in die EU expor-            Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten im Energie-
tieren und entsprechend weniger Devisen einnehmen. Dem-                bereich. Neben der Strategie hat die Kommission auch die
nach stehen diese Länder vor einer doppelten Herausforde-              endgültige Fassung des REPowerEU-Plans veröffentlicht, der
rung: Einerseits müssen sie sich alternativen Energiequellen           am 8.3.2022 als unmittelbare Reaktion auf das Bedürfnis, die
zuwenden, um ihre Volkswirtschaften zu versorgen, ohne                 Rohstoffabhängigkeit Europas von Russland zu verringern,
deren Wachstum zu gefährden; andererseits müssen sie zur               erstmals vorgestellt worden war.3 Der Plan fußt auf zwei Säu-
Finanzierung der Staatsausgaben neue Einnahmequellen er-               len: erstens die Versorgung diversifizieren, um die Abhängig-
schließen. Diese doppelte Herausforderung erfordert eine               keit von Russland zu verringern und bis 2030 zu beenden,
Diversifizierung der jeweiligen Wirtschaftssysteme und eine            zweitens den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Er-
Energiewende. Doch auf den Klimawandel reagiert man nicht              höhung der Energieeffizienz zu beschleunigen, um die Ab-
ausschließlich mit klimabezogenen Maßnahmen im engeren                 hängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.
Sinne. Ganz im Gegenteil, die Herausforderungen sind so-
wohl ökonomischer, sozialer als auch politischer Art. Wenn             Der Mittelmeerraum spielt bei der Umsetzung des REPowerEU-­
die EU bzw. ihre Mitgliedsstaaten die Energiewende in den              Plans eine Schlüsselrolle. Einerseits sind Länder wie Algerien
Mittelmeerländern unterstützen, leisten sie einen Beitrag zu           und Ägypten, die bereits Gas in die EU exportieren, für die
einer inklusiveren ökonomischen und sozialen Entwicklung               Versorgungsdiversifizierung grundlegend. Andererseits hält
des Mittelmeerraums, die sich wiederum positiv auf die poli-           man es für besonders wichtig, für die Produktion erneuer-
tische Stabilität und die Demokratisierungsprozesse auswirkt.          barer Energien und grünen Wasserstoffs mit dieser Region
                                                                       Partnerschaften einzugehen. Die italienische Regierung und
Das Pariser Abkommen haben alle Länder der Region unter-               ENI (italienischer Mineralölkonzern) schlossen mit Algerien
zeichnet und mit Ausnahme von Libyen, Jemen und Iran auch              und Ägypten bereits eine Reihe von Abkommen ab, die die
ratifiziert. Wie vom Abkommen vorgesehen, setzen sich die              Schlüsselrolle der beiden Länder als Exporteure bestätigen.
Unterzeichnerstaaten konditionierte und nicht konditio-                Der Erfolg der Energiewende im Mittelmeerraum und mit ihm
nierte Ziele bezüglich der Reduzierung der Emissionen (Natio-          die Intensität des Klimawandels hängen von den Entschei-
nally Determined Contributions, NDCs). Konditionierte Ziele            dungen ab, die in dieser schwierigen Lage getroffen werden.
sind von internationaler ökonomischer und  /  oder finanziel-
ler Unterstützung abhängig, nicht konditionierte Verpflich-            Was Algerien und das westliche Mittelmeer angeht, ist eini-
tungen hingegen ausschließlich vom politischen Willen des              ges anzumerken. Erstens: Die algerische Erdgasproduktion
Unterzeichnerstaats. Angesichts des beschränkten haushalts-            stagniert seit einigen Jahren. Erhebliche Investitionen wären
politischen Spielraums und der begrenzten Ressourcen der               nötig, um sie spürbar zu steigern (Fakir 2022). In den letzten
Länder der Region (mit Ausnahme der Golfstaaten) handelt               Jahren war jedoch kein westliches Unternehmen zu diesen
es sich bei den meisten um konditionierte Ziele. Zurzeit hat           Investitionen bereit. Dies ist zum einen auf die geringe Ren-
nur Marokko seine Ziele erreicht, sodass die Unterstützung             tabilität des Öl- und Gassektors in Algerien zurückzuführen
der Energiewende in den südlichen und östlichen Mittelmeer-            und zum anderen darauf, dass solche Investitionen nicht im
anrainerstaaten seitens der internationalen Staatengemein-             Einklang mit den Dekarbonisierungszielen und mit der euro-
schaft und insbesondere der Europäischen Union umso we-                päischen Entscheidung, Projekte im Bereich fossiler Energien
sentlicher zu sein scheint.                                            nicht mehr zu finanzieren, stehen. Zweitens: Ein Großteil der
                                                                       algerischen Produktion ist dazu bestimmt, die wachsende
                                                                       Binnennachfrage zu decken. Aus der Kombination von stag-
FOLGEN DES UKRAINEKRIEGS:                                              nierender Produktion und wachsender Binnennachfrage er-
RISIKEN UND CHANCEN DER ENERGIE-                                       gibt sich ein begrenzter Spielraum für ein Exportwachstum.
WENDE IM MITTELMEERRAUM                                                Die 9 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Italien bis 2024 dank
                                                                       des Abkommens vom 11.4.2022 erhalten soll, entsprechen
Die russische Invasion der Ukraine hat unter anderem dazu              den von der algerischen Regierung nach der Schließung der
geführt, dass der Europäischen Union nun jene geopolitische            Pipeline Maghreb-Europa »eingesparten« Exporten. Diese
Rolle zukommt, die sich die Von-der-Leyen-Kommission 2019              Erdgasleitung verbindet Algerien über Marokko mit Spanien,
als eines ihrer Ziele gesetzt hatte. Die Energiesicherheit – eng       doch beschloss Algerien nach dem Abbruch der bereits seit
mit der Absicht verknüpft, die Abhängigkeit von der Russi-             Jahrzehnten angespannten Beziehungen zu Marokko im No-
schen Föderation zu reduzieren und im Laufe der Zeit nach              vember 2021, das Teilstück zwischen den beiden Ländern
Möglichkeit ganz zu beenden – ist ein wesentliches Element             stillzulegen. Anfangs versicherte Algerien Spanien, die Ver-
der neuen strategischen Erwägungen der EU. In den letzten              sorgung weiterhin zu gewährleisten, doch dann schlug sich
Jahren wurde der Begriff der Energiesicherheit neu definiert,          das Kabinett Sánchez im Westsahara-Konflikt zwischen Al-
sodass er nicht nur die bloße Versorgung mit Energie, son-             gier und Rabat auf die Seite Marokkos. Dies verstimmte die
dern auch die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen sowie
die Resilienz der Wertschöpfungsketten beinhaltet. Infolge
des Abbruchs der Beziehungen zu Russland musste dieser                 3 REPowerEU: Joint European Action for more affordable, secure and
                                                                         sustainable energy, COM/2022/108 final, 8.3.2022 (https://eur lex.
Begriff nun abermals neu bestimmt werden. Diese Neude-                   europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM%3A2022%3A108%3A
finition erfolgte im Rahmen der neuen Energiestrategie, die              FIN).

