Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland Szenarioanalysen bis zum Jahr 2030 mit Ausblick auf die kommenden Jahrzehnte

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                                                Universität Stuttgart
 Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

                                       .
                             Studie
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                                        .
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Energiewirtschaftliche                   .
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       Bedeutung der                      .
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Braunkohlenutzung in                       .
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         Deutschland                        .
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Szenarioanalysen bis                          .
      zum Jahr 2030                           ..
     mit Ausblick auf                          .
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    die kommenden                               .
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          Jahrzehnte                             .
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                                                  .     T. Kober, U. Fahl, M. Blesl, A. Voß
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                               Endbericht

                               23. Januar 2012
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in
       Deutschland – Szenarioanalysen bis zum Jahr 2030
          mit Ausblick auf die kommenden Jahrzehnte

                    Tom Kober, Ulrich Fahl, Markus Blesl, Alfred Voß

                                        23. Januar 2012

Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. A. Voß
Abteilung Energiewirtschaft und Systemtechnische Analysen
Dr. Ulrich Fahl
Inhaltsverzeichnis                                                                 I

Inhaltsverzeichnis

1       Das Wichtigste in Kürze ................................................................................................... 1
2       Energie- und Klimapolitik in Deutschland unter Berücksichtigung des
        europäischen Kontexts ...................................................................................................... 2
        2.1 Energie- und Klimapolitik in Deutschland und Europa ........................................... 2
        2.2 Die Bedeutung der Braunkohle für die Energieversorgung Deutschlands .............. 4
        2.3 Untersuchungsgegenstand ........................................................................................ 6
3       Konzeption der Szenarien und Modellinstrumentarium ................................................... 7
        3.1 Szenariendefinition................................................................................................... 7
        3.2 Rahmenannahmen .................................................................................................... 9
        3.3 Modellierungsansatz............................................................................................... 14
4       Perspektiven der Braunkohlenutzung ............................................................................. 16
        4.1 Entwicklungen im Referenzszenario ...................................................................... 16
        4.2 Ergebnisse der Variantenrechnungen ..................................................................... 28
        4.2.1        Energieträgerpreisvarianten .............................................................................. 28
        4.2.2        Verstärkter Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in
                     Deutschland ....................................................................................................... 32
5       Schlussfolgerungen ......................................................................................................... 34
Literaturverzeichnis.................................................................................................................. 36
Anhänge ................................................................................................................................... 43
        Anhang A – Sozioökonomische Rahmenannahmen für die EU-27 ............................... 43
II                                        Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:    Braunkohleförderung und Braunkohlekraftwerksstandorte in
                Deutschland .................................................................................................. 5
Abbildung 2:    Verwendung der Braunkohle in Deutschland im Jahr 2010......................... 6
Abbildung 3:    Bedeutung der Braunkohle in der Stromerzeugung in Deutschland im
                Jahr 2010 ...................................................................................................... 6
Abbildung 4:    Studienvergleich der Ausbaupfade für in Deutschland erzeugten
                Strom aus erneuerbaren Energien............................................................... 13
Abbildung 5:    Strombedarf in Deutschland im Referenzszenario ..................................... 17
Abbildung 6:    Strombereitstellung in Deutschland im Referenzszenario ......................... 19
Abbildung 7:    Installierte Nettoleistung nach Energieträgern in Deutschland im
                Referenzszenario ........................................................................................ 22
Abbildung 8:    Primärenergieverbrauch in Deutschland im Referenzszenario .................. 24
Abbildung 9:    Strombereitstellung in Deutschland in den Energieträgerpreis-
                Variantenrechnungen und dem Referenzszenario ...................................... 29
Abbildung 10:   Primärenergieverbrauch in Deutschland in den Energieträgerpreis-
                Variantenrechnungen und dem Referenzszenario ...................................... 30
Abbildung 11:   Primärenergieverbrauch an Braunkohle in Deutschland in den
                Energieträgerpreis-Variantenrechnungen und dem Referenzszenario ....... 31
Abbildung 12:   Strombereitstellung in Deutschland in der Variante mit verstärktem
                Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Referenzszenario ................. 32
Abbildung 13:   Primärenergieverbrauch an Braunkohle in Deutschland in der
                Variante mit verstärktem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem
                Referenzszenario ........................................................................................ 33
Abbildung 14:   Kumulierter Braunkohlebedarf von 2010 bis 2030 in Deutschland im
                Referenzszenario und in den Varianten...................................................... 35
Tabellenverzeichnis                                                               III

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:    Szenariendefinition ...................................................................................... 8
Tabelle 2:    Sozioökonomische und energiewirtschaftliche Rahmenannahmen für
              Deutschland in den betrachteten Szenarien ................................................. 9
Tabelle 3:    Energieträgerpreispfade ............................................................................. 10
Tabelle 4:    Inländische Stromerzeugungsmengen aus erneuerbaren Energien ............ 11
Tabelle 5:    Installierte Nettoleistung und Struktur der Braunkohlekraftwerkska-
              pazitäten in Deutschland ............................................................................ 23
Tabelle 6:    Primärenergieverbrauch an Braunkohle in Deutschland im Referenz-
              szenario ...................................................................................................... 24
Tabelle 7:    Zusammensetzung und Importabhängigkeit des Primärenergiever-
              brauchs und der Energieträger zur Stromerzeugung in Deutschland
              im Referenzszenario................................................................................... 25
Tabelle 8:    Entwicklung ausgewählter CO2-Emissionskennzahlen in Deutschland .... 26
Tabelle 9:    Sozioökonomische und energiewirtschaftliche Rahmenannahmen für
              die EU-27 in den betrachteten Szenarien ................................................... 43
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland           1

1    Das Wichtigste in Kürze
Vor dem Hintergrund der energiepolitischen Ziele der Bundesregierung ist es Anliegen der
Studie, die zukünftige energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutsch-
land unter Berücksichtigung unterschiedlicher energiepolitischer Rahmenbedingungen für
den Zeitraum bis 2030 mit einem qualitativen Ausblick auf die folgenden Jahrzehnte mittels
einer modellgestützten Analyse aufzuzeigen. Um der europäischen Vernetzung der deutschen
Energiewirtschaft Rechnung zu tragen und intersektorale Zusammenhänge zu berücksichti-
gen, wurde die Untersuchung mit einem europäischen Energiesystemmodell durchgeführt.
Die Studie zeigt, dass unter den getroffenen Rahmenannahmen zukünftig bis 2030 eine stabi-
le Braunkohlenachfrage in Deutschland auf einem Niveau von 160 bis 170 Mio. t/a zu erwar-
ten ist, welches in etwa dem heutigen Niveau entspricht. Die Stromerzeugung aus Braunkohle
profitiert in diesem Zeitraum von geringen Stromerzeugungskosten und ist auch unter den
derzeitig bindenden Klimaschutzzielen des EU-Emissionshandelssystems im europäischen
Elektrizitätsmarkt wettbewerbsfähig. Die Braunkohlestromerzeugung steigt gegenüber den
heutigen Produktionsmengen bis 2030 um 10 % auf 150 TWh an. Mittelfristig bis 2030 tra-
gen Ersatzneubauten und Kraftwerksretrofitmaßnahmen an Braunkohlebestandskraftwerken
maßgeblich zur Strombereitstellung und Kapazitätsvorhaltung in Deutschland bei. Auch lang-
fristig leistet die Braunkohleverstromung darüber hinaus mit CCS-Technologien einen signi-
fikanten Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen in der Stromerzeugung und damit zur
Erreichung der Klimaschutzziele.
Aufgrund der im Vergleich zu anderen fossil basierten Kraftwerkstechnologien zur Grund-
laststromerzeugung niedrigeren Stromgestehungskosten gehen von der Braunkohleverstro-
mung positive Wirkungen auf den Strompreis und damit über die volkswirtschaftlichen Ver-
flechtungen auf das Wirtschaftswachstum (kumulativ ca. 340 Mrd. €2000 bis 2030) und die
Beschäftigung (180.000 zusätzliche Beschäftigte bis 2030) in Deutschland aus. Neben der
energiewirtschaftlichen Bedeutung kommt der Braunkohle auch eine wichtige gesamtwirt-
schaftliche Rolle zu.
Veränderte energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen, wie niedrigere bzw. höhere Import-
preise für fossile Energieträger oder auch ein stärkerer Ausbau der erneuerbaren Energien,
wirken sich lediglich in geringem Umfang auf die Braunkohlestromerzeugung und damit den
Braunkohleverbrauch in Deutschland aus. Es zeigt sich, dass ein höheres Preisniveau für die
Importe von Erdgas, Erdöl und Steinkohle zu einer verstärkten Nutzung der Braunkohle in
Kraftwerken ohne CCS und somit zu einem leichten Verbrauchsanstieg führt. Ein stärkerer
Ausbau der erneuerbaren Energien bewirkt bis 2030 in erster Linie einen Rückgang der
Erdgas- und Steinkohlestromerzeugung sowie Veränderungen beim Stromaußenhandel. Die
Braunkohleverstromung bleibt davon nahezu unberührt, was auf die im Vergleich zu Erdgas
und Steinkohle geringeren Erzeugungskosten zurückzuführen ist. Dies zeigt, dass unter den
betrachteten Vorgaben zur Minderung der Treibhausgase in Europa die Nutzung der Braun-
kohle weder mittelfristig noch langfristig dem Ausbau der erneuerbaren Energien entgegen-
steht. Dies setzt eine gute Flexibilität der Braunkohlekraftwerke voraus, welche auch durch
die Summe der installierten Leistung einen großen Regelbereich darstellen.
2        Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Braunkohle weiterhin eine hohe energiewirt-
schaftliche Bedeutung hat, um die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung für die
Sicherstellung einer umweltschonenden, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung
erreichen zu können. Der kumulierte Braunkohlebedarf in Deutschland bis 2030 beläuft sich
auf etwa 3.300 Mio. t und ist durch genehmigte Vorräte abgesichert.