                                                                   3
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Energiewende im Mittelmeerraum

algerische Regierung, die Madrid zuerst mit der Erhöhung des            ten und angesichts der klimabewussteren Alternativen letzt-
Gaspreises und später mit einem Lieferstopp drohte. Zwar                lich unnötig.« Weiter heißt es im Artikel, dass sich die EIB
verfügt Spanien über große Regasifizierungskapazitäten und              dazu verpflichte, ab jetzt und bis 2030 in Klimaschutz und
ist daher imstande, die zusätzlichen amerikanischen LNG-­               ökologische Nachhaltigkeit eine Milliarde Euro zu investieren:
Exporte, zu denen sich Washington verpflichtete, zu lagern,             »Die EU ist bereit, die globale Gemeinschaft bei der Beendi-
doch hapert es an der Gasweiterleitung nach Frankreich, da              gung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu unter-
die Pyrenäen eine Barriere darstellen und für einen Flaschen-           stützen.« Die aktuelle Situation gefährdet zwar einerseits die
hals sorgen. Werden in diesem Bereich keine neuen Investitio-           Energiewende im Mittelmeerraum, da neue Investitionen in
nen getätigt, so kann Madrid keinen wesentlichen Beitrag zur            den Bereich der fossilen Brennstoffe sie (weiter) hinauszögern
europäischen Energiesicherheit leisten. Ferner erinnern uns             könnten, doch andererseits bietet sie auch die Chance, sie zu
die Wechselfälle in den Beziehungen zwischen Spanien und                beschleunigen, da gezielte Investitionen das enorme Poten-
Algerien daran, wie sehr EU-Staaten der Willkür der Förder-             zial erneuerbarer Energien in der Region heben könnten.
länder ausgeliefert sind.