2    Energie- und Klimapolitik in Deutschland unter Berücksichti-
     gung des europäischen Kontexts
2.1 Energie- und Klimapolitik in Deutschland und Europa
Es ist heute weitgehend Konsens, dass im Hinblick auf die Sicherung der Zukunftsfähigkeit
des Wirtschafts- und Lebensraumes Deutschland sowie zur Vermeidung nicht tolerierbarer
Umwelt- und Klimaveränderungen die Energieversorgung vor großen Herausforderungen
steht. Insbesondere die Klimaschutzbemühungen erfuhren hier in der jüngeren Vergangenheit
eine verstärkte Aufmerksamkeit, gekoppelt mit der Einführung des Europäischen Handelssy-
stems für Treibhausgaszertifikate und nicht zuletzt dem 4. Sachstandsbericht des IPCC zu
den Ursachen und Folgen des Klimawandels (IPCC 2007).
Die Mitgliedsstaaten der EU haben sich dazu bekannt, den Anstieg der globalen Durch-
schnittstemperatur auf weniger als 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen
und entsprechende Maßnahmen zu einer langfristigen Stabilisierung der Treibhausgaskonzen-
tration in der Atmosphäre auf etwa 450 ppm CO2-Äquivalent zu ergreifen (Europäische
Kommission 2007). Im Hinblick auf internationale Verhandlungen über eine weltweite Kli-
maschutzvereinbarung bzw. ein Kyoto-Nachfolgeabkommen wurden für die EU Treibhaus-
gasreduktionsziele formuliert. So verpflichten sich die Staaten der EU zur Reduktion der
Treibhausgase gegenüber der Kyotobasis um 20 % bis 2020 und im Fall des Zustandekom-
mens eines internationalen Klimaschutzabkommens, in dem sich andere Industriestaaten zu
einem ähnlich ambitionierten Reduktionsziel verpflichten, sogar um 30 % gegenüber der
Kyotobasis (Europäische Kommission 2008, 2010a). Langfristig wird die Reduktion der
Treibhausgase in der EU um 80 bis 95 % bis 2050 angestrebt, wobei mindestens 80 % der
Reduktion innerhalb der EU erbracht werden sollen (Europäische Kommission 2011).
Instrumentalisiert wurden die Ziele zur Reduktion der Treibhausgase insbesondere durch die
Einführung des europäischen Emissionszertifikatehandelssystems (EU-ETS) im Jahr 2003.
Zur Erreichung der EU-Minderungsziele ist die Reduktion der Zertifikate im EU-ETS um
21 % bis 2020 gegenüber dem Basisjahr 2005 vorgesehen. Sollten sich die EU-Mitgliedsstaa-
ten im Falle eines umfassenden internationalen Klimaschutzabkommens zu einer Reduktion
um 30 % gegenüber der Kyotobasis verpflichten, könnte dies für die Anlagen des EU-ETS
eine Reduktion um bis zu 34 % bis 2020 gegenüber 2005 bedeuten (Europäische Kommis-
sion 2010c). Wie die zurückliegenden internationalen Klimaschutzverhandlungen in Kopen-
hagen, Cancun und Durban gezeigt haben, konnte bislang kein verbindliches Kyoto-Nachfol-
geabkommen unter den Vertragsparteien erzielt werden. Demnach ist zum jetzigen Zeitpunkt
nicht davon auszugehen ist, dass sich die EU zu stärkeren Treibhausgasemissionsreduktionen
bis 2020 verpflichtet, sondern das EU-weite Reduktionsziel von 20 % bis 2020 gegenüber der
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland            3

Kyotobasis und das Reduktionsziel für das EU-ETS von 21 % bis 2020 gegenüber 2005 als
verbindlich angesehen werden müssen.
Weitere Elemente der europäischen Energie- und Klimapolitik sind die Steigerung des An-
teils der erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf 20 % bis 2020 und die
Reduktion des Primärenergieeinsatzes um 20 % bis 2020 gegenüber der Referenzentwicklung
(Europäische Kommission 2010a).
Eingebettet in den europäischen energie- und klimapolitischen Rahmen hat die Bundesregie-
rung im Herbst 2010 mit ihrem Energiekonzept und den Neuerungen im Sommer 2011 ein
nationales Ziel- und Maßnahmenpaket für eine nachhaltige Energieversorgung vorgelegt. Be-
standteile des Energiekonzeptes sind unter anderem (BMWi 2011a, Bundesregierung 2011a,
2011b):
      Reduktion der Treibhausgase um 40 % bis 2020 gegenüber 1990 und um 80 bis 95 %
       bis 2050
      Reduktion des Primärenergieverbrauches um 20 % bis 2020 und um 50 % bis 2050
       gegenüber 2008
      Reduktion des Stromverbrauchs um 25 % bis 2050 gegenüber 2008
      Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch auf 50 %
       bis 2030 und 80 % bis 2050
      Kernenergieausstieg in Deutschland bis zum Jahr 2022
      Verdopplung der Sanierungsrate im Gebäudebereich auf 2 % pro Jahr zur Erreichung
       eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050
      Eine Million Elektrofahrzeuge bis 2020 und sechs Millionen Elektrofahrzeuge bis
       2030.
Die Ausgestaltung der Ziele des Energiekonzeptes durch konkrete Maßnahmen und Gesetze
wurde zwar begonnen, wie beispielsweise mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz für das
Übertragungsnetz (NABEG), welches am 5.8.2011 in Kraft getreten ist, allerdings dauert
dieser Prozess noch an und wird eine Reihe weiterer Gesetze und Gesetzesnovellen bedingen.
Jedoch ist anzumerken, dass nicht alle Zielgrößen des Energiekonzeptes 2050 instrumen-
talisiert werden und ausgewählte Zielgrößen für Deutschland zumindest teilweise von euro-
päischen Mechanismen determiniert werden, wie das EU-ETS für die Treibhausgasemis-
sionen der am Handel teilnehmenden Anlagen. Außerdem können Zielkonflikte auftreten.
Beispielsweise geht die sektorübergreifende Minderung von Treibhausgasen nicht unweiger-
lich mit einer Reduktion des Stromverbrauches einher, sondern kann bedingt durch die Sub-
stitution von Technologien basierend auf fossilen Energieträgern durch Stromanwendungen
in den Nachfragesektoren zu einem Anstieg des Stromverbrauches führen (Blesl et al. 2011).
Die durch eine Novellierung des Atomgesetzes im Dezember 2010 angestrebte Laufzeitver-
längerung deutscher Kernkraftwerke auf durchschnittlich 44 Jahre wurde nach der Katastro-
phe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im März 2011 wieder revidiert und ein neuer
Ausstiegsbeschluss erarbeitet, welcher die zeitlich festgelegte Außerbetriebnahme aller deut-
4         Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

schen Kernkraftwerke regelt (BMWi 2010b, Bundesregierung 2011b). Entsprechend dieses
Beschlusses soll das letzte Kernkraftwerk in Deutschland im Jahr 2022 vom Netz gehen.
In vielen europäischen Ländern, wie Schweden, Italien oder den Niederlanden, waren
insbesondere aufgrund des Drucks verschärfter Klimaschutzvorgaben in den neunziger
Jahren umgesetzte Ausstiegsbeschlüsse nach 2000 wieder rückgängig gemacht worden,
während andere Länder, wie etwa Frankreich, Großbritannien oder Finnland, durchgängig an
der Kernenergie festgehalten hatten. In Polen ist seit 2007 sogar der langfristige Einstieg in
die Kernkraftnutzung geplant. Auch weltweit wird der Kernenergie bei der Bewältigung der
Emissionsreduktionsvorgaben eine zentrale Rolle zugeschrieben.
Ebenso wie in Deutschland kam es nach der Erdbebenkatastrophe in Japan und der darauf
folgenden Unfallserie im Kernkraftwerk Fukushima in einigen europäischen Ländern zu
einem Umdenken in der Energiepolitik, was sich auch unmittelbar auf die zukünftige Ent-
wicklung der Struktur des europäischen Stromerzeugungssystems auswirken wird: in Italien
wurde der erneute Einstieg in die Kernenergie durch einen Volksentscheid abgelehnt, die
Schweizer Regierung spricht sich für einen langfristigen Rückzug aus der Kernenergie bis
zum Jahr 2034 aus. Zudem wurden von der Europäischen Union einheitliche Stresstests für
alle Kernkraftwerke in Europa angekündigt. In vielen anderen europäischen Ländern und
weltweit wurde jedoch die bisherige Haltung zur Kernkraft aufrechterhalten.
Ein weiteres Element der deutschen Energiepolitik, welches bereits vor der Erarbeitung des
Energiekonzeptes gesetzlich festgeschrieben wurde, ist die Vorgabe zu Beimischung von
Biokraftstoffen im Verkehrssektor, welche bis 2020 auf einen Anteil von 7 % (bezogen auf
das Treibhausgasminderungspotenzial) ansteigen soll (BGBL 2006, BMJ 2010).

2.2 Die Bedeutung der Braunkohle für die Energieversorgung Deutsch-
    lands
Der Energieträger Braunkohle war in 2010 mit 1.510 PJ mit einem Anteil von 11 % am deut-
schen Primärenergieverbrauch vertreten und wird nahezu vollständig durch inländische
Förderung gewonnen. Der Außenhandelssaldo für Braunkohleprodukte betrug 25 PJ in 2010.
Knapp 170 Mio. t Braunkohle (1.535 PJ) wurden im Jahr 2010 in Deutschland abgebaut, wo-
bei mit 91 Mio. t mehr als die Hälfte im Rheinischen Revier gefördert wurde, gefolgt vom
Lausitzer Revier (57 Mio. t), dem Mitteldeutschen Revier (20 Mio. t) und dem Helmstädter
Revier mit 2 Mio. t Braunkohle (Abbildung 1) (Kaltenbach und Maaßen 2011). Das Rheini-
sche Revier verfügt mit 3,3 Mrd. t (DEBRIV 2011) genehmigten Lagerstättenvorräten über
rund 66 % der deutschen genehmigten Braunkohlevorräte, was einer statischen Reichweite
der Braunkohle von rund 35 Jahren entspricht. Die kumulierten genehmigten Vorräte der
restlichen drei Reviere belaufen sich auf 1,7 Mrd. t Braunkohle. Die derzeitig genehmigten
Vorräte von 5 Mrd. t Braunkohle stellen einen Anteil von ca. 12 % der gesamten wirtschaft-
lich gewinnbaren Vorräte Deutschlands in Höhe von etwa 41 Mrd. t (Kaltenbach und Maaßen
2011) dar. 85 % (35 Mrd. t) der gesamten wirtschaftlich gewinnbaren Vorräte lagern im
Rheinischen Revier und weitere 3,5 Mrd. t im Lausitzer Revier.
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland                                                      5

                                    Buschhaus: 390 MW

                                                                 Helmstedter Revier

                                                                                                     Lausitzer Revier
                                                               Förderung       genehmigte
                          Rheinisches Revier                   2010            Vorräte
                                                                                              Förderung      genehmigte
                                                               2,0 Mio. t      0,02 Mrd. t    2010           Vorräte
                      Förderung     genehmigte
                      2010          Vorräte                                                    56,7 Mio. t    1,2 Mrd. t
                      90,7 Mio. t   3,3 Mrd. t
                                                                                                                        Jänschwalde:
                                                                                                                        2790 MW
Frimmersdorf: 2008 MW                                                                                                   Boxberg:
Neurath: 2065 MW                                                                                                        1787 MW

Niederaußem: 3680 MW                               Mitteldeutsches Revier                                               Schwarze Pumpe:
                                                                                                                        1500 MW
Weisweiler: 2054 MW
                                                 Förderung        genehmigte
                                                 2010             Vorräte
    Tagebaue                                     20,0 Mio. t      0,5 Mrd. t                  Schkopau: 900 MW

  Bemerkungen zu den Kraft-                                                                  Lippendorf: 1750 MW
  werksstandorten:
  - Leistungsangabe netto,
    elektrisch
  - Leistung sonstiger
    Braunkohlekraftwerke :
    1434 MW

Quellen: DEBRIV (2011), RWE (2011), UBA (2011a), Kaltenbach und Maaßen (2011), Vattenfall (2011), EON (2011a), EON (2011b)

Abbildung 1:          Braunkohleförderung und Braunkohlekraftwerksstandorte in Deutschland

Hauptverwendung der Braunkohle in Deutschland ist mit über 90 % (152 Mio. t in 2010) der
Kraftwerkssektor, in dem die Braunkohle als Brennstoff zur Strom- und Wärmeerzeugung
Verwendung findet (Abbildung 2). 14 Mio. t Braunkohle (8 %) wurden in 2010 zur Vered-
lung eingesetzt und die restlichen 3 Mio. t wurden in Grubenkraftwerken und bei sonstigen
Abnehmern verbraucht. Von den Tagebauen des Rheinischen Reviers werden derzeit die vier
Braunkohlekraftwerksstandorte Frimmersdorf, Neurath, Niederaußem und Weisweiler mit
einer installierten Nettoleistung von 9,8 GWel versorgt. Am Standort Neurath befinden sich
zwei Braunkohlekraftwerksblöcke mit optimierter Anlagentechnik mit jeweils 1.100 MWel
Nettoleistung in Bau, deren Inbetriebnahme für das erste Halbjahr 2012 geplant ist. Im Ge-
genzug hat sich der Betreiber zur Stillegung aller 150 MWel-Kraftwerksblöcke an den Stand-
orten Frimmersdorf, Niederaußem und Weisweiler bis Ende 2012 verpflichtet. Im Lausitzer
Revier sind an den Braunkohlekraftwerksstandorten Jänschwalde, Boxberg und Schwarze
Pumpe insgesamt 6,1 GWel Nettoleistung installiert. Am Standort Boxberg soll in 2013 ein
weiterer Block mit einer Nettoleistung von 675 MWel ans Netz gehen (Vattenfall 2011). Im
Mitteldeutschen Revier befinden sich die beiden Braunkohlekraftwerksstandorte Lippendorf
und Schkopau mit einer elektrischen Gesamtnettoleistung von 2,7 GWel und im Helmstädter
Revier das Kraftwerk Buschhaus mit 0,4 GWel. Damit sind in diesen 10 Großkraftwerks-
standorten mehr als 90 % der gesamten installierten Nettoleistung der Braunkohlekraftwerke
von 20,4 GWel installiert (BDEW 2011).
6             Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