Was hingegen Ägypten und das östliche Mittelmeer angeht,                PERSPEKTIVEN DER DEUTSCH-­
weckten die jüngste Krise sowie die europäische Suche nach              ITALIENISCHEN ZUSAMMENARBEIT IM
alternativen Versorgungswegen erneut Kairos Hoffnungen,                 KONTEXT DER ENERGIEWENDE
zum regionalen Erdgasumschlagplatz aufzusteigen. Derzeit
beträgt die ägyptische Exportkapazität lediglich 12,2 Mil-              All das zeigt, dass Italien und Deutschland gemeinsam han-
liarden Kubikmeter. Dies liegt daran, dass ein Großteil der             deln sollten, um folgende Maßnahmen umzusetzen:
Produktion, genauso wie in Algerien, die Binnennachfrage
decken muss, vor allem jedoch daran, dass dies der Höchst-               • Auf EU-Ebene sollten Italien und Deutschland die Füh-
auslastung der beiden LNG-Anlagen in Damiette und Idku                     rung beim Aufbau von Partnerschaften für eine gerechte
(beide im Nildelta) entspricht. Über seine Anlagen beabsich-               Energiewende (Just Energy Transition Partnerships [JETPs])
tigt Ägypten, auch Gas aus unterseeischen Lagerstätten an-                 mit Gas- und Ölförderländern (angefangen bei Algerien
derer Länder des östlichen Mittelmeers zu exportieren. Kairo               und Ägypten) übernehmen.
exportiert bereits Gas aus den israelischen Erdgasfeldern Le-
viathan und Tamar und möchte in Zukunft zum Umschlag-                    • Italien und Deutschland sollten sich für den Aufbau von
platz für das zyprische Erdgasfeld Aphrodite werden. In die-               Plattformen für den Umstieg der Mittelmeerländer von
sem Zusammenhang rückte die Pipeline EastMed wieder ins                    Gas auf erneuerbare Energien einsetzen, und zwar ent-
Zentrum der Debatte: Sie würde Israel, Zypern, die griechische             sprechend dem Südafrika bei der UN-Klimakonferenz
Insel Kreta und – durch das zusätzliche Teilstück Poseidon –               2021 in Glasgow angebotenen Partnerschaftsmodell
Italien miteinander verbinden und damit mehr Gasexporte                    für den Kohleausstieg. Aufgrund seiner historisch be-
nach Europa ermöglichen. Doch der Bau von EastMed wurde                    dingten Ausrichtung auf den Mittelmeerraum könnte
aufgrund geringer Rentabilität und aus Sorge vor geopoliti-                Italien den Dialog mit den Ländern des südlichen Mit-
schen Spannungen bislang aufgeschoben. Bei den bis vor                     telmeers anbahnen; Deutschland, das am 1.1.2022 die
Kurzem sehr niedrigen Gaspreisen und dem von den Dekar-                    G7-­Präsidentschaft übernommen hat, könnte sich hin-
bonisierungszielen der EU vorgesehenen Rückgang der Gas-                   gegen um den internationalen Konsens über die Beschaf-
nachfrage stand der geringe Umfang der Gasfelder in kei-                   fung der notwendigen Mittel bemühen.
nem Vergleich zu den hohen Kosten (6 Milliarden Euro). Die
Pipeline würde ferner die Türkei ausschließen, die sich in der           • Italien und Deutschland sollten Maßnahmen zur Klima-
Vergangenheit aus diesem Grund bereits feindlich verhalten                 anpassung fördern.
hatte, etwa um ihren Souveränitätsanspruch über gewisse
Teilgebiete der umstrittenen zyprischen Hoheitsgewässer gel-             • IPCC-Berichte zeigen, dass der Mittelmeerraum bis 2039
tend zu machen bzw. ihr Recht auf Beteiligung am großen                    unabhängig von den zukünftig beschlossenen Klima-
Gasgeschäft im östlichen Mittelmeer.                                       schutzmaßnahmen von den Auswirkungen des Klima-
                                                                           wandels betroffen sein wird. Deswegen ist es notwendig,
Ob es um Algerien oder Ägypten geht, die bedeutendste                      die betroffenen Staaten nicht nur bei der Reduktion der
Entscheidung, die die EU-Staaten heute treffen müssen, be-                 CO2-Emissionen zu unterstützen, sondern auch ihre An-
trifft die Zukunft der Region: In was für eine Zukunft soll in-            passungsfähigkeit und Resilienz zu fördern – etwa durch
vestiert werden? In einem gemeinsamen, am 3.5.2022 in                      den Bau von Barrieren zum Schutz der Küstenareale vor
der italienischen Zeitung La Repubblica erschienenen Leitar-               Überschwemmungen, die Einführung von Tropfbewässe-
tikel (Borrell  /  Hoyer 2022) beziehen Josep Borrell, Hoher Ver-          rungssystemen, die Errichtung amphibischer Wohnhäu-
treter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, und Werner                ser und die Installation von Frühwarnsystemen (early-
Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), sehr             warning mechanisms).
klar Stellung: »Erstens darf die Suche nach alternativen Erd-
gaslieferanten, so wichtig sie kurzfristig auch sein mag, uns            • Innerhalb der EU sollten Italien und Deutschland gemein-
nicht in neue langfristige Abhängigkeiten bringen, die hohe                sam grüne Infrastrukturprojekte unterstützen.
Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe
erfordern. Dies wäre kostspielig, katastrophal für den Plane-