                                                                              Absatz an Kraftwerke
                                                                              der allg. Versorgung
                                        90,7%
                                                                              Absatz an sonstige
                                                                              Abnehmer
                             Summe: 169,4 Mio. t
                                                                              Einsatz zur Veredelung

                                                      8,3%          0,5%      Einsatz in Gruben-
                                                                              kraftwerken

                                                         1,6%                 Bestandsänderung

Abbildung 2:         Verwendung der Braunkohle in Deutschland im Jahr 2010

Braunkohle ist Rohstoff für fast ein Viertel der deutschen Stromerzeugung. In 2010 belief
sich die Bruttostromerzeugung aus Braunkohle auf 147 TWh und stellt damit den größten
Anteil an der Gesamterzeugung dar. Besonders hervorzuheben ist dabei der Beitrag zur
Grundlastversorgung: in 2010 wurden über die Braunkohle rund 48 % der Grundlast in
Deutschland gedeckt (Abbildung 3), der Anteil der Braunkohle an der Grundlastkapazität
liegt sogar bei über 50 %. Mit der Abschaltung der acht Kernkraftwerke im Sommer 2011
wird sich dieser Anteil weiter erhöhen. Aufgrund der hohen spezifischen CO2-Emissionen re-
sultieren aus der Energieerzeugung aus Braunkohle etwa 22 % (2010) der energiebedingten
CO2-Emissionen in Deutschland.

        Erneuerbare
         Energien                        Steinkohle
           16,6%                           18,7%

                                                                                                       Kernenergie
                                                                                                          46%
    Erdgas                                                       Braunkohle
    13,6%                                                           48%

                                               Braunkohle
     Heizöl /                                    23,7%
    Sonstige
      5,7%
                Kernenergie                                                            Laufwasser
                   22,6%                                                                   6%

              Bruttostromerzeugung                                      Bruttogrundlaststromerzeugung
 Quellen: BMWI Energiedaten (2011), Deutsches Atomforum (2011)
    Quellen: BMWi (2011), Deutsches Atomforum (2011)

Abbildung 3:         Bedeutung der Braunkohle in der Stromerzeugung in Deutschland im Jahr 2010

2.3 Untersuchungsgegenstand
Eine Bewertung der zukünftigen Braunkohlenutzung zur Stromerzeugung sollte sich an den
Zielvorstellungen der Energiepolitik in Deutschland und Europa orientieren. Hier wird in der
Regel das Zieldreieck aus Umweltverträglichkeit (im Sinne einer möglichst schonenden Res-
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland          7

sourcennutzung und effektiven Klimaschutzes), Versorgungssicherheit (Sicherstellung eines
zu jedem Zeitpunkt ausreichenden Angebots an Energieträgern) und Wirtschaftlichkeit (Ge-
währleistung einer effizienten Energiebereitstellung und –nutzung zu wettbewerblichen Prei-
sen) herangezogen.
Vor dem Hintergrund der energiepolitischen Ziele ist es Anliegen der Studie die zukünftige
energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung unter der Maßgabe eines europa-
weiten Klimaschutzregimes und unter Berücksichtigung unterschiedlicher energiepolitischer
Rahmenbedingungen für den Zeitraum bis 2030, mit einem qualitativen Ausblick auf die fol-
genden Jahrzehnte mittels einer modellgestützten Analyse aufzuzeigen. In der Untersuchung
werden dabei insbesondere die Perspektiven der Braunkohlenutzung als Pfeiler einer sicheren
und wettbewerbsfähigen Stromversorgung analysiert und gewürdigt. Dabei finden Optionen,
wie die Modernisierung von Bestandskraftwerken sowie der Neubau von effizienten Kraft-
werken, Berücksichtigung ebenso wie die Möglichkeit der Anwendung von Technologien mit
CO2-Abtrennung und anschließendem Transport und Speicherung des CO2, sowohl als Nach-
rüstung an entsprechenden Kraftwerken als auch als Neubauoption.
Die Studie möchte vor allem folgende Fragen beantworten:
     Welche Nutzungspotenziale ergeben sich zukünftig für die Braunkohle in Deutschland
      unter der Prämisse, dass die derzeitig aktuellen energie- und klimapolitischen Rahmen-
      bedingungen fortgeschrieben werden?
     Welche Auswirkungen haben veränderte energiepolitische bzw. energiewirtschaftliche
      Rahmenbedingungen auf die zukünftige Nutzung der Braunkohle in Deutschland?

3     Konzeption der Szenarien und Modellinstrumentarium
3.1 Szenariendefinition
Die Untersuchung der zukünftigen Bedeutung der Braunkohle in Deutschland erfolgt anhand
eines Referenzszenarios (REF), dessen Entwicklung von wesentlichen Elementen der derzei-
tig aktuellen europäischen und deutschen Energie-und Klimapolitik geprägt ist, insbesondere
von den Vorgaben zur Reduktion der Treibhausgasemissionen auf europäischer Ebene.
Diesem Referenzszenario werden drei weitere Varianten gegenübergestellt, anhand derer die
Auswirkungen veränderter energiewirtschaftlicher Rahmenannahmen untersucht werden. Da-
bei stehen höhere (VAR-HP) bzw. niedrigere (VAR-NP) Energieträgerpreise und ein stärke-
rer Ausbau der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung in Deutschland (VAR-EE) im Fo-
kus (Tabelle 1).
Da die deutsche Energiepolitik in zunehmendem Maße auch von den energie- und klimapoli-
tischen Rahmenbedingungen seitens der EU beeinflusst wird, ist eine isolierte Analyse des
deutschen Energiesystems im Rahmen der hier betrachteten Problemstellung ungeeignet. EU-
Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, zur Energieeffizienzsteigerung oder zum
Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien, wie sie beispielsweise im 2008 vorgestellten Kli-
ma- und Energiepaket der Europäischen Kommission für das Jahr 2020 festgelegt wurden,
sollen durch gemeinschaftliche Anstrengungen aller Mitgliedsstaaten erreicht werden und
8            Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

wirken somit direkt auf die Entwicklungen im deutschen Energiesystem. Zudem stehen die
Energiemärkte Deutschlands und der übrigen EU-Mitgliedsländer durch den länderübergrei-
fenden Handel mit Emissionszertifikaten und mit Energieträgern, insbesondere über den in-
ternationalen Stromaustausch, miteinander in Beziehung. Um diese Wechselwirkungen zu er-
fassen, wird Deutschland im Rahmen dieser Analyse als Teil des Energiesystems der EU be-
trachtet, so dass zum einen die von der EU vorgegebenen energie- und klimapolitischen Rah-
menbedingungen und zum anderen die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen EU-
Staaten Berücksichtigung finden. In allen vier Szenarien ist für die Mitgliedsstaaten der EU
ein Klimaschutzregime unterstellt, welches bis 2020 eine Reduktion der Treibhausgase um
20 % und bis 2050 um 80 % gegenüber 1990 enthält. Für das europäische Emissionshandels-
system impliziert dies eine Reduktion bis 2020 von 21 % gegenüber 2005, welche nachfol-
gend mit 1,74 % p.a. fortgeschrieben wurde (Tabelle 1). Basierend auf dem EU-ETS als
marktorientiertes Instrument zur Treibhausgasemissionsreduktion in der EU, wurde längerfri-
stig ebenso für die sektorübergreifenden EU-weiten Emissionsreduktionen eine kostenopti-
male Lastenverteilung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten unterstellt und auf die Vorgabe von
nationalen Reduktionszielen in den Szenarioanalysen verzichtet.

Tabelle 1:       Szenariendefinition
                           Referenz                            Varianten
                                        Niedrige Energie- Hohe Energie- Verstärkter Ausbau
                                        trägerpreise      trägerpreise       der     erneuerbaren
                                                                             Energien
                          REF               VAR-NP            VAR-HP               VAR-EE
Treibhausgas-          - EU-weit -20 % bis 2020 und -80 % bis 2050 ggü. Kyotobasis
minderungsziele        - EU-ETS: -21 % bis 2020 ggü. 2005 und nachfolgend -1,74 % p.a.
                   1
Energieträgerpreise   Referenz          niedrig           Hoch               Referenz
Inländische Stromer- Referenzausbaupfad auf 259 TWh Strom aus erneuer- Starker Ausbau auf
zeugung aus erneu- baren Energien in 2030 (bzw. 312 TWh in 2050) (in 325 TWh in 2030
erbaren Energien      Anlehnung an Blesl et al. 2011)                        (bzw. 430 TWh in
                                                                             20502)
Sonstige     energie-  - Kernenergieausstieg bis 2022
wirtschaftliche        - Biokraftstoffbeimischungsquote 7,5% (bezogen auf THG-Minderungs-
Rahmenannahmen             potenzial ab 2020)
für Deutschland        - Elektromobilitätsziele (1 Mio. Elektrofahrzeuge in 2020, 6 Mio. in 2030)

Bezogen auf die Ziele des Energiekonzeptes 2050 der Bundesregierung (Abschnitt 2.1), wur-
den für Deutschland in der Referenz und in den Variantenrechnungen Vorgaben für den Aus-
bau der Elektromobilität (1 Mio. Elektrofahrzeuge in 2020, 6 Mio. in 2030) und für die Bei-
mischung von Biokraftstoffen (7,5 % bezogen auf das THG-Minderungspotenzial ab 2020)
angenommen. Der Ausstieg aus der Kernenergie nach dem Ausstiegsbeschluss von 2011 ist

1
        Die Entwicklung der Energieträgerimportpreise wurden in Anlehnung an die Preispfade der Leitstudie
        2010 (BMU 2010b) bestimmt. Der Referenz-Preispfad orientiert sich am Pfad B „mäßig“ der Leitstudie
        2010, die Hochpreisentwicklung (VAR-HP) am Pfad „deutlich“ und die Niedrigpreisentwicklung
        (VAR-NP) am Pfad „sehr niedrig“.
2
        Ab 2015 entsprechend Leitstudie 2010, Basisszenario A (BMU 2010b)
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland                        9

ebenso in allen Szenarien bindend. Für die übrigen EU-27 Mitgliedsstaaten wurden ebenfalls
länderspezifische Annahmen zur zukünftigen Nutzung der Kernenergie getroffen, die sich an
den derzeitigen politischen Diskussionen orientieren.
Die Referenz beschreibt somit eine Entwicklung, welche durch verbindliche Klimaziele, den
Ausbau der erneuerbaren Energien und einen Energieträgerpreispfad mit einem Ölpreisni-
veau von ca. 84 US$2007/bbl in 2020, von ca. 102 US$2007/bbl in 2030 und darüber hinaus
langfristig von einem Niveau von über 120 US$2007/bbl gekennzeichnet ist. Die Varianten
zeichnen sich durch veränderte Energieträgerpreispfade und höhere Ausbauziele für die
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aus.

3.2 Rahmenannahmen
Für die Szenarien wird von einem gemeinsamen sozioökonomischen Rahmendatenkranz aus-
gegangen. Dieser umfasst die langfristige demographische Entwicklung, die gesamtwirt-
schaftliche und sektorale Entwicklung sowie die Entwicklung der Verkehrsleistung im Per-
sonen- und Güterverkehr (Tabelle 2 und Anhang A).

Tabelle 2:        Sozioökonomische und energiewirtschaftliche Rahmenannahmen für Deutschland in den
                  betrachteten Szenarien
                                                     2010*        2020       2030              Ausblick
 Entwicklung der Bevölkerung und des Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland
 Bevölkerung                             Mio.         81,8        81,4        79,7
   Durchschn. jährl. Wachstum            %/a                      -0,1        -0,2            -0,3 bis -0,4
 BIP                                  Mrd. €2000     2.248       2.526       2.784
   Durchschn. jährl. Wachstum            %/a                       1,2         1,0             0,5 bis 0,9
 BIP/Kopf                                €2000      27.482       31.032     34.931
   Durchschn. jährl. Wachstum            %/a                       1,2         1,2             0,8 bis 1,3
 Haushalte und Wohngebäude
 Anzahl der Wohnungen                    Mio.         39,5        41,3        42,4         -0,5 bis -0,7 %/a
 Anzahl der Wohngebäude                  Mio.         18,1        18,7        20,1          0,0 bis -0,3 %/a
 Wohnfläche                            Mio. m²       3.427       3.791       4.021         -0,3 bis -0,4 %/a
 Verkehrsnachfrage
 Personenverkehrt (exkl.
                                      Mrd. Pkm       1.066       1.078       1.068         -0,2 bis -0,3 %/a
 Luftverkehr)
 Luftverkehr (Energienachfrage,
                                           %          100          128        142          +0,3 bis +0,5 %/a
 2005=100 %)
 Güterverkehr                         Mrd. tkm        604          737        880          +0,3 bis +0,8 %/a
 Quellen: Blesl et al. (2011), BMWi (2011a), Fahl et al (2010), AGEB (2011), eigene Berechnungen
 * Statistische Werte (zum Teil vorläufig)

In allen analysierten Szenarien wird die gleiche Entwicklung der sozioökonomischen Größen
in Deutschland unterstellt:
       Die Einwohnerzahl in Deutschland wird von heute rund 81,8 Mio. bis auf 79,7 Mio.
        Menschen im Jahr 2030 sinken und darüber hinaus mit rund 0,3 bis 0,4 % pro Jahr
        weiter abnehmen.
10          Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

        Im gleichen Zeitraum soll das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahezu um 25 %
         wachsen, bei einem durchschnittlichen Wachstum von rund 1,1 % pro Jahr. Dies
         bedeutet, dass das BIP pro Kopf auf etwa das 1,3-fache steigen wird.
        Die Wohnfläche in Deutschland steigt bis 2030 auf gut 4 Mrd. m2. Pro Kopf stehen
         dann rein rechnerisch etwa 50,4 m2 zur Verfügung, je Haushalt etwa 95,7 m2. Bedingt
         durch den deutlichen Rückgang der Bevölkerung nach 2030 nimmt dann auch die
         gesamte Wohnflächennachfrage und die zu beheizende Fläche ab.
        Bis 2020 steigt die Personenverkehrsleistung in Deutschland (ohne Luftverkehr) noch
         um 4 % gegenüber 2005 auf rund 1.078 Mrd. Pkm an. Danach machen sich die sin-
         kenden Einwohnerzahlen auch bei der Personenverkehrsleistung stärker bemerkbar.
         Gegenläufig verläuft die Entwicklung beim Luftverkehr, der auch nach 2020 weiter
         zulegt.
        Die Güterverkehrsleistung steigt bis 2030 um rund 58 % gegenüber 2005 auf annä-
         hernd 880 Mrd. tkm. Danach verlangsamt sich der Anstieg deutlich.
Für die Entwicklung der Importpreise für fossile Energieträger werden drei Preispfade
zugrunde gelegt, welche sich an der Leitstudie 2010 (BMU 2010b) orientieren. Für die
Referenz bedeutet dies einen Anstieg des Grenzübergangspreises für Rohöl von 10,3 €2007/GJ
(80 US$2007/bbl3) in 2010 auf bis zu 13,0 €2007/GJ (102 US$2007/bbl) in 2030 (Tabelle 3). Der
Grenzübergangspreis für Erdgas steigt von 5,6 €2007/GJ in 2010 bis 2030 auf 10,3 €2007/GJ;
auch darüber hinaus hält der Anstieg des Gaspreises an. Auch der Grenzübergangspreis für
Steinkohle steigt im Zeitverlauf kontinuierlich an und erreicht in 2030 ein Preisniveau von
4,7 €2007/GJ.