                                                                    4
Perspektiven der deutsch-­italienischen Zusammenarbeit im Kontext der Energiewende

• Statt in neue Infrastrukturen für den Transport fossiler         LITERATUR
  Brennstoffe (etwa in die EastMed-Pipeline) zu investieren,
  sollten Italien und Deutschland gemeinsam die Entwick-
  lung von Stromnetzverbindungen wie EuroAsia Inter-               Borrell, J. / Hoyer, W. (2022): La via green alla sicurezza, in: La Repubblica
  connector und EuroAfrica Interconnector fördern. Denn            (5.3.2022) (https://www.repubblica.it/commenti/2022/05/02/news/cosa_
                                                                   serve_alleuropa_per_unenergia_pulita_e_giusta-347833419/).
  anders als die Infrastrukturen für fossile Energien sind
  Unterseestromleitungen nicht dazu bestimmt, stranded             Center for Naval Analyses (2007): National Security and the Threat of Cli-
  assets (also »in den Sand gesetzte« Vermögenswerte) zu           mate Change, Alexandria. VA, United States (https://www.cna.org/cna_
                                                                   files/pdf/national%20security%20and%20the%20threat%20of%20
  werden, sondern sie fördern im Gegenteil den Einsatz er-         climate%20change.pdf).
  neuerbarer Energien zur Stromproduktion. Gleichzeitig
  hat die Kopplung der Stromnetze eine wichtige geopoli-           Fakir, I. (2022): Given capacity constraints, Algeria is no quick fix for Euro-
                                                                   pe’s Russian gas concerns. Middle East Institute (8.3.2022) (https://www.
  tische Dimension: Die Anbindung des Mittelmeerraums              mei.edu/publications/given-capacity-constraints-algeria-no-quick-fix-
  an das europäische Stromnetz und damit an dessen Stan-           europes-­russian-gas-concerns).
  dards ist in der Tat von erheblichem strategischem Wert,
                                                                   Leonard, M.  /  Pisani-Ferry, J.  /  Shapiro, J.  /  Tagliapietra, S.  /  Wolff, G. (2021):
  insbesondere angesichts der wachsenden chinesischen              The geopolitics of the European Green Deal. Policy Brief, European Council
  Konkurrenz in diesem Sektor. Neben der Verbindung des            on Foreign Relations (3.2.2021) (https://ecfr.eu/publication/the-geopolitics-
  mediterranen und des europäischen Verbundnetzes muss             of-theeuropean-green-deal/).

  auch die Integration des regionalen Stromnetzes voran-           Tuel, A.  /  Eltahir, E. A. B. (2020): Why Is the Mediterranean a Climate
  getrieben werden. So ließe sich unter anderem das chro-          Change Hot Spot?, in: Journal of Climate 33 (14).
  nische Problem der Stromknappheit in den Spitzenlastzei-
                                                                   UNDP (2018): Climate Change Adaptation in the Arab States – Best prac-
  ten beseitigen, indem man sich die Zeitverschiebungen            tices and lessons learned. Bangkok (https://www.undp.org/publications/
  zunutze macht.                                                   climate-change-adaptation-arab-states).

                                                                   Varela, R.  /  Rodríguez-Díaz, L.  /  de Castro, M. (2020): Persistent heat waves
                                                                   projected for Middle East and North Africa by the end of the 21st century,
                                                                   in: Plos One (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.
                                                                   pone.0242477).

                                                                   Zittis, G. (2021): Business-as-usual will lead to super and ultra-extreme
                                                                   heatwaves in the Middle East and North Africa, in: Nature, March 2021
                                                                   (https://www.nature.com/articles/s41612-021-00178-7).

                                                               5
FONDAZIONE FRIEDRICH EBERT – Energiewende im Mittelmeerraum

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IMPRESSUM

ÜBER DIE AUTORIN                                                         IMPRESSUM

Annalisa Perteghella ist Analystin für internationale Klima-             Friedrich-Ebert-Stiftung |
und Energiepolitik bei ECCO, dem italienischen Think Tank                Piazza Capranica 95 | 00186 Rom | Italien
für Klimawandel. Sie beschäftigt sich mit der Energiewende,
europäischer Außenpolitik und dem Zusammenhang zwi-                      Verantwortlich:
schen Klima und Sicherheit.                                              Dr. Tobias Mörschel | Direktor | FES Italien
                                                                         Tel.: +39 06 82 09 77 90
                                                                         https://italia.fes.de/

                                                                         Bestellungen / Kontakt:
                                                                         info@fes-italia.org

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