Tabelle 3:        Energieträgerpreispfade
 reale €2007/GJ        2010*        2015        2020       2025       2030         Ausblick
 Referenz-Energieträgerpreise (nach BMU Leitstudie 2010, Pfad B: „mäßig“)
  Rohöl                  10,3        10,3**       10,7       12,0        13,0      +0,9 %/a
  Erdgas (Ho)             5,6          7,6         8,5        9,5        10,3      +0,9 %/a
  Steinkohle              2,8          3,5         4,0        4,4         4,7      +0,8 %/a
 Niedrige Energieträgerpreise (nach BMU Leitstudie 2010, Pfad C: „sehr niedrig“)
  Rohöl                  10,3        10,3**      10,3**     10,3**     10,3**       0,0 %/a
  Erdgas (Ho)             5,6          6,3         6,5        6,9         7,3      +0,2 %/a
  Steinkohle              2,8          3,1         3,3        3,5         3,7      +0,6 %/a
 Hohe Energieträgerpreise (nach BMU Leitstudie 2010, Pfad A: „deutlich“)
  Rohöl                  10,3         10,9        13,2       14,7        16,3      +1,5 %/a
  Erdgas (Ho)             5,6          8,7        10,7       12,2        13,8      +1,7 %/a
  Steinkohle              2,8          4,1         5,1        5,9         6,5      +1,8 %/a
 Quelle: BMU (2010b)
 * Statistische Werte nach BAFA (2011a), BAFA (2011b), BAFA (2011c)
 ** Fortschreibung der statistischen Werte nach BAFA aus 2010

3
         Umrechnungskurs: 1 €2007= 1,37 US$2007 (Bundesbank 2011)
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland                    11

In der Variante mit niedrigen Energieträgerpreisen (VAR-NP) wird von einem nahezu
konstanten Rohölpreis auf heutigem Preisniveau ausgegangen. Erdgas und Steinkohle steigen
bis 2030 leicht auf 7,3 €2007/GJ bzw. 3,7 €2007/GJ an.
Die Hochpreisvariante (VAR-HP) ist durch einen Anstieg des Rohölpreises auf bis zu
16,3 €2007/GJ (133 US$2007/bbl) in 2030 und stark überproportional ansteigenden Erdgas-
preisen (13,8 €2007/GJ in 2030) und Steinkohlepreisen (6,5 €2007/GJ) gekennzeichnet.
Für die Bereitstellung der Braunkohle wurde für alle Szenarien die gleiche Kostenent-
wicklung mit einem über den Zeithorizont konstanten Braunkohlepreis frei Kraftwerk von
1,4 €2007/GJ angenommen.
Die Entwicklung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wird im Wesentlichen
durch die politischen Rahmenbedingungen der Förderung über das Erneuerbare Energien
Gesetz (EEG) bestimmt. Vor dem Hintergrund der politisch angestrebten Ausbauziele und
unter der Annahme, dass die Förderung über das EEG bestehen bleibt und ggf. angepasst
wird, sowie unter Berücksichtigung der Entwicklung der vergangenen Jahre wird eine
Entwicklung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in der Referenz 4 hergeleitet
(Tabelle 4). Entsprechend wird von einem Anstieg der Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien von 104 TWh im Jahr 2010 auf 192 TWh in 2020 und auf 259 TWh in 2030
ausgegangen, der sich danach kontinuierlich mit knapp 1 % pro Jahr weiter fortsetzt.

Tabelle 4:          Inländische Stromerzeugungsmengen aus erneuerbaren Energien
 [TWh]                     2010*       2015      2020         2025       2030              Ausblick
    Referenz: Entsprechend der Förderung nach EEG (in Anlehnung an (Blesl et al. 2011))
    Wasser                 20,6        23,6       24,5        24,5        24,5              0,0 %/a
    Wind Onshore           37,8        58,5       66,1        67,9        69,6             +0,4 %/a
    Wind Offshore           0,2         9,7       33,9        58,5        83,0             +1,4 %/a
    Photovoltaik           11,7        20,9       30,2        34,7        39,2             +0,4 %/a
    Biomasse               33,4        34,7       36,2        38,1        40,0             +0,9 %/a
    Geothermie              0,0         0,4        1,0         1,9         2,8             +8,2 %/a
    Summe                 103,5       147,7      191,9       225,5       259,1             +0,9 %/a
    VAR-EE: Entsprechend Leitstudie 2010, Basisszenario A
    Wasser                20,6      21,4          22,2        22,8        23,5             +0,3 %/a
    Wind Onshore          37,8      63,8          75,5        81,3        87,0             +0,8 %/a
    Wind Offshore          0,2       8,2          32,5        63,7        95,0             +2,6 %/a
    Photovoltaik          11,7      30,4          43,9        50,5        57,0             +0,4 %/a
    Biomasse              33,4      41,1          49,5        52,8        56,1             +0,4 %/a
    Geothermie             0,0       0,4           1,7         4,1         6,6             +6,0 %/a
    Summe                103,5     165,3         225,3       275,2       325,2             +1,4 %/a
    * Statistische Mengen nach BMU (2011)

Die Stromerzeugung in Lauf- und Speicherwasserkraftwerken ist in Deutschland bereits auf
einem hohen Stand ausgebaut. Durch Modernisierungen und Neu- und Erweiterungsinvesti-

4
          Die Ausbaupfade der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien der Referenz gelten ebenso für die
          beiden Energieträgerpreisvarianten (VAR-NP und VAR-HP).
12       Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

tionen an bestehenden Wasserkraftwerksstandorten, wie beispielsweise in Rheinfelden und
die (Wieder-)Inbetriebnahme von Kleinanlagen ist noch ein gewisses Ausbaupotenzial vor-
handen, dessen Realisierung bis zum Jahr 2020 weitgehend umgesetzt sein wird. Entspre-
chend werden knapp 25 TWh in Wasserkraftanlagen erzeugt.
Bei der Windenergie, die mit ca. 36 TWh in 2010 den größten Beitrag zur Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien in Deutschland liefert, ist für die Anlagen an Land (Onshore)
unterstellt, dass es zukünftig zu einem fortlaufenden Repowering kommt und dass auch
weitere Standorte für die Nutzung der Windenergie Onshore erschlossen werden. Daraus
ergibt sich ein Anstieg der Onshore-Windenergieerzeugung auf 68 TWh in 2020 und 70 TWh
in 2030. Zurzeit sind drei größere Windparks auf See (Offshore) in Betrieb, für weitere 27
Standorte in der Nord- und Ostsee ist die Genehmigung erteilt (Dena 2011). Für die geneh-
migten Standorte ist unterstellt, dass sie im Zuge des Ausbaus der Offshore Windenergie bis
zum Jahr 2020 mit ersten Anlagen versehen werden, so dass in 2020 dann rund 10 GWel
installiert sein können, mit einem Stromerzeugungspotenzial von ca. 34 TWh. Im weiteren
Verlauf wird davon ausgegangen, dass sich der Ausbau der Offshore-Windenergieerzeugung
fortsetzt und in 2030 ca. 83 TWh erzeugt werden.
Für die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen wird eine Zunahme von knapp 12 TWh in
2010 auf 30 TWh in 2020 und anschließend bis 2030 mit einem geringeren Wachstum auf
39 TWh angenommen. Der starke Anstieg bis 2030 hat zur Folge, dass die derzeit noch reich-
lich vorhandenen Potenziale auf Freiflächen zunehmend knapper werden, so dass der weitere
Zubau auf Dachflächen begrenzt bleibt.
Die Stromerzeugung aus Biomasse (einschließlich der biogenen Anteile der Abfälle) wächst
weiterhin deutlich mit einem Zuwachs gegenüber 2010 von rund 10 % auf insgesamt 36 TWh
in 2020 und auf 40 TWh in 2030 (+20 % ggü. 2010) an.
Bei der Geothermie wurden mit dem EEG 2009 die Vergütungssätze nochmals deutlich ange-
hoben und die Errichtung von Geothermieanlagen zur Stromerzeugung wird seit 2008 auch
durch das Marktanreizprogramm des Bundesumweltministeriums in Form eines Sicherungs-
fonds gefördert. Trotz verbesserter Förderbedingungen und grundsätzlicher Kompatibilität
mit dem Energieversorgungssystem hemmen jedoch die hohen Fündigkeitsrisiken in Verbin-
dung mit hohen Bohrkosten sowie in einigen Regionen die mangelnde Akzeptanz dieser
Technologie eine rasche Expansion. Vor diesem Hintergrund ist bei der Stromerzeugung aus
Geothermie auch zukünftig eher eine nur schwach wachsende Entwicklung angenommen mit
einem Anstieg auf 1 TWh bis 2020 und auf 2,8 TWh bis 2030. Erst langfristig ist mit einem
stärkeren Anstieg zu rechnen.
Diese Strommengen aus erneuerbaren Energien entsprechen in ihrem Niveau den Strom-
mengen der Energieszenarien 2010 (BMWi 2010a), auf denen das Energiekonzept der
Bundesregierung basiert (vergl. EWI 2010_SzIIa und IER_EEG in Abbildung 4). Für die
Variante VAR-EE wurde eine stärkere Marktdurchdringung der erneuerbaren Energien,
insbesondere für On- und Offshore Windenergie untersucht. Diese Strommengen aus
erneuerbaren Energien orientieren sich an den Strommengen der Leitstudie 2010, Basissze-
nario A. Gegenüber der Referenzentwicklung werden in der Variantenrechnung VAR-EE in
2030 66 TWh zusätzlich aus erneuerbaren Energien unterstellt (Tabelle 4). In Summe ist für
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland                                     13

die Variantenrechnung VAR-EE in 2030 eine Gesamtstrommenge aus inländischen erneuer-
baren Ressourcen von 325 TWh (ggü. 259 TWh im Referenzszenario) unterstellt, wobei auf
Windenergie rund 56 % sowie auf Photovoltaik und Biomasse jeweils ca. 17 % entfallen.
Langfristig steigt die Gesamtstrommenge aus inländischen erneuerbaren Energien sogar auf
429 TWh in 2050; dabei verschieben sich die Anteile der einzelnen Technologien nur unwe-
sentlich.
 Nettostromerzeugung aus erneuerbaren Energien

                                                 500
                                                                               Wasser                  Wind onshore
                                                 450
                                                                               Wind offshore           Solar PV
                                                 400
                                                                               Biomasse                Geothermie
                                                 350
                                                 300
                                                 250
                                                 200
                    [TWh]

                                                 150
                                                 100
                                                 50
                                                  0
                                                                     IER-EEG

                                                                                                             IER-EEG

                                                                                                                                              IER-EEG
                                                       2010_SzIIa

                                                                                               2010_SzIIa

                                                                                                                                2010_SzIIa
                                                                               2010_A

                                                                                                                       2010_A

                                                                                                                                                        2010_A
                                                                                 Leit

                                                                                                                         Leit

                                                                                                                                                          Leit
                                                          EWI

                                                                                                  EWI

                                                                                                                                   EWI
                                                                    2020                                    2030                             2050

Abbildung 4:                                              Studienvergleich der Ausbaupfade für in Deutschland erzeugten Strom aus erneuerbaren
                                                          Energien

Für eine sehr starke Reduktion der spezifischen CO2-Emissionen aus fossil befeuerten Kraft-
werken stellen Kraftwerkstechnologien mit CO2-Abtrennung und der anschließende CO2-
Transport und die Lagerung (Carbon Capture and Storage - CCS) eine viel diskutierte Option
dar. Derzeitig befinden sich CCS-Technologien im Pilot- bzw. Demonstrationsstadium. Die
kommerzielle Verfügbarkeit dieser Technologie ist in der kommenden Dekade zu erwarten
(ZEP 2010). In diesem Zusammenhang kommt dem Transport und der Lagerung von CO2
eine besondere Bedeutung zu, da erst der entsprechende Zugang zu geeigneten CO2-Lager-
stätten die Anwendung der CCS-Technologie ermöglicht. Für die Speicherung von CO2 kom-
men Onshore und Offshore Lagerstätten in Betracht. Es eignen sich insbesondere tiefliegende
salzwasserführende Gesteinsschichten (saline Aquifere) als auch Kohlenwasserstofflagerstät-
ten, wie ausgeförderte Erdgasfelder. Die Speicherung in Köhleflözen ist zwar technisch mög-
lich, allerdings ist diese mit vergleichsweise hohen Unsicherheiten und hohen Kosten verbun-
den.
Für die Anwendung der CCS-Technologien ist in dieser Untersuchung die Verfügbarkeit ge-
eigneter Lagerstätten unterstellt und Einschränkungen durch mögliche Nutzungskonkurren-
zen bzw. fehlende Akzeptanz der Technologie nicht angenommen. Die Kosten und Potenzia-
le für den CO2-Transport und die Speicherung basieren auf einer Analyse der Kraftwerks-
standorte und potenzieller Lagerstätten. In der EU-27 beläuft sich das CO2-Speicherpotenzial
14        Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

auf 73 Gt, mit einem Anteil von knapp 80 % für saline Aquifere und knapp 20 % für Kohlen-
wasserstofflagerstätten (GeoCapacity 2009). In Deutschland beträgt das Einlagerungspotenzi-
al für CO2 ca. 18 Gt, wobei saline Aquifere das größte Potenzial mit 12 Gt Onshore und 3 Gt
Offshore aufweisen (GeoCapacity 2009). In Kohlenwasserstoffspeichern können bis zu
2 Gt CO2 gespeichert werden (GeoCapacity 2009). Neben der inländischen CO2-Speicherung
stellt der Transport in andere europäische Staaten und die Einlagerung in großen Gesteinsfor-
mationen, wie der Utsira-Formation im norwegischen Teil der Nordsee, eine mögliche Op-
tion dar. Diese ist jedoch gegenüber der inländischen Speicherung mit drei bis vierfach höhe-
ren Transportkosten verbunden.
Für große Braunkohlekraftwerksstandorte in Deutschland ergeben sich vergleichsweise gerin-
ge spezifische Transportkosten, würden die jeweiligen Kraftwerksstandorte komplett mit
einer CO2-Abscheidung ausgerüstet. Bei einem Kraftwerksstandort mit 2.500 MWel Gesamt-
leistung beliefen sich demnach die Transportkosten für eine typische Entfernung von 300 km
auf ca. 3 €/t CO2 (+/- 0,5 €/t CO2 in Abhängigkeit von den Terrainbedingungen für den Tras-
senverlauf) (Blesl und Kober 2010). Die Kosten der Einlagerung können mit 2 bis 4 €/t CO2
quantifiziert werden. Damit sind die Kosten für den CO2-Transport und die Speicherung im
Vergleich zu den Kosten, die für die Abtrennung am Kraftwerk zu erwarten sind um den Fak-
tor 5 bis 10 kleiner.

3.3 Modellierungsansatz
Im Rahmen der vorliegenden Studie kommt das Pan-Europäische TIMES Energiesystemmo-
dell zur Anwendung, um die energiewirtschaftlichen und umweltseitigen Effekte der zukünf-
tigen Braunkohlenutzung zu untersuchen.
TIMES ist ein mehrperiodisches, lineares Optimierungsmodell, das auf einem prozesstechni-
schen Ansatz basiert, bei dem einzelne Anlagen im Energiesystem aggregiert abgebildet wer-
den. Ziel ist die Ermittlung der wirtschaftlich optimalen Energieversorgungsstruktur bei
einem vorzugebenden Nutzenergie- bzw. Energiedienstleistungsbedarf und gegebenenfalls
energie- und umweltpolitischen Vorgaben.
Das Pan-Europäische TIMES Energiesystemmodell (kurz TIMES PanEU) ist ein 30 Regio-
nen umfassendes Energiesystemmodell, welches alle Staaten der EU-27 sowie die Schweiz,
Norwegen und Island beinhaltet. Zielfunktion des Modells ist eine zeitintegrale Minimierung
der gesamten diskontierten Systemkosten für den Zeithorizont 2000 bis 2050. Dabei ist im
Modell ein vollständiger Wettbewerb zwischen verschiedenen Technologien bzw. Energie-
umwandlungspfaden unterstellt. Als Energiesystemmodell enthält TIMES PanEU auf einzel-
staatlicher Ebene alle an der Energieversorgung und -nachfrage beteiligten Sektoren, wie bei-
spielsweise den Rohstoffbereitstellungssektor, die öffentliche und industrielle Strom- und
Wärmeerzeugung, die Industrie, den Gewerbe-, Handel, Dienstleistungssektor, die Haushalte
und den Transportsektor. Sowohl die Treibhausgasemissionen (CO2, CH4, N2O) als auch die
Schadstoffemissionen (CO, NOx, SO2, NMVOC, PM10, PM2,5) sind in TIMES PanEU erfasst.
Durch die Betrachtung des deutschen Energiesystems eingebettet in das Energiesystem der
EU-27 werden zudem auch die Möglichkeit von Veränderungen des Stromaußenhandels be-
Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland           15

rücksichtigt sowie der Handel mit Emissionszertifikaten, welcher zu einer kostenoptimalen
Lastenverteilung der Treibhausgasminderungsanforderungen zwischen den EU-Mitglieds-
staaten führt.
Im Modell ist ein interregionaler Stromhandel implementiert, so dass Elektrizitätsexporte und
-importe unter Berücksichtigung bestehender Kuppelleitungskapazitäten sowie Erweiterun-
gen der Übertragungsnetzkapazitäten zwischen den Regionen endogen im Modell berechnet
werden. In Abhängigkeit von der Kostenstruktur stehen somit Stromimporte in direkter Kon-
kurrenz zu den einheimischen Erzeugungstechnologien. Darüber hinaus ist im Modell für die
unterschiedlichen Regionen die Möglichkeit des Importes von Solarstrom aus Nordafrika ge-
geben. Dieser kann als Alternative zur einheimischen Stromerzeugung aus erneuerbaren
Energien angesehen werden, insbesondere wenn von einer gleichmäßigeren und höheren Ver-
fügbarkeit ausgegangen werden kann.
Bei der Strom- und Wärmeerzeugung in Kraftwerken, KWK-Anlagen und Heizwerken wird
zwischen öffentlicher Erzeugung und industrieller Eigenproduktion unterschieden. Im Modell
sind drei verschiedene Spannungsebenen für den Stromtransport (Höchstspannung, Mittel-
spannung, Niederspannung) und zwei unabhängige Wärmenetze (Fernwärme, Nahwärme)
abgebildet. Durch seine regionale Auflösung erlaubt TIMES PanEU die Berücksichtigung
länderspezifischer Besonderheiten, wie z. B. unterschiedliche Kraftwerksstrukturen des Be-
standes und regional verschiedene Ausbaupotenziale für erneuerbare Energien. In Bezug auf
die Netzintegration von Technologien zu Nutzung erneuerbarer Energien wurden die Kosten
für den entsprechenden Netzausbau basierend auf der Analyse bestehender Studien (Dena
2010) in Abhängigkeit von unterschiedlichen Ausbaustufen für erneuerbare Energien in das
Modell integriert.
Im Rohstoffbereitstellungssektor werden alle Primärenergieressourcen (Rohöl, Erdgas, Stein-
kohle, Braunkohle) durch Angebotskurven mit mehreren Kostenstufen modelliert. Dabei wer-
den drei Kategorien unterschieden: Reserven (oder erschlossene Quellen), Reservenwach-
stum (oder Sekundär- und Tertiärförderung) und Neuentdeckungen. Bei den Bioenergieträ-
gern werden Alt- und Restholz, Biogas, der biogene Anteil des Mülls sowie zuckerhaltige,
stärkehaltige, ölhaltige und lignocellulosehaltige Energiepflanzen unterschieden.
Hinsichtlich der Kraftwerksstruktur wird im Modell zwischen Anlagen des Bestandes und
möglichen Zubauoptionen unterschieden. Je nach Brennstoff- und Technologieklasse sind für
die im Modell abgebildeten Regionen Außerbetriebnahmepfade für Bestandskraftwerke hin-
terlegt, welche in Abhängigkeit von Inbetriebnahmezeitpunkt und typischen Kraftwerksnut-
zungsdauern bestimmt wurden. Für kohlebefeuerte Kraftwerke in Deutschland beträgt die un-
terstellte Nutzungsdauer der Bestandsanlagen 45 Jahre. Darüber hinaus ist für die entspre-
chenden Anlagen die Möglichkeit von Retrofitmaßnahmen hinterlegt. Durch diese Maßnah-
men kann die Nutzungsdauer um bis zu 15 Jahre verlängert werden. Von Retrofitmaßnahmen
ausgeschlossen sind Kraftwerke, für die eine verbindliche Erklärung zur Außerbetriebnahme
vorliegt, wie beispielsweise für die 150 MWel-Blöcke im Rheinischen Revier, welche zu
Gunsten des Neubaus der beiden Blöcke am Standort Neurath still gelegt werden.
Für die Reduktion der CO2-Emissionen der fossil gefeuerten Kraftwerke stellt neben Wir-
kungsgraderhöhungen die Anwendung von Technologien zur CO2-Abtrennung mit nachfol-
16        Energiewirtschaftliche Bedeutung der Braunkohlenutzung in Deutschland

gendem CO2-Transport und Speicherung (CCS) eine mögliche Option dar. Moderne Kohle-
kraftwerke können bereits heute so errichtet werden, dass eine Nachrüstung der CO2-Abtren-
nung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann. Diese sogenannten „Capture Ready-Kraft-
werke“ und die Nachrüstoption sind im Modell zusätzlich zu den CCS-Neubaukraftwerken
als Option enthalten.
TIMES PanEU enthält eine Vielzahl unterschiedlicher CCS-Technologien, sowohl für Kraft-
werkskonzepte (Precombustion, Postcombustion und Oxyfuel) für verschiedene Energieträ-
ger als auch für industrielle Anwendungen in der Zement- und Ammoniakindustrie sowie im
Umwandlungssektor zur Wasserstoffherstellung. Die jeweiligen Infrastrukturoptionen für den
CO2-Transport und die Speicherung sind in Form von detaillierten Kostenpotenzialkurven für
die einzelnen europäischen Länder hinterlegt (Kober, Blesl 2010a).
Eine detailliertere Beschreibung der Modellierung einzelner Sektoren in TIMES PanEU so-
wie Anwendungsbeispiele finden sich unter anderem in Bruchof, Voß (2010), Fahl et al.
(2010), Kober, Blesl (2010b), Kuder, Blesl (2010), Kuder, Blesl (2009), PLANETS (2009).
Die Verwendung eines integrierten Energiesystemmodells trägt der starken Vernetzung der
Energiewirtschaft Rechnung und erlaubt die Abbildung intersektoraler Mechanismen und
Zusammenhänge, welche insbesondere für die Untersuchung von kostenoptimalen Treibhaus-
gasminderungsstrategien von Bedeutung ist.

4    Perspektiven der Braunkohlenutzung
Die Untersuchung der zukünftigen Bedeutung der Braunkohle in Deutschland erfolgt mittels
einer Szenarioanalyse (Abschnitt 3.1, Tabelle 1) anhand eines Referenzszenarios (Abschnitt
4.1), dessen Entwicklung von wesentlichen Elementen der derzeitig aktuellen europäischen
und deutschen Energie- und Klimapolitik geprägt ist, sowie basierend auf drei weiteren
Varianten (Abschnitt 4.2), anhand derer die Auswirkungen anderer energiewirtschaftlicher
Rahmenannahmen untersucht werden.
Entsprechend der Schwerpunkte der Studie konzentriert sich die Ergebnisdiskussion in
diesem Kapitel auf die Entwicklungen im Stromsektor und die Auswirkungen auf den
Primärenergieverbrauch, insbesondere den Verbrauch von Braunkohle. Die
Ergebnisdiskussion bezieht sich im Wesentlichen auf die Entwicklungen in Deutschland, die
mit dem Pan-Europäischen Energiesystemmodell (Abschnitt 3.3) ermittelt worden sind und
die somit immer die Wechselwirkungen im europäischen Verbund berücksichtigen.

4.1 Entwicklungen im Referenzszenario
Strombedarf
Der Nettostrombedarf5 in Deutschland wird für den unmittelbaren Zeithorizont bis 2015 auf
heutigem Niveau erwartet (566 TWh) (Abbildung 5). Im weiteren Verlauf sinkt der Strom-

5
       Der Nettostrombedarf setzt sich aus dem Nettostromverbrauch sowie den Netz- und Pumpspeicher-
       verlusten zusammen.
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